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Zweiter Teil

I

Wieder in der stillen Straße im achten Bezirk, vor Oskars Fleischhauerei, der Puppenklinik und Frau Valeries Tabak-Trafik. Die Sonne scheint wie dazumal und auch die Realschülerin im zweiten Stock spielt noch immer die »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Johann Strauß.

Havlitschek  steht in der Tür der Fleischhauerei und frißt Wurst.

Das Fräulein Emma  ein Mädchen für alles, steht mit einer Markttasche neben ihm; sie lauscht der Musik: Herr Havlitschek –

Havlitschek Ich bitte schön?

Emma Musik ist doch etwas Schönes, nicht?

Havlitschek Ich könnt mir schon noch etwas Schöneres vorstellen, Fräulein Emma.

Emma  summt leise den Walzer mit.

Havlitschek Das tat nämlich auch von Ihnen abhängen, Fräulein Emma.

Emma Mir scheint gar, Sie sind ein Casanova, Herr Havlitschek.

Havlitschek Sagens nur ruhig Ladislaus zu mir. Pause.

Emma Gestern hab ich von Ihrem Herrn Oskar geträumt.

Havlitschek Haben Sie sich nix Gescheiteres träumen können?

Emma Der Herr Oskar hat immer so große melancholische Augen – es tut einem direkt weh, wenn er einen anschaut –

Havlitschek Das macht die Liebe.

Emma Wie meinen Sie das jetzt?

Havlitschek Ich meine das jetzt so, daß er in ein nichtsnutziges Frauenzimmer verliebt ist – die hat ihn nämlich sitzen lassen, schon vor einem Jahr, und ist sich mit einem andern Nichtsnutzigen auf und davon.

Emma Und er liebt sie noch immer? Das find ich aber schön.

Havlitschek Das find ich blöd.

Emma Aber eine große Leidenschaft ist doch was Romantisches –

Havlitschek Nein, das ist etwas Ungesundes! Schauns doch nur, wie er ausschaut, er quält sich ja direkt selbst – es fallt ihm schon gar keine andere Frau mehr auf, und derweil hat er Geld wie Heu und ist soweit auch ein Charakter, der könnt doch für jeden Finger eine gute Partie haben – aber nein! Akkurat auf die läufige Bestie hat er sich versetzt – weiß der Teufel, was er treibt!

Emma Wie meinen Sie das jetzt wieder, Herr Havlitschek?

Havlitschek Ich meine das so, daß man es nicht weiß, wo er es hinausschwitzt.

Emma O Sie garstiger Mann! Pause.

Havlitschek Fräulein Emma. Morgen ist Freitag und ich bin an der Endhaltestelle von der Linie achtundsechzig.

Emma Ich kann aber nicht vor drei.

Havlitschek Das soll kein Hindernis sein. Pause.

Emma Also um halb vier – und vergessens aber nur ja nicht, was Sie mir versprochen haben – daß Sie nämlich nicht schlimm sein werden, lieber Ladislaus – Ab.

Havlitschek  sieht ihr nach und spuckt die Wursthaut aus: Dummes Luder, dummes –

Oskar  tritt aus seiner Fleischhauerei: Daß du es nur ja nicht vergißt: wir müssen heut noch die Sau abstechen. – Stichs du, ich hab heut keinen Spaß daran.

Pause.

Havlitschek Darf ich einmal ein offenes Wörterl reden, Herr Oskar?

Oskar Dreht sichs um die Sau?

Havlitschek Es dreht sich schon um eine Sau, aber nicht um dieselbe Sau. – Herr Oskar, bittschön, nehmens Ihnen das nicht so zu Herzen, das mit Ihrer gewesenen Fräulein Braut, schauns, Weiber gibts wie Mist! Ein jeder Krüppel findt ein Weib und sogar die Geschlechtskranken auch! Und die Weiber sehen sich ja in den entscheidenden Punkten alle ähnlich, glaubens mir, ich meine es ehrlich mit Ihnen! Die Weiber haben keine Seele, das ist nur äußerliches Fleisch! Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln, das ist ein Versäumnis, sondern man soll ihr nur gleich das Maul zerreißen oder so! Pause.

Oskar Das Weib ist ein Rätsel, Havlitschek. Eine Sphinx. Ich hab mal der Mariann ihre Schrift zu verschiedenen Graphologen getragen – und der erste hat gesagt, also das ist die Schrift eines Vampirs, und der zweite hat gesagt, das ist eine gute Kameradin, und der dritte hat gesagt, das ist die ideale Hausfrau in persona. Ein Engel.

II

Möbliertes Zimmer im achtzehnten Bezirk. Äußerst preiswert. Um sieben Uhr morgens. Alfred liegt noch im Bett und raucht Zigaretten. Marianne putzt sich bereits die Zähne. In der Ecke ein alter Kinderwagen – auf einer Schnur hängen Windeln. Der Tag ist grau und das Licht trüb.

Marianne  gurgelt: Du hast mal gesagt, ich sei ein Engel. Ich habe gleich gesagt, daß ich kein Engel bin – daß ich nur ein gewöhnliches Menschenkind bin, ohne Ambitionen. Aber du bist halt ein kalter Verstandesmensch.

Alfred Du weißt, daß ich kein Verstandesmensch bin.

Marianne Doch! Sie frisiert sich nun. Ich müßt mir mal die Haar schneiden lassen.

Alfred Ich auch.

Stille.

Mariannderl. Warum stehst denn schon so früh auf?

Marianne Weil ich nicht schlafen kann. Stille.

Alfred Fühlst dich nicht gut in deiner Haut?

Marianne Du vielleicht? Sie fixieren sich.

Alfred Wer hat mir denn die Rennplatz verleidet? Seit einem geschlagenen Jahr hab ich keinen Buchmacher mehr gesprochen, geschweige denn einen Fachmann – jetzt darf ich mich natürlich aufhängen! Neue Saisons, neue Favoriten! Zweijährige, dreijährige – ich hab keinen Kontakt mehr zur neuen Generation. Und warum nicht? Weil ich ausgerechnet eine Hautcreme verschleiß, die keiner kauft, weil sie miserabel ist!

Marianne Die Leut haben halt kein Geld.

Alfred Nimm nur die Leut in Schutz!

Marianne Ich mach dir doch keine Vorwurf, du kannst doch nichts dafür.

Alfred Das wäre ja noch schöner!

Marianne Als ob ich was für die wirtschaftliche Krise könnt!

Alfred Oh du egozentrische Person. – Wer hat mir denn den irrsinnigen Rat gegeben, als Kosmetik-Agent herumzurennen? Du! Er steht auf. Wo stecken denn meine Sockenhalter?

Marianne  deutet auf einen Stuhl: Dort.

Alfred Nein.

Marianne Dann auf dem Nachtkastl.

Alfred Nein.

Marianne Dann weiß ich es nicht.

Alfred Du hast es aber zu wissen!

Marianne Nein, genau wie Papa –

Alfred Vergleich mich nicht immer mit dem alten Trottel!

Marianne Nicht so laut! Wenn das Kind aufwacht, dann kenn ich mich wieder nicht aus vor lauter Geschrei! Stille.

Alfred Also das mit dem Kind muß auch anders werden. Wir können doch nicht drei Seelen hoch in diesem Loch vegetieren! Das Kind muß weg!

Marianne Das Kind bleibt da.

Alfred Das Kind kommt weg.

Marianne Nein. Nie! Stille.

Alfred Wo stecken meine Sockenhalter?

Marianne  sieht ihn groß an: Weißt du, was das heut für ein Datum ist?

Alfred Nein.

Marianne Heut ist der Zwölfte. Stille.

Alfred Was willst du damit sagen?

Marianne Daß das heut ein Gedenktag ist. Heut vor einem Jahr hab ich dich zum erstenmal gesehen. In unserer Auslag.

Alfred Ich bitt dich, red nicht immer in Hieroglyphen! Wir sind doch keine Ägypter! In was für einer Auslag?

Marianne Ich hab grad das Skelett arrangiert und da hast du an die Auslag geklopft. Und da hab ich die Rouleaus heruntergelassen, weil es mir plötzlich unheimlich geworden ist.

Alfred Stimmt.

Marianne Ich war viel allein – Sie weint leise.

Alfred So flenn doch nicht schon wieder. – Schau, Marianderl, ich versteh dich ja hundertperzentig mit deinem mütterlichen Egoismus, aber es ist doch nur im Interesse unseres Kindes, daß es aus diesem feuchten Loch herauskommt – hier ist es grau und trüb, und draußen bei meiner Mutter in der Wachau scheint die Sonne

Marianne Das schon –

Alfred Na also!

Stille.

Marianne Über uns webt das Schicksal Knoten in unser Leben – Sie fixiert plötzlich Alfred. Was hast du jetzt gesagt?

Alfred Wieso?

Marianne Du hast gesagt: dummes Kalb.

Alfred Aber was!

Marianne Lüg nicht!

Alfred  putzt sich die Zähne und gurgelt.

Marianne Du sollst mich nicht immer beschimpfen. Stille.

Alfred  seift sich nun ein, um sich zu rasieren: Liebes Kind, es gibt eben etwas, was ich aus tiefster Seel heraus haß – und das ist die Dummheit. Und du stellst dich schon manchmal penetrant dumm. Ich versteh das gar nicht, warum du so dumm bist! Du hast es doch schon gar nicht nötig, daß du so dumm bist!

Stille.

Marianne Du hast mal gesagt, daß ich dich erhöh – in seelischer Hinsicht –

Alfred Das hab ich nie gesagt. Das kann ich gar nicht gesagt haben. Und wenn, dann hab ich mich getäuscht.

Marianne Alfred!

Alfred Nicht so laut! So denk doch an das Kind!

Marianne Ich hab so Angst, Alfred –

Alfred Du siehst Gespenster.

Marianne Du, wenn du jetzt nämlich alles vergessen hast –

Alfred Quatsch!

III

Kleines Café im zweiten Bezirk

Der Hierlinger Ferdinand  spielt gegen sich selbst Billard.

Alfred  kommt. 

Der Hierlinger Ferdinand Servus Alfred! Na das ist aber hübsch, daß ich dich wieder mal seh – was machst denn für ein fades Gesicht?

Alfred Ich bin halt sehr nervös.

Der Hierlinger Ferdinand  Nervosität ist nie gut. Komm sei so gut und spiel mit mir, damit du auf andere Gedanken kommst – Er reicht ihm ein Queue. Bis fünfzig und du fängst an!

Alfred Bon. Er patzt. Aus ist!

Der Hierlinger Ferdinand  kommt dran: Ist das jetzt wahr, daß du wieder ein Bankbeamter geworden bist?

Alfred Ist ja alles überfüllt!

Der Hierlinger Ferdinand Cherchez la femme! Wenn die Lieb erwacht, sitzt der Verstand im Hintern!

Alfred Mein lieber Ferdinand – hier dreht es sich nicht um den kühlen Kopf, sondern um ein ganz anderes Organ – Er legt seine Hand aufs Herz. Es gibt ein Märchen von Andersen, wo der unartige Knabe dem guten alten Dichter mitten ins Herz schießt – Amor, lieber Ferdinand, Gott Amor!

Der Hierlinger Ferdinand  ist in seine Serie vertieft: Da hätt man buserieren solln –

Alfred Ich bin halt ein weicher Mensch, und sie hat an meine Jugendideale appelliert. Zuerst war ja eine gewisse normale Leidenschaftlichkeit dabei – und dann, wie der ursprüngliche Reiz weg war, kam das Mitleid bei mir. Sie ist halt so ein Typ, bei dem der richtige Mann mütterlich wird, obwohl sie manchmal schon ein boshaftes Luder ist. Meiner Seel, ich glaub, ich bin ihr hörig!

Der Hierlinger Ferdinand  Hörigkeit ist eine Blutfrage. Eine Temperaturfrage des Blutes.

Alfred Glaubst du?

Der Hierlinger Ferdinand Bestimmt.

Stille.

Der Hierlinger Ferdinand Du bist dran: Elf!

Alfred  spielt nun.

Der Hierlinger Ferdinand Alfred! Weißt du aber auch, was meine Grenzen total übersteigt? Sich in der heutigen Krise auch noch ein Kind anzuschaffen –

Alfred Gott ist mein Zeuge, daß ich nie ein Kind hab haben wollen, das hat nur sie haben wollen – und dann ist es halt so von allein gekommen. Ich wollte es ja gleich stante pede wegmachen lassen, aber sie hat sich schon direkt fanatisch dagegen gesträubt, und ich hab schon sehr energische Seiten aufziehen müssen, bis ich sie endlich so weit gehabt hab, daß sie sich der Prozedur unterzieht – kannst dir das Affentheater vorstellen! Eine kostspielige Prozedur war das, meiner Seel – und dann wars doch nur für die Katz! Pech muß der Mensch haben, und das genügt!

Marianne  erscheint.

Alfred  erblickt sie und ruft ihr zu: Setz dich nur dorthin – ich spiel hier nur meine Partie zu End!

Marianne  setzt sich an einen Tisch und blättert in Modejournalen.

Stille.

Der Hierlinger Ferdinand Ist das deine Donna?

Alfred Yes.

Stille.

Der Hierlinger Ferdinand Also das war deine Donna. Komisch. Jetzt lebt mein lieber guter Freund Alfred schon über ein Jahr mit so einem Frauerl zusammen und ich seh sie erst heut zum erstenmal. – Eigentlich machen das ja sonst nur die eifersüchtigen Bosniaken, daß sie ihre Lieblingsweiber vor ihren besten Freunden wegsperren.

Alfred Hier ist aber das Gegenteil der Fall. Nicht ich hab sie, sondern sie hat mich von meinen besten Freunden abgeriegelt –

Der Hierlinger Ferdinand  unterbricht ihn: Wie heißt sie denn eigentlich?

Alfred Marianne.

Stille.

Gefällts dir?

Der Hierlinger Ferdinand Ich hab mir sie eigentlich anders vorgestellt.

Alfred Wieso?

Der Hierlinger Ferdinand Etwas molliger.

Alfred Noch molliger?

Der Hierlinger Ferdinand Ich weiß nicht, warum. Man macht sich ja unwillkürlich so Vorstellungen.

Stille.

Alfred Sie ist ganz schön mollig. Molliger als wie du denkst.

Stille.

Der Hierlinger Ferdinand  Scheißlich, scheißlich! Also das war schon ein grandioser Blödsinn, daß du mit der verrückten Trafikantin gebrochen hast! Du wärst heute versorgt und ohne Sorgen!

Alfred Über die Vergangenheit zu plauschen hat keinen Sinn! Hilf mir lieber, daß ich möglichst schmerzlos für alle Teile aus dieser unglückseligen Bindung herauskomm!

Der Hierlinger Ferdinand Das ist nicht so einfach. Ihr seid natürlich wirtschaftlich nicht auf Rosen gebettet.

Alfred Auf Dornen, lieber Ferdinand! Auf Dornen und Brennesseln, wie der alte selige Hiob.

Stille.

Der Hierlinger Ferdinand Wo steckt denn das Kind?

Alfred Bei meiner Mutter. Draußen in der Wachau. Endlich!

Der Hierlinger Ferdinand Das erleichtert natürlich die Lage. Ich würd halt jetzt danach trachten, daß sich deine liebe Mariann ad eins finanziell selbständig sichert – daß sie sich nämlich irgendwie in das Berufsleben einschaltet: Eine Geliebte mit Beruf unterhöhlt auf die Dauer bekanntlich jede Liebesverbindung, sogar die Ehe! Das ist doch auch ein Hauptargument unserer Kirche in ihrem Kampfe gegen die berufstätige Frau, weil eine solche halt familienzerstörend wirkt und glaubst denn du, daß die Kardinäl dumm sind? Das sind die Besten der Besten, unsere fähigsten Köpf!

Alfred Das schon. Aber die Mariann hat doch nichts gelernt in puncto Berufsleben. Das einzige, wofür sie Interesse hat, ist die rhythmische Gymnastik.

Der Hierlinger Ferdinand  Rhythmische Gymnastik ist immer gut!

Alfred Glaubst du?

Der Hierlinger Ferdinand  Bestimmt!

Alfred Ich glaub, ich kann schon gar nicht mehr glauben.

Der Hierlinger Ferdinand  Rhythmische Gymnastik ist zu guter Letzt nur eine Abart der Tanzerei – und da winkt uns vielleicht ein Stern. Ich kenne nämlich auf dem Gebiete der Tanzerei eine Baronin mit internationalen Verbindungen und die stellt so Ballette zusammen für elegante Etablissements – das wären doch eventuell Entfaltungsmöglichkeiten! Abgesehen davon, daß mir diese Baronin sehr verpflichtet ist.

Alfred Ich wär dir ja ewig dankbar –

Der Hierlinger Ferdinand Ich bin dein Freund und das genügt mir! Weißt was, wenn ich jetzt gleich geh, dann erwisch ich die Baronin noch beim Bridge – also Servus, lieber Alfred! Sei so gut und leg den Schwarzen für mich aus! Und Kopf hoch, du hörst von mir, und es wird schon alles wieder gut! Ab.

Alfred  nähert sich mit seinem Queue langsam Marianne und setzt sich an ihren Tisch. 

Marianne Wer hat denn gewonnen?

Alfred Ich habe verloren, weil ich halt Glück in der Liebe hab – Er lächelt, starrt aber plötzlich auf ihren Hals. Was hast denn dort?

Marianne Da? Das ist ein Amulett.

Alfred Was für ein Amulett?

Marianne Der heilige Antonius.

Alfred Der heilige Antonius – seit wann denn? Stille.

Marianne Als ich noch klein gewesen bin, und wenn ich etwas verloren hab, dann hab ich nur gesagt: Heiliger Antonius, hilf mir doch! – Und schon hab ich es wieder gefunden.

Stille.

Alfred War das jetzt symbolisch?

Marianne Es war nur so überhaupt –

Stille.

Alfred Ich für meine Person glaub ja nicht an ein Fortleben nach dem Tode, aber natürlich glaub ich an ein höheres Wesen, das gibt es nämlich sicher, sonst gäbs uns ja nicht. – Hör mal her, du heiliger Antonius, ich hätt dir was eventuell Wichtiges zu erzählen. –

IV

Bei der Baronin mit den internationalen Verbindungen

Helene, die blinde Schwester der Baronin, sitzt im Salon am Spinett und phantasiert. Jetzt erscheint der Hierlinger Ferdinand mit Marianne, geleitet von dem Dienstbot.

Helene  unterbricht ihre Phantasien: Anna! Wer ist denn da?

Der Dienstbot Der gnädige Herr von Hierlinger und ein Fräulein. Ab.

Der Hierlinger Ferdinand  Küß die Hand, Komteß!

Helene  erhebt sich und tappt auf ihn zu: Ach guten Tag, Herr von Hierlinger! Das freut mich aber, daß wir uns wiedermal sehen –

Der Hierlinger Ferdinand Ganz meinerseits, Komteß! Ist die Baronin da?

Helene Ja, meine Schwester ist zu Haus, sie hat aber grad mit dem Installateur zu tun – ich hab nämlich neulich etwas Unrechtes in den Ausguß geworfen, und jetzt ist alles verstopft – wen habens denn da mitgebracht, Herr von Hierlinger?

Der Hierlinger Ferdinand Das ist eine junge Dame, die ein starkes Interesse an der rhythmischen Gymnastik hat – ich hab sie der Baronin bereits avisiert. Darf ich bekannt machen –

Helene  unterbricht ihn: Oh, sehr angenehm! Ich kann Sie ja leider nicht sehen, aber Sie haben eine sympathische Hand. – So lassens mir doch Ihre Hand, Sie Fräulein mit der Hand –

Der Hierlinger Ferdinand Die Komteß Helen kann nämlich ganz exorbitant handlesen.

Stille.

Marianne Was hab ich denn für eine Hand?

Helene  hält noch immer ihre Hand fest: Das ist nicht so einfach, liebes Kind, wir Blinden müssen uns nämlich nach dem Tastgefühl orientieren. – Sie haben noch nicht viel hinter sich, mehr vor sich –

Marianne Was denn?

Baronin  mit kosmetischer Gesichtsmaske tritt unbemerkt ein und lauscht.

Helene Ich möcht fast sagen, das ist eine genießerische Hand. – Sie haben doch auch ein Kind, nicht?

Marianne Ja.

Der Hierlinger Ferdinand  Fabelhaft! Fabelhaft!

Helene Bub oder Mädel?

Marianne Bub.

Stille.

Helene Ja, Sie werden noch viel Freud haben mit dem Buben – der wird schon noch was Richtiges –

Marianne  lächelt: Wirklich?

Baronin Helen! Was treibst denn da schon wieder für einen Unsinn! Bist doch keine Zigeunerin! Schau lieber, daß du nicht wieder das Klosett verstopfst, mein Gott, ist das da draußen eine Schweinerei! Du und Handlesen! Ist ja paradox! Sie nimmt die Gesichtsmaske ab.

Helene O, ich hab meine Ahnungen!

Baronin Hättest du lieber eine Ahnung gehabt in puncto Klosett! Die Schweinerei kostet mich wieder fünf Schilling! Wer lebt denn da, wer lebt denn da?! Ich von dir oder du von mir?!

Stille.

Baronin Also lieber Hierlinger, das wäre also das Fräulein, über das wir vorgestern telephoniert haben.

Der Hierlinger Ferdinand Das wäre es. Leise. Und bittschön: Gefälligkeit gegen Gefälligkeit.

Baronin  droht ihm neckisch mit dem Zeigefinger: Kleine Erpressung gefällig?

Der Hierlinger Ferdinand Der Zeigefinger hat mir nicht gefallen, der Zeigefinger –

Baronin Ein Ehrenmann – Sie läßt ihn giftig stehen und geht nun um Marianne herum – betrachtet sie von allen Seiten. Hm. Sagen Sie, Fräulein, Sie haben also starkes Interesse an der rhythmischen Gymnastik?

Marianne Ja.

Baronin Und Sie möchten dieses Ihr vorhandenes Interesse praktisch auswerten?

Marianne Ja.

Baronin Können Sie singen?

Marianne Singen?

Baronin Ich geh von dem Grundsatz aus, daß es ein Nichtkönnen nicht gibt. Man kann alles, wenn man nur will! Die Tanzgruppen, die ich zusammenstell, sind internationale Attraktionen für erstklassige Vergnügungsetablissements. Sie können also nicht singen?

Marianne Leider –

Baronin Habens denn in der Schul nicht singen gelernt?

Marianne Das schon.

Baronin Na also! Ich möcht doch nur Ihre Stimm hören! Kennens denn kein Wienerlied, Sie sind doch Wienerin – irgendein Heimatlied –

Marianne Vielleicht das Lied von der Wachau?

Baronin Also schön! Los! Das Lied von der Wachau!

Marianne  singt – am Spinett: Helene:

Es kam einst gezogen ein Bursch ganz allein
Und wanderte froh in den Abend hinein.
Da flog ein Lächeln ihm zu und ein Blick.
Er dachte noch lange daran zurück.
Ein rosiges Antlitz, ein goldener Schopf,
Zwei leuchtende Augen, ein Mädchenkopf.
Das Mädel, das ging ihm nicht mehr aus dem Sinn,
Und oft sang er vor sich hin:
Da draußen in der Wachau
Die Donau fließt so blau,
Steht einsam ein Winzerhaus,
Da schaut ein Mädel heraus.
Hat Lippen rot wie Blut,
Und küssen kanns so gut,
Die Augen sind veilchenblau
Vom Mädel in der Wachau.

V

Draußen in der Wachau

Auch hier scheint die Sonne wie dazumal – nur daß nun vor dem Häuschen ein alter Kinderwagen steht.

Die Mutter  zu Alfred: Er sieht dir sehr ähnlich, der kleine Leopold – und schreit auch nicht viel. Auch du warst so ein sanftes Kind.

Alfred Ich freu mich nur, daß ich ihn nicht in Wien hab. Hier heraußen in der guten Luft wird er besser gedeihen, als wie drinnen in unserer Kasern.

Die Mutter Tritt die Mariann jetzt schon auf beim Ballett?

Alfred Nein, erst ab nächsten Samstag.

Stille.

Die Mutter  besorgt: Du hast mal gesagt, wenn du ein Kind hast, dann würdest du heiraten. Ist das noch so?

Alfred Du hast mal gesagt, ich könnt eine gute Partie machen.

Stille.

Die Mutter Natürlich ist das kein Glück, diese Verbindung.

Alfred Könnt ich jetzt mal die liebe Großmutter sprechen?

Die Mutter Ich werds ihr gleich sagen – ich muß jetzt sowieso noch in den Keller. Ab in das Häuschen.

Alfred  allein; er beugt sich über den Kinderwagen und betrachtet sein Kind.

Die Großmutter  tritt aus dem Häuschen: Der Herr wünschen?

Alfred Hast es dir nun überlegt?

Die Großmutter Ich hab kein Geld. Solang du mit der Person zusammenlebst, hab ich kein Geld! Lebt sich da in wilder Ehe zusammen, wie in einem Hundestall, setzt Bankerten in die Welt, die nur anderen zur Last fallen, und schämt sich nicht, von seiner alten Großmutter noch Geld zu verlangen! Keinen Kreuzer! Keinen Kreuzer!

Alfred Letztes Wort?

Die Großmutter Hundestall! Hundestall!

Alfred Du alte Hex. Stille.

Die Großmutter Was hast du gesagt?

Alfred  schweigt.

Die Großmutter Traust es dir noch einmal zu sagen?

Alfred Warum nicht?

Die Großmutter So sags doch!

Alfred Hex. Alte Hex.

Die Großmutter  nähert sich ihm langsam und kneift ihn in den Arm. 

Alfred  lächelt: Wie bitte?

Die Großmutter  kneift ihn: Na wart, du wirst es schon noch spüren! Da und da und da!

Alfred  schüttelt sie ab, da er nun tatsächlich was spürt: Um mir weh zu tun, dazu gehören Leut, aber keine Frösch!

Die Großmutter  weint vor Wut: Gib mir mein Geld zurück, du Schuft! Mein Geld möcht ich haben, Haderlump, Verbrecher!

Alfred  lacht. 

Die Großmutter  kreischt: Lach nicht! Sie versetzt ihm einen Hieb mit ihrem Krückstock.

Alfred Au! Stille.

Die Großmutter  grinst befriedigt: Hast mich gespürt? Hast mich jetzt gespürt?

Alfred Du Hex. Du alte Hex.

Die Großmutter  hebt triumphierend den Krückstock.

Alfred Untersteh dich!

Die Großmutter Hab nur keine Angst – du dummer Bub. Oh, ich krieg dich schon noch runter – ich krieg meine Leut schon noch runter. – Eieiei, da hängt dir ja schon wieder ein Knopf – wie kann man sich nur mit so einer schlamperten Weibsperson –

Alfred  unterbricht sie: Also schlampert ist sie nicht! Stille. 

Die Großmutter Sie hat einen viel zu großen Mund.

Alfred Geschmacksach!

Die Großmutter Wart, ich näh dir jetzt nur den Knopf an – Sie näht ihn an. Was brauchst du überhaupt eine Frau, so wie deine alte Großmutter wird dir keine den Knopf annähen – bist es ja gar nicht wert, daß man sich um dich sorgt – schafft sich mit dem Bettelweib auch noch ein Kind an, ein Kind!

Alfred Aber das kann doch vorkommen.

Die Großmutter So ein Leichtsinn, so ein Leichtsinn! Alfred Du weißt doch, daß ich alle Hebel in Bewegung gesetzt hab – aber es sollte halt nicht sein.

Stille.

Die Großmutter Bist ein armer Teufel, lieber Alfred –

Alfred Warum?

Die Großmutter Daß du immer solchen Weibern in die Hand fallen mußt –

Stille.

Die Großmutter Du, Alfred, Wenn du dich jetzt von deinem Marianderl trennst, dann tät ich dir was leihen – Stille.

Alfred Wieso?

Die Großmutter Hast mich denn nicht verstanden? Stille.

Alfred Wieviel?

Die Großmutter Bist doch noch jung und schön

Alfred  deutet auf den Kinderwagen: Und das dort?

Die Großmutter An das denk jetzt nicht. Fahr nur mal fort – Stille.

Alfred Wohin?

Die Großmutter Nach Frankreich. Dort gehts jetzt noch am besten, hab ich in der Zeitung gelesen. – Wenn ich jung wär, ich tät sofort nach Frankreich –

VI

Und wieder in der stillen Straße im achten Bezirk

Es ist bereits am späten Nachmittag und die Realschülerin im zweiten Stock spielt den »Frühlingsstimmen-Walzer« von Johann Strauß.

Oskar  steht in der Tür seiner Fleischhauerei und manikürt sich mit seinem Taschenmesser.

Rittmeister  kommt von links und grüßt Oskar.

Oskar  verbeugt sich.

Rittmeister Also das muß ich schon sagen: die gestrige Blutwurst – Kompliment! First class!

Oskar Zart, nicht?

Rittmeister Ein Gedicht. Er nähert sich der Tabak-Trafik.

Valerie  erscheint in der Tür ihrer Tabak-Trafik.

Rittmeister  grüßt.

Valerie  dankt. 

Rittmeister Dürft ich mal die Ziehungsliste?

Valerie  reicht sie ihm aus dem Ständer vor der Tür.

Rittmeister Küß die Hand! Er vertieft sich in die Ziehungsliste und nun ist der Walzer aus.

Zauberkönig  begleitet die gnädige Frau aus der Puppenklinik.

Die gnädige Frau Ich hatte hier schon mal Zinnsoldaten gekauft, voriges Jahr – aber damals ist das ein sehr höfliches Fräulein gewesen.

Zauberkönig  mürrisch: Möglich.

Die gnädige Frau Das Fräulein Tochter?

Zauberkönig Ich habe keine Tochter! Ich hab noch nie eine Tochter gehabt!

Die gnädige Frau Schad. Also Sie wollen mir die Schachtel Zinnsoldaten nicht nachbestellen?

Zauberkönig Ich hab das Ihnen doch schon drinnen gesagt, daß mir diese Nachbestellerei viel zu viel Schreiberei macht – wegen einer einzigen Schachtel! Kaufens doch dem herzigen Bams was ähnliches! Vielleicht eine gediegene Trompeten!

Die Gnädige Frau Nein! Adieu! Sie läßt ihn verärgert stehen und ab.

Zauberkönig Küß die Hand! Krepier! Ab in seine Puppenklinik.

Valerie  boshaft: Was haben wir denn wieder gewonnen, Herr Rittmeister?

Erich  tritt aus der Tabak-Trafik und will rasch ab.

Valerie Halt! Was hast du da?

Erich Fünf Memphis.

Valerie Schon wieder? Raucht wie ein Erwachsener!

Rittmeister und Oskar  horchen.

Erich  gedämpft: Wenn ich nicht rauche, kann ich nicht arbeiten. Wenn ich nicht arbeite, werde ich niemals Referendar – und wenn ich das nicht werde, dann werde ich wohl kaum jemals in die Lage kommen, meine Schulden rückerstatten zu können.

Valerie Was für Schulden?

Erich Das weißt du! Ich bin korrekt, Madame.

Valerie Korrekt? Du willst mir schon wieder weh tun?

Erich Weh tun? Ehrensache! Ich zahle meine Schulden bis auf den letzten Pfennig – und wenn ich hundert Jahr zahlen müßte! Wir lassen uns nichts nachsagen, Ehrensache! Ich muß jetzt ins Kolleg! Ab.

Valerie  starrt ihm nach: Ehrensache. Bestie –

Rittmeister und Oskar  grinsen, jeder für sich.

Rittmeister  revanchiert sich boshaft: Und wie gehts ansonsten, liebe Frau Valerie?

Erich  erscheint plötzlich wieder; zum Rittmeister:  Sie haben zuvor gegrinst? Herr!

Valerie  ängstlich: Kennen sich die Herren schon?

Rittmeister Vom Sehen aus –

Erich Sie sind Österreicher? Fesch, aber feig!

Valerie Erich!

Rittmeister Was hat er gesagt?

Erich Ich habe gesagt, daß die Österreicher im Krieg schlappe Kerle waren und wenn wir Preußen nicht gewesen wären –

Rittmeister  fällt ihm ins Wort: Dann hätten wir überhaupt keinen Krieg gehabt!

Erich Und Sarajevo? Und Bosnien-Herzegowina?

Rittmeister Was wissen denn Sie schon vom Weltkrieg, Sie Grünschnabel?! Was Sie in der Schul gelernt haben und sonst nichts!

Erich Ist immer noch besser, als alten Jüdinnen das Bridgespiel beizubringen!

Valerie Erich!

Rittmeister Ist immer noch besser, als sich von alten Trafikantinnen aushalten zu lassen!

Valerie Herr Rittmeister!

Rittmeister Pardon! Das war jetzt ein Fauxpas! Ein Lapsus linguae – Er küßt ihre Hand. Bedauerlich, sehr bedauerlich. Aber dieser grüne Mensch da hat in seinem ganzen Leben noch keine fünf Groschen selbständig verdient!

Erich Herr!

Valerie Nur kein Duell, um Gottes willen!

Erich Satisfaktionsfähig wären Sie ja.

Rittmeister Wollen Sie vors Ehrengericht?

Valerie Jesus Maria Josef!

Erich Ich laß mich doch nicht beleidigen!

Rittmeister Mich kann man gar nicht beleidigen! Sie nicht!

Valerie Aber ich bitt euch! Nein, dieser Skandal –

Schluchzend ab in ihre Tabak-Trafik.

Rittmeister Ich laß mir doch von diesem Preußen keine solchen Sachen sagen. Wo waren denn Ihre Hohenzollern, als unsere Habsburger schon römisch-deutsche Kaiser waren?! Draußen im Wald!

Erich Jetzt ist es ganz aus. Ab.

Rittmeister  ruft ihm nach: Da habens zwanzig Groschen und lassen Sie sich mal den Schopf abschneiden, Sie Kakadu! Er kehrt um und will leger nach links ab – hält aber nochmals vor der Fleischhauerei; zu Oskar. Apropos, was ich noch hab sagen wollen: Sie schlachten doch heut noch die Sau?

Oskar Ich habs vor, Herr Rittmeister.

Rittmeister Geh, reservierens für mich ein schönes Stückerl Nieren –

Oskar Aber gern, Herr Rittmeister!

Rittmeister Küß die Hand! Ab nach links – und nun spielt die Realschülerin im zweiten Stock wieder, und zwar den Walzer »Über den Wellen«.

Alfred  kommt langsam von links.

Oskar  wollte zurück in seine Fleischhauerei, erblickt nun aber Alfred, der ihn nicht bemerkt, und beobachtet ihn heimlich.

Alfred  hält vor der Puppenklinik und macht in Erinnerung – dann stellt er sich vor die offene Tür der Tabak-Trafik und starrt hinein. Pause.

Alfred  grüßt.

Pause.

Valerie  erscheint langsam in der Tür – und der Walzer bricht wieder ab, wieder mitten im Takt.

Stille.

Alfred Könnt ich fünf Memphis haben?

Valerie Nein.

Stille.

Alfred Das ist aber doch hier eine Tabak-Trafik – oder?

Valerie Nein.

Stille.

Alfred Ich komm jetzt hier nur so vorbei, per Zufall –

Valerie Ach!

Alfred Ja.

Stille.

Valerie Und wie geht es dem Herrn Baron?

Alfred So lala.

Valerie Und dem Fräulein Braut?

Alfred Auch lala.

Valerie Ach!

Stille.

Alfred Und dir gehts unberufen?

Valerie Man hat, was man braucht.

Alfred Alles?

Valerie Alles. Er ist Jurist.

Alfred Und so was wird mal Advokat.

Valerie Bitte?

Alfred Ich gratulier.

Stille.

Valerie Wo steckt denn die arme Mariann?

Alfred Ich werd sie wohl aus den Augen verlieren –

Stille.

Valerie Also du bist schon ein grandioser Schuft, das muß dir dein größter Feind lassen.

Alfred Valerie. Wer unter euch ohne Sünden ist, der werfe den ersten Stein auf mich.

Valerie Bist du krank?

Alfred Nein. Nur müd. Und gehetzt. Man ist ja nicht mehr der Jüngste.

Valerie Seit wann denn?

Alfred Ich fahr noch heut abend nach Frankreich. Nach Nancy. Ich denk nämlich, daß ich dort vielleicht was Passenderes für mich bekommen werd, in der Speditionsbranche – hier müßt ich heut nämlich zu sehr unter mein Niveau herunter.

Valerie Und was machen denn die Pferdchen?

Alfred Keine Ahnung! Und dann fehlt mir auch das Kapital –

Stille.

Valerie Wenn ich Zeit hab, werd ich dich bedauern.

Alfred Möchst, daß es mir schlecht geht?

Valerie Gehts dir denn rosig?

Alfred Möchst das hören?

Stille.

Valerie Ich bin jetzt hier nur so vorbeigegangen, per Zufall – so aus einer wehmütigen Melancholie heraus – an die Stätten der Vergangenheit – Ab – und nun wird der Walzer »Über den Wellen« wieder weitergespielt.

Valerie  erblickt Oskar: Herr Oskar! Jetzt ratens doch mal, mit wem ich grad dischkuriert hab?

Oskar Ich hab ihn gesehen.

Valerie So? Es geht ihnen schlecht.

Oskar Ich hab alles gehört.

Pause.

Valerie Noch ist er stolz wie ein Spanier –

Oskar Hochmut kommt vor dem Fall. – Arme Mariann –

Valerie Mir scheint gar, Sie sind imstand und heiraten noch die Mariann, jetzt nachdem sie wieder frei ist –

Oskar Wenn sie das Kind nicht hätt –

Valerie Wenn mir jemand das angetan hätt –

Oskar Ich hab sie noch immer lieb – vielleicht stirbt das Kind –

Valerie Herr Oskar!

Oskar Wer weiß! Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber furchtbar klein. Ich werd an meine Mariann denken – ich nehme jedes Leid auf mich, wen Gott liebt, den prüft er. – Den straft er. Den züchtigt er. Auf glühendem Rost, in kochendem Blei –

Valerie  schreit ihn an: Hörens auf, seiens so gut!

Oskar  lächelt.

Havlitschek  kommt aus der Fleischhauerei: Also was ist jetzt? Soll ich jetzt die Sau abstechen oder nicht?

Oskar Nein, Havlitschek. Ich werd sie jetzt schon selber abstechen, die Sau – Jetzt läuten die Glocken. 

VII

Im Stephansdom

Vor dem Seitenaltar des heiligen Antonius. Marianne beichtet. Die Glocken verstummen und es ist sehr still auf der Welt. 

Beichtvater Also rekapitulieren wir: Du hast deinem armen alten Vater, der dich über alles liebt und der doch immer nur dein Bestes wollte, schmerzlichstes Leid zugefügt, Kummer und Sorgen, warst ungehorsam und undankbar – hast deinen braven Bräutigam verlassen und hast dich an ein verkommenes Subjekt geklammert, getrieben von deiner Fleischeslust – still! Das kennen wir schon! Und so lebst du mit jenem erbärmlichen Individuum ohne das heilige Sakrament der Ehe schon über das Jahr, und in diesem grauenhaften Zustand der Todsünde hast du dein Kind empfangen und geboren – wann?

Marianne Vor acht Wochen.

Beichtvater Und du hast dieses Kind der Schande und der Sünde nicht einmal taufen lassen. – Sag selbst: kann denn bei all dem etwas Gutes herauskommen? Nie und nimmer! Doch nicht genug! Du bist nicht zurückgeschreckt und hast es sogar in deinem Mutterleib töten wollen –

Marianne Nein, das war er! Nur ihm zulieb hab ich mich dieser Prozedur unterzogen!

Beichtvater Nur ihm zulieb?

Marianne Er wollte doch keine Nachkommen haben, weil die Zeiten immer schlechter werden und zwar voraussichtlich unabsehbar – aber ich – nein, das brennt mir in der Seele, daß ich es hab abtreiben wollen, ein jedesmal, wenn es mich anschaut –

Stille.

Beichtvater Ist das Kind bei euch?

Marianne Nein.

Beichtvater Sondern?

Marianne Bei Verwandten. Draußen in der Wachau.

Beichtvater Sind das gottesfürchtige Leut?

Marianne Gewiß. Stille.

Beichtvater Du bereust es also, daß du es hast töten wollen?

Marianne Ja.

Beichtvater Und auch, daß du mit jenem entmenschten Subjekt in wilder Ehe zusammenlebst? Stille.

Marianne Ich dachte mal, ich hätte den Mann gefunden, der mich ganz und gar ausfüllt. –

Beichtvater Bereust du es? Stille.

Marianne Ja.

Beichtvater Und daß du dein Kind im Zustand der Todsünde empfangen und geboren hast – bereust du das?

Stille.

Marianne Nein. Das kann man doch nicht –

Beichtvater Was sprichst du da?

Marianne Es ist doch immerhin mein Kind –

Beichtvater Aber du –

Marianne  unterbricht ihn: Nein, das tu ich nicht. – Nein, davor hab ich direkt Angst, daß ich es bereuen könnt. – Nein, ich bin sogar glücklich, daß ich es hab, sehr glücklich –

Stille.

Beichtvater Wenn du nicht bereuen kannst, was willst du dann von deinem Herrgott?

Marianne Ich dachte, mein Herrgott wird mir vielleicht etwas sagen –

Beichtvater Du kommst also nur dann zu Ihm, wenn es dir schlecht geht?

Marianne Wenn es mir gut geht, dann ist Er ja bei mir – aber nein, das kann Er doch nicht von mir verlangen, daß ich das bereu – das wär ja wider jede Natur –

Beichtvater So geh! Und komme erst mit dir ins reine, ehe du vor unseren Herrgott trittst. – Er schlägt das Zeichen des Kreuzes.

Marianne Dann verzeihen Sie. – Sie erhebt sich aus dem Beichtstuhl, der sich nun auch in der Finsternis auflöst – und nun hört man das Gemurmel einer Litanei; allmählich kann man die Stimme des Vorbeters von den Stimmen der Gemeinde unterscheiden; Marianne lauscht – die Litanei endet mit einem Vaterunser; Marianne bewegt die Lippen. Stille.

Marianne Amen. Stille.

Marianne Wenn es einen lieben Gott gibt – was hast du mit mir vor, lieber Gott? – Lieber Gott, ich bin im achten Bezirk geboren und hab die Bürgerschul besucht, ich bin kein schlechter Mensch – hörst du mich? – Was hast du mit mir vor, lieber Gott? – Stille.

Ende des zweiten Teiles


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