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Zweiter Akt

V Im Hauptquartier der schwarzen Armee

Ein Fort. Sladek ist noch in Zivil. Er steigt mit Halef, Horst und Rübezahl unter die Erde hinab.

Sladek Wann faß ich meine Uniform?

Rübezahl Das wird eine Galauniform, du Gardist!

Halef Mit Fangschnüren und Pour le mérite. Nimm Platz, Herr Sladek. Wir sind bei Muttern. Drei Meter unter der Erde.

Sladek setzt sich: Ich dachte, sechs Meter.

Halef Vielleicht. Auch das. Wie gesagt.

Rübezahl Jetzt möcht ich mich rasieren.

Sladek Ist das hier das Fort, das Hauptquartier?

Halef Zu Befehl. Wir sind noch ungeborene Seelen. Wir warten auf den Storch und hoffen, nicht abgetrieben zu werden. Ich quatsch viel. Bist du auch nervös?

Sladek Nein.

Horst Es hat stark geregnet, zuvor.

Halef Ob es noch immer regnet? Wenn ich was geworden wär, wär ich Komiker geworden. Man muß sich nur auslachen lassen und verdient Geld.

Sladek ernst: Das ist sehr komisch.

Halef Ja.

Rübezahl Ich möcht wiedermal auf eine Redoute. In Frack und steifer Brust. Ab und zu verblöde ich, dann möcht ich Großkaufmann sein. Konfektion.

Halef Du warst doch Reisender?

Rübezahl Kurz –

Halef Weißt du, was mir an dem Fräulein mißfällt? Daß sie braune Zähne hat.

Sladek Sie hat keine Seele. Sie betrügt.

Halef Hast du eine Seele?

Sladek Was ist das: Seele?

Halef Du hast doch soeben gesagt, daß das Fräulein keine Seele hat!

Sladek Ich?

Rübezahl Du! Heilige Großmutter Gottes!

Sladek Ich muß mich versprochen haben.

Horst Frauen sind Formen. Sie regen uns an.

Sladek Wenn sie nur anregen würden. Zum Beispiel diese Anna –

Rübezahl unterbricht ihn: Halt das Maul! Halt das Maul!

Halef Mein Herr. Es ist hier Sitte, daß man darüber nicht spricht, zumindest inoffiziell nicht. Du mußt dich den Gesetzen des gesellschaftlichen Lebens fügen.

Stille.

Horst Ob es noch immer regnet?

Rübezahl Zu guter Letzt sind die Dreckjuden selbst daran schuld.

Halef Nicht?

Horst Ja.

Sladek Wann faß ich die Uniform?

Halef Es müssen noch einige Formalitäten erledigt werden.

Sladek Was für Formalitäten? Er erhebt sich.

Rübezahl Halt! Wohin?

Sladek Ich muß mal.

Halef Du bleibst.

Sladek Aber ich muß –

Halef Beherrsch dich.

Sladek Wieso?

Halef Wir haben Befehl, einen gewissen Sladek schärfstens zu bewachen. Du bist gefangen.

Sladek Gefangen?

Halef Vorerst.

Sladek Was hab ich denn getan?

Halef Eine große Dummheit, du Idiot. Was hast du gesagt, Rindvieh? Daß sie unschuldig war, hast du gesagt. Das hat der Salm sofort dem Hauptmann gemeldet. Es gibt viele Unschuldige, du Trottel. Auch an Halsentzündungen sterben Unschuldige, aber so darf man nicht denken, du Maulesel.

Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.

Rübezahl Wie oft sagst du das in einer Stunde?

Halef Es dreht sich ja nur um Formalitäten, aber solche Formalitäten werden hier mit besonderer Liebe behandelt.

Stille.

Sladek hat sich wieder gesetzt; zu Halef: Bist du Türke?

Halef Ich?

Sladek Ja. Weil du Halef heißt. Ich kannte einen Halef, der hat türkischen Honig verkauft. Aber der hieß eigentlich auch nicht Halef.

Halef Ich verkaufe türkischen Honig und bin ein geborener Sachse.

Sladek Dresden soll schön sein.

Horst Wer war schon in Nürnberg?

Rübezahl Nürnberg ist schön.

Horst Ja. Dort haben sie eine herrliche Folterkammer in der Burg. Ich habe nach der ersten Kommunion meine Großmutter besucht, die lebt in Nürnberg. Die kennt jede Daumenschraube, die hat mir das alles erklärt. Meine Mutter hat Krämpfe bekommen, ich und meine Großmutter haben lachen müssen. Zum Beispiel die eiserne Jungfrau – Hauptmann, Salm, Knorke kommen. Rübezahl ab, knapp an Hauptmann vorbei, ohne ihn zu grüßen.

Hauptmann hält einen Augenblick und sieht ihm nach; tritt dann rasch auf Sladek zu, der sich erhoben hat: Sladek, ich habe erfahren, daß du der Überzeugung bist, die Landesverräterin Anna Schramm sei unschuldig hingerichtet worden.

Sladek Sie wollt nichts verraten, hat sie mir gesagt. Ich glaub keiner Frau, aber diesmal wars eine außerordentliche Ausnahme.

Hauptmann Sie war also unschuldig?

Sladek Ja.

Hauptmann Und?

Sladek Da gibts kein Und. Es läßt sich nämlich nichts ändern.

Hauptmann Und wenn es sich ändern ließe?

Sladek Man kann nicht.

Hauptmann Du hast Halt gerufen. Weißt du, daß man unter Umständen mit einem solchen Halt die nationale Revolution vernichten kann?

Sladek Daran hab ich nicht gedacht. Ich hab nur an die Gerechtigkeit gedacht. Es war mir plötzlich, als wären meine Ansichten über die Natur falsch und ich hätt die Wahrheit vergessen. Ich kann nämlich selbständig denken –

Hauptmann unterbricht ihn: Halt das Maul! Du hast nicht selbständig zu denken! Du bist Soldat. Dreitausend Sladeks sind erst ein Regiment. Du bist nur ein Teil. Selbständige Teile sind überflüssig, also schädlich, also werden sie vernichtet. Verstanden?

Sladek Ja.

Hauptmann Und betreffs der Unschuld deiner Anna Schramm: Für das Vaterland muß jeder Soldat jede Schuld tragen. Jederzeit.

Sladek Man kann ja nichts dafür.

Hauptmann Du hast dafür zu können! Das ist deine Pflicht! Du weißt, was Pflicht ist? Gehorchen. Bedingungslos. – Solltest du dich noch einmal unterstehen Halt zu rufen, so sperre ich dich ein bis zum Jüngsten Gericht. Du weißt, wohin. Abtreten! Er läßt ihn stehen.

Sladek zu Halef: Darf ich jetzt austreten?

Halef Du darfst. Halt! Glaubst du an das Jüngste Gericht?

Sladek Nein. Ich bin nicht religiös. Ab.

Hauptmann zu Salm: Du hast diesen Krüppel gebracht, behalt ihn.

Salm Danke.

Hauptmann Er hat sich bereits außerordentlich bewährt und kann selbständig denken.

Knorke Freilich ist er blöd, aber besser blöd als feig. Ich kannte seinen Bruder, wir haben nebeneinander gewohnt, als ich aus Tsingtau kam, vor dem Krieg. Der war sehr klug und gebildet, aber im Felde mußte man ihn hängen, weil er bei einem Sturmangriff seinen Feldwebel von hinten erschossen hat. Die Sladeks sind alle verbittert. Es war mal eine bessere Familie.

Hauptmann Ich wiederhole: Die Art dieser letzten Bestattung ist in ihrem unglaublichen Leichtsinn nicht zu überbieten. Ihr habt gesoffen?

Salm Keinen Tropfen.

Hauptmann So seid ihr gefährlich großzügig. – Ich bin von lauter Verrätern umgeben, aber ich fange immer nur die Vorhut, an die Leitung komme ich nicht heran, ich bin zu ehrlich.
Der Bundessekretär erscheint. Salm, Knorke, Halef, Horst ab. Stille. Fixiert den Bundessekretär.
Sie kommen aus Berlin?

Der Bundessekretär Von der maßgebenden Stelle.

Hauptmann Sie sehen: Ich bin bereit.

Der Bundessekretär Danke.

Hauptmann Schnarcht die maßgebende Stelle noch? Sie wird unter dem Sowjetstern erwachen.

Der Bundessekretär Die politische Verantwortung fordert, für die bewaffnete Aktion den günstigsten Augenblick abzupassen.

Hauptmann Ich warte.

Der Bundessekretär Wir haben zwar die Ministerliste, aber die Führer der Verbände müssen noch manche Frage bereinigen.

Hauptmann Ich warte.

Der Bundessekretär Die sind sich noch nicht einig, Nord und Süd!

Hauptmann Ich warte. Vorerst!

Der Bundessekretär Das wissen wir. Deshalb bin ich da.

Hauptmann Freut mich!

Der Bundessekretär Umso besser! Sie sind ein Mensch, dem man ab und zu seine Lage klar machen muß. Sie samt Ihren Soldaten unterstehen einer maßgebenden Stelle, die die geheime, gegen alle außenpolitischen Verpflichtungen erfolgte Aufstellung Ihrer Armee vor der Republik mit dem Schutze vor äußeren Feinden begründet, in Wahrheit aber die nationale Diktatur erstrebt. Offiziell muß die maßgebende Stelle republikanisch tun, um inoffiziell die Republik unterhöhlen zu können. Offiziell tragen Sie die Verantwortung, inoffiziell befiehlt die maßgebende Stelle. Sie können praktisch nur bestehen, weil und solange Sie offiziell nicht bestehen. Vorerst existieren Sie überhaupt nicht.

Hauptmann Danke. Die maßgebende Stelle ist feig. Sie betet um die nationale Revolution, aber drückt sich vor jedem festen Entschluß. Das liegt an der Berliner Luft.

Der Bundessekretär Und der preußischen Regierung.

Hauptmann Es muß kommen, wie in Ungarn.

Der Bundessekretär Die Diktatur. Plebs bleibt Plebs. Gäbs keine Neger am Rhein und keine Inflation, fühlten sich unsere lieben Deutschen in Schwarzrotdreck sauwohl.

Hauptmann Nie. Ich glaube an den zweiten Befreiungskrieg. Mit dem Sturze der Republik stürzt auch Versailles.

Der Bundessekretär Kaum.

Hauptmann Oho!

Der Bundessekretär Kaum, Hauptmann. Unsere Truppen und vor allem unsere Waffen reichen wohl zur Niederschlagung des inneren, aber niemals des äußeren Feindes. Die nationale Diktatur wird die Erfüllungspolitik der Rathenau und Genossen weiterführen müssen. Predigen wir das Gegenteil, so nur als Propaganda. Wir lügen dabei nicht, denn zu guter Letzt ist alles möglich.

Stille.

Hauptmann Ich sehe, man treibt mit mir wieder ein unehrliches Spiel. Ich glaube, die maßgebende Stelle wäre sogar imstande, mich dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik auszuliefern.

Der Bundessekretär Wenn Sie ohne Erlaubnis anfangen wollten zu existieren, ja.

Hauptmann Wenn alles mißglückt, jederzeit. Dann wird an meine nationale Treue appelliert, damit ich alles allein verantworten darf. Auch meine Justiz.

Der Bundessekretär Was für Justiz?

Hauptmann Spielen Sie nicht die unberührte Jungfrau, Feigling. Leute wie Sie sollten politisch links stehen. Sagen Sie der maßgebenden Stelle einen schönen Gruß, und wenn sich die vertrottelten Oberlehrer und verkalkten Exzellenzen in den Bünden und Verbänden, Orden und Parteien nicht bald einigen, dann fange ich an zu existieren! Die nationale Bewegung wäre ein Debattierklub ohne meine Arbeit! Ich habe die Truppen gesammelt, ich habe die Gewalt, ich bin die Macht! Ich marschiere auch allein! Die nationale Revolution bin ich! Ich und meine Kameraden, der Landsknecht hat schon einmal einen Staat gerettet, wir haben Spartakus erschlagen, im Baltikum gekämpft, in Oberschlesien – und?! Wir lassen uns nicht wieder vogelfrei vertreiben, verachtet, verspottet, verdreckt! Der Bundessekretär lächelt sarkastisch; verbeugt sich steif und rasch ab. Hauptmann allein; starrt ihm nach; geht auf und ab. Trompetensignal. Hält und lauscht; grinst; knurrt. Ich marschiere, ich marschiere –

Halef kommt: Hauptmann!

Hauptmann Was gibts?

Halef Der Salm läßt fragen, was mit dem Kerl geschehen soll, den der Posten gestern beschlagnahmt hat – der drunten liegt. Er hat soeben gestanden, daß er uns für fünfzig Dollar an die Interalliierte Kontrollkommission verraten wollte.

Hauptmann Das hat er gelogen. Der verrät nichts für fünfzig Dollar, das habe ich gleich gesehen. Hinter dem steht eine andere Macht. – Man muß ihn mit besonderer Vorsicht verhören.

Halef Soll er noch geprügelt werden?

Hauptmann Wer hat ihn geprügelt?

Halef Ich nicht.

Hauptmann Wer?

Halef Rübezahl.

Stille.

Hauptmann Du. Ist das wahr, daß dieser Rübezahl gedroht hat, mich für den Fall, daß er kein Geld von mir bekommt, glattweg niederzuknallen?

Halef Er war besoffen.

Hauptmann Besoffen oder nüchtern! Du hast das gehört?

Halef Ich war dabei.

Hauptmann Ich muß darauf bestehen, daß mir dergleichen sofort gemeldet wird!

Halef Ruhe, Herr General! Ruhe. Wagst du, einen derart verdienstvollen Mann zu bestrafen, und wenn ja, kannst du es denn? Nein. Du kannst dich nur lächerlich machen. Sonst nichts.

Rübezahl erscheint: Majestät. Ich hab soeben gehorcht. Er grinst.

Hauptmann Du bekommst deinen Teil.

Rübezahl Das klingt komisch.

Hauptmann Abtreten.

Rübezahl Drohst du mir? Du? Mir?

Hauptmann Nein. Denn ich habe Angst, daß du mich niederknallst.

Rübezahl grinst: Fürchte dich nicht, Liliputaner!

Hauptmann Zurück! Hinaus!

Rübezahl Bell nicht, Pintscher! Bell nicht, sonst schlag ich dir die Koppel um das Maul, daß dir das Gott-mit-uns in der Fresse steht! Hauptmann fixiert ihn; beherrscht sich; rasch ab.

VI Immer noch unter der Erde

Franz lehnt an der Wand. Hauptmann kommt. Sladek folgt ihm mit aufgepflanztem Seitengewehr und hält in der Türe als Wache. Endlich in Uniform.

Hauptmann Sie haben also gestanden, daß Sie für fünfzig Dollar der französischen Spionagezentrale Material über geheime Rüstungen beschaffen sollten?

Franz Sind Sie hier das Oberkommando?

Hauptmann Ja.

Franz Werde ich wieder geprügelt?

Hauptmann Ich werde mich nicht entschuldigen, daß Sie mißhandelt worden sind, aber ich mißbillige es.

Franz Ich verlange, vor ein ordentliches Gericht gestellt zu werden.

Hauptmann Sie werden nach einem ordentlichen Gesetze bestraft.

Franz Ich verlange, nach dem Strafgesetzbuch abgeurteilt zu werden.

Hauptmann Solange das Strafgesetzbuch von der Interalliierten Militärkommission zensiert wird, solange bin ich das ordentliche Gericht im Namen des deutschen Volkes.

Franz Dazu haben Sie kein Recht.

Hauptmann Machen Sie sich nicht lächerlich.

Franz So schlachten Sie mich doch ab. Was wollen Sie denn noch von mir?

Hauptmann Sie werden nicht geschlachtet.

Franz Nein. Totgeprügelt.

Hauptmann Nein. Sie werden begnadigt. Unter einer Bedingung.

Franz Es gibt keine Bedingung, unter der ich begnadigt werden könnte.

Hauptmann Hier bin ich der Herr.

Franz Machen Sie sich nicht lächerlich.

Hauptmann Ich pflege mich nicht lächerlich zu machen, Sie! Ich verbitte mir jede Unverschämtheit. Hier bin ich der Herr.

Franz Ich wollte Sie nur aufmerksam machen, daß Sie mich nicht begnadigen dürfen, weil Sie ja befürchten müssen, daß ich alle ihre Geheimnisse verrate, sobald ich frei bin.

Hauptmann Sobald Sie frei sind, wird es keine Geheimnisse mehr geben. Ich warte nur auf das Signal der maßgebenden Stelle. Morgen oder übermorgen. Sobald ich marschiere, sind Sie frei. Auf mein Ehrenwort. Allerdings: Unter einer Bedingung.

Franz Bitte?

Hauptmann Ich weiß, wer Sie sind. Auch ich habe meine Spione. Es ist gelogen, daß Sie das Vaterland für fünfzig Dollar verkaufen wollten. Sie hätten es auch ohne einen Papierpfennig verraten, Sie sind Agent der dritten Internationale.

Franz Nein.

Hauptmann Doch! Sie spielen nur die Rolle des gemeinsten Verräters, um Ihre Genossen zu schützen! Meine Bedingung lautet: Lassen Sie mich die Waffenlager der Kommunistischen Partei erfassen, und Sie sind auf der Stelle begnadigt. Auf Ehrenwort.

Franz Die Kommunisten haben keine Waffen mehr. Spartakus ist tot.

Hauptmann Gibt es keine rote Armee?

Franz In Rußland.

Hauptmann Und in Deutschland.

Franz Nein. Hier gibt es nur Schwarz oder Weiß. Ich bin kein Agent der dritten Internationale. Ich bekämpfe jeden Terror, auch den roten.

Hauptmann Mit was denn?

Franz Mit der Kraft der Idee.

Hauptmann Idiot.

Franz Danke.

Hauptmann Sie sind sogenannter Pazifist?

Franz Ja.

Hauptmann Sie verraten aus Prinzip?

Franz Aus Prinzip.

Hauptmann Die eigene Armee.

Franz Jede Armee.

Hauptmann Nein! Nur die deutsche. Den Verbrechern von Versailles.

Franz Ich hasse Versailles.

Hauptmann Aber verraten den deutschen Soldaten der Kontrollkommission.

Franz Nein! Ich kenne keine Kontrollkommission. Ich kenne auch keine deutschen Soldaten, ich kenne nur Landsknechte der Reaktion, deren Geheimnis ich enthüllen wollte – Sie zielen auf Versailles und treffen das deutsche Volk. Sie und Versailles erstreben dasselbe: Die ewige Entrechtung des vierten Standes.

Hauptmann Sie Narr!

Franz Sie haben nur fünftausend Mann. Glauben Sie, daß Sie ohne schwere Artillerie, ohne Flugzeuge, ohne Tanks und ähnliche Mordmaschinen, mit nur fünftausend Soldaten den Versailler Vertrag zerreißen können?

Hauptmann Hätte ich nicht die schwarze Armee, wäre das ganze Vaterland längst vom Feinde besetzt.

Franz Sie vergessen, daß Sie ein Geheimnis sind. Wie kann sich denn der Feind vor Soldaten fürchten, von deren Existenz er nichts wissen darf? Herr! Sie marschieren nur gegen das eigene Volk. Gegen die deutsche Republik.

Hauptmann Was ist das: Deutsche Republik? Die Republik ist die Hure der Juden und Jesuiten. Sie sind sogenannter Pazifist. Das heißt: Ein Schuft ohne vaterländisches Verantwortungsgefühl.

Franz Ich bin Pazifist. Das heißt: Stärkstes Verantwortungsgefühl für den einzelnen Menschen.

Hauptmann schreit: Und Verrat am Vaterland! Der Einzelne ist eine Null!

Franz schreit: Es geht um Millionen Einzelne! Das Volk ist das Vaterland, und Krieg ist das größte Verbrechen am Volk! Was das Volk aufbaut, wird zerstört durch den Größenwahn der Berufssoldaten und die rücksichtslose Kalkulation verrückter Aktionäre! Es ist falsch kalkuliert worden. Die Bücher wurden aber bereits überprüft und die Betrüger verurteilt. Bald wird das Urteil vollstreckt, im Namen des Volkes. Das ist noch keine Republik, das wird erst eine!

Hauptmann Krieg ist ein Naturgesetz.

Franz Und wäre es ein Naturgesetz, so bekämpf ich eben die Natur! Ich stelle gegen die Anarchie der Zerstörung das Gesetz des Aufbaus, die Ordnung gegen das Chaos! Sie wollen zurück, ich vorwärts! Sie wollen die nationale Diktatur, das Zurücksinken in den Schlamm niedrigster Instinkte – Sie werden scheitern, und sollten Sie noch so fest überzeugt sein, recht zu haben. Ich stelle den einen Weltstaat gegen den verbrecherischen Wahnsinn der Raubstaaten! Ich kämpfe mit den Waffen der Idee, Sie können mich totschlagen, die Idee stirbt bekanntlich nie, aber Ihre Waffen sind bereits verrostet und werden bald zu Staub. Ihre Zeit der Raubritter ist in Blut und Dreck zusammengebrochen – ihr Tag ist versunken. Es ist noch tiefe Nacht. Wer die Nacht überlebt, der wird die Diktatur der Menschenrechte schauen.

Stille.

Hauptmann stiert ihn an: Sie haben sich selbst überführt. Ich ließ Sie quatschen. Wagen Sie noch zu leugnen, ein Agitator Moskaus zu sein?

Franz Ich habe nichts mit Moskau zu tun.

Hauptmann Sie wollen die Bedingung nicht erfüllen?

Franz Ich kenne kein kommunistisches Waffenlager.

Hauptmann Lügen Sie nicht, Feigling!

Stille.

Franz Ist es nicht feig, mich hier so abzuschlachten?

Hauptmann Es geht um das Vaterland.

Franz Sie betrachten sich als Vaterland?

Hauptmann fast etwas unsicher: Ich kämpfe für das Vaterland. Für seine Größe, seine alte Macht. Das verstehen Sie nicht. Deutschland kann nur unter der nationalen Diktatur gesunden. Ihr Weltreich ist Mist – vielleicht ein schöner Traum. Ich habe mich mit diesen Sachen nicht so beschäftigt. Ich bin Soldat. Ich hab einen traumlosen Schlaf.
Stille.
Ich biete Ihnen eine letzte Gelegenheit: Wollen Sie auf meine Bedingungen eingehen?

Franz Ich kann ja nicht. Ich bin kein Kommunist. Ich gehöre keiner Partei an. Ich bin allein.

Hauptmann Das ist gelogen. Weshalb hätten Sie denn gesagt, Sie wollten alles für fünfzig Dollar verraten, wenn Sie niemanden zu beschützen hätten?

Franz Ich habe gelogen, weil ich wußte, daß es damit aus ist. Wenn ich gesagt hätte, daß ich Pazifist bin und kein gemeiner Verräter, so hätte man mich länger gequält. Ich wollte möglichst rasch totgeprügelt werden. Es war reiner Egoismus.

Hauptmann Pazifismus ist Egoismus.

Franz lächelt: Richtig. Ich bin zu meinem persönlichsten Vergnügen hier, wie Sie ja wissen.

Stille.

Hauptmann Sie sind verrückt. Gemeingefährlich verrückt. Glauben Sie denn, Sie Narr, daß es jemals Frieden geben wird?

Franz Nein. Das glaube ich nicht. Er wankt etwas.

Hauptmann braust auf: Machen Sie keinen Narren aus mir, Sie!

Franz Ich mache mir keinen Narren aus Ihnen. Ich glaube, wir verstehen uns. Sie haben ja von Ihrem Standpunkte aus vollständig recht – es kommt aber nur auf die Höhe des Standpunktes an, und wie tief oder hoch man über dem eigenen Standpunkte stehen will – oder kann – Er faßt sich an den Kopf. Ich bitte das Verhör zu unterbrechen – auf kurze Zeit. Ich habe einen zu schweren Kopf. Man hat mir nämlich auf den Kopf geschlagen, das kommt davon – Er lächelt und setzt sich.

Hauptmann starrt ihn an; wendet sich plötzlich ab: Sladek!

Sladek Zu Befehl!

Hauptmann Falls die anderen zurückkommen sollten, so melde ihnen, du hättest Befehl, daß niemand diesen Mann in irgendeiner Form verhören darf. Du hast das durchzuführen. Verstanden?

Sladek Zu Befehl!

Hauptmann Hier verhöre nur ich. Ab.

Pause.

Sladek plötzlich: Sie werden dich nicht mehr schlagen.

Franz sieht ihn erstaunt an; spöttisch: Ich danke sehr.

Sladek Ich dank auch sehr, daß du mich nicht verraten hast.

Die Zwei fixieren sich.
Lächelt.
Ja, daß du nämlich nicht gesagt hast, daß du mich kennst. Ich hätt dadurch Unangenehmes gehabt, ich war nämlich leicht in einen Verdacht gekommen, der ja gar nicht stimmt, weil wir uns doch nur kennen, aber immer das Gegenteil denken.

Franz Wieso?

Sladek Das weißt du doch.

Franz Nein.

Sladek Das gibt es doch nicht.

Franz Wer bist du?

Sladek Ich?

Franz Ja, du.

Sladek Du kennst mich nicht?

Franz Nein.

Stille.

Sladek Ich hab dich gleich erkannt. Ich bin der Sladek.

Franz Sladek? Kenn ich nicht.

Sladek Du hast dich mal zur Diskussion gemeldet, man hätt dich fast erschlagen, aber das hätt mir leid getan, denn ich hab die Gerechtigkeit lieb, obwohl es sie nicht gibt. Wir haben debattiert, ich red nämlich nur gern mit intelligenten Menschen, die selbständig denken können, obwohl man das nicht soll. Ich bin nämlich ein sogenannter zurückgezogener Mensch. Ich erinner mich an jedes Wort.

Franz Ja, das war jene Diskussion. Aber an dich kann ich mich nicht erinnern.

Sladek Das tut mir leid, daß du mich vergessen hast.

Franz fast etwas spöttisch: Ich bitte um Verzeihung, aber ich kenne so viele Menschen –

Sladek unterbricht ihn: Bitte, bitte! Der einzelne zählt ja auch nichts, das ist natürlich, obwohl man da komische Erfahrungen machen kann.

Stille.

Franz Über was haben wir denn debattiert?

Sladek Das läßt sich nicht so einfach sagen. Zum Beispiel über das Morden in der Natur, das sich nicht ändert, über das Versöhnen, das es nie geben wird, und über die Gerechtigkeit, die es auch nicht gibt, aber wie gesagt, man kann da komische Erfahrungen machen. Wir haben über Weltpolitik debattiert. Deine Nase hat geblutet.

Stille.

Es freut mich, daß du zuvor gesagt hast, du glaubst nicht daran, daß es jemals Frieden geben wird, daß es also nur Gewalt gibt und sonst nichts. Daß du dich zu meiner Ansicht über den Sinn des Lebens bekehrt hast, das freut mich, denn du bist ein sogenannter intelligenter Mensch. Hörst du mich?

Franz hatte den Kopf in den Händen vergraben; apathisch: Ja

Sladek Es freut mich, daß ich wieder mit dir reden kann, hier komm ich kaum dazu, denn hier darf man nicht selbständig denken, es ist auch besser, aber man kann es sich nicht verbieten. Vielleicht leider.
Stille.
Der intelligente Mensch gibt seinen Denkfehler zu, ich denk heut auch etwas anders, obwohl ich immer recht gehabt hab, aber es war alles durcheinander. Nämlich ich hab den Fehler gemacht, daß ich mich in den sogenannten Mittelpunkt der Welt gestellt hab, mich, den Sladek, obwohl dieser Sladek nur ein Teil ist. Ich hab mich mit dem Vaterland verwechselt.
Stille.
Ich hab mir das alles genau überlegt. Der Einzelne ist nur ein Teil des Vaterlandes, und dieser Teil darf als Einzelner zum Beispiel nicht morden. Es wird zwar immer gemordet, weil man ja nicht anders kann, aber das darf der Einzelne nur als Teil, obwohl ja ganz zu guter Letzt alles für den Einzelnen ist. Es ist aber komisch, daß, wenn man sich als Teil selbständig macht, zum Beispiel beim Morden, man das Gefühl hat, als sollt man doch anders tun, obwohl man doch muß. Das ist sehr kompliziert.
Stille.
Hörst du mich?

Franz wie vorher: Ja.

Sladek Das sind so Sachen. Das ist dein Fehler, daß du sagst, du nimmst Rücksicht auf den einzelnen Teil. Wer das richtig tut, der muß sich zu guter Letzt selbst umbringen, denn es wird immer gemordet in der Natur. Dem geht es wie der Republik: Die will keinen umbringen, also wird sie umgebracht. Ohne Mord gibt es kein Leben, geht es nicht weiter. Es muß nämlich immer weiter gehen. Es wird zwar nicht besser, aber man weiß das nicht. Der einzelne Teil allein zählt nämlich nichts, man darf nur an das Ganze denken.
Stille.
Zum Beispiel für das Vaterland darf der Einzelne als Teil zum Beispiel jeden Mord begehen. Jederzeit. – Ich war mal bei der Hinrichtung einer Landesverräterin. Das war eine Frau.

Franz horcht auf.

Das erzähl ich jetzt nur dir, weil du nämlich auch ein intelligenter Mensch bist und ich komm hier wie gesagt nicht dazu, darüber zu reden.

Franz Bitte.

Sladek Eine Landesverräterin gehört im Interesse des Ganzen erledigt, das ist doch klar. Es war auch alles in Ordnung, auch wenn sie unschuldig gewesen sein sollte, aber wir konnten nicht anders, wir mußten sie hinrichten, das sind manchmal so Umstände. Auch Unschuldige müssen für das Ganze fallen, das wird nicht anders. Wir hatten recht. Das ist jetzt nur für dich persönlich, weil, wie gesagt, du selbständig denken kannst und vielleicht das verstehst. Nämlich ich versteh alles, nur das nicht, daß es mir manchmal ist, als hätten die Leut, die diese Frau hingerichtet haben, obwohl sie doch vollkommen im Recht waren, weil sie nicht anders tun konnten, doch Unrecht getan. Das ist sehr interessant.

Franz Sehr.

Stille.

Wer war diese Frau?

Sladek Das ist Geheimnis. Dieses Ganze, verstehst du, ist nur unter uns –

Franz Meinst du?

Sladek Das hab ich nur dir gesagt, bitte.

Franz Warum?

Sladek Es ist nur unter uns. Unter uns beiden.

Franz spöttisch: Ich danke dir für das große Vertrauen.

Sladek Du wirst mich nicht betrügen.

Franz Wieso?

Sladek Bitte.

Stille.

Franz nähert sich ihm: Du betrügst dich selbst. Du denkst als Teil zu selbständig, davon werden Deinesgleichen blöd. Jetzt weiß ich, wer du bist.

Sladek Jetzt erst?

Franz Du bist der Sladek.

Sladek Ja.

Franz Das ist sehr interessant. Ich weiß auch, wer deine »Landesverräterin« war.

Sladek Wer?

Franz Sie hieß Anna.

Sladek Nein!

Franz Doch! Und ihr »Henker« heißt Sladek.

Sladek Lüg nicht!

Franz Das ist sehr interessant, Herr Sladek, denn die Justiz hat noch keine Ahnung, daß dieses Verbrechen eine »Hinrichtung im Interesse des Vaterlandes« ist. Die Polizei nimmt Mord an, einen höchst »selbständigen« Mord.

Sladek Ich bin kein Mörder.

Franz In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Die Polizei sagt, wie der Herr es in jeder Zeitung nachlesen kann, daß es ein verkommenes Subjekt namens Sladek war, das die mütterliche Liebe einer alternden Frau in egoistischster Weise ausnützte. Ein arbeitsscheuer Lump, ließ er sich aushalten und trieb sich mit ihren kleinen Ersparnissen, die er ihr aus dem Schranke stahl, mit Huren herum. Und weil sie das nicht mehr mitansehen wollte, hat er sie in bestialischer Weise ermordet. Die Hauseinwohner hörten Frau Schramm »Sladek«! rufen und fanden sie abgeschlachtet. Auf die Ergreifung des Mörders hat der Staatsanwalt eine Belohnung ausgesetzt.

Sladek Wieviel?

Franz Viel.

Stille.

Sladek Das ist alles nicht wahr. Das ist alles ganz anders gewesen.

Franz Das war alles für das Vaterland?

Sladek Ja, aber es gibt keine Gerechtigkeit.

Franz Es gibt auch keine, aber wir haben Justiz und Polizei, solange es so selbständig denkende Sladeks geben wird.

Sladek Es ist arg, daß man denken kann.

Hauptmann kommt: Ich sehe, Sie haben sich schon erholt. – Sladek! Was wollte er von dir? Bist du taub, Idiot?

Sladek Er hat nur gefragt, wann er wieder verhört wird.

Hauptmann Jetzt. – Sie haben mich betrogen. Sie hätten sich gar nicht zu erholen brauchen.

Franz Ich habe Sie nicht betrogen.

Hauptmann Sie Komödiant. Sie mußten das Verhör abbrechen, weil Sie sich selbst widersprochen haben und nicht weiter fanden! Ich lasse nicht locker! Es dreht sich um Ihre Behauptung, Sie glaubten nicht, daß es jemals Frieden geben wird. Dabei haben Sie den Mut, mir einreden zu wollen, Sie seien kein Agent Moskaus und kämpften lediglich mit den ›Waffen der Idee‹, Sie seien Pazifist und predigten den ewigen Frieden! Antwort!

Franz Daß Sie sich über diesen scheinbaren Widerspruch derart den Kopf zerbrechen, hat wohl weniger seinen Grund in Ihrer unberechtigten Empörung, betrogen worden zu sein, als in dem berechtigten Gefühl, erkannt worden zu sein.

Hauptmann Ich verbitte mir das!

Franz Sie verstehen mich, das habe ich Ihnen bereits gesagt. Denn Sie sind ja ganz meiner Meinung, nur können Sie es nicht vertragen zu hören, wie Sie eigentlich denken, und deshalb wollen Sie mich zwingen, das Gegenteil zu behaupten.

Hauptmann Sie sind wirklich verrückt.

Franz lächelt: Ja, gemeingefährlich. Und was den ewigen Frieden anlangt, so glaube ich wirklich nicht daran, aber ich predige ihn, da ich zu guter Letzt an keinen Fortschritt glaube, weil ich weiß, daß es nur einen Fortschritt gibt, wenn man keine Rücksicht auf den einzelnen Menschen nimmt. Es dreht sich doch zu guter Letzt alles um den einzelnen Menschen, darum predige ich den radikalsten Fortschritt, das Reich der unpersönlichen Masse. Es gibt nämlich keinen Fortschritt, solange es die Einzelnen gibt. Das ist doch alles Betrug, nicht wahr? – Sie nehmen zwar keine Rücksicht auf den einzelnen Menschen, Sie sind die Diktatur. Sie predigen nicht den Frieden, Sie erklären den Krieg und glauben doch an keinen Fortschritt. Ich auch nicht. Aber vielleicht gibt es doch einen Fortschritt, und wir Beide täuschen uns nur. Das wäre doch möglich, nicht wahr? Die Pflicht abzutreten oder fanatisch das Gegenteil zu behaupten, sonst werden sie ja verrückt vor Verzweiflung oder Überhebung. Wir müssen bei einer bestimmten Grenze aufhören zu denken, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Ich habe kein Recht, das Hoffen des einzelnen Menschen auf den Frieden zu zerstören. Ich habe die Pflicht zum Betrug. Und ganz zu guter Letzt ist das ja gar kein Betrug, denn es dreht sich ja eigentlich nicht darum, wie es der Menschheit tatsächlich ergeht, sondern was sich der einzelne Mensch einbildet. Wir verstehen uns.

Hauptmann Nein. Ich bin kein Betrüger. Die nationale Diktatur wird dem deutschen Vaterlande seine stolze Weltmachtstellung zurückerobern, trotz aller überstaatlichen Mächte! Das ist mein Glaube!

Franz Ist das kein Betrug?

Hauptmann Ich verbitte mir das!

Franz Sie sind überzeugt, daß die Rückeroberung einer sogenannten stolzen Weltmachtstellung wirklich zu guter Letzt eine Besserung bedeutet?

Hauptmann Das »zu guter Letzt« geht mich nichts an!

Franz Sehen Sie!

Hauptmann Was?

Franz Denn zu guter Letzt dreht es sich hier nur um Ihre einzelne Person. Das wird Ihnen manchmal klar.

Hauptmann Wieso?

Franz Ich habe Ihnen schon gesagt: Die Zeit der Raubritter ist vorbei: Ihre Zeit. Sie werden scheitern, denn Sie müssen scheitern.

Hauptmann Was Sie nicht sagen, Sie Prophet!

Franz Ich glaube es zu wissen.

Hauptmann Das ist Ihr Betrug!

Franz lächelt: »Zu guter Letzt« vielleicht. Aber das »zu guter Letzt« geht mich nun nichts mehr an, da Sie Ihren Standpunkt verleugnen.

Hauptmann Was für Standpunkt?

Franz Höher oder tiefer. Sie haben kein Recht, um Ihrer einzelnen Person willen rücksichtslos nach Ihrer Erkenntnis zu handeln. – Vielleicht habe ich mich aber geirrt, und Sie können vielleicht gar keine Pflichten haben.

Hauptmann Quatsch! Du Idiot. Du Philosoph. – Und was meine Zeit betrifft, die du die Zeit der Raubritter nennst: Der letzte Beweis ist immer meine Faust!

Franz lächelt: Zu guter Letzt.

Stille.

Halef kommt: Hauptmann!

Hauptmann Raus! Raus sage ich!

Halef Quassel nicht, Herr General! Wir sind nämlich umzingelt.

Hauptmann Umzingelt? Wer? Wir?

Halef nähert sich ihm; unterdrückt: Wir. Glotz nicht.

Hauptmann Wer hat uns umzingelt?

Halef Die anderen. Sie sind in der Nacht gekommen, jetzt wird es Tag droben, da hat sie der Posten entdeckt. Sie haben Artillerie aufgefahren. Um das ganze Fort.

Hauptmann Was sind das für Soldaten?

Halef Reguläre.

Hauptmann Reguläre?

Halef Sie haben einen Parlamentär gesandt mit der weißen Fahne als hätten wir Krieg. Es stinkt, Herr General.

Hauptmann stürzt hinaus.

VII

Freies Feld

Der Bundessekretär und zwei reguläre Soldaten mit weißer Fahne warten auf den Hauptmann. Der Morgen graut. –

Der Hauptmann kommt mit Halef, hält ohne zu grüßen und fixiert den Bundessekretär.

Der Bundessekretär verbeugt sich leicht: Hauptmann. Im Auftrage der maßgebenden Stelle habe ich Ihnen den Beschluß zu überbringen betreffs Ihrer zukünftigen Verwendung, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ihre sogenannte Armee wurde seinerzeit aufgestellt erstens als Grenzschutz, da ein etwaiger Einbruch irregulärer feindlicher Formationen befürchtet werden mußte, zweitens als eine Art Notpolizei, die die Aufgabe hatte, auf dem Lande versteckte Waffen zu sammeln oder im Falle eines bolschewistischen Aufstandes neben dem regulären Militär als Selbstschutz eingesetzt zu werden. Da sich aber nun die innerpolitische Lage überraschenderweise derart konsolidiert hat, daß zur Niederschlagung einer kaum zu erwartenden Linksrevolution die vorhandenen regulären Machtmittel des Staates vollständig ausreichen, andererseits die außenpolitische Lage –

Hauptmann unterbricht ihn: Das ist gelogen. Jedes Wort. Es ist eine Schande! Meine Soldaten sind keine Polizei, keine Nachtwächter, das ist die Armee der nationalen Revolution! Wir haben uns gefunden, nicht um diesen Staat zu schützen, sondern um diese Republik zu zertreten, wir kämpfen für die nationale Diktatur und nicht für die internationale Schweinedemokratie!

Der Bundessekretär – andererseits die außenpolitische Lage die Möglichkeit, wenn auch nicht einer Versöhnung, so doch der wirtschaftlichen Annäherung der Nationen erhoffen läßt. Wir Deutsche müssen trotz aller Demütigungen diesen Weg betreten aus nationalem Interesse, um die bürgerliche Wirtschaftsordnung zu festigen. Die maßgebende Stelle mußte sich also entschließen – dieser Entschluß fiel ihr nicht leicht – die sofortige Auflösung Ihrer, ich wiederhole: sogenannten Armee zu befehlen. Die maßgebende Stelle wird ihr möglichstes tun betreffs Unterbringung Ihrer Leute in einem bürgerlichen Beruf.

Hauptmann Danke.
Stille.
Das habe ich eigentlich erwartet, daß ich wieder verraten werde. Wir verzichten auf den bürgerlichen Beruf, dazu muß man geboren sein. Ich denke nicht daran, Verbrechern an deutschen Gedanken, und nennen sie sich auch maßgebende Stelle, zu gehorchen! Sagen Sie es ihr, daß ich auf die Festigung der bürgerlichen Wirtschaftsordnung pfeife, daß ich an keine Versöhnung glaube und daß ich kämpfen werde, bis Deutschland wieder gefürchtet wird!

Der Bundessekretär Ich mache Sie aufmerksam: Falls Sie sich nicht freiwillig auflösen, so haben wir die Gewalt, es zu erzwingen. Unter allen Umständen, mit allen Mitteln! Das Wohl des deutschen Volkes kommt vor Ihrem Landsknechtehrgeiz! Sie sind umzingelt und –

Hauptmann unterbricht ihn: Mit Artillerie! Ich weiche nicht! Sie sind in der Nacht herangeschlichen und wollen mich fangen, ich breche am hellichten Tage durch und trage die Fahne bis Berlin!

Der Bundessekretär Ich bitte Sie, nicht zu deklamieren. Ergeben Sie sich, oder Sie tragen die volle Verantwortung für ein völlig sinnloses Blutvergießen. Es ist deutsches Blut.

Hauptmann Sie sind kein deutsches Blut! Sie beugen sich vor Schwarzrotdreck! Ich beuge mich nicht! Lieber deutsches Blut vergießen, als die nationale Wiedergeburt vernichten! Ich fürchte mich nicht!

Der Bundessekretär Ich mache Sie aufmerksam, daß die Inflation anfängt aufzuhören. Ergeben Sie sich –

Hauptmann unterbricht ihn: Nein!

Der Bundessekretär Falls Sie sich fügen, so kann ich Ihnen inoffiziell erklären, daß ich für meine Person alles daransetzen werde, Sie vor Strafe zu bewahren. Sie verstehen mich?

Hauptmann Strafe? Strafe? Wofür? Daß ich mich nicht verraten lasse?!

Der Bundessekretär Sie sind ein Mensch, dem man ab und zu seine Lage klar machen muß –

Hauptmann unterbricht ihn: Ich verzichte! Ich sehe klar! Ich kenne Freund und Feind!

Stille.

Der Bundessekretär Ich gebe Ihnen Bedenkzeit.

Hauptmann Unnötig!

Der Bundessekretär Sollten Sie nicht die weiße Fahne hissen, so eröffnen wir, so weh es uns auch tut und so gerne wir es vermeiden möchten, das Feuer. Die Verantwortung tragen Sie, daß wir für das deutsche Vaterland gezwungen sind, auf deutsche Männer zu schießen.

Hauptmann Ich übernehme die Verantwortung.

Der Bundessekretär Sie werden sie tragen. Ab mit den beiden regulären Soldaten. Pause. Morgenwind.

Hauptmann Diese Hunde! Diese Hunde! Die gemeinsten Verräter sitzen hinter den eigenen Kulissen! – Hast du gehört, daß sich die maßgebende Stelle versöhnen will?

Halef Ja, das habe ich auch gehört.

Hauptmann Lauter Hunde! Glaubst denn du an den Frieden?

Halef Ich weiß nichts.

Hauptmann Es hat keinen Frieden zu geben, Halef! Jetzt fangen wir an zu existieren! Wir! – Lauf zu Salm, er soll sofort mit den Seinen –

Halef unterbricht ihn: Salm ist samt seiner Puppe und Herrn Rübezahl verschwunden, als es bekannt wurde, daß wir umzingelt sind. Fort. Ausgerückt.

Hauptmann Ausgerückt?

Halef Hast du das gehört, was dieser Bonze sagte, das mit der Strafe?

Hauptmann Hast du Angst?

Halef Ja. Ich hab Angst.

Hauptmann So verschwind, feiges Vieh!

Halef Zu Befehl! Ich lös mich selbst auf. Das würde ich an deiner Stelle auch tun. Ab.

Hauptmann Halt das Maul! Noch bin ich nicht verreckt? Erst wenn mich die Würmer fressen, dann löse ich mich auf! Ich bin noch ich!

Soldaten der sogenannten Armee erscheinen.

Soldaten! Die nationale Armee marschiert, trotz aller feilen Huren der Politik, die den lieben, der sie verachtet! Die regulären Regimenter knien vor Schwarzrotdreck – die eigenen Bundesbrüder haben uns umzingelt und drohen, uns in wenigen Minuten niederzuschießen, wenn wir nicht reuig um Gnade betteln. Wer sich ergibt, ist kein Soldat! Man will uns vernichten! Sie winseln um Frieden beim Feind und wollen uns für immer verbieten! Sie wollen es nicht, daß wir existieren, sie erdolchen uns zum zweiten Male, sie schämen sich der nationalen Revolution!

Ein Soldat tritt vor: Hauptmann! Ich bin Soldat. Ich kämpfe gegen den Feind. Ich hasse diese Republik, aber ich schieße nicht sinnlos auf deutsche Soldaten.

Hauptmann Das sind keine Soldaten, das sind Halunken!

Der Soldat Das sind Deutsche wie wir.

Hauptmann Wenn das noch Deutsche sind, dann ist jeder Rote ein Deutscher!

Ein zweiter Soldat Ist er auch! Ist er auch!

Stille.

Hauptmann Wer war das?

Der zweite Soldat tritt vor: Ich.

Hauptmann Du, du Hund. Du Hund! Er schlägt ihm vor die Brust, daß er zurücktaumelt.

In der Ferne fällt ein Kanonenschuß.

Ein dritter Soldat tritt vor den Hauptmann und drängt ihn langsam zurück: Hauptmann! Ich ergebe mich. Ich mag nicht mehr. Ich war vier Jahr im Feld, der Krieg ist aus. Aus! Verstanden? Sie haben mich zu dir gezwungen, deine Herren Barone, sonst hätten sie meine Familie vernichtet, die feinen Herren Gutsbesitzer! Ich scheiß auf deine nationale Revolution! Jetzt ist Schluß mit dem Krieg! Ich geh nicht mehr unter die Erde, ich bin bei lebendigem Leibe verschimmelt!

Hauptmann zieht den Revolver: Zurück! Das ist Verrat vor dem Feind! Meuterei!

Der dritte Soldatat schlägt ihm den Revolver aus der Hand und gibt ihm eine gewaltige Ohrfeige: Da hast du Verrat! Da hast du Meuterei!

Hauptmann brüllt: Wache! Wache!

Der dritte Soldatat ohrfeigt ihn: Da hast du Wache! Da hast du Wache! Kanonenschuß.

Der zweite Soldatat Wir fallen nicht für dich!

Der erste Soldat Auf dem Felde deiner privaten Ehre!

Der dritte Soldatat Auf keinem Felde eurer sogenannten Ehre! Kameraden! Die weiße Fahne! Die weiße Fahne! Kanonenschuß. Soldaten fliehend ab. Hauptmann allein.

Sladek kommt: Hauptmann. Sie haben die Gefangenen befreit. Ich glaub, es ist Meuterei. Sie haben mich geohrfeigt, besonders der eine. Sie sagen, man schießt – Hauptmann! Du bist voll Blut.

Hauptmann lächelt böse: So?

Sladek blickt empor: Was surrt da? Wie das surrt – In der Nähe schlägt eine Granate ein.

Hauptmann Sie zielen hierher! Sie müssen mich treffen! Marsch, Sladek! Das gilt nur mir! Nur mir!

Sladek Mir auch.

Hauptmann Nur mir! Nur mir! Wo bist denn du?! Wer seid denn ihr?! Nichts! Nichts! Marsch, Sladek! Marsch!

Sladek Ich hab keine Angst. In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Es surrt.

Hauptmann Sie beschießen mich mit Artillerie!

Sladek deutet auf das Fort: Hauptmann! Die weiße Fahne! Reguläre Soldaten erscheinen rings auf den Hügeln. Hauptmann lacht die Soldaten aus. Sladek hebt die Hände hoch, ergibt sich.


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