Ricarda Huch
Der Kampf um Rom
Ricarda Huch

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In einer rauchigen Schenke von Misilmeri saßen Garibaldiner an mehreren Tischen und plauderten beim Wein über die zurückgelegten Märsche und die bevorstehenden Ereignisse. Man wußte noch nicht, was geschehen sollte: einige glaubten, es gehe nach Castrogiovanni, einem Orte, der ungefähr in der Mitte der Insel lag, wo die sizilianischen Insurgenten erst kriegstüchtig gemacht werden sollten, bevor man Palermo angreife, andre hofften und glaubten, es gelte dennoch sogleich der Hauptstadt. Ein junger Venezianer sprach den Wunsch aus, daß es erst ins Innere gehe: Palermo sei eine Mäusefalle, sagte er, die Orangenwälder, die sie umgäben, wohlriechender Speck; man gelange vielleicht hinein, aber dort würden einem hundert Eisen den Pelz durchdringen, es sei besser, sich vorher gründlich zu rüsten. Während er mit gutem Humor, seinen heimischen Dialekt redend, ausmalte, wie die Maus, nämlich er selbst, teils gespießt, teils ersäuft zappeln, quieken und sich gebärden 150 würde, und die Kameraden lachten, sprang plötzlich Nino Bixio auf, der allein, böse vor sich hinstarrend, in einer Ecke gesessen hatte, trat blitzschnell an den Tisch, wo das Gespräch geführt wurde, und gebot augenblickliches Stillschweigen; die Maßnahmen des Generals dürften nicht begutachtet, Befürchtungen, die geeignet wären, entmutigend zu wirken, nicht ausgesprochen werden. Die jungen Leute blickten erschrocken, doch mehr gekränkt als eingeschüchtert, auf den berühmten Anführer; der Venezianer unterdrückte mühsam eine unbotmäßige Antwort und sagte, indem er sich sichtlich anstrengte, ruhig und achtungsvoll zu sprechen, er werde sich wie jeder andre den Beschlüssen des Generals stillschweigend und ohne jede Kritik, die ihm nicht zustehe, unterwerfen, er habe gewisse Befürchtungen in scherzhaft übertriebener Weise geäußert in der Meinung, daß dies, zumal in kleinem Kreise, erlaubt sei. Nein, es sei nicht erlaubt, rief Bixio unbegütigt, es sei nicht Zeit zu scherzen. Wer Garibaldi nach Sizilien gefolgt sei, dürfe nicht fürchten, nicht zweifeln, nicht zaudern, müsse den Tod als etwas Wünschenswertes ansehen und nichts andres wollen als schlagen und siegen oder sterben. Mit Gesinnungen, wie der Venezianer geäußert habe, nehme man Palermo nicht ein, Palermo müsse aber genommen werden. »Antwortet mir nicht,« fuhr er noch heftiger auf, als es ihm schien, daß einer der jungen Leute dazu Miene machte. »Wenn Palermo unser ist, fordert mich. Aber bis Palermo unser ist, habt ihr keine Meinung als zu gehorchen und keine Ehre als zu sterben.« Seine feinen Nasenflügel zitterten und seine Stirn war dunkelrot geworden; er blieb noch eine Weile stehen, und als er sich überzeugt hatte, daß alle schwiegen, drehte er sich kurz um und verließ die Schenke. Da einer losbrechen wollte, das dürfe man sich nicht gefallen lassen, sagte der Venezianer, der 151 eigentlich betroffen war, jener solle still sein, künftig werde er leiser sprechen, wenn er etwas Reglementswidriges zu sagen habe. Er sei überzeugt, Bixio werde ihn gelegentlich um Entschuldigung bitten, diese fliegende Wut habe er nun einmal, dafür sei er der beste Heerführer nächst Garibaldi, man müsse ihm etwas zugute halten. Fürchteten ihn seine Untergebenen, so bewunderten sie ihn doch nicht minder. Er leiste noch mehr, als er von andern fordere, er selbst sei nie müde, nie verrate seine Haltung oder sein Blick Erschöpfung; wie er sich im Sattel höbe, wie er den Arm führte, wie er den Blick wendete, immer schiene es, als ob von seinem Kopfe Blitze ausgingen und seine Bewegungen vollzögen.

Garibaldi lagerte vor der Stadt unter einem Zelte mit seinen Freunden Basso, Nuvolari und dem Pfarrer Gusmaroli von Mantua, einem schönen weißhaarigen Alten, der es gern hörte, wenn man ihm sagte, daß er dem Diktator ähnlich sehe; sein Sohn Menotti und dessen Freund Giorgio Manin, der Sohn des verstorbenen Daniele, der 1848 Präsident der venezianischen Republik und der Liebling seines Volkes gewesen war, beide leicht verwundet, plauderten abseits. Einige Engländer, deren Schiffe im Hafen von Palermo lagen und die begierig waren, den großen italienischen Admiral und Condottiere und die Tausend, mit denen er seine Zauber wirkte, zu sehen, wurden von ihm empfangen und zeigten ihm einen Plan der Stadt Palermo, in welchem sie die Stellungen der bourbonischen Armee für ihn bezeichnet hatten. Garibaldi unterhielt sich mit ihnen in englischer Sprache, die ihm geläufig war, betrachtete den Plan angelegentlich und ließ sich Erklärungen dazu geben. Nachdem das Gespräch beendet war, mischten sie sich unter die Tausend, die in Gruppen rings umher lagerten, entwarfen Skizzen von den 152 Erscheinungen, die ihnen auffielen, und nahmen Briefe zur Beförderung in Empfang, die ihnen von allen Seiten zugetragen wurden; von den Italienern kauerten viele auf der Erde und schrieben eifrig, einen Stein oder einen Rucksack als Unterlage benutzend. Weiterhin waren die Hügel bedeckt von den sizilianischen Rebellenscharen, die La Masa im Auftrage des Diktators in den Bergen von Gibilrossa gesammelt hatte. Es waren etwa 2500 Mann, verschieden und ganz beliebig gekleidet, unter denen besonders die Anführer, meist adlige Besitzer großer Güter, durch eine wunderliche Tracht auffielen.

Inzwischen berief Garibaldi die Offiziere seines Stabes, diejenigen, die die acht Kompagnien der Tausend anführten, und die Hauptleute der sizilianischen Guerillascharen zu einem Kriegsrat. Es sei nicht seine Gewohnheit, sagte er, als sie versammelt waren, Rat zu halten; aber es handle sich jetzt um eine Sache, die das Schicksal Siziliens, vielleicht das Schicksal Italiens entscheide; so wolle er denn nicht handeln, bevor er die Meinung seiner Offiziere vernommen habe. Dann erklärte er kurz die Lage: daß sie am folgenden Tage Palermo angreifen könnten; daß die Umstände verhältnismäßig günstig seien, da es gelungen sei, einen Teil der bourbonischen Armee aus der Stadt zu entfernen und den Feind über Absichten und Aufenthalt irrezuführen; daß sie sich anderseits ins Innere der Insel zurückziehen, dort Verstärkungen aus Genua erwarten und die kriegsuntüchtigen Scharen der Aufständischen vorbereiten könnten. Zum Schlusse bat er die Offiziere, ihre Meinung kurz zu äußern, da keine Zeit zu verlieren sei. Er selbst halte für das beste, morgen Palermo anzugreifen.

Die beiden Ungarn Tuköry und Türr unterstützten Garibaldis Vorschlag, ebenso Bixio mit drohender Heftigkeit: ein Rückzug jetzt sei ein Aufgeben des 153 großartig Begonnenen und Gewonnenen, augenblicklicher Sturm auf Palermo sei nicht nur ratsam, sondern notwendig. Dem entgegnete Sirtori ruhig, er teile diese Ansicht nicht, man setze vielmehr durch augenblicklichen Angriff das großartig Begonnene und Gewonnene aufs Spiel. Er sprach von dem Unterschied zwischen einer Schlacht im offenen Lande und dem Angriff auf eine große, unbekannte Stadt, die von Soldaten beherrscht sei. So gut wie Kühnheit sei Vorsicht zur rechten Zeit am Platze. Besser sei ein sicherer Gewinn später als ein unsicheres Wagen, das vielleicht einen wunderähnlichen Erfolg hätte, vielleicht alles verdürbe. Einige der sizilianischen Anführer schlossen sich den Worten Sirtoris an, wobei sie besonders die mangelhafte Disziplin und Brauchbarkeit ihrer Truppen hervorhoben. Bixio war es anzusehen, daß er ihnen die Worte in der Kehle zu ersticken wünschte; aber Garibaldis Anwesenheit hielt ihn im Zaum. Indessen stimmte die Mehrzahl der Offiziere mit dem Diktator, dessen Vorschlag dadurch angenommen war. »Ich glaube,« sagte Garibaldi mit einem Lächeln gegen Nino Bixio, »unser Sirtori kann sich glücklich schätzen, daß wir gesiegt haben.« Bixio antwortete errötend: »Wenn wir Palermo haben, will ich mich bessern.« »Ich fürchte,« sagte Garibaldi, indem er den Kopf schüttelte, »es wird immer noch einen unbefreiten Winkel in Italien geben, der dich daran verhindert.«

Nachdem noch über den einzuschlagenden Weg beratschlagt und beschlossen war, wobei der General sich der Ansicht der Sizilianer fügte, die von der seinigen etwas abwich, suchte er nach seiner Gewohnheit den höchsten Punkt der Umgegend auf, um sich den Schauplatz des bevorstehenden Kampfes einzuprägen. Es war eine steile Anhöhe, deren Fuß bebaut war, während oben auf dem nackten Felsboden nur die 154 Opuntie oder indische Feige gedieh. Unterhalb des Gipfels, wo der Ausblick auf die Fluren und Gärten, in deren Pracht Palermo eingesenkt ist, sich auftat, saß ein Mönch, der, als Garibaldi an ihm vorüberging, die Augen mit einem müden und traurigen, eigentümlichen anteillosen Ausdruck auf ihm ruhen ließ. Garibaldi, dem dieser Blick und das sanfte, leidende Gesicht des alten Mannes auffiel, fragte ihn, stehenbleibend, wer er sei und ob man etwas für ihn tun könne. Der Mönch schüttelte den Kopf und sagte, daß er ein Mönch aus dem Kloster der Dreifaltigkeit sei, das am Abhang dieses Berges liege, und nichts bedürfe; doch möge der Fremde ihm sagen, ob er zu dem Heer jenes Garibaldi gehöre, der nach Sizilien gekommen sei, um die Bourbonen zu vertreiben. Er sei jener Garibaldi, antwortete der Diktator, wenn der Mönch sich ihm anschließen wolle, solle er willkommen sein. Dieser machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung, betrachtete aber den General mit etwas mehr Aufmerksamkeit als vorher, und Garibaldi sah nun, daß er keineswegs alt war, sondern nur infolge des eingefallenen Gesichtes, der gelben Farbe und des müden Ausdrucks so erschien. Ob er denn sein Vaterland nicht liebe? fragte Garibaldi; ob er es nicht frei und glücklich sehen möchte? Das, antwortete der Mönch, würde es nicht mehr unter Viktor Emanuel als unter den Bourbonen sein. Ebenso durch die wehmütige Bitterkeit in Ton und Miene des Mannes wie durch seine Worte betroffen, fragte Garibaldi, wie er das meine. Der Mönch sagte: »Seht die Opuntien dort am Felsen, der keinen Halm und keine Distel mehr nährt: sie allein, das Staub und Erde fressende Tier, hält aus und befruchtet noch den grausamen Boden, indem ihre Blätter abfallen und vermodern. Vermag er dann andre Pflanzen zu tragen, so muß sie weichen und in andre Einöden 155 auswandern. Ihr gleicht der sizilianische Bauer, der die Fluren der reichsten Erde bebaut und kein Brot hat. Ihm Dienst, Arbeit, Entsagung, Krankheit, Hunger und früher Tod, seinen Herren Besitz, Genuß und Ehre. Mögen seine Herren sich wählen, welchen König sie wollen, sein Schicksal ist zu tief unten, als daß der veränderte Gang einer Wolke es berührte. Die großen Herren, die Euch gerufen haben und Euch helfen, die Ihr rühmt und die Euer König belohnen wird, sind seine Tyrannen und werden ihn nach wie vor mit Erde speisen und die Erde mit seinem Fleische düngen. Ich glaube, wir Mönche tun mehr für unsre armen Brüder, wenn wir hier bleiben und die Verhungernden mit einem Stück Brot erquicken, als wenn wir um die Freiheit derer kämpfen, die das Volk zu Sklaven gemacht haben.«

Garibaldi schwieg eine lange Weile; dann sagte er: »Ein guter König liebt sein ganzes Volk und die Unglücklichen und Verlassenen am meisten, und das nenne ich keine Freiheit, die nicht allen zugute kommt.« Er versuchte dem Mönch begreiflich zu machen, wie er sich die Entwicklung Italiens vorstellte; indessen schloß er damit, daß er ihm zugebe, er könne mit Werken der Mildtätigkeit seinem armen Volke ebenso nützlich sein, wie ein andrer im Kriege. Wenn viele Geistliche wie er dächten, so möchte wohl das Elend nicht so groß geworden sein. Im Weitergehen fiel er so tief in Gedanken, daß er von dem schmalen Pfade mehrmals abkam. Er dachte an die hageren, in schwarze Fetzen gekleideten bettelnden Frauen, die er auf seinem Zuge durch die Dörfer Siziliens gesehen hatte, hexenhafte Gestalten, ebensoviel Abscheu wie Mitleid erregend; an Frauen, die Greisinnen zu sein schienen und Säuglinge an der Brust hielten, an Männer mit hohlen, fieberverzehrten Gesichtern, und an andre, Hirten in einsamer Bergwildnis, mit 156 wölfischem Blick und stammelnder Sprache, als ob sie gewohnt wären, nur in wilden Lauten sich zu verständigen. Er dachte, wie diese Menschen sollten anders werden können, und ob jemals andre hier gelebt hätten? Sein Blick überflog die Kornfelder, die breite Hügel wie die seidene Mähne eines schönen Tieres golden bedeckten, die alabastergrauen Wälder der Olive, die Wälder der Orangen, der Zitronen und Mandeln, diesen Ueberfluß einer Erde, die ihre Kinder nicht nährte. Die ungeheure, mit Gras bedeckte Steppe fiel ihm ein, die Rom umgab, auf die er oft vom Janiculus trauernd heruntergesehen hatte, durch die verwilderte Bauern die Herden der Fürsten trieben, deren Paläste und Gärten der Fremde bewundert. Es hatte nur einmal in den ersten Zeiten der römischen Republik freie, besitzende Bauern auf italischer Erde gegeben; würde Viktor Emanuel diese glückliche Vergangenheit wiederbringen?

Er hatte vergessen, warum er den Berg bestiegen hatte, und als es ihm einfiel, wurde es ihm schwer, seinen Geist von den Gedanken zu befreien, die ihn mit Schatten füllten; doch gelang es ihm. Alle die Männer, die ihr Leben an Italiens Freiheit wagten, und Viktor Emanuel zählte zu ihnen, liebten ihr Volk, und ihrer aller gemeinsame Arbeit, sagte er sich, mußte das Unrecht und die Schwäche der Jahrhunderte hinwegräumen und Platz für einen ursprünglichen Zustand schaffen können, wenn nur erst die blutaussaugenden Fremdlinge und Pfaffen entfernt wären. In sich selbst fühlte er das unbegrenzte Vermögen eines fest auf ein Ziel gerichteten Willens, und ein solcher sollte bald ganz Italien beseelen. In wiedergewonnener Zuversicht richtete er seinen Blick auf Palermo, das wie aus dem Füllhorn eines Gottes ergossen glühend zwischen Bergen und Meer ruhte. Berauscht von überschwenglichen Wohlgerüchen der 157 Bäume, Blumen und Früchte schien die Sonne im Begriff, sich in Feuerströmen bis auf den letzten Tropfen herabzustürzen, das Paradies der Erde mit den Himmeln vertauschend. Garibaldis Blick hing fest und prüfend über der Stadt; unsichtbar über ihr kreisend umfaßte er sie und siegelte sie zu seinem Eigentum.

Als Garibaldi auf dem Rückwege an der Stelle vorbeikam, wo der Mönch gesessen hatte, kam ihm das vergilbte, kluge und müde Gesicht desselben wieder in den Sinn und er sah sich nach ihm um; aber er war nicht mehr dort. Unter den Soldaten hatte die Kunde, daß am folgenden Tage der Sturm auf Palermo unternommen werden sollte, eine frohe Stimmung erregt, wie wenn der Vorabend eines Festes wäre. Ehe die Sonne aufging, wurde aufgebrochen, nachdem die Offiziere den Soldaten empfohlen hatten, soviel wie möglich jedes Geräusch zu vermeiden. Vor den Augen der bewegten Männer, die nicht wußten, ob sie das Ende des Tages sehen würden, hoben sich die Häupter der Berge, der Pinien und Palmen wie Meeresinseln in das Rosenlicht des ätherischen Morgens.

*

Am Abend des sechsundzwanzigsten Mai erzählte in einer kleinen Osteria in Palermo ein Mönch von der Schlacht bei Calatafimi, bei der er mitkämpfend zugegen gewesen sein wollte. Unter dem Schutze seines Gewandes war er in die streng bewachte Stadt gekommen und verbreitete in den Wirtshäusern die Kunde der staunenerregenden Ereignisse, die die Regierung geheimhielt oder entstellt berichtete, wofür er reichlich Bewirtung und Lohn erhielt. Er beschrieb die Heeresmassen der Bourbonen, wie sie die Anhöhe von Calatafimi gleich einem Walde bedeckten, durch den dann und wann ihr Ruf: Evviva il re! wie dumpfes 158 Rauschen ging. Dann die Garibaldiner: Jünglinge mit blondem, flaumigem Haar und mädchenhaft lächelnden Lippen; Männergestalten wie Pinien, die einsam auf hoher Bergkante unter Sturm und Sonne stehen, Greise wie Felsen, die in der Morgenröte glühen; er beschrieb Nino Bixios Falkengesicht, dessen Umriß vom Blitze gezogen schien, und die Riesenkraft des Fahnenträgers Schiaffino, über dessen Leichnam Damiani, herrlich in Schlankheit und Jugend, mit dem Feinde um den glorreichen Fetzen rang, der Italien bedeutete. Er schilderte, wie die Tausend eine Terrasse nach der andern erklommen, während ihr Blut zurück ins Tal strömte, auf jeder der Wut der feindlichen Geschosse näher, Garibaldi mitten unter ihnen, das Schwert in der Hand, mit den bezaubernden Augen tötend und siegend. Vor ihm her schwebte der gekreuzigte Erlöser, von einem Mönch getragen, hinter ihm, durch Rauch und Staub verhüllt, ein götterhaftes Weib, gekrönt, die Füße in Blut, das Haupt im Gewölk. War es Italien? War es die Revolution? Er erzählte von der Tapferkeit der Bourbonen, von ihrer Entmutigung, von ihrem Schrecken und Schaudern, ihrer Flucht. Von den Toten und Verwundeten unter den himmlisch sanften Sternen, von den ermatteten Siegern, die traumlos und still wie Tote zwischen den hohen Halmen des Kornes schliefen. Von Garibaldi, der einsam sinnend an dem schwarzen Gemäuer der Sarazenenstadt vorüber dahin blickte, wo aus ferner Wildnis der silberne Tempel von Segesta tauchte, und wie sein Auge, während es an der unsterblichen Erscheinung hing, Tränen vergoß, indem er daran dachte, daß er Italiener gegen Italiener geführt und die heilige Erde mit dem Blute ihrer eignen Söhne getränkt hatte.

Die Zuhörer folgten der Erzählung gespannt, unterbrachen sie zuweilen durch lauten Ausruf, tranken 159 und füllten dem Mönche das Glas. Da nun an einem anstoßenden Tische ein Gast saß, der die freudige Erregung nicht zu teilen schien, vielmehr den erzählenden Mönch und die um ihn Gescharten mit einem Lächeln, das wohl Spott oder Schadenfreude ausdrücken konnte, betrachtete, fiel es einem jungen Manne ein, es möchte derselbe ein Spion sein, worauf ihm das Blut aufwallte, so daß er, unfähig sich zu beherrschen, dem Fremden eine Drohung zurief, falls er nicht aufhöre, ihn frech anzusehen. Der Mann antwortete ruhig, er sähe nicht ihn an, sondern das hübsche Mädchen an seiner Seite. »Schau eine Kröte an, um die es nicht schade ist!« rief der Bursche zornig aufspringend; womit er andeuten wollte, daß jener den bösen Blick habe. »Ich weiß nicht, ob es um einen von euch schade ist,« entgegnete der andre kühl. Jetzt zog der junge Bursche sein Messer und die andern drängten sich um ihn, während der Fremde ihn durch sein hämisches Lächeln und seine scheinbare Gemütsruhe noch mehr herausforderte. Als indessen das schöne Mädchen ihm mit einem Blick der Verachtung das Wort Spion zuschleuderte, fuhr die Wut unversteckt auch aus seinen Augen; er sprang plötzlich auf seinen Gegner zu und suchte ihn durch den unvorhergesehenen Anprall zu Boden zu werfen. Während die beiden miteinander rangen und unter wachsendem Lärm auch andre Partei nahmen, drangen Polizeisoldaten ein, bemächtigten sich nach Gutdünken mehrerer Streitenden und trieben sie ins Gefängnis; der Mönch hatte sich schon vorher davongemacht. Man zweifelte jetzt nicht mehr, daß der Fremde, der gleichfalls weggeführt wurde und sich nicht ohne Widerstand die Hände hatte fesseln lassen, ein Spion sei. Das schöne Mädchen, das weinend dem Zuge folgte, überschüttete abwechselnd ihn mit Beleidigungen und den jungen Mann, der den Kampf veranlaßt hatte, 160 mit liebkosenden Worten des Trostes, indes die Polizisten sie schimpfend und drohend zu verscheuchen suchten.

Die kleine Osteria grenzte an die Rückseite eines Palastes, der von einem großen Garten umgeben war, in dem Beete voll weißer Lilien blühten; sie ragten aufrecht wie Schwerter mit schimmerndem Griff, für eine geheimnisvolle Heerschar aus der Erde gewachsen, und durchdufteten die warme Nacht weithin. Der Graf und die Gräfin Castroforte, denen der Palast gehörte und die noch wach waren und das Geschrei hörten, schickten einen Diener hinaus mit dem Auftrage, die Ursache desselben zu erforschen. Der Diener berichtete, in der benachbarten Osteria habe ein Mönch von der großen Schlacht bei Calatafimi erzählt, die er mitgemacht haben wollte, und viele Zuhörer um sich versammelt, die von der Polizei betroffen und fortgeführt seien; man vermute, daß der Mönch ein Spion gewesen sei und die Gesinnungen der Leute habe herauslocken wollen, jedenfalls sei er vor dem Eindringen der Häscher verschwunden; doch sei der Zusammenhang nicht festgestellt. Die Erwähnung der Schlacht versetzte den Grafen und die Gräfin in Aufregung; sie beklagten, daß sie den Mönch nicht hatten sprechen und ausfragen können, und erwogen allerlei Möglichkeiten. Dann hingen beide ihren Gedanken nach, er im Hintergrunde des Zimmers auf einen Diwan ausgestreckt, sie am offenen Fenster mit heißen Augen in die Dunkelheit blickend. »Es ist ein fernes Gewitter,« sagte der Graf, als ein leises Rollen durch die Nacht lief. Die Gräfin beugte sich weit aus dem Fenster und flüsterte, die Hand aufs Herz gepreßt. »Es ist Garibaldi!« Der Graf stand auf, stellte sich zu ihr und sagte, der Himmel sei freilich klar, es möchte ein Wagen gewesen sein; sie hätten die letzten Nächte beinahe ganz durchwacht, 161 immer der gleichen Hoffnung nachhängend, und wären nun überreizt, sie täten besser, zu Bette zu gehen. Nur eine Weile noch, sagte sie, wolle sie bleiben, und fuhr fort, schweigend hinauszuhorchen. Es war Mitternacht vorüber, als sie sich entschloß, vom Fenster wegzugehen und todmüde das Schlafzimmer aufzusuchen.

Kurze Zeit später brachen die Garibaldiner in Misilmeri auf und zogen über den Berg Belmonte in das Tal des Oreto hinunter gegen Palermo. Als die Sizilianer der ersten in die Umgebung der Stadt hineingebauten Villen ansichtig wurden und vielleicht diese selbst schon betreten zu haben glaubten, stießen sie, den erhaltenen Befehl vergessend, Jubelrufe aus, wodurch die Aufmerksamkeit der bourbonischen Vorposten erregt wurde, so daß ein Gefecht sich entspann. Nach einem ungestümen Zusammenstoß an der Admiralsbrücke und an der Porta di Termini drangen die Tausend ein und besetzten den Altmarkt, den schon die ruhmvolle Erhebung des Jahres 1848 denkwürdig gemacht hatte. In den Straßen setzte sich der Kampf heftiger fort, da inzwischen die Besatzung alarmiert war und die Soldaten herbeiströmten. Den Jubel der Garibaldiner über den errungenen Einzug dämpfte das anteillose Schweigen der Stadt, auf deren Unterstützung man gerechnet hatte; nur hier und da sah man ein ängstliches Gesicht hinter einem Fenster erscheinen. Um die Einwohner zu ermahnen und zu ermutigen, beauftragte Garibaldi Fra Pantaleo, der an seiner Seite war, in die Kirchen und Klöster zu eilen und zu bewirken, daß Sturm geläutet würde. Fra Pantaleo erinnerte den Diktator daran, daß seit dem vierten April die Schlegel aus den Glocken entfernt worden seien; diesen Befehl hatte nämlich nach jenem mißglückten Aufstand, zu dem die Glocke des Klosters La Gancia geläutet hatte, der 162 Statthalter von Palermo gegeben, indem er gesagt hatte: »Wenn die Glocken es mit den Rebellen halten, wollen wir ihnen die Zunge ausreißen,« worauf das Geläute eingestellt war. »Freund,« erwiderte Garibaldi, »so müssen die Schlegel wieder eingesetzt werden,« und Fra Giovanni begab sich ohne weitere Entgegnung in die nächste Kirche, wo er im Namen des Diktators befahl, daß unverzüglich Sturm geläutet werde. Die Geistlichen entschuldigten sich damit, daß die Schlegel aus den Glocken entfernt wären und sie selbst nicht wüßten, wo sie wären; da aber Fra Giovanni drohte, wenn es ihnen nicht augenblicklich einfiele, würde Garibaldi selbst kommen, erschraken sie und versprachen schleunigen Gehorsam. Nach einigen Minuten begann das Sturmläuten: bald tobte der eherne Aufruhr durch die Luft. Sowie die ersten Töne laut wurden, beugte sich eine Dame aus dem Fenster und schrie auf die Straße, eingedenk der erwähnten Worte des Statthalters: »Die Antwort der Glocken: Revolution!« mit so gellender Stimme, daß sie trotz des Getöses gehört und verstanden wurde. Viele wiederholten den Ruf; er klang wie Jubelgeschrei in den zunehmenden Schlachtlärm. Bald fielen aus den Kastellen Bomben in die Stadt, mit Pausen von wenigen Minuten einander folgend, in verschiedenen Quartieren Feuersbrünste entzündend. Mittlerweile waren die Menschen aus den Häusern geströmt, beteiligten sich am Kampfe und errichteten Barrikaden; mit den Schreckensrufen, die das Einschlagen der Bomben hervorrief, mischten sich begeisterte Begrüßungen Garibaldis. Brand und Blutdurst der bourbonischen Soldaten wüteten; aber die Gefahr und Todesnähe steigerten nur die Wonne des äußersten Kampfes. Man wußte, daß Garibaldi unter einer der Statuen des großen Brunnens auf der Piazza Pretoria stand und daß seine Befehle die ganze Stadt 163 durchflogen und ihn allgegenwärtig machten, und man fürchtete den Tod so wenig wie unter den Augen einer schützenden Gottheit.

Als nach dreitägigem Kampfe die Verhandlungen um einen Waffenstillstand sich daran zu zerschlagen schienen, daß der neapolitanische General eine unterwürfige Eingabe der Stadt Palermo an den König zur Bedingung machte und Garibaldi vom Balkon des Senatsgebäudes die Masse des Volkes, das den Platz erfüllte, anredete: »Ihr Männer und Frauen von Palermo! Eure Häuser brennen! Mordgierige Soldaten bedrohen euer und eurer Kinder Leben! Aber eure Herzen sind tapfer. Den Waffenstillstand, den der Feind mir unter schimpflichen Bedingungen anbot, habe ich in eurem Namen zurückgewiesen. Ich und die Meinen wir wählen mit euch Freiheit oder Tod!« da erschütterte der losbrechende Beifall der Menge, die bereit war, sich selbst zu opfern, und fähig, den eignen Abgott zu verschlingen, die Erde mit vulkanischer Kraft, so daß die an den Fenstern Zusehenden ebensosehr Schwindel und Grauen wie Lust erfaßte. Garibaldi stand still und leuchtend, wie die Sonne steht, umschwungen vom donnernden Lauf unzählbarer beherrschter Sterne.

*

Während diese rasch einander folgenden Ereignisse das Geschick Siziliens entschieden, wartete man in unbehaglicher Spannung in Genua und Turin. Cavours Hoffnung, mit dem Könige von Neapel ein Bündnis schließen zu können, wodurch die Verhältnisse Italiens vorderhand geregelt würden, verwirklichte sich nicht; denn der König wollte sich nicht zu den Reformen verstehen, die verlangt werden mußten, und zeigte überhaupt keine Neigung, mit einem vom Papste verdammten Regenten in Verbindung zu treten. Insofern als die Dinge so, wie sie waren, nicht bleiben 164 konnten, wäre eine Lösung durch das Schwert freilich erwünscht gewesen; aber was für Widerwärtigkeiten, ja was für unabsehbares Unglück konnte ein Anschlag bringen, der mißlänge! Schon zeigten sich Schwierigkeiten im diplomatischen Verkehr: Napoleon III., der längst eine Gelegenheit gewünscht hatte, um Garibaldi unschädlich zu machen, beklagte sich in der Meinung, daß die Expedition dem Kirchenstaate gelte. Cavour hatte Garibaldi ziehen lassen, weil er sich nicht hatte entschließen können, ihn gewaltsam zurückzuhalten; aber als er fort war, wollte es ihn reuen, und er dachte daran, daß er sich seiner unterwegs noch bemächtigen könnte. Er schrieb dem Admiral der sardischen Flotte, dem Grafen Persano, der sich bei Sardinien aufhielt, er solle die beiden Schiffe unter gewissen Umständen anhalten, drückte sich aber mit Absicht so ungenau aus, daß der Empfänger den Befehl so und anders auslegen konnte, damit doch dem Schicksal in dieser Sache nicht vorgegriffen würde.

Als es sich zeigte, daß Garibaldi wirklich nach Sizilien ging, beruhigte sich Cavour. Er fing an, einer gewissen Spannung Raum zu geben, ob es dem General gelingen würde, durch den Ring der neapolitanischen Flotte hindurch sein Ziel zu erreichen. Obwohl er der Ansicht war, daß Garibaldi, wenn er unterginge wie Pisacane, es verdient hätte, wünschte er es doch nicht, und im Grunde glaubte er es nicht. Nachdem die Landung bei Marsala bekannt geworden war, hielt er ein völliges Scheitern des Unternehmens nunmehr für ausgeschlossen. Das untätige Wartenmüssen war ihm unleidlich; es schien ihm, als müsse er das Künftige aus der Miene eines jeden Menschen ablesen. Zum ersten Male dachte er ernstlich an einen günstigen Ausgang der rasenden Fahrt und die Folgen, die sich daran knüpfen könnten. Wenn Garibaldi ein großer Streich gelänge? Wenn dadurch die 165 Revolution zu Macht und Herrschaft käme? Die Möglichkeit erschreckte ihn mehr, als daß sie ihn erfreute; denn gesetzt auch, daß die fabelhafte Insel Viktor Emanuel durch ein Wunder zufiele, was sollte aus Garibaldi werden? Was sollte man anfangen mit diesem Menschen, dessen Name auf allen Lippen und in allen Herzen war, der, wenn er die Stimme erhob und rief, sofort von Hunderten und Tausenden tapferer Männer umringt war, die sich selig priesen, von ihm geführt in den Tod gehen zu können? Es wäre fast besser, dachte der Graf, der unbelehrbare, unbezähmbare Mann ginge mit seinen Tausend zugrunde.

Die ersten Nachrichten von der Schlacht bei Calatafimi lauteten infolge der Ausstreuungen der neapolitanischen Regierung unsicher. Als der erste Brief Garibaldis an Bertani mit einer eingehenden Schilderung ankam, ging Medici zum Grafen Cavour, um ihm den Inhalt mitzuteilen. Der Graf hörte angelegentlich zu, stand auf, trat ans Fenster und blieb dort eine Weile stehen, während er mit den Fingern auf das Fensterbrett trommelte. »Er ist ein Teufelskerl,« sagte er endlich, indem er sich umdrehte, »ein Hexenmeister.« Dann ging er lebhaft auf und ab, blieb vor Medici stehen und sagte: »Lieber Medici, er geht einen Riesengang. Wir haben einen Helden in Italien.« Seine Augen glänzten, und der Ausdruck seines Gesichtes wurde immer zufriedener. »Solche Ereignisse,« fuhr er fort, »sind Gewitter der Geschichte. Was für ein Schauspiel für ein Volk! Sie schauen und horchen andächtig schweigend, niemand tut Einspruch, wenn der Blitz die Wolken zerreißt und Kronen spaltet. Wir Diplomaten haben es nicht so gut, wir haben den Himmel nicht über uns, aus dem die Blitze entspringen, wir sitzen am Schachbrett und tun vorsichtige Züge, und wenn wir endlich den 166 Gegner glauben überlistet zu haben, sind vielleicht die Zuschauer müde geworden und schmeißen das Brett samt den Figuren zusammen. Es ist fein und bewundernswürdig, wenn Verstand und Ueberblick und Berechnung miteinander ringen und einer den andern zu einem einzigen unklugen Schritt verleitet oder zwingt, der ihn stürzt; aber es verschwindet als ein kleinliches Wesen vor den Machtsprüchen der Natur.« Nachdem er sich in solcher Weise ausgesprochen hatte, sagte er zu Medici, da es nun so sei, müsse die Regierung helfen, um der Bewegung Meister zu bleiben. Er versprach jede Unterstützung an Geld und Waffen, an Freiwilligen fehle es so wie so nicht. Jetzt könne man etwas ausrichten. Dieser Sieg sei wie die Fahne, die einst die portugiesischen Konquistadoren an der neuentdeckten Küste aufpflanzten, um dadurch vom Lande Besitz zu ergreifen. Sizilien gehöre jetzt Viktor Emanuel, es handle sich noch darum, die Zugehörigkeit faktisch zu machen.

Der Minister hatte unruhige Tage. Während die Freunde der Einheit ihn bestürmten, das wunderbare Ereignis für diese auszunutzen, kamen die Vertreter des piemontesischen Adels händeringend und verlangten energische Maßregeln gegen den barbarischen Friedensbrecher Garibaldi; sie gaben zu verstehen, daß sie Cavour für einen Entarteten, für einen Jakobiner hielten, weil eine solche Gewalttat unter seiner Regierung habe geschehen können. Der Botschafter des Königs von Neapel beklagte sich bitter, daß Viktor Emanuel, mit dem sein Monarch in guten Beziehungen stehe, den räuberischen Ueberfall geduldet habe. Cavour lehnte jeden Anteil der Regierung an der Expedition und jede Verantwortung derselben ab; er habe einen Versuch gemacht, die Schiffe zu fangen, daß es vergeblich gewesen sei, werde niemand besser als der König von Neapel begreifen, da seine gesamte große 167 Flotte nicht dazu imstande gewesen sei. Die neapolitanische Regierung sei selbst schuld an diesen Exzessen, die auch ihm peinlich wären; denn die Funken, die aus einem Gebiet ausflögen, fielen zündend und verheerend in andre Länder. Sie hätten die wohlgemeinten Vorschläge Viktor Emanuels annehmen und zur rechten Zeit den berechtigten Wünschen des Volkes entgegenkommen sollen. Obwohl der Gesandte den Versicherungen Cavours durchaus keinen Glauben schenkte, mußte er sich wohl oder übel damit begnügen.

Die von Medici angeführte Expedition zur Unterstützung der Tausend hatte Genua kaum verlassen, als die Nachricht von der Eroberung Palermos eintraf, wodurch die Befürchtungen der einen und die Hoffnungen der andern Partei übertroffen wurden. Der glücklichste Mensch in Turin war der alte Giorgio Pallavicini. Gott habe ihm, sagte er, schon auf Erden die Auferstehung gewährt; durch die Nacht des Kerkers habe er ihn in den Glanz der unerhörten Erfüllungen dieser Tage geführt. Viele Helden und Märtyrer hätten gelitten und wären zugrunde gegangen um Italiens willen: Garibaldi habe die Hand ausgereckt und es gemacht. Gott habe ihn erkoren, den andern bleibe nichts, als ihn zu lieben und Gott zu danken. Er wiederholte mit kindlicher Freude, daß er sich nichts als Verdienst anrechne, als daß er die Formel: Italien und Viktor Emanuel! ins Leben gerufen und Garibaldi dafür gewonnen habe. Dem Grafen Cavour hingegen war die Freude vergangen: wie ein allzu großer Fisch, in das Netz eines Fischers geraten, es zu zerreißen und den Verlust des ganzen Fanges herbeizuführen droht, so gefahrvoll fiel dieser gigantische Sieg in das Gewebe seiner Politik. Auch der Mensch, nicht allein der Minister, konnte verdrießlich über die Hochflut und Ueberschwemmung dieses einen Namens werden. Mit wem er sprach 168 und wohin er ging, hörte er nichts als Garibaldi. Des Abends waren die Fenster beleuchtet, auf dem Platze spielte die Musik die Hymne Garibaldis, aus den Kaffeehäusern schollen die lauten Deklamationen über die Taten Garibaldis, in denen er mit Herkules verglichen wurde. Aber Herkules, hieß es, sei nur von heidnischem Ehrgeiz getrieben gewesen, Garibaldi von der Liebe zum Vaterlande. Das siegende Schwert in der Hand, beweine er die Gefallenen, Freunde und Feinde. Er brauche kein Heer, um Königreiche zu erobern; er ziehe hoch über den Menschen hin wie der Sturm. Man wähne ihn geschlagen, man wähne ihn vernichtet, er stehe siegreich vor Palermo, vor Rom. Derartige Reden wurden gehalten und in den Zeitungen wiederholt, die Cavour seufzend aus der Hand legte; denn er litt außerordentlich unter diesem Stile der Beredsamkeit und sagte zu seinen Vertrauten, daß Garibaldi ebenso verderblich für den guten Geschmack wie für die Politik wäre. Schon verbreitete sich bei Turin ein Geruch von Revolution: die Republikaner jubelten laut, als ob es sich um einen Sieg ihrer Sache handle. Bertani, der als unbedingter Republikaner bekannt war, trat in Genua, von Garibaldi durch eine förmliche Vollmacht dazu berechtigt, als sein Vertreter auf: er nahm Geld auf, warb Freiwillige und rüstete wie irgend ein Souverän, als gäbe es keinen König, und das schien bei weitem unerträglicher als die Diktatur des Löwen, der unwillkürlich mit einem andern Maß als andre Menschen gemessen wurde. Dachte Cavour daran, daß ebenso eigenmächtig wie Bertani auf dem Festlande, der ihm gleichgesinnte, doch noch energischere Crispi in Sizilien vorging, so schien es ihm unmöglich, in Turin zu bleiben und zuzusehen. Es peinigte ihn, daß er Sizilien nicht kannte und sich deshalb unzulänglich fühlte, selbst schnell und nachdrücklich in die dortigen 169 Verhältnisse einzugreifen. Die sizilianischen Emigranten, die durch die jüngsten Ereignisse leidenschaftlich erregt waren, mischten in ihren Jubel die eifersüchtige Besorgnis, wie die Lage ihrer Heimat ohne ihr Zutun gestaltet werden würde. Sie trauten Garibaldi nicht ganz und haßten Crispi, sein schroffes republikanisches Bekenntnis und seine Art, sich stillschweigend über seine Gegner hinwegsetzend, nach eigner Willkür zu handeln. Sie erhoben ein Geschrei über die Gefahr, der ihr Vaterland, ja ganz Italien ausgesetzt sei, nämlich des Umsturzes, der Herrschaft der Schlechten, der Anarchie. In einer Versammlung beschlossen sie die Vereinigung Siziliens mit Piemont und gingen Cavour an, Vorkehrungen zu treffen, daß dieselbe schleunig vollzogen werde, bevor die Republikaner sich einnisten könnten. La Farina erklärte sich bereit, sofort nach Palermo zu reisen, die Verhältnisse zu studieren, Garibaldi zu überwachen und den Anschluß zu betreiben; ihn verzehrte der Gram, daß die Befreiung seiner Heimat ohne ihn vorgegangen war, und die Ungeduld, das Unterlassene nachzuholen und etwas ganz Besonderes, alles bisher Geschehene Verdunkelndes zu unternehmen.

Cavour gab La Farina den ersehnten Auftrag mit nicht ganz freiem Gemüte, doch sagte er sich, daß es notwendig sei. Zwar hatte Garibaldi wieder und wieder Italien unter Viktor Emanuel proklamiert, und er kannte ihn nicht anders als einen Mann, dem das Lügen eine fremde Sprache war und nicht erlernbare; aber die Menschen, die ihn umgaben und von denen viele Anhänger Mazzinis waren, beeinträchtigten in den Augen vieler seine an ihm selbst unantastbare Zuverlässigkeit. Mazzini haßte der Graf schlechtweg; er sah in ihm einen aufgeregten und aufregenden Menschen, einen Schwärmer, der noch dazu hochmütig, selbstgefällig und eigensinnig wäre. Der 170 Sinn für das republikanische Ideal fehlte ihm so sehr, daß es eigentlich für ihn nicht in Frage kam; im Grunde ärgerte es ihn, daß er sich mit solchen Hirngespinsten überhaupt befassen mußte. Doch da verlautete, daß Mazzini willens sei, nach Sizilien zu eilen, glaubte er das verhindern zu müssen; denn der Genuese konnte keinen andern Zweck haben, als dort sein Utopien unter dem Schutze Garibaldis, der einst seiner Sekte angehört hatte, zu verwirklichen. Er ließ es sich angelegen sein, in Erfahrung zu bringen, mit welchem Schiff Mazzini reisen wollte, damit er ihn rechtzeitig festnehmen könnte, auf die Gefahr hin, daß er Garibaldi durch eine so gewaltsame Maßregel beleidigte.

*

An dem Tage, als Garibaldi nach mehrmaligen Waffenstillständen einen Vertrag mit dem neapolitanischen General abschloß, in dem der König sich verpflichtete, seine Truppen aus Palermo zurückzuziehen, traf La Farina auf einem Schiffe des Admirals Persano, unter dessen persönlichen Schutz Cavour ihn gestellt hatte, dort ein. Graf Persano, den Cavour angewiesen hatte, aufzumerken, ob Garibaldi irgendwie von seinem erklärten Programm, Italien unter Viktor Emanuel, abweichen würde und, wenn es nötig schiene, seine Offiziere zu beeinflussen, hatte sich darauf vorbereitet, als ein unwillkommener Aufpasser mit Mißtrauen aufgenommen zu werden, und war überrascht von der Herzlichkeit, mit der der Diktator ihm entgegenkam. Er sehe in ihm, sagte Garibaldi, gleichsam einen Vertreter des Königs Viktor Emanuel, dessen Einverständnis mit ihm durch des Admirals Anwesenheit dem Volke klar dargetan werde. Als ein Mann, der, ohne ein eigentliches Talent zum Feldherrn zu haben, an geselligen Liebenswürdigkeiten reich war und ganz besonders an hervorragenden oder 171 sympathischen menschlichen Erscheinungen die Freude eines Feinschmeckers hatte, fühlte sich Persano sogleich zu Garibaldi hingezogen, und die warme und achtungsvolle Höflichkeit, die er ihm in jedem Falle gezeigt haben würde, entsprach seinem Gefühl. Er war bei sich überzeugt, daß Garibaldi ohne Wanken die Rechte des Königs wahren würde, und daß die Vorsicht und Befürchtungen Cavours überflüssig wären, doch beschloß er, seinem Auftrage gemäß auf der Hut zu sein und die Schritte des Diktators genau zu überwachen. La Farina sogleich zu empfangen, weigerte sich Garibaldi; sie seien keine Freunde, sagte er, so daß es sie drängte, sich wiederzusehen, sie könnten warten; ein Amt oder einen Auftrag habe La Farina, so viel er wisse, bei ihm nicht, seine Zeit sei durch so viele und so wichtige Dinge in Anspruch genommen, daß Tag und Nacht nicht ausreichten, allem zu genügen. Wirklich war der Diktator in den ersten Tagen von Besuchern und Bittstellern umlagert. Es kamen Herren, meistens in Kleidung und Auftreten elegante, die mit Hinweis auf ihre Taten und Opfer in vergangenen Jahren oder auf in der Verbannung ausgestandene Leiden Anspruch auf Anstellungen erhoben, Frauen, die, weil Männer oder Söhne in patriotischen Kämpfen gefallen seien, um eine Pension nachsuchten, dann auch solche, die gewisse Inhaber guter Stellen als Verräter oder Gesinnungslose zu verdächtigen suchten. »Und auf dieses Gesindel,« sagte Persano, »scheint alle Tage dasselbe lächelnde und leuchtende Gesicht, das ich jetzt anzusehen das Glück habe?« »Es scheinen jetzt auf sie,« sagte Garibaldi, »die feurigen Augen meiner Braven, aus denen ich eine Kommission gebildet habe, die Gesuche zu begutachten, die, wie ich fürchte, zuweilen ungeduldiger und ärgerlicher funkeln werden, als die Gerechtigkeit wollte.« Ihm selbst, sagte er, mißfiele es zwar, Verdienste um 172 das Vaterland, wenn solche selbst wirklich beständen, zu persönlichem Vorteil ausnutzen zu wollen, und auch die Art dieser Leute, die oft zugleich zudringlich und unterwürfig, wortreich und hinterhältig wären, habe ihn fremdartig berührt. Nichtsdestoweniger gebe es unter diesem Gesindel viel gute Menschen, und dafür, daß einige es nicht wären, müsse man die Verhältnisse verantwortlich machen. Elend, Kampf um das Notwendigste, Unterdrückung und Furcht, die zu Verstellung verleite, entstellten das ursprüngliche Bild eines Volkes; an Italien, namentlich an Neapel und Sizilien, sei lange schwer gesündigt worden. Er hoffe jedoch, fuhr er lebhafter fort, die Spuren der Mißwirtschaft in weit kürzerer Zeit, als sie gewährt habe, verwischen zu können. Es wäre die Art der Menschen, durch böses Beispiel und Verführung allmählich zu sinken, sich auf den Wink eines guten Willens rasch zu erheben. Wenn die Umstände ihm eine Weile Zeit ließen, so hoffe er, den Grund wenigstens zu einem neuen, gesunden Leben des sizilianischen Volkes legen zu können.

Graf Persano glaubte dies durchaus nicht; aber er verschwieg seine Zweifel an der Besserungsfähigkeit des menschlichen Geschlechtes, um das schöne Heldengesicht, in dem das stolze Vertrauen in die eigne Kraft und die unvertilgbare Güte aller Wesen sich spiegelte, ungetrübt zu genießen. Er war neugierig, wie lange die Honigwochen der Verbindung zwischen der dankbaren Stadt und ihrem Befreier dauern würden, deren Ergebnis zunächst lauter Eintracht, Liebe und Hoffnung zu sein schien; wie eine durch die Schrecknisse des Todes hindurchgegangene, in ein neues, unverwesliches Fleisch gekleidete Seele erhob sich Palermo strahlend, in den Düften seines Frühlings gebadet, aus der Verwüstung. Die Geschäfte, von denen viele seit der Verkündigung des Belagerungszustandes 173 geschlossen waren, öffneten sich, man nahm die gewohnte Arbeit wieder auf oder beteiligte sich an denen, die der Wiederherstellung des Zerstörten oder dem Schutze des Gewonnenen dienten. Glocken wurden aus Klöstern und Kirchen geführt, um zu Kanonen umgegossen zu werden; man sah auf den Plätzen die Uebungen der Soldaten, die unter Waffen blieben. Täglich verließen die königlichen Truppen die Stadt und wurden auf bereitliegenden neapolitanischen Dampfern eingeschifft, die sie nach dem Festlande führten. Einheimische Soldaten sorgten dafür, daß die Ordnung nicht gestört wurde und daß die verhaßten Häupter des gestürzten Despotismus sich ungefährdet der Rache des Volkes entziehen konnten. Wie man wegeilenden Wetterwolken nachsieht, die lange den Himmel verdunkelten, wenn schon die letzten Tropfen im Sonnenlichte blinken und der siebenfarbige Siegesbogen sich ins Unendliche spannt, folgten die Blicke den langen Reihen der abziehenden Soldaten, die die Werkzeuge eines knirschend ertragenen Druckes gewesen waren. Während diese bösen Geister verschwanden, brachten andre Schiffe Befreundete und Willkommene; denn es kamen von allen Seiten Hilfstruppen, die Freunde Italiens und Garibaldis, so der alte Rebell Nicola Fabrizi aus Malta, gesammelt hatten, und die zahlreichen Sizilianer, die von der Verbannung aus mit Sehnsucht auf eine Wendung des Geschickes ihrer Insel gewartet hatten.

Unter diesen war der angesehenste der Baron Torrearsa, dem man es hoch anrechnete, daß er allen Werbungen des Königs von Neapel unzugänglich geblieben war; ein Mann, dessen bis zur Verblendung gesteigerter Stolz ihn vor jeder Kleinlichkeit oder Unschicklichkeit im Reden und Handeln bewahrte, so daß sein Hochmut selbst nur selten und von wenigen bemerkt wurde. Menschen aller Stände wetteiferten, 174 den allbekannten Mann, auf den Palermo wie auf eines seiner Monumente stolz war, festlich zu empfangen. Beim Anblick der geliebten Stadt, über deren noch rauchenden Ruinen die Siegesfahnen jubelten, brach der Heimkehrende in Tränen aus, die nicht aufhörten zu fließen, bis er Garibaldi gegenüberstand, den er sofort aufsuchte. Man erzählte sich, daß er, den fabelhaften Befreier mit den Augen messend, gesagt habe: »Ihr habt getan, wofür ich nur Gott einmal danken zu können hoffte;« worauf Garibaldi heiter erwidert habe: »Danket immerhin Gott. Ich habe wenig getan, und etwas Großes ist geschehen: die Lücke, die dazwischen liegt, wollen wir mit dem Namen des Allmächtigen ausfüllen.«

Ebenso große Teilnahme begleitete die Gefangenen, die, als die bourbonische Besatzung das Kastell verlassen hatte, aus der Haft befreit in Wagen stiegen und zum Senatspalaste fuhren, um dem Diktator für Siziliens und ihre Befreiung zu danken. Es waren Männer aus den ersten adligen Familien Palermos, die nach dem vierten April, als der Teilnahme an der unglücklichen Erhebung Francesco Risos verdächtig, eingekerkert worden waren. Diese Freudenprozessionen kreuzten die Leichenbegängnisse derer, die bei dem Sturm auf Palermo oder in den Straßenkämpfen gefallen waren; auch über den Särgen rauschte die Trikolore und auch auf sie stürzten aus den Fenstern, unter denen sie vorbeikamen, balsamische Blumen, so daß die Feste des Lebens und des Todes in einer und derselben Glorie untertauchten.

So oft er konnte, besuchte Garibaldi die Schulen, die Spitäler und die Wohlfahrtsanstalten, um einzugreifen, wo es ihm nötig schiene. Da er eines Tages im Vorbeifahren über dem Portale eines großen, verkommenen alten Hauses eine Inschrift sah, die erklärte, daß hier ein Asyl für Waisenkinder sei, sprach 175 er den Wunsch aus, dasselbe zu besichtigen. Das Innere des Hauses war im Stile eines Palastes, aber schäbig und trübselig; die allmählich entstandenen Schäden schienen niemals ausgebessert zu sein. Eine beklemmende Stille herrschte, mehrere Frauen in Nonnentracht, denen er in den Gängen begegnete, erschraken vor dem unangemeldeten Gast und liefen davon, um, wie sie sagten, die Oberin zu benachrichtigen. Diese, zu der er endlich geführt wurde, war eine Herzogin, eine alte Frau mit hagerem gelbem Gesicht, einer stark gekrümmten Nase und blauen Augen, die von schweren, breiten Lidern fast verdeckt waren. Sie empfing den Diktator mit herablassender Höflichkeit und einem Anflug von Ironie; denn sie pflegte nur das ernst zu nehmen, was ihre nur noch aus wenigen Köpfen bestehende, aussterbende Familie anging. Sie führte ihn durch mehrere Säle, deren Eigenschaften und Bestimmung sie kurz erklärte, ohne daran Anstoß zu nehmen, wenn die Tatsachen mit ihren Worten nicht übereinstimmten. In einem Zimmer saßen blasse Mädchen, die mit Handarbeiten beschäftigt waren; wenn er eine von ihnen anredete und eine Frage an sie richtete, antwortete die Herzogin an ihrer Stelle, während das Kind ihn ängstlich anstaunte. In einem andern, das durch herabgelassene Vorhänge verdunkelt war, befanden sich kleine Kinder, schwächliche und kranke, mit denen einige ältere sich beschäftigten; sie saßen auf der Erde oder auf kleinen Stühlen, und Garibaldi betrachtete erschreckt ihre wächsernen Gesichter, ihre trüben Augen und an manchen die schlecht verbundenen Wunden. Als er sich zu einem Kinde niederbeugte, um mit ihm zu spielen, und versuchte, es durch Spässe zum Lachen zu bringen, veränderte es seine ernste Miene nicht und wendete sich endlich mit gesenkten Mundwinkeln gramvoll weg. Als der Rundgang beendet war, sagte 176 Garibaldi, die Einrichtungen, die die Herzogin ihm erklärt habe, seien vortrefflich, doch habe er die Freude nicht gefunden, die bei Kindern herrschen solle, vielmehr glaube er sich in einem Kloster der Trappisten befunden zu haben. Die Herzogin sagte mit einem ironischen Blick auf den General: »Es wäre gut, wenn die ganze Welt ein solches Kloster wäre.«

Auf seine Erkundigungen erfuhr Garibaldi, daß das Waisenhaus mit reichen Einkünften dotiert sei, von welchen die verarmte, aber verschwenderisch lebende Familie der Herzogin ihren Unterhalt bestreite; sie selbst spekuliere leidenschaftlich und mit außerordentlichem Geschick. Er blieb nachdenklich und einsilbig. Eine Theatervorstellung, der er am Abend beiwohnte, erheiterte ihn nicht, vielmehr stimmte das Flimmern des erleuchteten Hauses und der Anblick der mit blendender Kostbarkeit geputzten Damen, die sich bemühten, seine Aufmerksamkeit zu erregen, noch trüber. Während die Figuren des Dramas sich phantastisch gebärdeten, dachte er an das kleine Kind, das sich traurig abgewendet hatte, als er mit ihm spielen wollte. Es schien ihm unbegreiflich, daß so viele Kinder kläglich, ungeliebt verkümmern sollten, wo so viel Frauen, augenscheinlich mit warmen Herzen und der Begeisterung fähig, in Reichtum schwelgten, und er kam dazu, sich zu sagen, daß nur Unkenntnis und Gedankenlosigkeit daran schuld sein könnten. Als nach einem Fallen des Vorhangs das mit den Tüchern wehende, laut zujubelnde Publikum ihn um eine Ansprache zu bitten schien, fiel es ihm plötzlich ein, daß er in diesem Augenblick den bewegten Frauen die armen Kinder ans Herz legen könnte. Er stand auf und sprach von der Schönheit der Frauen, die durch Augen und Herz die Menschheit beglücke; daß aber ihrer Schönheit eigentümliches Wesen die Liebe sei, durch welche die Frau wie die Sonne erwärmend, belebend, beseligend 177 wirke. Daß es die Natur der Liebe sei, sich zumeist den Unglücklichen und Hilfsbedürftigen zuzuwenden, daß aber niemand hilfsbedürftiger sei als die Kinder, die eigentlichen Schutzbefohlenen der Frauen. Dann erzählte er von den freudlosen Kindern, die er gesehen, von dem Schmerz, den er darüber empfunden habe und den sie selbst noch inniger fühlen würden als er, und empfahl zum Schlusse alle verlassenen und armen Kinder der Hilfsbereitschaft der schönen Frauen Palermos. Er lächelte jetzt wieder im Gefühl, was ihn bekümmerte, guten Händen anvertraut zu haben, worin ihn der seinen Worten folgende, nicht enden wollende Jubel bestärkte, der ein Verstehen und ein Geloben auszudrücken schien.

Diesen Auftritt schilderte am andern Tage Graf Persano, der im Theater gewesen war, La Farina und sagte, er erstaune selbst, daß er darüber nicht hätte lächeln müssen, wie er sicher getan hätte, wenn ein andrer an Garibaldis Stelle gewesen wäre. Garibaldi aber mache mit seiner Erscheinung das Wunderbare leibhaftig, so daß man sich, solange man ihn sähe, darin heimisch fühle, ähnlich wie, wenn ein Theaterstück von Musik begleitet sei, man in die erfundenen Begebenheiten und vorgetäuschten Leidenschaften leichter hineingerissen werde, oder wie es einem Berauschten nicht auffalle, wenn er oder ein andrer mit lauter Stimme oder in pomphaften Bildern redete.

La Farina, dessen feindselige Stimmung gegen Garibaldi triumphierte, seit der Diktator seine Ankunft unbemerkt gelassen hatte, sagte, daß freilich ein Rausch und eine Täuschung bei dem Taumel, der jetzt Sizilien und auch das Ausland ergriffen habe, im Spiele sei. Die Augen würden einem aufgehen, wenn die Wogen sich legten. Garibaldi könne nimmermehr erfüllen, was er jetzt verspräche. Im Geiste 178 sähe er Sizilien seinem Untergange entgegengehen, wenn nicht die Verständigen sich zusammentäten, das Unheil aufzuhalten.

Persano entgegnete, er habe weder Garibaldi noch sich selbst mit Berauschten oder Getäuschten vergleichen wollen. Freilich werde es immer herz- und gedankenlose Frauen und verlassene und untaugliche Kinder geben; das schließe jedoch nicht aus, daß aus einem großen Herzen Kraft und Wärme in andre überströmen könne. Auch habe das nichts mit dem Schicksal Italiens im ganzen noch mit dem Siziliens zu tun. Garibaldi und seine Minister bemühten sich ehrlich, eine italienische Verfassung einzuführen; man solle ihn doch gewähren lassen. Er könne nicht mit einem Schlage alle Uebel heilen, andre würden es ebensowenig oder noch weniger vermögen.

La Farina bewegte verneinend die Hand: er als geborener Sizilianer durchschaue die Verhältnisse besser als der Admiral. Unter der Hülle des allgemeinen Jubels gäre die Unzufriedenheit und Zwietracht. Viele Unwürdige befänden sich unter den Männern, die Garibaldi an das Steuer gestellt hätte, am schädlichsten sei Crispi, der den Diktator beeinflusse, der als Republikaner, Unitarier und despotischer Charakter überall verhaßt sei. Die Bourbonen und Klerikalen fingen an, sich wieder zu regen, und fänden Anhang, viele kämen zu ihm, um sich zu beklagen. Die ersten Männer Siziliens, die Barone Torrearsa und Pisani, die Garibaldi hochachteten, teilten seine Ansicht, daß er nicht fähig sei, ein Land zu verwalten, und daß nur schleuniger Anschluß an Piemont helfen könne. Garibaldis Versuche, die Mißstände zu heben und ideale Gesinnung zu pflanzen, seien kindisch. Anderseits achte er die Kultur für nichts und lasse seine barbarischen Gefährten ungestraft Werke der Kunst und Gelehrsamkeit vernichten, die sie verabscheuten, 179 wenn sie von Bourbonen oder Geistlichen herrührten. Er bilde sich ein, alles zu vermögen, und die törichte Vergötterung des Pöbels bestärke ihn darin. Die Diktatur sei von jeher sein Ziel gewesen, er werde desto weniger willens sein, das endlich Errungene aufzugeben, je länger er es gekostet habe.

Graf Persano schüttelte den Kopf; er habe zugesehen, sagte er, wie Garibaldi zu Fuß durch die Straßen gegangen sei, und wie das Volk ihn wie einen aus den Wolken zur Erde gefahrenen Gott angebetet habe. Eltern hätten ihre Kinder zu ihm aufgehoben, damit er ihnen den Segen erteile; er sei überzeugt, daß Kranke seinen Mantel angerührt hätten in der Hoffnung, dadurch zu gesunden. Er habe aber nicht bemerkt, daß Garibaldi von diesen Ehrungen, die allerdings das einem Menschen Gebührende und Zuträgliche überstiegen, in seinem Innern angetastet werde, sie schienen ihm nicht einmal aufzufallen. Es sei ihm eine Lust, diesen stillen und sieghaften Menschen durch die verzückten Massen hindurchschreiten zu sehen wie einen Kometstern, der nicht wisse und nicht beachte, ob die Menschen ihn verehren oder verfluchen, ob sie Gutes oder Uebles von ihm erwarten, ja nicht einmal, ob er Gutes oder Uebles anrichte. »Ich bin der Meinung,« sagte er, »daß es das beste ist, ihn die Bahn durchlaufen zu lassen, die ihm bestimmt ist, da er sich doch nicht wird irren lassen und die andern dabei zu Schaden kommen könnten.«

»Man sieht, lieber Graf,« sagte La Farina lächelnd, »daß Ihr ein feiner Geist seid und die Dinge aus einer Höhe betrachten könnt. Was Ihr gesagt habt, würde einem Dichter Ehre machen. Anders denken muß einer, der mitten im Getriebe steht und für den Gang der Maschine verantwortlich ist. Die meisten Emigranten sind wie ich der Meinung, daß die mazzinianische Republik uns aufgedrungen 180 werden wird, wenn wir uns nicht beizeiten wehren, und sie würden eher nach Neapel gehen als sich der Tyrannei einiger extremer Köpfe unterwerfen.«

Graf Persano richtete sich mit Würde auf, indem er sagte, er lasse sich nicht blenden, noch durch Gefühle täuschen; seiner Pflicht sei er sich bewußt und werde danach zu handeln wissen. Seiner Ansicht nach sehe La Farina zu schwarz, doch werde er die Augen offen halten. Er versprach dahin zu wirken, daß La Farina von Garibaldi empfangen werde; denn seinem persönlichen Einfluß, meinte der Sizilianer, würde es vielleicht gelingen, den General auf den rechten Weg zu weisen.

Der Admiral fand Garibaldi zum ersten Male, seit er ihn in Palermo sah, in verdüsterter Stimmung. Er war im Gespräch mit Nuvolari und andern vertrauten Freunden, die ihm zuredeten, daß er gegen La Farina Maßregeln ergreife, der offenbar darauf ausgehe, seine Stellung zu erschüttern. »Dieser Kammerdiener Cavours,« sagte Nuvolari, »schleicht sich ein mit einer Kiste voll Geld und voller Zettel, auf denen geschrieben steht: ich stimme für den Anschluß an Piemont, einer Pandorabüchse, aus der alle Uebel in unser Paradies kriechen, klebt die Zettel an alle Mauern, daß es das Ansehen hat, als wäre über Nacht ein patriotischer Schnee aus den Savoyer Alpen auf Palermo gefallen. Wo er einem Kerl begegnet, der mißvergnügt mit der Nase schnüffelt, steckt er diesem mit einer Hand ein Stück Geld in die Tasche, legt ihm die andre auf die Schulter und sagt ihm vertraulich, daß die neue Regierung aus Trotteln und Schuften bestehe und daß Viktor Emanuel, wenn er erst zu sagen hätte, ihn, gerade ihn, den schnüffelnden Tagedieb, zum ersten Minister mit doppeltem Gehalt machen würde. Ich sagte dir immer,« fuhr er eifrig zu Garibaldi gewendet fort, 181 »daß das System der Dynastie des Bombenkönigs nicht unweise war für dies Klima und das Ungeziefer, das es hervorbringt, und daß es übereilt wäre, es sogleich zu beseitigen. Wer würde dich nicht loben, wenn du diesen Menschen aus Messina, den Ränkeschmied und Giftmischer, der in die schönste Frucht der Eintracht seine Schlangeneier legt, in jenes berühmte Krokodilsloch oder ein andres von den Burgverliesen würfest, an denen diese Insel reich ist?«

Garibaldi sagte erklärend zu Persano, der vergnügt zugehört hatte, man habe ihm vorhin, als er durch die Straßen geritten sei, nicht nur wie sonst zugerufen: Es lebe Garibaldi!, sondern zugleich: Nieder mit Crispi!, von dem man doch wisse, daß er sein Freund sei und mehr fast als alle um die Befreiung Siziliens sich verdient gemacht habe. Er sei schon vor Tagen gewarnt, daß eine Verschwörung gegen ihn im Werke sei mit der Absicht, ihm die Regierung zu entziehen und sofort dem Könige Viktor Emanuel zu übergeben; er habe es bisher nicht beachtet, nun aber sehe er ein, daß er es nicht so weiter könne gehen lassen. Persano brachte verschiedenes vor, um La Farina zu entschuldigen, der eine große persönliche Verehrung für Garibaldi habe, nur zuweilen voreilig und übereifrig und sehr empfindlich sei. Er fühle sich verletzt, daß der Diktator ihn noch nicht empfangen habe. Garibaldi möge es tun, vielleicht könnten sie sich im Gespräch verständigen und dadurch unheilvolle Konflikte abwenden.

Trotz der Gegenvorstellungen Nuvolaris willigte Garibaldi ein; doch empfing er La Farina mit Zurückhaltung und ohne seine Befangenheit durch ein Lächeln oder ein freundliches Wort zu ermutigen. La Farina sah leidend aus, sein Blick war unruhig, sein hübsches Gesicht dicklich und schlaff geworden und dadurch entstellt, doch war er noch redefertiger und 182 im Auftreten gewiegter als früher. Er faßte sich schnell, beglückwünschte Garibaldi zu seinen Erfolgen und erinnerte ihn an den Anteil, den er selbst an der Expedition genommen habe. Dann sprach er von dem Charakter der Sizilianer und Palermitaner insbesondere und beklagte ihre Veränderlichkeit und Parteiwut, was ihn auf ihre Abneigung gegen Crispi brachte. Garibaldi würde gut tun, ihn auf eine Weile zu entfernen.

Er denke nicht daran, erwiderte dieser, um selbstsüchtiger Menschen willen einen Mann fallen zu lassen, der dem Vaterlande seine Ergebenheit und Opferwilligkeit hundertfach bewiesen habe.

Man könne zuweilen, meinte La Farina, um des Nutzens willen etwas tun, was das Gefühl mißbillige.

Nein, rief Garibaldi heftig aus, eine undankbare und sinnlose Handlung könne niemals nützlich sein, und betonte seine Worte so, daß La Farina es geraten fand, den Gegenstand fallen zu lassen. Ihn bewöge, sagte er, einzig die Sorge um Siziliens und Italiens Schicksal. Er wisse, wie stark die Bourbonen noch auf der Insel seien; die Gutgesinnten dagegen wären schwach, ließen sich einflüstern, daß Garibaldi nicht im Einverständnis mit Viktor Emanuel gehandelt habe, und fürchteten, daß sie ohne starken Schutz von außen der Rache des Königs von Neapel bald wieder würden ausgeliefert werden, wie es 1848 geschehen sei. Sofortiger Anschluß an Piemont würde aller Unsicherheit und allen Parteiungen ein Ende machen.

Garibaldi brauste auf: eben weil er die Gefahren des Abfalls kenne, wolle er die Insel, die er erobert habe, noch in seiner Hand behalten. »Ich habe sie,« sagte er, »auf meine Gefahr angegriffen und mit dem Blute der Meinen erkauft und werde sie, wann es 183 mir Zeit scheint, dem geben, dem ich sie zugedacht habe.« La Farina fühlte, daß er sich dem Blick schneidender Verachtung, der auf ihm ruhte, nicht länger aussetzen könne und verabschiedete sich von Garibaldi in einer Weise, die die unversöhnliche Entfremdung zwischen ihm und dem Diktator deutlich machte.

Als Graf Persano kam, um sich nach dem Verlauf des Besuches zu erkundigen, war der Groll aus den Mienen Garibaldis verschwunden. Während sie zusammen nach der Festung Castellamare fuhren, die in diesen Tagen auf Befehl des Diktators demoliert wurde, gab er seiner Entrüstung Ausdruck, doch ohne Empfindlichkeit. Es seien eben jetzt, sagte er, Nachrichten von bösartigen Revolten in Bronte, Cesaro und andern Ortschaften Siziliens eingelaufen. Schandtaten seien verübt, als sei mit dem Sturze der Bourbonen das Gesetz selbst vernichtet. Inmitten dieses wilden und unberechenbaren Volkes habe der Feind noch bedeutende Festungen besetzt: Milazzo, Messina, Syrakus. Er könne jetzt nicht heimgehen und sein unvollendetes Werk andern Händen überlassen, welche es auch seien. Ihm habe das Volk sich vertraut, er habe sich ihm gelobt und werde nicht ruhen, bis es frei sei.

Der Graf stimmte ihm bei; immerhin, meinte er, würde die Verkündigung des Anschlusses an Piemont ihn keineswegs hindern, sein Werk zu vollenden. Viktor Emanuel würde ihn in der Regentschaft über Sizilien bestätigen, und er würde mit dem sicheren Rückhalt eines ansehnlichen Staates handeln können.

Garibaldi warf dem Grafen einen schnellen Blick zu und sagte: »Ich stand bisher fest, da ich allein stand. Auch weiß ich nicht, ob dem Könige ein Geschenk willkommen wäre, das ihn zum erklärten Feinde des Bourbonen machte.« 184

Der Weg nach Castellamare war fröhlich belebt durch Wagen voll festlicher Menschen und Fußgänger. Der Befehl des Generals über die Zerstörung der Burg, die er angeordnet hatte, weil eine Festung an dieser Stelle nur zur Unterjochung der Stadt, nicht zur Verteidigung nach außen dienen konnte, war volkstümlich wie kein andrer; denn es befriedigte die Menschen, das jahrhundertalte Symbol ihrer Knechtschaft stürzen zu sehen, und sie hätten die Mauern gern mit ihren Händen niedergerissen. Einige Türme und ein Teil des Mauerwerks war schon eingerissen; Staubwolken stiegen ununterbrochen wie Rauch eines Opfers in den duftenden Aether. Damen in bunten Kleidern bemühten sich, mit kleinen Hämmern Steine loszuschlagen, vor Mutwillen glühend und mit den Herren, die sie begleiteten, lachend. In einem leeren, halb zerstörten Fenster stand ein Mönch, die dreifarbige Schärpe um die Kutte geschlungen, und redete zu einer Gesellschaft, die auf Steinen und im Grase gelagert war, wobei er ein Beil in der Hand schwang und zuweilen, wenn die großen Worte kamen, an das Gemäuer schlug, daß es weithin dröhnte. Andre Mönche, in roten Hemden und mit Waffen versehen, arbeiteten emsig an der Zerstörung. Ein Mann, dessen totenhafte Blässe und Magerkeit vermuten ließen, daß er lange gefangen gewesen war, kniete gesenkten Hauptes an einer Stelle, von der aus man die nun geöffneten Kerkerlöcher sehen konnte, neben ihm eine schlanke Frau, deren Körper von leidenschaftlichem Schluchzen erschüttert war. Nicht weit von diesen hatten sich zwei junge Mädchen, die die Röcke voll Blumen hatten, auf einen Mauervorsprung geschwungen und ließen aus den aufgehobenen Händen Ginster, Rosmarin, wilden Oleander und Granaten in die aufgerissenen Grüfte fallen. Mächtig stand die eherne Gestalt des purpurnen 185 Pellegrino hinter dem Gewimmel über den stürzenden Mauern.

Garibaldi und Persano waren ausgestiegen und betrachteten das Schauspiel. »Heute,« sagte der Graf, »ist es in Wahrheit das glückliche Palermo.« Garibaldi stand eine Weile in Sinnen und sagte dann: »Welche Aufgabe, dies Volk glücklich zu machen, das in der Gnade der Natur steht! Es scheint, daß die Menschen sich allzuweit vom Herzen der Natur entfernt haben, und es ihnen deshalb nicht mehr gelingen wollte.« Persano dachte bei sich, indem er Garibaldi verstohlen ansah: ›Ja, du bist aus ihrem Eingeweide! Du hast von ihrer Milch getrunken! Aber was hilft es dir in unserm erklügelten Dasein? Ist es nicht vielleicht das Schönste, was dir gelingt, daß ich und meinesgleichen sich an dir laben können?‹ Zugleich sagte er sich, daß dieser Mann einen Trieb zu herrschen wohl haben müsse und daß es jedenfalls nicht überflüssig sei, ihn aufmerksam zu überwachen.

Garibaldi hatte über dem bei Castellamare empfangenen Eindruck La Farina vergessen, doch erinnerten ihn bei seiner Heimkehr erneuerte Zusammenrottungen von Menschen daran, die ihn mit dem Rufe: »Nieder mit Crispi!« verfolgten. Daran schloß sich am folgenden Tage ein andres Ereignis: Der Gemeinderat, an dessen Spitze Baron Pisani stand, überreichte ihm eine Adresse, in der er ihm für die Befreiung Palermos förmlich dankte, ihm den Beschluß mitteilte, daß das Tor Porta Termini, durch das er mit seinen Tausend eingedrungen sei, künftighin seinen Namen tragen solle, daß ihm das Geschenk eines Ehrensäbels bestimmt sei und daß ein jeder von den Tausend eine Gedenkmünze erhalten werde; um endlich damit zu schließen, daß es nunmehr an der Zeit sein möge, die Sehnsucht des Volkes nach der Vereinigung mit dem großen 186 Vaterlande durch die Verkündigung des Anschlusses an Piemont zu befriedigen.

Zunächst empfand Garibaldi bei dieser unerwarteten Wendung mehr Ueberraschung als Unmut. Er hatte nicht gedacht, daß diese Männer, die er als die Spitze der Stadt ansehen mußte, die ihn ihrer Zuneigung, ihrer Verehrung und ihres unbedingten Vertrauens oft versichert hatten, diesen Anschluß so sehr wünschten und für so notwendig hielten, daß sie ihn in förmlicher Weise, obwohl sie fürchten mußten, ihm damit unwillkommen zu sein, daran mahnten. War es denn wirklich der Wunsch des Volkes, warum, fragte er sich, sollte er nicht willfahren? Er hatte ihnen die Freiheit gebracht, damit sie selbst über sich verfügten; sollte er ihnen aufdringen, was sie nicht wollten, oder entziehen, was sie wollten?

Er wurde in seinem Gedankengange durch Crispi unterbrochen, der, als sein Sekretär, sich in seiner Nähe aufzuhalten pflegte. Da Garibaldi ihm mitteilte, daß er nicht abgeneigt sei, dem offenbaren Willen des Volkes nachzugeben, sah Crispi ihn erstaunt und fast ungläubig an. Ob jene Ehrgeizigen und Bedenklichen, die La Farina aufgestachelt habe, das Volk seien? Ob er Sizilien erobert habe, um es gleichgültig wie ein Künstler einen Block Marmor, der für seinen Entwurf zu klein sei, beiseite zu werfen und andern zu überlassen? Ob er ihn nicht wenigstens mit ein paar Hammerschlägen zuhauen wollte, ehe ihn andre verpfuschten? Ob er sich nicht bewußt sei, das Gute für Sizilien zu wollen und mehr zu vermögen, als ein andrer vermöchte?

»Ihr seid, Crispi,« sagte Garibaldi, »in Euerm Herzen ein Republikaner und habt das Haus Savoyen niemals gern in Eurer Heimat leiden wollen.« Crispi entgegnete finster: »Ich bin unter Eurer Führung, nicht unter Viktor Emanuel heimgekommen, 187 wenn ich auch wußte, daß wir für ihn arbeiteten, und ich rechnete darauf, mit Euch weiterzugehen, bis wohin Ihr wolltet, nicht bis der König Euch stehen zu bleiben hieße.«

Nachdem Garibaldi bis tief in die Nacht allein gewacht hatte, antwortete er am folgenden Morgen dem Gemeinderat, es sei nach wie vor sein Wille, daß Sizilien ein Teil Italiens unter Viktor Emanuel werde; daß er es aber so lange in eignen Händen behalten wolle, bis er Neapel und Rom befreit habe; denn er sei nicht gekommen, um nur Sizilien zu helfen, sondern um Italien zu machen, und er bedürfe dazu der Macht, die er jetzt innehabe. La Farina ließ er nach einer Frist von wenig Stunden auf ein Schiff begleiten, das ihn nach Turin zurückführte.

Nuvolari brummte über diese Maßregel: »Ist das Gerechtigkeit? Dieser Mensch aus Messina, der wegen hochverräterischer Umtriebe gegen den Diktator in die Krokodilskammer hätte geworfen werden sollen, wird mit angenehmer Eile auf einem wohnlichen und haltbaren Schiff nach dem lieblichen Italien befördert. Wir, die wir es treu meinen und uns redlich plagen, müssen in dieser stinkenden Hölle, dieser Grube voll Nattern, dieser Wiege der Skorpione schwitzen, indes der Uebeltäter den milden Himmel unsers Italiens wiedersieht!«

»Er hat die Hölle samt Nattern und Skorpionen im Busen,« sagte der alte Ripari tröstend.

Graf Persano war der Meinung, es sei Garibaldi nicht zu verdenken, daß er sich des Unruhstifters entledigt habe, hielt es aber für seine Pflicht, ihm vorzuhalten, daß er weniger schroff gegen einen Vertrauten des Grafen Cavour hätte vorgehen sollen. Der Minister hatte ihm kürzlich den Auftrag gegeben, den Diktator zu veranlassen, daß er Mazzini, wenn er in 188 Sizilien ankäme, den Aufenthalt auf der Insel nicht gestatte, sondern sofort nach Genua zurückschicke; doch hatte er für diese Zumutung, die ihm übertrieben vorkam, bisher noch keine passende Einkleidung gefunden. Nun, dachte er, könnten die mißfälligen Besprechungen mit einem Male abgemacht werden. Garibaldi schnitt seine höflichen Vorstellungen, die Entfernung La Farinas betreffend, ungeduldig ab, indem er sagte, ihm scheine es albern, Formen zu wahren, wenn das innerste Leben in Aufruhr sei. Cavour habe ihn mit Spionen umgeben, die ihn hätten lähmen und zu Falle bringen sollen; er habe die herankriechende Schlange, bevor sie hätte beißen können, mit einem Fußtritt von sich gestoßen. Das würde er nicht bereuen noch sich deswegen rechtfertigen, geschweige denn entschuldigen.

Einlenkend sagte der Graf, er gebe zu, daß Garibaldi im Rechte sei. Doch habe er La Farina bedauern müssen, der ihm, als er ihn bei seiner erzwungenen Abfahrt gesehen habe, wie ein kranker, im Innern zerrissener Mann erschienen sei. Seine Augen seien flackernd und tief unterschattet gewesen, alle seine Aeußerungen gewaltsam. Seine Liebe zu seiner Heimat sei echt, sein Gefühl innig, sein Verstand in Ordnung; irgendein entfesselter und ausartender Trieb scheine ihn zu verzehren. Sicherlich habe er seine Befugnisse mißverstanden oder überschritten; denn Cavour verkenne keineswegs, was Garibaldi für Italien Gutes getan habe und noch tun könne, er wolle ihm herzlich wohl und wünsche sich nichts Besseres, als vereint mit ihm zu handeln. Cavour sei ein großer Mann und habe nichts im Sinne, als das Heil Italiens. Der Diktator möge beweisen, daß er, indem er La Farina entfernt habe, sich nicht gegen Cavour habe wenden, sondern nur der Gerechtigkeit habe genugtun wollen, er könne das 189 nämlich dadurch tun, daß er Mazzini, der in einigen Tagen in Palermo landen würde, festhalte und zurückschicke.

Garibaldi errötete; Persano konnte sehen, wie ein plötzlich aufwallender Zorn ihn ganz überlief und verwandelte. »Sagt dem Grafen Cavour,« antwortete er, »daß in Sizilien ein Regierungswechsel vorgekommen ist. Ich bin nicht Maniscalco.« Der Admiral, der nicht furchtsam war, betrachtete Garibaldi mit teilnehmender Neugier, wie wenn er sich etwa über einen lebendigen vulkanischen Krater beugte, in dem zuvor ein dumpfes Rollen hörbar war, so daß er damit rechnen müßte, plötzlich von herausgeschleuderten Steinmassen getroffen zu werden. »Ihr habt mich,« sagte er mit der vornehmen Würde, die er in geeigneten Augenblicken zu entfalten wußte, »als einen Ehrenmann und Patrioten kennen gelernt. Ich entledigte mich, indem ich das Ansinnen an Euch stellte, eines Auftrages, in dem ich nichts Anstößiges sehen konnte, nachdem Ihr soeben selbst gezeigt habt, wie Ihr mit Männern verfahrt, die eine Gefahr für den Staat bilden. Auch Mazzini ist ein Friedenstörer und als Republikaner ein Gegner der von Euch verkündigten und vertretenen Regierung.«

»Wollt Ihr im Ernste,« rief Garibaldi drohend, »Mazzini, der sein Leben zum Opfer gebracht hatte, mit La Farina vergleichen, der im Trüben fischen wollte?« Er hätte nicht gedacht, fuhr er fort, daß Persano, den er als einen freimütigen Mann von warmem Herzen zu erkennen geglaubt habe, sich zum Diener des teuflischen Rechners Cavour habe machen können. Er sei ein Diener des Vaterlandes, sagte der Graf, das Cavour mit viel Arbeit und Aufopferung stark und einig gemacht habe. Garibaldi wandte sich ab. »Er wird mich finden,« sagte er rauh, »wenn er mich für Italien braucht; mit dem 190 Minister des Königs von Sardinien habe ich nichts zu schaffen.«

Garibaldi glaubte die Verstimmung, die diese Vorgänge in ihm hinterlassen hatten, nicht so bald überwinden zu können; aber es war, als litte die Sonne, die über Palermo stand, keine Wolke auf seiner Stirne. Die von Medici geführten Freiwilligen, die an diesem Tage einrückten und die er vom Balkon seines Palastes aus begrüßte, jubelten zu dem siegreich lächelnden Antlitz auf, das ihnen ebenso in Schlachten geleuchtet hatte. Vollends als das Fest der heiligen Rosalie mit dem äußersten Gepränge begangen wurde, erschien der Diktator in so heiterer Herrlichkeit, daß die Stadtgöttin selbst in Vernachlässigung geriet und die seit Jahrhunderten ihr angestammte Verehrung auf den neuen, im schönsten gegenwärtigen Dasein strahlenden Heiligen übertragen wurde.

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