Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Akt

I Das Ende einer Diskussion

Straße. Hakenkreuzler prügeln Franz aus einem Saale, in dem mit Musik eine rechtsradikale Versammlung steigt. (Präsentiermarsch). Nacht.

Ein Hakenkreuzler Raus! Raus mit dem roten Hund!

Ein Anderer Da! Da! Du Judenknecht!

Die Bundesschwester erscheint im Tor: Was hat der gesagt? Wir hätten den Krieg verloren? Solche Subjekte haben uns Sieger erdolcht und das Vaterland der niederen Lust perverser Sadisten ausgeliefert! Am Rhein schänden syphilitische Neger deutsche Frauen, jawohl, das deutsche Volk hat seine Ehre verloren! Wir müssen, müssen, müssen sie wieder erringen und sollten zehn Millionen deutscher Männer auf dem Felde der Ehre fallen!

Die Hakenkreuzler Heil!

Franz Sie! Woher nehmen Sie das Recht, das Volk ehrlos zu nennen? Woher haben Sie den traurigen Mut, zehn Millionen Tote zu fordern?! Sie sind kein Mensch, gnädige Frau!

Die Bundesschwester Novemberling! Novemberling!

Ein Hakenkreuzler Zerreißt ihm das Maul! Zerreißt es der bezahlten Kreatur!

Knorke erscheint im Tor: Halt! Bundesbrüder, beschmutzt euch nicht! – Sie sind doch der sogenannte Redakteur, das Schwein Franz –

Franz unterbricht ihn: Ja.

Knorke Freut mich außerordentlich, Sie persönlich kennen gelernt zu haben. Hätten Sie die große Güte, folgende kleine Anfrage zu beantworten: Ihre »große« Nation bricht den Versailler Vertrag, Ihren geliebten »Friedens«vertrag und besetzt mit Flammenwerfern die Ruhr. Sie proklamiert die rheinische Republik, sie wird das ganze wehrlose, verratene Deutsche Reich »erobern«, von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, trotz feierlicher Proteste mit verdorrter Hand!

Franz Der Versailler Vertrag ist das Werk des Imperialismus, ist die Kriegserklärung des internationalen Kapitals an das Proletariat.

Ein Hakenkreuzler Juden aller Länder, vereinigt euch!

Knorke Sie wollen, daß das Vaterland französische Kolonie wird?

Franz Sie wissen, daß ich das nicht will!

Die Bundesschwester lacht. Ich komme aus dem besetzten Gebiet.

Knorke Ich auch.

Franz Die französische Reaktion raubt an der Ruhr, Brot und Recht. Soldat ist Soldat. Sie haben Schwarzrotgold verbrannt.

Knorke Bravo!

Die Hakenkreuzler Bravo!

Franz Bravo. Das deutsche Proletariat stellt sich zum Kampf. Ohne Gewehre, ohne Generäle. Der Friedenswille der Massen ist stärker als alle Bajonette der internationalen Reaktion! Der Militarismus wird an der sittlichen Kraft der schaffenden Arbeit zerschellen, ohne Blut!

Knorke Leitartikel! Tinte!

Die Bundesschwester Blut bleibt Blut!

Knorke Krieg ist Krieg! Der passive Widerstand ist die Ausgeburt jüdischer Niedertracht! Eine rote Feigheit! In Berlin feiern internationale Halunken den jüdisch-jesuitischen Fetzen von Weimar! Bundesbrüder! Bald marschiert die nationale Armee und rottet das pazifistische Gesindel aus! Rache für Straßburg! Rache für Schlesien! Für Schleswig! Für Schlageter!

Die Hakenkreuzler Heil! Heil!

Gesang aus dem Saal: Drum Brüder schließt die Runde

Und hebt die Hand zum Schwur, In unserem heiligen Bunde Gilt eine Losung nur: Das Hakenkreuz soll flattern Uns führen in der Nacht Bis unsere Schüsse rattern Einst in der Freiheitsschlacht!

Knorke, die Bundesschwester und die Hakenkreuzler ab in den Saal; nur vier bleiben zurück.

Kam'rad reich mir die Hände,
Fest wolln beisamm wir stehn,
Mag man uns auch bekämpfen
Der Geist kann nicht vergehn!

Hakenkreuz am Stahlhelm
Schwarzweißrotes Band,
Sturmabteilung Hitler
Werden wir genannt!

Wir lassen uns, wir lassen uns
Von Ebert nicht regieren!
Hei Judenrepublik! Hei Judenrepublik!
Schlagt zum Krüppel den Doktor Wirth!

Knattern die Gewehre, tack tack tack,
Aufs schwarze und das rote Pack!
Schlagt tot den Walther Rathenau
Die gottverdammte Judensau!

Plötzlich Stille. Franz lehnt die Stirne an die Wand und spuckt Blut.

Erster Hakenkreuzler Der hat seinen Teil.

Zweiter Hakenkreuzler Noch lange nicht, Kamerad!

Dritter Hakenkreuzler Ein beschnittener Saujud ist ein anständiger Mensch neben einem arischen Juden. Dem blut ja bloß die Nase. Das ist nur Vorschuß.

Zweiter Hakenkreuzler Wenns losgeht, wird er sich verbluten.

Vierter Hakenkreuzler Wann gehts denn los?

Dritter Hakenkreuzler Bald.

Zweiter Hakenkreuzler Wenns losgeht, dann kommt ein Gesetz, daß sich jeder Jud einen Rucksack kaufen muß. Was er hineinbringt, das darf er mitnehmen nach Jerusalem. Was er nicht hineinbringt, gehört uns. Wißt ihr, wieviel polnische Juden in Deutschland wuchern? Zwanzig Millionen!

Erster Hakenkreuzler Bei uns in der Schule haben wir nur einen Juden. Wir reden alle nicht mit ihm, aber der Schuft ist gescheit. Neulich hat er als einziger den ollen Cicero übersetzen können, dann haben wir ihn aber verprügelt! Er war ganz blau, und seine Brille ist zerbrochen. Sein Vater, der alte Itzig, hat sich beim Rektor beschwert, aber der hat gesagt, das wären ja nur Streiche der Jugend, und Knaben, die nicht raufen, aus denen wird kein tüchtiger Krieger. Wir haben dem Rektor nämlich gesagt, daß der Jud frech war, darum haben wir ihn gedroschen. Er hat es sofort geglaubt. Träumst du?

Zweiter Hakenkreuzler Nein. Ich hab nur nachgedacht über diese Judenfrage. Gestern haben sie auf dem Markt so eine plattfüßige Rebekka geohrfeigt. Sie hat nämlich behauptet, daß die Äpfel faul sind, die man ihr verkauft hat, das Dreckmensch. Die Leute haben gelacht. Heilrufe und Musiktusch im Saal.

Dritter Hakenkreuzler Das Schlußwort! Los! Ab in den Saal mit dem ersten und zweiten Hakenkreuzler.

Gesang aus dem Saal: Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten,
Er waltet und haltet ein strenges Gericht.
Er läßt von den Schlechten nicht die Guten knechten,
Sein Name sei gelobt! Er vergißt uns nicht!

Vierter Hakenkreuzler nähert sich langsam Franz.

Franz hört ihn und wendet sich ihm zu: Zurück! Das war eine große Heldentat. Alle gegen einen.

Vierter Hakenkreuzler Ich hab dich nicht geschlagen.

Franz Danke.

Vierter Hakenkreuzler Bitte. Sie hätten dich fast erschlagen, aber das hätt mir leid getan, denn du hast recht gehabt, und ich hab die Gerechtigkeit lieb. Du hast sehr recht gehabt, wir haben unsere Ehre nicht verloren – aber darauf kommts nicht an. Man muß nur selbständig denken. Du bist ein sogenannter Idealist.

Franz Wer bist du?

Vierter Hakenkreuzler Ich heiße Sladek. – Man muß nur selbständig denken. Ich denk viel. Ich denk den ganzen Tag. Gestern hab ich gedacht, wenn ich studiert hätt, dann könnt ich was werden. Ich hab nämlich Talent zur Politik. Ich bin ein sogenannter zurückgezogener Mensch. Ich red nur mit Leuten, die selbständig denken können. Ich freu mich, daß ich mit dir reden kann, – du bist auch allein, das hab ich bei der Diskussion bemerkt. Wir sind verwandt. Ich hab mir das alles genau überlegt, das mit dem Staat, Krieg, Friede, diese ganze Ungerechtigkeit. Man muß dahinter kommen, es gibt da ein ganz bestimmtes Gesetz. Es ist immer dasselbe. Ein ganz bestimmter Plan, das ist klar, sonst wär ja alles sinnlos. Das ist das große Geheimnis der Welt.

Franz Und?

Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Das ist der Sinn des Lebens, das große Gesetz. Es gibt nämlich keine Versöhnung. Die Liebe ist etwas Hinterlistiges. Liebe, das ist der große Betrug. Ich habe keine Angst vor der Wahrheit, ich bin nämlich nicht feig.

Franz Ich auch nicht.

Sladek Das weiß ich. Aber du hast da einen Denkfehler. Lach mich nicht aus, bitte.

Franz Ich lach nicht.

Sladek Du denkst nämlich immer daran, das ganze Menschengeschlecht zu beglücken. Aber das wird es nie geben, weil doch zu guter Letzt nur ich da bin. Es gibt ja nur mich. Mich, den Sladek. Das Menschengeschlecht liebt ja nicht den Sladek. Und wie es um den Sladek steht, so geht es den Völkern. Es liebt uns zur Zeit niemand. Es gibt auch keine Liebe. Wir sind verhaßt. Allein.

Franz Was verstehst du unter dem Wir?

Sladek Das Vaterland.

Franz Was verstehst du unter Vaterland?

Sladek Zu guter Letzt mich. Das Vaterland ist das Land, wo man hingeboren wird und dann nicht heraus kann, weil man die anderen Sprachen nicht versteht. Nämlich alle Theorien über den sogenannten Marxismus, die kommen für mich heut nicht in Betracht, weil ich selbständig denken kann.

Franz spöttisch: Du denkst zu selbständig.

Sladek Man muß. Man muß. Es kann ja sein, daß mal wieder alle armen Leut gegen die Reichen ziehen, aber das ist, glaub ich, aus. Sie haben ja die Roten erschlagen. Viele Rote. Ich war nämlich bei Spartakus. Nur im Geist, aus besonderen Gründen. Damals hab ich ein Lied gehört, daß das Herz links schlägt, aber es gibt ja kein Herz, es gibt nur einen Muskelapparat. Bist du für diese Republik?

Franz Das ist noch keine Republik, das wird erst eine.

Sladek Das ist nichts und wird nichts, weil es nämlich auf einer Lüge aufgebaut ist.

Franz Auf was für einer Lüge?

Sladek Daß es eine Versöhnung gibt.

Franz Wenn es keine Versöhnung gäbe, so müßte man sie erfinden.

Sladek lächelt: Du bist nicht dumm.

Franz Wieso?
Stille.
Ich lüge nie.

Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.

Franz Heute ist allerdings die ganze Welt voll Blut und Dreck.

Sladek Ich denk nicht an morgen. Ich leb ja vielleicht nur heut. Heut sind alle Staaten gegen uns. Sie besetzen unser Land, drücken uns zusammen. Weil wir wehrlos sind, das ist dann immer so. Es würde nichts schaden, wenn noch einige Millionen fallen würden, wir sind nämlich zu viel. Wir haben keinen Platz. Wir verbreiten uns, als hätts keinen Weltkrieg gegeben. Es wird bald alles eine Stadt, das ganze deutsche Reich. Wir brauchen unsere Kolonien wieder, Asien, Afrika – wir sind wirklich zuviel. Schad, daß der Krieg aus ist!

Franz Du wagst es zu bedauern, daß der Krieg aus ist?

Sladek Ja. Ich wags.

Franz Bist du ein Mensch?

Sladek Ich bin ein Mensch, es ist aber immer Krieg.

Franz Es gibt auch Frieden.

Sladek Ich erinner mich nicht daran.

Franz So tust du mir leid.

Sladek Jetzt lügst du.

Franz Zu blöd.

Sladek Ich hab nämlich keine Angst vor der Wahrheit.

Franz Warst du Soldat?

Sladek Nein. Als der Krieg ausbrach, war ich zwölf Jahre alt. Ich seh nur älter aus.

Franz Du gehörst verboten.

Sladek Daß ich mal verboten werd, ist schon möglich. Weil ich zuviel weiß.

Stille.

Franz Kennst du die schwarze Armee?

Sladek Das darf man nicht sagen!

Franz Aha! Warum? Sladek schweigt. Ich habe gehört, daß sich draußen auf den Feldern Soldaten sammeln. Sie haben Kanonen und Maschinengewehre und tragen die Kokarde mit dem Adler der Republik verkehrt. Abgeschossen. Stimmts? Sladek schweigt. Ich habe gehört, daß diese Soldaten siegreich nach Paris marschieren wollen, über die Leiche des eigenen Volkes.

Sladek Das geht dich nichts an!

Franz Doch! Sogar sehr! – Sie nennen sich die schwarze Armee, weil sie nur als Geheimnis existieren können. Und der es verrät, der stirbt.

Sladek In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.

Franz Man sollt jede Armee verraten, du Soldat! Ab.

Sladek allein; ruft ihm nach: Du bist ein sogenannter Idealist, du Schuft!

Gesang aus dem Saal: Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd,
In das Feld in die Freiheit gezogen!
Im Felde da ist der Mann noch was wert,
Da wird das Herz noch gewogen.
Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein!

II Bei Anna

Sie sitzt an der Nähmaschine. Auf der Straße spielt eine Drehorgel das Deutschlandlied. Sie steht auf und schließt das Fenster. Es pocht an die Türe. Sie öffnet.

Knorke tritt ein: Tag. Könnte man Herrn Sladek sprechen?

Anna Er muß jeden Augenblick kommen.

Knorke Sie sind Frau Schramm?

Anna Ja.

Knorke Angenehm. Schramm schrumm schrimm-schrimm schrumm schramm. Das war mal ein Schlager, so vor zwanzig Jährchen. Geht die Uhr? Genau?

Anna So ziemlich. Will der Herr warten?

Knorke setzt sich: Fünf Minuten. Dieser Sladek ist pünktlich. Primadonna! Primadonna!

Anna Er hat keine Uhr.

Knorke Und singen kann er auch nicht.

Anna Woher kennen Sie Herrn Sladek?

Knorke Das weiß ich nicht mehr.

Anna Sie kennen ihn schon seit länger?

Knorke Sind Sie mit ihm verwandt?

Anna Nein.

Knorke Sie sind seine Wirtin?

Anna Ja.

Knorke Sonst nichts?

Anna Wieso?

Knorke blickt in die Zeitung: Die Mark hat sich gefestigt. Zürich notiert zweiundzwanzig Milliarden. Zürich liegt am Züricher See. Ich war auch in China. Er schlägt auf den Tisch, schnellt empor und läuft herum. Jawohl, in Ostasien, junge Frau! Aber so ein lammfrommes Volk wie das deutsche habe ich nirgends getroffen! Pensionierte Bürokraten würden revoltieren! Da die Zeitung! Die Republik, dieser Büttel der Botschafterkonferenz, erfrecht sich zu befehlen, die letzten Waffen abzuliefern! Auf einen Wink der Entente kastrieren wir uns selbst! Den Schuften, der nur ein versteckte Patrone verratet, den möcht ich massieren, bis ihm die pazifistische Seele zum großen jüdischen Gott fliegt! Verzeihen Sie meine Erregung. – Ah! Kriegsbilder! Wer ist denn der? Sieht so verzweifelt drein.

Anna Das war mein Mann. Er hat sich schlecht fotografiert, aber vielleicht war er damals so.

Knorke Gefallen?

Anna Nein.

Knorke Ich dachte, Sie wären Witwe?

Anna Er ist vermißt. Ich warte zwar nicht mehr, obwohl es noch vorkommen soll, daß ein Vermißter plötzlich erscheint. Rußland ist groß, Sibirien ist weit.

Knorke Apropos Rußland: Haben Sie die neue polnische Note gelesen?

Anna Ich lese keine Zeitung. Die liest nur Sladek.

Knorke Er liest viel.

Anna Nur die Zeitung.

Knorke Er weiß allerhand für sein Alter. Seine Ansichten sind zwar etwas verworren, aber zu guter Letzt gesund.

Anna Wenn er nur Zeit hat, grübelt er.

Knorke Die neue polnische Note ist der Gipfel der Verleumdung. Lauter Verbrecher!

Anna Wer?

Knorke Diese Polen! Jeder einzelne Pole ist ein geborener Lügner!

Anna Ich glaube, der einzelne Pole lügt auch nicht mehr als der einzelne Deutsche.

Knorke Hoppla!

Anna Die Zeitungen sollten endlich aufhören, die Völker gegeneinander zu hetzen. Es hat doch gar keinen Sinn.

Knorke Was Sie nicht sagen!

Anna Ich finde es sehr richtig, daß die Regierung die Bevölkerung auffordert, alle Waffen abzuliefern. Das ist endlich ein gutes Gesetz. Wir haben uns vier Jahre lang gemordet, das reicht. Ich würde jede versteckte Patrone anzeigen. Sofort.

Knorke Das würde ich an Ihrer Stelle unterlassen.

Anna Warum? Wer der Regierung nicht folgt, der wird doch bestraft.

Knorke Zum Strafen gehört Gewalt. Die Regierung hat keine, kann ich Ihnen flüstern. Heutzutag ist oft das Gegenteil Gesetz. Sagen Sie: Was wissen Sie über versteckte Patronen?

Anna Ich weiß, wer Sie sind und was Sie wollen.

Knorke Wie war das?

Anna Ich kenne Sie. Vom Sehen.

Knorke Wer bin ich?

Anna Sie kommen manchmal in die Stadt. Im Auto.

Knorke Was für Auto?

Anna Das habe ich alles beobachtet.

Knorke Was alles?

Anna Sie wollen aus dem Sladek einen Soldaten machen.

Knorke So?

Anna Sie werben für die schwarze Armee.

Knorke Es gibt keine schwarze Armee!

Anna Doch.

Stille.

Knorke Ich warne Sie.

Anna Ich bitte Sie. Ich bitte Sie, lassen Sie mir den Sladek. Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Wenn sich eine Frau in meinem Alter an einen um fünfzehn Jahre jüngeren Mann hängt, so ist das immer mütterlich, und sie läßt ihn nicht aus den Augen. Sladek ist ja noch ein Junge, der sich an nichts erinnern kann, als an Krieg. Er kann sich den Frieden gar nicht vorstellen, so mißtrauisch ist er. Er ist in der großen Zeit groß geworden, das merkt man. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, ich habe gehorcht und spioniert – mich kann man nämlich nicht betrügen. Was mein ist, bleibt mein.

Knorke Ist der Sladek Ihr Eigentum?

Anna Ja.

Knorke Nein.

Anna Wen ich liebe, der gehört mir.

Knorke Will er Ihnen gehören?

Anna Wie meinen Sie das?

Knorke Der Sladek ist ausgewachsen und denkt nicht daran.

Anna Das hat er Ihnen gesagt?

Knorke Fragen Sie ihn selbst.

Stille.

Anna Wollen Sie mir helfen?

Knorke Ich warne Sie.

Anna Ich bitte Sie. Bitte, sagen Sie dem Sladek kein Wort, daß ich weiß, daß er von mir will. Bitte, sagen Sie ihm doch, er wäre zum Soldaten untauglich, sagen Sie es ihm, bitte, lassen Sie ihn hier. Ihre Soldaten werden auch ohne Sladek marschieren, aber ich – Ich hab schon mal alles für das Vaterland geopfert. Ich laß mir nichts mehr rauben. Ich verrate die ganze Armee den Polen. Noch heut.

Knorke Kaum.

Sladek kommt; nickt Knorke zu.

Anna Der Herr wartet schon auf dich. Wo warst du so lange?

Sladek Ich hab mich geärgert.

Anna Wer hat dich geärgert?

Sladek Freut dich das?

Anna Mich?

Sladek Laß uns allein, bitte.

Knorke Nicht nötig, Sladek. Frau Schramm hat mich soeben gebeten, dir mitzuteilen, du seiest untauglich zum Soldaten, da sie sonst alles den Polen verrät.

Sladek Anna!

Anna Nein, so ein Schuft!

Knorke Ich weiß, daß du das Maul gehalten hast, aber Frau Schramm hat dir nachspioniert. Dadurch zwingt uns Frau Schramm, uns mit ihrer Persönlichkeit zu beschäftigen. Verstanden? Sladek, bist du tauglich?

Sladek Tauglich.

Knorke Nach wie vor. Wir treffen uns beim Fräulein. Auf Wiedersehen! Ab.

Sladek starrt Anna an: Auf Wiedersehen.

Stille.

Anna Was ist das für ein Fräulein?

Sladek Das Fräulein. Das ist ein Lokal.

Anna Lüg nicht!

Sladek Du wirst noch blöd vor lauter Eifersucht.

Anna Lieber blöd! Sladek! Ich hab ja so Angst um dich! Ich seh es ja, wie hungerig dich die Weiber anschaun –

Sladek unterbricht sie: Ich bin dir treu.

Anna Nein, du nimmst nur Rücksicht, aber dann wünschst du, ich soll nicht mehr sein. Du, du wirst einfach weggehen, ich werde dich überall suchen und nirgends finden.

Sladek Anna, weißt du, was das heißt, eine Armee vor dem Feinde zu verraten? Weißt du, was die Soldaten mit dem Verräter tun?

Anna Sie sollen mich erschlagen.

Sladek Sie werden dich erschlagen.

Anna Es liegt an dir. Bleib bitte, und ich verrate nichts. Nichts. Weißt du, was das heißt, wenn ich dich verliere? Bleib, bitte, bitte, bitte – schau, ich schäme mich ja schon gar nicht mehr, so hänge ich an dir. Was denkst du jetzt?

Sladek Was ich denk, langweilt dich, hast du gesagt.

Anna Nein!

Sladek Was ich denk, ist dumm, hast du gesagt! Hast du gesagt! Ich hab nämlich ein sogenanntes Gedächtnis, ein ausgezeichnetes Gedächtnis.

Anna Wie du dir alles merkst.

Sladek Alles.

Anna Daß du nur nichts vergißt!

Sladek Nichts. Glotz nicht.

Anna Ich glotz nicht. Ich hab nur gesagt, du sollst nicht so viel denken, weil ich nichts von Politik versteh. Ich komme nicht mit.

Sladek Man muß nur selbständig denken. Ich kam zu dir zerlumpt. Bei mir in der Familie haben sie sich um ein Stück Brot gehaßt. Du warst für mich ein höheres Wesen, du hattest eine Zweizimmerwohnung und hast Kriegsanleihen gezeichnet. Du hast für Kaufmannsfrauen geschneidert, ich hab mich waschen können. Du hast mir einen Wintermantel gekauft. Danke.

Anna Bitte.

Sladek Du bist meine erste Liebe.

Anna Sei nicht boshaft.

Sladek Ich bin nicht boshaft. Ich wollt nur sagen, daß die erste Liebe eine riesige Rolle im Leben spielt. Hab ich gehört.

Anna Sladek. Du bist schon tot.

Sladek Warum?

Anna klammert sich an ihn: So sag es doch! Sag, daß alles aus ist! Aus, aus –

Sladek Sag es du.

Anna Ich kann es nicht, – wie dumm ich bin, wie dumm –

Sladek Es ist nicht aus.

Anna Nimm keine Rücksicht! Quäl mich nicht! Sag es endlich, laß mich los!

Sladek Gut. Es ist aus.

Anna Schau mich an.

Stille.

Sladek So wirds nicht anders.

Anna Doch.

Sladek Du weißt immer alles besser.

Anna Du kannst nicht lieben, du kannst nur lieb sein.

Sladek Genügt das nicht?

Stille.

Anna lächelt: Schau mich nicht so an – du Riese. Du kleiner Riese. Du bleibst, du bleibst. Du Jung, du – es ist dunkel, die Erde ist noch kalt, aber die Sonne war schon warm. Das ist der zunehmende Mond.

Sladek Heuer gibts kein Frühjahr. Auf dem Ozean liegen lauter Wolken, ganze Berge. Das kommt alles noch über uns, steht in der Zeitung.

Anna Ist doch alles nicht wahr, ist doch alles anders – Komm, gib mir einen Kuß – Das war doch kein Kuß. So. So – Sie küßt ihn, reißt sich plötzlich los und taumelt zurück. Was tust du?! Was fällt dir ein, wenn ich dich küß?!

Sladek Ich küß nicht gern so, so sinnlich.

Anna Du Schwein. Du Schwein –

Sladek Ich bin ein Schwein. Ab.

III Im Weinhaus Zur alten Liebe

Salm, Horst, Halef, Knorke und Rübezahl sind die einzigen Gäste. Das Fräulein bedient.

Das Fräulein Die Herren sind Soldaten?

Salm Wir sehen nur so aus.

Das Fräulein Ich liebe die Uniform. Ich bin eine Deutsche aus Metz. Wir hatten viel mit den Herren Soldaten zu tun. Wenns wieder Krieg gäb, das wär fein!

Horst Sie werdens noch erleben, Mädchen.

Das Fräulein Ich wär auch glücklich mit einem Manöver. Die Herren sind doch Soldaten?

Rübezahl Wir sind keine Soldaten, dumme Kuh!

Das Fräulein Pardon! Seien Sie nur nicht wild, Sie Großer! Die Herren haben doch Uniform.

Knorke Wir haben uns nur noch nicht umgezogen seit dem Krieg.

Das Fräulein lacht: Oh pfui, wie pikant!

Halef Sehr geehrtes Mädchen. Ich bin zwar kein Soldat, aber ich interessiere mich für Manöver. Überhaupt für Übungen – Er schäkert mit ihr.

Knorke zu Salm: Sie heißt Schramm. Mit dem seltenen Vornamen Anna. Sie wohnt in der Prinzenstraße unter sechs und hat sich an den Sladek gehängt. Sie ist im gefährlichen Alter und könnte für ihren Bubi auch sterben.

Salm Ein schöner Abend heute abend.

Knorke Sie weiß alles, vielleicht auch das, was ihr bevorsteht. Sie wird trotzdem jede versteckte Patrone der Republik abliefern und alles den Polen verraten. Sie ist toll.

Salm Ein schöner Abend heute abend.

Knorke Ich verstehe, Leutnantleben. Liebling, wir verstehen uns wie ein Liebespaar. Es ist ein schöner Abend heute abend, und es wird für manches Kind keinen schöneren mehr geben.

Salm Was, wenn Sladek nicht kommt?

Knorke Er kommt. Er haßt sie nämlich.

Salm Warum?

Knorke Warum haßt man einen Menschen? Entweder weil er einem nichts gibt oder zuviel gegeben hat. Sie wird ihn ausgehalten haben. Sie muß mal sehr geil gewesen sein.

Horst Das Schandweib gehört totgeprügelt.

Salm Könntest du sie totprügeln?

Horst Im Interesse des Vaterlandes, jederzeit. Wir hatten zu Hause einen reinrassigen Dobermann. Dem habe ich einmal die Beine zusammengebunden und losgeprügelt bis ich nicht mehr konnte. Das Vieh gab keinen Ton von sich. Es gibt so stolze Köter. Es hat mich nur angeschaut.

Salm Du bist so herrlich hemmungslos, so göttlich selbstverständlich. Das soll Wodka sein! Ich habe meine Jugend vergeudet.

Horst Bitte, nur nicht sentimental!

Salm Nein, ich bin nur traurig. Wenn man so zurückdenkt: Damals, du wirst erst sechs Jahr gewesen sein, damals war ich Hauslehrer in Siebenbürgen. Was ich dort bei den Rumäninnen Kraft ließ – ja, das Weib haßt den Mann, auch in der Tierwelt gibt es dafür Beispiele. Ich hab erst in der Gefangenschaft mein besseres Ich entdeckt, ich danke es dem Krieg, er wies mich den rechten Weg. Horst. Du folgtest meinem Rufe.

Horst Halt! Ich habe um meiner Ideale willen und nicht aus persönlichen Gefühlchen Papa und Mama verlassen. Ich wär auch ohne dich durchgebrannt – jetzt hätte ich bald das Abitur! Wozu? Die Tat gilt mehr als das Wissen, die Waffe mehr als das Wort.

Salm Sei nicht grausam.

Horst Quält dich die Wahrheit? Stehst du über dem Vaterland? Daß du immer Illusionen brauchst!

Salm Wie der kleine Kerl quälen kann –

Rübezahl Salm! Du hast ein Profil wie Bruno Kastner, aber ich hab kein Geld. Hast du Geld? Gib mir Geld.

Salm Besauf dich nicht!

Rübezahl Poussier deinen Knaben und leck mich am Arsch! Hab keine Angst, ich halt das Maul auch im Delirium. Aber ich wiederhole: Es wäre besser gewesen, wenn wir das Schwein nicht zuerst in den Wald, sondern gleich draußen im Fort – Jetzt haben wir die Sauce im Auto, rot gebatikt.

Salm Kusch!

Rübezahl Wir sind unter uns, Tante Frieda. Die einzigen Gäste. Hast du Geld? Ist das ein Dorf!

Das Fräulein Die Herren sind mit dem Auto gekommen?

Halef Wir sind Geschäftsreisende. Wir vertreten eine große Lebensversicherung. Unser Chef ist ein jüdischer Kommerzienrat und jener neunzehnjährige Jüngling ist sein Sohn.

Horst Ich bin erst siebzehn.

Halef Und was du schon für Hüften hast!

Salm Halef, es gibt Dinge, die jenseits des Witzes liegen.

Halef Zu Befehl, Majestät! Ich fürchte nur, daß er die moderne Linie verliert.

Das Fräulein Daß sich die moderne Linie derart durchsetzt, ist nur eine Folge der Unterernährung. Der Kriegskost.

Rübezahl Jaja, man sieht kaum mehr Busen.

Das Fräulein Sind Sie blind?

Halef Ja, er ist blind. Ich hingegen sehe ungewöhnlich scharf.

Knorke Ich auch.

Halef umarmt sie: Ha du, als wär kein Krieg gewesen! Ich liebe den Frieden. Du kannst mal mit mir fahren, im Auto.

Das Fräulein Nein, das ist mir zu gefährlich.

Rübezahl scharf: Wie meinen Sie das?

Das Fräulein droht mit dem Finger: Nanana, Sie ganz Böser! Sie können mich nicht hypnotisieren. Ich fahre aus Prinzip mit keinem Herrn mehr durch die Nacht. Da war einmal ein Chauffeur, ein geborener Österreicher, der lud mich ein zur Mondscheinpartie und auf der Landstraße wollte er mich vergewaltigen. Ich habe gesagt: Mein Herr, das kann man nicht so ohne weiteres. Er hat gesagt: Ist das aber eine Hure! Und dann hat er mich auch noch beschimpft. Sladek kommt. Guten Abend der Herr!

Sladek bleibt stehen: Guten Abend.

Knorke Sladek! Hier! – Nun?

Sladek Ich bin da. Ich halt mein Wort. Ich bin bereit.

Knorke Das freut uns außerordentlich.

Salm Haben wir noch Benzin?

Halef Dreieinhalb Tropfen. Nicht ganz.

Salm zu Horst: Kauf das bessere Öl. Nimm Halef mit. Horst und Halef ab.

Rübezahl Wir brauchen bald ein neues Auto.

Knorke zu Sladek: Und wie geht es der gnädigen Frau?

Sladek Es ist aus. Radikal.

Knorke Man gratuliert.

Sladek Danke. Das Fräulein spielt am Grammophon die Träumerei von Schumann.

Knorke Du weißt, was mit einer gnädigen Frau geschieht, die Soldaten vor dem Feinde verrät?

Sladek Sie hat noch nichts verraten.

Knorke Aber sie wird uns verraten.

Sladek Wenn sie uns verrät, so gebührt ihr nichts anderes.

Knorke Soll man warten, bis einen der Feind vernichtet?

Sladek Nein. In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.

Salm Wir sind Natur.

Knorke Du bist auch Natur.

Sladek Ja.

Knorke Also?

Sladek Also.

Salm Zur Sache.

Knorke Du wartest hier. Wir haben es nur zu melden und sind in zwei Stunden wieder da. Dann erlauben wir uns, der gnädigen Frau unsere Aufwartung zu machen. Du hast doch den Schlüssel?

Sladek Ja.

Knorke Du läßt die Haustüre offen. Verstanden? Wir warten unten zehn Minuten, dann wirst du einen Pfiff hören, und dann sind wir auch schon droben. Die zehn Minuten brauchen wir, du mußt ihr etwas vorspielen, damit sie nur nichts ahnt und schreit. Sie ist nämlich raffiniert, das weißt du ja. Sag ihr, du seiest zurückgekehrt, hättest alles bereut – es ist alles ungeschehen und du liebst sie, verstanden?

Sladek Ja.

Salm Sladek. Falls du es dir überlegen solltest –

Sladek unterbricht ihn: Ihr müßt mir nicht drohen. Ich hab keine Angst. Ich hab mir das alles genau überlegt und kann selbständig denken. Das ist anerkannt.

Salm Das spielt keine Rolle.

Sladek Oho!

Salm Zahlen! Es wird Zeit.

Das Fräulein Alles zusammen?

Salm Wir sind eine Familie.

Rübezahl Sein Vater ist mein Sohn.

Knorke zu Sladek: Also: in zwei Stunden. Ab.

Sladek Auf Wiedersehen.

Salm zu Rübezahl: Auf! Los, sonst weint der General. Ab.

Rübezahl sauft aus: Herr General. Wir brauchen ein neues Auto. Einen Autobus. Ab.

Das Fräulein Auf Wiedersehen die Herren! Auf Wiedersehen! Sie beschäftigt sich mit ihrem Strumpfband.

Sladek beobachtet sie: Auf Wiedersehen.

Das Fräulein Der Herr kennt die Herren? Das waren doch Soldaten? Nicht? Oder? – So antworten Sie doch! Sind Sie taub?

Sladek Ja.

Das Fräulein Die Männer heutzutag sind alle originell. – Was wünscht der Herr? Trinken wir eine Flasche Wein?

Sladek Was kostet das?

Das Fräulein Eine Milliarde.

Sladek Und, was kosten Sie?

Das Fräulein Wie meint das der Herr?

Sladek Wenns nicht stimmt, so sagen Sies nur. Ich hab gehört, daß Sie sich für eine Milliarde ausziehen.

Das Fräulein Manche Herren trinken lieber Wein.

Sladek Ich nicht. Ich krieg nämlich keinen Rausch. Ich spei nur alles voll.

Das Fräulein Ist das so schlimm? Dann ziehe ich mich lieber aus.

Sladek Eine Milliarde ist viel Geld.

Das Fräulein Der Herr sind Kaufmann?

Sladek Ich bin kein Schieber.

Das Fräulein Also redlich verdient?

Sladek Nein.

Das Fräulein Geschenkt?

Sladek Nein.

Das Fräulein Es geht mich auch nichts an.

Sladek Ich hab die Milliarde gestohlen. Ich kenn nämlich eine Witwe, die hat noch drei im Schrank. Sie verdient sehr schön und liebt mich, das heißt: Eigentlich gibt es keine Liebe. Man muß nur selbständig denken. Es ist ein glattes Geschäft. Sie hat sich den Sladek gekauft. Ich hab mich ihr ganz gegeben, aber sie ist so eifersüchtig, daß ich nicht zum Arbeiten komm. Sie will herrschen, drum läßt sie mich um jede Million betteln. Da hab ich die Milliarde gestohlen, sie gehört mir, ich bin im Recht. Gib mir eine Zigarette.

Das Fräulein Du gefällst mir immer besser. Gib mir die Milliarde.

Sladek Zieh dich aus.

Das Fräulein Hernach.

Sladek Nein. Hernach wird man geprellt.

Das Fräulein Du hast viel mit schlechten Frauen verkehrt.

Sladek Eigentlich nur mit Huren.

Das Fräulein Pfui! Sowas sagt man nicht!

Sladek Sie weiß, daß ich fort will, aber sie sieht es nicht ein. Ich bin zu rücksichtsvoll. Alles hat ein End. Diesmal radikal. – Weißt du, was das Furchtbarste ist? Wenn man will und nicht kann. das Fräulein lacht. Lach nicht!

Das Fräulein Das ist doch komisch!

Sladek Nein, das ist tragisch. Wenn etwas schon lange tot ist, vielleicht nie gelebt hat, und man redet damit, als wärs gesund. Ich bin nicht feig und wollt nie Theater spielen und habs doch getan. Sie hat es gewußt, daß sie nur winseln muß und ich verlier die Kraft. Weil ich ein anständiger Mensch bin, zu guter Letzt. Aber damit Geschäfte machen, das ist ein Verbrechen.

Das Fräulein Du mußt wenig gearbeitet haben, um auf solche Gedanken zu kommen.

Sladek Ich hab noch nie richtig gearbeitet. Sie hat es nicht gern gesehen, daß ich was verdien. Sie hatte Angst, ich könnt ohne sie leben. Sie hat mich lieber ausgehalten, das ist das berühmte mütterliche Gefühl. Auch so ein Verbrechen.

Das Fräulein beugt sich über ihn: Sprich nicht mehr. Das ist mir alles zu hoch. Gib mir die Milliarde –

Sladek Du hast so eine schöne Haut –

Das Fräulein Ich bin auch ein Sonntagskind.

Sladek Ich nicht. – Du bist so weich.

Das Fräulein Das hat jede Frau.

Sladek Nein, nicht jede.

Das Fräulein Was der kleine Mann für große Augen hat. Schau mich an. Wohin schaust du denn?

Sladek Ich schau dich an.

Das Fräulein Nein.

Sladek Doch.

Das Fräulein Du schaust mich an und doch nicht an. Hinter mir ist nichts. Ich glaube, du findest den richtigen Kontakt zum Weibe nicht.

Sladek Möglich.

Das Fräulein Gib mir die Milliarde, dann zieh ich mich aus. Sladek gibt sie ihr. Küßt ihn. Danke. Sie zieht sich aus. Du bist ein einsamer Mensch. Du mußt öfters kommen, sonst wirst du noch melancholisch. Das Weib ist die Krone der Schöpfung.

Sladek Zieh dich ganz aus.

Das Fräulein Nein. Heute regnet es, und ich bin sehr empfindlich.

Sladek Zieh dich ganz aus.

Das Fräulein Nein! Ich werde krank.

Sladek Ich hab dir die Milliarde gegeben und du hast versprochen –

Das Fräulein unterbricht ihn: Nichts habe ich versprochen! Willst du, daß ich mir den Tod hole?

Sladek Das geht mich nichts an! Ich laß mich nicht betrügen!

Das Fräulein Schreien Sie nicht so mit mir, Sie!

Sladek Kusch, Krone der Schöpfung!

Das Fräulein Ich bin doch kein Hund! Ich bin ein Mensch, Sie! Hinaus! Zurück oder ich schrei! Ich schrei, du Lump, du Dieb! Hier wird nicht gehaßt, hier wird geliebt! Sie schreit.

IV Bei Anna

Sie liegt im Bett. Auf der Straße hält ein Auto. Sie lauscht und richtet sich auf. Sladek tritt ein. Stille.

Anna Guten Abend, Sladek.

Sladek Guten Abend, Anna.

Stille.

Anna Ich dachte, du bist Soldat. Und schon in Uniform.

Sladek Nein. – Es ist offen, vorne, das Hemd. Anna knöpfl es rasch zu. Laß es nur.

Anna Ja, es wird nichts geschehen.

Sladek Anna –. Ich bin gekommen, um wieder bei dir zu bleiben.

Anna starrt ihn an: Das ist nicht wahr.

Sladek Doch.

Anna sieht sich ängstlich um: Wo warst du?

Sladek Bei den Soldaten. Ich hab mir das alles überlegt.

Anna steht plötzlich auf, wirft sich rasch ein Tuch um, behält ihn aber immer im Auge; tritt zu ihm: Was willst du von mir? – Was denkst du jetzt?

Sladek Daß alles wieder gut wird.

Anna Das gibt es nicht.

Sladek Ich hab dich lieb.

Anna Nein. Nein.

Sladek Ich lüg nicht.

Anna Heute abend hättest du mich erschlagen können.

Sladek Ich hab dich nie gehaßt.

Anna Doch. Und mit Recht. Ja, mit Recht.
Stille.
Ich bin daran schuld. Es war nicht recht von mir, daß ich dich mit aller Gewalt hielt, daß ich daran dachte, mit dir ein Leben lang zusammen – Ich hätte längst abtreten müssen, aber ich dachte nur an mich. Ich hab dich gequält, ich war dir überall im Weg. Ich hab über dich bestimmt, jetzt ist es mir, als hätt ich das alles berechnet. Verzeih mir. Es ist mir plötzlich klar geworden. Klar. Klar.
Stille.
Geh, bitte. Es hat keinen Sinn, daß du bei mir bleibst. Das ist sicher nur so ein plötzliches Gefühl für mich, das bildest du dir ein. Es ist aus. Warum bin ich nicht zwanzig Jahre jünger? Warum hab ich dich damals getroffen? Es war ein reiner Zufall, das Leben ist grausam. Nein, nicht du – ich hab dich genommen, ich hab mich an dich gekettet, ich hab dir alles gegeben, alles verlangt. Und dann hab ich immer etwas gesucht, es ist dir nicht aufgefallen. Du bist eine andere Welt. Du siehst anders, hörst anders, denkst anders. – Geh, Sladek. Geh, wohin du willst. Es ist wirklich nicht schön hier. Ich halt dich nicht. Marschier mit deinen Soldaten, ich werde keine einzige versteckte Patrone anzeigen, ich geh auch nicht zu den Polen, ich verrate nichts. Geh, bitte. Ich bleib zurück. Der Pfiff ertönt. Sladek versteinert. Du bist jung. Ich bin schon grau. Zwischen uns stehen hundert Jahr.

Salm, Horst, Rübezahl erscheinen und stürzen sich auf Anna.

Salm Drauf!

Anna Sladek! Was ist das?! Was ist das?!

Rübezahl Das ist das!

Anna Hilfe! Hilfe – au!

Rübezahl Das Mensch plärrt!

Anna Sladek! Sladek!

Sladek Halt!

Salm mit dem Revolver; zu Sladek: Zurück! Zurück!

Rübezahl ersticht Anna: Verrat uns! Verrat uns! Vieh!

Anna bricht zusammen und winselt: Au – Sladek, du schlechter Mensch – Du, du, du –
Sie stirbt. Stille.

Salm zu Sladek: Hände hoch! Was sollte das Halt?

Sladek Weil sie unschuldig war.

Salm Das gibt es nicht.

Sladek Doch.

Salm Seit wann?

Sladek Seit zwei Minuten.

Salm Und?

Sladek Ihr könnt nichts dafür.

Salm Das rettet dich, du Idiot. Sonst –

Sladek unterbricht ihn: Ich hab keine Angst. Ich bin nicht feig. In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Stimmen unten.

Horst Da spricht wer.

Salm Rasch! Fort!

Rübezahl Sie hat sich bemacht.

Sladek Radikal.


 << zurück weiter >>