Victor Hugo
Notre-Dame in Paris. Zweiter Band
Victor Hugo

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Nutzen der Fenster, die nach dem Flusse hinausgehen.

Claude Frollo (denn wir setzen voraus, daß der Leser, welcher verständiger als Phöbus ist, bei diesem ganzen Abenteuer keinen andern gespenstigen Mönch gesehen hat, als den Archidiaconus), Claude Frollo tastete einige Augenblicke in dem finstern Verstecke umher, in das ihn der Hauptmann eingeriegelt hatte. Es war einer von jenen Winkeln, wie solche manchmal die Baumeister am Einigungspunkte zwischen Dach und Stützmauer übrig behalten. Der senkrechte Durchschnitt dieses Loches, wie es Phöbus so treffend bezeichnet hatte, hätte ein Dreieck gegeben. Uebrigens war weder ein Fenster noch eine Luke vorhanden, und die Neigung des Daches verhinderte, daß man aufrecht darin stehen konnte. Claude kauerte sich also in den Staub und in den Gypsschutt, der unter ihm zerdrückt wurde, nieder; sein Kopf glühte, und während er rings um sich mit den Händen hin- und hertastete, fand er ein Stück zerbrochenes Glas am Boden, welches er an seine heiße Stirne drückte, und dessen Kühle ihm ein wenig Linderung gewährte.

Was ging in diesem Augenblicke in der düstern Seele des Archidiaconus vor? Er und Gott allein konnten das wissen. Nach welcher unseligen Reihenfolge ordnete er die Esmeralda, Phöbus, Jacob Charmolue, seinen jungen, so sehr geliebten und von ihm auf der Straße zurückgelassenen Bruder, sein Priestergewand als Archidiaconus, vielleicht seinen guten Namen, der im Hause der Falourdel zurückblieb, – kurz alle diese Bilder, alle diese Ereignisse in seinen Gedanken? Aber gewiß ist, daß diese Gedanken in seinem Geiste eine fürchterliche Verbindung bildeten.

Er wartete eine Viertelstunde lang; es kam ihm vor, als ob er ein Jahrhundert durchwacht hätte. Plötzlich hörte er die Stufen der hölzernen Treppe knacken; jemand stieg herauf. Die Fallthüre öffnete sich wieder; ein Licht kam zum Vorschein. In der wurmstichigen Thüre seines Gelasses befand sich eine ziemlich weite Spalte; er drückte sein Gesicht daran. Auf diese Weise konnte er alles sehen, was sich im benachbarten Zimmer zutrug. Die Alte mit dem Katzengesichte stieg, ihre Lampe in der Hand, zuerst aus der Fallthür heraus, dann Phöbus, der sich seinen Schnurrbart in die Höhe strich, und dann eine dritte Person: die Esmeralda, diese schöne und reizende Gestalt. Der Priester sah sie wie eine blendende Erscheinung aus dem Boden heraufsteigen. Claude zitterte, eine Wolke lagerte sich auf seine Augen, seine Pulsadern schlugen mit Macht, alles rauschte und drehte sich um ihn; er sah und hörte nichts mehr.

Als er wieder zu sich kam, waren Phöbus und die Esmeralda allein; sie saßen auf dem hölzernen Kasten neben der Lampe, welche diese jugendlichen Gestalten und ein elendes Bett im Hintergrunde der Dachkammer in die Augen des Archidiaconus springen ließ.

Neben dem Bette war ein Fenster, dessen zertrümmerte Butzenscheiben, die einem vom Regen zerrissenen Spinnennetze glichen, durch ihre zerbrochenen Rundungen ein Stück Himmel und den Mond erblicken ließen, der in der Ferne auf einem Daunenkissen von zarten Wolken ruhte.

Das junge Mädchen war schamroth, außer Fassung und zitterte. Ihre langen, gesenkten Wimpern beschatteten die Purpurwangen. Der Offizier, auf den sie ihre Augen nicht zu erheben wagte, strahlte vor Verlangen. Mechanisch und mit einer reizenden Geberde von Verlegenheit zeichnete sie mit der Spitze des Fingers unzusammenhängende Linien auf die Bank und blickte auf ihren Finger nieder. Ihren Fuß sah man nicht; die kleine Ziege hatte sich darauf gekauert. Der Hauptmann war sehr artig gekleidet: um den Hals und die Handgelenke trug er Puffen von Goldlitze, für die damalige Zeit eine große Zierde.

Nur mit Mühe vermochte Dom Claude zu hören, was sie sich sagten, so heftig rollte sein Blut, das ihm in den Schläfen kochte.

(Es ist ein ziemlich alltägliches Etwas um eine verliebte Plauderei. Sie ist ein beständiges »Ich liebe dich«, – eine wohlklingende Redensart, die sehr nackt und fade für diejenigen klingt, welche sie gleichgiltig anhören: es müßte denn sein, daß sie mit etwas »Schmuckwerk« verziert ist; aber Claude hörte nicht als Gleichgiltiger zu.)

»Ach!« sagte das junge Mädchen, ohne die Augen aufzuschlagen, »verachtet mich nicht, gnädiger Herr Phöbus. Ich fühle, daß das, was ich gethan habe, unrecht ist.«

»Euch verachten, schönes Kind!« entgegnete der Offizier mit einer Miene überlegener und vornehmer Galanterie, »Euch verachten, beim Haupte Gottes! und warum?«

»Daß ich Euch gefolgt bin.«

»In dieser Hinsicht, meine Schöne, verstehen wir uns nicht. Ich müßte Euch nicht verachten, sondern Euch hassen.«

Das junge Mädchen sah ihn erschrocken an: »Mich hassen! Was habe ich denn gethan?«

»Dafür, daß Ihr Euch so sehr habt bitten lassen.«

»Wehe!« sprach sie . . . »ich bin einem Gelübde untreu geworden. Ich kann meine Eltern nicht wieder sehen . . . das Amulet wird seine Kraft verlieren. Aber was thut das? Was bedarf ich jetzt eines Vaters und einer Mutter?«

Während sie so sprach, heftete sie ihre großen schwarzen, von Freude und Zärtlichkeit feuchten Augen auf den Hauptmann.

»Soll der Teufel mich holen, wenn ich Euch verstehe!« rief Phöbus.

Die Esmeralda schwieg einen Augenblick, dann rollte eine Thräne aus ihren Augen, ein Seufzer entrang sich ihren Lippen, und sie sprach: »Ach! gnädiger Herr, ich liebe Euch.« Um das junge Mädchen verbreitete sich ein solcher Duft von Reinheit, ein derartiger Zauber von Keuschheit, daß Phöbus sich in ihrer Nähe nicht ganz behaglich fühlte. Doch ermuthigte ihn dieses Wort. »Ihr liebt mich!« sagte er mit leidenschaftlicher Aufwallung und legte seinen Arm um den Leib der Zigeunerin. Er wartete nur auf diese Gelegenheit.

Der Priester sah es und prüfte mit der Fingerspitze die Spitze eines Dolches, welchen er in seinem Busen versteckt trug.

»Phöbus,« fuhr die Zigeunerin fort, während sie sanft die pressenden Hände des Hauptmanns von ihrem Gürtel losmachte, »Ihr seid gut, Ihr seid edelmüthig, Ihr seid schön; Ihr habt mich gerettet, mich, die ich nur ein armes, unter die Zigeuner gerathenes Kind bin. Lange Zeit träume ich von einem Offiziere, der mir das Leben rettet. Von Euch träumte ich, ehe ich Euch kannte, mein Phöbus; mein Traum zeigte mir eine schöne Uniform, wie Ihr sie habt, ein stolzes Aussehen, einen Degen; Ihr heißt Phöbus, das ist ein schöner Name; ich liebe Euern Namen, ich liebe Euern Degen. Ziehet doch Euern Degen, damit ich ihn sehe.«

»O Kind,« sagte der Hauptmann, und er zog lächelnd seinen Schläger aus der Scheide.

Die Zigeunerin betrachtete den Griff, die Klinge, prüfte mit reizender Neugierde den Namenszug am Stichblatte, und küßte den Degen, wobei sie zu ihm sprach: »Du bist der Degen eines Tapfern. Ich liebe meinen Hauptmann.«

Phöbus benutzte diese Gelegenheit wenigstens, um einen Kuß auf ihren schönen, niedergeneigten Nacken zu drücken, worüber das junge Mädchen, rothgeworden wie eine Kirsche, in die Höhe fuhr. Der Priester knirschte darüber die Zähne in seinem dunkeln Loche.

»Phöbus,« begann die Zigeunerin wieder, »erlaubt mir, daß ich zu Euch rede. Gehet doch ein wenig auf und ab, auf daß ich Euch, in Eurer ganzen Größe sehe, und daß ich Eure Sporen klirren höre. Wie schön Ihr seid!«

Der Hauptmann stand auf, um sich ihr gefällig zu erweisen, und murmelte ihr mit einem selbstgefälligen Lächeln zu: »Aber was seid Ihr für ein Kind! Doch da wir davon reden, Liebchen, habt Ihr mich denn im Paradewaffenrocke gesehen?«

»Leider nein!« antwortete sie.

»Der ist erst prächtig!«

Phöbus setzte sich wieder neben sie nieder, aber viel näher, als vorher.

»Hört mich an, meine Süße . . .«

Die Zigeunerin gab ihm mit ihrer niedlichen Hand ein paar leise Schläge auf den Mund, wobei ihre ganze Kindlichkeit voll Muthwillen, Anmuth und Frohsinn zu Tage trat.

»Nein, nein, ich will Euch nicht anhören. Liebt Ihr mich? Ich will, daß Ihr mir sagt, ob Ihr mich liebt.«

»Ob ich dich liebe, Engel meines Lebens!« rief der Hauptmann aus und sank halb vor ihr auf die Knie nieder. »Mein Leib, mein Blut, meine Seele – alles gehört dir, alles ist nur für dich. Ich liebe dich und habe niemanden, als dich allein geliebt.«

Der Hauptmann hatte diese Redensart in mancher ähnlichen Lage so viele Male wiederholt, daß er sie in einem Athemzuge, ohne einen einzigen Gedächtnisfehler zu machen, vortrug. Bei dieser leidenschaftlichen Liebeserklärung sandte die Zigeunerin zur schmutzigen Decke, die hier den Himmel vertrat, einen Blick voll himmlischen Glückes empor. »Ach!« flüsterte sie, »das ist der Augenblick, wo man sterben sollte!«

Phöbus fand »den Augenblick« für geeignet, um ihr einen neuen Kuß zu rauben, welcher den unglücklichen Archidiaconus in seinem Winkel von neuem marterte.

»Sterben!« rief der Hauptmann aus. »Was sagt Ihr da doch, schöner Engel? Jetzt ist die Gelegenheit, zu leben, oder Jupiter ist nur ein Possenreißer! Sterben beim Beginn einer so süßen Angelegenheit! Beim Horn des Stieres, welcher Scherz! . . . So ist's nicht gemeint . . . Höret mich an, meine theure Similar . . . Esmenarda . . . Verzeihung! Aber Ihr habt einen so seltsamen sarazenischen Namen, daß ich mich nicht herausfinden kann. Er ist ein Gestrüpp, in dem ich stets hängen bleibe.«

»Mein Gott,« sagte das arme Mädchen, »ich, ich hielt diesen Namen wegen seiner Seltsamkeit für hübsch! Aber da er Euch mißfällt, möchte ich lieber Goton heißen.«

»Ach! härmen wir uns nicht wegen so Unbedeutendem, meine Süße; es ist ein Name, an den man sich gewöhnen muß, und damit genug. Wenn ich ihn einmal auswendig weiß, wird es schon von selbst gehen. Hört mich also, meine theure Similas: ich bete Euch bis zum Wahnsinne an. Ich liebe Euch wahrhaftig, daß es ein Wunder ist. Ich kenne eine Kleine, die darüber vor Wuth berstet . . .«

Das eifersüchtige Mädchen unterbrach ihn: »Wen denn?«

»Was, mein Gott, thut das uns?« sagte Phöbus; »liebt Ihr mich?«

»Ach! . . .« sagte sie.

»Nun gut! Das ist die Hauptsache. Ihr sollt sehen, wie auch ich Euch liebe. Mag mich der große Teufel Neptunus aufspießen, wenn ich Euch nicht zum glücklichsten Geschöpfe der Welt mache. Wir wollen irgendwo ein hübsches kleines Häuschen miethen. Ich will meine Bogenschützen unter Eurem Fenster paradiren lassen. Sie sind alle beritten und bieten denjenigen des Hauptmanns Mignon Trotz. Ich habe Hellebardiere, Armbrustschützen und Artilleristen mit Handfeldschlangen. Ich will Euch zu den großen Schaugeprängen der Pariser im Speicher von Rully führen. Achtzigtausend bewaffnete Leute, dreißigtausend blanke Harnische, Koller oder Panzerhemden, die siebenundsechzig Banner der Gewerke, die Standarten des Parlaments, der Rechnungskammer, der Generalschatzkammer, der Münzgehilfen, – mit einem Worte: ein verteufelter Prunk. Ich werde Euch auch die Löwen im königlichen Schlosse zeigen, welche Rothwild sind. Alle Frauenzimmer sehen so etwas gern.«

Seit einigen Minuten träumte das junge Mädchen, in liebliche Gedanken versunken, beim Klange seiner Stimme, ohne auf den Sinn seiner Worte zu achten.

»O! Ihr sollt glücklich sein!« fuhr der Hauptmann fort, und zu gleicher Zeit löste er leise den Gürtel der Zigeunerin.

»Was thut Ihr denn?« sagte sie erregt. Diese Gewalttätigkeit hatte sie aus ihrer Träumerei gerissen.

»Nichts,« antwortete Phöbus; »ich sagte nur, daß Ihr diesen närrischen und gassenmäßigen Anzug aufgeben müßtet, wenn Ihr bei mir bleiben wollt.«

»Wenn ich bei dir sein werde, mein Phöbus!« sagte das junge Mädchen zärtlich.

Sie wurde nachdenklich und schwieg.

Der Hauptmann, durch ihre Sanftmuth dreist gemacht, faßte sie um den Leib, ohne daß sie widerstand, begann dann ganz leise das Mieder des armen Mädchens aufzuschnüren und zog das Busentuch so tief herunter, daß der keuchende Priester die schöne nackte, runde und braune Schulter der Zigeunerin aus der Spitzenhülle hervortreten sah, wie den Mond, der im Nebel am Horizonte sich erhebt.

Das junge Mädchen ließ Phöbus gewähren. Sie schien es nicht zu merken. Das Auge des dreisten Hauptmanns funkelte. Plötzlich wandte sie sich nach ihm hin:

»Phöbus,« sagte sie mit einem Ausdrucke unendlicher Liebe, »unterweise mich in deiner Religion.«

»In meiner Religion?« rief der Hauptmann und brach in ein Gelächter aus. »Ich Euch in meiner Religion unterweisen? Donner und Wetter! Was wollt Ihr mit meiner Religion anfangen?«

»Um uns zu heirathen,« antwortete sie.

Das Gesicht des Hauptmanns nahm einen Ausdruck an, in dem sich Ueberraschung, Verachtung, Gleichgiltigkeit und zügellose Leidenschaft vermischten.

»Ach was!« sagte er, »heirathet man sich denn?«

Die Zigeunerin wurde blaß und ließ traurig ihr Haupt auf den Busen sinken.

»Schönes Liebchen,« fuhr Phöbus zärtlich fort, »was sollen diese Thorheiten bedeuten? Es ist etwas Wichtiges um eine Heirath! Hat man sich etwa nicht so innig lieb, wenn man nicht mit lateinischen Brocken in der Bude eines Priesters um sich geworfen hat?«

Während er das mit innigstem Tone sprach, drängte er sich ganz nahe an die Zigeunerin heran; seine liebkosenden Hände hatten sich wieder um diesen zarten und schmiegsamen Leib geschlungen; sein Auge glühte immer mehr und mehr, und alles kündete an, daß Herr Phöbus sich offenbar einem jener Augenblicke näherte, in welchem Jupiter selbst so viele Thorheiten begeht, daß der gute Homer sich genöthigt sieht, eine Wolke zu seiner Hilfe herbeizurufen.

Dom Claude jedoch sah alles. Die Thüre war aus ganz verfaulten Faßdauben gemacht, die seinem Raubvogelblicke zwischen ihren Fugen freien Durchblick gestatteten. Dieser dunkelfarbige, breitschultrige Priester, der bis dahin zur strengen Keuschheit des Klosters verdammt gewesen war, schauerte und kochte bei dieser nächtlichen Liebes- und Wollustscene. Das junge und schöne Mädchen, das in ihrem Seelenaufruhr diesem feurigen Jünglinge ergeben war, verwandelte das Blut seiner Adern in geschmolzenes Blei. In seinem Innern gingen die seltsamsten Bewegungen vor sich; sein Auge heftete sich mit wollüstiger Eifersucht an jede dieser losgenestelten Nadeln. Wer in diesem Augenblicke das Antlitz des Unglücklichen hätte sehen können, das an die wurmstichigen Thürpfosten gepreßt war, hätte geglaubt, ein Tigergesicht zu schauen, das aus der Tiefe eines Käfigs heraus einen Schakal erblickt, der eine Gazelle verschlingt. Sein Auge blitzte wie eine Flamme durch die Spalten der Thüre.

Auf einmal zog Phöbus mit heftiger Bewegung das Busentuch von den Schultern der Zigeunerin. Das arme Kind, welches bleich und nachdenkend geblieben war, erwachte wie aus einem Traume; sie entfernte sich hastig von dem unternehmenden Offiziere, warf einen Blick auf ihren Busen und die entblößten Schultern, und kreuzte roth, verwirrt und stumm vor Scham ihre beiden Arme über der Brust, um sie zu bedecken. Stumm und bewegungslos, wie sie war, und ohne die Röthe, welche auf ihren Wangen flammte, hätte man sie für eine Bildsäule der Schamhaftigkeit halten können. Ihre Augen blieben am Boden geheftet.

Die Zudringlichkeit des Hauptmanns hatte zugleich das geheimnisvolle Amulet entblößt, das sie um den Hals trug.

»Was ist das?« fragte er, diesen Vorwand ergreifend, um sich dem schönen Geschöpfe, das er soeben verscheucht hatte, wieder zu nähern.

»Rühret nicht daran!« entgegnete sie lebhaft, »es ist mein Beschützer. Es wird mich meine Familie wiederfinden lassen, wenn ich dessen würdig bleibe. Ach! laßt mich in Frieden, Herr Hauptmann! Meine Mutter! meine arme Mutter! Meine Mutter, wo bist du? Komm mir zu Hilfe! Gnade, Herr Phöbus! gebt mir mein Busentuch wieder!«

Phöbus trat zurück und sagte mit kaltem Tone:

»O, Jungfer! nun sehe ich wohl, daß Ihr mich nicht liebt!«

»Ich ihn nicht lieben!« rief das arme unglückliche Kind, und zu gleicher Zeit hing sie sich an den Hauptmann, welchen sie neben sich niederzog. »Ich dich nicht lieben, mein Phöbus! Was sprichst du da, böser Mann, um mir das Herz zu zerreißen? Ach! komm! nimm mich hin, nimm alles! Mache mit mir, was du willst, ich bin dein. Was mache ich mir aus dem Amulete? was aus meiner Mutter? Du bist meine Mutter, da ich dich ja liebe! Phöbus, mein heißgeliebter Phöbus, siehst du mich? Ich bin es, sieh mich an; es ist jene Kleine, welche du doch nicht von dir stoßen wirst; die da kommt, die selbst kommt, um dich zu suchen. Meine Seele, mein Leben, mein Leib, meine Person, – alles das ist ein Ding, das dir gehört, mein Hauptmann. Gut denn, nein! heirathen wir uns nicht; es ist dir zuwider; und dann, was bin ich denn, ich? Ein elendes Mädchen aus dem Rinnsteine, während daß du, mein Phöbus, ein Edelmann bist. Wahrhaftig, es wäre spaßhaft! eine Tänzerin einen Offizier heirathen! – Ich war thöricht. Nein, Phöbus, nein; ich will deine Geliebte sein, dein Zeitvertreib, dein Vergnügen, wann du es wünschest; ein Mädchen, das dir gehören will. Ich bin nur dazu geschaffen, beschimpft, verachtet, entehrt zu werden: aber was thut's? wenn ich geliebt bin! Ich will die stolzeste und die glücklichste aller Frauen sein. Und wenn ich alt oder häßlich werde, Phöbus, wenn ich nicht mehr gut bin, deine Liebe zu genießen, gnädiger Herr: dann werdet Ihr mich noch um Euch dulden, um Euch zu dienen. Andere werden Euch dann Schärpen sticken; ich, die Magd, will dafür Sorge tragen. Ihr werdet mir erlauben, Eure Sporen zu putzen, Euren Waffenrock zu bürsten, Eure Reiterstiefeln vom Staube zu reinigen. Nicht wahr, mein Phöbus, Ihr werdet dieses Mitleid für mich haben? Bis dahin nimm mich hin! Siehst du, Phöbus, alles das gehört dir, liebe mich nur! Wir Zigeunerinnen, wir bedürfen nichts als dessen: Luft und Liebe.«

Bei diesen Worten schlang sie ihre Arme um den Hals des Offiziers; sie blickte ihn von oben bis unten an, flehend und mit einem süßen, ganz in Thränen erstickten Lächeln. Ihr zarter Busen drängte sich an das Tuchwamms und die scharfen Stickereien. Sie wand ihren schönen, halbnackten Leib auf seinen Knien. Der berauschte Hauptmann drückte seine glühenden Lippen auf diese schönen afrikanischen Schultern. Das junge Mädchen bebte, die Augen zur Decke erhoben, nach hinten übergesunken und am ganzen Leibe zitternd, unter seinem Kusse.

Auf einmal sah sie über Phöbus' Kopfe einen andern Kopf: ein fahles, gelbes, verzerrtes Gesicht mit dem Blicke eines Verdammten; bei diesem Gesichte zeigte sich eine Hand, welche einen Dolch hielt. Es war das Gesicht und die Hand des Priesters; er hatte die Thüre erbrochen und war da. Phöbus konnte ihn nicht sehen. Das junge Mädchen war regungslos, erstarrt, sprachlos bei der furchtbaren Erscheinung: wie eine Taube, welche den Kopf in dem Augenblicke erheben will, wo der Falke mit seinen starren Augen in ihr Nest schaut.

Sie konnte nicht einmal einen Schrei ausstoßen. Sie sah, wie der Dolch auf Phöbus niedersank und sich rauchend wieder hob.

»Verflucht!« stöhnte der Hauptmann und sank nieder.

Sie fiel in Ohnmacht.

In dem Augenblicke, wo ihre Augen sich schlossen, wo jede Empfindung in ihr hinschwand, glaubte sie zu empfinden, daß ein feuriger Druck, ein glühenderer Kuß, als das rothe Eisen des Henkers, sich auf ihre Lippen preßte.

Als sie ihre Besinnung wieder gewann, war sie von Soldaten der Wache umgeben; man trug den Hauptmann in seinem Blute schwimmend davon; der Priester war verschwunden; das Fenster im Hintergrunde des Zimmers, welches auf den Fluß hinausging, stand ganz weit offen; man hob einen Mantel auf, welcher, wie man vermuthete, dem Offizier gehörte, und sie vernahm die Worte um sich her:

»Das ist eine Hexe, die einen Hauptmann erdolcht hat.«


 << zurück weiter >>