Henrik Ibsen
Der Bund der Jugend
Henrik Ibsen

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Zweiter Akt

Ein Gartenzimmer im Haus des Kammerherrn. Elegante Möbel, ein Pianoforte, Blumen und seltene Pflanzen. Die Eingangstür im Hintergrunde. Links die Tür zum Speisesaale; rechts mehrere offene Glastüren, die zum Garten hinausführen.

Aslaksen steht an der Eingangstür. Ein Dienstmädchen ist im Begriff, zwei Fruchtschalen nach links hineinzutragen.

Das Dienstmädchen. Aber Sie hören doch, die Gesellschaft sitzt noch bei Tisch. Sie müssen später wiederkommen.

Aslaksen. Könnt' ich nicht hier warten?

Das Dienstmädchen. Ja, wenn Sie das lieber wollen. Sie können dort so lange Platz nehmen.

Ab in den Speisesaal. Aslaksen setzt sich dicht bei der Tür hin. Pause.

Doktor Fjeldbo kommt durch die Mitte.

Fjeldbo. Guten Tag, Aslaksen. Sie hier?

Das Dienstmädchen kommt zurück. O, wie spät der Herr Doktor kommen!

Fjeldbo. Ich mußte noch einen Krankenbesuch machen.

Das Dienstmädchen. Der Kammerherr und das Fräulein haben so oft nach Ihnen gefragt.

Fjeldbo. So, wirklich?

Das Dienstmädchen. Ja, der Herr Doktor müssen jetzt aber hinein. Oder soll ich vielleicht sagen, daß –

Fjeldbo. Nein, nein, lassen Sie nur! Ich werde nachher immer noch einen Bissen bekommen; jetzt warte ich lieber hier.

Das Dienstmädchen. Ja, sie sind gleich fertig.

Ab nach dem Hintergrunde.

Aslaksen nach kurzer Pause. Und Sie können ein solches Diner stehen lassen, – mit Kuchen, feinem Wein und lauter guten Sachen?

Fjeldbo. Hol' mich der Kuckuck, man kriegt hierzulande eher zu viel als zu wenig von den guten Sachen!

Aslaksen. Das könnte ich wirklich nicht behaupten.

Fjeldbo. Hm. Aber sagen Sie mir – warten Sie hier auf jemand?

Aslaksen. Ich warte auf jemand, o ja!

Fjeldbo. Und zu Hause geht's leidlich? Ihre Frau –?

Aslaksen. Liegt, wie gewöhnlich, zu Bett; hustet und magert ab.

Fjeldbo. Und Ihr Zweitältester?

Aslaksen. Ach, der ist und bleibt ein Krüppel; das wissen Sie ja. Es soll uns einmal nicht besser gehen; – was, zum Henker, nützt es, davon zu reden?

Fjeldbo. Sehen Sie mir mal ins Gesicht, Aslaksen.

Aslaksen. Na, was denn?

Fjeldbo. Sie haben heut getrunken.

Aslaksen. Das habe ich gestern auch getan.

Fjeldbo. Gestern, das mag noch hingehn; aber heut und –

Aslaksen. Und die da drin? Die trinken wohl nicht!

Fjeldbo. Eigentlich haben Sie nicht unrecht, lieber Aslaksen; aber die Lose sind nun einmal verschieden in der Welt.

Aslaksen. Ich habe mir mein Los nicht gewählt.

Fjeldbo. Nein, der liebe Herrgott hat für Sie gewählt.

Aslaksen. Das ist nicht wahr. Menschen haben für mich gewählt. Daniel Hejre hat für mich gewählt, als er mich aus der Buchdruckerei nahm und mich studieren ließ. Und Kammerherr Bratsberg hat für mich gewählt, als er Daniel Hejre ruinierte, so daß ich wieder in die Druckerei zurück mußte.

Fjeldbo. Jetzt reden Sie wider besseres Wissen. Der Kammerherr Bratsberg hat Daniel Hejre gar nicht ruiniert; Daniel Hejre hat sich selbst ruiniert.

Aslaksen. Mag sein! Aber wie durfte Daniel Hejre sich ruinieren, wenn er eine solche Verantwortung mir gegenüber hatte? Der liebe Gott ist auch mit schuld, versteht sich. Weshalb hat er mir Gaben und Talente verliehen? Die hätt' ich doch schließlich als ordentlicher Handwerksmann verwenden können; aber da kommt der alte Quatschkopf –

Fjeldbo. Schämen Sie sich, so etwas zu sagen! Daniel Hejre hat sich Ihrer doch gewiß in der besten Absicht angenommen.

Aslaksen. Seine gute Absicht kann mir verdammt wenig helfen. – Da drin, wo sie jetzt sitzen und anstoßen und Reden halten, da habe ich auch gesessen; war wie ihresgleichen; trug feine Kleider –! Und das war so recht was für mich, – für mich, der ich so viel gelesen und so lange danach gelechzt hatte, an allem Teil zu haben, was herrlich ist in der Welt. Prost die Mahlzeit! Wie lange war Jeppe im Paradies? Eins, zwei, drei, war er wieder draußen; – die ganze Herrlichkeit zerfiel in Zwiebelfische, wie wir Drucker sagen.

Fjeldbo. Nun ja; aber Sie waren doch nicht gar so schlecht gestellt. Sie hatten doch Ihr Handwerk, zu dem Sie Ihre Zuflucht nehmen konnten.

Aslaksen. Das hört sich sehr schön an. Nach so etwas ist der alte Stand nicht mehr der alte Stand. Man hat mir den sicheren Boden unter den Füßen weggezogen und mich aufs Glatteis gestellt, – und nun muß ich auch noch Scheltworte hören, weil ich strauchle.

Fjeldbo. Na, ich will gewiß nicht hart mit Ihnen ins Gericht gehen –

Aslaksen. Daran tun Sie auch recht. – Wunderliche Wirrungen das! Daniel Hejre und die Vorsehung und der Kammerherr und das Schicksal und die Verhältnisse – und ich selbst dazu! Ich habe oft daran gedacht, das zu entwirren und ein Buch drüber zu schreiben; aber es ist so verdammt verwickelt, daß – Schielt nach der Tür zur Linken. Doch, – da stehen sie von Tisch auf.

Die Gesellschaft, Damen und Herren, geht unter lebhaftem Geplauder aus dem Speisesaale in den Garten. Unter den Gästen Stensgård mit Thora am linken und Selma am rechten Arm. Fjeldbo und Buchdrucker Aslaksen stehen an der Tür im Hintergrunde.

Stensgård. Ich bin fremd hier; die Damen müssen sagen, wohin ich sie führen soll.

Selma. Ins Freie hinaus, – Sie müssen den Garten sehen.

Stensgård. Ach ja, das wäre herrlich! Ab durch die vorderste Glastür zur Rechten.

Fjeldbo. Donnerwetter, das war ja Stensgård!

Aslaksen. Eben Stensgårds muß ich habhaft werden. Ich bin lange genug nach ihm herumgerannt; glücklicherweise habe ich noch Daniel Hejre getroffen –

Daniel Hejre und Erik Bratsberg kommen aus dem Speisesaale.

Hejre. Hähä! Das war, meiner Treu, ein excellenter Sherry! Ich habe keinen so guten mehr zu trinken gekriegt, seit ich in London war.

Erik. Ja, nicht wahr? Der kann einen Menschen auf die Beine bringen!

Hejre. Ach, ach, es ist 'ne wahre Wonne, sein Geld so gut angewandt zu sehen!

Erik. Wieso? Lacht. Na ja, jawohl, ja!

Sie gehen in den Garten.

Fjeldbo. So, Sie haben mit Stensgård zu reden?

Aslaksen. Allerdings.

Fjeldbo. In Geschäften?

Aslaksen. Versteht sich; der Festbericht im Blatt –

Fjeldbo. Ja, wissen Sie, da werden Sie draußen so lange warten müssen –

Aslaksen. Auf dem Korridor?

Fjeldbo. Im Vorzimmer, ja! Hier ist weder die Zeit noch der Ort –; ich werde aufpassen, wenn Stensgård einen Augenblick allein ist; hören Sie –!

Aslaksen. Gut, ich werde warten, bis man für mich Zeit hat.

Ab durch die Mitte.

Kammerherr Bratsberg, Lundestad, Inspektor Ringdal und ein paar andere Herren aus dem Speisesaale.

Der Kammerherr im Gespräch mit Lundestad. Unverschämt, sagen Sie? Nun, bei der Form will ich mich nicht weiter aufhalten; aber es waren Goldkörner in der Rede; das kann ich Ihnen versichern.

Lundestad. Na, wenn der Herr Kammerherr zufrieden sind, so kann ich es wohl auch sein.

Der Kammerherr. Das sollte ich auch meinen. Ei sieh, da ist ja der Doktor! Und wahrscheinlich mit leerem Magen?

Fjeldbo. Tut nichts, Herr Kammerherr; es ist ja nicht weit zur Speisekammer; – ich betrachte mich hier halb und halb wie zu Hause.

Der Kammerherr. Sieh, sieh! Wirklich? Das sollten Sie doch nicht vor der Zeit tun.

Fjeldbo. Wieso? Sie nehmen mir's doch wohl nicht übel? Sie haben mir ja selbst erlaubt –

Der Kammerherr. Was ich Ihnen erlaubt habe, ist Ihnen erlaubt. – Nu, nu, betrachten Sie sich immerhin hier wie zu Hause, und suchen Sie den Weg zur Speisekammer. Klopft ihm leicht auf die Schulter und wendet sich zu Lundestad. Sehen Sie, das ist einer; den können Sie einen Glücksritter nennen und – und das andere, was ich vergessen habe.

Fjeldbo. Aber, Herr Kammerherr!

Lundestad. Nein, ich versichere –

Der Kammerherr. Keinen Disput nach dem Essen! Das bekommt nicht gut. Nun kriegen wir draußen bald den Kaffee.

Ab mit den Gästen nach dem Garten.

Lundestad zu Fjeldbo. Haben Sie bemerkt, wie wunderlich der Kammerherr heut ist?

Fjeldbo. Das habe ich schon gestern abend bemerkt.

Lundestad. Denken Sie, er bleibt dabei, ich hätte Herrn Stensgård einen Glücksritter – na, und so weiter genannt.

Fjeldbo. I was, Herr Lundestad; und wenn dem nun so wäre? Doch entschuldigen Sie, – ich muß hinunter und die Damen des Hauses begrüßen.

Ab nach rechts.

Lundestad zu Ringdal, der einen Spieltisch arrangiert. Wie mag es nur zusammenhängen, daß Stensgård hierher kommt?

Ringdal. Ja, sagen Sie mir das! Er stand ursprünglich nicht auf der Liste.

Lundestad. Also erst später? Nach der Standrede, die der Kammerherr gestern zu hören bekam –

Ringdal. Ja, können Sie so etwas begreifen?

Lundestad. Begreifen? O ja, o ja.

Ringdal leiser. Meinen Sie, dem Kammerherrn sei vor ihm bange?

Lundestad. Ich meine, er ist vorsichtig, – das mein' ich.

Sie gehen plaudernd nach dem Hintergrund und dann in den Garten hinaus. Gleichzeitig erscheinen Selma und Stensgård in der vordersten Gartentür.

Selma. Wollen Sie, bitte, hinschauen – dort über den Baumwipfeln sehen wir den Kirchturm wie den ganzen oberen Teil der Stadt.

Stensgård. Ja, in der Tat; das hätte ich nicht geglaubt.

Selma. Ist die Aussicht von hier oben nicht herrlich?

Stensgård. Alles hier ist herrlich; der Garten und die Aussicht und der Sonnenschein und die Menschen! Himmel, wie schön ist das alles! Und hier wohnen Sie den ganzen Sommer?

Selma. Nein, ich und mein Mann nicht; wir kommen und wir gehen wieder. Wir haben ein großes, prächtiges Haus in der Stadt, viel prächtiger als das hier; Sie sollten es nur sehen.

Stensgård. Und Ihre Familie wohnt wohl auch in der Stadt?

Selma. Familie? Was für Familie sollte das sein?

Stensgård. Ja, ich wußte nicht –

Selma. Wir Märchenprinzessinnen haben keine Familie.

Stensgård. Märchenprinzessinnen?

Selma. Höchstens haben wir so eine böse Stiefmutter –

Stensgård. Eine Hexe, jawohl! Sie sind also eine Prinzessin?

Selma. Von versunkenen Schlössern, wo's in der Donnerstagsnacht funkelt und glitzert. Doktor Fjeldbo meint, es müßte eine sehr angenehme Lebensstellung sein; aber – nun sollen Sie hören –

Erik kommt aus dem Garten. Findet man endlich die kleine Frau?

Selma. Die kleine Frau erzählt Herrn Stensgård ihre Lebensgeschichte.

Erik. Ei, ei! Und welche Rolle spielt der Mann in ihrer Lebensgeschichte?

Selma. Des Prinzen natürlich. Zu Stensgård. Sie wissen, es kommt immer ein Prinz und bricht den Zauber, und dann ist alles gut und schön, und dann ist in der Welt Freude und Beglückwünschung, und dann ist das Märchen aus.

Stensgård. Ach, das war zu kurz.

Selma. Vielleicht, – in gewissem Sinne.

Erik legt den Arm um sie. Aber aus dem Märchen entspann sich ein neues, und die Prinzessin wurde Königin.

Selma. Unter derselben Bedingung, wie die richtigen Prinzessinnen?

Erik. Welcher Bedingung?

Selma. Sie müssen ins Ausland, – weit weg in ein fremdes Reich.

Erik. Eine Zigarre, Herr Stensgård?

Stensgård. Danke; jetzt nicht.

Fjeldbo und Thora aus dem Garten.

Selma ihnen entgegen. Liebe Thora, bist Du da? Du bist doch nicht krank?

Thora. Ich? Nein.

Selma. Doch, doch! Du bist es sicherlich; mich dünkt, Du konsultierst den Doktor so eifrig in den letzten Tagen.

Thora. Nein, ich versichere Dir –

Selma. Still! Laß mich fühlen! Du glühst. Lieber Doktor, meinen Sie nicht, die Hitze geht vorüber?

Fjeldbo. Alles will seine Zeit haben.

Thora. Frost ist doch auch nicht besser –

Selma. Nein, die gleichmäßige Mitteltemperatur, – das sagt mein Mann auch.

Der Kammerherr kommt aus dem Garten. Die ganze Familie im vertraulichen Tête-à-Tête? Das ist gerade nicht sehr höflich gegen die Gäste.

Thora. Lieber Vater, ich will gleich –

Der Kammerherr. Aha, Ihnen machen die Damen den Hof, Herr Stensgård! Das werde ich besorgen!

Thora leise zu Fjeldbo. Bleiben Sie!

Ab in den Garten.

Erik, Selma den Arm bietend. Gnädige Frau erlauben –?

Selma Komm! Beide rechts ab.

Der Kammerherr blickt ihnen nach. Die beiden auseinander zu bringen, das ist nun einmal undenkbar!

Fjeldbo. Das wäre auch ein sündhafter Gedanke.

Der Kammerherr. Wie doch unser Herrgott die Einfalt in seinen Schutz nimmt! Ruft hinaus. Thora, Thora, so gib doch acht auf Selma! Hol' ihr einen Schal; und laß sie nicht so herumlaufen; sie erkältet sich! Ja, wir Menschen sind kurzsichtig, Doktor! Wissen Sie kein Mittel gegen diesen Fehler?

Fjeldbo. O ja, – Lehrgeld. Das soll man sich hinter die Ohren schreiben, dann sieht man das nächste Mal klarer.

Der Kammerherr. Ei, ei! Dank für den Rat. Aber Sie, der Sie sich hier wie zu Hause betrachten, sollten sich wirklich auch etwas Ihrer Gäste annehmen.

Fjeldbo. Jawohl –. Stensgård, wollen wir beide vielleicht –?

Der Kammerherr. O nein, mein Lieber, – draußen geht mein alter Freund Hejre –

Fjeldbo. Der betrachtet sich hier auch wie zu Hause.

Der Kammerherr, Hahaha! Ja, das tut er allerdings!

Fjeldbo. Na, wir beide wollen mit vereinten Kräften unser mögliches tun.

Ab in den Garten.

Stensgård. Der Herr Kammerherr nannten Daniel Hejre. Ich muß gestehen, ich war verwundert, ihn hier zu sehen.

Der Kammerherr. So, wirklich? Herr Hejre und ich sind Schulkameraden und Jugendfreunde. Überdies hatten unsere Lebensverhältnisse so viele Berührungspunkte –

Stensgård. Eben über diese Berührungspunkte hat Herr Hejre gestern abend Verschiedentliches zum besten gegeben.

Der Kammerherr. Hm!

Stensgård. Wäre er nicht gewesen, so würde ich gewiß nicht in solche Aufwallung geraten sein, wie es leider geschah. Aber er hat eine Art, über Personen und Vorfälle zu reden, die – kurzum, er hat einen losen Mund.

Der Kammerherr. Mein lieber junger Freund, – Herr Hejre ist mein Gast; das dürfen Sie nicht vergessen. Volle Freiheit in meinem Haus, aber mit dem Vorbehalt: keine unritterliche Äußerung über die, mit denen ich verkehre!

Stensgård. Ich bitte sehr um Entschuldigung –

Der Kammerherr. Na, na, na, – Sie gehören zu dem jungen Geschlecht, das die Dinge nicht so genau nimmt. Was Herrn Hejre betrifft, so bezweifle ich, daß Sie ihn gründlich genug kennen. Herr Hejre ist jedenfalls ein Mann, dem ich außerordentlich viel verdanke.

Stensgård. Das behauptete er allerdings; aber ich glaubte nicht, daß –

Der Kammerherr. Ich verdanke ihm das Beste von unserem Familienglück, Herr Stensgård. Ich verdanke ihm meine Schwiegertochter. Es ist wirklich so. Daniel Hejre nahm sich ihrer in ihrer Kindheit an. Sie war ein kleines Wunder; gab schon mit zehn Jahren Konzerte –. Sie haben gewiß von ihr gehört? Selma Sjöblom –?

Stensgård. Sjöblom? Ja, gewiß; ihr Vater war ein Schwede.

Der Kammerherr. Ein schwedischer Musiklehrer, jawohl! Er kam vor einer Reihe von Jahren hierher. Die Stellung eines Musiklehrers ist, wie Sie wissen, in der Regel nicht die beste; und seine Lebensgewohnheiten sind auch wohl nicht immer förderlich für –. Na, Herr Hejre war immer ein Talentsucher. Er nahm sich der Kleinen an, er schickte sie nach Berlin; und als später der Vater starb und Hejres Vermögensverhältnisse andere geworden waren, kam sie nach Christiania zurück, wo sie natürlich bald Aufnahme in den besten Kreisen fand. Dadurch, sehen Sie, hat sich meinem Sohne Gelegenheit geboten, ihr zu begegnen.

Stensgård. Auf diese Art ist der alte Daniel Hejre allerdings ein Werkzeug gewesen –

Der Kammerherr. So greift hier im Leben eins ins andere. Werkzeuge, das sind wir alle; – Sie auch; das heißt ein Werkzeug des Niederreißens –

Stensgård. O, Herr Kammerherr, ich bitte Sie – ich bin ganz beschämt –

Der Kammerherr. Beschämt –?

Stensgård. Ja, es war im höchsten Grade unpassend –

Der Kammerherr. Gegen die Form ließe sich vielleicht manches einwenden; aber die Gesinnung war gut. Und deshalb möchte ich Sie bitten: wenn Sie künftig etwas auf dem Herzen haben, so kommen Sie zu mir; reden Sie offen mit mir, ehrlich und gerade heraus. Sehen Sie, wir wollen ja doch alle das Beste; es ist ja meine Pflicht –

Stensgård. Und Sie erlauben, daß ich offen mit Ihnen rede?

Der Kammerherr. Weiß Gott, ja. Glauben Sie, ich hätte nicht schon längst gesehen, daß das Leben hier in gewissen Punkten eine Richtung genommen hat, die alles andere eher als wünschenswert ist? Aber was sollte ich tun? Zur Zeit des hochseligen Königs Karl Johann lebte ich zumeist in Stockholm. Nun bin ich alt; außerdem ist es wider meine Natur, mich mit Reformen vorzudrängen oder mich persönlich in diese ganze öffentliche Bewegung zu mischen. Sie dagegen, Herr Stensgård, Sie haben alle Vorbedingungen dazu; deshalb lassen Sie uns zusammenhalten.

Stensgård. Dank, Herr Kammerherr! Dank, Dank!

Inspektor Ringdal und Daniel Hejre kommen aus dem Garten.

Ringdal. Und ich sage Ihnen, es muß ein Mißverständnis sein.

Hejre. So? Das wäre spaßhaft! Ich sollte meinen eigenen Ohren nicht mehr trauen dürfen?

Der Kammerherr. Was Neues, Hejre?

Hejre. Anders Lundestad ist im Begriffe, zur Storlipartei überzugehen – weiter nichts!

Der Kammerherr. Ach, Du spaßest!

Hejre. Entschuldige, Verehrtester! Hab' es aus seinem eigenen Munde. Der Herr Lundestad beabsichtigt, sich wegen seiner geschwächten Gesundheit ins Privatleben zurückzuziehen; und so kann man auf das andere ja schließen.

Stensgård. Und das haben Sie aus seinem eigenen Munde?

Hejre. Wie gesagt; er hat die wichtige Neuigkeit unten vor versammeltem Volke verkündet, hähä!

Der Kammerherr. Aber, mein guter Ringdal, wie kann das zusammenhängen?

Hejre. Ach, das ist nicht schwer zu erraten.

Der Kammerherr. Allerdings nicht. Aber das ist ja für den Distrikt eine wichtige Sache. Kommen Sie, Ringdal; wir müssen ernstlich mit dem Manne reden!

Mit Ringdal ab in den Garten.

Fjeldbo aus der hintersten Gartentür. Ist der Kammerherr fort?

Hejre. Pst! Die Weisen müssen Rat halten. Große Neuigkeit, Doktor! Lundestad legt sein Reichstagsmandat nieder.

Fjeldbo. Nicht möglich!

Stensgård. Ja, kannst Du das begreifen?

Hejre. Jetzt gibt's hier Leben und Bewegung. Der Bund der Jugend fängt an zu wirken, Herr Stensgård! Wissen Sie, wie Sie den Verein nennen sollten? Na, ich will's Ihnen später sagen.

Stensgård. Glauben Sie wirklich, daß unser Bund –?

Hejre. Darüber besteht doch wahrlich kein Zweifel. Na, so werden wir also die Freude haben, den Herrn Proprietarius von hier weg ins Parlament zu schicken. Wäre er nur erst fort! – meinen Reisesegen, den hat er wahrhaftig! – genug! Hähä!

Ab in den Garten.

Stensgård. Aber so sag' mir, Fjeldbo, – kannst Du Dir einen Reim auf dies alles machen?

Fjeldbo. Es gibt Dinge, auf die sich noch schwerer ein Reim machen läßt. Wie kommst Du hierher?

Stensgård. Ich? Wie die andern, natürlich. Ich bin eingeladen.

Fjeldbo. Das wurdest Du gestern abend, höre ich, – nach Deiner Rede –

Stensgård. Nun ja?

Fjeldbo. Aber daß Du die Einladung angenommen hast! –

Stensgård. Was zum Kuckuck sollte ich tun? Ich konnte doch so artige Leute nicht kränken.

Fjeldbo. So? Das konntest Du nicht? In Deiner Rede hast Du es doch gekonnt.

Stensgård. Unsinn! In meiner Rede griff ich Prinzipien an, nicht Personen.

Fjeldbo. Und wie erklärst Du Dir jetzt die Einladung des Kammerherrn?

Stensgård. Ja, lieber Freund, die ist nur auf eine Art zu erklären.

Fjeldbo. Nämlich, daß der Kammerherr Dich fürchtet?

Stensgård. Dazu soll er, weiß Gott, nie Anlaß haben! Er ist ein Ehrenmann.

Fjeldbo. Das ist er.

Stensgård. Und liegt nicht etwas Rührendes darin, daß der alte Herr die Sache von der Seite nimmt? Und wie reizend war Fräulein Bratsberg, als sie den Brief überbrachte!

Fjeldbo. Aber sag' mir, – der Auftritt von gestern ist doch hier nicht zur Sprache gekommen?

Stensgård. Keine Spur! Sie sind viel zu gebildete Leute, um so etwas zu berühren. Aber das quält mein Gewissen; ich will mich hernach doch entschuldigen –

Fjeldbo. Nein, davon muß ich entschieden abraten! Du kennst den Kammerherrn nicht –

Stensgård. Gut; so sollen meine Handlungen für mich reden.

Fjeldbo. Du willst doch nicht mit der Storlisippe brechen?

Stensgård. Ich will eine Aussöhnung zustande bringen; ich habe ja meinen Verein; der ist schon eine Macht, wie Du siehst.

Fjeldbo. Ja, aber noch eins, ehe ich's vergesse – Deine Liebe zu Fräulein Monsen –; ich riet Dir gestern, Ernst mit der Sache zu machen –

Stensgård. Ja, ja, das können wir immer noch –

Fjeldbo. Nein, höre! Ich habe mir die Sache genauer überlegt. Du solltest Dir die Idee aus dem Kopf schlagen.

Stensgård. Ich glaube, da hast Du recht. Heiratet man in eine ungebildete Familie, so verheiratet man sich gewissermaßen mit der ganzen Familie.

Fjeldbo. Allerdings; aus diesem wie aus anderen Gründen –

Stensgård. Monsen ist ein ungebildeter Mensch, das sehe ich jetzt ein.

Fjeldbo. Sehr viel Lebensart hat er gerade nicht.

Stensgård. Nein, weiß Gott nicht! Er geht umher und spricht schlecht von Leuten, die er bei sich sieht; das ist unritterlich. Auf Storli riecht es nach schlechtem Tabak in allen Stuben –

Fjeldbo. Aber, mein Lieber, – daß Du den Tabaksgeruch erst jetzt spürst –?

Stensgård. Das macht der Vergleich. Meine Stellung hier in der Gegend war vom ersten Augenblick an schief. Ich geriet in die Klauen von Parteigängern, die mir die Ohren voll tuteten. Das soll ein Ende nehmen! Ich will mich hier nicht auf die Dauer als ein Werkzeug des Eigennutzes oder der Roheit und Dummheit mißbrauchen lassen.

Fjeldbo. Aber wozu willst Du denn Deinen Verein benutzen?

Stensgård. Der Verein bleibt unverändert; er ist auf einer ziemlich breiten Basis angelegt; – das heißt, er ist gestiftet worden, um schlechten Einflüssen entgegen zu arbeiten; – jetzt erst sehe ich, von welcher Seite diese Einflüsse kommen.

Fjeldbo. Aber meinst Du, »die Jugend« wird dieselbe Anschauung haben?

Stensgård. Das soll sie. Ich darf wohl verlangen, daß solche Bengel sich meiner besseren Einsicht fügen.

Fjeldbo. Wenn sie nun aber nicht wollen?

Stensgård. So können sie ihre eigenen Wege gehen. Ich bedarf ihrer nicht mehr. Und außerdem – meinst Du, ich würde in halsstarriger Blindheit und aus elender Prinzipienreiterei meine Zukunft auf eine falsche Bahn drängen lassen, so daß ich nie das Ziel erreiche?

Fjeldbo. Was verstehst Du unter Ziel?

Stensgård. Ein Leben, das meinen Fähigkeiten entspricht und alle meine Interessen ausfüllt.

Fjeldbo. Keinen Phrasenschwall! Was verstehst Du unter Ziel?

Stensgård. Na, Dir kann ich es ja wohl sagen. Unter Ziel versteh' ich, mit der Zeit einmal Reichstagsabgeordneter oder Staatsrat zu werden und in eine reiche und angesehene Familie glücklich hineinzuheiraten.

Fjeldbo. Schau', schau'! Und da denkst Du, mit Hilfe des Kammerherrn und seiner Verbindungen –?

Stensgård. Durch eigene Hilfe denke ich's zu erreichen! Es wird kommen und muß kommen, aber ganz von selbst. Na, bis dahin hat es übrigens noch gute Wege, – still davon! Inzwischen will ich leben und hier Schönheit und Sonnenschein genießen –

Fjeldbo. Hier?

Stensgård. Ja, hier. Hier herrschen feine Sitten; hier ruht Liebreiz auf dem Dasein; hier ist der Fußboden geschaffen, um sozusagen nur mit Lackstiefeln betreten zu werden; hier sind die Lehnsessel bequem, und die Damen sitzen so hübsch darin; hier schwebt das Gespräch leicht und elegant wie ein Federspiel; hier plumpst nicht Roheit in die Stube und macht die Gesellschaft verstummen. Ach, Fjeldbo, hier erst fühle ich, was Vornehmheit ist. Ja, wir haben doch wirklich unsern Adel; einen kleinen Kreis, einen Adel der Bildung; und dem will ich angehören. Fühlst Du nicht selber, daß man hier geläutert wird? daß hier der Reichtum von anderer Art ist? Wenn ich an Monsens Reichtum denke, so stelle ich mir ihn vor als große Pakete fettiger Banknoten und ölbefleckter Pfandobligationen; – aber hier, hier ist er Metall, blinkendes Silber! Und mit den Menschen ist's ebenso. Der Kammerherr, – welch ein prächtiger, feiner Greis!

Fjeldbo. Das ist er.

Stensgård. Und der Sohn, – bieder, offenherzig, tüchtig!

Fjeldbo. Ganz gewiß.

Stensgård. Und die Schwiegertochter erst –! Sie ist eine Perle! Herrgott, welch reiche und eigenartige Natur –

Fjeldbo. Das ist Thora – Fräulein Bratsberg auch.

Stensgård. Jawohl; aber schau', sie ist doch nicht so bedeutend.

Fjeldbo. Ach, Du kennst sie nicht. Du weißt nicht, wie tief und still und treu sie ist.

Stensgård. Aber die Schwiegertochter! So offen, fast rücksichtslos; und so voll Anerkennung, so erobernd –

Fjeldbo. Ich glaube wirklich, Du bist in sie verliebt.

Stensgård. In eine verheiratete Frau? Bist Du verrückt, Mensch? Wohin sollte das führen? Nein, aber ich werde mich verlieben, das fühle ich schon. Ja, sie ist wirklich tief und still und treu!

Fjeldbo. Wer?

Stensgård. Fräulein Bratsberg, natürlich.

Fjeldbo. Was denn? Du denkst doch nicht etwa daran, –?

Stensgård. Gewiß, in vollem Ernste.

Fjeldbo. Aber ich versichere Dir, das ist ein Ding der Unmöglichkeit!

Stensgård. Hoho! Der Wille ist eine Weltmacht, Du! Wir werden sehen, daß es möglich ist.

Fjeldbo. Nein, aber das ist ja der reine, bare Leichtsinn! Gestern war's Fräulein Monsen –

Stensgård. Ja sieh, das war Übereilung; doch davon hast Du mir ja selbst abgeraten –

Fjeldbo. Ich rate Dir aufs bestimmteste davon ab, an eine von beiden zu denken.

Stensgård. So? Du gedenkst Dich am Ende selbst für eine von ihnen zu entscheiden?

Fjeldbo. Ich? Nein, ich versichere Dir –

Stensgård. Ich hätte mich auch nicht davon abhalten lassen, wenn dem so wäre. Will man mir in den Weg treten, will man mir die Zukunft versperren, so kenne ich keine Rücksicht.

Fjeldbo. Hüte Dich, daß ich nicht dasselbe sage!

Stensgård. Du! Mit welchem Rechte wirfst Du Dich zum Vormund und Beschützer der Familie Bratsberg auf?

Fjeldbo. Zum mindesten mit dem Recht des Freundes.

Stensgård. Pah, – mit dem Gerede fängst Du mich nicht. Mit dem Recht des Eigennutzes, – das ist's. Es befriedigt Deine kleinliche Eitelkeit, hier im Haus der Hahn im Korbe zu sein; deshalb soll ich fern bleiben.

Fjeldbo. Es wäre für Dich auch das beste. Du stehst hier auf unterhöhltem Grunde.

Stensgård. So? Wirklich? Schönsten Dank! Den Grund werde ich schon zu stützen wissen.

Fjeldbo. Versuch's; aber ich prophezeie Dir, er wird vorher einbrechen.

Stensgård. Hoho! Du führst was im Schilde?! Gut, daß ich das weiß! Ich kenne Dich jetzt; Du bist mein Feind, – der einzige, den ich hier habe.

Fjeldbo. Das bin ich nicht.

Stensgård. Das bist Du doch! Du bist es immer gewesen, schon in der Schulzeit. Sieh Dich hier um, wie alle mich anerkennen, obschon ich für sie ein Fremder bin. Du dagegen, der mich kennt, Du hast mich nie anerkannt. Es ist überhaupt das Schlimme an Dir, daß Du keinen je anerkennen kannst; Du hast Dich in Christiania nur in Teegesellschaften herumgetrieben und Deine Existenz damit ausgefüllt, schlechte Witze zu reißen. So was rächt sich, Du! Der Sinn für das, was mehr wert ist im Leben, – für das Hohe und Erhabene wird abgestumpft, und zuletzt taugt man zu gar nichts mehr.

Fjeldbo.Also ich tauge zu gar nichts!

Stensgård. Hast Du mich jemals anzuerkennen vermocht?

Fjeldbo. Was sollte ich denn anerkennen?

Stensgård. Meinen Willen, wenn nichts anderes. Der wird von allen andern anerkannt, von den simplen Leuten beim Feste gestern, von dem Kammerherrn Bratsberg und seiner Familie –

Fjeldbo. Von Monsens dito, von –. Donnerwetter, was ich sagen wollte, – hier draußen steht einer und wartet auf Dich –

Stensgård. Wer denn?

Fjeldbo geht nach dem Hintergrunde. Einer, der Dich anerkennt. Öffnet die Tür und ruft hinaus. Aslaksen, kommen Sie rein!

Stensgård. Aslaksen?

Aslaksen eintretend. Na, endlich!

Fjeldbo. Auf Wiedersehn! Ich will die Freunde nicht stören.

Ab in den Garten.

Stensgård. Was, zum Henker! wollen Sie hier?

Aslaksen. Ich habe notwendig mit Ihnen zu reden. Sie haben mir gestern einen Bericht über die Stiftung des Vereins versprochen und –

Stensgård. Der kann nicht kommen; – wir müssen ihn für eine andere Gelegenheit zurückstellen.

Aslaksen. Unmöglich, Herr Stensgård; das Blatt soll morgen zeitig heraus –

Stensgård. Unsinn! Das Ganze muß geändert werden. Die Sache ist in ein neues Stadium getreten; es sind andere Momente hinzugekommen. Was ich über den Kammerherrn Bratsberg geäußert habe, muß ganz umredigiert werden, ehe es verwendbar ist.

Aslaksen. Der Passus gegen den Kammerherrn ist aber schon gesetzt.

Stensgård. Dann muß er wieder raus!

Aslaksen. Wieder raus?

Stensgård. Ja, ich will ihn nicht in der Form drucken lassen. Sie sehen mich an? Glauben Sie vielleicht, ich verstünde nicht die Angelegenheiten des Vereins zu leiten?

Aslaksen. I, Gott bewahre! Aber ich muß Ihnen doch sagen –

Stensgård. Keine Widerrede, Aslaksen; dergleichen dulde ich ein für allemal nicht!

Aslaksen. Herr Rechtsanwalt Stensgård, ist Ihnen auch bekannt, daß ich das bißchen trocken Brot, das ich habe, dabei riskiere? Wissen Sie das?

Stensgård. Nein, – das ist mir unbekannt.

Aslaksen. Aber es ist so. Letzten Winter, ehe Sie hierher kamen, ging mein Blatt gut. Ich redigierte es selbst, will ich Ihnen sagen, und ich redigierte es nach einem Prinzip.

Stensgård. Sie?

Aslaksen. Jawohl! Ich sagte mir: nur durch das große Publikum kann sich ein Blatt halten; aber das große Publikum ist das schlechte Publikum, – das liegt eben in den lokalen Verhältnissen; – und das schlechte Publikum will ein schlechtes Blatt haben. Sehen Sie, so redigierte ich mein Blatt –

Stensgård. Schlecht! Das ist unbestreitbar.

Aslaksen. Ja, und ich stand mich gut dabei. Aber da kamen Sie und führten hier in der Gegend Ideen ein; und das Blatt erhielt eine Farbe, und deshalb fielen die Freunde Anders Lundestads alle ab. Die übrig geblieben, die zahlen schlecht –

Stensgård. Aber das Blatt wurde gut.

Aslaksen. Ich kann nicht existieren von einem guten Blatt. Es sollte hier Leben in die Bude kommen; es sollte ein Ende gemacht werden, so versprachen Sie gestern; die großen Herren sollten an den Pranger; es sollten Dinge in die Zeitung kommen, die jedermann lesen müßte, – und nun wollen Sie mich im Stich lassen –

Stensgård. Hoho! Glauben Sie, ich wollte Ihnen und dem Skandal dienen? Nein, danke schön, mein lieber Mann!

Aslaksen. Herr Stensgård, treiben Sie mich nicht zum Äußersten, sonst passiert etwas!

Stensgård. Was meinen Sie damit?

Aslaksen. Ich meine, daß ich dann mein Blatt auf andere Weise rentabel machen muß. Gott ist mein Zeuge, ich tue es nicht gern. Ehe Sie kamen, nährte ich mich redlich von Unglücksfällen und Selbstmorden und derlei unschuldigen Dingen, die oft nicht einmal passiert waren. Aber jetzt haben Sie alles auf den Kopf gestellt; jetzt muß eine andere Kost an die Reihe –

Stensgård. Das will ich Ihnen nur sagen: handeln Sie auf eigene Faust, tun Sie einen Schritt ohne meine Order, und machen Sie die Bewegung hier zu einem Mittel Ihres schmutzigen Eigennutzes, so gehe ich zu Buchdrucker Alm und gründe ein neues Blatt. Wir haben Geld, das sage ich Ihnen nur! Und in vierzehn Tagen ist Ihr Käseblatt kaput.

Aslaksen blaß. Das tun Sie nicht!

Stensgård. Ja, das tue ich; und ich werde der Mann sein, das Blatt so zu redigieren, daß es das große Publikum auf seiner Seite hat.

Aslaksen. Dann gehe ich noch in dieser Stunde zum Kammerherrn Bratsberg –

Stensgård. Sie? Was wollen Sie da?

Aslaksen. Was ich da will? Glauben Sie, ich weiß nicht, warum der Kammerherr Sie eingeladen hat? Er hat Angst vor Ihnen und vor dem, was Sie tun wollen; und daraus ziehen Sie Nutzen. Aber wenn er Angst hat vor dem, was Sie tun wollen, so hat er wohl auch Angst vor dem, was ich drucken will; und daraus werde ich Nutzen ziehen.

Stensgård. Das könnten Sie wagen? Sie? Ein solcher Stümper –!

Aslaksen. Ich werde es Ihnen beweisen. Soll Ihre Rede wieder aus dem Blatte heraus, so soll der Kammerherr mich für den Ausfall bezahlen.

Stensgård. Wagen Sie's, wagen Sie's nur! Sie sind betrunken, Mensch –!

Aslaksen. Nicht über Gebühr. Aber ich werde ein Löwe, wenn man mir mein bißchen Brot nehmen will. Sie können sich nicht in meine häusliche Lage versetzen: eine bettlägerige Frau, ein verkrüppeltes Kind –

Stensgård. Packen Sie sich! Wollen Sie mich in den Schmutz Ihrer Gemeinheit mit hinabziehen? Was gehen mich Ihre gichtbrüchigen Frauen und Ihre Mißgeburten an? Wagen Sie's, sich mir in den Weg zu stellen, unterstehen Sie sich, mir eine einzige Aussicht zu verschließen, so sind Sie an den Bettelstab gebracht, noch ehe das Jahr um ist!

Aslaksen. Ich werde einen Tag warten –

Stensgård. Na, es scheint, Sie kehren zur Vernunft zurück.

Aslaksen. Ich werde in einer Extranummer den Abonnenten mitteilen, daß der Redakteur, infolge einer Unpäßlichkeit, die er sich beim Fest zugezogen hat –

Stensgård. Jawohl, tun Sie das; es ist nicht unmöglich, daß wir zwei uns noch verständigen.

Aslaksen. Wenn's doch nur ginge! – Herr Obergerichtsanwalt, bedenken Sie: die Zeitung ist meine einzige Kuh.

Ab durch die Mitte.

Lundestad in der vordersten Gartentür. Nun, Herr Stensgård?

Stensgård. Nun, Herr Lundestad?

Lundestad. Sie sind hier so allein? Wenn es Ihnen nicht ungelegen ist, so möchte ich gern ein paar Worte mit Ihnen reden.

Stensgård. Mit Vergnügen.

Lundestad. Zunächst möchte ich Ihnen sagen: falls Sie gehört haben, ich hätte etwas Unvorteilhaftes über Sie geäußert, so müssen Sie das nicht glauben.

Stensgård. Über mich? Was sollten Sie denn gesagt haben?

Lundestad. Nichts; ich versichere Ihnen. Aber es gibt hier so viele Tagediebe, die sich ein Gewerbe draus machen, Leute gegen einander aufzuhetzen.

Stensgård. Ja, – im ganzen genommen, sind wir beide leider in ein etwas schiefes Verhältnis zueinander geraten.

Lundestad. Es ist ein ganz natürliches Verhältnis, Herr Stensgård. Es ist das Verhältnis des Alten zum Neuen; das ist immer so.

Stensgård. I bewahre, Herr Lundestad, Sie sind doch gar nicht so alt.

Lundestad. O doch, doch, ich werde so langsam alt. Ich habe nun seit 1839 im Reichstag gesessen. Mich dünkt, es wäre nachgerade an der Zeit, Ablösung zu bekommen.

Stensgård. Ablösung?

Lundestad. Die Zeiten ändern sich, sehen Sie. Neue Aufgaben erwachsen, und zu ihrer Förderung bedarf es neuer Kräfte.

Stensgård. Ehrlich und aufrichtig, Herr Lundestad, – wollen Sie also wirklich Monsen das Feld räumen?

Lundestad. Monsen? Nein, Monsen will ich nicht das Feld räumen!

Stensgård. Aber dann verstehe ich nicht –?

Lundestad. Gesetzt, ich räumte Monsen das Feld; glauben Sie, er hätte dann Aussicht, gewählt zu werden?

Stensgård. Ja, das ist schwer zu sagen. Die Urwahl soll zwar schon übermorgen stattfinden, und die Stimmung ist allerdings noch nicht genügend bearbeitet; aber –

Lundestad. Ich glaube nicht an einen Erfolg. Meine und des Kammerherrn Partei werden nicht für ihn stimmen. »Meine Partei«, das ist nun so eine Redensart; ich meine die Grundbesitzer, die alten Familien, die fest auf ihrer Scholle sitzen und hier heimisch sind. Sie wollen von Monsen nichts wissen. Monsen ist ein Zugezogener; niemand ist so recht gründlich über ihn und seine Verhältnisse unterrichtet. Und so hat er denn viel um sich herum niederstrecken müssen, um Platz zu gewinnen; Wälder und Familien niederstrecken müssen, sozusagen.

Stensgård. Wenn Sie nun aber meinen, es wäre keine Aussicht –?

Lundestad. Hm. Es sind seltene Gaben, alles in allem, Ihnen zuteil geworden, Herr Stensgård. Der liebe Gott hat Sie reich ausgestattet. Aber eine Kleinigkeit hätte er Ihnen mit in den Kauf geben sollen.

Stensgård. Und das wäre?

Lundestad. Sagen Sie, – warum denken Sie nie an sich selbst? Weshalb haben Sie gar keinen Ehrgeiz?

Stensgård. Ehrgeiz? Ich?

Lundestad. Warum gehen Sie hier umher und vergeuden Ihre Kräfte für andere? Kurz und gut, – warum wollen Sie nicht selbst ins Parlament?

Stensgård. Ich? Das ist nicht Ihr Ernst!

Lundestad. Sie haben sich ja das Stimmrecht verschafft, wie ich höre. Aber nützen Sie jetzt nicht die Gelegenheit, so kommt ein anderer hinein, und der bleibt vielleicht fest im Sattel, und dann ist er nicht so leicht wieder herauszuheben.

Stensgård. Aber, um des Himmels willen, was Sie da sagen, ist das wirklich Ihre Meinung, Herr Lundestad?

Lundestad. Es führt ja zu nichts; wenn Sie nicht wollen, so –

Stensgård. Wollen? Wollen? Aufrichtig gestanden, ich bin nicht so ganz ohne Ehrgeiz, wie Sie meinen. Aber glauben Sie wirklich, so etwas wäre möglich?

Lundestad. Möglich wäre es schon. Ich würde mein Bestes tun. Der Kammerherr täte gewiß auch das Seine; er kennt ja Ihre Rednertalente. Die Jungen haben Sie für sich, und –

Stensgård. Herr Lundestad, wahrhaftig, Sie sind mein wahrer Freund!

Lundestad. Ach, das ist wohl nicht gar so ernst von Ihnen gemeint. Wäre ich Ihr Freund, so nähmen Sie mir die Last ab; Sie haben junge Schultern, – Sie könnten die Last so leicht tragen.

Stensgård. Verfügen Sie in dieser Hinsicht über mich; ich werde Sie nicht im Stich lassen.

Lundestad. So wären Sie nicht abgeneigt –?

Stensgård. Hier ist meine Hand!

Lundestad. Danke. Glauben Sie mir, Herr Stensgård, Sie werden es nicht zu bereuen haben. Aber nun müssen wir behutsam zu Werke gehen. Wir müssen dafür sorgen, daß wir beide Wahlmänner werden, – ich, um Sie als meinen Nachfolger vorzuschlagen und Ihnen in der Versammlung ein bißchen auf den Zahn zu fühlen, und Sie, um Ihre Ansichten zu vertreten –

Stensgård. Ach, sind wir erst so weit, dann sind wir geborgen. In der Wahlmännerversammlung sind Sie ja allmächtig.

Lundestad. Die Allmacht hat ihre Grenzen; – Sie müssen natürlich Ihre Rednertalente ausnutzen; Sie müssen sich bemühen, das hinwegzuerklären, was am meisten Anstoß und Befremden erregen kann –

Stensgård. Sie meinen doch nicht etwa, daß ich mit meiner Partei brechen soll?

Lundestad. Betrachten Sie die Sache nur einmal mit Besonnenheit. Was will das heißen, daß es hier zwei Parteien gibt? Es will heißen, daß es hier auf der einen Seite eine Anzahl Männer oder Geschlechter gibt, die im Besitz der allgemeinen bürgerlichen Güter sind, – ich meine Eigentum, Unabhängigkeit und Anteil an der Macht. Das ist die Partei, der ich angehöre. Und auf der andern Seite, da stehen viele jüngere Mitbürger, die sich gern diese sozialen Güter erwerben möchten. Sehen Sie, das ist Ihre Partei. Aber diese Partei geben Sie ganz natürlich und ohne weiteres preis, wenn Sie jetzt einen Anteil an der Macht erhalten und sich dadurch als richtiger, tüchtiger Grundbesitzer hier eine Stellung schaffen; – ja, denn das ist nötig, Herr Stensgård!

Stensgård. Ja, das glaube ich auch. Aber die Zeit ist kurz; eine solche Stellung erwirbt man sich nicht im Handumdrehen.

Lundestad. Das freilich nicht; allein die bloße Aussicht würde Ihnen vielleicht schon förderlich sein –

Stensgård. Die Aussicht?

Lundestad. Würde Ihnen der Gedanke an eine gute Partie so furchtbar schwer fallen, Herr Stensgård? Hier in der Gegend gibt es reiche Erbinnen. Ein Mann mit einer Zukunft, wie Sie, – ein Mann, der den Anspruch auf die höchsten Ämter erheben darf, – glauben Sie mir, keine wird Sie verschmähen, wenn Sie Ihre Karte fein spielen.

Stensgård. So helfen Sie mir bei meinem Spiel! Herrgott –! Sie zeigen mir das gelobte Land – herrliche Aussichten! Alles, was ich erhofft und erstrebt habe: als ein Befreier vor dem Volk einherzugehen, – das Ferne, wovon ich geträumt, das rückt mir alles so leibhaftig nahe!

Lundestad. Ja, lassen Sie uns die Augen offen halten, Herr Stensgård! Ihr Ehrgeiz ist schon auf den Beinen, sehe ich. Das ist gut. Das andere wird sich von selbst machen. – Na, einstweilen meinen Dank! Ich werde Ihnen nie vergessen, daß Sie die Bürde der Macht von meinen alten Schultern nehmen wollen!

Die Gäste und die Hausbewohner kommen allmählich aus dem Garten. Zwei Dienstmädchen bringen Lichter und reichen während des Folgenden Erfrischungen.

Selma geht zum Piano links im Hintergrund. Herr Stensgård, Sie müssen mittun; wir spielen Pfänderspiele.

Stensgård. Mit Vergnügen; ich bin in ausgezeichneter Stimmung!

Geht ebenfalls nach dem Hintergrund, trifft mit ihr Vorkehrungen, rückt Stühle zurecht usw.

Erik mit gedämpfter Stimme. Was, zum Kuckuck, erzählt da Papa, Herr Hejre? Was ist das für eine Rede, die Stensgård hier gestern gehalten haben soll!

Hejre. Hähä! Weiß man das nicht?

Erik. Nein; wir Leute aus der Stadt waren ja zum Diner und Ball im Klub. Aber Papa sagt, Herr Stensgård hätte mit dem Storliklüngel ganz gebrochen, und er wäre schrecklich grob gegen Monsen gewesen –

Hejre. Gegen Monsen? Nein, da haben Sie gewiß nicht recht gehört, Verehrtester –

Erik. Es standen da allerdings so viele Leute herum, daß ich nicht recht klug draus werden konnte; aber ich hörte doch ganz deutlich, daß –

Hejre. Genug! Warten Sie bis morgen, – da kriegen Sie die Geschichte zum Frühstück in Aslaksens Zeitung.

Entfernt sich von ihm.

Der Kammerherr. Na, mein lieber Lundestad, bleiben Sie noch immer bei Ihrer Grille –?

Lundestad. Es ist keine Grille, Herr Kammerherr; wenn jemand Gefahr läuft, verdrängt zu werden, so soll er freiwillig seinen Platz räumen.

Der Kammerherr. Redensarten! Wer dächte wohl daran, Sie zu verdrängen?

Lundestad. Hm; ich bin ein alter Wetterprophet. Hier liegt ein Wetterwechsel in der Luft. Na, ich habe schon einen Stellvertreter. Rechtsanwalt Stensgård ist bereit –

Der Kammerherr. Rechtsanwalt Stensgård?

Lundestad. Ja, war das nicht Ihre Meinung? Ich hielt es für einen Wink, als Herr Kammerherr sagten, man müßte den Mann unterstützen und sich ihm anschließen.

Der Kammerherr. Ja, ich meinte in seinem Auftreten gegen den ganzen verderblichen Schwindel, der auf Storli getrieben wird.

Lundestad. Aber wie konnten Sie dessen so sicher sein, daß Stensgård mit den Leuten brechen würde?

Der Kammerherr. Mein Lieber, das hat sich doch gestern abend gezeigt.

Lundestad. Gestern abend?

Der Kammerherr. Jawohl, als er von Monsens verderblichem Einfluß in unserer Gegend sprach.

Lundestad mit offenem Munde. Monsens –?

Der Kammerherr. Allerdings; auf dem Tische –

Lundestad. Auf dem Tische, jawohl –?

Der Kammerherr. Er war schrecklich grob; nannte ihn einen Geldsack und einen Basilisken oder Drachen oder dergleichen. Haha, es war wirklich spaßhaft mitanzuhören.

Lundestad. So, – es war spaßhaft mitanzuhören?

Der Kammerherr. Ja, ich leugne nicht, Lundestad, ich gönne es den Leuten, wenn man ihnen derart eins versetzt. Aber jetzt müssen wir ihn unterstützen; denn nach einem so blutigen Angriff –

Lundestad. Wie gestern –?

Der Kammerherr. Jawohl.

Lundestad. Auf dem Tische?

Der Kammerherr. Ja, auf dem Tische.

Lundestad. Gegen Monsen?

Der Kammerherr. Ja, gegen Monsen und seinen Anhang. Jetzt werden sie sich natürlich zu rächen suchen, und das kann man ihnen nicht verdenken –

Lundestad entschieden. Dieser Stensgård muß unterstützt werden, – das ist klar!

Thora. Lieber Papa, Du mußt mitspielen.

Der Kammerherr. Ach, Unsinn, Kind –

Thora. Ja, gewiß, komm! Selma will es durchaus.

Der Kammerherr. Ja, ja, dann muß ich mich wohl fügen. Leise im Abgehen. Es ist doch traurig mit Lundestad, er fängt wirklich an stumpf zu werden; denke Dir, er hat absolut nicht verstanden, was Stensgård –

Thora. Ach komm, komm! Wir müssen jetzt spielen!

Sie zieht ihn in den Kreis hinein, wo das Spiel unter den Jüngeren in vollem Gange ist.

Erik ruft von seinem Platze aus: Herr Hejre, Sie sind zum Pfandrichter ernannt!

Hejre. Hähä, das ist wahrhaftig die erste Ernennung in meinem Leben.

Stensgård ebenfalls im Kreise. Wegen Ihrer Bekanntschaft mit der Justiz, Herr Hejre!

Hejre. Ach, meine liebenswürdigen jungen Freunde, es sollte mir eine Freude sein, Sie alle miteinander zu verdonnern –. Genug!

Stensgård schleicht zu Lundestad hin, der links im Vordergrunde steht. Sie haben mit dem Kammerherrn gesprochen. Wovon war die Rede? Von mir vielleicht?

Lundestad. Leider; von der Szene gestern abend –

Stensgård die Hände ringend. Tod und Teufel!

Lundestad. Er meint, Sie wären schrecklich grob gewesen.

Stensgård. Ja, glauben Sie denn nicht, daß es mir leid tut –?

Lundestad. Sie könnten es jetzt wieder gutmachen.

Erik ruft aus dem Kreise. Herr Stensgård, die Reihe ist an Ihnen!

Stensgård. Ich komme! Schnell, zu Lundestad. Wieder gutmachen – auf welche Weise?

Lundestad. Finden Sie eine Gelegenheit, so entschuldigen Sie sich beim Kammerherrn.

Stensgård. Das werde ich weiß Gott tun!

Selma. Geschwind! geschwind!

Stensgård. Ich komme, gnädige Frau! Da bin ich.

Das Spiel wird unter Lachen und Scherzen fortgesetzt. Rechts spielen einige ältere Herren Karten. Lundestad setzt sich links; Daniel Hejre in seiner Nähe.

Hejre. Der Grünschnabel sagt, ich hätte mit der Justiz zu tun gehabt!

Lundestad. Er hat einen etwas unverschämten Mund, das ist nicht zu leugnen.

Hejre. Deshalb schwänzelt auch die ganze Familie um ihn herum. Hähä; es ist ein jammervoller Anblick, wie ihnen bange vor ihm ist.

Lundestad. Nein, da irren Sie sich, Herr Hejre; dem Kammerherrn ist nicht bange.

Hejre. Nicht? Meinen Sie, ich wäre blind, Verehrtester?

Lundestad. Gewiß nicht, aber – ja, können Sie auch schweigen? Gut, ich will Ihnen sagen, wie die Sache zusammenhängt. Der Kammerherr glaubt, die Rede gestern hätte Monsen gegolten.

Hejre. Monsen? Ach, Unsinn!

Lundestad. Bei Gott, Herr Hejre! Ringdal oder das Fräulein mögen es ihm eingeredet haben –

Hejre. Und da geht er hin und ladet ihn zum großen Diner ein! Nein, das ist, hol' mich der Teufel, ausgezeichnet! Wissen Sie was, da kann ich nicht den Mund halten!

Lundestad. Pst! Pst! Vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben. Der Kammerherr ist ja Ihr alter Schulkamerad; und wenn er auch ein wenig hart mit Ihnen umgesprungen ist –

Hejre. Hähä; ich werde es ihm mit Zinsen heimzahlen –

Lundestad. Nehmen Sie sich in acht; der Kammerherr ist mächtig. Reizen Sie den Löwen nicht!

Hejre. Bratsberg ein Löwe? Pah, er ist ein Tropf, mein Lieber, – und das bin ich nicht. Ei, welchen Stoff zu köstlichen Schikanen, zu Anzüglichkeiten und Stichelreden wird mir diese Geschichte bieten, wenn erst einmal unser großer Prozeß im Gang ist!

Selma ruft aus dem Kreise: Herr Richter, was soll der tun, dem dieses Pfand gehört?

Erik unbemerkt zu Hejre. Es gehört Stensgård! Erfinden Sie was Ulkiges.

Hejre. Dieses Pfand? Hähä, laßt sehen; er könnte ja zum Beispiel, – genug! Er soll eine Rede halten!

Selma. Es ist Herrn Stensgårds Pfand.

Erik. Herr Stensgård soll eine Rede halten!

Stensgård. Ach nein, erlassen Sie es mir, ich habe gestern meine Sache schlecht genug gemacht.

Der Kammerherr. Vortrefflich, Herr Stensgård; ich verstehe mich auch ein wenig auf Beredsamkeit.

Lundestad zu Hejre. Alle Wetter! wenn er sich jetzt nur nicht verheddert!

Hejre. Verheddert? Hähä, Sie sind ein Schlaukopf! Ein kapitaler Einfall! Halblaut zu Stensgård. Haben Sie gestern Ihre Sache bös gemacht, so können Sie sich ja heut selbst eins auf den Mund geben.

Stensgård plötzlich von einer Idee erfaßt. Lundestad, die Gelegenheit ist da!

Lundestad ausweichend. Spielen Sie Ihre Karte fein!

Sucht seinen Hut und schleicht langsam zur Tür hin.

Stensgård. Ja, ich werde eine Rede halten!

Die jungen Damen. Bravo! Bravo!

Stensgård. Ergreifen Sie Ihre Gläser, meine Damen und Herren! Ich werde eine Rede halten, die als ein Märchen beginnt; denn ich fühle, wie der belebende Strom der Phantasie mich in diesem Kreise durchflutet.

Erik zu den Damen. Hört! Hört!

Der Kammerherr nimmt sein Glas vom Spieltische rechts und bleibt dort stehen. Ringdal, Fjeldbo und ein paar andere Herren kommen aus dem Garten herein.

Stensgård. Es war in der Frühlingszeit. Da kam ein junger Kuckuck ins Tal geflogen. Der Kuckuck ist ein Glücksvogel; und es war da just ein großes Vogelfest unten auf dem flachen Felde, und wildes wie zahmes Geflügel versammelte sich dort. Aus den Hühnerhöfen trippelten sie herbei; von den Gänseteichen watschelten sie heran; vom Storlihof kam ein dicker, schwerer Auerhahn herab in niedrigem, geräuschvollem Fluge, ließ sich nieder, rauschte mit den Federn, schlug scharrend mit den Flügeln und machte sich noch feister als er war; und zwischendurch krähte er: Krak! Krak! Krak! Was so viel heißen sollte wie: Ich bin der Mogul von Storli!

Der Kammerherr. Vortrefflich! Hört!

Stensgård. Und dann war da ein alter Specht. An den Baumstämmen huschte er gestreckten Leibes auf und nieder, bohrte mit seinem spitzen Schnabel das Holz an, schlang Würmer und all das Zeug, das Galle ansetzt, und rechts und links hörte man: Prik! prik! prik! – das war der Specht –

Erik. Entschuldigen Sie, war das nicht ein Storch oder ein –?

Hejre. Genug!

Stensgård. Es war der alte Specht. Aber da kam Leben in die Gesellschaft; denn sie fanden einen, über den sie gackern konnten; und so scharten sie sich zusammen und gackerten im Chorus, so lange, bis der junge Kuckuck anfing mitzugackern –

Fjeldbo unbemerkt. Um Gottes willen, Mensch, hör' auf!

Stensgård. Aber der, dem es galt, war ein Adler, der in einsamer Ruhe auf einem steilen Felsen saß. Über ihn waren sie alle einer Meinung. »Er ist ein Schrecken für die Gegend,« sagte ein heiserer Rabe. Doch der Adler schwebte in schrägem Fluge herab, packte den Kuckuck und trug ihn empor zur Höhe. – Das war ein Raub aus Liebe! Und von dort oben blickte der Glücksvogel heiter hinaus, weit über die Tiefe hin; dort war Stille und Sonnenschein; dort lernte er sie beurteilen, die Plebs von den Hühnerhöfen und von den Brachfeldern –

Fjeldbo laut. Schluß! Schluß! Musik!

Der Kammerherr. Pst! Unterbrechen Sie ihn nicht!

Stensgård. Herr Kammerherr Bratsberg – hier ist mein Märchen zu Ende, und ich trete vor Sie hin und bitte vor allen Leuten Sie um Verzeihung wegen des gestrigen Vorfalls.

Der Kammerherr, einen halben Schritt zurücktretend. Mich –?

Stensgård. Ich danke Ihnen für die Art, wie Sie sich für meine unbesonnenen Äußerungen gerächt haben. An mir haben Sie fortan einen gerüsteten Streiter. Und nun, meine Damen und Herren, ein Hoch auf den Kammerherrn Bratsberg!

Der Kammerherr tastet nach dem Tisch. Ich danke, Herr Obergerichtsanwalt!

Die Gäste, zumeist in peinlicher Verlegenheit. Herr Kammerherr! Herr Kammerherr Bratsberg!

Der Kammerherr. Meine Damen! Meine Herren! Leise. Thora!

Thora. Vater!

Der Kammerherr. Ach, Doktor, Doktor, was haben Sie getan!

Stensgård, mit dem Glase in der Hand, strahlend vor Vergnügen. Und nun wieder auf die Plätze! He, Fjeldbo, komm mit, – in den Bund der Jugend! Hier ist das Spiel im Gange!

Hejre links im Vordergrunde. Ja, weiß Gott, hier ist das Spiel im Gange!

Lundestad verschwindet durch die Hintertür. Der Vorhang fällt.


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