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Die Reise ins Paradies: Variante

Wien, 7. August 35

Lieber Bruder, wo steckst Du? Ich hab ja schon ewig lang nichts mehr von Dir gehört, aber ich habe kein Recht, Dir Vorwürfe zu machen, denn ich bin auch schreibfaul. Ich hab immer Angst, daß ich nichts mitzuteilen habe. Alles, was mir passiert, wird im Moment, da es hinter mir liegt, nicht mehr mitteilungswert. Mein Leben läuft einförmig dahin, ich hab kein Geld und ich schreibe, was sich trifft. Ich möchte gern einen Film schreiben, aber da reden soviel mit und die Leut verstehen meinen Stil nicht. Worüber ich lache, da werden sie ernst, was ich für blöd find, finden sie geistvoll, was ich tragisch, finden sie sinnlos. Ich weiß nicht woher das kommt, wahrscheinlich von mir. Also, ich schreib nichts für den Film. Auch für das Theater kaum mehr. Mein letztes Stück war ein Durchfall, ich habe viele Szenen gestrichen, aber wenn die drin geblieben wären, wärs ein Erfolg gewesen. Ich glaube aber überhaupt, daß das Theater keine Zukunft hat, es fehlt die Jugend, und es macht sich jeder sein eigenes Theater, da jeder eine Rolle spielt. Für das Schicksal anderer ist wenig Interesse vorhanden, nur für die Situationen anderer, in die sie geraten können. Aber das wird Dich langweilen und mich langweilts auch. Wenn ich nur Geld hätte? Dann wär ja alles in Ordnung, ich weiß zwar, daß Geld allein nicht glücklich macht, aber »alles« ist auch ein relativer Begriff. – Nun hab ich mich entschlossen, ein Buch zu schreiben, und zwar mit Dir. Du bist doch Maler und Du könntest es gleich illustrieren, aber es dürfte kein illustrierter Roman werden, sondern es müßte mehr ein Bilderbuch sein. Schreib mir doch, bitte, ob Du Lust hättest, mit mir sowas zu machen. Ich schicke den Brief noch an Deine alte Adresse, ich bin zwar überzeugt, daß Du verzogen bist, aber hoffentlich tut die Post Ihre Pflicht und sendet es Dir nach.

Dein Bruder.

Antwerpen, 9. Dezember 35

Lieber Bruder, die Post tat ihre Pflicht, ich erhielt Dein ausführliches Schreiben, wenn auch ein halbes Jahr später, denn ich bin inzwischen zwanzigmal umgezogen, weil alle Hausfrauen Bestien sind! Keine hat es mir erlaubt, daß ich in der Nacht musizier, und sing! Meine Freunde titulierte sie »Bürscherl« und meine Freundinnen – belegte sie mit niederen Worten.

Deinen Brief versteh ich nicht ganz, Du weißt, daß ich nicht sehr gerne denke, selbst ja, aber nicht mit anderen zusammen. Ich hab bloß verstanden, daß Dein letztes Stück kein Erfolg war, was mir leid tut, und daß Du mit mir zusammen einen Roman schreiben willst den ich illustrieren soll, was mich freut. Aber ich finde es einen Mist. Einen illustrierten Roman ist nichts, man phantasiert für den Leser, und da wird der Leser meistens bös. Denn was ihm schon einmal vorphantasiert worden ist, das möcht er allein nachphantasieren und da hat er recht.

Aber schreib mir doch mal, was Du für eine Idee hast, wenn wir jetzt auch weit getrennt sind, vielleicht können wir was zusammen machen. Ich fahr morgen nach China, als Matros. Was soll ich hier noch als Zeichner? Ich hab zuviel Schulden. Schreib mir Schanghai postlagernd. Vielleicht könnens wir auf die Entfernung hin machen.

Hier gefällts mir nicht mehr.

Dein Bruder.

Damit Du eine Ahnung hast, zeichne ich Dir hier eine Galerie der Hausfrauen, unter denen ich litt. Die mit dem Stern (*) Bezeichnete hat meinen Grammophon zurückbehalten.

La furie == die Furie.

Am 18. April

Lieber Bruder, also hat Dich mein Brief, doch erreicht, ich dachte wirklich nicht mehr daran! Der Deine hat sich auch verspätet, da ich inzwischen auch umgezogen bin, zu Freunden, denn ich hab gar kein Geld. Schreib bald wieder und glückliche Weihnachten!

Meine Idee wäre die Geschichte eines Mannes, eine Reisegeschichte, der in der Zeit zurückfährt. Ich hab mal einen geistig Beschränkten gekannt, der arme Sobottka, der hat immer gesagt, er möcht in andere Zeiten fahren. Eigentlich ist es also nicht meine Idee. Aber vielleicht interessiert sie Dich, und die anderen. Denn man kann aus allem heraus, nur nicht aus seiner Zeit.

Dein Bruder!

*

Lieber Bruder, daß Du nach Schanghai fährst, erstaunt mich sehr. Aber vielleicht hast Du recht und man soll die Welt kennenlernen. Daß Du trotzdem mitarbeiten willst, freut mich sehr. Wir haben beide Zeit zu verlieren – also es macht nichts, wenn wir lange brauchen.

Dein Bruder

*

Lieber Bruder,

(ein Bild von Schanghai)

*

Lieber Bruder,

(das erste Kapitel)

*

Lieber Bruder, ich beeile mich zu antworten, es dauert so lange, weil ich in die Hände von Piraten gefallen bin.

Da war ein Führer, der sah so aus:

und die Unterführer:

und ich: (gefesselt)

Fast wärs so gekommen: (aufgelöst)

Aber dann kam das Lösegeld:


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