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Während der junge Erzherzog Ferdinand von Steiermark zu Ingolstadt studierte, begab es sich an einem Festtage, daß er später als gewöhnlich zur Messe in die Kirche kam und den vorderen Stuhl, den er sonst innehatte, von seinem Vetter Maximilian, dem Sohne des Herzogs von Bayern, besetzt fand. Indem er diesen mit freundlichem Anlachen begrüßte, blieb er wartend vor ihm stehen, und da Maximilian nicht Miene machte, ihm den Platz zu überlassen, forderte er ihn leichten Tones dazu auf. Er wisse nicht, daß das Ferdinands Stuhl sei, antwortete Maximilian zögernd und kühl; daß er ihn bisher gehabt hätte, hindere nicht, daß heute er, Maximilian, ihn behalte, da er ihm einmal zuvorgekommen sei. »Mein Platz ist es,« entgegnete Ferdinand, »weil er als der vordere meinem Range gebührt, und lege ich auch als Freund und Vetter keinen Wert darauf, so bin ich es doch seit dem Tode meines Vaters meiner Würde schuldig, darauf zu bestehen.«

Hätte er gewußt, sagte Maximilian, daß Ferdinand es so auffaßte, würde er ihm den Stuhl vorher nicht immer überlassen haben, was nur aus dem Grunde geschehen sei, weil er sich an der bayrischen Landesuniversität dem steiermärkischen Vetter gegenüber als Wirt gefühlt habe; nun werde ihm seine Höflichkeit als Unterwürfigkeit ausgelegt. Ein Herzog von Bayern sei so viel wie ein Erzherzog von Steiermark, vorzüglich auf bayrischem Gebiet, wo keinem Erzherzoge auch nur so viel wie eine Scheune oder ein Heustock gehöre.

Das könne man nicht wissen, entgegnete Ferdinand und lächelte; er gehöre zur kaiserlichen Familie und könne noch einmal Kaiser werden, wenn es Gott gefällig sei.

Der ältere Vetter, der, gerade gewachsen und sich steif haltend, auf den vor ihm stehenden, ein wenig schlotterigen Steiermärker herabzusehen schien, errötete vor Ärger, blieb aber kalt und sagte: »Ich etwa nicht? Es gibt kein Gesetz in der Güldenen Bulle, daß nicht auch ein Bayer zum Kaiser könnte erwählt werden.«

Die beiden Hofmeister, die bisher vergeblich dem Wortwechsel zu steuern versucht hatten, drangen nunmehr durch, der bayrische, indem er Maximilian flüsternd an den Befehl seines Vaters erinnerte, stets höflich gegen Ferdinand zu sein und auf alle Fälle in gutem Vernehmen mit ihm zu bleiben, während der steiermärkische Ferdinand mit dem Zorn seiner Mutter schreckte, die ihm streng befohlen hatte, dem Herzog von Bayern, ihrem Bruder, wie einem Vater zu gehorchen und Maximilian wie einen älteren Bruder zu respektieren. Der Gedanke daran, daß seine Mutter schon mehrmals gedroht hatte, ihn von Ingolstadt fortzunehmen, wie es der Kaiser und dessen Brüder, Ferdinands Oheime, wünschten, schlug seinen Hochmut nieder, und er verstand sich dazu, Maximilian zu bitten, er möge ihm den Stuhl, abgesehen von der Rangfrage, aus vetterlicher Freundschaft überlassen, weil er sich an ihn gewöhnt habe. Maximilian gab mit kühler Herablassung, aber im Grunde nicht ungern nach; denn inzwischen waren ihm Zweifel aufgestiegen, ob er nicht doch einem Habsburger gegenüber, der des Kaisers Neffe war, ein wenig zu weit gegangen sei. Während der kirchlichen Zeremonie gab sich Ferdinand ausgelassenen Späßen über einen der Geistlichen hin, der augenscheinlich den Schnupfen hatte und seine rotgeschwollene Nase mit dem reichgestickten Unterärmel seines Gewandes putzte; aber wie der Hofmeister seine Lustigkeit nicht zu dämpfen vermochte, so gelang es ihm nicht, Maximilian zum Lachen zu bringen.

An diesen Vorfall knüpfte sich ein langer, nicht unbeschwerlicher Briefwechsel zwischen Maximilians Vater, Herzog Wilhelm von Bayern, und dessen Schwester, der Erzherzogin Maria von Steiermark, Ferdinands Mutter, die sich herzlich liebten, obwohl die Heftigkeit der jüngeren Erzherzogin ihrem friedfertigen Bruder manche Nachgiebigkeit zumutete. Maria hielt ihre bayrische Familie für weit tüchtiger und verdienstlicher als die ihres Mannes, die sie im stillen herzlich verachtete; allein da ihre Kinder nun einmal Habsburger waren, trotzte sie auf deren Titel und Rechte und gebärdete sich sogar dem Herzog gegenüber zuweilen als die Höhere, deren Ansprüchen ein jeder zu weichen habe. Da von ihren fünfzehn Kindern die meisten kränklich und unbegabt waren, machte ihr die Erziehung viel zu schaffen, um so mehr, als sie bei ihrem Manne wenig Unterstützung fand, im Gegenteil seine Trägheit, Gleichgültigkeit und Leichtfertigkeit beständig durch ihren Ernst und ihre Tatkraft ersetzen mußte. Wenn sie bedachte, wie sie ihn stets hatte stoßen und treiben müssen, damit er den Anmaßungen seines Adels standhielt, wie sie hatte wehren müssen, wo er nachgeben wollte, wie sie mit Drohen, Keifen, Predigen und Intrigieren allem Gegenwirken der Stände zum Trotz Jesuiten und Kapuziner ins Land gebracht hatte, daß sie nunmehr allenthalben das wahre katholische Leben sprießen und um sich greifen sah, so mochte sie sich füglich von ihrer Wichtigkeit und Machtfülle durchdrungen fühlen. Auch hätte keines von ihren Kindern gewagt, ihr den Gehorsam zu weigern; aber das konnte sie doch nicht hindern, daß etwas habsburgisches Unkraut selbst in ihres Ferdinands gute Anlagen, die er von bayrischer Seite mitbekommen hatte, hineinwilderte.

Als er das erstemal nach dem Tode des Vaters von Ingolstadt nach Hause kam, hoffte sie ihn etwas gereifter und männlicher zu finden; indessen mußte sie ihm schon beim Eintritt seine Lustigkeit und Scherze mit der Dienerschaft als dem Trauerhause unziemlich verweisen. Sie überraschte ihn mit einem Geschenk aus dem Nachlasse des Vaters, einer reich mit Perlmutter und Elfenbein eingelegten Büchse, die der Nürnberger Künstler Jamnitzer verfertigt hatte; denn er sollte sie künftig an Stelle des Vaters zur Jagd begleiten. Der sechsjährige Leopold, der auch zur Jagd zu gehen verlangte, wurde im Hinblick auf seine Bestimmung zum geistlichen Stande mit einem Rosenkranz aus böhmischen Granaten getröstet, der neben dem Bette des verstorbenen Vaters gehangen hatte. Dies gab Anlaß zu einer Rauferei, da Ferdinand den Kleinen auslachte und neckend sagte: »Lerne du nur fleißig beten, du kannst nicht zur Jagd gehen, denn du wirst Weiberröcke tragen und müßtest als ein Weib auf dem Sattel sitzen«, eine von den Anspielungen, mit denen die Geschwister den wilden Buben zu reizen liebten. In lautloser Wut stürzte sich Leopold auf den großen Bruder, warf ihn mit dem ersten Anlauf zu Boden und schlug den jämmerlich Schreienden mit der Faust auf den Kopf, indem er schrie: »Ich will dir auf deinen dreckigen Grind beten!«, bis Marias feste Hand den Knäuel auseinanderriß. Sie gab Leopold zwei Ohrfeigen, die eine wegen seiner Versündigung am heiligen Gebet, die andere, weil er seinen älteren Bruder, dem er Gehorsam schuldig sei, verprügelt habe; dann sich plötzlich zu Ferdinand wendend, der bei der Bestrafung seines Bruders zu wehklagen aufgehört und lachend zugesehen hatte, versetzte sie auch ihm eine, denn er sei nicht minder schuldig als Leopold, insofern er mit unziemlichen Neckereien den Anfang gemacht habe, wo er doch vielmehr den künftigen Priester in seinem Bruder ehren sollte. Dann wischte sie Leopold die Tränen ab, der unter dem Schluchzen wütende Blicke auf seinen Bruder schoß, reichte ihm einen Apfel und führte ihn in ein anderes Zimmer, wo ihn die Schwestern mit neugierigen Blicken und Fragen empfingen. Von der Zurückkehrenden bat sich Ferdinand, halb dreist, halb ängstlich, auch einen Apfel aus; Leopold werde von ihr verhätschelt, und das sei der Grund, warum er ihm nicht gehorche, er wisse wohl, daß die Mutter ihm alles hingehen lasse, die Ohrfeigen habe sie ihm ja auch gleich vergütet.

Es verhalte sich ganz anders, sagte Maria streng; eigentlich hätte sie ihn, Ferdinand, allein strafen sollen, denn nicht nur, daß er als der Ältere der Verständigere sein und ein gutes Beispiel geben sollte, hätte er, der Große, sich von dem tapferen Kleinen wie ein Feigling zu Boden schlagen und verprügeln lassen, dazu noch Zeter geschrien. Frömmigkeit sei zwar für einen christlichen Regenten die Hauptsache, und auch die katholischen Wissenschaften und die Historie seien ihm nützlich, aber die ritterlichen Übungen und eine stattliche, kriegerische Haltung dürfe er nicht vernachlässigen. Die Verwandten machten ihr Vorwürfe, daß sie ihn zu lange auf der Universität lasse, wo er nichts als gelehrtes Silbenstechen und Disputieren lerne.

Ferdinand sagte maulend, er nehme Reit- und Fechtstunden und habe schon große Fortschritte gemacht. Der päpstliche Nuntius, der kürzlich durch Ingolstadt gekommen sei und ihn in der Fechtschule gesehen habe, habe ihn mit dem blitzeschleudernden Apollo verglichen. Was hätten sich auch seine Oheime, die Erzherzöge, einzumischen? Sie, die Mutter, hätte allein zu bestimmen und allenfalls ihr Bruder, der alte Herzog von Bayern, ihnen beiden wolle er gern gehorchen.

Ganz besänftigt, hieß Maria ihren Sohn sich zu ihr setzen und sprach ihm vertraulich von ihren Sorgen und Plänen. Einen erbitterten Kampf habe sie führen müssen, bis man sie mit ihren Kindern im Schlosse zu Graz gelassen habe; man hätte sie am liebsten auf die Seite gestellt, nicht weil man an ihrer Kraft zweifelte, die Regentschaft zu führen, im Gegenteil, weil man ihre Entschlossenheit fürchte. Der Kaiser und seine Brüder seien zwar gut katholisch, das wolle sie ihnen nicht abstreiten, aber es fehle ihnen der Mut, den allein das reine Gewissen verleihen könne. Das sei ein beständiges Paktieren und Feilschen mit den Ketzern! Dadurch, daß man sie fürchtete, würden sie fürchterlich. Jetzt freilich blähten sie sich auf und spritzten ihr Gift dahin und dorthin.

Aus einem Schubfach ihres Schreibtisches holte sie Briefe, die sie von ihrer Tochter Anna, der Gemahlin des Polenkönigs Sigismund, erhalten hatte. Sigismund sei ein guter, frommer Mann, sagte sie, und ihr als Eidam wert, aber allzu sanftmütig und den boshaften Schweden nicht gewachsen, wie er denn ein feierliches Versprechen gegeben habe, die lutherische Religion in Schweden zu erhalten und zu schützen; denn sonst hätten ihm die unbotmäßigen Stände nicht huldigen wollen. Dahinter stecke niemand anders als Karl, sein Oheim, der, als ein echter Abkömmling der bösen, wölfischen Wasabrut, selbst auf den Thron spekuliere. Nachdem nun Sigismund das leidige Versprechen einmal gegeben habe, solle er sich wenigstens nicht daran gebunden halten; denn den Untertanen stehe keinerlei Recht zu, den ihnen von Gott gesetzten Herren Eide und Bündnisse abzunehmen, sondern als gottlose Räuber solle er sie einfach zu Paaren treiben. Auch sei Anna sehr traurig darüber, daß es so gekommen sei und daß sie sich von den lutherischen Affen hätte müssen krönen und salben lassen, welches doch nicht mehr zu bedeuten habe, als wenn man von einem Bader wegen eines Aussatzes oder anderen Schadens geschmiert werde. Könnte sie nur allen ihren Mut und ihre Überzeugung einflößen, so würden die Unruhen und Empörungen, das Geschrei der tollköpfigen Bauern um freie Religionsübung und das Lärmen der Prädikanten auf den Kanzeln einmal aufhören. Die Bauern gehörten an den Pflug, die Bürger in ihre Werkstatt und die Prädikanten an den Galgen; hielte man sich daran, so würde der liebe Friede und die alte Ordnung bald wieder hergestellt sein. Freilich müsse zuerst der übermütige Adel gebeugt werden, damit das ketzerische Volk keinen Rückhalt mehr an ihm finden könne.

Er wolle schon Ordnung schaffen, sagte Ferdinand, der sich bemüht hatte, aufmerksam zuzuhören; wenn er drei Jahre regiert hätte, solle keiner mehr im Lande sein, der nicht das Knie beugte, wenn die Prozession vorübergehe. Er wolle den großen Prahlhansen schon ein Gebiß ins Maul klemmen, die störrischen Ketzeresel sollten ihm Säcke in seine Mühle tragen.

Maria zählte einige Herren vom Adel auf, die ihr am meisten zu schaffen machten, die Räknitz, die Praunfalk und die Windischgrätz. Bereits hätten sie sich beim Alten, nämlich beim Kaiser, beklagt, daß sie sie Untertanen geheißen hätte; und doch müßten sie wohl Untertanen sein, wenn der Fürst der Herr sei. Sie steckten mit allen Ketzern und Aufrührern in Österreich, Schlesien und Mähren, ja auch in Böhmen und Ungarn zusammen, wo es an dergleichen nie gefehlt habe, und möchten etwa gar freie Schweizer oder Holländer sein. Ein hübscher Staat ohne göttliches und irdisches Haupt, eine schöne Ordnung, wo die Untertanen mit ihrem kurzen Verstande Gott und die heilige Kirche lästern dürften, ohne daß einer sie beim Schopfe nehme. Sie wisse auch im Reich draußen manch einen, der dabei sein möchte.

»Sie werden schon zu Kreuze kriechen, wenn der Ferdinand die Zügel führt«, sagte dieser lachend.

Wenn sie nur erreichen könnte, meinte Maria, daß er ein paar Jahre früher mündig erklärt werde; die habsburgische Vormundschaft sei doch nur eine Mißwirtschaft. Es komme darauf an, daß er sich seinem Oheim, dem Kaiser Rudolf, persönlich vorstellen könne; der Rat Rumpf, der alles beim Alten vermöge, sei ein guter Freund von ihr und habe sich bereit erklärt, einen solchen Besuch zu vermitteln. Inzwischen müsse Ferdinand sich in körperlichen Übungen vervollkommnen, damit er eine anständige Haltung bekomme, nicht wie ein Hampelmann einhergehe, müsse sich ein ernstes, aufrichtiges, bescheidenes Betragen angewöhnen, um auf Rudolf einen günstigen Eindruck zu machen, denn davon hänge nun einmal alles ab.

»Ich bin gut genug für den alten Unflat!« sagte Ferdinand, indem er die lange Unterlippe hängen ließ, unterbrach sich aber sogleich, von der Mutter derb am Arme geschüttelt. Er hätte eine Maulschelle verdient, rief sie zornig; wie er so frech von der kaiserlichen Majestät reden dürfe! Wenn das seine jüngeren Geschwister gehört hätten!

Sie hätten es oft genug von ihr gehört, brummte Ferdinand, wie er es auch nicht aus sich selber habe. Sie habe gesagt, daß er sich Huren halte und mit gemeinen Leuten und Ketzern saufe und schändliche Künste treibe.

»Dir ziemt nicht, alles zu sagen, was mir ziemt,« sagte sie unwirsch, »denn du kannst nicht unterscheiden, wo und wann du den Mund auftun sollst.« Sie sei Rudolfs Freundin nie gewesen, aber er sei nun einmal der Kaiser und habe ihr Schicksal in seinen Händen, darum müsse Ferdinand sich Mühe geben, ihm zu gefallen.

Schließlich eröffnete Maria ihrem Sohne einen Ausblick in die Zukunft: Bis jetzt hätten weder der Kaiser noch seine lebenden Brüder einen Erben; er sowie Matthias, Ernst und Albrecht wären unvermählt, Maximilian dürfe als Deutschordensmeister nicht heiraten, der Sohn Ferdinands von Tirol sei als Kind der Welserin unebenbürtig, nur der jüngste Bruder, Karl, sein verstorbener Vater, habe Söhne in der Ehe erzeugt. Ersichtlich stehe das Haus unter der Malediktion Gottes, die es sich durch Lauheit im Glauben zugezogen habe, und so wäre es nicht unmöglich, daß noch einmal alle habsburgischen Länder auf ihn kämen. Wenn Gott es so füge, sei dabei jedenfalls seine Absicht, einen frommen Glaubenshelden an die Herrschaft zu bringen, der die katholische Kirche wiederherstellen werde, und obschon er natürlicherweise seinen Oheimen nichts Übles wünschen dürfe, vielmehr fortfahren solle, für ihre Gesundheit und Fortpflanzung zu beten, so müsse er sich doch im stillen auf sein großes Amt vorbereiten, falls Gott im Schilde führe, ihn dahin zu erhöhen.

Ferdinand war ein wenig rot geworden; aber er sagte leichthin, warum sollte denn der Kaiser nicht noch heiraten und Nachkommenschaft erzielen, da er doch Hurenkinder habe. Auch Matthias, Ernst und Albrecht wären noch in den Jahren, sich zu vermählen; mit so weitaussehenden Sachen wolle er sich nicht ernstlich abgeben.

Dank den Anweisungen, die sein Beschützer, Minister Rumpf, dem Knaben gab, wie auch durch seine natürliche Unbefangenheit und Schlauheit fiel Ferdinands Besuch am Kaiserhofe gut aus; überhaupt hatte der Kaiser an jungen Leuten, die sich ihm mit bescheidener Bewunderung und Ehrerbietung näherten, Wohlgefallen und liebte es, Späße mit ihnen zu machen, bei denen er eine anmutig überlegene Freundlichkeit entfalten konnte. Ferdinand kehrte nicht wenig gehoben nach Graz zurück und mußte sich manche Neckerei von Seiten der Geschwister gefallen lassen, die das pomphafte Wesen an dem Dämel, wie sie Ferdinand nannten, der beim Spiel der Albernste war, nicht leiden konnten.

Es schien in der Tat, als wolle Gott das Haus der Erzherzogin Maria erhöhen; denn nach vielen Weiterungen, die die Launenhaftigkeit des greisen Königs von Spanien, Philipps II., verursachte, kam endlich die Verlobung zwischen seinem Sohne Philipp, dem Thronfolger, und ihrer Tochter, der kleinen blonden Margareta, zustande. Maria, die das Reisen außerordentlich liebte, geleitete sie selbst nach Madrid und hatte große Mühe, das kindische Wesen der Tochter vor den so anders gearteten Spaniern zu verbergen. Als die erste spanische Gesandtschaft die Reisenden unterwegs antraf und der Prinzessin ein auf Elfenbein gemaltes Miniaturbild ihres Bräutigams überreichte, hielt sie den Ausbruch ihrer Lustigkeit unter dem strengen Blick der Mutter notdürftig zurück; sowie sie aber allein waren, warf sie sich auf einen Stuhl und rief unmäßig lachend: »So also sieht der Lipperli aus! Und dies soll mein Mann sein! Er gleicht einer Quarkrübe! Ich werde ihm ein Lätzlein mitbringen, denn er kann gewiß noch nicht sauber essen.«

Daß sie selbst noch in die Kinderstube gehöre, sagte Maria strafend, beweise ihr Benehmen. Dann betrachtete sie das Bildchen, stellte einige Familienähnlichkeit fest und meinte, es sei überhaupt fraglich, ob der Prinz selbst dazu gesessen habe; denn der alte König habe seine Kinder nicht mehr konterfeien lassen, seit ihm mehrere bald nach dem Abmalen gestorben seien.

Ob denn etwa die Maler in Spanien als Zauberer verbrannt würden? fragte die Kleine neugierig. Es gehe eben seltsam zu in Spanien, sagte Maria, der alte König habe zuletzt voll Bosheit und Narrheit gesteckt, es komme ihr wohl, daß er noch gerade gestorben sei. Die spanischen Verwandten seien alle ein wenig verstockt und verdreht, man heiße das die spanische Krankheit, und sie könne es sich gut vorstellen, wenn sie die widerwärtigen Spanier sähe, in deren Gesellschaft es einem eng ums Herz werde. Zwischen dieser gelben, langnasigen, ranzigen Nation und den Juden sei kaum ein Unterschied.

Vielleicht bekomme sie diese Krankheit auch, wenn sie erst in Spanien sei, sagte Margareta, so wolle sie sich bis dahin noch recht lustig machen. Damit war auch Maria einverstanden. Die vielen Geschenke, die den hohen Reisenden unterwegs von Fürsten und Städten überreicht wurden, die Kostbarkeiten und Heiligtümer, die die Erzherzogin einkaufte, wurden abends beim Glückstopf verspielt in der Art, daß für die daheim zurückgelassenen Kinder mit gesetzt wurde. In Mailand gefiel der Kleinen nächst den vielen Kirchen und Klöstern ein Flohtheater am besten, und sie lag der Mutter mit dringenden Bitten an, es ihr zu kaufen. Indessen schlug es ihr Maria ab, weil die leidigen Spanier, wenn sie dahinterkämen, es ihr übel auslegen könnten, obwohl sie selbst gewiß mehr Flöhe, Läuse und Wanzen hätten als ein Bauernkind auf dem Miste.

Großen Trost fand Maria in der Begleitung des Hans Ulrich von Eggenberg, der, aus einer lutherischen, durch Geldgeschäfte reich gewordenen Familie stammend, sich, seit er erwachsen war, zur katholischen Kirche gehalten hatte, kürzlich vom Kaiser in den Freiherrnstand erhoben und bei der Erzherzogin und ihrer ganzen Familie sehr beliebt war. Seine offenen blauen Augen und sein gemütliches Wesen versinnbildlichten ihr unter den Fremden die deutsche Heimat. Wenn sie eine Weile mit ihm geschwatzt habe, sagte sie zu ihm, sei ihr zumut, als sei sie daheim im Walde spaziert und habe Eichen und Buchen rauschen hören, und hätte sie nicht von Zeit zu Zeit eine solche Erquickung, möchte sie es nicht so lange zwischen den stinkenden spanischen Zwiebelfeldern aushalten. Auch die kleine Margareta sagte, sie würde lieber nach Madrid reisen, wenn Eggenberg noch kein Weib hätte und König von Spanien wäre; worauf Eggenberg erwiderte, er würde ihr dann gewiß auch so viele Flöhe fangen, daß die Hofdamen sich ihren Bedarf aus Aranjuez müßten kommen lassen.

Gleichzeitig fand eine andere habsburgische Vermählung statt, durch welche Ferdinands Aussichten einen unerwarteten Niederschlag erlitten; sein Oheim Albrecht nämlich heiratete die Prinzessin Isabella von Spanien, die einzige, wegen ihres Verstandes und ihrer Tüchtigkeit berühmte Tochter Philipps II., die seit so vielen Jahren mit ihrem Vetter Rudolf, dem Kaiser, verlobt gewesen war, daß man sich gewöhnt hatte, dies als einen dauernden Zustand zu betrachten. Die Geschwister kicherten und warfen listige Blicke auf Ferdinand, Leopold streckte ihm hinter dem Rücken der Mutter die Zunge aus. Da er seine Wut an dem jüngeren Bruder nicht selbst auslassen konnte, der eine breite Brust und starke Muskeln bekommen hatte, machte Ferdinand die Mutter aufmerksam, die dann auch mit der Strafe nicht zögerte. Einen solchen Rüpel könne sie den Passauern nicht als Bischof anbieten, fuhr sie Leopold an; sie müsse so von ihrer eigenen Familie genug darüber hören, daß sie alle geistlichen Würden für ihren unmündigen Buben wolle. »Ich speie Euch auf den Passauer Bischofshut!« sagte Leopold trotzig, worauf er mit einem Gebetbuche eingesperrt wurde, keinen anderen Besuch als den des Beichtvaters empfangen durfte und durch mehrtägiges Fasten auf die seinem Stande geziemende Sanftmut heruntergebracht wurde.

Merklichere Aufregung und Veränderung rief die Nachricht von der Verlobung am Hofe zu Prag hervor. Rudolf nämlich hatte sich nie entschließen können, die spanische Braut zu heiraten, aus Scheu vor jeder Fessel sowohl, wie weil ihr fester und gebietender Charakter ihm ein unbestimmtes Gefühl von allerlei zu nehmenden Rücksichten einflößte, dann auch, weil er das gewohnte Zusammenleben mit einer Frau aus geringerem Stande, die ihm mehrere Kinder geboren hatte und die jede seiner Launen und Begierden gehen ließ, durchaus nicht hätte aufgeben mögen. Andererseits war ihm das Bewußtsein wert, die Prinzessin jeden Augenblick heimführen zu können, und es schien ihm nicht anders, als hätte sie eine frevelhafte Treulosigkeit begangen, sein Bruder aber sich ein Stück von seinem Besitztum angeeignet. Der Schmerz wurde dadurch verbittert, daß Rudolf durch seinen Kammerdiener Matkowsky einige Einzelheiten der vom Minister Rumpf geführten diplomatischen Verhandlungen erfuhr, die der Vermählung vorangegangen waren. Rumpf, von welchem man wußte, daß er das ganze Vertrauen des Kaisers besaß und das Treiben am Hofe durch und durch kannte, hatte dem spanischen Gesandten mitgeteilt, von einer Heirat mit dem Kaiser müsse die Prinzessin gänzlich absehen, er könne keinen Entschluß fassen, lasse alles gehen, wie es wolle, kümmere sich nur um sein leibliches Wohlergehen und etliche Liebhabereien und sei überhaupt zum Regieren unfähiger als ein abgerichteter Pudel.

Rudolfs Erstaunen über diese Beleidigung seiner Majestät ging in einen Zorn über, den er anfänglich nur im Blute des Schuldigen kühlen zu können glaubte, indessen beschwor ihn Matkowsky selbst, von einem Hochverratsprozeß abzusehen, der die verkleinernde Äußerung des Ministers weiterverbreiten würde. Demnach begnügte sich Rudolf damit, den Nichtsahnenden mit allen Zeichen der Ungnade zu entlassen, so daß er sich vor Untergang der scheinenden Sonne aus Prag zu entfernen habe. Diese nachdrückliche Justiz, die sich niemand zu erklären wußte, verbreitete Schrecken und unbestimmte Erwartung; aber es folgte zunächst nichts als eine große Stille. Da für den gestürzten Minister, durch dessen Hand alle Geschäfte gegangen waren, nicht sogleich ein Ersatz zur Stelle war, blieb alles liegen; der Kaiser erteilte weder Audienzen noch unterzeichnete er Erlasse und Handschreiben, und man hätte glauben können, er sei gestorben, wenn sich nicht hie und da sein blasses Gesicht an einem Fenster des Schlosses gezeigt hätte. Der Böhme Matkowsky war der einzige, den er jederzeit gern um sich hatte, und ihm erzählte er unter Tränen, wie er seit seinen Jünglingsjahren die Prinzessin Isabella geliebt habe, wie aber ihr Vater, Philipp II., sich geweigert hätte, ihm das Herzogtum Mailand als Mitgift zu geben, worauf er als Kaiser und Mehrer des Reichs hätte bestehen müssen.

Matkowskys williges Zuhören und herzliche Rührung taten ihm wohl, so daß er seinerseits dessen Berichte gern annahm, der, als Böhmischer Bruder ein gewissenhafter Bekenner der evangelischen Religion, beteuerte, seine Glaubensgenossen blickten auf den Kaiser wie auf ihren Heiland und trügen seine Ungnade ergeben, während er für die Katholiken nur ein Mittel wäre, dessen sie sich bedienten, um zu herrschen, und dessen sie sich zu entledigen versuchen würden, wenn er ihnen nicht in allem zu Willen wäre.

Eines Abends begab sich der Kaiser in ein gewisses Turmstübchen, wo seine Goldmacher und Künstler arbeiteten, unter denen er sich mit Vorliebe aufzuhalten pflegte. Er saß mit halbgeschlossenen Augen in einem Lehnstuhl, während die Männer unter sich fortplauderten, weil sie wußten, daß ihm das angenehm war. Der Glasschneider Lehmann und sein Schüler Georg Schwanhard waren damit beschäftigt, eine Ansicht der Stadt Nürnberg in einen Pokal zu schneiden, obwohl die feine Arbeit beim Kerzenlichte für ihre Augen anstrengend sein mochte, einer knetete und mischte Wachs an einer Flamme, und ein anderer sortierte einen Haufen Edelsteine. Eine Tochter des Kaisers, ein üppiges blondes Mädchen, saß auf einem Schemel neben dem Ofen des Goldmachers und starrte verträumt in die Pfanne, wo sein blankes Gemenge brodelte. Durch ein offenes Fenster strömten die Düfte des Sommers und der unendliche Gesang einer in den dicken Gebüschen des Burggrabens verborgenen Nachtigall. Meister Vianen, der dem Fenster zunächst saß, erzählte halblaut, daß er sich lange bemüht habe, eine künstliche Nachtigall herzustellen, daß das Vöglein aus Silber und Schmelz ihm auch nett gelungen sei, daß aber die Flöte, die er hineingesetzt habe, dem süßschmetternden Ton des wirklichen Tieres nicht gleichgekommen sei, was ihm jetzt besonders auffalle, da er es höre. »Du wärest der Herrgott,« sagte Kaspar Lehmann, »wenn du eine lebendige Stimme machen könntest, die aus einem lebendigen Herzen kommt.« Gerade jetzt wurde der wohllautende Gesang durch ein schrilles Glockenzeichen unterbrochen, das den Kaiser zusammenfahren machte; Matkowsky erklärte, es komme aus dem Kapuzinerkloster, das unterhalb des Schlosses neu errichtet worden sei. Zu viele Maulwurfshügel schadeten dem Felde, sagte Lehmann leise lachend; aber wenn die Kapuziner auch Bettler und Müßiggänger wären, so gingen sie doch wenigstens nicht mit Gift und Dolch um wie die Jesuiten.

So ungefährlich wären die Kapuziner auch nicht, sagte Matkowsky, er habe von seinem Vater greuliche Geschichten darüber erzählen hören. Zu der Zeit, als in Znaim ein Kapuzinerkloster gegründet worden sei, habe es sich begeben, daß der Sohn eines evangelischen Ratsherrn, der diese Gründung bekämpft gehabt habe, von einer sonderbaren Krankheit befallen worden sei, gegen die kein Arzt etwas habe ausrichten können. Allmählich sei es allen aufgefallen, daß der Kranke immer zu der Zeit von den Krämpfen heimgesucht worden sei, wenn der Chorgesang im neuen Kapuzinerkloster begonnen habe, das dem Hause des Ratsherrn benachbart gewesen sei. Dieser, ein beherzter Mann, habe sich denn einmal zur Nachtzeit in das Kloster geschlichen und sei ungesehen durch den dunklen Kreuzgang bis an das Chor der Kirche gekommen. Da wären die Mönche beim trüben Licht eines Lämpchens unter dem Altar um ein Wachsbild gehockt und hätten mit hohler Stimme Beschwörungen gesungen, und bei gewissen Stellen hätten sich alle erhoben und mit langen Nadeln in die Figur hineingestochen. Nach und nach hätten sich die Augen des Ratsherrn an die Dunkelheit gewöhnt, und da hätte er erkannt, daß das wächserne Bild ihn selbst darstelle, worauf ihn anfänglich das Entsetzen so gelähmt hätte, daß er sich nicht von der Stelle hätte bewegen können, obwohl ihm von der Anstrengung der Schweiß in Bächen über die Stirne geronnen sei. Endlich habe ihn ein Stoßgebet freigemacht, so daß er sich habe retten können, aber im Laufen habe er die höllischen Kapuziner hinter sich her klappern hören, und zu Hause angekommen, sei er in Krämpfe verfallen und stracks gestorben, nachdem er noch habe erzählen können, was ihm begegnet sei.

Während des Gesprächs, das die Erzählung angeregt hatte, stand der Kaiser plötzlich auf und streckte mit angstvoller Gebärde den Arm nach dem Fenster aus, worauf Matkowsky zu ihm eilte und ihn dicht an das Fenster zog in der Meinung, Rudolf fühle sich engbrüstig und bedürfe frischer Luft. Der Kaiser jedoch wandte sich voll Schrecken fort und befahl Matkowsky, er solle ihn in den sogenannten Kaisersaal hinunterführen, der im unteren Geschoß lag und wo seine Sammlung von Kunstgegenständen und Kuriositäten aufgestellt war. Die Tochter, für die der prächtige Saal, der sich ihr nur selten auftat, etwas besonders Anziehendes hatte, sprang auf und wollte, sich an den Kaiser drängend, mitgenommen werden; aber er stieß sie von sich und befahl ihr, heimzugehen und sich zu Bette zu legen. »Warum ist sie hier?« fragte er böse. »Ich habe gesagt, daß ich das Hurenvolk nicht um mich sehen will.« Unten im Saale wühlte er, während Matkowsky mit einer Fackel leuchtete, unter einem Haufen von Korallen, Erzstücken, Wurzeln und anderen Seltsamkeiten. Er suche die Meernuß, sagte er, die der Doria ihm kürzlich zugeschickt habe und die den, der sie bei sich trage, gegen Zauberei beschütze. Matkowsky, der ängstliche Blicke auf die Schatten warf, die von ihren Gestalten auf die weiße Wand fielen, murmelte indessen Gebete und flehte den Kaiser an, einzustimmen, denn das sei das wirksamste Mittel.

Endlich gelang es ihm, den Erschöpften zu Bette zu bringen; aber am folgenden Abend begann die Unruhe von neuem und so heftig, daß er selbst nach einem seiner Leibärzte verlangte. Doktor Altmanstetter verordnete dem Kaiser ohne Besinnen einen starken Schlaftrunk, denn Schlaf sei das einzige, was ihm fehle. Rudolf sah ihn erschreckt an und sagte: Trinken? Er könne ja nicht trinken, da ihm der Bauch nach vorne und die Brust nach hinten stehe. Ob er es nicht bemerkt habe? Die Kapuziner hätten ihn so verdreht. »Die Sache wollen wir unverweilt ins reine bringen!« sagte Doktor Altmanstetter lachend, nahm den Kaiser um den Leib, drehte und rollte ihn mehrmals hin und her und stellte ihn dann fest auf die Beine, indem er triumphierend ausrief: »Nun fehlt kein Haarbreit mehr an der rechtmäßigen Figuration!« Dann ließ er eine Kanne Bier kommen und trank dem Kaiser zu, der ihm Bescheid gab, lustig und gesprächig wurde und nach kurzer Zeit in tiefen Schlaf fiel. Aber derselbe währte nicht lange, und am folgenden Abend zeigten sich ähnliche Erscheinungen. Zuweilen wurde der Kaiser zornig, weil ohne sein Vorwissen Klöster gegründet würden, wollte wissen, wer daran schuld sei, und drohte mit Strafen, damit man erführe, daß er der Herr sei. Dann wieder zog er Matkowsky in einen Winkel und fragte ihn aus, ob die Kapuziner wohl um Geld jemanden totbeten würden oder ob sie seinem Bruder Albrecht die Manneskraft abzaubern könnten, wenn es ihnen befohlen würde.

Die Nachricht von der seltsamen Krankheit des Kaisers verbreitete sich bald und gab in der Familie zu sorglichen Betrachtungen Anlaß. Schon längst hatte man dort gewünscht, daß der kinderlose Monarch einen Nachfolger ernenne und womöglich nach dem Brauch bei Lebzeiten zum römischen König wählen lasse, damit bei seinem allfälligen Tode nicht die Evangelischen, die, wie man wußte, dem habsburgischen Hause abhold waren, die Zwischenzeit für ihre Absichten ausnützen könnten. Sie hatten indessen doch nicht darauf zu dringen gewagt, weil bekannt war, daß der Kaiser Einmischungen seiner Brüder nicht liebte, besonders aber durch Anspielungen auf die Möglichkeit seines Sterbens gereizt wurde. Jetzt jedoch wurden alle der Meinung, daß längeres Zuwarten hochgefährlich sei, und namentlich der zunächst Betroffene, Matthias, erklärte nachdrücklich, etwas unternehmen zu wollen. In seiner Jugend war Matthias ein fröhlicher Herr gewesen und hatte seines älteren vorsichtigen Bruders Mißfallen erregt, weil er ein wenig fahrlässig in den Tag hineinlebte, nur bedacht, zu Gelde zu kommen, um sein planloses Dasein zu bestreiten. Die Anläufe, die er hie und da nahm, um seine Würde geltend zu machen, verliefen stets im Sande und nahmen sich hernach wie Grillen aus, die der Beachtung nicht wert waren; im ganzen war er es zufrieden, dem kaiserlichen Bruder aus dem Wege zu gehen. Seit er aber Statthalter von Österreich geworden war und Khlesl, der Bischof von Wien, sich seiner bemächtigt hatte, fing er an die Rolle des künftigen Kaisers zu spielen, wie sie Khlesl, der aus einem lutherischen Wiener Bäckerssohn beinahe die einflußreichste Person in Österreich geworden war, ihm einblies. »Gehen Sie nach Prag«, sagte ihm Khlesl, »und verlangen Sie vom Kaiser Audienz. Sie dürfen sich nicht abschrecken lassen, wenn er Sie abweist, am Ende muß er den Bruder doch vorlassen. Treten Sie dann ehrerbietig auf, aber fest, im Bewußtsein des Rechtes. Der Kaiser ist ein Schwächling und hat ein böses Gewissen, ein redlicher Fürst muß leicht mit ihm umspringen können.« Auch mit Verhaltungsmaßregeln für den Verkehr mit dem evangelischen böhmischen Adel versah ihn Khlesl. »Die Ketzer werden Ihnen alle zufallen, denn sie sind nun einmal der Meinung, Sie glichen Ihrem Herrn Vater, dem hochseligen Kaiser Maximilian, und wären heimlich den Protestanten hold. Benützen Sie das getrost; denn warum sollten Sie aus dem Irrtum oder der Dummheit rebellischer Untertanen nicht Vorteil ziehen? Nur einen schriftlichen Vertrag dürfen Sie nicht unterzeichnen und überhaupt in keiner Weise sich förmlich binden, sonst aber sollen Sie gegen jedermann leutselig, kaiserlich, willfährig sein. Kommt es nachher anders, so ist der Khlesl da, der alles auf sich nimmt. Ich mache mir nichts aus ihrem Toben; aber ich will nicht sterben, bevor ich nicht die habsburgischen Lande allesamt unter dasselbe katholische Hütlein gebracht habe.«

Am liebsten wäre Khlesl selbst nach Prag gegangen, um alles einzuleiten; aber er wußte, daß er in dem hussitischen Lande unbeliebt war und daß er seiner Sache schaden könnte, wenn er zu früh in den Vordergrund trat. So machte sich denn Matthias allein auf und setzte sich mit der spanischen Partei und dem Beichtvater des Kaisers in Verbindung. Dieser, ein betriebsamer Mann, der die Seelen seiner Zöglinge so gut kannte, wie etwa ein Koch die Eigenheit, Tüchtigkeit und Verwendbarkeit seiner Schüsseln und Pfannen unterscheidet, ging auf die Absichten des Matthias um so verständnisvoller ein, als er ein Spanier war und Spanien eben nicht in gutem Vernehmen mit Rudolf stand. Bei nächster Gelegenheit stellte er dem Kaiser seine Pflicht vor, seinen Bruder Matthias wie einen Sohn zu lieben, was er doch als sein Nachfolger auch dem Herkommen gemäß sei. Als er das innere Widerstreben des Kaisers spürte, machte er eine geschickte Wendung, sprach mißbilligend von dem Neid und der Herrschbegierde des Matthias und entlockte ihm dadurch am Ende das Zugeständnis, daß er seinem Bruder den Tod wünsche. Kaum hatte der Kaiser die Worte ausgesprochen, als sein Äußeres sich zu verändern begann; seine Augen wankten einige Augenblicke unstet hin und her und hefteten sich dann starr auf den Geistlichen, bis sie sich plötzlich nach oben verdrehten, seine Arme und Beine durchfuhr ein Zucken. Zuerst dachte der Beichtvater, dies sei ein Anfall von Wut oder eine Machination, um das eben Gesagte als in der Besinnungslosigkeit von sich gegeben erscheinen zu lassen oder um weiteren Fragen zu entgehen; aber die abscheulich verzerrten Züge und hin und her zuckenden Gliedmaßen schienen doch nicht willkürlich hervorgerufen werden zu können, und so rief er denn Arzt und Dienerschaft und versuchte inzwischen mit Beten gegen das Teufelswerk anzukämpfen, was da im Spiele zu sein schien.

Nach Verlauf einiger Wochen erreichte zwar Matthias eine Audienz; aber nicht ohne daß er sich zuvor verpflichtet hatte, ein von den Räten aufgesetztes und von seinem kaiserlichen Bruder gebilligtes Gespräch einzuhalten, welches nur die allgemeinen Fragen des beiderseitigen Wohlergehens und der gegenseitigen Geneigtheit beziehungsweise Devotion berührte. Dagegen versicherten die Räte, welche beträchtliche Summen von Matthias empfangen hatten, um die Zusammenkunft zuwege zu bringen, sie würden die Angelegenheit, deren hohe Wichtigkeit offenkundig sei, in dienstwillige Überlegung ziehen, und zweifelten nicht, daß der Kaiser sich willig finden lassen würde, das Notwendige zu verfügen; der Erzherzog werde mit seinem fürstlichen Verstande begreifen, daß eine so weitaussehende Sache nicht von heute auf morgen könne entschieden werden, sondern fürsorglich und achtsam von allen Seiten müsse erwogen werden.

*

Zwei Männer gewannen auf Rudolf Einfluß, die seine Stimmung vollständig veränderten, was freilich auch im Zusammenhang mit dem auf und ab gehenden Laufe seiner Krankheit stehen mochte. Der eine war der aus Tirol gebürtige Philipp Lang, der sich ihm zuerst in geschäftlichen Angelegenheiten nützlich erwiesen hatte. Ein Juwelier nämlich bot dem Kaiser mehrere Säcke voll Edelsteine, Rubine, Smaragde und Opale, zum Kauf an und forderte eine verhältnismäßig geringe Summe dafür, die aber bar ausgezahlt werden sollte, da der Kaiser ihm bereits viel Geld schuldete und er Ursache hatte zu zweifeln, ob er jemals befriedigt werden würde. Aus der Finanzkammer kam der Bescheid, daß kein Geld vorhanden sei, nicht einmal das Notwendige könne bestritten werden, es hätte sich sogar der Apotheker endlich geweigert, die Datteln, Morsellen und den Rosenzucker auf die kaiserliche Tafel zu liefern, wenn er nicht zuvor wenigstens teilweise ausgezahlt würde. Wenn der Kaiser die Edelsteine haben wolle, ließ man ihm sagen, solle er sie aus seiner eigenen Schatulle zahlen, und deutete an, er müsse doch durch die Goldmacherei, für die er so viel aufwende, genug erübrigt haben. Hierüber geriet der Kaiser in Zorn und tobte und jammerte abwechselnd, daß er Blutsaugern ausgeliefert und von Räubern umringt sei. In dieser Not erbot sich Philipp Lang, einen Ausweg zu finden, und behauptete sogar, daß dies leicht und daß nur das Ungeschick oder der böse Wille der Finanzräte an einer solchen Verlegenheit schuld sei. Erstens gebe es mehrere reiche Leute in Prag, die dahin bearbeitet werden könnten, daß sie eine passende Summe herliehen; ferner sei es bekannt, daß einige von den wohlhabendsten Zünften der Städte sich zusammengetan hätten, um auf die Ausschaffung der Juden aus Prag anzutragen, und daß sie dahin beschieden seien, sie möchten es unterlassen, da es bei Hofe unliebsam aufgenommen werden würde. Dies sei ein großer Fehler gewesen; denn den Zünften sei an der Sache viel gelegen, und sie würden gewiß den höchsten Preis dafür gezahlt haben. Die Juden trügen ihm aber doch noch mehr, wendete der Kaiser ein. Es sei ja auch nicht seine Meinung, sagte Lang, die Juden auszuweisen; einstweilen könne man aber doch den Zünften eine gewisse Aussicht eröffnen und sie zahlen lassen, das übrige könne man getrost der Zukunft überlassen. Man würde eine Untersuchung einleiten und auch die Judenschaft vernehmen, die sich gewiß dem Kaiser auch ihrerseits nicht verächtlich empfehlen würde. Überhaupt, sagte Philipp Lang, würde der Kaiser viel mehr Mittel haben, wenn seine Umgebung redlich sei; er sei arm und habe reiche Diener, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen; er, Philipp Lang, könnte ihm über manches die Augen öffnen, wenn der Kaiser ihn beschützen und seiner Huld versichern wollte.

Diese Andeutung bezog sich auf Matkowsky, und da dem Kaiser das sichere und trostreiche Wesen Langs zusagte, fand derselbe bald Gelegenheit, noch mehr Verdacht auf den begünstigten Kammerdiener fallen zu lassen. Matkowsky sei keineswegs von Ergebenheit gegen den Kaiser erfüllt, sondern sei ein Werkzeug der böhmischen Protestanten und habe deswegen durch falsche Anklagen den Grafen Rumpf gestürzt, der das Haupt der katholischen Partei gewesen sei. Durch seinen Argwohn und seine Befürchtungen habe er den Kaiser mit einem schwarzen Netz von Schwermut umgarnt und ihn krank und ohnmächtig gemacht. Wozu die Melancholie und die Furcht? Er sei der mächtigste Monarch der Erde, die Einkünfte der reichsten Länder ständen ihm zu Gebote, er brauche gewissermaßen nur wie ein Zauberer einen Ring zu drehen, so sei die Erfüllung seiner Wünsche schon da, wenn er nur seine Kraft und sein Vermögen recht erkennte und anwendete. Was vermöchte sein Bruder Matthias gegen ihn? Derselbe sei ein vorzeitig gealterter Mensch, ohne Nachkommenschaft, arm und von ihm abhängig, eine Puppe in den Händen des Bischofs von Wien, der doch schließlich nur des Kaisers Untertan sei. Der Kaiser solle Matkowsky entfernen, der einen unheilvollen Schatten auf sein Gemüt geworfen habe und ein nichtswürdiger Ketzer sei; bei einem Prozeß würde sich ergeben, daß er ein großes Vermögen besitze, welches dem Kaiser abgestohlenes Gut sei, und die Konfiskation desselben würde billigerweise die kaiserliche Kasse füllen.

Dieser Rat wurde befolgt und erwies sich nützlich, indem Matkowsky in der Tat ein nennenswertes Vermögen besaß, wovon Philipp Lang sich die größere Hälfte aneignete, während der Rest an den Kaiser kam.

Der andere Günstling des Kaisers war Graf Hermann Christoph Rußworm, ein schöner, heißblütiger Offizier, der sich in den Türkenkriegen mehrfach hervorgetan hatte und nun der höchsten Stufe militärischer Macht zustrebte. Dieser herrschsüchtige und rücksichtslose junge Mann war weder unter den Hofherren noch beim Kriegsrate, noch bei seinem Vorgesetzten, dem Feldmarschall Adolf von Schwarzenberg, beliebt, ja sein Verhältnis zu diesem war so mißlich, daß er sich kaum länger hätte halten können, wenn jener nicht kurz nach seinem großen Siege bei Papa vom Tode wäre hingerafft worden. Rußworm hoffte in die offene Stelle einzutreten, wozu der Kaiser auch geneigt gewesen wäre; aber er getraute sich nicht, einem so jungen Menschen gegen den allgemeinen Wunsch eine so verantwortungsvolle Würde zu übertragen, und so erhielt sie der Herzog Philipp Emanuel von Mercoeur, ein Mann, der mit dem Ruhme der Kriegserfahrung den edler Sitten vereinigte.

Auf der Reise nach Ungarn jedoch wurde Mercoeur in Nürnberg von einem bösartigen Fieber ergriffen. Durch den Arzt auf die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs hingewiesen, bat er den Rat der Stadt um Erlaubnis, einen katholischen Geistlichen kommen zu lassen, der ihm die Sterbesakramente reichen sollte, wurde aber abschlägig beschieden, weil das den städtischen Satzungen zuwiderlaufe und ein bedenkliches Beispiel geben könne. Als der Zustand des Kranken sich gegen den Abend verschlimmerte, schickte er noch einmal an den Rat, der die Antwort gab, zu so später Stunde könne man nicht so viele Herren zusammenbringen, daß ein gültiger Beschluß zustande komme, man wolle die Sache am folgenden Morgen in Erwägung ziehen und ihm dann Bericht sagen. Von seinem Sterbebette aus ließ Mercoeur dem Rate sagen, er habe nicht gewußt, daß die Angelegenheit so schwierig sei, und bitte um Verzeihung, daß er den Herren eine solche Ungelegenheit bereitet habe; worauf er seinen Geist aufgab.

Doch erfüllte sich Rußworms Hoffnung noch nicht sogleich; erst als auch der Nachfolger des Mercoeur, Graf Solms, eines plötzlichen Todes gestorben war, beförderte Rudolf seinen Liebling zum Oberbefehl. Wenn der stolze Mann im glänzenden Harnisch vor den Kaiser hintrat, so glich er dem Ritter Georg, der sich von seinem himmlischen Herrn zum Kampfe gegen den Sündendrachen weihen läßt. Wenn er schwur, daß der Kaiser ihm Gott auf Erden sei, daß er seinen Namen unter Heiden und Ketzern groß machen, ja seinen besten Freund und eigenen Bruder um des Kaisers willen niederstoßen würde, so fühlte dieser, daß es dem jungen Kriegshelden damit Ernst sei und daß er sich auf seine Ergebenheit durchaus verlassen könne. Rußworm zweifelte niemals weder an den Rechten des Kaisers in irgendeiner Beziehung noch an seiner eigenen Fähigkeit und Unüberwindlichkeit. Mit der Erlaubnis, frei zu reden, ausgestattet, erzählte er dem Kaiser, sein Heer, soweit es deutsch sei, sei ihm ganz ergeben und würde unter seiner Leitung jeden Feind besiegen, wäre es nur nicht durch die Trägheit und Selbstsucht des Kriegsrates und durch die Zweideutigkeit der welschen Offiziere gehemmt. Die Welschen, die ja die Mehrzahl der hohen Stellen innehätten, die Basta, die Gonzaga, die Belgiojoso und viele andere, umgarnten wohl das kaiserliche Ohr mit schmeichlerischen Worten, meinten es aber nicht ehrlich; das Schicksal des Reiches sei ihnen, den Fremden, gleichgültig, sie wollten nur ihre Taschen füllen, säßen wie habgierige Geier über den ihnen anvertrauten Provinzen und verließen sie, selbst vollgesogen, als ausgemergelte Wüsten. Der Kaiser sei zu milde, er habe das Schwert über den Erdkreis und solle seine Schärfe der Welt zeigen. Die Ketzer spotteten seiner und rühmten sich, er sei ihnen heimlich zugetan oder er fürchte sich, sie offen zu bekämpfen; wollte er nur einmal seine Majestät scheinen lassen, so würden sie geblendet niederfallen, und die alte Kaisermacht würde sich erneuern.

Siegesnachrichten vom Schauplatze des Türkenkrieges trugen dazu bei, den Kaiser in Vorstellungen von unerschütterlicher Macht zu wiegen. Der Bildhauer Adriaen de Vries erhielt den Auftrag, ihn geharnischt, in olympischer Haltung, gleichsam als einen Jupiter darzustellen, und durfte sogar zuweilen in Rudolfs Gegenwart, mit Benutzung seiner Person arbeiten. Der ihm von Philipp Lang dargebrachte Glückwunsch, daß er nach Überwindung der häßlichen Krankheit als ein anderer Herkules vergnügt und vergöttlicht aus der Asche des Scheiterhaufens steige, leuchtete ihm ein, und er beeilte sich, die Erde soweit wie möglich vor seiner Macht erzittern zu lassen.

Staunend und mit Kopfschütteln hörten die Prager zu, wie auf den Gassen und Plätzen unter Trompetenschall ein jahrhundertaltes Edikt verlesen wurde, welches die Anhänger der Böhmischen Brüderunität mit dem Tode bedrohte. Der protestantische Herrenstand überlegte sich, ob etwas vorzunehmen, etwa ein Aufstand einzuleiten sei; aber da geraume Zeit verging, ohne daß dem wunderlichen Erlaß etwas Weiteres folgte, vielmehr alles beim alten blieb, ließ man es hingehen. So konnte dem Kaiser berichtet werden, das Edikt sei vom ganzen Volke mit stillschweigender Unterwürfigkeit aufgenommen, worauf eine weit schärfere Maßregel, um Ungarn zu schrecken, erfolgte: es wurden nämlich alle Gesetze und Verordnungen bestätigt, die seit König Stephans Zeiten zum Schutze der katholischen Religion erlassen waren.

Dies gewaltsame Gesetz, das nichts weniger als die Ausrottung des Protestantismus bedeutete, schlug in Ungarn, das sich ohnehin in einem Zustande dauernder Gärung befand, als ein Zeichen zum Aufruhr ein, der sogleich auch Siebenbürgen ergriff und Mord und Blutvergießen in dem wilden Lande hervorrief. Unbehagen erfaßte die habsburgische Familie und auch die kaiserlichen Räte; denn wenn man die schwierige Stimmung der Protestanten im Reich bedachte und wie sie jederzeit im trüben zu fischen geneigt wären, ferner, daß der Kaiser kein Geld hatte und infolgedessen auch kein zuverlässiges Heer aufbringen konnte, um einer großen Kriegsmacht zu widerstehen, so hatte es das Ansehen, als steuere man unaufhaltsam dem Abgrunde zu. Der Grausamkeit der Basta und Belgiojoso, die zuerst zur Durchführung des Ediktes, dann zur Niederwerfung des Aufstandes nach Ungarn geschickt waren, gelang es wohl, das Feuer an einzelnen Orten zu ersticken, aber es flammte stets an anderen desto heftiger auf, und schließlich hielt es der Kriegsrat für notwendig, Basta, den unmenschlichen Neapolitaner, zurückzurufen, damit das kaiserliche Regiment nicht vollends verhaßt gemacht werde. Die Feinde Bastas, an deren Spitze Rußworm stand, ergriffen die Gelegenheit und verlangten die Bestrafung dieses Teufels, der unter dem Vorwande der Religion seiner Lust an Quälerei und Blutvergießen gefrönt, eine Menge Menschen wahllos dem Henker überliefert und durch Verhöhnung und Vergewaltigung der Opfer seinen Namen fluchwürdig gemacht habe. Rußworm selbst leitete das Gericht, vor dem sich Basta zu verantworten hatte, und zweifelte nicht am Untergange seines Gegners, dem eine Reihe schändlicher Vergehen nachgewiesen waren, als der Prozeß plötzlich eine andere Wendung nahm, indem Basta eine Vollmacht des Kaisers vorlegte, nach welcher er über seine Verwaltung Ungarns niemandem sollte Rechenschaft abzulegen haben und jedes ihm gut dünkende Mittel zur Bekämpfung des Aufstandes sollte anwenden dürfen. Außer sich vor Entrüstung, eilte Rußworm zum Kaiser, der denn auch leugnete, die Vollmacht ausgestellt zu haben; Basta, meinte er, müsse sie sich wohl auf betrügerische Weise verschafft haben. Im ersten Augenblick fühlte sich Rußworm erleichtert; aber wie er von der Burg herunterstieg, sank seine Stimmung. Die Miene des Kaisers, sein unsicherer Blick, der schnelle Wechsel der Farbe auf seinem blassen Gesicht schwebten ihm vor und wollten ihm nicht gefallen; er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Kaiser die Unwahrheit gesagt habe. Er dachte sich den Zusammenhang so, daß Lang, von Basta bestochen, Rudolf die Unterschrift abgelistet habe; man wußte ja, daß er die Geschäfte haßte und sie sich gern von seinem Kammerdiener abnehmen ließ. Rußworm bemerkte, daß die Richter im allgemeinen den Worten des Kaisers keinen Glauben schenkten, und wenn dies auch nicht geradezu ausgesprochen wurde, so fiel doch dementsprechend das Urteil milde aus, was anfangs niemand für möglich gehalten hatte.

Diese Niederlage Rußworms ermutigte seine italienischen Feinde, und selbst unter seinen früheren Anhängern waren manche, die es ihm jetzt verdachten, daß er, dessen Laufbahn von Gewalttätigkeiten keineswegs frei war, einen Kameraden hatte richten wollen. Es war an einem warmen Sommerabend im Jahre 1605, als er, von einer Audienz beim Kaiser heimkehrend, an einer Straßenecke auf Francesco Belgiojoso stieß, der, festlich in Weiß gekleidet, im Begriffe schien, eine Gesellschaft aufzusuchen. Zwischen ihnen entspann sich ein Wortwechsel und Kampf, in dessen Verlaufe Belgiojoso von einem Diener Rußworms erstochen wurde; ob der Italiener, wie Rußworm behauptete, ihm aufgelauert hatte, um ihn zu überfallen, und er in der Notwehr sich befunden hatte, ließ sich zunächst nicht feststellen. Da es nicht das erstemal war, daß Rußworm einen Gegner im angeblichen Zweikampf getötet hatte, rechnete er auch diesmal mit Sicherheit darauf, daß die Untersuchung unterdrückt werden oder nur zu einer leicht zu ertragenden Scheinstrafe führen würde.

Indessen das gefängnisartige Zimmer, in dem er verwahrt, und die Rücksichtslosigkeit, mit der er behandelt wurde, machten ihn stutzig, und vollends als er die vielen Anklagepunkte las, die die Grundlage eines gegen ihn eingeleiteten Prozesses bilden sollten, erschrak er und begriff, daß es auf seinen Untergang abgesehen war. Er wurde da nicht nur beschuldigt, den Belgiojoso getötet, sondern auch den Herzog von Mercoeur und den Grafen Solms ermordet zu haben, die seinem Ehrgeiz im Wege gewesen wären, ja er sollte den schmählichen Ausgang eines Feldzuges gegen die Türken verschuldet haben, den der junge Erzherzog Ferdinand in so unzureichender Weise geführt hatte, daß Rußworm, als er zu seiner Hilfe herbeieilte, das unglückliche Ende nicht mehr abwenden konnte. In dieser Bedrängnis wußte Rußworm keinen Mann von Einfluß am Hofe, der für ihn hätte wirken wollen, nur auf die Gnade des Kaisers hoffte er; zuweilen jedoch fiel ihm dessen blasses Gesicht und seine furchtsame Haltung von jenem Tage ein, wo er ihn wegen Bastas Vollmacht befragt hatte, und dann wurde ihm bange zumute. Sollte es wahr sein, was Graf Kinsky, den er als einen evangelischen Böhmen verachtete, gesagt haben sollte, daß die heilige kaiserliche Majestät ein hohles Binsenrohr und ein feiger, zweizüngiger Lügner sei? Er verscheuchte den Gedanken und sprach sich selbst Zuversicht ein; wenn er nur zu ihm gelassen würde, dachte er, würde er Rudolf wie sonst für sich gewinnen.

Unter der Dienerschaft des Kaisers war einer, der Ofenheizer Blahel, der Rußworm anhing, und diesem gelang es, sich mit dem Gefangenen in Verbindung zu setzen. Blahel hatte früher des Kaisers Vertrauen besessen, aber in der letzten Zeit, klagte er, sei er von Philipp Lang verleumdet und verdrängt worden. In dem düsteren Stübchen, das Rußworm nicht verlassen durfte, saß der geängstigte Mensch und weinte, seit Tagen sei es ihm nicht möglich gewesen, allein mit dem Kaiser zu sprechen, Lang sei der Schwarzen Kunst mächtig und habe den alten Herrn behext. Er könnte entsetzliche Dinge von Lang sagen, wenn er es sich getrauen dürfte; auch Rußworms Schicksal wäre in seiner Hand, und Rußworm hätte einen großen Fehler begangen, daß er sich nicht Langs Gunst zu erwerben versucht hätte. Nein, sagte Rußworm, mit den Zähnen knirschend, Lang sei ein schnöder Jude und ehrloser Mensch, vor dem erniedrige er sich nicht, lieber wolle er sterben. Ach, sagte Blahel, warum er sich so aufblasen wolle? Selbst der Erzbischof von Prag, der Herr von Lamberg, hätte Lang seinen größten Beförderer genannt und ihn ganz untertänig zu seiner Konsekration eingeladen; und der Erzherzog Matthias hätte erst kürzlich einen Brief an ihn geschrieben, in dem er ihn seinen insonders hochvertrauten, vielgeliebten Herrn und Freund genannt hätte. »Wenn ich ihn sähe,« sagte Rußworm, »würde ich ihm ins Gesicht speien.«

»Es ist nun auch doch zu spät,« sagte Blahel, »er haßt Euch so, daß ein Sack voll Goldstücke ihm nicht Euren Kopf aufwägen würde.«

Ein Vetter Rußworms, der sich dem Kaiser zu Füßen werfen wollte, wurde nicht vorgelassen, und ein anderer Versuch, der zu seiner Rettung unternommen werden sollte, verschlimmerte nur seine Lage. Seit nämlich im Reiche die Frage, wer Rudolfs Nachfolger werden sollte, besprochen wurde, zogen einige evangelische Fürsten in Betracht, ob Maximilian, der Herzog von Bayern, sich dazu schicken und bereit finden lassen würde. Sie berechneten, daß dadurch Bayern für immer von Österreich getrennt und die katholische Partei gespalten würde; nur fragte es sich, ob Maximilian, der das durchschauen mußte, für einen so gewagten Schritt zu gewinnen wäre. Auf vorsichtige Andeutungen antwortete der Herzog ausweichend und dachte bei sich, daß er die stachelige Krone nur dann nicht ausschlagen würde, wenn er dabei von österreichischer Seite keine Gefahr liefe. Er tat einige unvorgreifliche Schritte, indem er Rußworm, den ruhmvollen Feldherrn und Günstling des Kaisers, mit dessen Bewilligung in seinen Dienst nahm und indem er einen Gesandten nach Paris schickte, der insgeheim zu erforschen hatte, wie seine Bewerbung etwa aufgenommen werden würde. Der Kaiser war es wohl zufrieden, einen so mächtigen und angesehenen Reichsfürsten gegen seinen Bruder ausspielen zu können, andererseits erfüllte ihn die Anmaßung des Bayernherzogs, der ihm überhaupt nicht geheuer war, doch mit Widerwillen, und seine Fürbitte zugunsten Rußworms schien ihm damit im Zusammenhang zu stehen. Der von Lang angeregte Verdacht, Rußworm habe ohne Zweifel von den verräterischen Plänen des Herzogs gewußt, wohl mit daran geholfen, erbitterte den Kaiser dermaßen, daß er nicht länger zögerte, sondern den vielen Stimmen nachgab, die den Tod des unbezähmbaren Feldherrn forderten.

Ein bänglich weissagendes Gefühl beschlich Rußworm, als ihm hinterbracht wurde, daß seine Diener, die beim Tode des Belgiojoso zugegen gewesen waren, gefoltert und, obwohl man kein Geständnis von ihnen habe erpressen können, hingerichtet wären. Blahel hatte die Exekution mit angesehen und schlich sich in der Dunkelheit zu Rußworm, um ihm davon zu erzählen. Der eine habe ein freches Lied gepfiffen und deshalb von dem Jesuiten, der neben ihm gegangen sei, eine Maulschelle empfangen, was die anderen begleitenden Pfaffen getadelt hätten, so daß es unter diesen fast zu einer Schlägerei gekommen wäre; der andere wäre, seiner Meinung nach, vor Angst gestorben, als ihm die Schlinge um den Hals gelegt worden wäre; denn er hätte nicht das wenigste gezappelt. »Die haben es hinter sich,« sagte Blahel, »wenn es mit uns nur auch schon vorüber wäre.« Am folgenden Tage wurde er wegen der entdeckten Zwischenträgerei mit Rußworm verhaftet, und dieser hörte nun nichts mehr von draußen.

Daran, daß er zum Tode verurteilt werden würde, zweifelte er nicht mehr; aber daß das Urteil ausgeführt würde, das glaubte er doch nicht, im letzten Augenblick würde die Gnade des Kaisers dazwischentreten.

Es war ein dunkler Novembertag, als ihm angekündigt wurde, daß er sein Gefängnis verlassen müsse, um nach dem Rathause übergeführt zu werden: ein weiteres Zeichen des nahen Endes. Die lange Haft hatte ihn so schwach gemacht, daß er ohne Hilfe die steile Treppe nicht hinuntersteigen konnte. Das Zimmer, das ihm angewiesen wurde, war größer und luftiger als das vorige, die Tür war von Soldaten bewacht, die bloße Schwerter in der Hand und Gewehre über der Schulter hängen hatten. Im Laufe des Tages wurde ihm das Todesurteil zur Kenntnis gebracht, und gleichzeitig kam der Jesuit, der ihn vorbereiten und seine Beichte empfangen sollte. Anfänglich gebärdete sich Rußworm ungestüm entrüstet als das Opfer boshafter Ränke und tyrannischer Willkür; aber die verständnisvolle Milde des Geistlichen machte ihn allmählich zugänglicher. »Ich glaube Euch,« so etwa sagte dieser, »daß rachsüchtige Feinde die Ursache Eures Todes sind, auch mag es sein, daß jener Belgiojoso nicht von Eurer Hand gefallen ist oder daß er Euch nach dem Leben stellte; aber anstatt an Eure Feinde und ihr Unrecht zu denken, vergleicht Euch mit jenem Mercoeur, der, ein tadelloser Held, durch den Willen Gottes unter Ketzern sterben mußte, oder vergleicht Euch mit dem Herrn Christus, unserem Heiland, der zwischen Missetätern am Kreuze hing. Scheint es Euch dann noch, als ob Ihr schuldlos littet? Ist kein Flecken auf Eurem Gewissen, den mit Eurem Blute tilgen zu dürfen Euch lieb sein sollte?«

Rußworm wurde hierauf schweigsam und nachdenklich. Da der Pater ihn nach einer Weile fragte, ob er das heilige Abendmahl zu nehmen wünsche, bat er, zunächst eine Weile allein bleiben zu dürfen; er fühle das Bedürfnis, in sein Inneres einzukehren und sich mit Gott zu versöhnen, bevor er das Sakrament empfinge.

Dunkel zusammengeballt waren Gefühle und Gedanken in der Seele des Feldherrn emporgestiegen; es graute und gelüstete ihn zugleich, sie zu entwirren. Er trat an das Fenster und sah in die unruhige Spätherbstnacht hinaus: wie eine Herde hungriger Wölfe jagte der Wolkenhimmel über die schaudernde Stadt hin. Vor der kalten, nassen Luft, die durch die Fugen drang, zog Rußworm unwillkürlich seinen Mantel dichter über sich zusammen. Es fiel ihm auf einmal die langvergangene Zeit ein, wo er sich vor der Dunkelheit in die Arme der Mutter geflüchtet hatte. Wie hatte ihn einst ihr Kuß beseligt, mit dem sie zuweilen, wenn er fragend zu ihr aufsah, ihm die Augen schloß! An seinem Bette hatte sie das Lutherlied gesungen, und er erinnerte sich plötzlich deutlich an das trotzige Blitzen ihrer schönen Augen, das sich für ihn mit dem Gesang verknüpfte. Wie hatte er später, als Katholik, dies Lied so hassen können, daß er, wenn er es in einer Kirche singen hörte, sich kaum zurückhalten konnte, mit seinen Soldaten einzubrechen und den Ketzern mit dem Schwerte das Maul zu stopfen? Hatte er sich überhaupt immer zurückgehalten? Fast nie mehr hatte er an seine Kindheit zurückgedacht; der Tag seines Religionswechsels hatte ihn von der Wurzel seiner Vergangenheit losgerissen und den Stürmen des Schicksals preisgegeben. In die blendende Zukunft stürzte er sich, deren Gipfel er in einem Anlauf nehmen wollte, einen Gipfel des Ruhmes, des Reichtums, aller irdischen Genüsse. Wer ihm dabei im Wege stand, den betrachtete er als seinen Feind; niemals war es ihm in den Sinn gekommen, das Recht der anderen und eigenes Recht oder Unrecht abzuwägen.

Ein graues Schloß im Elsaß stieg vor ihm auf, dessen unheilvolle Schwelle seine Erinnerung nie wieder betreten hatte; nun tat er es unwillig, mit der Hand den Griff des Fensterkreuzes umklammernd. Im Auftrage seines damaligen Vorgesetzten, des Marschalls Bassompierre, hatte er es besetzt und zugleich den Schutz einer vornehmen Dame und ihrer Tochter übernommen, die sich dorthin geflüchtet hatten. Die Mutter war schöner; aber das Mädchen, fast noch Kind, hatte ihn wie einen Gesandten Gottes angesehen, dessen Beruf es sei, das Böse auf Erden zu bekämpfen, und ihr bewundernder, unbewußt sich hingebender Blick hatte ihn hingerissen. Nachdem er sie verführt hatte, schien es ihm, als habe sie schuld an der ärgerlichen Sache, und die Empörung und Verzweiflung der Mutter und das Flehen des Kindes erregten eine so grausame Lust in ihm, daß er die Geschändete in einer wilden Nacht seinen trunkenen Kameraden überließ. Er fühlte keine Reue, sondern Wut und Haß, als er die entehrenden Worte hören mußte, mit denen Marschall Bassompierre ihm seine unritterliche Tat vorwarf. Vor schmachvoller Strafe rettete ihn die Flucht, und schon wähnte er sich sicher, als ein zufälliges Abenteuer ihn wieder in die Hände des Marschalls führte, der unverzüglich das Todesurteil an ihm vollziehen wollte.

Damals war er verfallen. Warum büßte er nicht willig seine ersten Verbrechen? War es Gott, der ihm noch einmal die Freiheit gab, damit er sich durch edle Taten entsündigte? Er jedoch hatte die Frist benützt, um sich desto tiefer in die Hölle zu verstricken. Jetzt schien es ihm, als habe er, während er sich der zweiten glücklichen Flucht gerühmt und sie als Gewähr betrachtet habe, daß er gefeit vor Gefahren sei, zutiefst in der Brust das Bewußtsein getragen, daß er ein entronnener Verbrecher sei. Er sah sich, wie er den Soldaten, den Kameraden, den Vorgesetzten erschien: stolz, gefürchtet, bewundert, gehaßt; wie ihm nichts genügte und eine sinnlose Ungeduld ihn vorwärts trieb. Die Siege, die ein anderer errang, freuten ihn nicht, die Ehren, die anderen zuteil wurden, schmerzten ihn schlimmer als Wunden. Ermordet hatte er weder Schwarzenberg noch Mercoeur, noch Solms; aber hätte er sie nicht sterben lassen, wenn es in seiner Macht gewesen wäre? Gewiß war, daß ihr Tod ihm willkommen war und daß er sich einbildete, Gott habe alle diese Männer hingemäht, damit er aufstiege. Er, der alle haßte, die über ihm waren, vergab niemals Neid oder Eifersucht und Widersetzlichkeit, die sich gegen ihn richteten. Er sah sich bei Raab, als die Türken besiegt und in die Flucht geschlagen waren, wie er, trunken vom Schlachten, triefend und klebend von Schweiß, Schmutz und Blut, durch das verlassene Lager der Türken voll der von ihnen zurückgelassenen Schätze ritt, deren größter Teil ihm, als dem Feldobersten, zufallen mußte. Als sein Blick auf zwei Offiziere fiel, die sich über einen Haufen kostbarer Waffen hergemacht hatten und eben einen krummen Säbel aus geätztem Silber mit einem edelsteinbesetzten Knauf in den Händen hielten, übermannten ihn Zorn und Gier, so daß er vom Pferde sprang und sie Diebe schalt, die sich seines Eigentums bemächtigten. Der eine von ihnen erschrak und entschuldigte sich, insofern es nicht erlaubt war zu plündern, solange der Feind noch verfolgt wurde; der andere, ein Neapolitaner, gab eine gereizte Antwort, die zu rächen sich Rußworm vorbehielt. In Prag war es, Jahre nachher, als er in das Zimmer dieses Mannes drang, ihm ins Gesicht schlug und ihn, als er den Degen zog, im raschen Zweikampf erstach. Der war nicht der einzige, der von seiner Hand gefallen war.

Dann kam der Tag, wo das Schicksal ihn daran mahnte, daß er verfallen war. Es war ein Sommerabend in Ungarn, und ein breiter Wind hauchte über das Schilf, das am Ufer der still strömenden Theiß wuchs, so daß die schmalen Silberleiber sich drehten und nach den Weisen zu tanzen schienen, die um ein Feuer lagernde Zigeuner geigten. Er, Rußworm, saß mit ein paar Freunden in seinem Zelt und trank und spielte, als einige Offiziere näherkamen, unter denen ein Fremder war, der durch die ausgesuchte Eleganz, Keckheit und Anmut seiner Erscheinung auffiel. Rußworm erkannte sogleich, daß es weder ein Deutscher noch ein Italiener, noch ein Wallone war; es mußte ein Franzose sein, und ein seltsames Frösteln überlief ihn, indem er das dachte. Unterdessen waren die Offiziere herangetreten und stellten den Fremden als den jungen Herrn Bassompierre vor, der im Gefolge des Prinzen von Joinville gekommen sei, um unter Rußworms Führung gegen die Türken zu kämpfen. Indem er sich verneigte, sagte der schöne junge Mann, Rußworm habe, soviel ihm bekannt sei, seine Laufbahn unter seinem Vater, dem alten Marschall Bassompierre begonnen; um so eher werde er jetzt dem Sohne gestatten, das Handwerk von ihm zu lernen. Rußworm gab eine nicht unhöfliche, aber kurze Antwort, während sein Herz bebte; es kam ihm vor, als sei die scheinbare Unbefangenheit des Franzosen erkünstelt und als spiele ein spöttisches Lächeln um seinen freundlichen Mund. Er wartete einen Augenblick ab, wo er mit Bassompierre allein war, um ihm zu sagen, er habe nichts gegen ihn und werde ihm nichts zuleide tun; aber sein Anblick sei ihm zuwider, und er solle ihn meiden, soviel das möglich sei. Dennoch sah er ihn oft, nicht nur im Felde, sondern auch in den Häusern des katholischen Adels in Prag, wo niemand so erfolgreich wie der junge Bassompierre den Damen den Hof zu machen wußte; und sowie er ihn erblickte, hörte Rußworm die süßen Geigentöne wieder, die die Zigeuner an jenem Abend an der Theiß gespielt hatten.

Nie war Rußworm so wild und übermütig, als wenn er Bassompierre in der Nähe wußte. Tolle Feste feierten sie auf dem Schlosse des Burggrafen von Karlstein, in dessen jüngste Tochter er, Rußworm, eben damals verliebt war. In den Sälen, wo man tanzte, roch es nach Wachs, Schweiß und Blumen; er hielt die Geliebte in den Armen und drückte zum Abschied auf eine ihrer Brüste, die aus dem seidenen Mieder quollen, einen langen Kuß, so daß eine rötliche Stelle sichtbar blieb und das Mädchen aufatmend davonlief, um sich frisch zu pudern. Dann ritt er mit Bassompierre in die alte Stadt und erzählte diesem, er wisse einen Gastwirt mit zwei hübschen Töchtern, die er ihnen für ein paar Dukaten verkuppeln würde. Der Wirt saß noch bei einem Lämpchen in der Gaststube zwischen den Töchtern, von denen die eine ihr gelöstes Haar kämmte, während die andere aus einem alten Kalender vorlas. Sie wurden eingelassen, und Rußworm setzte sich sofort zu der, die ihre Haare flocht und deren scheuer Blick seine Leidenschaft entzündet hatte. Er wollte keine Zeit verlieren, nannte sie Liebchen und umarmte sie, und als der entrüstete Vater ihn anpackte, drohte er diesem und behauptete, er habe schon Geld von ihm für seine Kinder angenommen. Daß Bassompierre ihn warnte und zu vermitteln suchte, reizte ihn nur mehr: er hielt das jammernde Mädchen in einem Arme fest und wehrte mit bewaffneter Hand den Vater ab; indessen hatte die andere Tochter ein Fenster geöffnet und schrie um Hilfe in die Nacht. Nun kamen von verschiedenen Seiten die Nachbarn, mit Knüppeln, Messern und Äxten bewaffnet; er versuchte eine Weile, sich zu wehren, mußte aber doch endlich, am Arme verwundet, das Mädchen loslassen und, von der erbitterten Menge verfolgt, durch die engen und steilen Gassen flüchten.

Der Schweiß trat ihm bei der Erinnerung auf die Stirne. Damals hatte es ihn nicht angefochten; nur ein paar Tage später ritt er nachts an der Spitze eines Maskenzuges, denn es war Fasching, durch die Stadt, er in der Tracht eines reichen Türken, mit einem perlenbehangenen Turban und einer scharlachroten Schärpe ausstaffiert. Am Tore der Altstadt wurden sie durch Wächter aufgehalten, die die Verordnung hatten, bei Nacht niemanden, wer es auch sei, passieren zu lassen. Rußworm, nicht willens zu gehorchen, trotzte und drohte mit seinem Namen und Ansehen; der Lärm führte den Hauptmann der Polizeiwache herbei, der, nachdem Rußworm sich zu erkennen gegeben hatte, die Gesellschaft vorbeiließ und zugleich die Wächter entschuldigte, die als arme Leute nur erhaltene Befehle ausgeführt hätten. Diese Demütigung genügte nicht, seinen Zorn zu besänftigen; vielmehr bewirkte er, daß die Wächter in hartes Gefängnis geworfen wurden und wochenlang dort schmachteten. Die Frauen der Männer warfen sich ihm zu Füßen und flehten sein Erbarmen an, ohne daß es ihn rührte; ihren Männern, sagte er, geschehe recht, der Übermut müsse gestraft werden, in Zukunft würden sie seinen Namen kennen. Erst als zwei von den Gefangenen vor Kälte und Hunger gestorben waren, ließ er die übrigen frei.

Was hatte ihn umgetrieben bei allem seinem Tun? Wohin war er geraten? Seine Blicke folgten den schwarzen Wolken, die unaufhaltsam vorüberfegten wie die Augenblicke seines grauenvollen, besinnungslos vergeudeten Daseins. Er hatte das Wiedereintreten des Jesuitenpaters überhört und wendete sich mit einem Schrei des Schreckens um, als dieser die Hand auf seinen Arm legte und ihn fragte, ob er bereit sei, das Abendmahl zu empfangen.

Rußworm schlug die Hände vor das Gesicht, stürzte auf die Knie und rief aus: »Ich bin der sündenvollste aller Sünder, nicht wert, dein Gewand, mein Vater, zu berühren! Wie sollte ich den Leib des Herrn empfangen?« Der Geistliche legte die Hand auf Rußworms Scheitel, sagte, daß Reue auch ein Übermaß von Sünde zu tilgen vermöge, und forderte ihn auf, zu beichten. Fast eine Stunde verging darüber, worauf der Jesuit dem Büßenden das Credo vorzusprechen begann. Als er die Worte aussprach: »Et incarnatus est«, erbebte Rußworm, wie wenn ein Posaunenstoß sie begleitet hätte. »Auch meine Seele«, rief er aus, »war ein unsterblicher Hauch Gottes, aber das Fleisch, in das sie einging, hat sie verschlungen. Die Edle ist eine Sklavin geworden, entstellt und besudelt, und ließ das Fleisch als einen grausamen Herodes über sich triumphieren. Es ist zu viel, zu viel,« stöhnte er, »meine Schuld ist zu groß für Gottes Gnade.« Die Tränen stürzten heftig aus seinen Augen, indem er die Knie des Paters umschlang. »Gottes Gnade ist unermeßlich«, sagte dieser sanft. »Daß der Augenblick da wäre,« flüsterte Rußworm, »wo ich dies Fleisch opfern darf, das durch und durch voller Sünde ist! Aber ist das Buße, daß ein Schwert meinen Nacken durchschneidet? Ich möchte, daß jedes meiner Glieder einzeln zu Tode gemartert werden könnte. Langsam sollte das Feuer mich verzehren; vielleicht ließe Gott zu, daß, während mein Fleisch in Qualen schmölze, meine Seele verjüngt und gereinigt würde.«

Der Pater suchte den leidenschaftlich Schluchzenden zu beruhigen. »Ergib deinen Willen in Gott,« sagte er zu ihm, »auch darin, daß du nicht mehr opfern willst, als er von dir verlangt. Bringe dich ihm willig dar, wenn die Stunde kommt, und harre demütig, wie er mit dir schalten will.«

Nach dieser gewaltsamen Aufregung kam eine wohltätige Ruhe und tiefer Schlaf über den Verurteilten. Er wurde durch die Schritte und Reden verschiedener Männer geweckt, die sein Zimmer betraten und unter denen er die vermummte Gestalt des Henkers erkannte. Ob es schon Zeit sei? fragte er; man hätte ihn länger schlafen lassen können. Es sei sechs Uhr, wurde ihm geantwortet, um sieben müsse alles vorbei sein. Der Jesuitenpater, der ein Kruzifix trug, nickte ihm zu und schien ihm etwas sagen zu wollen; allein er beachtete es nicht, plötzlich von einem durchdringenden Widerwillen und Zorn erfaßt. Auf seine laute Frage, ob des Kaisers Majestät davon unterrichtet sei, daß jetzt sein Haupt fallen solle, antwortete einer der anwesenden Richter, es geschehe alles auf Befehl des Kaisers. Rußworm stutzte; es drängte ihn, das Fenster aufzureißen und die Vorübergehenden um Rettung anzurufen, der Kaiser werde sie dafür belohnen. Nicht möglich schien es ihm, nicht möglich, daß der Kaiser ihn verließe!

Draußen war es noch dunkel, in das Zimmer fielen rote Lichter von den Fackeln, die die Wächter hielten. Das Gefühl, es beobachteten ihn höhnende Blicke und weideten sich an seiner Todesfurcht, ließ ihn sich fassen; er richtete sich stolz auf und bat die Anwesenden, seinen Abschiedsworten Gehör zu schenken.

Der Tod sei ihm erwünscht, sagte er ruhig, durch den er die zahlreichen Sünden seines Lebens büße. Wolle der Henker ihm die befleckte Hand abhauen, bevor er ihm das Haupt vom Rumpfe trennte, so werde er es ihm danken. Nicht als ob er am Tode des Herzogs von Mercoeur schuldig sei; auch den Belgiojoso habe er nicht getötet, vielmehr habe der ihm nachgestellt und sei in die Grube gestürzt, die er ihm zum Falle gegraben habe.

Er wurde lebhafter und sprach schneller und lauter. Noch weniger, fuhr er fort, habe er sich jemals gegen das Haupt des Römischen Reiches, den Kaiser, verfehlt. Ja, er sei neidisch und rachsüchtig gewesen, habe wüst mit Weibern gewirtschaftet; aber den Kaiser habe er verehrt wie einen Vater und Herrn, der Traum seiner Jugend wie das Ziel seiner Manneskraft sei gewesen, sein Leben auf dem Schlachtfeld für den Kaiser zu wagen. Er habe die Feinde nie gefürchtet, die von außen die Macht des Kaisers angegriffen hätten, noch die im Innern des Reiches sein Diensteifer gereizt hätte. Heilig über alles sei ihm der Kaiser gewesen, Huld und Lohn hätte er von ihm verdient; anstatt dessen gebe er ihn dem Henker preis. Zu spät werde er ihn zurückwünschen, er werde keinen finden, der ihm so ergeben sei wie er. Niemand werde ihn vor den Verrätern schützen, die ihn umringten, verlassen werde er sterben, arm und einsam wie ein heimatloser Bettler.

Während einige von Rußworms Rede erschüttert waren, machte der Vorsitzende des Gerichtes Miene, seine Lästerungen gegen die kaiserliche Majestät zu unterbrechen; indessen legte der Jesuit die Hand auf seinen Arm und hielt ihm mit traurigem Blick das Kruzifix entgegen. In Rußworms Zügen ging eine jähe und schreckliche Veränderung vor; er riß das Kreuz dem Geistlichen aus der Hand, drückte es an die Lippen und an das Herz und rief aus, indem er sich auf die Knie warf: »Mein Heiland Jesus Christus, vergib mir; ich sterbe gern als ein Sünder zu deinen Füßen.« In dieser Stellung verharrte er schweigend, bis der Streich fiel, der ihn mit eins tötete.

Dieselbe Nacht war dem Kaiser unruhig verlaufen. Abends hatte er mit Philipp Lang, ein paar Malern und Frauen beim Weine gesessen, bis er plötzlich müde wurde und zu Bett verlangte. Er wachte aber nach kurzem Schlaf wieder auf und wurde, je länger er sich schlaflos hin und her warf, desto aufgeregter. Philipp Lang, den er zu sich rufen ließ, durchschaute, daß er gern von Rußworm gesprochen hätte, aber nicht selbst anfangen mochte, und erzählte scheinbar beiläufig, der Verurteilte habe seine Schuld eingesehen und sich reumütig auf den Tod vorbereitet.

»Er ist ein trotziger Mensch«, sagte der Kaiser. »Warum hat er meine Gnade nicht angerufen, da ich ihm doch immer ein milder Herr gewesen bin?« Er sei sich wohl bewußt gewesen, daß er sie nicht verdient habe, meinte Lang; auch habe er niemand außer sich selbst geachtet.

Er sei auch tüchtig gewesen, sagte der Kaiser. Ja er habe ihm Glück gebracht. Jetzt sei er von Verrätern umgeben und wisse nicht, wem er trauen solle.

Lang nannte diesen und jenen, der Rußworm weit überlegen sei, und führte Beispiele von dem verwahrlosten Zustande an, in den das Heer unter ihm geraten sei. Er habe nur den Vorzug plumper Tapferkeit besessen; der verstorbene Schwarzenberg habe stets an ihm getadelt, daß er alles besser wissen wolle als die anderen, daß aber seine Pläne unausführbar seien.

»Einer beneidet den anderen, und einer mißtraut dem anderen«, sagte Rudolf. »Sie haben es im Grunde alle nur auf mein Geld abgesehen.«

Wenn der Kaiser wollte Gnade walten lassen, sagte Lang vorsichtig, so könne niemand ihn an der Ausübung dieses göttlichen Rechtes hindern, wenn es hie und da auch böses Blut machen werde.

»Ich habe niemand als dich,« sagte Rudolf klagend, »diejenigen, die mich ehren und lieben sollten, trachten nach meinem Leben. Mag der Rußworm übrigens sein, wie er will, er war mir ergeben und war deshalb meinem Bruder Matthias im Wege, der ihn verleumdete. Sie haben es darauf abgesehen, daß ich in ihm mich selbst opfere.« Er stand vom Bett auf und ging, auf Lang gestützt, im Zimmer auf und ab, das ein trübes Nachtlämpchen erhellte. Indessen kroch der Morgen an das Fenster; mit fiebrigen Augen sah der Kaiser zu, wie sich unten die Dächer und Türme spitz und fröstelnd in das kahle Zwielicht zu bohren begannen.

Wäre Rußworm der kaiserlichen Majestät so ergeben gewesen, sagte Lang, so hätte er nicht dermaßen frevelhafte Reden über sie führen sollen, wie viele gehört hätten; freilich sei er ja noch jung, und im Rausche könne man die Worte nicht wägen, Gnade sei immer wohl angewandt; wenn der Kaiser es wolle, so werde er schleunig einen Boten mit der Begnadigung auf das Rathaus schicken. Eile tue jetzt not, fuhr er fort, da Rudolf, sichtlich erleichtert, doch noch ein wenig zauderte, mit Tagesanbruch solle ja die Hinrichtung vollzogen werden; worauf er geschäftig die nötigen Anordnungen traf und dem Boten einschärfte, zu laufen, so schnell ihn seine Beine trügen. Als derselbe vor dem Rathause ankam, wurde eben der in schwarze Tücher gewickelte Körper des Gerichteten auf einen Wagen geladen, um aus der Stadt geschafft zu werden.

Dieser Mißerfolg erschütterte den Kaiser im ersten Augenblick nicht sonderlich; denn er hatte sich inzwischen vorgestellt, was für unbequeme Folgen sein Eingriff nach sich ziehen könnte und wie Rußworm vielleicht über seine Schwäche prahlen und ihn heimlich auslachen würde. Schon am selben Abend jedoch kam die Beängstigung wieder, und es gewann den Anschein, als sollte die Melancholie, die man schon überwunden glaubte, sich des Kaisers von neuem bemächtigen.

* * *

 


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