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Dritter Teil

I

Beim Heurigen

Mit Schrammelmusik und Blütenregen. Große weinselige Stimmung – und mittendrunterdrin der Zauberkönig, Valerie und Erich.

Alles  singt: 

Da draußen in der Wachau
Die Donau fließt so blau,
Steht einsam ein Winzerhaus,
Da schaut ein Mädel heraus.
Hat Lippen rot wie Blut,
Und küssen kanns so gut,
Die Augen sind veilchenblau
Vom Mädel in der Wachau.

Es wird ein Wein sein,
Und wir werden nimmer sein.
Es wird schöne Mädeln geben,
Und wir werden nimmer leben –

Jetzt wirds einen Augenblick totenstill beim Heurigen aber dann singt wieder alles mit verdreifachter Kraft.

Drum gehn wir gern nach Nußdorf naus,
Da gibts a Hetz, a Gstanz,
Da hörn wir ferne Tanz,
Da laß ma fesche Jodler naus
Und gengan in der Fruah
Mitn Schwomma zhaus, mitn Schwomma zhaus!

Begeisterung; Applaus; zwischen den Tischen wird getanzt, und zwar auf den Radetzkymarsch. – Alles ist nun schon ziemlich benebelt.

Zauberkönig Bravo, bravissimo! Heut bin ich wieder der alte! Da capo, da capo! Er greift einem vorübertanzenden Mädchen auf die Brüste.

Der Kavalier des Mädchens  schlägt ihm auf die Hand: Hand von der Putten!

Das Mädchen Das sind doch meine Putten!

Zauberkönig Putten her, Putten hin! Ein jeder Erwachsene hat seine Sorgen, und heut möcht ich alles vergessen! Heut kann mich die ganze Welt!

Erich Mal herhören, Leute! Ich gestatte mir hiermit auf den famosen Wiener Heurigen ein ganz exorbitantes Heil – Er verschüttet seinen Wein.

Valerie Nicht so stürmisch, junger Mann! Meiner Seel, jetzt hat er mich ganz bespritzt!

Erich Aber das kann doch vorkommen! Ehrensache!

Zauberkönig Hat er dich naßgemacht? Armes Waserl!

Valerie Durch und durch – bis auf die Haut.

Zauberkönig Bis auf deine Haut –

Valerie Bist du a schon narrisch?

Erich Stillgestanden! Er knallt die Hacken zusammen und steht still.

Zauberkönig Was hat er denn?

Valerie Das bin ich schon gewöhnt. Wenn er sich besoffen hat, dann kommandiert er sich immer selber.

Zauberkönig Wie lang daß der so still stehen kann. – Stramm! Sehr stramm! Respekt! Es geht wieder aufwärts mit uns! Er fällt unter den Tisch.

Valerie Jesus Maria!

Zauberkönig Der Stuhl ist zerbrochen – einen anderen Stuhl, Herr Ober! He, einen anderen Stuhl!! Er singt mit der Musik. Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküßt – und schon hab ich den Patsch verspürt mit dem Fächer ins Gesicht –

Der Ober  bringt nun eine Riesenportion Salami.

Valerie Salami, Erich! Salami!

Erich Division! Rührt euch! Er langt mit der Hand in die Schüssel und frißt exorbitant.

Zauberkönig Wie der frißt!

Valerie Gesegnete Mahlzeit!

Zauberkönig Friß nicht so gierig!

Valerie Er zahlts ja nicht!

Zauberkönig Und singen kann er auch nicht! Pause.

Valerie  zu Erich: Warum singst du eigentlich nicht?

Erich  mit vollem Munde: Weil ich doch an meinem chronischen Rachenkatarrh leide!

Valerie Das kommt vom vielen Rauchen!

Erich  brüllt sie an: Schon wieder?!

Rittmeister  taucht auf; mit einem Papierbütchen und in gehobener Stimmung: Küß die Hand, schöne Frau Valerie! A, das ist aber ein angenehmer Zufall! Habe die Ehre, Herr Zauberkönig!

Zauberkönig Prost, Herr Rittmeister! Prost, lieber Herr von Rittmeister. – Er leert sein Glas und verfällt in wehmütigen Stumpfsinn.

Valerie Darf ich Ihnen etwas von meiner Salami, Herr Rittmeister?

Erich  bleibt der Brocken im Munde stecken; er fixiert gehässig den Rittmeister.

Rittmeister Zu gütig, küß die Hand! Danke nein, ich kann unmöglich mehr – Er steckt sich zwei dicke Scheiben in den Mund. Ich hab heut nämlich schon zweimal genachtmahlt, weil ich Besuch hab – ich sitz dort hinten in der Gesellschaft. Ein Jugendfreund meines in Sibirien vermißten Bruders – ein Amerikaner.

Valerie Also ein Mister!

Rittmeister Aber ein geborener Wiener! Zwanzig Jahr war der jetzt drüben in den Staaten, nun ist er zum erstenmal wieder auf unserem Kontinent. Wie wir heut vormittag durch die Hofburg gefahren sind, da sind ihm die Tränen in den Augen gestanden. – Er ist ein Selfmademan. Selbst ist der Mann!

Valerie Oh, Sie Schlimmer!

Rittmeister Ja. Und jetzt zeig ich ihm sein Wien – schon den zweiten Tag – wir kommen aus dem Schwips schon gar nicht mehr raus –

Valerie Stille Wasser sind tief.

Rittmeister Nicht nur in Amerika.

Erich  scharf: Tatsächlich? Pause.

Valerie  nähert sich Erich: Daß du parierst – und halts Maul, sonst schmier ich dir eine. – Wenn du schon meine Salami frißt, dann kannst du mir auch entgegenkommen –

Erich Diese Randbemerkung ehrt Ihre niedrige Gesinnung, Gnädigste!

Valerie Bleib!

Erich Stillgestanden! Division –

Valerie Halt!

Erich Division – marsch! Ab.

Valerie  ruft ihm nach: Herstellt euch! Herstellt euch! Totenstille.

Rittmeister Wer ist denn das überhaupt?

Valerie  tonlos: Das ist eine ganze Division. Ich werd ihn wohl bald ganz lassen – ich sehs schon direkt wieder kommen – und dann ist er mit dem dort – sie deutet auf den Zauberkönig – entfernt verwandt – Jetzt gibts wieder Musik.

Rittmeister Apropos verwandt. – Sagens mal, Frau Valerie, finden Sie das für in Ordnung, wie Seine Majestät der Herr Zauberkönig das Fräulein Mariann behandelt – ich versteh so was nicht. Wenn ich Großpapa wär – und abgesehen davon, man kann doch leicht straucheln. Aber dann direkt verkommen lassen –

Valerie Wissen Sie was Näheres, Herr Rittmeister?

Rittmeister Ich hab mal eine Frau Oberst gehabt, das heißt: das ganze Regiment hat sie gehabt – was sag ich da?! Sie war die Frau unseres Obersten – und der Oberst hatte ein uneheliches Kind mit einer vom Varieté, aber die Frau Oberst hat es in ihr Haus genommen, als wärs ihr eigen Fleisch und Blut, weil sie halt unfruchtbar war. – Aber wenn man daneben dieses zauberkönigliche Verhalten dort drüben betrachtet – na Servus!

Valerie Ich versteh Sie nicht, Herr Rittmeister. Was hat denn die Frau Oberst mit der Mariann zu tun?

Rittmeister Wir verstehen uns alle nicht mehr, liebe Frau Valerie! Oft verstehen wir uns schon selber nicht mehr.

Valerie Wo steckt denn die Mariann?

Rittmeister  lächelt geheimnisvoll: Das wird man schon noch mal offiziell bekanntgeben – im geeigneten Moment.

Der Mister erscheint; er ist besoffen: Oh lieber guter Freund – was seh ich da? Gesellschaft? Freunde? Stell mich vor, bitte. – Du lieber guter Freund. – Er umarmt den Rittmeister.

Zauberkönig  erwacht aus seinem Stumpfsinn: Wer ist denn das?

Rittmeister Das ist mein lieber Mister aus Amerika!

Der Mister Amerika! New York! Chicago und Sing-Sing! – Äußerlich ja, aber da drinnen klopft noch das alte biedere treue goldene Wiener Herz, das ewige Wien – und die Wachau – und die Burgen an der blauen Donau. – Er summt mit der Musik. Donau so blau, so blau, so blau –

Alle  summen mit und wiegen sich auf den Sitzgelegenheiten.

Der Mister Meine Herrschaften, es hat sich vieles verändert in der letzten Zeit, Stürme und Windhosen sind über die Erde gebraust, Erdbeben und Tornados, und ich hab ganz von unten anfangen müssen, aber hier bin ich zhaus, hier kenn ich mich aus, hier gefällt es mir, hier möcht ich sterben! Oh du mein lieber altösterreichischer Herrgott aus Mariazell! Er singt.

Mein Muatterl war a Wienerin,
Drum hab ich Wien so gern.
Sie wars, die mit dem Leben mir
Die Liebe hat gegeben
Zu meinem anzigen goldenen Wean!

Alles  singt:

Wien, Wien, nur du allein
Sollst stets die Stadt meiner Träume sein,
Dort, wo ich glücklich und selig bin,
Ist Wien, ist Wien, mein Wien!

Der Mister Wien soll leben! Die Heimat! Und die schönen
Wiener Frauen! Und der Heimatgedanke! Und wir
Wiener sollen leben – alle, alle!

Alle Hoch! Hoch! Hoch!

Allgemeines Saufen.

Zauberkönig  zu Valerie: Und die schönen Wiener Frauen, du stattliche Person – dich hätt ich heiraten sollen, mit dir hätt ich ein ganz ein anderes Kind gekriegt –

Valerie Red nicht immer von Irene! Ich hab sie nie ausstehen können!

Der Mister Wer ist Irene?

Zauberkönig Irene war meine Frau.

Der Mister Oh, Pardon!

Zauberkönig Oh, bitte – und warum soll ich denn nicht auf die Iren schimpfen? Bloß weil sie schon tot ist? Mir hat sie das ganze Leben verpatzt!

Valerie Du bist ein dämonischer Mensch!

Zauberkönig  singt:

Mir ist mei Alte gstorbn,
Drum ist mirs Herz so schwer.
A so a gute Seel
Krieg ich not mehr,
Muß so viel wana,
Das glaubt mir kana,
Daß ich mich kränk,
Wenn ich an mei Alte denk! Hallo!

Der Mister  schnellt empor: Hallo! Hallo! Wenn mich nicht alles täuscht, so fängt es jetzt an zu regnen! Aber wir lassen uns vom Wetter nichts dreinreden! Heut wird noch gebummelt und wenns Schusterbuben regnen sollte! Wir lassen und lassen uns das nicht gefallen! Er droht mit dem Zeigefinger nach dem Himmel. Oh du regnerischer Himmelvater du! Darf ich euch alle einladen? Alle, alle!!

Alle Bravo, bravo!

Der Mister Also auf! Vorwärts! Mir nach!

Valerie Wohin?

Der Mister Irgendwohin! Wo wir einen Plafond über uns haben! Wo wir nicht so direkt unterm Himmel sitzen! Ins Moulin-bleu! Starker Applaus.

Rittmeister Halt! Nicht ins Moulin-bleu, liebe Leutl! Dann schon eher ins Maxim! Und wieder wird es einen Augenblick totenstill.

Zauberkönig Warum denn ins Maxim?

Rittmeister Weil es dort ganz besondere Überraschungen geben wird.

Zauberkönig Was für Überraschungen?

Rittmeister Pikante. Sehr pikante – Stille.

Zauberkönig Also auf ins Maxim!

Alle Ins Maxim! Sie marschieren mit aufgespannten Regenschirmen und singen.

Vindobona, du herrliche Stadt,
Die so reizende Anlagen hat,
Dir gehört stets nur unser Sinn.
Ja zu dir, da ziagts uns hin,
San ma a von dir oft fern,
Denkn ma do ans liebe Wean,
Denn du bleibst die Perle von Österreich,
Dir ist gar ka Stadt net gleich!

Die Mizzi und der Jean
Gehn miteinander drahn,
Wir sind ja nicht aus Stroh,
Sind jung und lebensfroh,
Net immer Schokoladi,
Heut gehen wir zum »Brady«
Oder zum »Maxim«
Heut sind wir einmal schlimm!

Jetzt trink ma noch a Flascherl Wein,
Hollodero!
Es muß ja not das letzte sein
Hollodero!
Und ist das gar, gibts ka Geniern,
Hollodero!
So tun wir noch mal repetiern, aber noch mal repetiern!

Gong. – Die Bühne verwandelt sich nun ins »Maxim« – mit einer Bar und Sepárees; im Hintergrunde eine Kabarettbühne mit breiter Rampe. – Alles schließt die Regenschirme und nimmt nun Platz an den Tischen, und zwar in aufgeräumtester Stimmung.

Der Conferencier  tritt vor den Vorhang: Meine Sehrverehrten! Meine Herrschaften! Entzückende Damen und noch entzückendere Herren!

Valerie Oho! Gelächter.

Der Conferencier Ich begrüße Sie auf das allerherzlichste im Namen meiner Direktion! Schon Johann Wolfgang von Goethe, der Dichterfürst, sagt in seinem Meisterwerk, unserem unsterblichen Faust: Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen! In diesem Sinne, meine Sehrverehrten: Nummer auf Nummer! Das ist Tradition, meine Sehrverehrten! Und nun bitte, treten Sie ein mit uns in den Himmel der Erinnerung! –

Und nun erklingt der Walzer »Wiener Blut« von Johann Strauß, der Vorhang hebt sich, und einige Mädchen in Alt-Wienertracht tanzen den Walzer – dann fällt wieder der Vorhang; rasende Begeisterung im Publikum, und die Musik spielt nun den Hoch- und Deutschmeistermarsch.

Zauberkönig  zum Rittmeister: Aber was redens denn da, Herr? Also das steht doch schon felsenfest, daß wir Menschen mit der Tierwelt verwandt sind!

Rittmeister Das ist Auffassungssache!

Zauberkönig Oder glaubens denn gar noch an Adam und Eva?

Rittmeister Wer weiß!

Der Mister  zu Valerie: Du Wildkatz!

Zauberkönig Wildkatz! Oder gar ein Leopard!

Valerie Prost Zauberkönig!

Zauberkönig Der Herr Rittmeister sind ein Fabelwesen, und du hast was von einem Känguruh an dir, und der Mister ist ein japanischer Affenpintscher!

Der Mister  lacht keineswegs: Fabelhafter Witz, fabelhafter Witz!

Zauberkönig Na und ich?!

Valerie Ein Hirsch! Ein alter Hirsch! Prost, alter Hirsch! Brüllendes Gelächter – nun klingelt das Tischtelephon. Stille.

Zauberkönig  am Apparat: Ja hallo! – Wie? Wer spricht? Mausi? – Mausi kenn ich nicht, wie? – Ach so! Jaja, das bin ich schon, ich bin schon dein Onkel. – Was soll ich? A du Schweinderl, du herziges! – Wo? An der Bar? Im grünen Kleid? – Was? Du bist noch eine Jungfrau? Und das soll dir dein Onkel glauben? Na ich werd das mal nachkontrollieren. – Bussi, Bussi! – Er hängt ein und leert sein Glas Schampus, den der Mister hat auffahren lassen.

Valerie Trink nicht so viel, Leopold!

Zauberkönig Du kannst mir jetzt auf den Hut steigen! Er erhebt sich. Für uns alte Leut ist ja der Alkohol noch die einzige Lebensfreud! Wo ist die Bar?

Valerie Was für eine Bar?

Zauberkönig Wo ist die Bar, Kruzitürken?!

Rittmeister Ich werd Sie hinführen –

Zauberkönig Ich find schon selber hin – ich brauch keinen Kerzenhalter! Kommens, führens mich! Er läßt sich vom Rittmeister an die Bar führen, wo ihn bereits zwei Mädchen erwarten – die eine im grünen Kleid nimmt ihn gleich herzlichst in Empfang; auch der Rittmeister bleibt an der Bar.

Der Mister  zu Valerie: Was ist der Herr eigentlich?

Valerie Ein Zauberkönig.

Der Mister Ach!

Valerie Ja. Sonst ist er ja ein seltener Mensch, bescheiden und anständig, der echte Bürger vom alten Schlag. – Diese Sorte stirbt nämlich aus.

Der Mister Leider!

Valerie Heut ist er ja leider besoffen –

Der Mister Wie Sie das wieder sagen! Was für ein Charme! Bei uns in Amerika ist halt alles brutaler.

Valerie Was wiegen Sie?

Der Mister Zweihundertachtzehn Pfund.

Valerie Oh Gott!

Der Mister Darf ich ganz offen sein?

Valerie Man bittet darum.

Der Mister Ich bin kompliziert.

Valerie Wieso?

Der Mister Ich bin nämlich innerlich tot. Ich kann halt nur mehr mit den Prostituierten was anfangen – das kommt von den vielen Enttäuschungen, die ich schon hinter mir hab.

Valerie Jetzt so was. Eine so zarte Seele in so einem mächtigen Körper –

Der Mister Ich habe den Saturn als Planeten.

Valerie Ja, diese Planeten! Da hängt man damit zusammen und kann gar nichts dafür! Gong.

Der Conferencier  tritt vor den Vorhang: Meine Sehrverehrten! Und abermals gibts eine herrliche Nummer! Was soll ich viele Worte machen, urteilen Sie selbst über unsere sensationellen, von ersten Künstlern entworfenen, hochkünstlerischen lebendigen Aktplastiken. Als erstes: Donaunixen! Darf ich bitten, Herr Kapellmeister!

Die Kapelle spielt nun den Walzer »An der schönen blauen Donau«, und es wird stockfinster im Zuschauerraum; dann teilt sich der Vorhang, und man sieht drei halbnackte Mädchen, deren Beine in Schwanzflossen stecken. – Eine hält eine Leier in der Hand – alle sind malerisch gruppiert vor einem schwarzen Vorhang im grünen Scheinwerferlicht; von der Bar her hört man des Zauberkönigs Stimme: »Nackete Weiber, sehr richtig!« – Der Vorhang schließt sich, starker Applaus. Gong.

Der Conferencier  erscheint wieder vor dem Vorhang: Das zweite Bild: unser Zeppelin! Bravorufe.

Der Conferencier Darf ich bitten, Herr Kapellmeister! Und nun ertönt der »Fridericus rex« – und auf der Bühne stehen drei nackte Mädchen – die erste hält einen Propeller in den Händen, die zweite einen Globus und die dritte einen kleinen Zeppelin – das Publikum rast vor Beifall, schnellt von den Sitzen in die Höhe und singt die erste Strophe des Deutschlandliedes, worauf es sich wieder beruhigt. Gong.

Der Conferencier  wieder vor dem Vorhang: Und nun, meine Sehrverehrten, das dritte Bild: »Die Jagd nach dem Glück.« Totenstille.

Der Conferencier Darf ich bitten, Herr Kapellmeister – Die »Träumerei« von Schumann erklingt und der Vorhang teilt sich zum dritten Male – eine Gruppe nackter Mädchen, die sich gegenseitig niedertreten, versucht einer goldenen Kugel nachzurennen, auf welcher das Glück auf einem Bein steht – das Glück ist ebenfalls unbekleidet und heißt Marianne.

Valerie  schreit gellend auf im finsteren Zuschauerraum: Marianne! Jesus Maria Josef! Marianne!!

Marianne  erschrickt auf ihrer Kugel, zittert, kann das Gleichgewicht nicht mehr halten, muß herab und starrt, geblendet vom Scheinwerfer, in den dunklen Zuschauerraum.

Der Mister Was denn los?!

Valerie  außer sich: Marianne, Marianne, Marianne!!

Der Mister  wird wütend Brüll nicht! Bist denn plemplem?!

Valerie Marianne!

Der Mister Kusch! Da hast du deine Marianne! Er boxt ihr in die Brust.

Valerie  schreit. Große Unruhe im Publikum; Rufe: »Licht! Licht!«

Der Conferencier  stürzt auf die Bühne: Vorhang! Was ist denn los?! Licht! Vorhang! Licht! Der Vorhang fällt vor der starr in den Zuschauerraum glotzenden Marianne, die übrigen Mädchen sind bereits unruhig ab – und nun wird es Licht im Zuschauerraum und wieder für einen Augenblick totenstill. Alles starrt auf Valerie, die mit dem Gesicht auf dem Tisch liegt, hysterisch und besoffen, weint und schluchzt.

Zauberkönig  steht an der Bar und hält die Hand auf sein Herz.

Valerie  wimmert: Die Mariann – die Mariann – die liebe kleine Mariann – oh, oh, oh – ich hab sie ja schon gekannt, wie sie noch fünf Jahre alt war, meine Herren!

Der Conferencier Von wem redet sie da?

Der Mister Keine Ahnung!

Der Conferencier Hysterisch?

Der Mister Epileptisch!

Eine gemütliche Stimme So werfts es doch naus, die besoffene Bestie!

Valerie Ich bin nicht besoffen, meine Herren! Ich bin das nicht – nein, nein, nein! Sie schnellt empor und will hinauslaufen, stolpert aber über ihre eigenen Füße, stürzt und reißt einen Tisch um – jetzt hat sie sich blutig geschlagen. Nein, das halt ich nicht aus, ich bin doch nicht aus Holz, ich bin doch noch lebensfroh, meine Herren – das halt ich nicht aus, das halt ich nicht aus! Sie rast brüllend nach Haus.

Alle  außer dem Zauberkönig, sehen ihr perplex nach. Stille, dann: Gong.

Der Conferencier  springt auf einen Stuhl: Meine Sehrverehrten! Damen und Herren! Das war nun der Schluß unseres offiziellen Programms – und nun beginnt in der Bar der inoffizielle Teil! Man hört aus der Bar die Tanzmusik. Im Namen meiner Direktion danke ich Ihnen für den zahlreichen Besuch und wünsche Ihnen eine recht gute Nacht! Auf Wiedersehen, meine Herrschaften!

Die Herrschaften  räumen allmählich das Lokal.

Zauberkönig Herr Rittmeister –

Rittmeister Bitte?

Zauberkönig Also deshalb wollten Sie nicht ins Moulinbleu, sondern hier. – Das waren also Ihre bewußten pikanten Überraschungen, ich hab gleich so eine komische Aversion gehabt – so eine Ahnung, daß mir nichts Gutes bevorsteht –

Rittmeister Ich wußte es, daß das Fräulein Mariann hier auftritt – ich war nämlich schon öfters da – erst gestern wieder – und ich kann es halt nicht mehr länger mitansehen! Ihr steinernes Herz –

Zauberkönig Mischen Sie sich nicht in wildfremde Familienangelegenheiten, Sie Soldat!!

Rittmeister Meine menschliche Pflicht –

Zauberkönig  unterbricht ihn: Was ist das?

Rittmeister Sie sind kein Mensch!

Zauberkönig Also das hör ich gern! Schon sehr gern! Was soll ich denn schon sein, wenn ich kein Mensch bin, Sie?! Vielleicht ein Vieh?! Das tät Ihnen so passen! Aber ich bin kein Vieh und hab auch keine Tochter, bitt ich mir aus!!

Rittmeister Jetzt hab ich hier nichts mehr verloren. Er verbeugt sich steif und ab.

Zauberkönig Und ich werd mir vielleicht noch was holen? Ich bin in einer Untergangsstimmung, Herr Mister! Jetzt möcht ich Ansichtskarten schreiben, damit die Leut vor Neid zerplatzen, wenn sie durch mich selbst erfahren, wie gut daß es mir geht!

Der Mister Ansichtskarten! Glänzende Idee! Das ist eine Idee! Ansichtskarten, Ansichtskarten! Er kauft einer Verkäuferin gleich einen ganzen Stoß ab, setzt sich dann abseits an einen Tisch und schreibt – nun ist er allein mit dem Zauberkönig; aus der Bar tönt Tanzmusik.

Marianne  kommt langsam in einem Bademantel und bleibt vor dem Zauberkönig stehen.

Zauberkönig  starrt sie an, betrachtet sie von oben bis unten – dreht ihr den Rücken zu. Pause.

Marianne Warum hast du meine Briefe nicht gelesen? Ich hab dir drei Briefe geschrieben. Aber du hast sie nicht aufgemacht und hast sie zurückgehen lassen. Pause.

Marianne Ich hab dir geschrieben, daß er mich verlassen hat –

Zauberkönig  wendet sich langsam ihr zu und fixiert sie gehässig: Das weiß ich. Er dreht ihr wieder den Rücken zu. Pause.

Marianne Weißt du auch, daß ich ein Kind hab –?

Zauberkönig Natürlich! Pause.

Marianne Es geht uns sehr schlecht, mir und dem kleinen Leopold –

Zauberkönig Was?! Leopold?! Der Leopold, das bin doch ich! Na, das ist aber der Gipfel! Nennt ihre Schand nach mir! Das auch noch! Schluß jetzt! Wer nicht hören will, muß fühlen! Schluß! Er erhebt sich, muß sich aber gleich wieder setzen.

Marianne Du bist ja betrunken, Papa –

Zauberkönig Also werd nur nicht ordinär! Ich bin nicht dein Papa, ein für allemal! Und nur nicht ordinär, sonst – Er macht die Geste des Ohrfeigens. Denk lieber an dein Mutterl selig! Die Toten hören alles!

Marianne Wenn mein Mutterl noch leben würde –

Zauberkönig Laß dein Mutterl aus dem Spiel, bitt ich mir aus! Wenn sie dich so gesehen hätt, so nacket auf dem Podium herumstehen – dich den Blicken der Allgemeinheit preisgeben. – Ja schämst dich denn gar nicht mehr? Pfui Teufel!

Marianne Nein, das kann ich mir nicht leisten, daß ich mich schäm. Stille. Die Musik in der Bar ist nun verstummt.

Marianne Ich verdien hier zwei Schilling pro Tag. Das ist nicht viel, inklusive dem kleinen Leopold. – Was kann ich denn aber auch anderes unternehmen? Du hast mich ja nichts lernen lassen, nicht einmal meine rhythmische Gymnastik, du hast mich ja nur für die Ehe erzogen –

Zauberkönig Oh du miserables Geschöpf! Jetzt bin ich noch schuld!

Marianne Hör mal, Papa –

Zauberkönig  unterbricht sie: Ich bin kein Papa!

Marianne  schlägt mit der Faust auf den Tisch: Aber so hör auf, ja. Du bist doch mein Papa, wer denn sonst!? Und hör jetzt mal – wenn das so weitergeht, ich kann nichts verdienen – und auf den Strich gehen kann ich nicht, ich kann das nicht, ich habs ja schon versucht, aber ich kann mich nur einem Manne geben, den ich aus ganzer Seele mag – ich hab ja als ungelernte Frau sonst nichts zu geben – dann bleibt mir nur der Zug.

Zauberkönig Was für ein Zug?

Marianne Der Zug. Mit dem man wegfahren kann. Ich wirf mich noch vor den Zug –

Zauberkönig So! Das auch noch. Das willst du mir also auch noch antun – Er weint plötzlich. Oh du gemeines Schwein, was machst du denn mit mir auf meine alten Tag? Eine Schande nach der anderen – oh ich armer alter Mensch, mit was hab ich denn das verdient?!

Marianne  scharf: Denk nicht immer an dich!

Zauberkönig  hört auf zu weinen, starrt sie an, wird wütend: So wirf dich doch vor den Zug! Wirf dich doch, wirf dich doch! Samt deiner Brut!! – Oh, mir ist übel übel – wenn ich nur brechen könnt – Er beugt sich über den Tisch, schnellt aber plötzlich empor. – Denk lieber an deinen Himmelvater! An unseren lieben Herrgott da droben – Er wankt fort.

Marianne  sieht ihm nach und schaut dann empor, dorthin, wo der Himmel liegt; leise: Da droben – Aus der Bar ertönt nun wieder Tanzmusik.

Der Mister  ist nun fertig mit seiner Ansichtskartenschreiberei und entdeckt Marianne, die noch immer in den Himmel schaut: Ah, eine Primadonna – Er betrachtet sie lächelnd. Sagen Sie – haben Sie nicht zufällig einige Briefmarken bei sich?

Marianne Nein.

Der Mister  langsam: Nämlich, ich brauche zehn Zwanziggroschenmarken und zahle dafür fünfzig Schilling. Pause.

Der Mister Sechzig Schilling. Pause.

Der Mister  nimmt seine Brieftasche heraus: Da sind die Schillinge und da sind die Dollars –

Marianne Zeigen Sie.

Der Mister  reicht ihr die Brieftasche. Pause.

Marianne Sechzig?

Der Mister  Fünfundsechzig.

Marianne Das ist viel Geld.

Der Mister Das will verdient sein. Stille. Mit der Tanzmusik ist es nun wieder vorbei.

Marianne Nein. Danke. Sie gibt ihm die Brieftasche zurück.

Der Mister Was heißt das?

Marianne Ich kann nicht. Sie haben sich in mir geirrt, Herr –

Der Mister  packt sie plötzlich am Handgelenk und brüllt: Halt! Halt, du hast mich jetzt bestohlen, du Dirne, Diebin, Verbrecherin, Hand aufmachen – auf!!

Marianne Au!

Der Mister Da! Hundert Schilling! Meinst, ich merk das nicht, du blöde Hur!? Er gibt ihr eine Ohrfeige. Polizei! Polizei!

Alles  erscheint aus der Bar.

Der Conferencier Was ist denn los, um Gottes Christi willen?!

Der Mister Diese Hur da hat mich bestohlen! Hundert Schilling, hundert Schilling! Polizei!

Marianne  reißt sich vom Mister los: Ihr sollt mich nicht mehr schlagen! Ich will nicht mehr geschlagen werden!

Baronin  erscheint.

Marianne  schreit entsetzt.

II

Draußen in der Wachau

Alfred  sitzt mit seiner Großmutter vor dem Häuschen in der Abendsonne – und unweit steht der Kinderwagen.

Die Großmutter Ich hab dich ja schon immer für einen Lügner gehalten, aber daß du ein solcher Scheißkerl bist, war mir nie im Traum eingefallen! Borgt sich da von mir dreihundert Schilling für Frankreich zu einer Speditionsfirma – und kommt jetzt nach drei Wochen an und beichtet, daß er gar nicht in Frankreich war, sondern daß er alles verspielt hat am Trabrennplatz! Wirst dort enden, wo deine saubere Mariann sitzt! Im Zuchthaus!

Alfred Vorerst sitzt sie ja noch gar nicht im Zuchthaus, sondern nur im Untersuchungsgefängnis, und morgen wird ihr doch erst der Prozeß gemacht – und dann ist es ja nur ein Diebstahlsversuch, Schaden ist keiner entstanden, also hat sie mildernde Umstand und wird sicher nur bedingt verurteilt werden, weil sie noch nicht vorbestraft ist –

Die Großmutter Nimm sie nur in Schutz, nimm sie nur in Schutz. – Schön hab ich mich in dir getäuscht, ich habs ja schon immer gewußt, daß du ein Verbrecher bist!

Alfred Willst mir also nicht verzeihen?

Die Großmutter Häng dich auf!

Alfred Bäääh! Er streckt die Zunge heraus.

Die Großmutter  Bäääh! Sie streckt ihm die Zunge heraus. Stille.

Alfred  erhebt sich: Also mich siehst du jetzt nicht so bald wieder.

Die Großmutter Und die dreihundert Schilling? Und die hundertfünfzig vom vorigen Jahr?!

Alfred Und wenn du jetzt zerspringst, es ist doch so, daß ich es genau fühl, daß auch ich in einer gewissen Hinsicht mitschuldig bin an der Mariann ihrem Schicksal –

Die Großmutter  schnappt nach Luft.

Alfred  lüftet seinen Strohhut: Küß die Hand, Großmama! Ab.

Die Großmutter  außer sich vor Wut: Schau, daß du verschwandst! Luder, dreckiges! Mir sowas ins Gesicht zu sagen! Weg! Marsch! Scheißkerl! Sie setzt sich an das Tischchen, auf dem ihre Zither liegt, und stimmt sie.

Die Mutter  tritt aus dem Häuschen: Ist der Alfred schon fort?

Die Großmutter Gott sei Dank!

Die Mutter Er hat sich von mir gar nicht verabschiedet –

Die Großmutter Einen feinen Sohn hast du da – frech und faul! Ganz der Herr Papa!

Die Mutter So laß doch den Mann in Ruh! Jetzt liegt er schon zehn Jahr unter der Erden, und gibst ihm noch immer keine Ruh!

Die Großmutter Wer hat ihn denn so früh unter die Erden gebracht? Ich vielleicht? Oder der liebe Alkohol? – Deine ganze Mitgift hat er versoffen!

Die Mutter Jetzt will ich aber nichts mehr hören, ich will nicht!

Die Großmutter Halts Maul! Sie spielt auf ihrer Zither den Doppeladlermarsch.

Die Mutter  beugt sich besorgt über den Kinderwagen, und die Großmutter beendet ihren Marsch: Er macht mir Sorgen, der kleine Leopold – er hat so stark gehustet, und jetzt hat er rote Backerln und so einen ganz anderen Blick – damals beim armen kleinen Ludwig hats genau so begonnen –

Die Großmutter Gott gibt und Gott nimmt.

Die Mutter Mama!

Die Großmutter Mutterl im Zuchthaus und Vaterl ein Hallodri! Für manche wärs schon besser, wenns hin wären!

Die Mutter Möchst denn du schon hin sein?

Die Großmutter  kreischt: Vergleich mich nicht mit dem dort! Sie deutet auf den Kinderwagen. Meine Eltern waren ehrliche Leut! Sie spielt wütend ein Menuett.

Die Mutter So spiel doch nicht!

Die Großmutter  unterbricht ihr Spiel: Was schreist denn so?! Bist narrisch?! Sie fixieren sich. Stille.

Die Mutter  bange: Mama – ich hab es gesehn –

Die Großmutter Was?

Die Mutter Was du heut nacht gemacht hast – Stille.

Die Großmutter  lauernd: Was hab ich denn gemacht?

Die Mutter Du hast die beiden Fenster aufgemacht und hast das Betterl mit dem kleinen Leopold in den Zug gestellt –

Die Großmutter  kreischt: Das hast du geträumt! Das hast du geträumt!

Die Mutter Nein, das hab ich nicht geträumt. Und wenn du zerspringst!

III

Und abermals in der stillen Straße im achten Bezirk

Der Rittmeister  liest noch immer die Ziehungsliste, und Valerie steht in der Tür ihrer Tabak-Trafik – Es scheint überhaupt alles beim alten geblieben zu sein, nur auf der Puppenklinikauslage klebt ein Zettel: »Ausverkauf«.

Valerie  boshaft: Was haben wir denn gewonnen, Herr Rittmeister?

Rittmeister  reicht ihr die Ziehungsliste zurück: Es ist Samstag, Frau Valerie. Und morgen ist Sonntag.

Valerie Das ist halt unser irdisches Dasein, Herr Rittmeister.

Rittmeister Ausverkauf! Mein Gewissen ist rein und trotzdem. Ich war doch damals im Maxim nur von den altruistischesten Absichten beseelt – versöhnend hab ich wirken wollen, versöhnend – und derweil hat sich eine Tragödie nach der anderen abgerollt. Die arme Mariann wird eingekastelt und verurteilt –

Valerie  unterbricht ihn: Bedingt, Herr Rittmeister! Bedingt! Stille.

Rittmeister Ist er eigentlich noch geärgert auf mich, der Herr Zauberkönig?

Valerie Wegen was denn?

Rittmeister Na, ich denk, wegen der fatalen Situation im Maxim, die wo ich ihm inszeniert hab.

Valerie Aber Herr Rittmeister! Nach all dem, was der Mann durchgemacht hat, hat er keine Lust mehr, sich über Sie zu ärgern – er ist überhaupt viel versöhnlicher geworden, er ist halt gebrochen. Als er seinerzeit gehört hat, daß die liebe Mariann gestohlen hat, da hat ihn ja fast der Schlag getroffen!

Rittmeister So ein Schlaganfall ist kein Witz.

Valerie Er hat ja schon direkt die Sphärenmusik gehört.

Rittmeister Was verstehen Sie unter Sphärenmusik?

Valerie Wenn einer knapp vor dem Tode ist, dann fängt die arme Seel bereits an, den Körper zu verlassen – aber nur die halbe Seel – und die fliegt dann schon hoch hinauf und immer höher und dort droben gibts eine sonderbare Melodie, das ist die Musik der Sphären – Stille.

Rittmeister Möglich. An und für sich – Jetzt spielt die Realschülerin im zweiten Stock einen Walzer von Johann Strauß.

Valerie Können Sie schweigen, Herr Rittmeister?

Rittmeister Natürlich!

Valerie Ehrenwort?

Rittmeister Na wenn ich als alter Offizier nicht schweigen könnt! Denkens doch nur mal an all die militärischen Geheimnisse, die ich weiß! Pause.

Valerie Herr Rittmeister. Sie war bei mir.

Rittmeister Wer?

Valerie Die Mariann. Ja, die Mariann. Sie hat mich aufgesucht. Vier Wochen ist sie jetzt gesessen in ihrer Untersuchungshaft, und jetzt hat sie nichts zum Beißen – nur ihren Stolz, den hat sie noch gehabt! Aber den hab ich ihr gründlich ausgetrieben, kann ich nur sagen! Gründlich! Verlassen Sie sich nur auf mich, Herr Rittmeister, ich werd sie schon mit ihrem Papa aussöhnen, wir Frauen verstehen das besser als wie die Herren der Schöpfung! Sie haben ja das im Maxim viel zu direkt versucht – mein Gott, hab ich mich damals erschrocken!

Rittmeister Ende gut, alles gut!

Erich  kommt rasch von rechts – er will in die Puppenklinik, erblickt aber den Rittmeister und fixiert ihn – und die Realschülerin bricht den Walzer ab, mitten im Takt.

Rittmeister  betrachtet Erich geringschätzig – grüßt dann höflich Valerie und ab, knapp an Erich vorbei.

Erich  sieht ihm finster nach und betrachtet dann Valerie.

Valerie  will ab in ihre Tabak-Trafik.

Erich Halt! Verzeihen, Gnädigste! Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß wir uns jetzt wahrscheinlich das letztemal sehen –

Valerie Hoffentlich!

Erich Ich fahre nämlich morgen früh – für immer.

Valerie Glückliche Reise!

Erich Danke! Er grüßt wieder korrekt und will ab in die Puppenklinik.

Valerie  plötzlich: Halt!

Erich Zu Befehl! Stille.

Valerie Wir wollen uns nicht so Adieu sagen – Komm, geben wir uns die Hand – trennen wir uns als gute Kameraden –

Erich Gut. Er gibt ihr die Hand; zieht dann ein Notizbuch aus der Tasche und blättert darin. Hier steht es genau notiert: Soll und Haben – jede Zigarette.

Valerie  freundlich: Ich brauch deine Zigaretten nicht –

Erich Ehrensache!

Valerie  nimmt seine Hand, in der er das Notizbuch hält, und streichelt sie: Du bist halt kein Psychologe, Erich – Sie nickt ihm freundlich zu und langsam ab in die Tabak-Trafik – und jetzt spielt die Realschülerin wieder.

Erich  sieht ihr nach; ist nun allein: Altes fünfzigjähriges Stück Scheiße – Ab in die Puppenklinik.

Oskar  kommt mit Alfred aus seiner Fleischhauerei: Also auf alle Fäll dank ich Ihnen herzlichst, daß Sie mich besucht haben – und daß wir uns so gut vertragen in puncto Mariann.

Alfred Es bleibt dabei: Ich laß ab von ihr – für ewig. Er erblickt den Zettel auf der Puppenklinikauslage. Was? »Ausverkauf«?

Oskar  lächelt: Auch das, lieber Herr – Es wird sich hier bald ausgezaubert haben, das heißt: falls er sich nicht wieder mit unserer Mariann versöhnt, denn so solo schaffts der Alte nicht mehr –

Alfred Wie traurig das alles ist! Glaubens mir nur, ich bin an dieser ganzen Geschicht eigentlich unschuldig heut begreif ich mich gar nicht, ich hab es doch so gut gehabt früher, ohne Kummer und ohne Sorgen – und dann laßt man sich in so ein unüberlegtes Abenteuer hineintreiben – es geschieht mir schon ganz recht, weiß der Teufel, was in mich gefahren ist!

Oskar Das ist halt die große Liebe gewesen.

Alfred Oh nein! Dazu hab ich schon gar kein Talent. – Ich war nur zu weich. Ich kann halt nicht nein sagen, und dann wird so eine Liaison automatisch immer ärger. Ich wollt nämlich seinerzeit Ihre Verlobung wirklich nicht auseinanderbringen – aber die liebe Mariann bestand auf dem Alles-oder-Nichts-Standpunkt. Verstehens mich?

Oskar Leicht. Der Mann ist ja nur der scheinbar aktive Teil und das Weib nur der scheinbar passive – wenn man da näher hineinleuchtet –

Alfred Abgründe tun sich auf.

Oskar Und sehens, deshalb war ich Ihnen persönlich eigentlich nie so recht bös – Ihnen hab ich nie etwas Böses gewünscht – während die Mariann – Er lächelt. Ja, die hat bitter büßen müssen, das arme Hascherl – für die große Leidenschaft ihres Lebens –

Alfred Nein, soviel Leut ins Unglück zu stürzen! Wirklich: wir Männer müßten mehr zusammenhalten.

Oskar Wir sind halt zu naiv.

Alfred Allerdings. Jetzt bricht die Realschülerin wieder ab.

Alfred Herr Oskar. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, daß Sie es übernommen haben, mich mit der Frau Valerie wieder auszusöhnen –

Oskar  unterbricht ihn: Pst!

Zauberkönig  begleitet Erich aus der Puppenklinik – beide bemerken weder Alfred noch Oskar, die sich in die Tür der Fleischhauerei zurückgezogen haben: Also nochmals, gute Reise, Erich! Bleib gesund und komm gut nach Dessau!

Erich Nach Kassel, Onkel!

Zauberkönig Kassel und Dessau – das werd ich nimmer lernen! Und vergiß unsere Wienerstadt nicht und deinen armen alten Onkel!

Erich  schlägt nochmals die Hacken zusammen, verbeugt sich straff und ab, ohne sich umzusehen.

Zauberkönig  sieht ihm gerührt nach – erblickt dann Valerie, die, als sie Erichs Stimme gehört hatte, wieder in ihrer Tür erschien und horchte: Ein Prachtkerl, was? Nun spielt die Realschülerin wieder.

Valerie  nickt langsam ja.

Zauberkönig  holt sich aus dem Ständer vor der Tabak-Trafik eine Zeitung und durchblättert sie: Ja ja, Europa muß sich schon einigen, denn beim nächsten Krieg gehen wir alle zugrund – aber kann man sich denn alles bieten lassen?! Was sich da nur die Tschechen wieder herausnehmen! Ich sag dir heut: morgen gibts wieder einen Krieg! Und den muß es auch geben! Krieg wirds immer geben!

Valerie  ist immer noch anderswo: Das schon. Aber das wär halt das Ende unserer Kultur.

Zauberkönig Kultur oder nicht Kultur – Krieg ist ein Naturgesetz! Akkurat wie die liebe Konkurrenz im geschäftlichen Leben! Ich für meine Person bin ja konkurrenzlos, weil ich ein Spezialgeschäft bin. Trotzdem geh ich zugrund. Ich kanns halt allein nicht mehr schaffen, mich macht schon jeder Käufer nervös – Früher, da hab ich eine Frau gehabt, und wie die angefangen hat zu kränkeln, da ist die Mariann schon so groß gewesen –

Valerie Wie groß?

Zauberkönig So groß! Pause.

Valerie Wenn ich Großpapa war –

Zauberkönig  unterbricht sie: Ich bin aber kein Großpapa, bitt ich mir aus! Er faßt sich ans Herz und der Walzer bricht ab. Reg mich doch nicht auf! Au, mein Herz – Stille.

Valerie Tuts weh?

Zauberkönig Bestialisch – Du weißt, was der Medizinalrat gesagt hat – mich könnt so ein Schlagerl treffen wie nix –

Valerie Ich kenn das von meinem Seligen her – Stichts?

Zauberkönig Es sticht – es sticht – Stille.

Valerie Leopold. Der liebe Gott hat dir einen Fingerzeig gegeben – daß du nämlich noch unter uns bist – Still! Reg dich nur nicht auf, reg dich nicht auf – sonst kommt der Schlaganfall, der Schlaganfall, und dann – und dann – versöhn dich doch lieber, du alter Trottel versöhn dich, und du wirst auch dein Geschäft wieder weiterführen können, es wird alles wieder besser, besser, besser! Stille.

Zauberkönig Meinst du?

Valerie Schau, die Mariann – das ist doch kein böser Mensch, das ist doch nur ein dummes Weiberl – ein ganz armes dummes Weiberl –

Zauberkönig Dumm ist sie schon. Saudumm!

Valerie Und die hat sich eingebildet, die Welt nach ihrem Bild umzuformen – aber die Welt folgt halt doch nur dem Verstand, gelt, Großpapa?

Zauberkönig  Großpapa?

Valerie Ja. Stille. Dann spielt wieder die Realschülerin.

Zauberkönig  läßt sie langsam stehen und wendet sich seiner Puppenklinik zu – hält vor der Auslage und betrachtet den Ausverkaufszettel; dann nickt er Valerie freundlich zu, reißt den Zettel ab und verschwindet in seiner Puppenklinik.

Valerie  grinst befriedigt und steckt sich eine Zigarette an.

Oskar Frau Valerie! Jetzt hätt ich für Sie eine Überraschung!

Valerie Was für eine Überraschung?

Oskar Es möcht sich jemand mit Ihnen versöhnen.

Valerie Wer? Erich?

Oskar Nein.

Valerie Sondern?

Oskar Dort –

Valerie  nähert sich der Fleischhauerei und erblickt Alfred.

Alfred  grüßt. Pause.

Valerie Ach! Jetzt ist es wieder aus mit der Musik.

Alfred Du ahnst es ja nicht, was mich diese Reue für innere Kämpfe gekostet hat, dieser Gang nach Canossa – Ich hab ja schon vor mir selbst gar kein Schamgefühl mehr, weil ich weiß, daß ich dir Unrecht getan hab.

Valerie Mir?

Alfred Ja.

Valerie Wann denn?

Alfred  ist perplex.

Valerie Mir hast du nichts Schlechtes getan.

Alfred  ist noch perplexer; er lächelt verlegen: Na, ich hab dich doch immerhin verlassen –

Valerie Du mich? Ich dich! Und außerdem war das auch nichts Schlechtes, sondern nur etwas sehr Gutes, merk dir das, du eitler Aff!

Alfred Wir sind als gute Kameraden auseinander, verstanden?

Valerie Wir zwei sind getrennte Leut, verstanden?! Weil ich mit einem ausgemachten Halunken in der Zukunft nichts mehr zu tun haben möcht! Stille.

Alfred Wieso denn ein ausgemachter? Du hast doch grad selber gesagt, daß ich dir nichts getan hab!

Valerie Mir nichts! Aber der Mariann! Und deinem Kind? Stille.

Alfred Die Mariann hat immer gesagt, ich könnt hypnotisieren – Er schreit sie an. Was kann ich denn dafür, daß ich auf die Frauen so stark wirk?!

Valerie Schrei mich nicht an!

Oskar Meiner Meinung nach war der Herr Alfred relativ gut zur Mariann –

Valerie Wenn ihr Mannsbilder nur wieder zusammenhelft! Oh, ich hab aber auch noch mein weibliches Solidaritätsgefühl! Zu Alfred. So klein möcht ich dich sehen, so klein!

Stille.

Alfred Ich bin eine geschlagene Armee. Das muß du mir nicht zweimal sagen, daß ich ein schlechter Mensch bin, das weiß ich, weil ich halt zu guter Letzt ein schwacher Mensch bin. Ich brauch immer jemand, für den ich sorgen kann und muß, sonst verkomm ich sofort. Für die Mariann könnt ich aber nicht sorgen, das war mein spezielles Pech – Ja, wenn ich noch einiges Kapital gehabt hätt, dann hätt ich ja wieder auf die Rennplatz hinauskönnen, trotzdem daß sie es nicht hat haben wollen –

Valerie Sie hat es nicht haben wollen?

Alfred Aus moralischen Gründen.

Valerie Das war aber dumm von ihr, wo das doch dein eigenstes Gebiet ist.

Alfred Siehst du! Und an diesem Lebensauffassungsunterschied zerschellte auch schließlich unser Verhältnis. Ganz von allein.

Valerie Lüg nicht. Stille.

Alfred Valerie. Ich hab eine Hautcreme vertreten, Füllfederhalter und orientalische Teppich – es ist mir alles danebengelungen und nun steck ich in einer direkt schweinischen Situation. Du hast doch früher auch für eine jede Schweinerei Verständnis gehabt –

Valerie  unterbricht ihn: Wie wars denn in Frankreich?

Alfred Relativ genau wie hier.

Valerie Und wie sind denn die Französinnen?

Alfred Wie sie alle sind. Undankbar.

Valerie  lächelt: Du Lump. Was würdest du denn tun, wenn ich dir jetzt fünfzig Schilling leihen würd? Stille.

Alfred Fünfzig?

Valerie Ja.

Alfred Ich würde natürlich sofort telegraphisch in Maisons-Laffitte Sieg und Platz –

Valerie  unterbricht ihn: Und? Und?

Alfred Wieso?

Valerie Und den Gewinn? Stille.

Alfred lächelt hinterlistig: Den voraussichtlichen Gewinn würde ich morgen persönlich meinem Söhnchen überreichen –

Valerie Werden sehen –! Werden sehen!

Marianne  kommt rasch und erschrickt.

Oskar Mariann!

Valerie Na also!

Marianne  starrt einen nach dem anderen an – will rasch wieder fort.

Valerie Halt! Dageblieben! Jetzt werden wir mal den Schmutz da zusammenräumen – jetzt kommt die große Stöberei! Jetzt wird versöhnt und basta! Stille.

Oskar Mariann. Ich verzeihe dir gern alles, was du mir angetan hast – denn lieben bereitet mehr Glück, als geliebt zu werden. – Wenn du nämlich nur noch einen Funken Gefühl in dir hast, so mußt du es jetzt spüren, daß ich dich trotz allem noch heut an den Altar führen tät, wenn du nämlich noch frei wärst – ich meine jetzt das Kind – Stille.

Marianne Was denkst du da?

Oskar  lächelt: Es tut mir leid.

Marianne Was?

Oskar Das Kind – Stille.

Marianne So laß doch das Kind in Ruh – Was hat dir denn das Kind getan? Schau mich doch nicht so dumm an!

Valerie Mariann! Hier wird jetzt versöhnt!

Marianne  deutet auf Alfred: Aber nicht mit dem!

Valerie Auch mit dem! Alles oder nichts! Auch das ist doch nur ein Mensch!

Alfred Ich danke dir.

Marianne Gestern hast du noch gesagt, daß er ein gemeines Tier ist.

Valerie Gestern war gestern, und heut ist heut, und außerdem kümmer dich um deine Privatangelegenheiten.

Alfred Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt.

Oskar  zu Marianne:

Denn so lang du dies nicht hast
Dieses Stirb und Werde!
Bist du noch ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde!

Marianne  grinst: Gott, seid ihr gebildet –

Oskar Das sind doch nur Kalendersprüch!

Valerie Spruch oder nicht Spruch! Auch das ist doch nur ein Mensch mit allen seinen angeborenen Fehlern und Lastern – Du hast ihm auch keinen genügend starken inneren Halt gegeben!

Marianne Ich hab getan, was ich tun konnte!

Valerie Du bist halt noch zu jung! Stille.

Alfred Zu guter Letzt war ich ja auch kein Engel.

Valerie Zu guter Letzt ist bei einer solchen Liaison überhaupt nie jemand schuld – das ist doch zu guter Letzt eine Frage der Planeten, wie man sich gegenseitig bestrahlt und so.

Marianne Mich hat man aber eingesperrt. Stille.

Marianne Sie haben mich sehr erniedrigt.

Oskar Die Polizei trägt allerdings keine Glacéhandschuhe.

Valerie Waren es wenigstens weibliche Kriminalbeamte?

Marianne Teils.

Valerie Na also! Stille.

Valerie Marianderl. Jetzt geh nur ruhig dort hinein – Sie deutet auf die Puppenklinik. 

Marianne Und?

Valerie Geh nur –

Marianne Aber auf deine Verantwortung –

Valerie Auf meine Verantwortung – Stille.

Marianne  wendet sich langsam der Puppenklinik zu legt die Hand auf die Klinke und dreht sich dann nochmals Valerie, Alfred und Oskar zu:  Ich möcht jetzt nur noch was sagen. Es ist mir nämlich zu guter Letzt scheißwurscht – und das, was ich da tu, tu ich nur wegen dem kleinen Leopold, der doch nichts dafür kann. – Sie öffnet die Tür und das Glockenspiel erklingt, als wäre nichts geschehen. 

IV

Draußen in der Wachau

Die Großmutter sitzt in der Sonne und die Mutter schält Erdäpfel. Und der Kinderwagen ist nirgends zu sehen.

Die Großmutter Frieda! Hast du ihr schon den Brief geschrieben?

Die Mutter Nein.

Die Großmutter Soll ich ihn vielleicht schreiben? Stille.

Die Großmutter Da wir die Adress des lieben Herrn Alfred nicht kennen, müssen wir es doch ihr schreiben –

Die Mutter Ich schreib schon, ich schreib schon. – Sie werden uns noch Vorwurf machen, daß wir nicht aufgepaßt haben –

Die Großmutter Wir? Du! Du, willst du wohl sagen!

Die Mutter Was kann denn ich dafür?!

Die Großmutter Wars vielleicht meine Idee, das Kind in Kost zu nehmen?! Nein, das war deine Idee – weil du etwas Kleines, Liebes um dich hast haben wollen, hast du gesagt! Hast du gesagt! Ich war immer dagegen. Mit so was hat man nur Scherereien!

Die Mutter Gut. Bin ich wieder schuld. Gut. Am End bin ich dann vielleicht auch daran schuld, daß sich der kleine Leopold erkältet hat – und daß er jetzt im Himmel ist?! Herrgott, ist das alles entsetzlich! Stille.

Die Großmutter Vielleicht ist es ihr gar nicht so entsetzlich – ich meine jetzt deine Fräulein Mariann. – Man kennt ja diese Sorte Fräuleins – vielleicht wird das Fräulein sogar zufrieden sein, daß sie es los hat –

Die Mutter Mama! Bist du daneben?!

Die Großmutter Was fällt dir ein, du Mistvieh?!

Die Mutter Was fällt dir ein, du Ungeheuer?! Das Fräulein ist doch auch nur eine Mutter, genau wie du!!

Die Großmutter  kreischt: Vergleich mich nicht mit ihr! Ich hab mein Kind in Ehren geboren, oder bist du ein unehelicher Schlampen?! Wo kein Segen von oben dabei ist, das endet nicht gut und soll es auch nicht! Wo kämen wir denn da hin?! Jetzt wird hier aber endlich geschrieben – und wenn du zu feig dazu bist, dann diktier ich dir! Sie erhebt sich. Setz dich her! Hier hast du Papier und Bleistift – ich habs schon vorbereitet.

Die Mutter Ungeheuer –

Die Großmutter Kusch! Setz dich! Schreib! Freu dich, daß ich dir hilf!

Die Mutter  Setzt sich.

Die Großmutter  geht gebeugt auf und ab und diktiert: Wertes Fräulein! – Jawohl: Fräulein! – Leider müssen wir Ihnen eine für Sie recht traurige Mitteilung machen. Gott der Allmächtige hat es mit seinem unerforschlichen Willen so gewollt, daß Sie, wertes Fräulein, kein Kind mehr haben sollen. Das Kind hat sich nur etwas erkältet, und dann ist es sehr schnell dahingegangen – Punkt. Aber trösten Sie sich, Gott der Allmächtige liebt die unschuldigen Kinder. Punkt. Neuer Absatz.

Marianne  kommt mit Zauberkönig, Valerie, Oskar und Alfred, denen sie etwas vorausgeeilt ist: Guten Tag, liebe Frau Zentner! Küß die Hand, Großmutter! Jetzt war ich aber lang nicht mehr da, ich bin ja nur froh, daß ich euch wiederseh – Das ist mein Vater!

Zauberkönig  grüßt.

Die Mutter  erblickt Alfred: Alfred!

Marianne  wird es plötzlich unheimlich: Was habt ihr denn –?

Die Großmutter  reicht ihr den Brief.

Marianne  nimmt ihr mechanisch den Brief ab und sieht sich scheu um; bange: Wo ist er denn – wo ist er denn –?

Die Großmutter Lesen, bitte. Lesen –

Marianne  liest den Brief.

Zauberkönig Na, wo ist er denn, der kleine Leopold? Er hält ein Kinderspielzeug in der Hand, an dem Glöckchen befestigt sind, und läutet damit. Der Opapa ist da. Der Opapa!

Marianne  läßt den Brief fallen. Stille.

Zauberkönig  plötzlich ängstlich: Mariann! Ist denn was passiert?

Valerie  hat den Brief aufgehoben und gelesen; jetzt schreit sie: Maria! Tot ist er! Hin ist er, der kleine Leopold!

Alfred Tot?!

Valerie Tot! Sie schluchzt.

Alfred  schließt sie automatisch in seine Arme.

Zauberkönig  wankt – läßt das Kinder Spielzeug fallen und hält die Hand vors Gesicht. Stille.

Die Großmutter  hebt neugierig das Kinderspielzeug auf und läutet damit.

Marianne  beobachtet sie – stürzt sich plötzlich lautlos auf sie und will sie mit der Zither, die auf dem Tischchen liegt, erschlagen.

Oskar  drückt ihr die Kehle zu.

Marianne  röchelt und läßt die Zither fallen. Stille.

Die Großmutter  hebt die Zither auf, leise: Du Luder. Du Bestie Du Zuchthäuslerin. – Mich? Mich möchst du erschlagen, mich?

Die Mutter  schreit die Großmutter plötzlich an:  Jetzt schau aber, daß du ins Haus kommst! Marsch! Marsch!

Die Großmutter  geht langsam auf die Mutter zu: Dir tät es ja schon lange passen, wenn ich schon unter der Erden war – nicht? Aber ich geh halt noch nicht, ich geh noch nicht – Da! Sie gibt der Mutter eine Ohrfeige. Verfaulen sollt ihr alle, die ihr mir den Tod wünscht! Ab mit ihrer Zither in das Häuschen. Stille.

Die Mutter  schluchzt: Na, das sollst du mir büßen – Ihr nach.

Zauberkönig  nimmt langsam die Hand vom Gesicht: Der zweite Schlaganfall, der zweite Schlaganfall – nein, nein, nein, lieber Gott, laß mich noch da, lieber Gott – Er bekreuzigt sich. Vater unser, der du bist im Himmel – groß bist du und gerecht – nicht wahr, du bist gerecht? Laß mich noch, laß mich noch – Oh, du bist gerecht, oh, du bist gerecht! Er richtet sich seine Krawatte und geht langsam ab.

Valerie  zu Alfred: Wie groß war er denn schon, der kleine Leopold?

Alfred So groß –

Valerie Meine innigste Kondolation.

Alfred Danke. Er zieht Geldscheine aus seiner Hosentasche. Da. Jetzt hab ich gestern noch telegraphisch gesetzt und hab in Maisons-Laffitte gewonnen – und heut wollt ich meinem Sohne vierundachtzig Schilling bringen –

Valerie Wir werden ihm einen schönen Grabstein setzen. Vielleicht ein betendes Englein.

Alfred Ich bin sehr traurig. Wirklich. Ich hab jetzt grad so gedacht – so ohne Kinder hört man eigentlich auf. Man setzt sich nicht fort und stirbt aus. Schad! Langsam ab mit Valerie.

Marianne Ich hab mal Gott gefragt, was er mit mir vorhat. – Er hat es mir aber nicht gesagt, sonst war ich nämlich nicht mehr da. – Er hat mir überhaupt nichts gesagt. – Er hat mich überraschen wollen. – Pfui!

Oskar Marianne! Hadere nie mit Gott!

Marianne Pfui! Pfui! Sie spuckt aus. Stille.

Oskar Mariann. Gott weiß, was er tut, glaub mir das,

Marianne Kind! Wo bist du denn jetzt? Wo?

Oskar Im Paradies.

Marianne So quäl mich doch nicht –

Oskar Ich bin doch kein Sadist! Ich möcht dich doch nur trösten. – Dein Leben liegt doch noch vor dir. Du stehst doch erst am Anfang. – Gott gibt und Gott nimmt.

Marianne Mir hat er nur genommen, nur genommen –

Oskar Gott ist die Liebe, Mariann – und wen er liebt, den schlägt er –

Marianne Mich prügelt er wie einen Hund!

Oskar Auch das! Wenn es nämlich sein muß. Nun spielt die Großmutter auf ihrer Zither drinnen im Häuschen die »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Johann Strauß.

Oskar Mariann. Ich hab dir mal gesagt, daß ich es dir nie wünsch, daß du das durchmachen sollst, was du mir angetan hast – und trotzdem hat dir Gott Menschen gelassen – die dich trotzdem lieben – und jetzt, nachdem sich alles so eingerenkt hat. – Ich hab dir mal gesagt, Mariann, du wirst meiner Liebe nicht entgehn –

Marianne Ich kann nicht mehr. Jetzt kann ich nicht mehr –

Oskar Dann komm – Er stützt sie, gibt ihr einen Kuß auf den Mund und langsam ab mit ihr – und in der Luft ist ein Klingen und Singen, als spielte ein himmlisches Streichorchester die »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Johann Strauß.

Ende des dritten und letzten Teiles.


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