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Vor Jahren hatte Tycho de Brahe, der kaiserliche Astronom, in einer mißvergnügten Stimmung den Kaiser vor seinem sechzigsten Lebensjahre gewarnt, während dessen sein Leben durch Mord oder sonstiges Verhängnis in Gefahr schwebe. Zu weiteren Erklärungen hatte sich Tycho nicht bewegen lassen, wie denn überhaupt der hoffärtige Däne seine Aussprüche wie Kostbarkeiten von sich gab, von denen er sich ungern trennte. Von Johannes Kepler, dem armen Schwaben, der um des Glaubens willen Amt und Brot verloren hatte und dankbar sein mußte, in Prag eine Unterkunft zu finden, hatte der Kaiser erwartet, daß er ausgiebiger sein würde; anstatt dessen war von diesem eigensinnigen Manne noch weniger herauszubekommen. Je mehr sich der Kaiser seinem sechzigsten Jahre näherte, desto häufiger lag ihm die Prophezeiung des Tycho beängstigend im Sinne, und eines Abends ließ er seinen Astronomen zu sich bescheiden in der unbestimmten Hoffnung, derselbe könne sie entkräften oder eine tröstliche an ihre Stelle setzen. Kepler, der es nicht vertragen konnte, in der Arbeit gestört zu werden, war ungehalten; er sei nicht des Kaisers Narr, murrte er, indem er seine Mappe zurückstieß, daß die beschriebenen Blätter im Zimmer umherflogen. Da sich seine Frau unter Seufzen anschickte sie aufzulesen, rief er ihr zu, sie solle das lassen. »Wenn ich meinen Brei verbrannt habe, werde ich ihn auch selbst auslöffeln«, sagte er ärgerlich. Warum er sich beklage, sagte jetzt die Frau vorwurfsvoll, daß der Kaiser ihn wie einen Lakaien oder Laufburschen traktiere? Er hätte zeitig vorbauen und als ein Mann von Adel, und der auf seine Würde hielte, auftreten sollen. Auch der Tycho hätte ihn, Kepler, wie einen Diener behandelt, und er hätte sich's gefallen lassen, nur zu Hause könne er den Part des Löwen brüllen.

Kepler entschuldigte sich, er dürfe es doch mit dem Kaiser nicht verderben, schließlich sei es ja das schlimmste nicht, daß er nachts noch einmal auf das Schloß müsse, so gehe es bei Hofe einmal zu. Der Kaiser habe ihm doch auch Huld und Vertrauen erwiesen, und er habe Ursache, ihm dankbar zu sein. Was nämlich in Prag für Kepler unschätzbaren Wert hatte, waren die Beobachtungen, die Tycho de Brahe in langen Jahren über die Bahn des Planeten Mars angestellt hatte und die er zum Ausbau seines Systems gebrauchte. Als nun nach dem Tode des Tycho seine Erben diese Papiere nebst dem ganzen Nachlaß für sich beanspruchten und dem Kepler nicht zur Einsicht lassen wollten, entschied der Kaiser zu seinen Gunsten, damit er sein Werk vollenden könne.

Im Schlosse angelangt, erzählte Kepler, in der Meinung, der Kaiser wolle über den Fortschritt seiner Arbeit unterrichtet sein, es gehe rüstig vorwärts, und im Laufe eines Jahres könne er etwas Neues, der Aufmerksamkeit Würdiges im Druck erscheinen lassen. Durch die Berechnungen des Tycho sei er instand gesetzt, den erhabenen Traum des Kopernikus auf die festen Säulen der Wirklichkeit zu gründen, und er zweifle nicht, daß diese Entdeckung den Ruhm des Kaisers vermehren werde, dessen Großmut ihm zum Besitz der dazu notwendigen Hilfsmittel verholfen habe.

Der Kaiser hörte freundlich und ein wenig zerstreut zu; ob der neue Kalender noch nicht fertig sei? fragte er. Nein, antwortete Kepler, es stehe noch etwas aus, er sei allzusehr in seine große Arbeit vertieft gewesen, hätte auch einen neuen Stern am Himmel beobachtet, was ihm viel Zeit und Gedanken genommen hätte.

Ein neuer Stern? fragte der Kaiser; was das zu bedeuten habe. Ob es ein Komet sei. Nein, sagte Kepler, ein Komet sei auch sichtbar, aber dieser Stern gebe ihm mehr zu denken. Ob er ihn sehen wolle? Er könne ihn von der Galerie des Belvedere aus beobachten. Die Dienerschaft und die übrigen Anwesenden waren erstaunt, als der Kaiser seine Geneigtheit erklärte, und vollends erschrocken, als er ihre Begleitung ausschlug. Der Kepler solle ihn führen, sagte er, indem er diesen fragend ansah, worauf der lachend antwortete, das getraue er sich wohl, und sehen müsse der Kaiser ohnehin mit seinen eigenen Augen. Es könne der Majestät doch etwas zustoßen, sagte der neue Ofenheizer Rhutsky ängstlich, wenigstens müsse mit Windlichtern geleuchtet werden, und unten vor der Galerie müsse jemand warten, für den Fall, daß der Kaiser etwas benötige. Nachdem alles angeordnet war, ergriff der Kaiser Keplers Arm und ließ sich von ihm durch den Schloßgarten am singenden Brunnen vorüber zum Belvedere führen. Vor dem jähen Anblick der himmlischen Unendlichkeit schloß der Kaiser die Augen und hieß Kepler durch einen Wink mit der Hand einen Sessel dicht an die Mauer rücken, denn er litt an Schwindel. Den Pelz, den man ihm umgehängt hatte, dicht um sich ziehend, obwohl es eine laue Frühlingsnacht war, setzte er sich und blieb eine Weile so, ohne sich zu rühren. Nachdem er sich erholt hatte, wies ihm Kepler erst den Kometen, der als ein schwacher, etwas verschwommener Schein aus dem blaßblauen Himmel auftauchte, und dann den neuen Stern, der sich im Sternbild der Leier zeigte. Wenn er recht aufmerke, sagte er zum Kaiser, werde er sehen, daß dieser Stern anders als die anderen, wie eine stark brennende Fackel aussehe und daß zuweilen rubinrote Zungen darin aufflammten, als ob in einem Hochofen gewisse Stoffe zerschmolzen würden. Er halte dafür, daß es mit diesem Stern seine besondere Bewandtnis habe.

Was er damit andeuten wolle? fragte der Kaiser aufmerksam, er solle es ungescheut heraussagen.

»Wie,« sagte Kepler, »wenn es gar kein Stern wäre, sondern eine Welt, die jenseits der uns sichtbaren Sonnenwelten läge und die, durch inneres Gesetz oder unerforschliche Revolutionen erschüttert, untergehend durch unseren Raum stürzte? Dann freilich müßte sie, wie sie aus ihrer, unseren armen Werkzeugen unzugänglichen Entlegenheit herausbrach, auch wieder verschwinden.« Ein neuer Stern müsse einen neuen Kaiser bedeuten, sagte der Kaiser, so viel verstehe er auch von der Sternkunst.

Ach nein, sagte Kepler gutmütig, indem er sich über den Lehnstuhl des Kaisers beugte, das solle er sich doch aus dem Sinn schlagen. Der Weltensturz, der jetzt dort erscheine, sei vor unmeßbarer Zeit geschehen, als die römischen Kaiser deutscher Nation noch gar nicht vorhanden gewesen.

Aber umsonst könne er doch nicht erscheinen, beharrte der Kaiser, und auch nichts Geringes zu bedeuten haben.

Kepler zuckte ein wenig ungeduldig die Schultern und sagte nach einer Weile: »Wenn es so wäre, daß wir, die irdische Luft verlassend, im Äther atmen und in den Weltraum hineinschiffen könnten, dann würden wir Jahrhunderte reisen, bis wir etwa in die Nähe jener Welt kämen. Wenn unser Herz dann von dem Donner der umrollenden Sonnen und dem Anblick der entblößten Allmacht Gottes noch nicht gebrochen wäre, würden wir vielleicht sehen, wie ein aus den Weltentrümmern verjüngter Ball durch den kochenden Ozean rollte. Scheiterte dann unser Schiff in der feurigen Brandung, wer früge danach? Was könnten wir den Erstlingen Gottes gelten?«

Der Kaiser wendete sich mit mißtrauischem Blick nach Kepler um. Er sei ein Ketzer, sagte er; ob er etwa nicht glaube, daß Gott, der die Menschen erschaffen habe, ihren Lauf und die Stunde ihres Todes wisse? Ob er nicht glaube, daß Gott sie durch Zeichen warnen könne?

»Alles, was geschieht, geschieht in Gott,« sagte Kepler eifrig, »und also ist Gott allwissend.« Es möchte auch wohl sein, fuhr er fort, daß, da alle Teile der Welt in Gott zusammenhingen, der eine Teil sich im anderen spiegle. Aber so im einzelnen könne man dem nicht nachgehen. Es könnten auch Kaiser auf anderen Sternen regieren, um die sich Gott bekümmern müßte, man könnte da leicht etwas auf den unrechten Ort beziehen. Wolle der Kaiser aber durchaus eine Auslegung von ihm haben, so wolle er ihn mahnen, nach Ungarn zu blicken, weil der Stern dort hinüber aufgegangen sei.

So gehe es doch auf den Matthias, murmelte der Kaiser, in sich hinein schaudernd.

Das habe er nicht gemeint, sagte Kepler, mitleidig in das fahle, jammervolle Gesicht des Kaisers blickend. Die Ungarn seien rebellisch, das sei allbekannt, aber es fehle ihm ja nicht an treuen Untertanen. Er wolle den Kaiser nun aber wieder hinunterführen, die nächtliche Kühle könne ihm schaden, und der Komet sei ohnehin schon untergegangen.

Folgsam stand Rudolf auf, lehnte sich auf Keplers Arm und wandte sich der Treppe zu, ohne noch einen Blick in den Himmel zu werfen, der von unzählbaren aus seiner Unermeßlichkeit quellenden Keimen zitterte.

Trotz seiner Müdigkeit konnte der Kaiser nicht schlafen. Von Matthias, stöhnte er, von Matthias drohe ihm Gefahr, er sei des Todes, niemand könne ihn retten. Philipp Lang suchte ihn zu beruhigen: hier in der Burg sei er sicher, alle Zugänge seien von zuverlässigen Leuten besetzt, zu ihm könne man nur über seine, Langs, Schwelle. »Du verstehst mich nicht«, sagte der Kaiser, der aufrecht im Bette saß; »ich fühle, als bohre sich ein glühender Nagel in meinen Kopf und als zerschmölze mein Gehirn zu Gallert und fließe aus.« Das freilich schmecke nach Zauberei, sagte Lang; er kenne aber einen alten Juden, der wisse einen Gegenzauber, bei Tage wolle er ihn auf die Burg kommen lassen. Einstweilen solle der Kaiser sich wieder niederlegen und zu schlafen versuchen. In der Tat legte sich der Kaiser, damit Lang ihn verließe; es war ihm plötzlich eingefallen, daß es auch Lang sein könnte, der ihn vermittelst Zauber zu Tode quälte, wenn er mit solchen Leuten Umgang hatte. Er konnte es im Auftrage des Matthias tun oder um böser Lust zu frönen; der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, indem er bedachte, wie nah er seinen Henker bei sich hätte. Als Rhutsky am Morgen in seine Kammer trat, winkte er ihn zu sich und fragte ihn leise, ob er oder einer von den anderen Dienern den Lang jemals bei verbotenen Künsten ertappt hätte. Er solle es bei seinem Leben bekennen.

Rhutsky fiel auf die Knie und gestand endlich, er habe lange schon den Argwohn, daß Lang ihn, den Kaiser, behext habe. Er solle sich aber nicht merken lassen, daß er ihm auf der Spur sei, sonst könne es ein böses Ende nehmen; nur solle er Lang unter diesem und jenem Vorwande nicht so viel an sich heranlassen, und wenn er ihn berührt hätte, sich darüber bekreuzen.

*

Zu seinem Stellvertreter bei dem Reichstage, den das immer dringender werdende Geldbedürfnis notwendig machte, ernannte der Kaiser seinen Neffen Ferdinand von Steiermark, der ihm weniger anstößig war als seine Brüder. Den Protestanten war das unlieb, denn die Gewaltsamkeit, mit der Ferdinand in seinem Lande das evangelische Bekenntnis ausgerottet hatte, ohne Erbarmen mit dem Jammer der Betroffenen zu haben und selbst die Verödung seines Reiches nicht scheuend, hatte Mißtrauen und Abneigung gegen ihn erregt. Ferdinand war vergnügt, eine so bedeutende Rolle spielen und weithin wahrnehmbares Gepränge entfalten zu können; andererseits gab er seine häusliche Bequemlichkeit ungern auf und dachte mit Unlust an die verwickelten Schwierigkeiten, die es zu lösen galt. Er hatte vor einigen Jahren seine Cousine, die Schwester des Herzogs Maximilian von Bayern, geheiratet, nachdem seine Mutter unter Aufbietung ihres Ansehens und ihrer Strenge ein untunliches Liebesverhältnis, das ihn beherrschte, abgeschafft hatte. Nach einiger Zeit verliebte er sich denn auch in die Base, obwohl sie unansehnlich, schwächlich und kränklich war, und fühlte sich in der Ehe vollkommen befriedigt. Zwar fehlte es seiner Frau nicht an beschränktem Eigensinn, aber er zeigte sich fast nur in der Religion, wo es ihm recht war; ihm und seiner Mutter gegenüber war sie ganz Opfer und Hingebung. Diese, deren nie geschonter Körper allmählich mürbe zu werden begann, gewöhnte sich, den Herrscher in ihrem Sohne zu sehen, seit er einen eigenen Hausstand hatte, und so fühlte er sich zu Hause weich gebettet und geborgen und wußte nichts anderes, als daß es ihm überall und jederzeit gelingen müsse.

Auf den Straßen nach Regensburg, wohin der Reichstag ausgeschrieben war, zogen Lastwagen die Vorräte für die Tafel der anwesenden Fürsten und Herren; von Gradisca kamen Austern, Thunfisch und Stockfisch, von Triest allerhand Südfrüchte, vom Breisgau Wein, von Linz gesalzener Hecht und Konfekt. Die Fuhrleute, die die Frachten begleiteten, waren sorglich in Schafpelze gewickelt; denn der Winter war kälter, als er seit Menschengedenken gewesen war. Der Schnee war hart gefroren und bog sich wie eiserne Stangen unter den Füßen; man erzählte sich, daß irgendwo der Wein im Keller erfroren wäre.

Die protestantischen Fürsten erschienen nicht selbst, sondern waren durch Gesandte vertreten, die einmütig darauf unterwiesen waren, nichts zu bewilligen, bis die Justizreform, welche die Evangelischen verlangten, an Hand genommen sei. Über den Vorverhandlungen, was zuerst beraten werden solle, ob die Türkensteuer oder die Justizreform, vergingen Wochen, die den Protestanten manches unliebsame Erlebnis brachten. Nach einem Gastmahl, welches von katholischer Seite veranstaltet war, wurde einer aus der kurpfälzischen Gesandtschaft so krank, daß er mitten in der Nacht einen Arzt rufen lassen mußte. Dieser, ein Jude, untersuchte den Kranken, schüttelte den Kopf und fragte, was er gegessen und getrunken habe, ob er Feinde habe, die ihm etwas Giftiges beigebracht hätten? Nachdem er wiederhergestellt war, wurde er mit dem Arzt und seinen vertrauten Freunden einig, die Sache zu verschweigen, sich aber inskünftig vorzusehen. Andererseits war es bedenklich, Einladungen von der katholischen Partei auszuschlagen, da das als Mißtrauen konnte gedeutet werden. Einem anderen wurde nach einer Purganz, die er aus der Apotheke hatte holen lassen, so übel, daß er mehrere Tage das Bett hüten mußte. Wenn man nun aus der Apotheke für Heilmittel schädliches Gift erhielte, sagte man sich, wie sollte man denn in diesem Mordpfuhl sein Leben bewahren?

In der Weihnachtszeit kam ein Jesuitenpater aus Rom, der dem Erzherzog Segenswünsche des Papstes überbrachte und der von den Katholiken als ein Phönix der Gelehrsamkeit und der Beredsamkeit gepriesen wurde. Wenn er predigte, war die Kirche von den fürstlichen und anderen hohen Herrschaften, die in großer Pracht aufrückten, angefüllt. Dahin zu gehen, unternahmen die Protestanten zwar nicht, aber es wurde manches von dem, was er gesagt hatte, gerüchtweise umgetragen wie auch gedruckt, so daß es jedermann lesen konnte. Es sei nun die heilige Zeit, hatte er in einer Predigt gesagt, wo das teure Gottessöhnlein zur Welt geboren sei und auf unbegreiflich wunderbare Weise jedes Jahr wieder herabgesendet werde. »Ach, wie gut werden ihn die frommen Knechte und demütigen Seelen empfangen! Da ist ja kein Herodes mehr, kein Lasterkönig, den es gelüstet, sich im Unschuldsblute zu besaufen! Armes Kindlein, du meinest es wohl; aber da stehen schon die heuchlerischen Pharisäer, fletschen die Zähne und stellen dir Fallen, um dich seraphisches Häslein zu fangen! Sie schreien Mord! und Feuer!, nennen Christum den Antichrist und werfen Seile aus, um die heilige Kirche zu erwürgen. Und wie steht es unterdessen mit den christlichen Gläubigen, die das Kindlein warten und schützen sollen? Ja, den Glauben hätten sie wohl, aber am Mut des Glaubens fehlt es. Wie Pilatus, der Trottel, für den Gott das Fegefeuer eingesetzt hat, waschen sie die Hände, halten Maulaffen feil und tratschen, während Herodes seinen Blutrat über das Kindlein hält. Drauf! Drauf, ihr Lauen! Zieret euch nicht, brecht den Wölfen die Zähne aus, die das Kindlein zerreißen sollen!«

Allerdings wollten sich die Katholiken verantworten, als gingen solche Anspielungen auf die ungläubigen Heiden und die Gottlosen im allgemeinen; aber was davon zu halten war, lag am Tage. Der Regensburger Rat gab das Versprechen, der Drucker solle vernommen und bestraft werden, richtete aber trotz vieler Worte nichts aus, um es mit den mächtigen katholischen Fürsten, die anwesend waren, nicht zu verderben.

Mit dem Erzherzog Matthias, der sich eine Zeitlang in Regensburg aufhielt, und seinem Abgesandten, dem Herrn von Starhemberg, waren die Evangelischen in leidlich gutem Einvernehmen, sehr zum Ärger Ferdinands, der mutmaßte, sein Oheim wolle mit den Glaubensfeinden paktieren, um sich ihres Beistandes zu rebellischen und gefährlichen Zwecken zu versichern. Eines Abends hatte der Erzherzog den pfälzischen Großhofmeister, Grafen Solms, und den Erzbischof Schweikhard von Mainz eingeladen, die etwa um Mitternacht zusammen aufbrachen. Der Erzbischof war ein stämmiger, aufrechter Herr, zwischen fünfzig und sechzig Jahren, mit rundem, fröhlichem Gesicht, der weder beim Zechen noch bei der Jagd oder im Gespräch ein Spielverderber war und weniger Anstoß an einem von dem seinigen abweichenden Glaubensbekenntnis nahm, als wenn einer seinen Lieblingswein verschmähte oder ein Rebhuhn nicht essen mochte, das er geschossen hatte. Seine Rede war, mit einem Biedermann könne man immer auskommen, einerlei ob er katholisch oder evangelisch sei, es sei töricht, sich das Leben mit Zwist und Hader zu verbittern, das ohnehin voll Ungebühr und Gefahren sei. Den Evangelischen gegenüber betonte er gern seine friedfertige, altdeutsche Gesinnung und stand in freundnachbarlichem Verkehr mit dem Kurfürsten von der Pfalz wie auch besonders mit dem gleichgesinnten, kaisertreuen Landgrafen von Hessen-Darmstadt.

Indem nun der Erzbischof in seinen Wagen steigen wollte, der an der Tür auf ihn wartete, bemerkte er, daß Graf Solms und sein Begleiter Camerarius keinen hatten, und lud sie ein, zu ihm einzusteigen, er wolle sie nach Hause fahren. Sie wären fremd hier, es gäbe allerhand Gesindel und Raufbolde in einer großen Stadt, sie hätten selbst pokuliert und wären nicht so fest auf den Füßen wie sonst, sie könnten in den engen Gassen einen Schrecken davontragen. Graf Solms dankte, sie hätten nicht weit zur Herberge und wollten ihn nicht belästigen, noch viel weniger seine Nachtruhe verkürzen. Ob sie ihn für einen alten Mann ansähen? fragte der Erzbischof lachend; so wolle er ihnen etwas Besseres zeigen. Wollten sie nicht mit ihm fahren, so wolle er mit ihnen gehen, der Wagen könne langsam hinterdreinfahren. Es war weit und breit still, man hörte nichts als das leise Singen des Schnees unter den Füßen. Hinter den Fenstern war nirgends mehr Licht, die Sterne glitzerten fern und frostig, und die Lichter in den Laternen, die die Diener trugen, hüpften wie die Augen einer wilden Katze über den Boden. Wie sie über den Platz bei der Emmeranskirche gingen, schien es ihnen, als ob sich am Chore etwas bewege, und indem sie sich umsahen, kam zwischen den Bäumen, die dort standen, ein verhüllter Mann hervor, trat schnell an des Grafen Seite und bat dringend um ein Almosen. Während der Diener, dem der Graf einen Wink gab, mit zitternder Hand in der Tasche nach einer Münze suchte, schob der Erzbischof seine Pelzkapuze zurück, trat dicht vor den Mann und sagte mit laut schallender Stimme: »Mitternacht ist keine Zeit, um Almosen zu bitten; wenn du in Not bist, so melde dich morgen bei mir, dem Erzbischof von Mainz«, worauf der Verhüllte augenblicklich zurückwich und in eiliger Flucht hinter der Kirche verschwand. Schweikhard triumphierte, er hätte es vorausgesagt, es sei jetzt ein großer Zulauf von abenteuerndem Gesindel in Regensburg, wäre er nicht zur Stelle gewesen, hätte der Wegelagerer ihnen noch ein Stück Geld abgeängstigt. Die Herren ließen es dabei, hielten aber dafür, der Mann sei ein Jesuit oder von Jesuiten gedungen gewesen und hätte es auf einen Mord abgesehen gehabt. Würde ein Bettler, dachten sie, sich in diesen kalten Nächten, wo die Vögel erfroren, auf die menschenleere Gasse stellen? Wer konnte sagen, ob der Erzbischof nicht von dem schwarzen Anschlag Wind bekommen und ihn aus löblichem Antrieb seines Herzens zunichte gemacht hatte?

Dem Stellvertreter des Kaisers, Ferdinand, wurde seine Bürde desto lästiger, je weniger ein Ende abzusehen war. Kam er vergnügt von einer Jagd oder Prozession zurück, so konnte er sicher sein, daß ihn eine unbequeme Nachricht von den Geschäften erwartete. Die Ketzer seien nun einmal halsstarrige Esel, sagte er, vergeblich traktiere man sie mit Hü und Hott, guten und bösen Worten, die Bestie sei nicht von der Stelle zu bringen. Inzwischen wurde ihm die Mutter krank, sorgte sich die Frau um ihn und um die Kranke, verlangte der Bube nach seinem Vater; er hätte den ganzen Kram zusammenschmeißen mögen. Da ereignete sich ein Zwischenfall, der ihn von ganz anderer Seite in die größte Bestürzung und Drangsal versetzte. Zufälligerweise nämlich geriet die Korrespondenz, welche von dem im Jahre 1606 zwischen den Gliedern der habsburgischen Familie abgeschlossenen Vertrage handelte, in die Hände eines kaiserlichen Beamten, und die sorgfältig geheimgehaltene Abmachung, ja gleichsam Verschwörung wurde dadurch dem Kaiser bekannt. Der Zorn desselben, der sein Mißtrauen gerechtfertigt sah, stieg aufs höchste und wendete sich hauptsächlich gegen Ferdinand, den er für anhänglich und weniger gefährlich als seine Brüder gehalten hatte. Das Herz sank dem Erzherzoge, als das Mißgeschick offenbar wurde und keine Möglichkeit blieb, das Geschehene abzuleugnen. Zwar wurden sofort Briefe an den Kaiser abgeschickt mit Versicherungen, der Vertrag sei keineswegs gegen seine Hoheit gemeint, sondern hätte nur für den etwaigen, hochzubeklagenden Fall seines Todes Vorsorge treffen sollen; allein sie verfingen nicht, und es galt nun, einen entschiedenen Standpunkt einzunehmen. Am liebsten hätte Ferdinand sich der Gnade des Kaisers anvertraut und Matthias verleugnet, da der Kaiser nun einmal das rechtmäßige Oberhaupt war und zunächst den sichersten Schutz bot; inzwischen hatte Matthias aber Fortschritte in Ungarn gemacht, und man mußte darauf gefaßt sein, daß er den rebellischen Protestanten in Böhmen die Hand bot und mit dem Kaiser abfuhr: wo blieben dann diejenigen, die es mit dem Abgedankten gehalten hatten? Im vertrauten Kreise schimpfte Ferdinand auf Matthias, der an allem schuld sei; hätte er voraussehen können, daß der desperate Mensch in solcher Furie gegen den eigenen Bruder losziehen würde? Die Suppe hätte ihnen der Khlesl eingebrockt, der mehr als der Gottseibeiuns zu fürchten sei; der hätte dem Matthias, der ein guter, frommer Mensch gewesen sei, so lange den Wolfspelz umgehängt, bis er ein Wolf geworden sei. Seine Mutter, die Erzherzogin Maria, die sich in den verschiedenen Klöstern, denen sie angehörte, mit Andachtsübungen auf den Tod vorbereitete, stimmte eifrig ein und riet zu vorsichtiger Zurückhaltung, um es weder mit Rudolf noch mit Matthias zu verderben; auch ihr Bruder, der alte Herzog von Bayern, Ferdinands Schwiegervater, sei der Meinung, da Ferdinand nun einmal in dieser Klemme stecke, müsse er ein wenig dissimulieren, um Zeit zu gewinnen, inzwischen könne dies oder das geschehen und die Lage sich ändern.

Einen Trost gewährte das Anerbieten Schweikhards von Mainz, er wolle nach Prag reisen und Frieden stiften. Die kaiserliche Majestät sei zwar ein wenig spanisch und besonders, im Grunde aber gut und fromm, man müsse ihn nur zu nehmen wissen. In den jetzigen gefährlichen Läuften dürfe nicht noch ein Familienstreit zu den vielen im Reiche obschwebenden Zwistigkeiten kommen; auch Matthias meine es ja nicht böse, bei allseitigem gutem Willen werde sich die Sache wohl wieder einrenken lassen.

Der Reichstag hatte inzwischen keine guten Früchte gezeitigt. Im Februar wurden die württembergischen Gesandten wegen des durch einen Schlagfluß herbeigeführten jähen Todes des Herzogs Friedrich zurückgerufen, worauf auch die übrigen Evangelischen einer nach dem andern abreisten.

*

Der Kaiser hatte in ohnmächtiger Wut zusehen müssen, wie Matthias sich zum Herrn von Ungarn machte, und erfuhr nun auch von seinen geheimen Verhandlungen mit den unzufriedenen böhmischen Ständen, so daß er sich nicht mehr verhehlen konnte, wie nahe er daran war, auch die böhmische Krone zu verlieren. Der zuverlässigste unter seinen Räten, Hannewald, wie auch der ihm unbedingt ergebene katholische Kanzler, Popel von Lobkowitz, rieten ihm beide, einen Landtag einzuberufen, auf welchem die Stände ihre Forderungen vortragen könnten; dies sei das einzige Mittel, das Vertrauen wieder herzustellen. Hannewald war ein kluger, arbeitskräftiger Mann, der einzig den Vorteil des Kaisers im Auge hatte, alle Menschen außer sich selbst verachtete und durch nichts aus dem Geleise zu bringen war. Zuweilen betrank er sich so, daß er für einige Tage aussetzen mußte; aber das einmal gesteckte Ziel behielt er trotzdem im Auge. Er beredete den Kaiser sogar dazu, den Landtag in Person zu eröffnen, denn im Volk sei das Gerede im Schwange, der echte Kaiser Rudolf sei lange tot, man halte einen im Schloß verborgen, der ihm ähnlich sehe, darum müsse er sich einmal öffentlich zeigen.

Die dem außerordentlichen Ereignis vorausgehenden Tage war Rudolf unruhig mit den Vorbereitungen zu seinem Aufputz beschäftigt; er wollte einen schönen und majestätischen Eindruck hervorbringen. Als er mit niedergeschlagenen Augen, von dem Kanzler und einigen Räten geleitet, in den hohen und weiten Versammlungssaal trat, zitterten seine Knie vor ängstlicher Erregung; er hatte das Gefühl, als starrten ihm die Blicke der anwesenden Stände wie Lanzenspitzen entgegen. Dem war jedoch nicht so: die schwarzgekleidete, ein wenig gebeugte Gestalt des Kaisers, der feine Silberschimmer, der über seinen Haaren lag, der Ausdruck des Leidens auf seinem bleichen Gesicht erregte Mitleid und Rührung in den Gemütern und schlug für den Augenblick die feindliche Leidenschaft nieder. Diese gesänftigte Stimmung, die er mit einem verstohlen auf die Versammelten geworfenen Blick erhaschte, erleichterte es ihm, die wenigen Worte, die er zu sprechen hatte, in würdevoller Haltung und mit dem Schein edler Gelassenheit vorzutragen.

Als die Sitzung vorüber war und er sich von der ungewohnten Anstrengung erholt hatte, ließ er auftischen und nahm mit Frauen und Zechgenossen eine Mahlzeit ein. In heiterer Laune machte er sich über die trotzigen Stände lustig, die er am Narrenseil springen ließe; nichts, nichts würde er von ihren Forderungen bewilligen, sie möchten sitzen und beraten und Paragraphen schreiben, solange es sie gelüstete, zuletzt schickte er sie mit langer Nase heim. Es trug zu seinem Wohlbefinden bei, daß Lang auf einer Reise abwesend war; denn dessen Fall war, seit die Sache mit Matthias zum Ausbruch gekommen war, beschlossen. Bei seiner Rückkehr wurde er verhaftet, vor ein Gericht gestellt, und auf sein Vermögen wurde Beschlag gelegt. Einen Teil davon erhielten die vielen Herren, die nun Klagen einreichten, sie hätten Lang große Summen ausgezahlt, damit er ihre Anliegen, Beförderungen und andere Gnadenakte beim Kaiser betreibe, aber keinen Erfolg gesehen; das übrige fiel dem Kaiser zu. Viele wünschten, den hochmütigen und habgierigen Mann am Galgen oder auf dem Scheiterhaufen enden zu sehen; allein das Gericht fand eine solche Schärfe dem ehemaligen Liebling des Kaisers gegenüber nicht angezeigt, zumal da ihm weder in hochverräterischen Handlungen noch in Zauberei etwas Eigentliches nachzuweisen war, und ließ es bei Verlust des Vermögens und der Freiheit auf Lebenszeit bewenden.

Matthias hatte sich die künftige Größe mehr Mühe und Arbeit kosten lassen, als von seiner Natur zu erwarten war, nur in einem wichtigen Punkte blieb er hartnäckig, nämlich in dem einer standesgemäßen Heirat. Hätte er einen ehelichen Nachfolger gehabt, so hätte er weit mehr Aussicht auf allgemeine Anerkennung gehabt, als jetzt der Fall war, und er selbst wie die Verfechter seiner Sache hätten viel ruhiger in die Zukunft blicken können. Die Schwierigkeit bestand aber darin, daß er seit Jahren mit einer Frau namens Susanna Wachter zufrieden und bequem lebte, von der er sich durchaus nicht trennen wollte. Diese hatte einen feurigen und herrschsüchtigen Charakter, weswegen die Menschen im allgemeinen nicht mit ihr anzubinden liebten; ihn jedoch, der ihr vollkommen ergeben war, versorgte sie mütterlich, und ihre genaue Bekanntschaft mit seinen Gewohnheiten und Bedürfnissen ermöglichte es ihr, ihm das tägliche Leben glatt eingehen zu lassen.

Die ersten Versuche Khlesls, diesen heiklen Gegenstand anzurühren, ließ Matthias abgleiten, als ob er ihn nicht verstehe; dann wehrte er sich, indem er die Heirat auf die Zeit verschieben wollte, wo er sein Ziel erreicht hätte. Das gehe nicht an, sagte Khlesl, man müsse einmal zugeben, daß seine Jugend ohnehin verrauscht sei, wolle er noch Nachkommenschaft erzielen, so müsse er sich dazuhalten. Seinem früheren Stande hätte es hingehen mögen, daß er sich eine Beischläferin genommen habe, jetzt müsse er als ein Mann und Christ den Pflichten seines hohen Amtes nachkommen. In seiner Verblendung bilde er sich ein, daß von der Susanna Wachter seine Seligkeit abhänge; wenn er aber einmal eine andere koste, werde er merken, daß der eine Teig gewälzt und gebacken sei wie der andere und daß dieselbe Ware auf jedem Markte feil sei. Um ihn davon zu überzeugen, führte ihm Khlesl bei Gelegenheit eines Reichstages eine hübsche Person zu, die sich bereit erklärte, wenn es so der Wille Gottes sei, dem Erzherzog entgegenzukommen; aber schon nach kurzer Zeit wurde Matthias ihrer überdrüssig und verlangte mit verdoppelter Sehnsucht Susanna Wachter zurück. Dieser Umstand legte die Vermutung nahe, daß Matthias von der Wachter behext und unfähig gemacht sei, Kinder zu erzeugen oder überhaupt sich mit anderen Frauen einzulassen. Mit Vorstellungen, welche Gefahr er an der Seite dieses Weibes laufe, brachte Khlesl es allmählich dahin, Matthias ein wenig ängstlich und mißtrauisch zu machen und ihn wenigstens zum Anhören seiner Vorschläge zu bewegen.

Es war die jüngste Schwester des Herzogs von Bayern, Magdalena, die Khlesl ins Auge gefaßt hatte, um damit seinem Schützling den Beistand dieses tatkräftigen und glaubensstrengen Herzogs zu sichern, und Matthias ließ es endlich zu, daß der Bischof nach München reiste und insgeheim anklopfte, wie die Werbung des Erzherzogs am dortigen Hofe aufgenommen werden würde. Da Magdalena bisher noch keine Bewerber gehabt hatte, die ernstlich in Betracht gekommen wären, begann die Frage ihrer Versorgung dem alten Herzog, ihrem Vater, ernste Gedanken zu machen, und die Aussicht auf diese Heirat versetzte ihn in nicht geringe Aufregung. Allerlei Bedenken standen freilich entgegen: erstens das Alter des Matthias, der damals fünfzig Jahre alt war, ferner sein wunderliches Verhältnis zu Rudolf und sein verwegenes Scharmutzieren in Ungarn und Böhmen, womit er noch alles verspielen könne. Hiergegen führte Khlesl an, wie lästerlich und schändlich es in Prag zugehe, daß Gottes Beistand dem Matthias nicht fehlen könne und daß er ja auch nichts Unbrüderliches gegen Rudolf vorhabe, sondern auf dem Wege der Billigkeit bleiben wolle. Anders ließ sich die Erzherzogin Maria, Wilhelms Schwester, vernehmen: er solle sich doch den stinkenden Matthias vom Leibe halten, schrieb sie ihrem Bruder; nach außen scheine er vielleicht noch ein wenig, aber innen sei alles verfault, und der Teufel werde über kurz oder lang damit davonfahren. Ob Wilhelm nicht wisse, daß seine Hure, die Wächter, ihm die Manneskraft abgehext habe? Das wäre ein gottloser Handel, wenn er seine Tochter einem solchen Manne gäbe, von dem sie keine Kinder gewinnen und auch sonst wenig Ehre davontragen könnte.

Diese Warnungen machten nur geringen Eindruck auf den alten Herzog und noch weniger auf Magdalena selbst; ihre Tante sei neidisch, sagte sie, und fürchte, daß Matthias von ihr Kinder bekomme und dadurch für ihren Ferdinand die Aussicht, Kaiser zu werden, dahinschwinde. Maximilian erinnerte sie neckend daran, wie sie, als ihre Schwester Maria Anna den Ferdinand genommen habe, spöttisch gesagt habe, sie möchte keinen von den buckeligen Österreichern zum Manne; worauf Magdalena errötend entgegnete, der Ferdinand sei allerdings ein alberner Löffel und wackelig in den Gelenken wie ein Hampelmann, mit Matthias sei es etwas anderes, er sei bei Jahren, habe Vernunft und Erfahrung, solle gar nicht so übel sein. Übrigens, sagte sie, müsse ein jeder sein Glück versuchen, sie wolle es auch, die Susanna Wachter wolle sie ihm schon austreiben, und das uneheliche Klosterleben sage ihr vollends nicht zu, so sei doch etwas bei der Heirat gewonnen.

So war die Angelegenheit schon auf einen Punkt gegenseitiger Verständigung gekommen, als sie durch etwas Unvorhergesehenes durchkreuzt wurde, nämlich durch die Werbung des Kaisers um Magdalena. Als das Gerücht von der geplanten Heirat des Matthias nach Prag kam, wurden in der Umgebung des Kaisers höhnische Bemerkungen gemacht, wie sie seinen Beifall haben mußten. Wenn die Magdalena ein Kind bekäme, hieß es, hätte sie es wohl eher vom Teufel als von Matthias. Aufziehen möchte er die Braut schon, wenn es aber dann zum Tanz käme, wie er bestehen sollte? Wenn die Hochzeit auch vollzogen würde, sagte Rhutsky, würde die Wachter doch nicht leiden, daß er den Fuß auf das Ehebett setzte; es sei ja bekannt, daß sie in einem gewissen Kloster ein Lämplein brennen habe, womit sie ihm das Lebenslicht ausblasen könne.

Der Kaiser hörte wohlgefällig zu, war einige Tage nachdenklich und kam dann damit heraus, daß er die Magdalena selbst heiraten wolle. Er wolle dem Matthias seine falschen Karten verschlagen, ohnehin sei es jetzt Zeit für ihn, sich zu vermählen. Zwar gefalle ihm auch eine florentinische Prinzessin gut, deren Bild er kürzlich gesehen habe, aber er wolle es nun zuerst auf die bayrische abstellen. Er müsse lachen, sagte er, wenn er sich den Schrecken und die Enttäuschung unter seinen habgierigen Brüdern ausmale.

Rudolfs Räte schüttelten den Kopf, hielten es aber für klüger, ihr Erstaunen nicht zu äußern, und so ging denn eine vertrauliche Gesandtschaft nach München ab, um unvorgreiflich über die Sache zu reden. Der alte Herzog verlor einigermaßen die Fassung, denn diesen Bewerber auszuschlagen schien ganz und gar unmöglich, und doch wäre ihm Matthias, als der künftige Kaiser, bei weitem lieber gewesen. Auch Magdalena wollte von Rudolf nichts wissen; vor Matthias grause ihr weniger, weil er nicht gar so alt und auch sonst nicht so unflätig sei wie der Kaiser.

In ihrem Widerstande wurde Magdalena durch die Bekanntschaft mit ihrem Vetter Leopold bestärkt, Ferdinands jüngerem Bruder, der sich in sie verliebte und eine heftige Zuneigung in ihr erweckte. Der nun zwanzigjährige Bischof von Passau ging mit dem Gedanken um, sich nach dem Tode der Mutter des geistliehen Wesens, zu dem er niemals Lust gehabt hatte, zu entäußern und ein fröhliches Fürstenleben anzufangen, wie es andere seinesgleichen führten. Er fühlte sich fähig, ein Held zu sein, sowohl im Krieg wie im Regiment und in der Liebe, und womöglich den Dämel, seinen Bruder Ferdinand, den er für einen Duckmäuser ansah, aus dem Sattel zu heben. Da er an jenem gehässigen Familienvertrage vom Jahre 1606 nicht beteiligt gewesen war, hatte der Kaiser eine Vorliebe für ihn gefaßt und ihm Hoffnung gemacht, er werde ihn etwa noch zu seinem Sohn und Nachfolger erheben. Die Erlaubnis, das geistliche Kleid abzulegen, würde ihm der Herzog von Bayern, glaubte er, leicht in Rom erwirken können.

Von dieser Leidenschaft ergriffen, sträubte sich Magdalena nunmehr ebensowohl gegen Matthias wie gegen Rudolf und erklärte, sie wolle als Nonne in ein Kloster gehen, wenn man sie zwingen wolle, einen anderen Mann als Leopold zu heiraten. Diesen liebe sie und werde nie einen anderen lieben, und ebenso ungestüm gebärdete sich Leopold zur großen Verlegenheit des alten Herzogs.

*

Die ersten Jahre der zweiten Ehe des Herzogs Jan Wilhelm von Jülich-Cleve waren reich an Aufregungen für die beteiligten Fürsten; denn zuweilen hieß es, er sei nun gesund und wohlauf, halte offene Tafel und gehe zur Jagd, ja die Herzogin sei guter Hoffnung, und die Geburt eines Erben stehe bevor. Allein dies bewahrheitete sich niemals, und diejenigen schienen recht zu behalten, die von Anfang an behauptet hatten, Jan Wilhelm sei ebenso verwirrt wie früher und werde nur jeweilen, wenn er eine ruhige Zeit habe, dem Volke von fern gezeigt, damit es ihn für gesund ansehe. Die Herzogin halte sich für betrogen, sei bitterböse und werde nur mit Mühe bewogen, nicht zu ihren Verwandten in die Heimat zurückzukehren. Auch erfuhr man, daß sie einen Prozeß gegen Schenkern wegen seiner vielen Gewalttaten anstrengte, wobei er aber mit dem Leben davonkam, wenn er auch von seinen Ämtern weichen mußte. Dann kamen Nachrichten über die Abnahme von Jan Wilhelms Lebenskraft, die den Kurfürsten von Brandenburg und Wolfgang Wilhelm von Neuburg in Atem hielten; Wolfgang Wilhelm hatte Beauftragte in Düsseldorf, die es ihn ohne Verzug wissen lassen sollten, wenn der erwartete Todesfall einträte. Indessen vergingen noch mehrere Jahre unter wechselnden Gerüchten, bis Jan Wilhelm, ganz in Blödsinn verfallen, im Anfang des Jahres 1609 endgültig starb.

Ohne Zeitverlust machte sich Wolfgang Wilhelm mit einem kleinen Gefolge nach dem Norden auf, das Ziel seiner geschwinden Reise möglichst geheimhaltend. Während er durch die aufgeweichten Straßen zog, unter hochschiffenden Frühlingswolken und feuchten Stürmen, und den Blick über die braune Erde schweifen ließ, die von langsamen Pflügen aufgelockert wurde, hob sich seine Brust unter angenehmen Träumen. Niemand, dachte er, würde so früh wie er von dem Tode Jan Wilhelms unterrichtet sein, er würde als der erste anlangen und sich der Herrschaft bemächtigen. Gnädig würde er die Huldigung der Stände im Namen seines Vaters entgegennehmen und etwaige Widersacher entschlossen beugen; der Brandenburger würde am Ende froh sein, seine Ansprüche auf seine Tochter übertragen und sie ihm zur Ehe geben zu können. Spanien würde voraussichtlich alles aufbieten, um das Land in die eigene Gewalt oder in die eines von ihm abhängigen Fürsten zu bringen; aber er brauchte es nicht zu fürchten, da ja die Union ihm zur Hilfeleistung verpflichtet war und der König von Frankreich selbst ihn mit seinem Siegesschwert verteidigen würde. Die Vorstellung schmeichelte ihm, wie umsichtig er Vorsorge getroffen hatte und daß vielleicht ein Krieg unter den Völkern entbrennen würde, um ihn zum reichsten Fürsten im Deutschen Reiche zu machen.

Er war gerade am Ziele seiner Reise angelangt, als ein widerwärtiger Anblick plötzlich seine frohe Stimmung umkehrte: er sah das wohlbekannte brandenburgische Wappen am Tore angeschlagen, ein Zeichen, daß der Kurfürst bereits dort war oder durch einen Stellvertreter von der Hauptstadt Besitz ergriffen hatte. Viel weniger hätte es ihn erbittert, wenn ihm spanische Waffen entgegengestarrt hätten, denn diese hätten seine Glaubensgenossen verdrängen können; wer aber würde ihm helfen, den verhaßten Nebenbuhler loszuwerden? Keiner von den protestantischen Fürsten würde ihm darin beistehen, das ganze Land ungeteilt für sich zu behalten. Obwohl ihm zunächst nichts übrigblieb, als sich in die Tatsache zu fügen, fühlte er sich allzu beleidigt, um es nicht den Markgrafen Ernst von Brandenburg, des Kurfürsten Vertreter, merken zu lassen, und es wäre zu einem folgenschweren Zerwürfnis gekommen, wenn nicht Landgraf Moritz von Hessen sich die Vermittlung hätte angelegen sein lassen.

Man möge doch auf gelegenere Zeit verschieben, stellte dieser beiden Parteien vor, wie das Land unter seinen Ansprechern zu teilen sei, und jetzt alle Kräfte darauf richten, daß es nicht dem Kaiser oder Spanien zufalle. Bei dem Kampfe, der sich darüber entspinnen werde, müsse man einig sein, jetzt seien alle Umstände günstig, die Habsburger, die Pest des Reiches, seien unter sich uneinig, im Begriffe, sich selber zu verschlingen. Der Augenblick sei für die deutschen Fürsten gekommen, sich ihre Unabhängigkeit zu erobern. In demselben Sinne sprach Anhalt, der geschäftig hin und her flog, um die letzten Zurüstungen zu betreiben, damit auf ein gegebenes Zeichen die Feuer an allen Orten zugleich aufflammen könnten.

In den habsburgischen Ländern bereitete sich sichtlich ein großer Umschwung vor, denn Matthias und Rudolf standen sich unversöhnlich gegenüber, und den Sieg davontragen mußte der, dem die Übermacht der Protestanten zufiel. Khlesl und Matthias konnten sich dem nicht verschließen, daß sie der protestantischen Herren bedurften und daß diese sich nicht billig verkaufen würden. Zuerst waren sie mit Anlockungen und Vorspiegelungen ausgekommen; nachdem aber Rudolf Ungarn, Mähren und Österreich wirklich abgetreten hatte, verlangte der protestantische Adel wirkliche, mit Brief und Siegel beglaubigte Zugeständnisse, namentlich Glaubensfreiheit, die Matthias doch nicht gewähren zu dürfen glaubte. Der nunmehrige König von Ungarn wußte durchaus nicht, wie er diesen gewiegten, redefertigen, grundgelehrten und vorurteilslosen Herren begegnen sollte. Khlesl hatte gut sagen, nun solle er zeigen, daß er dem erhabenen Erzhause angehöre, er müsse ihre Dreistigkeit durch Majestät in Schranken halten; Matthias klagte, es werde ihm übel in den Eingeweiden, wenn er diese Leute nur sähe, der Teufel führe ihnen die Zunge, sie sollten ihm nicht mehr vor die Augen kommen. Hiervon nahm er einzig den mährischen Baron Zierotin aus, der denn auch schließlich die Verhandlungen zu einem Ende brachte, indem er einerseits den Adel in etwas nachzugeben und Matthias den notwendigen Forderungen Genüge zu leisten bestimmte.

Zierotin war ein kluger, feingebildeter, etwas kränklicher Herr, der nach mancherlei Enttäuschungen jugendlicher Begeisterung die aufgeregten Kämpfe seiner Zeit mit melancholischem Zweifel verfolgte. Er war der Ansicht, daß die Evangelischen nicht auf die Gleichberechtigung ihres Bekenntnisses dringen sollten, wenn der Frieden davon abhänge; was verschlage es ihnen, ob sie ihre Andacht in dieser oder jener Kirche verrichteten, ob sie ihre Gebeine auf diesem oder jenem Kirchhof beerdigten, an welchem Orte sie ihren Glauben laut bekennen dürften? Wenn sie nur nicht verhindert würden, Gott in ihrer Weise zu dienen, und nicht gezwungen, Abgötterei zu treiben. Wollten sie mehr erreichen, müßten sie weniger selbstsüchtig und einig untereinander sein. Die Hussiten bekrittelten die Meinungen der Böhmischen Brüder, beide haßten die Lehren der Reformierten, und kaum hinderte sie die gemeinsame Gefahr, sich gegenseitig zu zerreißen. Wie oft hätte er versucht, die Herren aller habsburgischen Länder so zu vereinigen, daß sie einen Körper bildeten, der mächtig allen Gegnern gewachsen wäre; die Eifersucht der Schlesier und Mähren auf Böhmen und Österreich hätte es verhindert. Sie sollten sich mit dem Erreichbaren begnügen, da sie das VoIlkommene zu verdienen nicht fähig wären.

Die ungewöhnliche Erscheinung des blassen Herrn im braunen Sammetkleide, dessen traurige Augen Überlegenheit und zuweilen eine leise, zurückgehaltene Verachtung ausdrückten und dessen sanfte Stimme eher zögerte als sich aufdrängte, gewann auf alle solchen Einfluß, daß sie sich, wenn auch widerwillig, fügten. Die Herren zürnten ihm, daß er, von seinem früheren, schärferen Standpunkt abweichend, für Zugeständnisse stimmte, und auch Matthias gab, ohne überzeugt zu sein, mit bekümmertem Gewissen nach.

Wie ein vom Himmel stürzender Donnerkeil traf Matthias die Exkommunikation des Papstes, weil er sich mit den Ketzern verglichen und ihnen eine, wenn auch beschränkte, Duldung gewährt habe. Dies sei die Strafe, jammerte er, für sein Rebellieren und Traktieren! Hätte er sich doch niemals so viel unterstanden! Nun ziehe Gott die Hand von ihm ab, und zu soviel Plage und Ungemach auf Erden stehe ihm jenseits noch die Hölle bevor. Khlesl redete ihm ernstlich zu: »Sie nehmen sich die Sache allzusehr zu Herzen,« sagte er, »die adeligen Herren sind keine Handwerker oder Bauern, die man ohne weiteres in ein Gefängnis werfen oder aus dem Lande jagen kann; man muß mit ihnen dissimulieren, und der Heilige Vater würde es selbst nicht anders machen, wenn er dergleichen Untertanen hätte.« Solange Matthias, fuhr er fort, in seinem Herzen ein guter Katholik sei und sich vorbehalte, die Ketzerei auszurotten, sowie er die Möglichkeit dazu habe, brauche er sich nicht schuldig zu fühlen.

In demselben Sinne sprach sich auch der Beichtvater aus, bei dem Matthias Trost suchte. Er bewog den König, eine ausdrückliche Erklärung insgeheim auszustellen, daß er nur gezwungen den Ketzern nachgegeben habe und den Kampf gegen sie zu gelegener Zeit wieder aufnehmen wolle; wodurch sich denn der zürnende Papst versöhnen ließ.

Unterdessen stritten auch die böhmischen Herren miteinander, um eine gemeinsame Formel für ihre Forderungen zu finden, worüber es beinahe zu vollständiger Entzweiung gekommen wäre. Die Lutheraner und Utraquisten schrieben eine bestimmte Kleidung für ihre Geistlichen vor, während die Böhmischen Brüder der Ansicht waren, Frömmigkeit solle sich durch die Reinheit des Herzens und der Sitten ausdrücken, und es sollten sich deshalb die Geistlichen nicht durch äußerliches Gewand von der Menge unterscheiden. Schon hatten die Lutheraner erklärt, sich lieber von den Katholiken Hunde schelten lassen als den Böhmischen Brüdern die Hand reichen zu wollen, als diese durch Nachgiebigkeit den Frieden wieder herstellten. Nunmehr legten die Einmütigen Rudolf ihre Forderungen vor und drohten, nicht auseinanderzugehen, bis er sie bewilligt habe.

Schrecken und Unruhe bemächtigte sich der Bürger, die nicht wußten, auf welche Seite sie sich bei dem augenscheinlich bevorstehenden Kampfe schlagen sollten. Als Protestanten fühlten sie die Pflicht, zu ihren Glaubensgenossen zu stehen; aber sie waren dem Kaiser, in dem sie einen guten alten kranken Mann sahen, ergeben und betrachteten die adeligen Herren mit Mißtrauen. Sie verwünschten das Lärmschlagen und Zusammenrotten, das den Geschäftsgang ins Stocken brachte und Handel und Wandel bedrohte. Nicht mindere Verlegenheit herrschte auf der Burg. Der Kaiser wollte die Abgeordneten nicht vor sich lassen, so erzürnt war er über ihre Dreistigkeit; aber ihre Forderungen geradezu abzuweisen, getraute er sich auch nicht. Auf der anderen Seite mochte er die katholischen Kronbeamten, Lobkowitz, Martinitz, Slawata, seine Unsicherheit nicht merken lassen, die ihn drängten, fest zu bleiben und die Verbündeten als Rebellen zu behandeln. Erzherzog Leopold, der anwesend war, bestürmte ihn, den Krieg entscheiden zu lassen. Er hatte mehrere Offiziere aufgetrieben, darunter Lorenz Ramée, einen wilden Menschen, der im Besitz der feinsten Kriegskunst zu sein behauptete und sich vermaß, ganz Böhmen in einem Feldzuge zum Gehorsam zu bringen. Die Kronbeamten stimmten ihm bei: Rudolf dürfe sich von den Ständen nichts vorschreiben lassen, zeige er ihnen jetzt nicht den Herrn, würde er ihr Sklave werden. Und wenn der Kaiser selbst, sagte Lobkowitz, den Vertrag unterschreibe und ihn bei seinem Leben hieße, es auch zu tun, so würde er doch seinen Namen nicht daruntersetzen. Er sei nicht nur ein Diener des Kaisers, sondern auch Gottes und seines beschworenen Amtes.

Die herrische Art dieses Magnaten erfüllte den Kaiser mit Abneigung und Argwohn; es fiel ihm ein, daß Heinrich III. nicht durch einen feindlichen Ketzer, sondern durch einen seines Glaubens ermordet war. Diese Leute, dachte er, maßten sich mehr an als die Protestanten, während sie doch mehr als jene zur Unterwürfigkeit gegen ihn verpflichtet wären. In äußerster Ratlosigkeit ließ er Hannewald rufen, dem es nie an tüchtigen Auskunftsmitteln gebrach, den einzigen Mann, von dem er glaubte, daß es ihm nur um die Erhaltung der Kaisermacht zu tun wäre.

Gelassen ruhten Hannewalds Blicke auf dem graubleichen Gesicht und den zitternden Händen seines Herrn. Was der Lobkowitz und die anderen Herrschaften vorgebracht hätten, sagte er, könne der Kaiser an die Wand malen lassen, sonst sei es zu nichts gut. Krieg! Man hätte jetzt gesehen, wie man mit dem Matthias gefahren sei.

»Ich bin verloren!« sagte der Kaiser, indem er das Gesicht mit den Händen bedeckte; »alles verläßt mich. Der Tod wird mich aus dem Elend erlösen!« Hannewald, der solche Klagen öfters gehört hatte, war nicht dadurch gerührt und ließ sich nicht darauf ein. »Es gibt einen vergrabenen Schatz im Königreich Böhmen,« sagte er, den Kaiser fest ins Auge fassend, »wer den hebt, ist Herr des Landes, und Eure Majestät kann ihn ohne viel Mühe oder Gefahr gewinnen!« Rudolf, in dem sogleich abenteuerliche Hoffnungen auftauchten, hob den Kopf und sah Hannewald begierig an; er werde doch aber nicht allein bei der Nacht etwas Schauerliches verüben sollen? Nein, sagte Hannewald, dergleichen nichts. Er brauche nur den Städten die Reichsunmittelbarkeit zu verleihen und die Bauern zu befreien, so hätte er ein Heer, das für ihn kämpfen und siegen werde. Wie lange hätte er den Übermut und Trotz des Adels erduldet, von dem sich jeder mehr als der Kaiser dünke und die darauf ausgingen, eine Adelsrepublik zu gründen. Dieser Adel habe das Reich an sich gerissen, indem er die Bauern zu Knechten gemacht habe und für sich arbeiten lasse. Die Schmarotzer sögen sich voll, indes der Kaiser und das Land verarmten. Auch die Städte fürchteten den Neid und die Mißgunst des Adels und blickten voll Sehnsucht nach dem Kaiser; die Bauern riefen ihn an als ihren Heiland. Kürzlich hätten die Bauern eine Beschwerde gegen ihre Herren aufsetzen lassen, um sie dem Kaiser zu überreichen; wie das herausgekommen wäre, hätten die Herren den Bauern die Köpfe und dem Schreiber, der die Beschwerde geschrieben hatte, die Hände abschlagen lassen. Sie wollten es nicht leiden, daß die Bauern einen Kaiser hätten, darum hätte der Kaiser keine Bauern und kein Kriegsheer mehr. Er, der katholische Kaiser, könne mit einem Wort die evangelischen Bürger und Bauern zu seinen treuen Untertanen machen. Nur von ihm hänge es ab, ob er ein mächtiger Herr über ein blühendes Land sein wolle.

Der Kaiser starrte Hannewald enttäuscht und befremdet an. »Das ist Rebellion«, sagte er langsam. »Das ist wider Gottes Gebote.« Ob Gott dem Adel die Erde geschenkt habe? fragte Hannewald. Es handle sich da nicht um Religion, sondern um Vernunft und Notwendigkeit. Indessen, was Hannewald auch entgegnete, der Kaiser schüttelte den Kopf und sagte am Ende, das wären Schimären, Hannewald solle ihm auf andere Art helfen. Er könne ja abdanken, sagte Hannewald ärgerlich und schickte sich an, fortzugehen. Rudolf hielt ihn kläglich bittend zurück; wenn er, Hannewald, ihn verlasse, so bleibe ihm nichts übrig, als sich ins Grab zu legen. »Wenn Sie sich zum Handeln nicht entschließen können,« sagte Hannewald, sich an der Tür umwendend, »so müssen Sie den Evangelischen nachgeben.« Geld, um Söldner zu einem aussichtsvollen Kriege zu werben, sei nicht vorhanden. Die ganze Erde hätte nicht Wasser genug, um den Brand zu löschen, der entstehen würde, wenn irgendwo ein Feuerfunken zündete. Pfalz und Hessen spitzten die Ohren, um das Schwert zu ziehen, sowie irgendwo die Waffen klängen; Frankreich und Holland würden einfallen. Wo wolle er da bleiben ohne Heer? Er sei nicht einmal Bayerns sicher. Dann möchte sich Lobkowitz mit dem Papst vor seinen Thron stellen und ihn beschützen.

Dieser Ausgang, die Forderungen der protestantischen Herren zu bewilligen, war dem Kaiser im Grunde erwünscht; denn seine Unterschrift kostete ihn nichts, und er gewann Zeit, neue Rettungspläne einzufädeln. Von solchen Hintergedanken äußerte er gegen Hannewald nichts; aber am Tage, nachdem er die Urkunde unterschrieben hatte, durch welche der böhmische evangelische Adel seine Rechte zu versichern dachte und welche unter dem Namen des Majestätsbriefes bekannt wurde, empfing er seinen Neffen Leopold und erteilte ihm die Erlaubnis, sich umgehend nach Jülich aufzumachen und in seinem Namen von der Festung Besitz zu ergreifen. Auf diesen kriegerischen jungen Mann, der ihm leidenschaftliche Ergebenheit beteuerte, setzte er jetzt sein Vertrauen, und ihn dachte er gegen seine Brüder und seinen Neffen Ferdinand auszuspielen. Böhmen und Jülich sollten Leopolds Hausmacht werden, und als Schwager Maximilians von Bayern würde er auch über dessen Macht verfügen können; Rudolf nämlich gab seine Heiratspläne bereitwillig auf, um die Braut für seinen Neffen zu werben, der ihm seine Liebe und die damit verknüpften Hoffnungen gestanden hatte.

Leopolds abenteuerliche Fahrt ließ sich zuerst besser an, als zu erwarten war: der Kommandant von Jülich, Rauschenberg, der die Festung weder dem Brandenburger noch dem Neuburger hatte einräumen wollen, überließ sie dem Günstling des Kaisers, der sich in Verkleidung glücklich bis dahin durchgeschlagen hatte.

Damit war die Losung zum Kriege gegeben; denn die Union hatte sich verpflichtet, den Fürsten von Brandenburg und Neuburg zur Erhaltung des Rheinlandes, wenn es ihnen etwa streitig gemacht werden sollte, zu Hilfe zu kommen. Daß es sich dabei nicht eigentlich nur um das Herzogtum Jülich handelte, wußten alle; bei diesem Anlaß sollten einmal die alten Streitfragen ausgefochten werden, die in Güte nicht zum Austrag zu bringen waren. Nach dem Zusammentritt der Union hatten sich auch die katholischen Fürsten verbündet, um den Protestanten nötigenfalls eine tüchtige Kriegsmacht entgegensetzen zu können. Maximilian von Bayern hatte sich bereit erklärt, die Leitung des Bundes und den Oberbefehl über das Heer im Fall eines Krieges zu übernehmen unter der Bedingung, daß Österreich nicht darin aufgenommen würde. Doch hatte Spanien, das dem Bunde gern beigetreten wäre, wenigstens die Zulassung Ferdinands von Steiermark durchgesetzt, wenn er auch freilich mit einem bloßen Titel abgefunden wurde; da man schon Frankreich gegen sich hatte, hielt es Maximilian nicht für rätlich, es auch mit Spanien zu verderben.

Während der protestantische Adel Böhmens noch in kriegerischer Stimmung auf dem Rathause zu Prag versammelt war, eilte Christian von Anhalt hin, um auf den Sturz des Kaisers zu dringen und einen Anschluß an die Union zu vereinbaren. Wie sehr er jedoch seine Reise beschleunigte, kam er erst an, als Rudolf schon den Majestätsbrief unterzeichnet und dadurch eine Versöhnung herbeigeführt hatte. Anhalt war enttäuscht und entrüstet, daß man sich so hatte einfangen, vom abgefeimtesten der Lügner hatte hinters Licht führen lassen. Nie mehr, und wenn er seine Seele zum Pfände setze, würde er Rudolf trauen; er hätte keine, seine Brust sei leer wie ein hohler Baum, in dem die Fäulnis leuchtete. So arg sei es doch wohl nicht, meinte Wilhelm von Lobkowitz, und man vermeide doch lieber die Extremitäten, wogegen andere sagten, sie trauten Rudolf keineswegs, einstweilen hätten sie ihm aber die Hände gebunden, das Weitere müsse man abwarten. Graf Thum war unzufrieden und teilte Anhalts Meinung, man hätte den mürben Strick nicht noch einmal anknoten sollen; nun aber, sagte er auch, müsse man sich damit weiterhelfen, solange er hielte. Vergebens malte Anhalt die Gunst der Umstände: überall recke die Freiheit das Haupt, Venedig sei im Kampfe mit dem Papst Sieger geblieben, man könne keine kühnere Sprache führen als der Doge und jener vom kalvinischen Geiste beseelte Mönch Paolo Sarpi. Was für Veränderungen, wenn die weltliche Herrschaft des Papstes stürzte, das tönerne Haupt des großen Tieres zerschellte! Wenn Genf, die Keusche, ihren Fuß auf den Nacken der römischen Hure setzte! Vergeblich mahnte er zum Eintritt in die Union und bot ihre Hilfe an: insgeheim fürchteten die böhmischen Herren für ihre Selbständigkeit und hüteten sich, Verpflichtungen gegen die deutschen Fürsten auf sich zu laden.

In Wahrheit waren die Kräfte und Mittel der Union weniger glänzend, als Anhalt sie darstellte. Keiner von den Fürsten hatte Geld genug, um sein Heer lange Zeit im Felde zu halten, oder Lust, das etwa vorhandene daranzuwagen. Nur die Städte hatten einen vollen Beutel, zogen ihn aber nicht auf, außer wenn es ihnen wirklich und erweislich unmittelbar zugute kam. Wir möchten sie so markten, sagte dann wohl Anhalt ungeduldig, wenn es sich um die Freiheit der Gewissen handele! Wollten sie stillsitzen, wenn nun die Horden der Jesuiten und Kapuziner näherrückten, um die dem reinen Gottesdienst geweihten Kirchen mit ihrem Baalsdienst zu besudeln?

Sie würden sich wehren, erwiderten die Städte, wenn die Widersacher ihnen zu Leibe rückten; aber davon wären noch keine Anzeichen vorhanden. Wenn in ihrem Gebiet ein Päpstlicher sich unbescheiden aufführte, so hätten sie Mittel, ihn zu strafen trotz Kaiser und Papst. Bisher hätte der Kaiser sie bei ihren Rechten und Gewohnheiten belassen, wie sie ihm wiederum ihre Schuldigkeit geleistet hätten.

Sie hätten keinen Gemeinsinn, warf ihnen Anhalt vor.

Ob die Fürsten nicht auch zuerst ihre Selbsterhaltung bedächten, entgegneten die Städte. Es wäre bisher so gewesen, daß sie vom Kaiser ihren Lebensfaden angesponnen und daß die Fürsten ihn abzuschneiden getrachtet hätten; sollten sie sich nun gegen den Kaiser zu den Fürsten stellen? Man sehe jetzt wieder, wie der Herzog von Wolfenbüttel der Stadt Braunschweig nachstellte und sie zu einer gemeinen Landstadt herunterdrücken wollte.

Ja, und der Kaiser hätte sie nicht beschützt, sagte Anhalt triumphierend, ebensowenig wie die Reichsstadt Donauwörth, die er vielmehr aus Glaubenshaß dem jesuitischen Herzog von Bayern preisgegeben hätte.

Wäre die Stadt vorsichtig gewesen und hätte dem Pöbel nicht zuviel nachgegeben, antworteten wiederum die Städte, möchte es nicht so weit gekommen sein. Übrigens wüßten sie wohl, daß die gegenwärtigen Läufte gefährlich und besonders für die Städte verdächtig wären; sie müßten mühselig zwischen Scyllam und Charybdim hindurchsteuern, wollten sie die heile Haut davontragen.

Als Christen sollten sie nicht an ihre Haut denken, sagte Anhalt, sondern an ihren Gott. Worauf der nürnbergische Abgesandte einmal entgegnete: »Euer Liebden reden viel von Gott, wenn Sie zu uns sprechen. Sprechen Sie aber zu Ihresgleichen, so reden Sie von der Libertät, welches so viel heißt, als daß die Fürsten dem Kaiser nicht Untertan sein wollen.«

Was ferner den Städten durchaus nicht eingehen wollte, war die Verbindung mit dem König von Frankreich als mit einem ausländischen Fürsten. In der guten alten Zeit würde man dergleichen als Hochverrat angesehen haben, und es könne nichts Gutes aus solchem Bündnis kommen. Noch dazu sei der König von Frankreich ein Apostat, habe seinen Glauben abgeschworen, seine Glaubensbrüder verraten und bekämpfe sie jetzt. Wie reime sich das damit, daß er den Protestanten im Nachbarlande beistehen wolle? Dabei sei kein Treu und Glauben, und es möchte den guten Deutschen ergehen wie dem Bären oder Hasen, als er mit dem Fuchs gemeinsame Sache machte.

*

Auf der Straße, die durch die Berge der Eifel nach Düren führte, überholte ein Trupp Mansfeldischer Reiter einige Landleute, die eine Hochzeit zu vollziehen sich in das nächste Kirchdorf begaben. Es waren das Brautpaar, dessen Eltern und die Verwandtschaft mit ihren Kindern, alle sauber gekleidet, die Braut mit Bändern und einer turmartigen Krone geschmückt, unter der ihr junger Kopf sich ernst und schamhaft beugte. Beim Anblick der Reiter erschraken die Leute, beruhigten sich aber, als einer derselben, ihren Dialekt komisch nachahmend, sie freundlich ansprach, nach dem Wege fragte und versicherte, daß sie nichts Feindliches im Sinne hätten, vielmehr selbst der Hilfe bedürftig wären. Die vom Schreck befreiten Bauern gaben Bescheid, worauf die Reiter sich ihnen anschlossen und unter dem mühselig geführten Gespräch zur Hochzeit einluden, da sie noch nichts im Leibe hätten, auch Genügsamkeit gelobten, als die Leute auf das geringe Maß der im Dorfe vorhandenen Vorräte hinwiesen. Es war Anfang Januar, und nach langen Regentagen setzte scharfe Kälte ein; ein beißender Nordwind pfiff durch das leere Ginstergestrüpp, das hie und da die Hügel bewuchs, und die erst durchweichten, nun gefrorenen Wege waren für die barfuß laufenden Kinder schwer zu begehen. Eine Viertelstunde von dem Dorfe kamen den Hochzeitern Befreundete entgegen, denen Spielleute vorangingen, und wiederum zerstreute die gute Laune der Reiter die Besorgnis, die ihr unerwartetes Erscheinen einflößte. Da sich zeigte, daß sie gute Katholiken waren, die Knie beugten und beteten wie die anderen, war die Einwohnerschaft vollends zu gastlicher Aufnahme willig, und das Hochzeitsmahl wurde durch herzugetragenes Brot, Fleisch und Dünnbier, so gut es gehen wollte, erweitert. Beim Tanze, der sich an das Essen anschloß, entspann sich ein Streit, indem ein betrunkener Reiter die Braut um die silbernen Beschläge ansprach, die ihr Mieder zierten und die seine Habgier reizten. Der Bräutigam lief zu ihrem Schutze herbei, der Reiter wurde hitzig, zog die Braut an sich und stach ihr, als sie sich ihm schreiend entwinden wollte, ein kurzes Schwert, das ihm an der Seite hing, ins Herz. Daraus entwickelte sich ein allgemeines wildes Kämpfen, das durch die plötzliche Ankunft Mansfelds, des Regimentsobersten, unterbrochen wurde. Er sprang sofort vom Pferde, trat unter die Wütenden und hieß einen der Seinigen sprechen, der die Schuld des Geschehenen auf die Bauern zu schieben suchte, als hätten sie einen listigen Überfall vorbereitet, dessen sie, die Soldaten, sich gewaltsam hätten erwehren müssen. Mansfeld stellte sich an, als ob er ihm Glauben schenkte, befahl seinen Leuten, alles herauszugeben, was sie sich etwa den Bauern Gehöriges angeeignet hätten, ließ sie aufsitzen und sprengte mit der ganzen, nun vereinigten Truppe so schnell wie möglich davon, ohne daß die Bauern der bewaffneten Übermacht gegenüber Widerstand zu leisten hätten wagen können.

Schon lag das frühe Dunkel auf den Hügeln, über die die Reiter hinjagten. Mansfeld war verstimmt und sagte ungehalten zu dem Leutnant, der die Schuldigen angeführt hatte, er durchschaue den wahren Sachverhalt wohl und würde eine blutige Strafe verhängt haben, wenn er nicht hoffen könne, daß die Tat in diesem verlassenen Winkel begraben bleibe. Als der Leutnant sich damit entschuldigen wollte, daß nach langem Fasten ihnen Essen und Trinken zu Kopfe gestiegen sei, hieß ihn Mansfeld schweigen; er müsse für ihre Zügellosigkeit büßen, ihm hängten sie den Namen eines Mordbrenners an, der die Katholiken so wenig verschone wie die Evangelischen. An einer Wegscheide ließ er Halt machen, sprach sein Mißfallen und die Hoffnung aus, die Übeltäter würden sich beeifern, ihr Schelmenstück durch eine soldatenmäßige Heldentat wieder gutzumachen. Einige Meilen entfernt liege das Städtchen Schleyden, das in Feindeshand, aber ungenügend besetzt sei und leicht überrumpelt werden könne. Dort wolle er sich festsetzen, um mit sicherem Rückhalt Streifzüge zu wagen und weiter um sich zu greifen. Dieser Überfall gelang; aber schon am folgenden Tage erschien eine starke Abteilung brandenburgischer Soldaten unter dem Grafen Friedrich Solms, denen gegenüber Mansfeld den schwach befestigten Ort nicht halten konnte. Nach tapferer Gegenwehr mußte er sich mit den überlebenden Soldaten gefangen geben, wurde nach Düren gebracht und wartete dort ungeduldig auf das Lösegeld, das sein Kriegsherr, Erzherzog Leopold, für ihn zu erlegen aufgefordert wurde.

Während der erzwungenen Untätigkeit, die ihn von Tag zu Tag unleidlicher drückte, lief an Mansfelds Geiste sein vergangenes Leben, aus Kampf, Enttäuschung und Bitterkeit bestehend, vorüber. In seinem zehnten Lebensjahre hatte es sich begeben, daß er in die Bücher, die ihm gehörten, ein paar französische Andachtsbreviere, eine Befestigungslehre und einen lateinischen Plutarch, neben seinen Namen Peter Ernst Mansfeld den Wahlspruch seines Vaters geschrieben hatte, der ihm überaus wohlgefiel: Force m'est trop. Dies hatte der Hofmeister der Pagen, mit denen er erzogen wurde, gesehen und ihn auf Befehl seines Vaters mit Schlägen so gezüchtigt, daß Blut geflossen war. Es wurde ihm dabei gesagt, daß er der Gewalt sich zu fügen lernen müsse, daß das störrische, unbändige Wesen ihm ausgetrieben werden solle, und als er sich zornig beklagte, ein Fürstensohn dürfe nicht wie ein Knecht behandelt werden, wurde ihm entgegnet, er sei ein Bastard, solle nach dem Willen seines Vaters nicht anders behandelt werden als die Pagen, die im Schlosse dienten, und habe kein Recht, seines Wappens und Wahlspruchs sich zu bedienen. Wenn ihn seitdem ein Gegner mit dem Namen Bastard gehöhnt hatte, überlief ihn jedesmal dasselbe Gefühl von Scham und ohnmächtiger Wut, das damals seine kindliche Brust fast erdrückt hatte. Haß und unersättliche Rache gegen den Vater durchdrangen ihn, dessen gesundes Alter kalt, zufrieden und würdevoll in seinen Schlössern thronte und der seinen Sohn namenlos, ohne Heimat, Erbe und Ehre zurückließ. Oft sehnte er sich danach, den hochmütigen Greis, dem man sich nur voll Ehrfurcht und unter Bücklingen genähert hatte, aus der Erde herauszuwühlen und öffentlich verletzter Vaterpflicht und unnatürlicher Grausamkeit anzuklagen. Fluch über ihn, der seinen Sohn wie Ismael in die Wüste gestoßen hatte. Noch jetzt mußte er oft rühmen hören, wie treu sein Vater als Gouverneur von Luxemburg dem Hause Habsburg gedient und ihnen sogar alle seine Güter hinterlassen habe; ihm schien es nicht rühmenswert, daß er den übermütigen Herren seinen Überfluß vermachte und seinen Sohn ihrer Gnade zu empfehlen sich begnügte. Er hatte es nicht anders gewußt, als daß er im Dienste des Hauses Österreich das Schwert führen müsse, und hatte es getan, so gut er es verstand, tapfer und ohne sein Leben zu schonen; sie dagegen hatten ihn wegen eines fehlgeschlagenen Kriegsunternehmens, woran er sich unschuldig glaubte, kassiert. Zurücksetzungen und Kränkungen aller Art waren ihm zuteil geworden, so daß er sich endlich klargemacht hatte, er als berechtigter Erbansprecher der väterlichen Hinterlassenschaft sei ihnen im Wege. Warum ließ er sich treten von denen, die ihn ausgeplündert hatten? Er konnte leicht anderswo sein Glück finden, ja es waren ihm schon Anträge von evangelischer Seite gemacht worden; dann konnte er vielleicht den Gegnern mit Gewalt nehmen, was sie dem geduldigen Diener vorenthielten. Immer, wenn er die Möglichkeit erwog, zur Union überzugehen, störte ihn die Vorstellung, daß er sich gleichsam als ein Flüchtling und Verschmähter denen anschloß, auf die er als auf Ketzer und Rebellen herabzusehen gewohnt war; dagegen sagte er sich, daß er der Mann sei, ihnen seinen Wert zu erweisen. Das Ergebnis langer Kämpfe war, daß er den Grafen Solms bat, ihn gegen Ehrenwort zu entlassen, damit er den Erzherzog Leopold persönlich auffordern könne, ihn auszulösen, widrigenfalls er zur Union übergehen wolle; weigere sich Leopold, so sei er entschlossen, die Drohung auszuführen. Graf Solms zögerte mit der Antwort; denn er hatte die Meinung, daß das Ehrenwort eines Bastards nicht gelte, und war nahe daran, ihm dies zu verstehen zu geben. Indem er aber Mansfeld in das kluge, reizbare Gesicht sah, das sich rötete und argwöhnisch leidend verzog, weil er des Unschlüssigen Zweifel richtig deutete, besann er sich plötzlich eines anderen, reichte dem Bittenden die Hand und sagte: »Ich habe Euch kämpfen sehen wie einen Edelmann, und als einem solchen gebe ich Euch die Freiheit«, worauf Mansfeld dankte und davonritt.

Von Erzherzog Leopold, der sein erträumtes Reich von Jülich aus zerfließen sah, ohne Geld, weil er selbst keins habe, und mit den spöttischen Worten entlassen, er solle unter Freunden und Verwandten für sich sammeln lassen, kehrte er grollenden Herzens nach Düren zurück. Nicht nur redeten ihm Ansbach, Anhalt und Solms zu, sich nunmehr der Union anzuschließen, sondern Solms schenkte ihm auch die Freiheit, großmütig auf das Lösegeld verzichtend; allein das bestärkte Mansfeld in dem Vorsatz, nur an der Spitze eines Regiments, nicht als Bettler zu den bisherigen Feinden zu kommen. Einige Monate vergingen, die er im Belgischen und Luxemburgischen, werbend und streifend im Dienste des Erzherzogs, zubrachte, immer noch ein Zeichen erwartend, das ihm Anlaß gäbe, bei der alten Fahne zu bleiben. Anstatt dessen geriet er in einen Wortwechsel mit Leopold, weil dieser sich weigerte, den Söldnern, die Mansfeld für ihn geworben hatte, den Sold auszuzahlen. Im Vertrauen auf seine, des Erzherzogs, Ehre habe er den Söldnern sein Wort verpfändet, warf ihm Mansfeld vor, worauf der Erzherzog spottete, er sei ja dem Grafen Solms das Lösegeld schuldig geblieben, und derselbe habe das Recht, Mansfelds Namen auf den Schandpfahl zu schlagen. Des Lösegelds solle er ewig eingedenk sein, antwortete Mansfeld kurz, drehte sich um und verließ Leopold, entschlossen, nun ein Ende zu machen. Unter dem Vorwande, einen Futtertransport eskortieren zu müssen, verließ er mit seinem Regiment das Elsaß, wohin er sich zurückgezogen hatte, und führte es dem einstigen Feinde zu. Auf einem freien Felde hielt er eine Ansprache, in der er die Gründe, die ihn bewegten, auseinandersetzte. Er sprach von dem Geiz und der Undankbarkeit des Hauses Habsburg und wie lange er die Tyrannei desselben ertragen habe in der Meinung, es müsse so sein, daß einige Hunger und Durst, Frost und Hitze, Entbehrung und Mangel litten, während andere in Überfluß, Gütern und Titeln schwelgten. Es sei nicht so; das Evangelium der Freiheit sei längst ausgegangen in die Welt, man hätte es ihnen aber vorenthalten. Zur evangelischen Freiheit wolle er von nun an sich halten. Er sei als Fürst geboren und aufgewachsen so gut wie ein Erzherzog, das Haus Habsburg habe ihn seines Landes und seiner Rechte, so wie sie ihres Soldes, beraubt. Er sei jetzt, obwohl ein Fürst, arm, habe aber ein Schwert, mit dem er sich die Welt erkämpfen könne. Dem Schwert und der Freiheit wolle er vertrauen; wie er sie nicht verließe, sollten sie ihm treu bleiben.

Diese und ähnliche Worte sprach er vom Pferde herunter, den Hut in der Hand, zu den Soldaten, die ihm als einem verwegenen und großmütigen, wenn auch mitunter maßlos heftigen Führer im ganzen zugetan waren. Die meisten jubelten ihm zu, um so mehr, als sie größtenteils Protestanten waren; andere gingen einstweilen mit, um sich gelegentlich zu verlieren, wenn ihnen der Wechsel nicht zusagen sollte; nur wenige kehrten aus Anhänglichkeit an die einmal ergriffene Sache oder aus Mißtrauen gegen die neue zurück.

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