Henrik Ibsen
Der Bund der Jugend
Henrik Ibsen

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Vierter Akt

Ein Gastzimmer bei Madam Rundholmen. Die Eingangstür im Hintergrunde, kleinere Türen auf beiden Seiten. Rechts ein Fenster; davor ein Tisch mit Schreibgerät; ein anderer Tisch, weiter zurück, mitten in der Stube.

Madam Rundholmen laut hinter der Tür links. Ich schere mich den Teufel drum! Du kannst sagen, sie sind hergekommen, um zu wählen, und nicht um zu trinken. Wollen sie nicht warten, so können sie's bleiben lassen.

Rechtsanwalt Stensgård kommt durch die Mitte. Guten Morgen! Hm, hm! Madam Rundholmen! Geht an die Tür links und klopft an. Guten Morgen, Madam Rundholmen!

Madam Rundholmen von drinnen. Na, wer ist denn da?

Stensgård. Ich bin's, – Stensgård. Darf ich eintreten?

Madam Rundholmen. Nein, um Gottes willen nein! Das dürfen Sie nicht! Ich habe noch nichts an.

Stensgård. Was ist das? Sind Sie so spät heut aufgestanden?

Madam Rundholmen. I, auf war ich schon mit den Hühnern, aber man muß doch wie ein Mensch aussehen, mein' ich. Guckt heraus, ein Umschlagetuch um den Kopf. Na, was gibt's denn? Nein, Sie dürfen mich wirklich nicht ansehen, Herr Stensgård! – Hu, da ist schon wieder einer!

Wirft die Tür zu.

Aslaksen mit einem Paket Zeitungen durch die Mitte. Guten Morgen, Herr Stensgård!

Stensgård. Na, steht's drin?

Aslaksen. Ja, natürlich. Sehen Sie hier: »Die Feier des Verfassungstages,« – »von unserem Spezialberichterstatter.« Hier, auf der anderen Seite, kommt die Gründung des Vereins; Ihre Rede steht obenan; ich habe alle Grobheiten gesperrt gesetzt.

Stensgård. Mir scheint, Sie haben alles gesperrt gesetzt.

Aslaksen. Na ja, es wird so ungefähr alles sein.

Stensgård. Und die Extranummer ist natürlich gestern ausgegeben worden?

Aslaksen. Versteht sich; in unserer ganzen Gegend; an die Abonnenten wie an Nichtabonnenten. Wollen Sie sehen?

Reicht ihm ein Exemplar.

Stensgård läuft das Blatt durch. – – »Der Ehrenmann Anders Lundestad gedenkt sein Reichstagsmandat niederzulegen« – »lange und treue Dienste« – »wie der Dichter sagt: Nun, Bürger, ruh dich aus, es ist verdient!« Hm; – »der am Freiheitstage gegründete Verein, der Bund der Jugend« – »Rechtsanwalt Stensgård, der leitende Geist des Vereins« – »zeitgemäße Reformen, Erleichterung des Kredits« – Na ja, es ist recht nett geschrieben. Hat der Wahlakt begonnen?

Aslaksen. Er ist in vollem Gange. Unser ganzer Verein ist angetreten, die stimmberechtigten Mitglieder wie die andern.

Stensgård. Der Teufel hole die andern, – unter uns gesagt! Doch gehen Sie jetzt hin und reden Sie mit denen, die Sie für zweifelhafte Kantonisten halten –

Aslaksen. Jawohl, jawohl!

Stensgård. Sie können ihnen sagen, ich und Lundestad seien ungefähr einig.

Aslaksen. Verlassen Sie sich auf mich; ich kenne die lokalen Verhältnisse.

Stensgård. Und dann noch eins! Seien Sie vernünftig, Aslaksen; trinken Sie heut nicht –

Aslaksen. Ach, was das anbetrifft –!

Stensgård. Nachher machen wir uns einen lustigen Abend; aber vergessen Sie nicht, was auch für Sie selbst auf dem Spiele steht, Ihre Zeitung –; ja, mein Lieber, beweisen Sie mir jetzt, daß Sie sich beherrschen können –

Aslaksen. Ach, lassen Sie nur, ich will nichts weiter hören; ich denke, ein jeder kümmere sich um sich selbst.

Ab nach rechts.

Madam Rundholmen, fein angezogen, von links. So, Herr Stensgård, da bin ich! War's denn etwas so Wichtiges ?

Stensgård. Nein, – ich wollte Sie bloß bitten, mich zu benachrichtigen, sobald Herr Monsen kommt.

Madam Rundholmen. Der kommt heut ganz gewiß nicht her.

Stensgård. Kommt nicht her?

Madam Rundholmen. Nein; er ist heut morgen um vier Uhr hier vorbeigefahren; er liegt jetzt immer auf der Landstraße. Und so sprach er hier vor und holte mich aus den Federn. Er wollte Geld leihen, denken Sie!

Stensgård. Geld leihen? Monsen?

Madam Rundholmen. Ja. Der Mann braucht Geld die schwere Menge. Möcht's ihm nur glücken! Und das wünsche ich auch Ihnen; denn es gibt Leute, die sagen, daß Sie in den Reichstag gewählt werden sollen.

Stensgård. Ich? Unsinn! Wer sagt das?

Madam Rundholmen. Einige von Lundestads Leuten.

Daniel Hejre durch die Mitte. Sieh, sieh! Guten Morgen! Ich störe doch nicht?

Madam Rundholmen. I bewahre!

Hejre. Donnerwetter, – dieser Staat! Sie haben sich doch nicht etwa für mich so schön gemacht?

Madam Rundholmen. Allerdings habe ich das. Unsereins putzt sich ja doch für die Junggesellen.

Hejre. Für die Freier, Madam Rundholmen; für die Freier. Leider nehmen die vielen Prozesse so sehr meine Zeit in Anspruch –

Madam Rundholmen. Ei der Tausend! Zum Heiraten, dazu hat man immer Zeit.

Hejre. Das hat man nicht, – bei Gott nicht! Heiraten, das erfordert einen ganzen Mann. Na, was tut's? Können Sie mich nicht kriegen, so kriegen Sie schon noch einen andern. Denn heiraten, das sollten Sie!

Madam Rundholmen. Ja, im Vertrauen, ich denke zuweilen daran!

Hejre. Begreiflicherweise! Wenn man einmal die Glückseligkeit des Ehestandes gekostet hat – Rundholm selig war ja ein Prachtexemplar –

Madam Rundholmen. Das will ich nicht gerade sagen; grob war er, und saufen tat er auch; aber ein Mann ist doch immer ein Mann.

Hejre. Ein wahres Wort, Madam Rundholmen! Ein Mann ist ein Mann, und eine Witwe ist eine Witwe –

Madam Rundholmen. Und Geschäfte sind Geschäfte. Oft möchte ich aus der Haut fahren, wenn ich dran denke, was mir alles aufliegt. Kaufen wollen sie alle; aber wenn der Zahltag kommt, so muß man sich zu Vorladung und Exekution und Pfändung entschließen. Manchmal hätte ich Lust, mir einen festen Sachwalter zuzulegen.

Hejre. Wissen Sie was, Madam Rundholmen? Da sollten Sie sich wahrhaftig den Rechtsanwalt Stensgård zulegen; er ist ein freier Mann –

Madam Rundholmen. Ach, Sie haben solch losen Mund! Ich will nichts mehr von Ihnen wissen!

Ab nach rechts.

Hejre. Ein gediegenes Frauenzimmer! Flott und flink; keine Kinder bis dato; Gelder auf Zinsen. Und Bildung hat sie auch; 'ne riesige Belesenheit, mein Lieber!

Stensgård. Riesige Belesenheit, sagen Sie?

Hejre. Hähä, das sollte ich meinen; sie war zwei Jahr abonniert in Alms Leihbibliothek. Aber heute haben Sie wohl ganz andere Dinge im Kopf, denke ich mir.

Stensgård. Durchaus nicht; vielleicht werde ich nicht einmal meine Stimme abgeben. Aber für wen werden Sie denn stimmen, Herr Hejre?

Hejre. Ich bin nicht stimmberechtigt, Verehrtester! War hier doch von den gerichtlich eingetragenen Hundehütten bloß eine zu verkaufen, und die haben Sie an sich gebracht.

Stensgård. Sollten Sie obdachlos werden, so stelle ich sie Ihnen zur Verfügung.

Hejre. Hähä, Sie sind ein Spaßvogel; – ach ja, die liebe Jugend, die hat einen glücklichen Humor. Aber jetzt will ich doch hin und mir die Menagerie ansehen. Ihr ganzer Verein, höre ich, soll angetreten sein. Erblickt den Doktor Fjeldbo, der durch die Mitte eintritt. Da ist auch der Doktor! Sie finden sich wohl im Interesse der Wissenschaft ein?

Fjeldbo. Der Wissenschaft?

Hejre. Wegen der Epidemie; hier ist ja eine bösartige rabies agitatoria ausgebrochen. Gott befohlen, meine lieben jungen Freunde!

Ab nach rechts.

Stensgård. Du, sag' mir geschwind: hast Du den Kammerherrn heute gesehen?

Fjeldbo. Ja.

Stensgård. Und was hat er gesagt?

Fjeldbo. Was er gesagt hat?

Stensgård. Jawohl; ich habe ihm geschrieben.

Fjeldbo. So? Was hast Du geschrieben?

Stensgård. Daß ich an der Hoffnung auf die Hand seiner Tochter festhalte; daß ich über die Angelegenheit mit ihm sprechen will, und daß ich ihn darum morgen besuchen würde.

Fjeldbo. Du solltest den Besuch jedenfalls aufschieben. Morgen ist des Kammerherrn Geburtstag; es kommen da eine ganze Menge Leute –

Stensgård. Eben deshalb; je mehr, desto besser. Ich habe Trümpfe in der Hand, sage ich Dir.

Fjeldbo. Und auf die hast Du am Ende angespielt?

Stensgård. Wieso?

Fjeldbo. Ich meine, Du hast vielleicht Deine Liebeserklärung mit einigen netten kleinen Drohungen oder dergleichen verbrämt?

Stensgård. Fjeldbo, Du hast den Brief gesehen!

Fjeldbo. Nein, ich versichere Dir –

Stensgård. Nun ja, offen gesagt, – ich habe ihm gedroht.

Fjeldbo. Dann habe ich etwas wie eine Antwort für Dich.

Stensgård. Eine Antwort? Mensch, her damit!

Fjeldbo zeigt ihm ein versiegeltes Papier. Sieh her, – der Stimmzettel des Kammerherrn.

Stensgård. Und für wen stimmt er?

Fjeldbo. Jedenfalls nicht für Dich.

Stensgård. Für wen denn? Für wen, frage ich.

Fjeldbo. Für den Amtmann und den Propst.

Stensgård. Was soll das heißen? Nicht einmal für Lundestad?

Fjeldbo. Nein. Und weißt Du, warum? Weil Lundestad Dich als seinen Nachfolger empfehlen will.

Stensgård. So weit wagt er's zu treiben!

Fjeldbo. Er ist so frei. Und er fügte hinzu: »Treffen Sie Stensgård, so erzählen Sie ihm, wie ich stimme; er soll wissen, wie wir miteinander stehen.«

Stensgård. Gut; ihm soll werden, was er haben will.

Fjeldbo. Überleg' es Dir; es ist gefährlich, einen alten Turm niederzureißen, – man kann selbst dabei zu Falle kommen.

Stensgård. O, ich bin in den paar Tagen gescheit geworden.

Fjeldbo. Wirklich? Aber doch nicht so gescheit, daß Du Dich nicht jetzt von dem alten Lundestad gängeln ließest.

Stensgård. Glaubst Du, ich hätte Lundestad nicht durchschaut? Glaubst Du, ich hätte nicht gemerkt, daß er sich mir zugewandt hat, weil er gemeint, ich hätte den Kammerherrn gewonnen, und weil er unsern Verein sprengen und Monsen beseitigen wollte?

Fjeldbo. Aber nun, da er weiß, daß Du den Kammerherrn nicht gewonnen hast –

Stensgård. Er ist zu weit gegangen, um zurück zu können, und ich habe die Zeit benutzt und Flugblätter herausgegeben; die meisten seiner Anhänger finden sich nicht ein; die meinen sind alle hier –

Fjeldbo. Aber vom Wahlmann zum Reichstagsabgeordneten ist doch kein Katzensprung.

Stensgård. Lundestad weiß recht gut: wenn er mich in der Wahlmännerversammlung im Stiche läßt, so bin ich kapabel, ihn aus der Kommunalverwaltung hinauszuagitieren.

Fjeldbo. Nicht übel ausgesonnen. Aber Du fühlst wohl selbst: um dies alles durchzusetzen, mußt Du solider hier Wurzel fassen als bisher.

Stensgård. Ja, diese Menschen verlangen ja immer materielle Gewähr, Gleichheit der Interessen –

Fjeldbo. Richtig; und deshalb soll Fräulein Bratsberg geopfert werden?

Stensgård. Geopfert? Dann wär' ich ja ganz einfach ein Schurke. Aber ich fühle tief, daß es zu ihrem Glücke sein wird. Aber wie! Fjeldbo, was hast Du? Auch Du führst etwas im Schilde –

Fjeldbo. Ich?

Stensgård. Ja, Du! In aller Stille gehst Du umher und arbeitest gegen mich. Warum tust Du das? Sei ehrlich –! Willst Du?

Fjeldbo. Aufrichtig gesagt, nein. Du bist zu gefährlich, zu gewissenlos, – na ja, zu rücksichtslos auf jeden Fall, als daß man ehrlich gegen Dich sein dürfte. Was Du weißt, davon machst Du unbedenklich Gebrauch. Aber so wahr ich Dein Freund bin, – ich gebe Dir den Rat: schlage Dir Fräulein Bratsberg aus dem Sinn.

Stensgård. Ich kann nicht. Ich muß heraus aus den Widerwärtigkeiten, die mich hier umgeben. Ich kann nicht länger in diesem Rummel leben. Hier muß ich mich fortwährend von Ole Persen und Per Olsen unter den Arm nehmen lassen, muß in den Winkeln mit ihnen tuscheln, Schnaps mit ihnen trinken, aus vollem Halse über ihre Bierwitze lachen, auf Du und Du stehen mit Seminaristen und derlei halbstudiertem Pack. Wie kann ich unter solchen Verhältnissen meine Liebe zum Volke frisch erhalten? Es ist, als ob das zündende Wort mich im Stich ließe. Ich habe keinen Raum für meine Ellbogen, keine reine Luft zum Atmen. Ach, mich überkommt zuweilen eine wahre Sehnsucht nach vornehmen Frauen. Ein Verlangen nach etwas, worin Schönheit lebt! Ich liege hier wie in einer schlammigen Bucht, und draußen zieht der klare, blaue Strom an mir vorbei; – ach, was verstehst Du davon!

Lundestad durch die Mitte. Da trifft man ja gute Gesellschaft. Guten Morgen!

Stensgård. Nun sollen Sie eine Neuigkeit hören, Herr Lundestad! Wissen Sie, für wen der Kammerherr stimmt?

Fjeldbo. Schweig still! Das ist gemein von Dir!

Stensgård. Was liegt mir dran! Er stimmt für den Amtmann und den Propst.

Lundestad. Na ja, das ließ sich erwarten. Sie haben es ja mit ihm verdorben; ich habe Sie doch so dringend gebeten, Ihre Karte fein zu spielen.

Stensgård. Das werde ich auch – fortan.

Fjeldbo. Nimm Dich in acht, daß nicht andere desgleichen tun!

Ab nach rechts.

Stensgård. Der Mensch hatte etwas Verschmitztes an sich. Durchschauen Sie seine Absichten?

Lundestad. Nein. Aber, was ich sagen wollte, – ich sehe, Sie haben in der Zeitung losgelegt.

Stensgård. Ich?

Lundestad. Mit einem netten Nekrolog auf mich.

Stensgård. Natürlich hat Aslaksen, das Rindvieh –

Lundestad. Ihr Ausfall gegen den Kammerherrn steht auch drin.

Stensgård. Ich habe nichts davon gewußt. Wenn ich dem Kammerherrn zu Leibe will, habe ich schwereres Geschütz.

Lundestad. So?

Stensgård. Kennen Sie diesen Wechsel? Sehen Sie ihn an. Ist er gut?

Lundestad. Ob der gut ist? Der Wechsel da?

Stensgård. Gewiß; betrachten Sie ihn genau.

Hejre von rechts. Aber was in des Henkers Namen mag da wohl –? Ei, sieh da! Bitte, meine Herren, bleiben Sie doch so stehen! Wissen Sie, woran Sie mich lebhaft erinnern? Sie erinnern mich an eine Sommernacht im hohen Norden.

Lundestad. Ein komisches Bild.

Hejre. Ein sehr treffendes Bild. Die untergehende und die aufgehende Sonne in traulichem Verein. Ach, es war himmlisch – in der Tat! Doch apropos, was zum Henker ist da draußen los? Die Staatsbürger fahren durcheinander wie aufgescheuchte Hühner und gackern und krähen und wissen nicht, auf welche Stange sie sich setzen sollen.

Stensgård. Es ist aber auch ein Tag von Wichtigkeit.

Hejre. Ach, Sie mit Ihrer Wichtigkeit! Nein, es ist ganz was andres, meine lieben Freunde! Man munkelt von einem großen Krach; Bankerott, – nicht etwa politischen, Herr Lundestad! I bewahre!

Stensgård. Bankerott!

Hejre. Hähä, nun kommt Leben in den Rechtsanwalt! Jawohl, Bankerott; es steht einer vor seinem Sturz; die Axt ist an die Wurzel des Baumes gelegt, – genug! Zwei fremde Herren sollen vorbeigefahren sein; aber wohin? Um wen handelt es sich? Ist Ihnen nichts bekannt, Herr Lundestad?

Lundestad. Mir ist die Kunst des Schweigens bekannt, Herr Hejre.

Hejre. Natürlich; Sie sind ja ein politisches Tier; ein Staatsmann, hähä! Aber ich muß, hol' mich der Kuckuck, weiter, um Klarheit in der Sache zu haben. Es ist furchtbar amüsant mit diesen Wechselreitern; sie sind wie Perlen auf einer Schnur; rollt erst eine runter, so rollen sie alle miteinander.

Ab durch die Mitte.

Stensgård. Ist an dem ganzen Klatsch etwas Wahres?

Lundestad. Sie haben mir einen Wechsel gezeigt. Ich glaube, es stand der Name Erik Bratsbergs drauf?

Stensgård. Auch der des Kammerherrn.

Lundestad. Und dann fragten Sie mich, ob er gut wäre.

Stensgård. Gewiß; schauen Sie ihn nur an.

Lundestad. Er ist, weiß Gott, nicht viel wert.

Stensgård. Sie sehen es also?

Lundestad. Was?

Stensgård. Daß er falsch ist.

Lundestad. Falsch? Falsche Wechsel sind meistens die sichersten; die löst man zuerst ein.

Stensgård. Aber was meinen Sie? Ist er nicht falsch?

Lundestad. Sehr gut ist er gerade nicht.

Stensgård. Wieso?

Lundestad. Ich fürchte, es gibt hier zu viele der Art, Herr Stensgård.

Stensgård. Wie? Es ist doch kaum möglich, daß –?

Lundestad. Rollt Erik Bratsberg von der Schnur, so rollen wohl auch die mit, die ihm am nächsten stehen.

Stensgård faßt ihn am Arm. Wen meinen Sie mit diesen Nächsten?

Lundestad. Steht sich wer näher als Vater und Sohn?

Stensgård. Aber großer Gott –!

Lundestad. Ich will nichts gesagt haben! Vergessen Sie nicht, es war Daniel Hejre, der von Bankerott und Krach schwätzte und von –

Stensgård. Das trifft mich wie der Blitz!

Lundestad. So mancher wohlhabende Mann geht ja doch zum Teufel. Da ist man zu gutmütig und leistet Bürgschaft; bar Geld ist nicht immer aufzutreiben; und kommen die Güter zur Auktion, so werden sie für ein Butterbrot verkauft –

Stensgård. Und das alles trifft natürlich, – das trifft auch die Kinder!

Lundestad. Ja, um das Fräulein tut es mir wirklich leid; ihr mütterliches Erbteil ist gering, und Gott weiß, ob das wenige, was sie hat, sicher steht.

Stensgård. O, jetzt verstehe ich Fjeldbos Rat; er ist doch noch der alte, treue Freund!

Lundestad. Was hat Herr Doktor Fjeldbo gesagt?

Stensgård. Er ist zu treu, um etwas zu sagen; aber ich verstehe ihn trotzdem. Und ich verstehe jetzt auch Sie, Herr Lundestad.

Lundestad. Haben Sie mich bis jetzt nicht verstanden?

Stensgård. Nicht ganz; ich vergaß die Geschichte von den Ratten und dem sinkenden Schiffe.

Lundestad. Die Bemerkung ist nicht gerade schön von Ihnen. Aber was fehlt Ihnen? Sie sehen ja so verstört aus. Herrgott, ich habe doch kein Unheil angerichtet?

Stensgård. Unheil? Wieso?

Lundestad. Jawohl, ja, ich seh's! O, ich alter Dummkopf! Lieber Herr Stensgård, wenn Sie das Mädchen wirklich lieben, was tut's dann, ob sie reich oder arm ist?

Stensgård. Was das tut? Nein, ganz gewiß –

Lundestad. Herrgott, das Glück einer Ehe gründet sich doch nicht gerade auf Geld.

Stensgård. Freilich nicht.

Lundestad. Und mit Strebsamkeit und Fleiß können Sie doch noch mal Karriere machen. Lassen Sie sich nicht durch die Enge der Verhältnisse abschrecken. Ich weiß, was Liebe ist; über dies Kapitel habe ich in meiner Jugend viel gelesen. Häusliches Glück, ein treues Weib –; mein Lieber, mein Lieber, handeln Sie so, daß Sie später keine Reue haben!

Stensgård. Aber was soll denn mit Ihnen werden?

Lundestad. Mag werden, was will. Glauben Sie, ich würde ein solches Opfer des Herzens von Ihnen verlangen?

Stensgård. Aber ich werde das Opfer bringen! Ja, ich werde Ihnen zeigen, daß ich die Kraft dazu habe. Da draußen steht ein Volk voll Sehnsucht; es ruft nach mir gleichsam mit wortloser Klage. O, wie dürfte ich mich da meinem Volk entziehen!

Lundestad. Ja, aber der Grundbesitz –?

Stensgård. Ich werde die Ansprüche meiner Mitbürger auch in dieser Hinsicht zu befriedigen wissen, Herr Lundestad! Ich sehe den Weg, einen neuen Weg, und den schlage ich ein. Ich verzichte auf das Glück, in stiller Entsagung für die Geliebte zu arbeiten. Ich spreche zu meinem Volke: da bin ich – nimm mich hin!

Lundestad blickt ihn mit stiller Bewunderung an und drückt ihm die Hand. Wahrhaftig, Sie haben viel Talent, Herr Stensgård.

Ab nach rechts.

Stensgård geht mehrmals auf und ab; bald bleibt er am Fenster stehen, bald rauft er sich das Haar. Gleich darauf kommt Bastian Monsen durch die Mitte.

Bastian. Da bin ich!

Stensgård. Wo kommst Du her?

Bastian. Von der Nation!

Stensgård. Von der Nation? Was heißt das?

Bastian. Weißt Du nicht, was die Nation ist? Die Nation, so heißt das Volk, das gemeine Volk; die, die nichts haben und nichts sind, die gefesselt liegen –

Stensgård. Was, zum Henker, sind das für Affereien?

Bastian. Wie?

Stensgård. Ich habe in der letzten Zeit bemerkt, daß Du herumgehst und mich kopierst, bis auf die Kleidung und die Handschrift. Das sollst Du bleiben lassen.

Bastian. Wie? Gehören wir nicht zu derselben Partei?

Stensgård. Das wohl; aber dergleichen dulde ich nicht; – Du machst Dich lächerlich –

Bastian. Lächerlich, wenn ich mich nach Dir richte?

Stensgård. Ja, durch das Nachäffen. Sei vernünftig, Monsen, und unterlasse das; 's ist ein scheußlicher Anblick. – Aber, sag' mir eins, – wann kommt Dein Vater zurück?

Bastian. Das weiß ich nicht. Er ist, glaube ich, nach Christiania gereist; am Ende kommt er vor acht Tagen nicht zurück.

Stensgård. So? Das wäre schlimm. Aber er hat ja ein großes Geschäft vor, heißt es?

Bastian. Ich habe auch eins vor. Höre, Stensgård, Du mußt mir einen Dienst leisten.

Stensgård. Gerne; was soll es sein?

Bastian. Ich fühle mich so stark. Das danke ich Dir, Du hast mich aufgeweckt. Ich muß etwas tun, etwas tun; – ich will heiraten!

Stensgård. Heiraten? Wen?

Bastian. Pst! Hier im Haus eine.

Stensgård. Madam Rundholmen?

Bastian. Pst! Ja, sie. Leg' ein gutes Wort für mich ein – ja? In so was, da muß ich hinein! Sie sitzt in einem kolossalen Geschäft; sie steht sich gut mit dem Kammerherrn noch von der Zeit her, als ihre Schwester dort als Haushälterin diente. Kriege ich sie, so kriege ich vielleicht auch die Kommunalarbeiten. Und überhaupt, – ich liebe sie, Donnerwetter ja!

Stensgård. Ach, Liebe, Liebe! Laß doch die ekelhafte Heuchelei!

Bastian. Heuchelei?

Stensgård. Ja, besten Falles belügst Du Dich selbst. Da schwätzt Du in einem Atem von Wegebauten und Liebe. Nenn doch jedes Ding beim rechten Namen. In so was liegt eine schmutzige Gesinnung; ich will nichts damit zu schaffen haben –

Bastian. Aber so hör' doch –!

Stensgård. Laß mich aus dem Spiel, sage ich! Zu Doktor Fjeldbo, der von rechts kommt. Na, wie steht die Wahl?

Fjeldbo. Für Dich gewiß vortrefflich. Ich sprach eben Lundestad; er sagte mir, Du bekämest fast alle Stimmen.

Stensgård. Nein, wirklich?

Fjeldbo. Aber was zum Henker nützt Dir das? Wenn Du nicht Grundbesitzer bist, so –

Stensgård mit leiser Stimme. 's ist doch 'ne verwünschte Geschichte!

Fjeldbo. Na, man kann doch nicht zwei Dinge auf einmal treiben. Wenn man auf der einen Seite gewinnen will, so muß man sich drauf gefaßt machen, auf der andern zu verlieren. Adieu!

Ab durch die Mitte.

Bastian. Was meinte er mit dem Gewinnen und Verlieren?

Stensgård. Das werde ich Dir ein ander mal sagen. Aber, lieber Monsen, – um auf unsere Unterhaltung zurückzukommen, – ich versprach, ein gutes Wort für Dich einzulegen –

Bastian. Das versprachst Du? Ich glaubte im Gegenteil –

Stensgård. Ach Unsinn! Du ließest mich ja nicht zu Worte kommen. Ich wollte sagen, es läge eine schmutzige Gesinnung darin, seine Liebe mit Wegebauten und dergleichen zu verquicken; das ist eine Sünde gegen das Beste, was man in seiner Brust hat; – und deshalb, lieber Freund, wenn Du also wirklich das Mädchen liebst –

Bastian. Die Witwe.

Stensgård. Na ja; das ist ja dasselbe. Ich meine: wenn man ein Weib wirklich liebt, so sollte das an und für sich entscheidend sein –

Bastian. Ja, das mein' ich doch auch. So willst Du also für mich sprechen?

Stensgård. Ja, mit tausend Freuden. Aber nur unter einer Bedingung.

Bastian. Und die wäre?

Stensgård. Eine Liebe ist der andern wert, teurer Bastian; – Du sollst auch für mich sprechen.

Bastian. Ich? Bei wem?

Stensgård. Hast Du wirklich nichts gemerkt? Es liegt doch so nahe.

Bastian. Es ist doch nicht etwa –?

Stensgård. Ragna, Deine Schwester! Ja, sie! Ach, Du weißt nicht, wie es mich gerührt hat, sie so in stiller, anspruchsloser Häuslichkeit schalten zu sehen –

Bastian. Nein, ist's möglich?

Stensgård. Aber daß Du, bei Deinem Scharfblick, gar nichts gemerkt hast?

Bastian. Anfangs glaubte ich allerdings –; aber man munkelt jetzt doch so viel, daß Du da beim Kammerherrn herumscharwenzelst –

Stensgård. Ach was, beim Kammerherrn! Aufrichtig gesagt, Monsen, – es hat einen Augenblick gegeben, wo ich sozusagen schwankte – aber, gottlob! das ist vorüber; jetzt bin ich mir klar über mich selbst und über den Weg, den ich zu gehen habe.

Bastian. Hier ist meine Hand! Ich werde für Dich sprechen, verlaß Dich drauf. Und was Ragna betrifft, – sie darf nichts anderes tun, als was ich und Vater wollen.

Stensgård. Ja, aber Dein Vater, – von dem wollte ich gerade reden –

Bastian. Pst! Donnerwetter – da höre ich Madam Rundholmen; sprich gleich für mich, – doch nur, wenn sie's nicht allzu eilig hat: denn da ist mit ihr nichts anzufangen. Ja, mein Lieber, jetzt tu Dein mögliches; das andere werd' ich selbst besorgen. Hast Du Aslaksen nicht hier gesehen?

Stensgård. Er ist gewiß bei der Wahl.

Bastian ab durch die Mitte; in demselben Augenblick kommt Madam Rundholmen von rechts.

Madam Rundholmen. Jetzt geht's aber wie geschmiert, Herr Stensgård; alle stimmen ja für Sie.

Stensgård. Das ist doch merkwürdig.

Madam Rundholmen. Ja, weiß Gott – da wird der Monsen ein schönes Gesicht machen.

Stensgård. Madam Rundholmen, auf ein Wort!

Madam Rundholmen. Na was denn?

Stensgård. Wollen Sie mich anhören?

Madam Rundholmen. Herrje, mit dem größten Vergnügen.

Stensgård. Wohlan! Sie haben vorhin von Ihrem ledigen Stand gesprochen –

Madam Rundholmen. Ach, das war ja der alte abscheuliche Hejre –

Stensgård. Sie klagten, wie schwer es für eine Witwe wäre –

Madam Rundholmen. Weiß Gott, ja, Sie sollten's nur mal probieren, Herr Stensgård!

Stensgård. Wenn nun aber ein flotter junger Mann käme –

Madam Rundholmen. Ein flotter junger Mann –

Stensgård. Einer, der Sie schon lange so in aller Stille lieb gehabt hat –

Madam Rundholmen. Ach, lassen Sie man – ich will nichts weiter hören.

Stensgård. Sie müssen! Ein junger Mann, der's auch satt ist, so allein zu stehen –

Madam Rundholmen. Ja, wie denn? Ich verstehe Sie nicht.

Stensgård. Wenn Sie nun das Glück zweier Menschen begründen könnten, Madam Rundholmen, – Ihr eigenes und –

Madam Rundholmen. Des flotten jungen Mannes?

Stensgård. Allerdings. Antworten Sie mir –

Madam Rundholmen. Ach nein, Stensgård, es ist doch wohl nicht Ihr Ernst?

Stensgård. Wie können Sie glauben, daß ich Sie zum besten habe? Wären Sie also geneigt –?

Madam Rundholmen. Mit tausend Freuden! Lieber, süßer –

Stensgård prallt einen Schritt zurück. Was?

Madam Rundholmen. Ah, da ist wer!

Fräulein Monsen kommt eilig und aufgeregt durch die Mitte.

Ragna. Verzeihen Sie, ist Papa nicht hier?

Madam Rundholmen. Ihr Papa? Ja, – nein; – ich weiß nicht; – entschuldigen Sie –

Ragna. Wo ist er?

Madam Rundholmen. Ihr Vater? Ach so, der ist vorübergefahren –

Stensgård. Auf dem Weg nach Christiania.

Ragna. Nein, das ist unmöglich –

Madam Rundholmen. Vorübergefahren ist er, das weiß ich. Ach, Fräulein Monsen, Sie können sich nicht vorstellen, wie vergnügt ich bin! Warten Sie einen Augenblick, ich laufe nur in den Keller und hole eine Flasche Echten.

Ab nach links.

Stensgård. Sagen Sie mir, Fräulein, – suchen Sie wirklich nur Ihren Vater?

Ragna. Sie hören es ja.

Stensgård. Und Sie haben nicht gewußt, daß er weggefahren ist?

Ragna. Ach, was weiß ich! Man sagt mir nichts. Aber nach Christiania? Das ist unmöglich; sie müßten ihm ja begegnet sein. Adieu!

Stensgård tritt ihr in den Weg. Ragna! Hören Sie! Weshalb sind Sie so anders gegen mich?

Ragna. Ich? Lassen Sie mich! Halten Sie mich nicht auf!

Stensgård. Nein, Sie sollen bleiben! Ich halte es für ein Werk der Vorsehung, daß Sie gerade in diesem Augenblick kommen. Nicht diese Schüchternheit! Früher waren Sie anders.

Ragna. Ja, das ist – Gott sei Dank – vorbei!

Stensgård. Aber warum –?

Ragna. Ich habe Sie kennen gelernt – glücklicherweise noch zur rechten Zeit.

Stensgård. Ah so? Man hat mich angeschwärzt? Ja, vielleicht war ich auch selber schuld; ich war wie eingesponnen in eine Verirrung. Das ist jetzt vorüber! Ach, wenn ich Sie sehe, werde ich ein besserer Mensch. Ihnen allein bin ich wahrhaft und von Herzen gut; Sie allein liebe ich, Ragna, – Sie und keine andere!

Ragna. Lassen Sie mich! Mir ist angst vor Ihnen –

Stensgård. Aber morgen, Ragna, – darf ich morgen zu Ihnen kommen und mit Ihnen reden?

Ragna. Ja, ja, meinetwegen, nur heute nicht.

Stensgård. Nur heute nicht? Hurra! Ich bin wieder obenauf! Ich bin glücklich!

Madam Rundholmen mit Wein und Kuchen von links. So, nun wollen wir mal ein Glas trinken auf Glück und Wohlergehn!

Stensgård. Aufs Glück in der Liebe! Glück und Liebe sollen leben! Ein Hoch auf den morgigen Tag! Er trinkt.

Helle von rechts zu Ragna. Haben Sie ihn gefunden?

Ragna. Nein, er ist nicht hier. Kommen Sie, kommen Sie!

Madam Rundholmen. Aber, Himmel, was ist denn passiert?

Helle. Nichts; es sind nur Gäste nach Storli gekommen, und –

Ragna. Besten Dank für all Ihre Freundlichkeit, Madam Rundholmen –

Madam Rundholmen. So? Haben Sie wieder Gäste auf den Hals gekriegt?

Ragna. Ja, ja, – entschuldigen Sie; ich muß nach Haus! Adieu!

Stensgård. Adieu – bis morgen!

Helle und Fräulein Monsen ab durch die Mitte.

Daniel Hejre von rechts. Haha, jetzt geht's wie'n Donnerwetter! Stensgård, Stensgård, Stensgård, gackern sie; sie wählen ihn einer wie der andere. Jetzt sollten Sie ihn auch wählen, Madam Rundholmen!

Madam Rundholmen. Hihi! Was Sie sagen! Aber stimmen sie wirklich alle für ihn?

Hejre. Wahrhaftig, ja! Herr Stensgård hat das Vertrauen des Volkes, wie die Phrase lautet. Der alte Lundestad geht umher mit einem Gesichte wie 'ne saure Zuckergurke. O, 's ist 'ne wahre Wonne, das mit anzusehen.

Madam Rundholmen. Sie sollen ihn nicht umsonst gewählt haben. Kann ich nicht stimmen, so kann ich doch traktieren!

Ab nach links.

Hejre. Sie sind der geborene Witwentröster, Herr Stensgård, – das sind Sie. Wissen Sie was, – bei der sollten Sie sich festbeißen, – dann wären Sie geborgen!

Stensgård. Bei Madam Rundholmen?

Hejre. Allerdings; das ist ein Frauenzimmer, – solide in jeder Beziehung; sie wird das erste Huhn im Korbe, wenn die Schwindelbude auf Storli mal zusammenkracht.

Stensgård. Wie? Ist etwa auf Storli was faul?

Hejre. Ei, sieh mal an! Sie sind schwach von Gedächtnis, Verehrtester. Spricht man nicht von Ruin und Bankerott und –?

Stensgård. Ja, ja, und was weiter?

Hejre. Was weiter? Das sollen Sie mir sagen. Hier hat man nach Monsen gesucht; es sind zwei Herren auf Storli angekommen –

Stensgård. Ein paar Gäste; jawohl, ich weiß, –

Hejre. Ungebetene Gäste, mein teurer, junger Freund; man munkelt von Polizei und tückischen Gläubigern; – Sie müssen nämlich wissen, es ist mit den Dokumenten etwas nicht in Ordnung. Apropos, – was war das für ein Dokument, das Sie gestern von Monsen bekommen haben?

Stensgård. Ach, irgend ein Schriftstück – –. Mit den Dokumenten etwas nicht in Ordnung, sagen Sie? Hören Sie mal, Sie kennen doch die Unterschrift des Kammerherrn Bratsberg?

Hejre. Hähä; das sollte ich meinen.

Stensgård zieht den Wechsel hervor. Nun, so sehen Sie sich das an.

Hejre. Etwas näher! – ich bin freilich 'n bißchen kurzsichtig, aber –. Nach genauem Hinsehen. Das da, Verehrtester? Nie und nimmer ist das die Handschrift des Kammerherrn.

Stensgård. Nie und nimmer? Also doch –!

Hejre. Und der ist von Monsen ausgestellt?

Stensgård. Nein, von Erik Bratsberg.

Hejre. Unsinn! Lassen Sie sehen! Prüft den Wechsel und gibt ihn zurück. Damit können Sie Ihre Zigarre anstecken.

Stensgård. Was? Auch der Name des Ausstellers –?

Hejre. Gefälscht, junger Mann; gefälscht, so wahr ich Daniel heiße. Man braucht ihn ja nur mit dem geschärften Blicke des Mißtrauens zu betrachten –

Stensgård. Aber wie war das denn möglich –? Monsen muß nicht gewußt haben –

Hejre. Monsen? Nein, der Kerl wußte wohl weder mit seinen eigenen noch mit den Dokumenten anderer Bescheid. Aber es ist gut, daß das ein Ende nimmt, Herr Stensgård! Es ist eine Genugtuung für das moralische Gefühl. Ah, ich fühlte mich oft von edlem Zorn entflammt, wenn ich selbst so sagen darf – daß ich hier immerfort Zeuge sein mußte, wie – genug! Aber das Spaßhafteste daran ist: wenn jetzt Monsen purzelt, so reißt er zuerst und vor allen den Erik Bratsberg mit sich; Erik reißt seinen Vater mit –

Stensgård. Ja, das hat Lundestad auch gesagt.

Hejre. Aber es ist natürlich Methode in dem Bankerott. Passen Sie auf; ich bin ein alter Prophet: Monsen kommt ins Zuchthaus, Erik kommt zum Akkord, und der Kammerherr kommt unter Administration; das heißt, seine Gläubiger verehren ihm ein paar tausend Taler jährlich als lebenslängliche Pension. So geht's, Herr Stensgård! Ich kenne das. Wie sagt der Klassiker? Fiat justitia, pereat mundus! Das heißt: Pfui Teufel, was für eine Justiz in dieser verdorbenen Welt!

Stensgård erregt auf und ab schreitend. Einer so wie der andere! Beide Wege versperrt!

Hejre. Was zum Henker –?

Stensgård. Und gerade jetzt! Jetzt, – jetzt!

Aslaksen kommt von rechts. Gratuliere, gratuliere, Herr Wahlmann!

Stensgård. Gewählt?

Aslaksen. Mit hundertundsiebzehn Stimmen, – und Lundestad mit dreiundfünfzig. Die andern Stimmen sind zersplittert!

Hejre. Also Ihr erster Schritt auf dem Felde der Ehre, Herr Stensgård!

Aslaksen. Und das kostet auch 'ne Bowle Punsch –

Hejre. Freilich, – es heißt ja: der erste Schritt ist's, der was kostet.

Aslaksen nach links hin rufend. Punsch her, Madam Rundholmen! Der neue Wahlmann traktiert!

Lundestad und mehrere Wähler treten nacheinander von rechts ein.

Hejre teilnahmsvoll zu Lundestad. Dreiundfünfzig! Das ist des greisen Bürgers Lohn!

Lundestad flüstert Stensgård zu: Sind Sie nun wirklich zu dem entschlossen, was –?

Stensgård. Was hilft's, entschlossen zu sein, wo alles wankt und schwankt?

Lundestad. Meinen Sie, das Spiel sei verloren?

Aslaksen von links zurückkehrend. Madam Rundholmen braut in eigner Person den Punsch; sie wäre die Nächste dazu, sagt sie.

Stensgård, von einer Eingebung erfaßt. Madam Rundholmen! Die Nächste dazu –!

Lundestad. Wie?

Stensgård. Das Spiel ist noch nicht verloren, Herr Lundestad!

Setzt sich an den Tisch und schreibt.

Lundestad leise. Sagen Sie, Aslaksen, können Sie übermorgen etwas von mir in Ihrem Blatte bringen?

Aslaksen. Immerzu! Ist's grob?

Lundestad. Nein, es ist durchaus nicht grob.

Aslaksen. Einerlei, ich druck's doch.

Lundestad. Es ist mein politisches Testament; ich schreibe es noch heute.

Er geht im Zimmer auf und ab.

Ein Dienstmädchen von links. Hier schickt Madam den Punsch.

Aslaksen. Hurra! Jetzt kommt Leben in die lokalen Verhältnisse!

Er setzt die Bowle auf den Tisch in der Mitte, schenkt den anderen ein und trinkt fleißig während des Folgenden. Bastian Monsen ist mittlerweile von rechts hereingekommen.

Bastian leise. Vergessen Sie auch nicht meinen Brief?

Aslaksen. Seien Sie unbesorgt! Schlägt an seine Brusttasche. – Da habe ich ihn.

Bastian. Und Sie besorgen ihn so bald wie möglich; – wenn Sie sehen, daß sie Zeit hat, verstehen Sie?

Aslaksen. Verstehe, verstehe! Ruft: Heran, Ihr Leute! Die Gläser sind gefüllt!

Bastian. Sie sollen es, hol' mich der Teufel, nicht umsonst getan haben.

Aslaksen. Gut, gut. Zum Dienstmädchen. Eine Zitrone, Karen; – aber mit Windeseile!

Bastian entfernt sich.

Stensgård. Ein Wort, Aslaksen! Kommen Sie morgen abend hier vorbei?

Aslaksen. Morgen abend? Das kann ich schon so einrichten.

Stensgård. Schön; so sprechen Sie hier vor und übergeben Sie Madam Rundholmen diesen Brief.

Aslaksen. Von Ihnen?

Stensgård. Ja. Stecken Sie ihn in die Tasche. So! Morgen abend also.

Aslaksen. Wird besorgt; verlassen Sie sich drauf.

Das Dienstmädchen bringt das Verlangte; Stensgård tritt ans Fenster.

Bastian. Na, hast Du mit Madam Rundholmen gesprochen?

Stensgård. Gesprochen? Ja so. Ich sprach sie nur eben so –

Bastian. Und was glaubst Du?

Stensgård. Je – nun –; wir wurden unterbrochen; ich kann Dir Bestimmtes nicht sagen.

Bastian. Ich versuch's dennoch; sie klagt schwer über ihr Witwentum. In einer Stunde soll's entschieden sein.

Stensgård. In einer Stunde?

Bastian erblickt Madam Rundholmen, die von links eintritt. Pst! Laß niemand was merken! Geht auf und ab.

Stensgård leise zu Aslaksen. Geben Sie mir den Brief zurück.

Aslaksen. Sie wollen ihn wiederhaben?

Stensgård. Ja, geschwind! Ich will ihn selbst besorgen.

Aslaksen. Bitte schön; da ist er.

Stensgård steckt den Brief in die Tasche und mischt sich unter die Gesellschaft.

Madam Rundholmen zu Bastian. Was sagen denn Sie zu der Wahl, Monsen?

Bastian. Paßt mir durchaus; ich und Stensgård sind dicke Freunde, kann ich Ihnen sagen. Es sollte mich nicht wundern, wenn er ins Parlament käme.

Madam Rundholmen. Aber Ihr Vater würde dazu nicht gerade ein freundliches Gesicht machen.

Bastian. Ach, mein Vater, der hat so viele Eisen im Feuer. Überdies – kommt Stensgård ins Parlament, so bleibt die Ehre doch genau so in der Familie, denke ich.

Madam Rundholmen. Wieso?

Bastian. Er geht auf Freiersfüßen –

Madam Rundholmen. Herrje! Hat er was gesagt?

Bastian. Ja, und ich habe ihm versprochen, für ihn zu reden. Es wird sich schon machen; ich glaube sicher, Ragna ist ihm gut.

Madam Rundholmen. Ragna?

Lundestad kommt näher. Na, wovon unterhalten Sie sich denn so eifrig, Madam Rundholmen?

Madam Rundholmen. Denken Sie mal, er sagt, Stensgård ginge auf Freiersfüßen –

Lundestad. Jawohl; aber der Kammerherr wird sich so leicht nicht bestimmen lassen –

Bastian. Der Kammerherr?

Lundestad. Sie ist ihm wahrscheinlich zu gut für einen simplen Rechtsanwalt –

Madam Rundholmen. Wer? Wer?

Lundestad. Das Fräulein, – seine Tochter, natürlich.

Bastian. Er wirbt doch wohl nun und nimmermehr um Fräulein Bratsberg?

Lundestad. Gewiß tut er das!

Madam Rundholmen. Und das können Sie beschwören?

Bastian. Und mir hat er gesagt –! Hören Sie, – ich habe mit Ihnen zu reden.

Lundestad und Bastian ab nach dem Hintergrund.

Madam Rundholmen nähert sich Stensgård. Sie müssen auf Ihrer Hut sein, Stensgård!

Stensgård. Vor wem?

Madam Rundholmen. Vor schlechten Menschen. Hier sind Leute, die Ihnen Fallstricke legen.

Stensgård. Mögen sie, – wenn sie mir nur nicht Fallstricke legen bei Einer.

Madam Rundholmen. Wer ist die Eine?

Stensgård steckt ihr heimlich den Brief zu. Da! Lesen Sie das, wenn Sie allein sind.

Madam Rundholmen. Ach, wußt' ich's doch!

Ab nach links.

Ringdal von rechts. Na, ich höre, der Sieg ist Ihnen zugefallen, Herr Rechtsanwalt.

Stensgård. Allerdings, Herr Inspektor; und zwar trotz der Bemühungen Ihres hochwohlgeborenen Prinzipals.

Ringdal. Um was hat er sich bemüht?

Stensgård. Mich niederzustimmen.

Ringdal. Er macht Gebrauch von seinem Wahlrecht wie jeder andere.

Stensgård. Schade nur, daß er wohl nicht mehr oft in der Lage sein wird, davon Gebrauch zu machen.

Ringdal. Was wollen Sie damit sagen?

Stensgård. Ich meine, weil's mit gewissen Dokumenten doch solche Sache ist –

Ringdal. Mit gewissen Dokumenten? Mit was für Dokumenten? Was heißt das?

Stensgård. Ach, stellen Sie sich doch nicht so, als ob Sie nichts wüßten. Ist hier nicht ein Gewitter im Anzuge? Bankerotte in großem Maßstabe?

Ringdal. Ja, das höre ich von allen Seiten.

Stensgård. Und ist etwa nicht der Kammerherr sowie sein Sohn dabei beteiligt?

Ringdal. Mit Verlaub: sind Sie toll?

Stensgård. Es ist ja natürlich, daß Sie's zu verheimlichen suchen.

Ringdal. Was sollte das nützen? Läßt sich dergleichen verheimlichen?

Stensgård. Ist es denn nicht wahr?

Ringdal. Nicht eine Silbe davon, – soweit der Kammerherr in Frage kommt. Wie haben Sie nur so etwas glauben können? Wer hat Ihnen das eingeredet?

Stensgård. Das sage ich nicht, – wenigstens jetzt nicht.

Ringdal. Gleichviel. Aber wer es auch getan haben mag, er hat eine Absicht dabei gehabt.

Stensgård. Eine Absicht –!

Ringdal. Jawohl, besinnen Sie sich. Ist hier niemand, der seinen Vorteil dabei haben könnte, Sie dem Kammerherrn zu entfremden –?

Stensgård. Wahrhaftig; ja, ja – es gibt einen.

Ringdal. Der Kammerherr hat im Grunde sehr viel für Sie übrig –

Stensgård. Hat er das?

Ringdal. Ja, und das will man hintertreiben; – man rechnet damit, daß Sie die Verhältnisse hier nicht kennen, daß Sie aufbrausend und leichtgläubig sind, daß –

Stensgård. O, die Nattern! Und die Rundholmen, – die hat jetzt meinen Brief!

Ringdal. Was für einen Brief?

Stensgård. O, nichts. Aber es ist noch nicht zu spät! Lieber Herr Ringdal, sprechen Sie heut abend den Kammerherrn?

Ringdal. Jedenfalls.

Stensgård. So sagen Sie ihm, es wäre dummes Zeug mit den Drohungen, – er weiß schon; sagen Sie ihm, ich käme morgen selbst, um alles aufzuklären.

Ringdal. Sie kämen?

Stensgård. Jawohl, um ihm zu beweisen, – ah, beweisen! Da, Herr Ringdal! Geben Sie dem Kammerherrn diesen Wechsel von mir.

Ringdal. Den Wechsel –!

Stensgård. Jawohl; Sie können das nicht verstehen, aber geben Sie ihm bloß den –

Ringdal. Wirklich, Herr Stensgård –

Stensgård. Und dazu bestellen Sie nur einfach von mir die Worte: so handelte ich an Leuten, die mich bei der Urwahl niederstimmen wollten.

Ringdal. Verlassen Sie sich drauf.

Ab durch die Mitte.

Stensgård. Hören Sie mal, Herr Hejre, – wie konnten Sie mir die Geschichte von dem Kammerherrn aufbinden?

Hejre. Wie ich Ihnen –?

Stensgård. Ja, gewiß; es ist ja die schwärzeste Lüge –

Hejre. Ei, schau', schau'; das freut mich von Herzen! Denken Sie sich, Herr Lundestad, die Sache mit dem Kammerherrn, das ist eine Lüge.

Lundestad. Pst! Eine falsche Spur! Es liegt wohl näher.

Stensgård. Wieso näher?

Lundestad. Ich weiß nichts; aber die Leute munkeln von Madam Rundholmen –

Stensgård. Was!

Hejre. Habe ich's nicht prophezeit? Diese Verbindungen mit dem Proprietarius auf Storli –

Lundestad. Er ist heut morgen vor Tagesanbruch über Land gefahren –

Hejre. Und die Familie rennt herum und sucht ihn –

Lundestad. Und der Sohn gibt sich solche Mühe, seine Schwester gut zu versorgen –

Stensgård. Versorgen! »Morgen«, sagte sie; und ihre Unruhe wegen des Vaters –!

Hejre. Hähä; Sie sollen sehen, der ist hingegangen und hat sich aufgehängt!

Aslaksen. Es hat sich einer aufgehängt?

Lundestad. Herr Hejre sagt, daß Monsen –

Gutsbesitzer Monsen durch die Mitte. Champagner her!

Aslaksen und Mehrere. Monsen!

Monsen. Jawohl, Monsen! Der Champagner-Monsen! Der Moneten-Monsen! Wein her, in des Teufels Namen!

Hejre. Aber, Verehrtester –

Stensgård. Sie! Woher kommen Sie?

Monsen. Von Geschäften! Hunderttausende verdient! Hei, morgen gebe ich auf Storli ein Diner, daß es nur so kracht! Alle sind eingeladen. Champagner, sage ich! Gratuliere, Stensgård, Sie sind ja Wahlmann geworden.

Stensgård. Lassen Sie sich erklären –

Monsen. Pah, was schert mich das? Wein! Wo ist Madam Rundholmen? Will nach links hinein.

Das Dienstmädchen, das eben eingetreten ist. Da darf niemand herein; Madam sitzt und liest einen Brief –

Bastian. Alle Hagel!

Ab durch die Mitte.

Stensgård. Sie liest einen Brief?

Das Dienstmädchen. Ja, und sie ist rein wie verstört.

Stensgård. Adieu, Herr Monsen; morgen mittag auf Storli –

Monsen. Adieu – auf morgen!

Stensgård leise. Herr Hejre, wollen Sie mir einen Gefallen tun?

Hejre. Mit Vergnügen, mit Vergnügen.

Stensgård. Dann schwärzen Sie mich ein klein wenig bei Madam Rundholmen an; reden Sie ein bißchen zweideutig von mir; so was verstehen Sie ja ausgezeichnet.

Hejre. Aber, zum Henker, weshalb?

Stensgård. Ich habe meine Gründe; es ist ein Scherz, will ich Ihnen sagen, – eine Wette mit – mit einem, auf den Sie eine Pieke haben.

Hejre. Aha, ich verstehe –; genug!

Stensgård. Also, verderben Sie nichts; machen Sie sie nur ein wenig irre in ihrem Urteil über mich; ein wenig unsicher fürs erste, – verstehen Sie –?

Hejre. Vollkommen; es soll mir eine wahre Wonne sein –

Stensgård. Danke, danke einstweilen! Über den Tisch hinweg. Herr Lundestad, wir beide sprechen uns wohl morgen vormittag beim Kammerherrn.

Lundestad. Haben Sie Hoffnung?

Stensgård. Na und ob!

Lundestad. So? Aber ich verstehe nicht –

Stensgård. Ist auch nicht nötig; fortan werde ich mir selber helfen.

Ab durch die Mitte.

Monsen bei der Punschbowle. Noch ein Glas, Aslaksen! Wo ist Bastian?

Aslaksen. Er ist zur Tür hinausgerannt. Aber ich habe einen Brief für ihn zu besorgen.

Monsen. So?

Aslaksen. An Madam Rundholmen.

Monsen. Na, endlich!

Aslaksen. Aber nicht vor morgen abend, sagte er; keine Stunde früher oder später; genau auf den Glockenschlag! Prost!

Hejre zu Lundestad. Was, zum Henker, ist das für ein Getue zwischen diesem Herrn Stensgård und Madam Rundholmen?

Lundestad leiser. Er wirbt um sie.

Hejre. Dachte ich's nicht! Aber er hat mich gebeten, ihn ein bißchen anzuschwärzen, ihn verdächtig zu machen – genug!

Lundestad. Und das haben Sie versprochen?

Hejre. Ja, natürlich.

Lundestad. Er soll von Ihnen gesagt haben: was Sie im Osten versprächen, das hielten Sie im Westen.

Hejre. Hähä, die liebe Seele! – da soll er sich diesmal doch verrechnet haben.

Madam Rundholmen mit einem offenen Briefe in der Tür links. Wo ist Herr Stensgård?

Hejre. Er hat Ihr Dienstmädchen geküßt und sich empfohlen, Madam Rundholmen!

Der Vorhang fällt.


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