Ricarda Huch
Der Kampf um Rom
Ricarda Huch

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Als Napoleon Buonaparte nach der Schlacht bei Solferino an der Seite Viktor Emanuels in Mailand einzog, verjüngte ihn der Jubel des befreiten Volkes und das Bewußtsein, diesen ersehnten Augenblick herbeigeführt zu haben. In seinem Geiste rief er den Schatten Orsinis an und sagte zu ihm: »Gestehe, daß ich mehr für Italien getan habe als du und deinesgleichen. Wenn du deine Rache hättest nehmen und mich töten können, wer hätte das Joch von euerm Nacken genommen?« Dann ließ er den Schatten dessen, der zu ihm gesagt hatte: »Durch meine Hand trifft dich Rom!« antworten: »Rom liegt in den alten Ketten, noch hast du nichts gesühnt!« und entgegnete nochmals: »Wollt ihr denn immer die Bittgänger Europas bleiben, die der Hilfreiche selbst mit Füßen tritt? Keiner lenkt euch die Hand, wenn es gilt, Bomben zu werfen oder den meuchlerischen Dolch zu führen, so lernt auch das Schwert gebrauchen, das euch frei macht. Seht mich an: ich war arm, verbannt, eingekerkert, hatte nichts als meinen Willen und meinen Genius; heute bin ich Kaiser der ersten Nation und der Retter Italiens. Ihr habt gejammert und geprahlt, euch aufgeblasen und groß gedünkt und müßt nun eure Unabhängigkeit von mir annehmen, dessen Namen ihr verfluchtet, dessen Blut ihr vergießen wolltet.« Darauf ließ er den Schatten Orsinis antworten: »Imperator, Heil dir!« und das hochmütige Römerhaupt sich langsam vor ihm beugen.

Indessen am folgenden Tage wurde ihm der Taumel der feiernden Stadt zuwider, und er zog sich nach Valeggio zurück in einen Palast, den die Schönheit des umgebenden Parkes namhaft machte. Dort empfing er den General Fleury, der, wie die meisten 6 in der Umgebung des Kaisers, dem italienischen Kriege nicht günstig war. Es lag eine gewisse unverschämte Zufriedenheit in seinen Mienen, während er über den Einlauf drohender Depeschen von verschiedenen Mächten berichtete, die das Eingreifen Napoleons in die italienischen Angelegenheiten von Anfang an mit Unwillen begleitet hatten. Schon die zweite große Schlacht, sagte er, habe verdächtige Rüstungen in Preußen zur Folge gehabt; was nun geschehen werde? Wenn der Kaiser dies Land nicht bald verlasse, würde er unvermutet ein freies einheitliches Italien à la Mazzini vor sich haben; die Siegesgöttin, die andre vergebens anriefen, laufe in seinem Schatten wie ein treuer Hund und werde mehr Hasen, als er vertilgen könne, zu seinen Füßen niederlegen; schon stehe Garibaldi mit seinen Freischaren bereit, um sich auf Venedig und die Romagna zu werfen.

Der Kaiser hörte unbeweglich geradeaus blickend zu und sagte kurz: »Ich werde Halt rufen, wenn es Zeit ist;« aber die Erwähnung Garibaldis, den er haßte, hatte ihn gereizt. Nachdem er eine lange Zeit mit dem General gearbeitet hatte, kam er darauf zurück, indem er sagte, es sei unleidlich, daß er sich mit dem Könige von Sardinien nicht einlassen könne, ohne daß zugleich Garibaldi wie der Teufel aus der Schachtel führe, er müsse ihm einmal den Deckel gründlich vernageln. Dann erkundigte er sich, ob der Entwurf eines Friedens mit dem Kaiser von Oesterreich fertig sei; und da dies der Fall war, gingen sie die einzelnen Punkte miteinander durch. Als jedoch der General fragte, ob die Akte nun dem Gesandten des österreichischen Kaisers vorzulegen wäre, bedachte sich Napoleon und sagte, es habe damit noch Zeit; noch sei er nicht entschlossen, Frieden zu machen, auch habe er sich verschiedene Bedingungen des Vertrags noch nicht reiflich genug überlegt. 7

Nachdem der General sich entfernt hatte, saß der Kaiser lange allein vor der Karte und betrachtete die Stellungen der Armeen; bis die Oesterreicher aus den Festungen, die sie noch innehatten, vertrieben waren, konnte der Krieg keineswegs als beendigt betrachtet werden, wenn an den eigentlich bezweckten Ergebnissen festgehalten wurde. Er ließ den Marschall Vaillant rufen und besprach mit ihm, auf welche Weise der Krieg weitergeführt werden müsse. Er habe, sagte er im Laufe des Gespräches zu diesem, dieselbe Politik verfolgt, die seit Jahrhunderten in Frankreich Ueberlieferung sei, nämlich den österreichischen Einfluß in Italien zu bekämpfen und durch den französischen zu ersetzen. Mehr liege nicht in Frankreichs und seinem Interesse. Ohne daß er in Italien einen gewissen Grad von Unabhängigkeit begünstige, sei das freilich in diesen Zeiten nicht mehr zu erreichen; auch sei das nicht schade, denn es sei jetzt wünschenswerter, ein verhältnismäßig kräftiges und gedeihendes Land mit seinem Einfluß zu beherrschen, als für ein armes, widerspenstiges sorgen zu müssen. Es handle sich also darum, Oesterreich zwar zu besiegen, aber nicht so zu demütigen, daß Italien es gar nicht mehr zu fürchten habe.

Als Napoleon wieder allein war, versank er in eine mißmutige Stimmung. Wenn er jetzt mit Oesterreich Frieden schloß, was ihm wahrscheinlich vorkam, war ihm die nächste Begegnung mit seinem Verbündeten, Viktor Emanuel, überaus peinlich; denn dieser konnte nicht anders als dadurch sehr überrascht und niedergeschlagen sein, ja er konnte ihm vorhalten, daß sie als Motto über diesen Krieg das Wort: »Frei bis zur Adria!« gesetzt hatten, daß demnach er, Napoleon, der übernommenen Verpflichtung nicht nachgekommen wäre, oder wenn er dergleichen nicht äußerte, mußte er es denken. Noch mehr unangenehme Auftritte 8 warteten seiner in Italien, wo die anfängliche überschwengliche Dankbarkeit sich in Entrüstung verkehren würde; er wünschte, das Land des Unglücks nie betreten zu haben.

Eine Tochter des Hauses kam, um nach den Wünschen des Kaisers zu fragen; sie verneigte sich tief vor ihm und beugte sich über seine Hand, um sie zu küssen; er richtete sie auf und berührte flüchtig ihre Wangen mit seinen Lippen. Während er einige gütige Worte an sie richtete, betrachtete er sie aus müden, halbgeschlossenen Augen und bemerkte in ihrem Gesicht sofort die Erregung, die sowohl dem Kaiser wie dem Manne galt. Napoleon fand sie jugendlich hübsch, aber nicht mehr, ihr Wesen zugleich unerfahren und lüstern, sie reizte ihn durchaus nicht. Er hatte im Spiegel gesehen, daß sein Gesicht an diesem Tage gelb, gedunsen und schlaff war, sein Auge ohne Feuer, und es kam ihm verächtlich vor, daß das Mädchen trotzdem so schnell seiner Macht erlag. Nachdem er sie einen Augenblick durch einen langen glimmenden Blick, der seinen väterlichen Worten widersprach, verwirrt hatte, entließ er sie mit einem unerträglichen Gefühl des Ueberdrusses. ›Ein Volk von Bettlern und Huren,‹ dachte er, ›gierig, feige, feil und undankbar. Sie haben mich erst geschmäht, dann angebetet, und sie werden mir wieder fluchen, weil ich es müde bin, sie mit meinem Fleische zu mästen, bis sie voll sind. Was habe ich mit ihnen zu schaffen? Soll ich mir die stolzeste Krone Europas aufgesetzt haben, um eine glückliche Rolle in ihren Verschwörungen zu spielen?‹ Er begriff nicht, was ihn zu dieser rasenden Unternehmung unwiderstehlich getrieben hatte; ›gibt es etwas Begehrenswerteres,‹ fragte er sich, ›als Ruhe und Einsamkeit zwischen Büchern, die den feinsten Geschmack und Sinn vergangener Zeit aus Massen von Unrat rein aufgefangen haben?‹ 9

Am Abend nahm er an einer kleinen Gesellschaft teil, genoß von den Speisen und Weinen, die unübertrefflich waren, und zeigte sich liebenswürdig gegen die Damen; doch ließ er früh merken, daß er allein zu sein wünsche. Er schrieb noch eine Weile bei offenem Fenster, durch das Mondschein und starke Blumengerüche eindrangen, dann ließ er alle Fenster verhängen und legte sich zu Bette. Nachdem er ein paar Stunden schwer geschlafen hatte, fühlte er mit Grauen, daß außer ihm etwas Lebendiges im Zimmer sei; es kam auf ihn zu, trübe verhüllt, setzte sich auf den Rand seines Bettes und beugte sich über ihn. Er wollte sich aufrichten und den Diener rufen, der in einem Vorzimmer schlief, oder nach dem Revolver greifen, der auf dem Nachttische lag; aber er konnte weder das eine noch das andre, obwohl er sich mit aller Kraft, so daß der Schweiß auf seine Schläfen trat, anstrengte. Da erst kam es in seinen Sinn, daß die Erscheinung etwas Lebendes nicht sein könne; durch einen Grabeszauber lähmte sie und lieferte ihn nicht geheuern Mächten aus. Er sah kein Gesicht, denn es schien, dessen Dasein er fühlte, ganz und gar mit einer schwarzen Maske bedeckt zu sein; dennoch empfand er den kalten Mordblick auf sich ruhen. Auf Augenblicke hatte er ein Gefühl davon, daß dies ein Alpdruck sei, der verschwinden müsse, sowie er ganz wach sein würde und sich bewegen könnte, trotzdem war seine Angst so groß, daß er sich den Tod wünschte, um sie nicht länger leiden zu müssen. Da plötzlich zog die Erscheinung einen Strick hervor und schickte sich an, denselben um seinen Hals zu schlingen; zugleich sah er durch die Maske hindurch das Gesicht Orsinis dicht vor sich. Entsetzen erfüllte ihn, nicht so sehr über die Nähe seines Mörders wie über das Dasein des Toten; ›es ist also so,‹ dachte er, ›wie die Ammenmärchen sagen; unter der Erde glimmt der 10 Geist weiter und läßt Begrabene wiederkommen. Ich bin Kaiser und kann den Tod verhängen, aber ich kann nicht vernichten, nicht ein Auge auslöschen, das mich haßt.‹ Indem er sich krampfhaft des Gespenstes, das ihn würgen wollte, zu erwehren versuchte, erwachte er laut klopfenden Herzens. Obwohl er sofort begriff, daß ein Alpdruck diesen Traum verursacht hatte, zündete er das Licht an, das an seinem Bette stand, und blickte scheu um sich; er hätte dem Diener geklingelt, wenn er nicht um einen Grund verlegen gewesen wäre. Nach einer Weile tat er es dennoch und ließ sich Papier und Bleistift bringen, da er nicht schlafen könne. Zu schreiben vermochte er indessen nicht und fürchtete wieder einzuschlafen in das Grauen der Träume zurück; darum entschloß er sich, aufzustehen und seinen Adjutanten rufen zu lassen unter dem Vorwande, daß wichtige Angelegenheiten erledigt werden müßten. Es sollten schleunig Vorbereitungen zum Friedensschlusse mit Oesterreich getroffen werden, damit er mit dem Heere nach Frankreich zurückkehren könne.

Als der Morgen graute, entkleidete er sich wieder und schlief noch einige Stunden, ohne jedoch davon erquickt zu werden. ›Sind auch die Toten tot,‹ dachte er, ›so bleiben doch die Lebendigen zu fürchten. Die Traumerscheinung soll mir eine Warnung vor den Dolchen italienischer Wüteriche sein, die ich enttäuschen muß.‹

*

Ueber eine kleine Hintertreppe, die nur der Dienerschaft und den vertrauten Freunden bekannt war, wurde der Messinese La Farina, einer der Getreuen des Grafen Cavour, vor Tagesanbruch in das Arbeitszimmer des Ministers geführt. Diese Vorsicht war in der Zeit vor dem Ausbruche des Krieges notwendig gewesen, damit von dem Verkehr Cavours mit 11 dem ehemaligen Revolutionsmanne nichts in die Oeffentlichkeit dringe; denn La Farina hatte nach den unglücklichen Ereignissen des Jahres 1849 aus Sizilien fliehen müssen und gehörte zu jenen Emigranten, die durch den Anschluß an Sardinien und ein zu begründendes Italien ihr Vaterland von den Bourbonen zu befreien hofften; aber auch während des Krieges waren die Besuche in dieser Weise fortgesetzt worden. La Farina mußte fast eine Stunde warten, bis Cavour endlich mit hastigen Schritten in das Zimmer trat. Während er seine Brille abnahm, die Gläser rieb und sie wieder aufsetzte, sagte er, sein langes Ausbleiben erklärend, er finde jetzt oft des Nachts keine Ruhe und schlafe erst gegen Morgen ein, wodurch es ihm denn schwerer als sonst werde, so früh aufzustehen. Es komme oft vor, daß er schreckenvoll aus dem Schlaf fahre mit dem Gedanken, es werde nichts aus dem Kriege werden; freilich sei es dann schön, sich darauf zu besinnen, daß schon zwei große Schlachten geschlagen seien und die Lombardei so gut wie gewonnen sei. La Farina bemerkte teilnehmend, daß der Graf allerdings blaß und angegriffen aussehe und daß es kein Wunder sei, wenn die Aufregungen des letzten Jahres sich jetzt an seiner Gesundheit geltend machten. »Sie haben, Herr Graf,« sagte er, »jahrelang das Geschick Italiens allein auf Ihren Schultern getragen, nun, am Ziele, sinken Sie erschöpft zusammen. Aber die Bewunderung und Dankbarkeit eines Königs und eines ganzen Volkes entschädigt Sie für die geopferten Kräfte und das gewagte Leben. Jetzt ist kein Redlicher und kein Verständiger mehr, der nicht einsähe, was Sie für uns alle getan haben; einzig die ewig Nergelnden, die Friedensstörer, die sich Patrioten nennen und nur das Vaterland zerreißen, um sich selbst zu erhöhen, stehen grollend beiseite und zeugen eben dadurch für 12 Ihre Größe.« »Ich verzichte auf den Beifall des Propheten,« sagte Cavour, auf Mazzini anspielend, »und kann ihn, denke ich, entbehren. Die glänzenden Erfolge der Unsrigen und der Franzosen müssen alle Parteien zum Schweigen bringen. Garibaldi hält sich wacker; ich bereue es nicht, ihn herangezogen zu haben, da ich durch ihn die Demokratie und die Republik dem Könige unlöslich verbinde!« La Farina rühmte Garibaldi, er sei zuverlässig und trotz der ungemeinen Verehrung, die er im Volke genieße, bescheiden; stets sei er bereit, die Verdienste andrer anzuerkennen, er bewundere das Genie Cavours; wenn er, La Farina, auf eine Tat stolz sei, so sei es darauf, daß er Garibaldi für die Idee, Italien unter dem Zepter König Viktor Emanuels zu vereinigen, habe gewinnen können oder wenigstens dazu beigetragen habe. Cavour stimmte ein; Garibaldis Name schrecke zwar viele ab, die Anhänger des Alten, die Päpstlichen, die Bedenklichen, aber mehr ziehe er an, es sei besser, ihn zum Freunde als zum Gegner zu haben; auch sei er ihm persönlich angenehm, es gehe eine gewisse Anziehungskraft von ihm aus, die das Gewöhnliche übersteige und nutzbar gemacht werden müsse. Was ihn anlange, fügte der Graf nach einer Pause hinzu, so werde die Dankbarkeit und Bewunderung, die man ihm jetzt allgemein zolle, wie La Farina gesagt habe, schnell verfliegen, sowie bekannt würde, daß er das neue Königreich nicht umsonst habe machen können, sondern dafür zahlen müsse. Aber daran liege nichts; wenn ihm um Beifall zu tun wäre, so wäre er Schuster oder Zeitungsschreiber geworden. Er war damit auf die Abtretung von Savoyen und Nizza an Frankreich gekommen, die nach einem geheimen Vertrage als Entgelt für die geleistete Hilfe festgesetzt war, und sah während des Sprechens aus seinen kleinen Augen prüfend auf La Farina, um dessen 13 innerste Gedanken zu erraten. Der sagte vorsichtig: »Savoyen anbelangend soll der König selbst gesagt haben, wenn er ein großes Bett bekomme, sei es billig, daß er die alte Wiege verschenke. Wer hätte dann das Recht zu klagen? Um Nizza, das ganz und gar italienisch ist, könnte es eher böses Blut geben, obwohl es nach meiner Ansicht durch die Erwerbung der Lombardei und Veneziens aufgewogen wird.« »Nizza gebe ich nicht her,« sagte Cavour schnell, »dazu soll es nicht kommen; ich habe mich so verklausuliert, daß ich es halten kann« und betonte dies mit heftigerem Nachdruck, als sonst seine Art war, wenn er von Maßnahmen für die Zukunft sprach. La Farina, der sich jedes Wort, ja die Mienen des Grafen merkte, erging sich noch eine Weile in Beschimpfungen aller, die an der Abtretung Savoyens oder an irgendeiner andern Handlung des Grafen etwas auszusetzen finden würden, worauf Cavour, in besondere Gedanken vertieft, nicht achtete.

Als er allein war, stand er auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab. ›Das Neugeborene,‹ dachte er, ›hängt an der Nabelschnur seiner Mutter, so trägt alles, was leben soll, seine Erdenspur. Es ist am Ende leicht, den Heiligen zu spielen und Kreuzzüge zu predigen und die schlechten Menschen dafür verantwortlich zu machen, daß Jerusalem in der Gewalt der Heiden bleibt; aber wenn man etwas erreichen will hienieden, muß man ein wenig mit dem Teufel paktieren, und das ist für einen, der immerhin kein Höllenbraten ist, eine heiklige Sache. Lieber wäre es mir gewesen, ich hätte Napoleon nicht gebraucht; aber gesetzt, die Revolution hätte helfen können, ihr ziehe ich ihn doch vor. Ein weiser Mann, wenn er in Not ist, wird sich lieber von seinesgleichen eine Summe vorstrecken lassen als von den Untergebenen seines Hauses.‹ Seine Stimmung erheiterte 14 sich allmählich; schließlich schalt er sich einen Toren, daß er sich mit Bedenken quäle, gerade wo sein mühevolles Werk der Vollendung nahe sei.

Bald darauf erhielt Cavour durch eine Depesche die Nachricht, daß Napoleon entschlossen sei, mit Oesterreich Frieden zu machen und daß Viktor Emanuel, wiewohl schmerzlich betroffen und enttäuscht, sich dem ausdrücklichen Wunsche seines kaiserlichen Verbündeten gefügt habe. Begleitet von einem jungen Diplomaten seiner Schule, der mit Liebe und Verehrung an ihm hing, begab sich der Minister unverzüglich nach Monzambano, wo der König sich aufhielt. In der Erwartung, bald dem Zusammenbruch seines Lebenswerkes gegenüberzustehen, litt er auf der Reise sich fortwährend steigernde Qualen, die eine zähe Hoffnung, es könne doch nicht so sein, nur empfindlicher machte. Im Grunde schien es ihm eine unglaubhafte Sache und fast lächerlich zu sein; denn weil das Schwanken des französischen Kaisers, ob er nun ein bestimmtes Ziel verfolgte und dies zu verschleiern suchte, oder ob er in Wirklichkeit bald hierhin, bald dahin tastete und sich wechselnd von verschiedenen Personen und eignen Launen bestimmen ließ, ihm seit lange wohlbekannt war und es ihm bisher noch stets geglückt war, es nach seinem Sinne zu befestigen, glaubte er auch dieser neuen Anwandlung Herr werden zu können. Erst eine Unterredung mit dem Könige, der das Geschehene bestätigte und für unabänderlich erklärte, gab ihm die Gewißheit, daß alles verloren war.

Der Graf gehörte nicht zu jenen, die eine Kränkung so reizt, daß sie heftig herausfahren, um sich auf der Stelle zu rächen, die um kleinerer oder größerer Widerwärtigkeiten willen sich gebärden, als brennte Rom; aber wenn er den Kern seines Daseins feindlich angegriffen fühlte, konnte er durch und durch 15 in ungestüme Wut geraten, die erbarmungslos denjenigen bedrohte, den er für den Schuldigen hielt. An den Händen zitternd, die er heftig bewegte, rief er mit ungemäßigter Stimme: »Das durfte nicht geschehen! Das darf nicht geschehen! Wir haben den Karren mit allzu großen Worten in Bewegung gesetzt, als daß wir ihn jetzt unverrichteter Sache im Dreck könnten stecken lassen. Wir müssen weiter, wir müssen Venedig haben, und läßt uns der Napoleon im Stich, müssen wir es ohne ihn versuchen. Verlieren wir das Wagnis, so tun wir es doch mit Ehre.« Der König maß Cavour, den er noch nie so unbeherrscht gesehen hatte, mit einem verwunderten Blick und sagte unmutig, ob der Graf meine, die Pille sei ihm nicht bitter zu schlucken gewesen? Doch habe er sich in seiner Rolle als konstitutioneller König daran gewöhnt, das Saure wie das Süße zu nehmen, ohne eine Miene zu verziehen. Er habe als Ehrenmann sich nicht mit dem Monarchen verfeinden können, der ihm den Erbfeind Oesterreich habe schlagen helfen.

»Der Friedensrichter oder Bürgermeister eines Dorfes darf so denken und handeln,« entgegnete Cavour, dunkelrot vor Zorn. »Wenn einer seinen Ruf als Biedermann nicht verscherzen will, soll er die Hand von der Politik lassen. Napoleon mag mit Ihrer Bundestreue zufrieden sein, das Volk wird es nicht mit Ihrer Königstreue sein.«

Der König sagte mit erkämpfter Ruhe, er gestehe niemandem ein Urteil zu in Fragen, die seine Ehre angingen.

»Um meine Ehre handelt es sich,« schrie Cavour außer sich, »um meine! Mich hat jahrelang der Hohn und Haß der Parteien getroffen, weil ich unsre Soldaten in die Ferne schickte anstatt gegen den Feind in unserm Nacken; weil ich trotz ihrer Einsprache mit 16 Napoleon unterhandelte; weil sie die Mittel nicht begriffen, durch die ich den Krieg ertrotzte; und schließlich, weil ich den Namen des Königs von Sardinien auf die Fahne des Krieges gesetzt habe. Ob mir der Ruhm des Gelingens zuteil geworden wäre, weiß ich nicht, aber die Schande trifft mich gewiß, wenn wir scheitern. Es hilft mir nichts, daß die Nachricht dieses Friedens mich wie ein Todesurteil traf; in den Augen Italiens bin ich es, der ihn gemacht hat, weil ich allein den Krieg gemacht habe!«

Viktor Emanuel betrachtete den maßlos erregten Mann mit Widerwillen. Es ging ihm durch den Kopf, daß er nicht die Art eines Italieners habe, sondern einem deutschen Kaufmann oder Bankherrn gliche, der durch Geiz, Ausdauer und ähnliche Tugenden ungeheuern Reichtum erworben habe und sich dessen bediene, um was frei und adlig sei zu knechten. Sein Feuerauge funkelte, indem er auf den zornigen Erguß antwortete: »Eins, Graf, werdet Ihr mir immerhin nicht streitig machen: daß ich der König bin.« »Aber ich mache die Krone!« stieß Cavour herrisch hervor, und der König ebenso schnell: »Und ich den Minister!« Man sah den Grafen, dessen Gesicht von Zorn und Verzweiflung entstellt war, eilig, als ob er auf der Flucht wäre, die Gemächer des Königs verlassen und seine Wohnung aufsuchen.

Der Ingrimm gegen den König kochte in ihm weiter, so daß er lange die Zähne aufeinander gebissen und die Fäuste geballt behielt; im Geiste packte er den König und schüttelte ihn und sagte ihm laut ins Gesicht furchtbare, tödlich treffende Dinge. Als indessen dieser Zorn einer natürlichen Erschöpfung wich, fing er erst an, das Geschehene mit seinen Folgen im einzelnen zu überblicken und seines ganzen Elends inne zu werden. Er hatte in den letzten Jahren oft gedacht und auch ausgesprochen, daß, wenn 17 seine Berechnungen trögen und es nicht zum Kriege käme oder der Krieg unglücklich verliefe, er ein gelieferter Mann wäre und nach Amerika auswandern und Kartoffeln pflanzen müsse; nun, dachte er, wäre es so weit. Er erinnerte sich der Augenblicke, wo er gekämpft und gezweifelt hatte, von vielen Seiten angegriffen, verleumdet, unverstanden, wo das Glück ihn zu verlassen, alles zu wanken schien und seine Gewandtheit nicht mehr, nur noch eine unregierbare Wendung von außen helfen konnte, und es schien ihm, als wenn jene marternden Stunden eitel Genuß des Lebens gewesen wären mit der unabsehbaren Hoffnungslosigkeit verglichen, die ihn jetzt umgab.

Die vielerlei Anfeindungen, deren Ziel er gewesen war, hatten ihn nicht angefochten, oft sogar belustigt, solange er voraussah, daß er eines Tages sagen würde: Seht, dies war meine Meinung! Der Knoten ist entwirrt, Oesterreich vertrieben, der Boden bereit, nun mag der Garten Italien sich entfalten; – aber jetzt war er wehrlos. Er fühlte zum voraus, wie die giftigen Pfeile ihn durchbohrten. ›Jetzt möchte ich Mazzini sein,‹ dachte er mit einem grimmigen und fast vergnügten Blinzeln in den Augen. ›Jetzt kann er sagen: 'Hättet ihr mir geglaubt! Ich habe es euch vorausgesagt! Warum trautet ihr Königen und Königsknechten! Seht euern Viktor Emanuel an, euern Edelmann: er steckt die Lombardei ein, und Italien wird mit leeren Taschen heimgeschickt.' Verflucht, verflucht die neunmal Gescheiten, die der Haß hellsehend macht! Sie freuen sich unsrer Niederlage, weil sie uns ihrer Ohnmacht gleichzustellen scheint.‹

Gegen seinen Willen kehrten seine Gedanken immer wieder zu Mazzini zurück. Es zwang ihn etwas, seinen jetzigen Sturz und seine Gebundenheit mit der großartigen Unbeugsamkeit des verhaßten Genuesen zu vergleichen, der sich mit Niederlagen zu 18 nähren und zu kräftigen schien. ›Gott helfe mir,‹ dachte er, ›ich habe jahrelang gearbeitet, um Italien diesem Manne zum Trotz nach meiner Weise zu ordnen, und habe nichts getan als der Revolution einen Triumph bereitet! Wir haben die Achtundvierziger verlacht und stehen nun selbst unter dem Fluche des Mißlingens. Ich hatte mir ein mäßiges Ziel gesteckt, keinen Babelturm in die Wolken errichten wollen, dem schönen Dunst der Volksbegeisterung nicht zuviel getraut; nichts hatte ich vernachlässigt, jede Vorsicht gebraucht, und es ist dennoch fehlgeschlagen. Derselbe König, der meine Pläne so oft durch Vorwitz und Abenteuersinn zu stören drohte, hat sie am Ende durch Kleinmut und Vorurteile zugrunde gerichtet.‹

Es verstand sich von selbst, daß Graf Cavour nunmehr von den Geschäften zurücktreten mußte; dies war nicht nur wegen des Zusammenbruchs seiner Politik, sondern auch wegen dessen notwendig, was zwischen ihm und dem Könige vorgefallen war. Das Verschwinden des Mannes, in dessen Händen bisher die Zukunft gelegen hatte, der in allen Wirrungen und Aengsten die Stirn klar und den Kopf hoch behalten hatte, entmutigte die große Partei der monarchischen Liberalen vollends. Die Lage schien schlimmer als zuvor.

*

Die Alpenjäger, die Garibaldi anführte, standen nach siegreichem Marsche durch die Lombardei bei Bormio im Veltlin.

Als die Nachricht von dem bevorstehenden Friedensschlusse und der Befehl, die kriegerischen Bewegungen einzustellen, im Lager eintraf, verbreitete sich besonders unter denen, die aus Venedig und dem Friaul stammten und Soldaten geworden waren, um ihre Heimat zu befreien, leidenschaftliche Entrüstung. Die aus 19 den kleinen Herzogtümern, von Modena und Parma, die annehmen mußten, daß ihre vertriebenen Fürsten nun von Oesterreich würden zurückgeführt werden, die von Neapel und Sizilien, meist alte Freiheitskämpfer, die die Hoffnungen und Enttäuschungen des Jahres 1848 durchgemacht und jetzt fester als je auf irgendeine günstige Wendung gerechnet hatten, gerieten in die größte Bestürzung; aber die Venezianer hatten ihre Befreiung als Ziel und Bedingung des Krieges angesehen, und wie sie bis jetzt keinen Zweifel hatten in sich aufkommen lassen, konnten sie nun das aus scheinbar grausamer Willkür auf sie zurückfallende Unglück nicht fassen. Auch die Lombarden, obschon weniger schwer betroffen, da ihnen wenigstens die Kette abgestreift und der erwünschte Anschluß an Piemont gesichert war, beklagten und tadelten, daß das wunderbare Waffenglück und die seltene Einigkeit der italienischen Stämme unausgenutzt gelassen werden sollte.

In einem kleinen Wirtshause, wo die Offiziere ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegten, wurde der allgemeine Unmut laut. Ippolito Nievo, ein Furlaner venezianischer Abstammung, dem schriftstellerische Arbeiten einen berühmten Namen gemacht hatten, und der mit kindlicher Andacht an seiner Heimat hing, versuchte sich selbst und die andern mit dem Gedanken an Garibaldis Macht und Hilfe zu vertrösten. Auf diesen Höhen, wo mitten in der Glut der nahen Sonne der starke Flügelschlag eines kühlen Windes wehte und die Zacken des Gebirges unerschütterlich im Getümmel der Lüfte standen, hatte sich Leib und Seele an den Genuß der Freiheit gewöhnt, und es erschien nicht möglich, daß man wieder in die alte Gebundenheit zurückkehren sollte. Garibaldi, meinte er, würde sich den siegenden Arm nicht binden lassen, würde die verratenen Brüder nicht im Stiche lassen, 20 bis er die Waffen nicht gestreckt hätte, wäre noch Raum zu hoffen. Andre schüttelten den Kopf. »Garibaldi,« sagte Rosagutti von Mailand, der die Verteidigung Roms unter dem General mitgemacht hatte, »ist ein andrer, als er vor zehn Jahren war. Auch damals opferte er den eignen Ehrgeiz und was er für das Wohl Italiens hielt, der Eintracht; denn seine Partei hätte ihm die Diktatur verschafft, die er brauchte, um Rom zu retten, wenn er sie nicht selbst zurückgehalten hätte, um den Bürgerkrieg zu vermeiden. Jetzt vollends, seit er die piemontesische Uniform trägt, wird er nichts Eigenmächtiges unternehmen.«

»Wer ihn damals nicht gesehen hat,« fügte der Maler Girolamo Induno hinzu, »kennt ihn nicht. In der roten Bluse und dem schwarzen Federhut, in dem weißen Mantel, der ihn wie ein ungeheures Geheimnis verhüllte, war er der Held aus andern Welten, von dem man Wunder erwartete. Uns Mailänder befremdete die Tracht zuerst, jetzt nehme ich Anstoß an der Uniform, die den einzigen zu einem von vielen macht.« Ein andrer sagte: »Er hat sich einen Herrn gewählt als Beispiel für viele, und solange er diesem treu bleibt, können auch wir es tun. Wüßte ich nichts von Viktor Emanuel, als daß Garibaldi seinen Namen auf Italiens Fahne geschrieben hat, es genügte mir, ihm zu vertrauen.«

Es sei etwas Eignes, sagte Carlo Gorini, der in Rom einen Arm verloren hatte, mit wieviel Zutrauen man den Krieg begonnen hätte, anders als je zuvor. In den früheren Jahren hätte die flackernde Erregung der Revolution geherrscht, man hätte das Leben doppelt und dreifach gewagt, weit weniger die Gegner im Kriege als die eignen Regierungen gefürchtet, die im Falle des Unterliegens mit Kerker, Schafott, unaussprechlichen Quälereien und Demütigungen gedroht hätten. An Sieg hätte man nur in Augenblicken 21 geglaubt; man hätte gelebt wie Flamme, die, vom Sturm angeblasen, himmelhoch lodern, in der Windstille am Boden kriechen und erlöschen. Jetzt sei es anders gewesen: die Erwartungen wären auf ein großes Heer, einen mächtigen Bundesgenossen, die Erfolge der Diplomatie und das Zusammenwirken vieler Parteien gegründet gewesen und hätten sich nun dennoch nicht verwirklicht. So scheine es, daß die Könige ebenso unstandhaft und unverläßlich seien wie das verrufene Volk.

Viele äußerten sich lebhaft, daß ihnen das Bündnis mit den Franzosen nie gefallen hätte. Viktor Emanuel sei gut, tapfer und ehrliebend, ein vortrefflicher König, aber kein Herrscher; man müsse es ihm anrechnen, daß er den dornenvollen Knoten der italienischen Frage in die Hand genommen habe, doch nichts Großes von ihm verlangen. Weil er viel zu verlieren habe, wage er nicht viel, er brauche Geländer und Schutzvorrichtungen, ohne die Franzosen werde er nichts unternehmen. Das Gespräch wurde lauter und heftiger; einige verteidigten die Politik Cavours, die meisten fühlten sich verraten, um so mehr, als alle wußten, daß die Freiwilligen nur geduldet, ungenügend ausgerüstet und in ihren Bewegungen mißtrauisch behindert worden waren.

In dem Augenblick, als Garibaldi, von Bertani und Medici begleitet, in den heißen Qualm des niedrigen Zimmers trat, legte sich das Lärmen, und alle Blicke richteten sich erwartend auf den General, dem diejenigen, die ihn besser kannten, die Erschütterung des Gemüts, wie ruhig auch seine Miene war, ansahen. Er sagte: »Meine Herren, der König hat, von Napoleon schmählich verlassen, sich zum Friedensschlusse bequemen müssen. Er befiehlt mir, die Feindseligkeiten einzustellen, und es ist an mir, zu gehorchen; aber ich tue es in dem Vertrauen, daß 22 Viktor Emanuel, wenn er sich aus den Schlingen der Diplomatie befreit hat, das erhabene Werk vollenden werde, dem er sein Leben gewidmet hat.« Die jungen Leute verstummten und führten dann das Gespräch halblaut weiter, während Garibaldi und seine Begleiter sich an einen andern Tisch setzten, um das Abendessen einzunehmen.

Garibaldi aß schweigend, Medici hingegen war zu erregt, um seinen Groll zu verstecken. Er schalt auf Cavour, auf das französische Bündnis, auf Napoleon, auf die Schwäche und Vertrauensseligkeit der Italiener. Keine Macht würde sie achten, bis sie sich selbst genügten und ihrer nicht mehr bedürften. Würde Napoleon einem andern Bundesgenossen so mitgespielt haben? Er wußte, daß sie sich alles gefallen ließen. Jene Worte, die im Jahre 1849 der französische Gesandte in Rom zu Mazzini gesprochen habe: die Italiener schlagen sich nicht, drückten immer noch die Meinung des Auslandes aus.

Bertani erinnerte daran, wie sein Freund Carlo Cattaneo ihm wiederholt gesagt habe, er könne keinen andern Rat in den italienischen Angelegenheiten geben als den einen: Werdet Soldaten! Macht euch stark! Das sei die Lösung. Cattaneo und Mazzini hätten nie an den Segen, der von Bonaparte kommen sollte, geglaubt. Auch er habe lange gezweifelt, dann habe die Lust zu hoffen ihn zu dem allgemeinen Glauben hingerissen. Es werde nicht wieder geschehen.

»Gibt es noch ein Land,« rief Medici, »wo so viel Furcht neben so viel Todesverachtung gedeiht? Wir brüsten uns mit unsern Schätzen und haben das Beste nicht, was die Erde hervorbringt: Männer, Männer, Männer gebrauchen wir, sonst nichts andres.«

»Sie haben alle, die Italien besitzt, mit Garibaldi in die Alpen geschickt,« sagte Bertani lächelnd.

Ippolito Nievo trennte sich früher als gewöhnlich 23 von seinen Kameraden und suchte sich einen von der Straße abgelegenen Platz zwischen Gras und Felsblöcken. Durch die mondlose Nacht schifften Wolken, an den getürmten Gipfeln landend und wieder hinaus ins Weite fahrend; er fühlte sich allein inmitten der großen Geheimnisse des Raumes und der Zeit. Das Heimweh riß an seinem Herzen: er dachte an die dunkeln Schlösser seiner friulischen Berge, das Land der Adler und der wilden Gesänge, der Einöden, Schluchten und lachenden Matten, wo er zu Hause war und das er nicht mehr sehen sollte; denn die österreichischen Untertanen konnten nicht unter ihre offen bekämpfte Regierung zurückkehren. Er liebte eine Frau, die ihn bald durch Zärtlichkeit beglückte, bald mit treuloser Kälte und koketter Grausamkeit quälte, immer aber durch die Süßigkeit ihres persönlichen Wesens unwiderstehlich anzog und ihn so die Zerrüttung des Wahnsinns hatte ahnen lassen; mit froher Sehnsucht hatte er in den Tagen der siegreichen Gefechte ihrer gedacht und zuversichtlich gehofft, daß er mit dem Vaterlande auch sie sich erkämpfen werde; nun fühlte er sich dem unberechenbaren Gange der Leidenschaft wie ein Bettler preisgegeben. Als er endlich aufstand, um der Schwermut zu entfliehen, die ihn erdrückte, und das Lager aufsuchen wollte, traf er auf Garibaldi, der unweit des Wirtshauses, in dem nun alles still war, an eine Felswand angelehnt stand. Er wollte, da er sich nicht traute, den General anzureden, mit einem Gruße vorübergehen, doch erkannte ihn dieser und nannte ihn bei Namen. »Liebt Ihr es auch,« sagte er, »in den Schoß der alten Nacht unterzutauchen und in ihrer Muttermilch Vergessenheit zu trinken?« – »Ich habe Abschied genommen,« sagte Ippolito Nievo mit schmerzlicher und fast vorwurfsvoller Betonung. Garibaldi antwortete gütig: »Ich verstehe Euch. Ihr 24 hattet andres gehofft. Aber es scheint, daß noch mehr Gräber über den Katakomben Italiens wachsen sollen, bis das Opfer voll ist. Jetzt müßt Ihr dem Vaterlande dienen, indem Ihr, ohne zu grollen und ohne zu verzagen, heimkehrt.« Ippolito wiederholte das Wort mit Bitterkeit: »Heimkehrt? Ich habe keine Heimat mehr.« Garibaldi schwieg eine Weile. »Ihr seid Venezianer,« sagte er dann. »Die Verbannten sind es, die am meisten lieben, die Italien befreien müssen. Wartet, ohne den Mut zu verlieren, bis ich Euch rufe: ich will nicht sterben, ehe ich Venedig frei gesehen habe.«

In seinem Innern zürnte Garibaldi dem Könige, daß er sich von der Diplomatie habe lähmen und mißbrauchen lassen; denn so faßte er es auf. Er hatte Augenblicke, wo er etwa so von ihm dachte: ›Die Geschichte hat ihn zum Könige der Vergangenheit gemacht und sein Herz zum Könige der Zukunft. Darum habe ich ihm das Schwert Italiens abgetreten, das ich in römischer Erde fand. Mein Blut rührte sich, als ich darüber hinging, ich hörte es in der Tiefe klirren, ich ergrub es mir. Wenn er untreu oder schwach wäre, so entreiße ich ihm die Waffe wieder, die mein ist. Es schützt ihn nicht, daß er König von Sardinien ist, ich habe mein Knie vor dem Könige von Italien gebeugt.‹

Nachdem der Frieden abgeschlossen war, verließen sämtliche Heerkörper ihre Stellungen, und die Freiwilligen kehrten zu ihrer bürgerlichen Tätigkeit zurück; aber die äußerliche Waffenruhe entsprach der Stimmung der Gemüter nicht. Nur zum Schein hantierten die Patrioten mit ihren alten Werkzeugen; sie horchten auf eine eherne Stimme, die das Zeichen gäbe, um das nahe verborgene Schwert zu ergreifen und aufs neue in die Schlacht zu stürzen. 25

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In der Zurückgezogenheit seines Landgutes ging dem Grafen Cavour die Erregtheit der Tage von Monzambano bald vorüber und machte einer leidlichen Gemütsruhe Platz, die tröstliche Erwägungen ermöglichte. Der Gedanke, der ihm in der Trübsal und Erniedrigung zuerst Erleichterung gebracht hatte, war der, daß Savoyen und Nizza nun unverloren seien, da Napoleon sich seinerseits nicht an den Vertrag gehalten hatte. In der Zukunft ließe sich Venedig vielleicht ohne Entgelt erwerben; er hielt es für ebenso weise, dem Zufall etwas abzulauern, wie mit eignen Kräften das Glück zwingen zu wollen. Schon zeigten sich allerlei Möglichkeiten, auf die man anfangs nicht gerechnet hatte; die Haltung der kleinen mittelitalienischen Herzogtümer, die Anstalt trafen, sich an Piemont zu schließen, eröffnete die Aussicht einer Ausbreitung nach Süden hin, was füglich für den Verlust Venedigs entschädigen konnte. Sogar in Florenz gingen hervorragende Männer mit dem Gedanken um, den Großherzog zu vertreiben oder zur Abdankung zu bewegen und Toskana mit dem neuen Königreich Oberitalien zu vereinigen. Allerdings war es noch ungewiß, was die vertriebenen Fürsten aufbieten würden, um ihre Throne wieder aufzurichten, und wie Napoleon sich dazu stellen würde, an dessen Ehrgeiz, in Italien durch die Person eines Anverwandten selbst eine Herrschaft zu gründen, nicht zu zweifeln war; allein mit Geduld, Geschick und Glück glaubte er, daß sich etwas Befriedigendes würde erreichen lassen. In der ersten Zeit empfand er es, wie ein Genesender, als wohltätig, den Dingen zusehen zu können, ohne eingreifen zu müssen. Der neue Minister, Urbano Rattazzi, war ein kluger, geschmeidiger, äußerlich hübscher und zierlicher Mann, dem es weniger um die Sache zu tun war als um die Rolle, die er dabei spielen konnte. Diejenigen, welche glaubten, man 26 müsse es als Mut und Selbstverleugnung anerkennen, daß er in einem Augenblick an Cavours Stelle trat, wo nichts Größeres zu tun möglich schien als Verunglücktes einzurenken oder schon errungene Früchte einzuheimsen, irrten sich nicht in bezug auf den Mut, woran es Rattazzi nicht fehlte; übrigens aber dachte er nicht daran, sich mit so wenigem zu bescheiden, sondern glaubte, es würde sich schon eine Gelegenheit finden, Cavour zu übertrumpfen, sich an Geschick oder Gesinnung ihm überlegen zu zeigen. Da er die Gabe besaß, immer das sagen, ja empfinden zu können, was dem, mit dem er sprach, gemäß und angenehm war, und die edeln Gefühle, die die Menschen begeistern, sich auf eine liebenswürdige Art in ihm spiegelten, ohne ihn zu beeinflussen, konnte er auf Anhang zählen. Cavour hielt ihn nicht mit Unrecht für einen Gegner und mochte ihn nicht leiden, billigte aber die Unbedenklichkeit, mit der er in dieser Zeit an das Steuer gegangen war, und meinte, er passe gut an eine Stelle, wo die Geschichte gerade eine Pause mache.

Mazzini, der ein unerwünschtes Ende des Krieges vorausgesehen hatte, empfand wenigstens das als eine Genugtuung, daß das Bündnis mit Napoleon gelöst war; er wollte, daß der Kampf um Italien, eine reine Sache, von dem italienischen Volke selbst mit reinen Mitteln bestanden würde. Beim Beginn des Krieges hatte der König von Sardinien eine Amnestie für alle um der politischen Verirrungen willen Verbannten erlassen; nur Mazzini war davon ausgeschlossen. Doch konnte er sich ungehindert in Florenz aufhalten unter dem Mitwissen und Schutze des Barons Bettino Ricasoli, der stolz darauf war, gerecht zu sein, und an Mazzini den strengen Idealismus, der seinem eignen Geiste entsprach, bewunderte. Gemeinsam mit ihm arbeitete Mazzini an dem 27 Anschluß Toskanas an Sardinien, insofern sie es als die Grundlage des einigen Italiens betrachteten.

Dort suchten Mazzini zwei Sizilianer auf, Freunde, die seit dem Jahre 1848 gemeinsam für die Befreiung ihres Vaterlandes tätig gewesen waren, Rosolino Pilo und Francesco Crispi. Rosolino Pilo war der jüngere Sohn eines adligen, seit Jahrhunderten auf Sizilien ansässigen Geschlechtes; er war von zartester Gesundheit, doch schienen seine Kräfte desto ausgiebiger zu wirken, je mehr er sich Mühsalen und Entbehrungen aussetzte. Wenn er sich dem Schwersten unterzog, schien das weniger Mut und Tatkraft zu sein als vollständig mangelndes Bewußtsein der Gefahr; er dachte nicht daran, daß ihm etwas zustoßen könne. Indessen wie sehr er das Leben liebte, lebte er doch nicht in der Gegenwart, vielmehr war ihm diese immer nur etwas Vorbereitendes, an sich Wertloses, über das er hinwegeilte irgendeinem in weiter Ferne golden glänzenden Ziele zu, sei es der Vereinigung mit einem Mädchen, das er liebte, oder der Befreiung des Vaterlandes oder noch andern Wundern, die ihm vorschweben mochten. Er kannte Mazzini seit langem und liebte ihn mit der verehrungsvollen Hingebung eines Sohnes; von Crispi hatte er ihm oft als von dem festesten Willen und Vermögen unter den sizilianischen Patrioten gesprochen. Crispi war damals 40 Jahre alt, Rosolino Pilo etwas jünger und erschien es noch mehr.

Die Absicht ihres geheimen Besuches war, Mazzini zu bereden, daß er sein ausschlaggebendes Wort einer schleunigen Unternehmung zugunsten Siziliens zugute kommen lassen möchte, wofür sie die Zeit gelegen hielten. Mazzini war im Gegensatz zu ihnen der Meinung, daß es besser sei, von den römischen Staaten, die zuerst zu erobern seien, als von der gesicherten Mitte aus nach Neapel und von dort aus 28 nach Sizilien vorzuschreiten; wenn aber eine Expedition für Sizilien zustande komme, wolle er nicht dawider sein, sondern soviel an ihm sei, zum Gelingen beitragen. Garibaldi habe den Oberbefehl über ein Heer der vereinigten mittelitalienischen Staaten übernommen und liege an der Grenze des Kirchenstaates; er plane einen Einfall in die Marken, sowie er von dort aus eingeladen werde oder außergewöhnliche Bewegungen ihm den Vorwand gäben. Er, Mazzini, fürchte allerdings, Garibaldi, der auf die geheime Unterstützung des Königs rechne, täusche sich, vielleicht werde man ihn nur hinhalten und schließlich am Handeln verhindern; allein man könne den Ereignissen nicht vorgreifen, und das Gelingen dieses Planes sei, nach seiner Meinung, für jetzt das Wünschenswerteste.

Die Sizilianer fragten Mazzini, ob er glaube, daß Garibaldi eine Expedition für Sizilien anführen würde? Das Gesicht Mazzinis verdunkelte sich. »Wer kann es wissen?« sagte er. »Ich bin nicht in seinem Vertrauen. Als wir vor drei Jahren in ihn drangen: Tue es! schien er zuerst geneigt; dann plötzlich erklärte er, es sei die rechte Zeit nicht, und keine Vorstellungen, kein Flehen brachten ihn von diesem unbegreiflichen Urteil zurück oder beugten seinen Willen. Der unglückliche Pisacane wagte es selbst und fand seinen Tod von den Händen des Volkes, das er befreien wollte.« Auch jetzt, sagte Crispi, würden sich Männer genug finden, die sich an die Spitze eines Unternehmens auf Sizilien stellen würden. Da sei La Masa, der ungeduldig warte, daß man ihn riefe; aber was ihn, Crispi, beträfe, so würde er seine Hand aus der Sache ziehen ohne Garibaldi. Rosolino fügte hinzu: »Es haben viele ebensoviel Opfermut, Tapferkeit und Umsicht wie Garibaldi; aber nur er hat den Stern.« Mazzini nickte und 29 sagte: »Ich warne euch, nichts ohne Garibaldi zu wagen. Er wird es nicht tun als unter der Fahne Viktor Emanuels, und wir müssen ihm dennoch folgen. Nichts soll uns bewegen, unsre Ueberzeugung zu opfern, die bleibt; aber den Stolz und das Glück, für unsre Idee nach unserm Sinne zu wirken, können wir Italien und unserm Volke opfern. Wenn dieser König Italien machen kann und mit dem Volke machen will, das sich ihm freiwillig ergibt, sollen wir der Einigkeit, die wir sie lieben lehrten, nicht im Wege sein. Unsre Pflicht ist, jetzt zu helfen, und wenn das Werk vollendet ist, ohne Dank und Lohn beiseitezutreten.«

Crispi erwiderte: »Ich liebe Piemont nicht und die Monarchen noch weniger, ich bin Republikaner; aber die Bourbonen müssen aus Sizilien, und Garibaldi muß sie vertreiben. Will er sie durch Viktor Emanuel ersetzen, so müssen wir uns damit abfinden und aus dem Uebel das Beste machen.« Sehr unzufrieden hingegen äußerte er sich über Garibaldis Anschlag auf die Marken. Erst die beiden Sizilien würden aus dem vergrößerten Sardinien Italien machen. Immer wäre der erste Hauch der Freiheit vom Süden, von Sizilien gekommen. Jetzt sei dort alles voll verborgener Glut, man dürfe nicht zu lange mehr warten. Durch Verzögerung seien zu oft schon die kostbarsten Kräfte erstickt worden.

Es sei so schlimm nicht, entgegnete Rosolino Pilo. Schließlich komme es auf eins heraus, welcher Teil Italiens zuerst befreit würde, man solle nicht als Sizilianer, sondern als Italiener fühlen. Wenn Garibaldi die Gelegenheit ergreife, die sich ihm biete, müsse man ihm beistimmen, ihn unterstützen. Er wolle jedes andre Vorhaben hintansetzen, um hinzueilen und unter Garibaldi zu kämpfen, wenn dieser ihn verwenden könne. 30

Er zeigte, da ihm dieser Einfall einmal gekommen war, die lebhafteste Ungeduld, ihn auszuführen, und überwand alle Bedenken Crispis spielend. Mazzini billigte seinen Entschluß und nahm mit mehrmaligen Umarmungen Abschied von ihm, indem er lächelnd sagte: »Eure Liebe muß mich für viel Haß entschädigen.«

Allein geblieben, setzte sich Mazzini auf einen Stuhl, der am Fenster stand, und stützte den Kopf in die Hand, die unmerklich zitterte; auch seine Knie zitterten ein wenig. Er hatte Rosolino Pilo niemals ohne Bangigkeit scheiden sehen können, der für jedes Uebermaß des Lebens zu zart schien und für den es nur Anstrengungen und Peinigungen gab; doch schien es ihm, als wäre es ihm noch nie so schwer geworden wie dieses Mal. Wenn er leicht fürchtete, war das keine Empfindsamkeit: viele, wie viele von denen, die er im Herzen getragen hatte, waren früh auf dem von ihm gewiesenen Wege zugrunde gegangen; aber es wunderte ihn, daß er sich um diesen Sizilianer mehr sorgte und ängstigte als je um einen andern, während er doch viele ebenso liebgehabt hatte. Er dachte an Jacopo Ruffini, seinen ersten Freund, den die Unmenschlichkeit seiner Kerkermeister und sein zartes Gewissen unter den furchtbarsten Umständen zum Selbstmord getrieben hatten; was der ihm war, war ihm hernach keiner mehr gewesen. An ihn zu denken war ihm so schmerzvoll, daß er noch jetzt sich davor fürchtete, indem er sich danach sehnte. An einen andern Jugendfreund dachte er, Carlo Bini, einen liebevollen, erwartungsvollen Menschen, der in frühen Jahren gestorben war; an Goffredo Mameli mit den Träumeraugen und dem kindlichen Durst nach Taten, an die schönen Delirien des Sterbenden unter dem Krachen der untergehenden Republik Rom. Dann dachte er an Pisacane, seinen Abschied von Genua, 31 als er das Schiff bestieg, das ihn zum Tode trug, an seine Frau, die verzweifelte und nicht zu weinen wagte, an seine eigne böse Ahnung, an das qualvolle Hoffen und das Eintreffen der schauderhaften Kunde. Alle diese und andre Verluste hatte er, wenn nicht verschmerzt, doch überwunden; er hätte künftigen, so schien es ihm, gefaßter entgegensehen sollen.

Indem er darüber nachdachte, kam es ihm in den Sinn, daß er alt geworden sei. Er besann sich auf die Rasereien der Verzweiflung, auf die leidenschaftlichen Kämpfe mit Todesschmerzen, die er einst durchgemacht hatte und von denen er wußte, daß sie nicht wiederkommen konnten; aber die Schwungkraft, die ihn beseelte, wenn die Stürme vorüber waren, kam ihm auch nicht wieder. Alt war er geworden, das war es, wenn er auch erst wenige Jahre über fünfzig war; erlebt hatte er mehr als hundert. Er zweifelte nicht daran, daß er noch viel würde tun, ja er hoffte, daß er noch Großes würde leisten können, nur das Leiden grub sich tiefer in seine Seele und war schwerer wegzuwischen, und in seiner Liebe lag die angstvolle Zärtlichkeit des Zukunftslosen. Er sah aus dem Fenster seines hochgelegenen Zimmers auf die Straße, in der die Menschen lärmend, lachend und gestikulierend durcheinander wogten. Wie waren ihm alle diese gleichgültig gegen das vertraute Gesicht Rosolino Pilos mit der strahlenden Stirn, in die die braunen Locken fielen. Die Geschäftigkeit der Leute da unten hatte für ihn etwas Abstoßendes, ohne daß er wußte warum, er konnte nicht zu der Empfindung gelangen, daß sie seine Landsleute waren und zu dem Volke gehörten, dem er sein Leben geopfert hatte. Mit quälenden Gedanken starrte er in die enge Straße, bis der Abend sie mit Schatten füllte. 32

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