Alexander von Humboldt
Ansichten der Natur
Alexander von Humboldt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Wert des Silbers, welches die Gruben in den ersten 30 Jahren geliefert haben (von 1771 bis 1802), beträgt wahrscheinlich weit über 32 Millionen Piaster. Trotz der Festigkeit des quarzigen Gesteins haben die Peruaner schon vor der Ankunft der Spanier (wie alte Stollen und Abteufen erweisen) am Cerro de la Lin und am Chupiquiyacu auf reichen silberhaltigen Bleiglanz, und im Curimayo (wo auch natürlicher Schwefel in Quarzgestein wie im brasilianischen Itacolumit gefunden wird) auf Gold gearbeitet. Wir bewohnten, den Gruben nahe, die kleine Bergstadt Micuipampa, welche 11 140 Fuß hoch über dem Meere liegt und wo, wenngleich nur 6° 43' vom Äquator entfernt, in jeder Wohnung einen großen Teil des Jahres hindurch das Wasser nächtlich gefriert. In dieser vegetationslosen Einöde leben drei- bis viertausend Menschen, denen alle Lebensmittel aus den warmen Tälern zugeführt werden, da sie selbst nur Kohlarten und vortrefflichen Salat erzielen. Wie in jeder peruanischen Bergstadt, treibt Langeweile in diesen hohen Einöden die reichere und deshalb nicht gebildetere Menschenklasse zu sehr gefahrvollem Karten- und Würfelspiel. Schnell gewonnener Reichtum wird noch schneller eingebüßt. Alles erinnert hier an den Kriegsmann aus Pizarros Heere, der nach der Tempelplünderung in Cuzco klagte, in einer Nacht »ein großes Stück von der Sonne« (ein Goldblech) im Spiel verloren zu haben. Das Thermometer zeigte mir in Micuipampa, um 8 Uhr Morgens erst , um Mittag 7° Réaumur. Zwischen dem dünnen Ichhu-Grase (vielleicht unsere Stipa eriostachya) fanden wir eine schöne Calceolaria (C. sibthorpioides), die wir nicht auf solcher Berghöhe erwartet hätten.

Nahe bei der Bergstadt Micuipampa, in einer Hochebene, die man Llanos oder Pampa de Navar nennt, hat man in einer Ausdehnung von mehr als ¼ Quadratmeile unmittelbar unter dem Rasen, wie mit den Wurzeln des Alpengrases verwachsen, in nur 3 bis 4 Lachter Tiefe, ungeheure Massen von reichem Rotgüldenerz und drahtförmigem Gediegen-Silher (in remolinos, clavos und vetas manteadas) gewonnen. Eine andre Hochebene, westlich vom Purgatorio, nahe an der Quebrada de Chiquera, heißt Choropampa, das Muschelfeld (churu in der Qquechhua-Sprache: Muscheln, besonders kleine eßbare Muscheln, hostion, mexillon). Der Name deutet auf Versteinerungen der Kreideformation, welche sich dort in solcher Menge finden, daß sie früh die Aufmerksamkeit der Eingeborenen auf sich gezogen haben. Dort ist gewonnen worden nahe an der Oberfläche der Erde ein Schatz von Gediegen-Gold, mit Silberfäden reichlichst umsponnen. Ein solches Vorkommen bezeugt die Unabhängigkeit vieler aus dem Inneren der Erde auf Spalten und Gängen ausgebrochener Erze von der Natur des Nebengesteins, von dem relativen Alter der durchbrochenen Formationen. Das Gestein im Cerro de Gualgayoc und in Fuentestiana ist sehr wasserreich, aber in dem Purgatorio herrscht eine absolute Trockenheit. Dort fand ich zu meinem Erstaunen, trotz der Höhe der Erdschichten über dem Meere, die Grubentemperatur 15,8° Réaum., während in der nahen Mina de Guadalupe die Grubenwasser gegen zeigten. Da im Freien das Thermometer nur bis 4½° stieg, so wird von dem nackt und schwer arbeitenden Grubenvolke die unterirdische Wärme im Purgatorio erstickend genannt.

Der enge Weg von Micuipampa nach der alten Inkastadt Caxamarca ist selbst für die Maultiere schwierig. Der Name der Stadt war ursprünglich Cassamarca oder Kazamarca, d. i. die Froststadt; marca in der Bedeutung einer Ortschaft gehört dem nördlichen Dialekt, Chinchaysuyo oder Chinchasuyu, an, während das Wort in der allgemeinen Qquechhuasprache: Stockwerk des Hauses, auch Schützer und Bürge bedeutet. Der Weg führte uns fünf bis sechs Stunden lang durch eine Reihe von Paramos, in denen man fast ununterbrochen der Wut der Stürme und jenem scharfkantigen Hagel, welcher dem Rücken der Andes so eigentümlich ist, ausgesetzt bleibt. Die Höhe des Weges erhält sich meist zwischen neun- und zehntausend Fuß. Es hat mir derselbe zu einer magnetischen Beobachtung von allgemeinem Interesse Veranlassung gegeben: zu der Bestimmung des Punktes, wo die Nord-Inklination der Nadel in die Süd-Inklination übergeht, wo also der magnetische Äquator von dem Reisenden durchschnitten wird.

Wenn man endlich die letzte jener Bergwildnisse, den Paramo de Yanaguanga, erreicht hat, so blickt man um so freudiger in das fruchtbare Tal von Caxamarca hinab. Es ist ein reizender Anblick; denn das Tal, von einem Flüßchen durchschlängelt, bildet eine Hochebene von ovaler Form und 6 bis 7 Quadratmeilen Flächeninhalt. Es ist diese Hochebene der von Bogota ähnlich und wahrscheinlich wie sie ebenfalls ein alter Seeboden. Es fehlt hier nur die Mythe des Wundermannes Botschica oder Idacanzas, des Hohenpriesters von Iraca, welcher den Wassern am Tequendama durch die Felsen einen Weg öffnete. Caxamarca liegt 600 Fuß höher als Santa Fé de Bogota und daher fast so hoch als die Stadt Quito, hat aber, durch Berge rund umher geschützt, ein weit milderes und angenehmeres Klima. Der Boden ist von der herrlichsten Fruchtbarkeit, voll Ackerfeld und Gartenbau, mit Alleen von Weiden, von großblütigen roten, weißen und gelben Datura-Abarten, von Mimosen und den schönen Quinuarbäumen (unserer Polylepis villosa, einer Rosazee neben Alchemilla und Sanguisorba) durchzogen. Der Weizen gibt in der Pampa de Caxamarca im Mittel das 15. bis 20. Korn; doch vereiteln bisweilen Nachtfröste, welche die Wärmestrahlung gegen den heiteren Himmel in den dünnen und trocknen Schichten der Bergluft verursacht und welche in den bedachten Wohnungen nicht bemerkbar sind, die Hoffnung reicher Ernten.

Kleine Porphyrkuppen (wahrscheinlich einst Inseln im alten, noch unabgelaufenen See) erheben sich in dem nördlichen Teile der Ebene und durchbrechen weit verbreitete Sandsteinflöze. Wir genossen auf dem Gipfel einer dieser Porphyrkuppen, auf dem Cerro de Santa Polonia, eine anmutige Aussicht. Die alte Residenz des Atahualpa ist von dieser Seite mit Fruchtgärten und wiesenartig bewässerten Luzernfeldern (Medicago sativa, campos de alfalfa) umgeben. In der Ferne sieht man die Rauchsäulen der warmen Bäder von Pultamarca aufsteigen, die noch heute den Namen baños del Inca führen. Ich habe die Temperatur dieser Schwefelquellen 55,2° Réaumur gefunden. Atahualpa brachte einen Teil des Jahres in den Bädern zu, wo noch schwache Reste seines Palastes der Zerstörungswut der Konquistadores widerstanden haben. Das große und tiefe Wasserbecken (el tragadero), in welchem der Tradition nach einer der goldenen Tragsessel soll versenkt und immer vergebens gesucht worden sein, schien mir, seiner regelmäßigen runden Form wegen, künstlich über einer der Quellenklüfte im Sandstein ausgehauen.

Von der Burg und dem Palaste des Atahualpa sind ebenfalls nur schwache Reste in der mit schönen Kirchen geschmückten Stadt übriggeblieben. Die Wut, in der man, von Golddurst getrieben, schon vor dem Ende des 16. Jahrhunderts, um nach tief liegenden Schätzen zu graben, Mauern umstürzte und die Fundamente aller Wohnungen unvorsichtig schwächte, hat die Zerstörung beschleunigt. Der Palast des Inka lag auf einem Porphyrhügel, welcher ursprünglich an der Oberfläche (d. i. am Ausgehenden der Gesteinschichten) dermaßen behauen und ausgehöhlt worden war, daß er die Hauptwohnung fast mauerartig umzingelt. Ein Stadtgefängnis und das Gemeindehaus (la Casa del Cabildo) sind auf einem Teil der Trümmer aufgeführt. Diese Trümmer sind am ansehnlichsten noch, aber doch nur 13 bis 15 Fuß hoch, dem Kloster des heil. Franziskus gegenüber; sie bestehen, wie man in der Wohnung des Caciquen beobachten kann, aus schön behauenen Quadersteinen von 2 bis 3 Fuß Länge, ohne Zement aufeinander gelegt, ganz wie an der Inca-Pilca oder festen Burg des Cañar im Hochlande von Quito.

In dem Porphyrfelsen ist ein Schacht abgeteuft, der einst in unterirdische Gemächer und in eine Galerie (Stollen) führte, von der man behauptet, daß sie bis zu einer anderen schon oben erwähnten Porphyrkuppe, zu der von Santa Polonia, führt. Diese Vorrichtungen deuten auf Besorgnisse von Kriegszuständen und auf Sicherung der Flucht. Das Vergraben von Kostbarkeiten war übrigens eine altperuanische, sehr allgemein verbreitete Sitte. Unter vielen Privatwohnungen in Caxamarca findet man noch unterirdische Gemächer,

Man zeigte uns im Felsen ausgehauene Treppen und das sogenannte Fußbad des Inka (el lavadero de los piés). Ein solches Fußwaschen des Herrschers war von lästigen Hofzeremonien begleitet. Nebengebäude, die, der Tradition nach, für die Dienerschaft des Inka bestimmt waren, sind zum Teil ebenfalls von Quadersteinen aufgeführt und mit Giebeln versehen, zum Teil aber von wohlgeformten Ziegeln, die mit Kieszement abwechseln (muros y obra de tapia). In denen der letztgenannten Konstruktion kommen gewölbte Blenden (Wandvertiefungen) vor, an deren hohem Alter ich lange, aber wohl mit Unrecht, gezweifelt habe.

Man zeigt in dem Hauptgebäude noch das Zimmer, in welchem der unglückliche Atahualpa vom Monat November 1532 an neun Monate lang gefangen gehalten wurde; man zeigt auch den Reisenden die Mauer, an der er das Zeichen machte, bis zu welcher Höhe er das Zimmer mit Gold füllen wolle, wenn man ihn freiließe. Xerez in der Conquista del Peru, die uns Barcia aufbewahrt hat, Hernando Pizarro in seinen Briefen und andere Schriftsteller jener Zeit geben diese Höhe sehr verschieden an. Der gequälte Fürst sagte: »das Gold in Barren, Platten und Gefäßen solle so hoch aufgetürmt werden, als er mit der Hand reichen könne.« Das Zimmer selbst gibt Xerez zu 22 Fuß Länge und 17 Fuß Breite an. Was von den Schätzen der Sonnentempel von Cuzco, Huaylas, Huamachuco und Pachacamac bis zu dem verhängnisvollen 29 August 1533 (dem Todestage des Inka) zusammengebracht wurde, schätzt Garcilaso de la Vega, der Peru schon 1560, in seinem 20. Jahre, verließ, auf 3 838 000 Ducados de Oro.

In der Kapelle des Stadtgefängnisses, das, wie ich schon oben erwähnte, auf den Ruinen des Inkapalastes gebaut ist, wird Leichtgläubigen mit Schauder der Stein gezeigt, auf dem »unauslöschliche Blutflecke- zu sehen sind. Es ist eine 12 Fuß lange, sehr dünne Platte, die vor dem Altar liegt, wahrscheinlich dem Porphyr oder Trachyt der Umgegend entnommen. Eine genaue Untersuchung durch Abschlagen wird nicht gestattet. Die berufenen drei oder vier Flecken scheinen hornblend- oder pyroxenreiche Zusammenziehungen in der Grundmasse der Gebirgsart zu sein. Der Lizentiat Fernando Montesinos, ob er gleich kaum hundert Jahre nach der Einnahme von Caxamarca Peru besuchte, verbreitet schon die Fabel: Atahualpa sei in dem Gefängnis enthauptet worden und man sehe noch Blutspuren auf einem Steine, auf dem die Hinrichtung geschehen sei. Unbestreitbar ist es und durch viele Augenzeugen bewährt, daß der betrogene Inka sich willig, unter dem Namen Juan de Atahualpa, von seinem schändlichen, fanatischen Verfolger (dem Dominikanermönch Vicente de Valverde) taufen ließ, um nicht lebendig verbrannt zu werden. Strangulation (el garrote) machte seinem Leben ein Ende, öffentlich unter freiem Himmel. Eine andere Sage gibt vor, man habe eine Kapelle auf dem Stein errichtet, wo die Strangulation vorgefallen sei, und Atahualpas Körper ruhe unter dem Steine. Die vermeintlichen Blutflecke blieben dann freilich unerklärt. Der Leichnam hat aber nie unter diesem Steine gelegen; er wurde nach einer Totenmesse und einer feierlichen Beerdigung, bei welcher die Gebrüder Pizarro in Trauerkleidern (!) zugegen waren, zuerst auf den Kirchhof des Convento de San Fraucisco und später nach Quito, Atahualpas Geburtsstadt, gebracht. Die letztere Translation geschah nach dem ausdrücklichen Wunsche des sterbenden Inka. Sein persönlicher Feind, der verschlagene Rumiñavi ( das steinerne Auge genannt, wegen der Entstellung des einen Auges durch eine Warze; rumi Stein, ñaui Auge im Qquechhua), veranstaltete in Quito, aus List und politischen Absichten, eine feierliche Beerdigung.

In den traurigen architektonischen Resten dahingeschwundener alter Herrlichkeit wohnen in Caxamarca Abkömmlinge des Monarchen. Es ist die Familie des indischen Caciquen, nach dem Qquechhua-Idiom des Curaca, Astorpilco. Sie lebt in großer Dürftigkeit doch genügsam, ohne Klage, voll Ergebung in ein hartes, unverschuldetes Verhängnis. Ihre Abkunft von Atahualpa durch die weibliche Linie wird in Caxamarca nirgends geleugnet, aber Spuren des Bartes deuten vielleicht auf einige Vermischung mit spanischem Blute. Beide vor dem Einfall der Spanier regierenden Söhne des großen, aber für einen Sonnensohn etwas freigeisterischen Huayna Capac, Huascar und Atahualpa, hinterließen keine anerkannten Söhne. Huascar wurde Atahualpas Gefangener in den Ebenen von Quipaypan und auf dessen heimlichen Befehl bald darauf ermordet. Auch von den beiden übrigen Brüdern des Atahualpa, von dem unbedeutenden jungen Toparca, welchen Pizarro (Herbst 1533) als Inka krönen ließ, und von dem unternehmenderen, ebenfalls gekrönten, aber dann wieder rebellischen Manco Capac, sind keine männliche Nachkommen bekannt. Atahualpa hinterließ einen Sohn, als Christ Don Francisco genannt, der sehr jung starb, und eine Tochter, Doña Angelina, mit welcher Francisco Pizarro in wildem Kriegsleben einen von ihm sehr geliebten Sohn, des hingerichteten Herrschers Enkel, zeugte. Außer der Familie des Astorpilco, mit der ich in Caxamarca verkehrte, wurden zu meiner Zeit noch die Carguaraicos und Titu-Buscamayta als Verwandte der Inkadynastie bezeichnet. Das Geschlecht Buscamayta ist aber jetzt ausgestorben.


 << zurück weiter >>