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Schlamperl: Variante

I.

Es war einmal ein junger Mensch, der hieß Christian Schlamperl und war, wie alle anderen jungen Menschen, die eben die Schule verlassen. Er konnte lesen und schreiben, nicht immer fehlerfrei, aber immerhin fließend. Auch wußte er, wo Afrika liegt, kannte das kleine und das große Einmaleins und wußte, wer Nero gewesen ist.

»Was willst du werden?« fragte ihn sein Vormund, denn er hatte keine Eltern mehr. Sein Vater war Soldat und es hat ihn eine Granate zerrissen, und seine Mutter hat sich sehr gegrämt, sodaß sie eines Tages der Vater geholt hat. Der Christian ist im Bett gelegen und hat ruhig geschlafen, und hat es nicht gehört, daß die Mutter weint – da hat der Vater ganz leise an das Fenster geklopft. Die Mutter sah hinaus. Draußen stand der Vater als Soldat, aber die Mutter hat ihn nicht gleich erkannt, weil er einen Bart getragen hat. »Ich bin es«, sagte der Vater. »Du sollst nicht mehr weinen.« Und der Vater ist jede Nacht gekommen zur Mutter, »aber du darfst es niemand sagen«, sagte er. Aber eines Tages in der Früh (die Mutter wurde immer glücklicher) da zeigte sie der Nachbarin ein Stückchen Heidegras – »das hat er mir gebracht von seinem Grab, er liegt unter der Erde in Frankreich und besucht mich jede Nacht«. Und die Nachbarin erzählte es gleich weiter und alle sahen die Mutter scheu an. Und eines Tages wurde die Mutter in ein Haus gebracht, in ein Haus mit vergitterten Fenstern und Türen ohne Klinke, das sie nie wieder verlassen hat. Dort ist sie auch gestorben. Aber der Vater hat sie auch dort besucht. »Sie ist verrückt geworden«, sagten die Leute.

»Ich möcht das werden, was mein Vater gewesen ist, nämlich Oberkellner«, sagte Christian seinem Vormund jetzt. »Gut«, sagte der Vormund und steckte Christian in eine Kellnerschule, dort lernte er servieren, einschenken, bedienen, tranchieren, Salat anmachen – kurz alles, was ein Kellner wissen muß. Und bald verließ er die Kellnerschule als fertiger Kellner und konnte es schon kaum mehr erwarten, zu bedienen.

Nun war aber gerade eine große Notzeit auf der Welt – eine Notzeit, gegen die die sieben mageren Jahre noch die reinsten Schlaraffenzeiten waren. Die Leut wußten sich schon gar nicht mehr zu helfen und viele sagten, der liebe Gott strafe die Menschheit, weil die Menschen so viele Sünden begangen hätten. Aber das war eine zweischneidige Feststellung, weil was die einen unter Sünde verstanden, war für die anderen eine Tugend und umgekehrt. Und viele wieder sagten, das könne unmöglich der liebe Gott sein, der die Menschheit strafe, denn es gäbe doch keinen lieben Gott. Das müßten die reichen Leute sein, und die Reichen sagten, daran wären nur die Armen schuld, weil es zuviel von ihnen geben würde. Und die Reichen bezichtigten sich gegenseitig und richteten sich gegenseitig zu Grund. Und gar viele meinten auch, daß es den Leuten besser gehen würde, wenn sie nicht soviel lügen täten, sich selbst besser kennen lernen würden und aufrichtiger wären, aber denen glaubte natürlich niemand. Und einzelne behaupteten, die Leut wären halt zu dumm, und die wurden fast erschlagen. Kurz: es waren furchtbare Jahre, die Fabriken standen still, die Hochöfen waren ausgeblasen, die Bergwerke waren still, im Hafen verrosteten die schönsten Schiffe, die Geschäfte wurden geschlossen, die Wohnungen standen leer, weil sie keiner mehr bezahlen konnte und die Leute verhungerten und erfroren auf der Straße.

Traurig ging Christian mit seinem guten Zeugnis in der Tasche durch die Straßen, denn was soll ein Kellner machen in einer Zeit, wo die Leut verhungern müssen. So kam er bis an den Hafen. Dort standen die schönsten Schiffe und verrosteten, und die Matrosen standen am Kai und keiner gab einen Laut von sich. Sie redeten auch nichts miteinander und es war unheimlich still. Was dachten die Matrosen? Und als Christian da drunten stand, da ging es ihm plötzlich durch den Kopf: Du bist ja auch nur ein Matrose und stehst da im Hafen und mußt zusehen, wie dein Schiff verrostet, das Segel verfault – du müßtest um die Welt segeln, derweil stehst du da und schweigst. Warum schreist du nicht?

Und Christian schrie – aber schon stürzten zwei dicke Polizisten auf ihn zu, schlugen ihm aufs Maul und führten ihn ab ins Gefängnis. »Warum helft ihr mir denn nicht?« brüllte Christian zu den Matrosen, aber die sahen nur schweigend zu und halfen ihm nicht, denn sie hatten es bereits erfahren, daß Schreien keinen Sinn hat. Etwas ganz anderes hätte einen Sinn, dachten die Matrosen, aber darüber darf man nicht reden, also schwiegen sie. Ihr Schweigen war ihre Sprache, aber Christian verstand sie nicht, weil er halt eben noch zu jung war, gerade erst die Schule verlassen hatte und meinte ein gutes Zeugnis gibt ein Recht. Oh armer Christian! Welche Einfalt. Und da der Christian die Sprache der Matrosen nicht verstand, war er böse auf sie und begriff sie nicht. Er ging hin. Und er faßte den kühnen Entschluß, fortzufahren, er wollte weg, irgendwohin, es war ihm gleichgültig wohin.

Im entlegensten Winkel des Hafens lag ein winziges Segelboot, dessen Inhaber bereits verhungert war. Es war herrenlos und niemand kümmerte sich darum, es hätte keinen Sinn gehabt, es sich anzueignen, weil es sich doch niemand abgekauft hätte und essen kann man ein Segelboot bekanntlich nicht. Also setzte sich Christian hinein und segelte ab. Es war ihm gleichgültig, wohin. Aber vorher schrieb er noch an den Landesvater einen Brief, in welchem er ihm auseinandersetzte, daß er nun abfährt, er allein, auf einem kleinen Boot. »Schau schau!« sagte der Landesvater, als er am nächsten Morgen den Brief erhielt, »das lob ich mir! Allein auf einem Segelboot! Es ist also die Initiative dieses Volkes, die Kraft noch nicht ausgestorben!« Und zu seinem Staatssekretär lief er herein und wollte ihm sagen, daß er das durch Rundfunk bekannt gibt all den schweigenden Matrosen, aber er konnte es nicht mehr sagen, denn gerade wie er sprechen wollte, flog eine Bombe in das Zimmer, die einer der Matrosen geworfen hat, explodierte, hüllte alles in Rauch und Schutt und der Landesvater hatte das Maul voll Staub. Traun, es war eine unruhige Zeit!

II.

Christian Schlamperl hatte günstigen Wind. Rasch und lautlos glitt das Boot über das stille Meer, das Land verschwand und bald war auch kein Leuchtturm zu sehen. Die Erde drehte sich und er fuhr in entgegengesetzter Richtung. Auch das Meer drehte sich, denn auch das Wasser gehört zur Erde.

Er freute sich, daß er das Land verlassen hatte, und da war etwas Grimm dabei. Und er freute sich doppelt, denn das Meer machte einen durchaus gemütlichen Eindruck, und der Himmel auch. Aber plötzlich bewölkte er sich etwas und von überall her kamen kleine Wellen auf das Boot zu. »Hoffentlich kommt kein Orkan«, dachte er besorgt, »das fängt nämlich immer so klein an, weil ich das auf der Kellnerschule so gelernt hab« aber kaum hatte er dies zu Ende gedacht, zogen die Wolken schnell wieder fort und Wellen hörten auf. »Mir scheint, ich hab Glück«, konstatierte er und ließ sich treiben. Er sah in das Wasser hinab und das war da riesig durchsichtig und wurde es immer noch mehr – bis er bis zum Boden hinabsehen konnte! Und was es da alles gab. Seltsam große Wälder, Tintenfische und Medusen, fleischfressende Pflanzen, gesunkene Schiffe aller Länder und Zeiten, Korallen und Tiefseefische, die sich selbst leuchteten. Und Sägefische, die sägten, und Muscheln, die keine Ahnung davon hatten, daß sie eigentlich Perlen sind – und alles mögliche hat da gelebt, und zwar ganz durcheinander, kurze und dünne – da gab es Fische, die bestanden nur aus Kopf, andere hatten wieder keinen Kopf, welche waren kugelrund, andere platt, wie Seidenpapier, wieder andere bestanden nur aus einer Flosse. – War das ein Leben!

Gegen Abend begegnete er einem sonderbaren Gefährt. Es sah aus, wie eine hölzerne Badewanne, eine altmodische und drinnen saß ein Herr in Frack und Zylinderhut, der ruderte mit einem eleganten Spazierstock. An einer hohen Stange hatte er eine Flagge gehißt, wahrscheinlich die Nationalflagge.

Christian hatte noch nie etwas dergleichen gesehen und er wunderte sich sehr. Der elegante Herr, ein richtiger Kavalier, kam ganz nah zu ihm herbeigefahren, lüftete den Zylinder und grüßte ihn höflich.

»Guten Abend«, sagte Christian.

»Sie werden sich wundern«, sagte der Kavalier, »aber Sie müssen wissen, daß ich einen Rekord aufstellen wollte, ich bin sehr traurig, ich wollte nämlich einen Rekord aufstellen, und in einer Badewanne die Welt umreisen – nun bin ich knapp vor dem Ziel, vierzehn Jahre bin ich unterwegs, aber die Badewanne ist porös geworden. Ich halt es noch höchstens eine Stunde aus. Leider kann ich nicht schwimmen. Bitte nehmen Sie mich auf, darf ich zu Ihnen übersteigen, es ist mir zwar gleich wohin Sie fahren, was hab ich schon verloren? Nichts. Ich würde auch untergehen, aber wie Sie sich überzeugen können, ist die Wanne voll Schnaps, die mir der Präsident von Trapezunt anläßlich meiner Durchfahrt geschenkt hat – ich kann nämlich ohne Alkohol nicht leben. Man würde mich mit Konfetti empfangen, leider ist das aber Essig. Mein Lebenswerk ist zerstört. Es geht mir schlecht und man kann nur etwas erreichen, wenn man auffällt. Perdu! Da nehmen Sie die Flaschen hinüber, verstauen Sie sie gut! Es ist auch ein kleines Faß dabei. Prima! So!«

Und er stieg zu Christian über, küßte vorher noch seine Nationalflagge und sah seiner Wanne noch lange nach. Plötzlich ging die Wanne unter, als würde sie wer heruntergezogen haben. Der Kavalier wischte sich eine Träne aus dem Auge und wandte sich an Christian: »Können Sie Karten spielen?« fragte er ihn.

III.

Der Kavalier war ein angenehmer Gesellschafter. Er hatte es auch bald überwunden, seine Wanne, zunächst besoff er sich, um die Wanne zu überwinden. Auch Christian trank die erste Hälfte der Nacht mit und dann spielten sie beide die andere Hälfte der Nacht Karten. Tarock. Skat. Siebzehnundvier. Sechsundsechzig. Pocker. Back.

Als es wieder Tag wurde schliefen sie, und in der Nacht soffen sie und spielten Karten. So ging das eine Zeit. Bald wurde aber der Alkohol immer weniger und das Kartenspielen übte auch keinen Reiz mehr aus.

Am dritten Tage, gegen Abend, sie wachten gerade auf und wollten einen kippen, da tauchte vor ihnen eine kleine Insel auf. Diese Insel war sehr klein und machte einen lieblichen Eindruck. Gegen die rauhen Winde schützten sie hohe gute Felsen und so weit man von außen her das Innere erblicken konnte, wuchs im Übermaß Obst und Gemüse.

Die beiden beschlossen auszusteigen und sich einige Äpfel zu holen. Kaum betraten sie aber die Insel, die in jeder Weise unbevölkert schien hörten sie einen Hund bellen, und dann noch einen. Und noch einen und noch einen, und dann stürmte eine ganze Meute auf sie zu – aber sie bellten nur, kaum daß sie nämlich die beiden erblickten, wedelten sie mit dem Schwänze und machten Männchen. Es waren lauter Möpse.

»Artige Tiere«, meinte der Kavalier, »daß so eine unmoderne Rasse noch lebt und in solchem Ausmaß – na das werden doch sicher mindestens sechshundert Stück sein.« Es waren aber noch mehr. Genau 987.

»Und gut gepflegt«, konstatierte Christian und dachte darüber nach, wer die Möpse so gut pflegen mag, ob sich die Möpse selber pflegen – da entdeckte er ein sonderbares Wesen. Das war ein Mensch, und zwar ein alter Mann, der hinter einem niederen Gebüsch stand und ihn entgeistert anstarrte. Er hatte ein Gewand aus Blättern an, lange ungepflegte Haare und einen langen ungepflegten Bart – »Bieber«, sagte Christian rasch, »vierundfünfzig Punkte«. Und das ärgerte den Kavalier.

Der Bieber stand noch eine ganze Weile regungslos erstarrt da, als hätte er noch nie einen Menschen gesehen, aber plötzlich sprang er vor, schrie aus Leibeskräften und vollführte einen Freudentanz. Dabei schrie er immer, dann rannte er zu den beiden hin und umarmte sie und küßte sie. Er war ganz toll vor Freude. In einemfort schrie er: »Oh wie bin ich froh, wieder Menschen zu sehen! Menschen! Menschen! Rettung! Rettung! Oh du mein Gott, seit vierzig Jahren sitz ich hier auf dieser Insel, oh ich armer Schiffbrüchiger – oh ich armer einziger Überlebender! An einer Planke bin ich hier an das Land gespült worden! Vierzig Jahre hab ich gehofft und gehofft! Und jetzt ist die Rettung da! Ihr nehmt mich mit, nicht wahr! Ja ja ja! Ihr nehmt mich mit! Nein, das ist ja wunderbar! Wunderbar – Oh du mein Gott wie danke ich dir für diese wunderbare Errettung nach vierzig Jahren!« Und er warf sich auf die Knie und betete, zuerst laut, dann leise. Dann wieder leise und dann wieder laut.

»Da haben wir es«, meinte der Kavalier leise, »jetzt müssen wir ihn mitnehmen, da hilft uns kein Gott. Ich war innerlich eigentlich gleich dagegen, hier auszusteigen, wegen der paar Äpfel« – und er betrachtete haßerfüllt die freundlichen Möpse, die ihm alle aufmerksam zuhörten. Aber sie verstanden nicht, was er sagte. »Das ist menschliche Ehrenpflicht aller Seefahrer, Schiffbrüchige zu retten«, fuhr der Kavalier grimmig fort »hoffentlich sauft er uns nicht alles weg, wir haben eh nicht mehr viel.« Und er wandte sich an den betenden Bieber: »Trinken Sie gern?« Der Bieber grinste über das ganze Maul. »Natürlich«, sagte er treuherzig.

»Und was trinken Sie, wenn man fragen darf?«

»Was kommt«.

»Bier?«

»Dunkel und hell.«

»Wein?«

»Rot und weiß.«

»Schnaps?«

»Süß und herb.«

»Sekt?«

»Ist doch klar«, meinte der Bieber und gähnte gelangweilt. »Und was denn noch vielleicht?« meinte der Kavalier und es lag etwas Drohendes in seiner Stimme.

Der Bieber winkte nur ab. »Bowle, Cocktail, Cobler, Glühwein, Grog, Likör, Apfelmost, Apfelwein -«

»Genug!« sagte der Kavalier und war fest entschlossen, den Bieber scharf zu beobachten – und knurrte etwas von unnötigen Komplikationen, die sich die Menschheit und das Leben selbst bereiten.

IV.

»Ist ihm schlecht?« fragte der Bieber besorgt, »a das würde mir aber leid tun, kommens setzen wir uns etwas« – und er führte die beiden Herren vor seine Hütte, die er sich aus Holz und Blättern und Schlingpflanzen gebaut hatte. Es war alles da, auch eine Hängematte aus Schlingpflanzen. »Meine Hunde schlafen im Freien«, sagte der Bieber, »Sie werden sich sicher wundern, wieso diese vielen vielen Hunde hier sind, und zwar alles Möpse. Ja das ist eine längere Geschichte, die läßt sich eigentlich nicht so von heut auf morgen erzählen. Also ich bin, wie gesagt, ein Schiffbrüchiger. So vor zirka vierzig Jahren, wie gesagt, wollte ich auswandern – aus meiner Heimat, wie gesagt, weil ich strebsam war und dachte Gold zu finden jenseits der Meere, wie gesagt – aber wie gesagt, ich fand kein Gold, sondern das Schiff mit dem ich fuhr, ging unter, wie gesagt, und alles ertrank, wie gesagt, und ich bin der einzige Überlebende, wie gesagt – (hier dachte der Kavalier: wenn der Bieber jetzt noch einmal »wie gesagt« sagt, dann haut er ihm eine herunter; aber der Bieber sagte nun kein einziges Mal mehr »wie gesagt«, weil er Instinkt hatte) – Also fuhr der Bieber fort, »das Schiff war groß, wahrscheinlich gibt es aber noch viel größere, und ich bewohnte eine Kabine. In der Nebenkabine wohnte ein junges Ehepaar, sie war eine Amerikanerin und hatte ihn geheiratet, er war Europäer, und da ging es jede Nacht hoch her, sogar schon vormittags und nachmittags. Manchmal hat das geklungen, wie eine Sirene, hehehe.«

»Hehehe«, lachte der Kavalier und auch Christian lachte »Hehehe«, denn so etwas hört man immer gerne.

»Manchmal hat es geklungen, als krachte das Bett zusammen, dann wieder – mein Gott, was waren das alles für Geräusche, zuerst hab ich gedacht, daß da neben mir ein Alchimist fährt, der sich ein Laboratorium eingerichtet hat, und ich hab es schon dem Kapitän melden wollen, weil ich gedacht hab, da könnt was explodieren – aber da hab ich gehört, wie sie gehaucht hat »Ah Heinrich! Enrico!« Und dieser Hauch war so stark, daß das Schiff leise gezittert hat und die Gläser im Speisesaal gewackelt haben. Und dann hauchte er »Ah Maud! Maud!« Und dieser Hauch war so stark, daß die Gläser vom Tisch gefallen sind, so hat das Schiff gezittert, und der Steuermann ist umgefallen – man hat überhaupt nicht gewußt, wovon das Schiff so gezittert hat, aber ich habe den Mund gehalten, denn ich bin ein guter Mensch und wollte keine junge Liebe stören. Die hört eh bald genug auf, dann könnens Jahre lang auf einem Kajak fahren mit so einem Paar, und können ruhig schreiben, da rührt sich nicht einmal ein Seismograph – kurz und gut: ich hab das Geräusch sehr gern – hehehe!

»Hehehe«, lachte wieder der Kavalier und auch Christian lachte »Hehehe!«

»Aber der Kapitän hat sich nicht beruhigt und hat die Dampfkessel nachschauen lassen, aber es war alles in Ordnung. Und ich hab mir heimlich ein Loch in die Wand gebohrt und hab in der Nebenkabine zugesehen. Und das war auch in Ordnung. Könnt euch vorstellen, was ich da alles gesehen habe, was für gewagte Angelegenheiten, hehehe!«

»Hehehe«, lachte der Kavalier und auch Christian lachte wieder »Hehehe!«

»Ich hab schon zirka vier Nächte lang zugesehen, da hab ich plötzlich bemerkt, daß die Frau einen verkrüppelten kleinen Zehen gehabt hat, also das hätt mich schon sehr gestört, und ich könnt nicht zuschauen, so empfindsam bin ich in solchen Dingen – wenn da nicht alles klappt, dann rühr ich kein Weib an! Aber der Mann schien den Zehen nicht bemerkt zu haben, oder zu übersehen, ich verstehe solche Leute nicht!«

»Zur Sache!« meinte der Kavalier.

»Ja und dann eines Tages ging das Schiff unter, weil die beiden zuviel gerammelt haben, zuerst ist das Bett entzwei, dann der untere Raum, dann der Kesselraum, dann der Kiel, es hat ein riesiges Loch gerissen, und das Wasser ist von unten emporgeschossen, und das Schiff ist untergegangen mit Mann und Maus, hehehe! Nur ich hab mich gerettet, weil ich gerade schon zum Fenster hab hinausspringen wollen, weil ich seit dem verkrüppelten Zehen das Geräusch nicht mehr hören konnte, ich bin schon ganz nervös gewesen und außer mir – und das war meine Rettung! An einer Planke hielt ich mich fest und die Nacht war schwarz, da hörte ich neben mir etwas winseln. Es war ein Mops. Ich legte ihn auf die Planke, das Brett und nach zwei Tagen wurden wir hier auf diese Insel verschlagen – ich war gerettet, aber abgeschlossen von der Welt. Der Mops war eine Hündin, und zwar war sie trächtig, nach vierzehn Tagen hat sie geworfen, und das ging dann immer so weiter, kreuz und quer, drunter und drüber – die vielen Möpse sind alles Abstämmlinge einer Stammutter. Ganze Generationen sind an mir vorbeigewandert, ich war gewissermaßen ihr lieber Gott, jeder hat seinen Namen, oft haben sie miteinander gerauft, aber jetzt nehme ich jeden neugeborenen Mops sofort in Zucht, zuerst hat das natürlich nichts genutzt, wie sie groß waren sinds aufeinander los, aber jetzt – mit der Zeit hat sich das anscheinend gelegt, wie bei den Menschen, sie haben sich zusammengerauft und jetzt sinds artig. Die letzten, die geboren worden sind, haben schon Männchen machen können und waren noch blind. Stellens Ihnen das vor, aber heutzutag ist das bei den Menschen, wenn das auch so leicht ging! So jetzt wissen Sie alles von mir, aber was hat sich denn auf der Welt ereignet?«

»Das läßt sich nicht so einfach schildern«, sagte der Kavalier. »Auf alle Fälle hat sich sehr vieles ereignet, zum Beispiel haben wir einen Weltkrieg gehabt -« und er erzählte von Kriegen, Erdbeben. Verwüstungen, stürzenden Thronen, Republiken monarchistischen und republikanischen Monarchien, ermordeten Ministern, Grippe und Pest und von all den Dingen, die sich auf der Welt in vierzig Jahren halt so ereignen.

Der Bieber hörte aufmerksam zu und sagte dann nur: »Ich habs mir ja gleich gedacht. Aber einerlei! Kommens, nehmens mich mit! Ich möcht doch lieber wieder im Bett liegen, ein Bier trinken und so Sachen! Los! Auf!« Und er stieß einen Pfiff aus und da kamen alles Möpse von überallher und scharten sich um ihn. »Allons!« sagte der Bieber und setzte sich mit seinen Möpsen in Bewegung, Richtung Segelschiff. »Was machen Sie denn mit den Hunden?« fragte der Kavalier. »Die Hunde nehm ich mit«, sagte er. »Unmöglich! So schauns doch das Segelschiff, da haben doch höchstens wir Platz, aber die Hunde? Habens denn kein Augenmaß? Das ist doch kein Lastdampfer, sondern ein Segelschiff!«

»Also gut!« sagte der Bieber, »dann fahr ich ohne Hunde«. Er stieg ein und das Schiff stach in die See. Und da standen sie nun alle am Ufer, alle Möpse und sahen dem Bieber nach. Und das brach dem Bieber das Herz. »Nein! Das halt ich nicht aus! Fahrts zu und glückliche Reise!« Er sprang ins Wasser und schwamm zurück, und der Möpse viele schwammen ihm entgegen und holten ihn im Triumphzug ab.

Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt der brave Bieber noch heute, inmitten seiner Möpse.

V.

Zwei Tage später trafen sie ein seltsames großes Schiff, das stand plötzlich vor ihnen, versperrte ihren Weg. Es war seltsam anzusehen. »Mir scheint, das ist ein Segelboot«, sagte Christian. »Oh nein, das ist ein Dampfboot.« »Oh nein, das ist ein Motorboot.« »Ich hab mich geirrt, ein Motorboot.« Wenn mich nicht alles täuscht, dann hat es Schraubendampfer aber es hat auch hinten einen Propeller.«

Sie waren in einen fürchterlichen Orkan gekommen. Zuerst achteten sie nicht weiter auf den Orkan, spielten Karten – aber dann wurde es ihnen schwummerlich, und Christian meinte, ob es nicht doch vielleicht etwas Närrisches sei, da so zu fahren, aber der Kavalier lehnte entrüstet ab, und sagte, ohne Närrischkeit möcht er nicht leben, da tat er jetzt dort noch herumstehen bei den schweigsamen Matrosen. Und da gab ihm Christian wieder recht.

Und kaum hatte er ihm recht gegeben, ebbte der Orkan ab, die Sonne drang durch die schwarzen Wolken und die See glättete sich und da sahen sie erst, daß ein großes Schiff vor ihnen stand und ihren Weg versperrte.

Es war ein tolles Leben auf dem Bord, und Christian schien, daß es ein großes Gemisch sei. Und schon löste sich ein Boot von der Seite des Schiffes und fuhr auf sie zu. Es war ein Ruderboot, Motorboot, Dampfboot, Segelboot. Manche segelten, manche ruderten, manche Motor manche heizten die Kessel und einer war da, der pfiff immer. Es fiel nur auf, daß keiner steuerte. Trotzdem erreichten sie das Segelboot und nun gings erst los: einer wollte ihm etwas berichten, aber alle redeten durcheinander in den verschiedensten Sprachen – sie prügelten sich, endlich rammten sie das Segelboot, retteten dann die beiden aus dem Wasser, in dem alle hineinsprangen und brachten sie auf das große Schiff.

Das Schiff hatte jetzt eine Flaggengala angelegt, und zwar alle Flaggen, einschließlich der Pest und Choleraflagge. Als sie auf das Schiff traten, wurden sie feierlich empfangen. Ein würdiger Greis trat auf sie zu und sagte nur »Majestät läßt bitten!« Er ging voran und sie folgten ihm.

Sie wurden in einen pompösen Saal geführt, aus allen Stilarten ein Mischmasch. Am Ende des Saales saß der König. »Willkommen!« sagte er. »Willkommen in meinem Reiche! Wir haben euch beobachtet schon seit euerer Abfahrt und es hat uns besonders gefallen, daß ihr dem Landesvater einen Brief geschrieben habt – das war eine richtige Narretei, und das ist ganz in unserem Sinne! Ihr seid mir zwei prächtige Narren! Willkommen nochmals in meinem Reiche! Im Reiche der Narren!«

Es war der Narrenkönig selber, der so sprach. Zur Zeit befand er sich auf einer Rundreise, besichtigte verschiedene befreundete Regierungen und Länder besuchte, eine offizielle Staatsvisite. Und das Schiff war natürlich ein Narrenschiff.

Und das war es auch! Die Segel wurden nur gehißt, wenn es vor Anker lag oder wenn es windstill war, die Kessel wurden geheizt, bis sie fast platzten, aber die Maschine wurde nur angestellt, wenn der Kessel leer war. Der Motor lief auch nur, wenn sie kein Benzin hatten – – und rudern taten sie nur prinzipiell, wenn sie vor Anker lagen.

Auch hatte das Schiff keinen Kompaß. Es war in der Bibliothek nur ein Buch.

Der Narrenkönig war an sich ein sehr vernünftiger Mann, aber er mußte den Narren spielen, weil die Dynastie erblich war. Der Dulder auf dem Throne. Er hatte sich allmählich eine Philosophie zurechtgelegt, zuerst haßte er die Narren, aber jetzt liebte er sie. Das ging aber nicht von heut auf morgen.

Wir können es uns schenken alle weiteren Narreteien hier zu berichten. Schaut doch nur aufmerksam zum Fenster hinaus oder euch in den Spiegel, dann wüßt ihr was da los war.

Der König liebte die Narren.

Und der König freute sich über die vielen Narrheiten.

Zwei Tage lang fuhren sie nun mit dem Narrenschiff und der Kavalier war in seinem Element. Er war beliebt, während Christian etwas scheu daneben stand.

Ständig begegneten ihnen neue Gäste. So trafen sie Rekordschwimmer, Bauch, Brust, Seite, Flieger ohne Motor, Wasserflugzeuge mit ganzen Narrenfamilien, Badewannen, und was es alles gibt. Viele der Narren wurden nach dem Empfang vom König wieder gnädig entlassen, die bleiben wollten, konnten aber bleiben.

Der Kavalier wollte bleiben. Es gefiel ihm. Aber Christian war etwas scheu, und er dachte, daß er eigentlich ein Kellner ist und ging zu dem Steuermann, der steuerte und fragte ihn, wohin er fahre, nach dem Kompaß. »Das ist gleich,« sagte der Steuermann, »wir treffen überall Leute, die wir besuchen können.« Und Christian erfuhr, daß das Schiff auch keinen Kompaß hat, dafür hat es aber auch eine Bibliothek über die historische Bedeutung des Kompasses, sagte der Steuermann und zeigte ihm das Buch. Und er las daraus vor, während er steuerte -

Am nächsten Tage liefen sie eine Stadt an, da stand das ganze Volk im Hafen, Kanonenschüsse wurden gewechselt und die Soldaten rückten aus und die Generäle, der kommandierende General hatte einen Orden vom Narrenkönig bekommen. Fein war das! Der Narrenkönig kam in Uniform und die sah aus, wie die anderen Uniformen auch. Und der General hielt eine kriegerische Rede und sagte, er und sein Land und der Narrenkönig seien auf ewig verbunden und in unzertrennlicher Freundschaft. Und dann zogen die Veteranen vorbei, und dann hielt der Zweite Vorsitzende eine Rede, denn das war der größere Narr. Und abends gingen alle Narren in eine Festvorstellung.

Aber noch in derselben Nacht zog der König wieder fort – fort in ein anderes Land. Und wieder wiederholte sich alles, undsoweiter, es war eine reine Huldigungsfahrt. Nur diesmal war es ein Präsident der Republik, der ließ sich »Hoheit« anreden, weil er Monarchist war.

Und in einer anderen Stadt hatte er wichtige Konferenzen, über Handelsbeziehungen und Wirtschaft. Alles hörte auf sein Wort, er sprach sachlich und hatte eine enorme Fachkenntnis.

Universitätsbesuch.

Dombesuch. Predigt.

Autarkie Inseln. Die sperrten sich alle ab, die einen hatten nur Butter, auch am Kopf, die anderen die Öfen, die dritten die Kohlen. Und den Narrenkönig freute das alles sehr. Und weiter gings in neue Reiche.

VI.

Der Kavalier hatte sich schon ganz eingewöhnt. Er war in der Sammelzentrale des Königs beschäftigt – Er sammelte Briefmarken, züchtete Goldfische und wollte Kinderspielzeuge erfinden, das war seine höchste Sehnsucht.

Und so kamen sie eines Tages auch auf eine Insel und das war eine wunderschöne Insel. Hier schien die Sonne. Hier wurde in gesunder Luft nur Sport getrieben. Es war ein toller Betrieb. Leichtathletik, Fußball, Faustball, Boxen, Ringen, Radrennen – und einmal im Jahre stieg die Stafette, immerwährend ging eine Stafette durch das ganze Reich. Einer gab dem anderen den Stab, jeder lief, und das Ziel war dort, wo der Start war. Aber keiner durfte aussetzen und alle waren glücklich und friedlich. -

Der König wurde mit großem Feiern empfangen, und die, die gerade nicht Stafette liefen, veranstalteten ein großes Schauturnen. Und wie Schlamperl das sah, und wie das alles in Weiß war und vor Gesundheit strotzte, und Kollektiv, da hatte er plötzlich das Schiff dick – er wollte an Land bleiben! Wollte sich einreihen, fort von den Narren, man muß irgendwo hingehören – wie schön war hier alles, und wie nett die Mädchen! Besonders beim Turnen und bei ihren Tänzen.

Der König stiftete einen Pokal und den bekam derjenige, der so lange lief, bis er ohnmächtig zusammenbrach. Wenn dann der nächste ohnmächtig zusammenbrach, bekam ihn der. Es war ein Wanderpokal. Bei den großen Feierlichkeiten schlich Schlamperl mal fort und traf etwas abseits ein Mädchen, das still und ernst für sich trainierte. Sie verrenkte sich ganz und das war lieblich anzuschauen.

Plötzlich bemerkte ihn das Mädchen und lächelte freundlich. »Schau«, sagte sie, »was ich kann. Das hab ich heut gelernt – und der Tag ist mir wieder ausgefüllt. Man muß innerlich wachsen, an seinem inneren Menschen arbeiten. Endlich kann ich mich jetzt so nach hinten beugen, daß ich dich mit dem Kopf zwischen meinen Beinen anschauen kann, sehen kann.« Und sie tat es. »Also das ist wunderbar«, sagte Schlamperl.

»Oh das ist noch lange nichts«, sagte das Mädchen und war ehrgeizig. »Da gibt es noch ganz andere Sachen«. Und machte ihm noch Sachen vor und Schlamperl wurde immer trauriger. »Und ich kann garnichts«, sagte er, dachte er, »ich bin ein Narr, der zu nichts nutze ist, ausgeschaltet undsoweiter – was bleibt mir noch zu tun übrig«.

»Was kannst denn du?« fragte ihn das Mädchen, »Boxen? Ringen? Stabhoch?« »Ich kann nichts, höchstens schwimmen«, meinte Schlamperl, »ich bin ein Nichts, ich bin da mit dem König gekommen, wie gerne möchte ich das können, was du kannst, ich bin sehr traurig«.

»Dann fang halt an!«

»Nein, ich bin glaub ich schon zu alt dazu«, sagte er, und das sagen alle jungen Leute, die plötzlich merken, daß sie Zeit verloren haben.

»Komm«, sagte das Mädchen, »wir werden sehen, ob du zu alt bist, spring mal über mich, ich knie mich hin«, und er sprang über sie.

»Gut«, sagte sie, »das ist die leichteste Übung« und dann drückte sie ihm das Genick zurück, »will mal sehen, ob du gelenkig bist« und das tat ihm weh, aber er gab keinen Ton von sich, biß sich auf die Lippen, denn er wollte sich nicht blamieren und ihre Hand, wie sie ihn so anfaßte, tat ihm wohl. »Oh du bist aber sehr talentiert«, sagte sie, »wenn du noch keine Übung gemacht hast, na das werden wir schon kriegen«. »Wirklich?« fragte er und sah ihr tief in die Augen. »Ja« sagte sie und gab ihm einen Kuß. »Du gefällst mir«, sagte sie, und das war die Liebe auf den ersten Blick.

Am Abend, bevor der König das Schiff betrat, trat Schlamperl vor ihn hin und sagte »König! Ich habe mich genau geprüft, ich bin kein Narr!«

»Wie das?« fragte der König. »Bist du nicht in einem Segelboot über das Meer, hast du nicht deinem Landesvater geschrieben?« »Ich bin mit dem Boot, weil ich kein Kellner werden wollte, das war eher Verzweiflung als Narrheit – und dem Landesvater hab ich geschrieben, aus Ironie, aber dafür hat man kein Verständnis.«

»Richtig! Ich auch nicht! Ich hasse die Ironie! Ich halte dich nicht! Keinen Menschen! Geh nur zu! Und denke aber freundlich an mich zurück und das alles hier, schimpf nicht darauf! Du wirst dich vielleicht mal zurücksehnen, aber ob ich dann gerade in der Nähe bin? Und die anderen werden dich vielleicht nicht verstehen – einerlei, geh zu, Habe die Ehre, Servus, Mein Kompliment, Guten Tag, Guten Abend, Grüß Gott, Lebe wohl, Küßdiehand, Gehorsamster Diener!«

Das war die große Narren-Begrüßung und das pflegte der König nur beim Abschied zu sagen.

Und Schlamperl sah dem Schiff nach, aber nur kurze Zeit, dann zog er sich um, und bekam die erste Anweisung im Stafettenlauf. Jetzt hätt ich aber fast vergessen, kurz nur folgendes zu berichten: natürlich drehte es sich bei diesen Sporttreibenden nur um eine Oberschicht, die Unterschicht, das waren Sklaven – nicht nur aktive, sondern auch passive Mitglieder, und das waren diejenigen, die Geld hatten. Das waren die fördernden Mitglieder, denen die Arena, die Stäbe, die Zielbänder und Stoppuhren gehörten. Diese Mitglieder betätigten sich nicht am Sport. Aber sie waren doch die Ersten.

Es dauerte nicht lange, da war Schlamperl der gute Stafettenläufer, zuverlässig und trainiert – und es dauerte nicht lange, da verlobte er sich mit dem Mädel. Sie hieß Lottchen und war die Tochter eines Funktionärs, der sich mal etwas zugezogen hat beim Sport, ein Beinbruch, jetzt hatte er eine Prothese. Er war sehr streng und sagte immer: »Ich hab mir eine Prothese zugezogen, mein Bein geopfert, nehmt euch ein Beispiel an mir.«

Er hatte nichts gegen die Verlobung, nur wünschte er, daß Schlamperl höher als 3 Meter 60 stabhochspringt. Er brachte es nur 3 Meter 40. Zu seiner Tochter sagte er: »Bedenke, du kannst doch keinen Mann nehmen, der so niedrig springt! Dein Großvater sprang vier Meter, ich selbst fünf und dein Urgroßvater 18 Meter – und der Begründer unseres Geschlechtes 19 Meter.« Der Begründer war nämlich ein Aff und der konnte es sich leisten.

Lottchen sah dies auch ein. »Obwohl ich dich sehr liebe«, sagte sie zu Schlamperl, »du ich kann dich nicht heiraten, wenn du nicht so hoch springst, wir stammen von einem ab, der sprang 18 Meter aus dem Stand.« »Das wird halt ein Bock gewesen sein«, sagte Schlamperl und war verärgert. »Wie lang soll ich denn noch warten?« »Ich kann mich dir nicht geben, ohne vier Meter«, sagte sie.

Schlamperl fing sich nun an zu langweilen über die ganze Moral. Man kann es auch niemand zumuten, so Stafette zu laufen, ohne Erotik. Das ist klar und muß nicht weiter begründet werden. Es ist ferner klar, daß sich Schlamperl abschüssige Gedanken bekam. Er verwünschte den ganzen Stafettensport, aber er konnte nicht raus – das ganze hätte aufgehört, wenn einer rausspringt, und er hatte Verantwortungsgefühl, das wurde ihm ja zur Genüge eingebläut.

Am nächsten Tage träumte er nun etwas ganz Wildes. Und dann stand er Tags darauf im Walde, und wartete auf den Stafettenstab. Es war ein Frühlingstag, alle Käfer und Vögel liebten, es ging drunter und drüber, Summen und Brummen endlich kam die Ablösung, vorschriftsmäßig übernahm er den Stab, aber seine Gedanken waren schon angefault und angestachelt, er achtete nicht mehr auf den Weg und plötzlich hatte er sich verirrt – er bemerkte es aber erst, als er statt seinen Vordermann, dem er den Stafettenstab übergeben sollte, plötzlich eine wildfremde Frau traf, und die sagte zu ihm: »Gib mir deinen Stab!« Aber er lief weiter und suchte seinen Vordermann, aber wieder traf er eine Frau, und die war brünett, und die sagte: »Gib mir deinen Stab!« Und er lief weiter und da stand eine Dritte, und die war brünett, und die sagte auch: »Gib mir deinen Stab!« Und da konnte er nicht mehr weiter laufen, und er hatte kaum mehr Luft, und da sah er, daß diese Dritte dem Lottchen riesig ähnlich sah, als wäre sie ihr Spiegelbild. Was nämlich bei Lottchen links war, war hier rechts, und umgekehrt. Aber das schadet nichts.

Und die schaute ihn an und sagte: »Schau mich doch nicht so an«, und dann sagte sie: »Nein, was tust du denn mit mir«, und dabei umarmte sie ihn. Und dann ergriff sie ihn selbst und seufzte »Tu die Hand weg bitte«. Und dann küßte sie ihn so und sagte »Du sollst mich nicht so küssen«. Und dann sagte sie »Nein, was hast du jetzt mit mir gemacht« – und da war es halt geschehen und alles übrige entwickelte sich automatisch.

Kaum sah er sich um, war sie fort – fort mit seinem Stab. Und er wollte den Stab zurück haben und wollte sie und hatte Sehnsucht nach ihr und suchte sie überall und fand sie nirgends. Er lief durch den Wald, es wurde Abend und die Nacht kam. Da stand er vor einem Berg, und der Berg öffnete sich, war offen und er trat ein. Aber der erste Eindruck war: finster.

Und er versuchte sich das Bild zu rekonstruieren, und da bemerkte er, daß das doch in keiner Weise das Lottchen war, sondern ein ganz anderes Gesicht, fein und zart und verlegen und voll hemmungsloser Ordinärheit. Und Zerstörung und Aufbau.

Und er fand sie nirgends und fing nun an vor lauter Verzweiflung zu saufen. Um zu vergessen, und er soff und soff, aber es war halt alles nur Betäubung.

Eines Abends saß er wieder im Wirtshaus, betrunken, aber traurig. Und er entschloß sich, vor lauter Liebe zu sterben. Er war sich nicht klar darüber, auf welche Art. Endlich sagte er sich, er werde sich erhängen. Er knüpfte einen Knoten und legte sich ihn um den Hals.

Aber da erschien ihm die Frau, nach der er sich sehnte – und sie kam auf ihn zu, und es schien ihm, als sei das die Göttin der Liebe selbst. »Ich bin der Tod«, sagte sie und wollte ihn umarmen und küssen, aber da stieß er sie von sich – und da war er draußen. Und das war eine arge Sache. Wer nämlich da heraußen ist, dem geht es schlecht. War zuerst noch Sommer, so war es jetzt Winter, war er zuerst in Gesellschaft, so jetzt war er allein. So grenzenlos allein. Und es gab keinen Weg zurück in das Land der Stafettenläufer.

Es wehte ein kalter Wind, als er den Venusberg verließ. Eis und Sturm und die Wege waren tief verschneit und die Nacht rabenschwarz, so daß man über jede Wurzel stolperte. Eine grenzenlose Leere war in ihm, und seine Seele knurrte, als wäre sie sein Magen. Etwas hatte er verloren, etwas war fort aus ihm, der Glaube an die Allmacht der Liebe. Leere in ihm, aber trotzdem ein nicht unangenehmes Gefühl, nur sonderbar zerrissen. Er fühlte es, wie seine Persönlichkeit auseinanderstrebt. Er ging nach verschiedenen Seiten, und blieb immer er, an jedem Kreuzweg teilte er sich, ging ein Schlamperl von ihm fort, meist ohne Adieu zu sagen, oft hat er sogar nur geschimpft.

Endlich leuchtete vor ihm ein Licht auf, ein Wirtshaus, und er trat ein. Es war zuerst eine schlechte ungelüftete Luft, aber es war warm und es waren Leute drinnen. Er trank mit. Betrank sich. Vergaß, und er kümmerte sich nur um die Leute, wenn sie ihn im Trinken störten. Und allmählich traten die Schlamperl wieder ein, die ihn verlassen hatten, setzten sich zu ihm hin und tranken mit – und als alle Schlamperl wieder da waren, hei war das schön! Und prächtig!

Und der Wirt war freundlich und brachte immer neuen Wein und Bier und Schnaps. Aber dann ging es an das Zahlen und das war eine faule Angelegenheit. Woher sollte er das Geld haben?

Er sah sich um: in der Ecke spielten Leute Karten. Er spielte mit, und bemerkte, daß man falsch spielen kann – wie leicht kann man das Glück korrigieren! Und er soff weiter! Aber jetzt nur mehr Wein! Schweren Burgunder und alten Frankenwein, Steinwein! Aber bald hatten seine Partner nichts mehr, wollten nicht mehr spielen, aber zur Zeche langte es nicht, und da hat er sie bestohlen. Und jetzt gabs nur Sekt! Und Bowlen aus den besten Gläsern und die Gläser zerbrach er!

Und je mehr er soff und je feineres, so verwandelte sich auch der Raum; war es zuerst eine Wirtsstube, so war es jetzt ein prächtiger Saal mit schönen Damen – und da erwachte in ihm wieder die Sehnsucht und er wurde sehr traurig und wollte sterben.

Als der Morgen graute, sah er vor sich Männer, die fällten Bäume. »Wir fällen die Bäume hier«, sagten sie, »um eine Straße zu bauen und das Holz bringen wir dann im Frühjahr in die Stadt und verkaufen es. Wir arbeiten«, sagten sie, »und wenn du willst, kannst du mitarbeiten, du siehst aber sehr schwach und herabgekommen aus.«

Er arbeitete mit. Anfangs konnte er die Axt kaum heben und wurde sehr bald müde – aber dann kamen wieder all die Schlamperls und die arbeiteten mit, begeistert, und bald schaffte er mehr wie die anderen. Alle Schlamperls waren wieder da, ja sogar fremde, die er bisher noch garnicht kannte.

Und im Frühjahr ging er hinab in die Stadt. Da verkaufte er das Holz in einer Wirtschaft. Die Wirtstochter war schön und reinlich gewaschen und duftete, aber ganz anders wie seine bisherigen. Sie kaufte ihm das Holz ab, denn sie hatte einen großen Herd und ein gutes Geschäft mit vielen Gästen, weil sie gut kochen konnte. Aber sie hatte schwarze Kleider an, denn ihr Vater war erst vor kurzem gestorben. Er hatte sich unter der Ofenbank den Winter über zu Tode gesoffen.

Als Schlamperl den sauberen Raum sah, sagte er: »Eigentlich bin ich Kellner«, und es entfuhr ihm das unwillkürlich. Er bekam plötzlich Sehnsucht, wie seinerzeit in seiner Knabenzeit. Das wäre das Glück, dachte er, das zu arbeiten, was einem Freude macht! Und sie sagte: »Das trifft sich gut, denn ich hatte einen Trauerfall in der Familie und der Tod hat eine Bresche geschlagen, und jetzt fehlt mir eine Kraft«, und er wurde Kellner, sie engagierte ihn, denn er gefiel ihr.

Und bald vertauschte er den Kellnerfrack, das heißt, bald stand er mit seinem Kellnerfrack vor dem Altar und dem Standesbeamten. Weder er, noch sie lebten nach den Gesetzen der Religion, aber es schadet nichts, vor den Herrgott hinzutreten und zu sagen: »Lieber Gott, wir beide haben uns lieb. Ich bin verliebt.« Er wurde ein braver Bürger und das Glück der Zufriedenheit strahlte zum Fenster hinein. Er beugte sich vor der Autorität, denn es ging ihm gut, und die Autorität kam jeden Tag zu ihm zu Gast. Sie nickte ihm freundlich und herablassend zu, klopfte ihm auf die Schulter und gab ihm gute Ratschläge.

Und seine Frau liebte er. Er liebte sie bürgerlich, aber richtig. Und sie gebar ihm einen Sohn, den nannte er Ludwig. Und er ließ ihn taufen, und ging mit seiner Frau auf das Grab ihrer Eltern. Die Autorität war Taufpate. Und er war in verschiedenen Vereinen maßgebend und mitbestimmend. Der alte »junge« Schlamperl war tot, die Wunden vernarbt – bei jeder Station, Kellner, Hochzeit, Geburt, Kind, Taufe, erster Vorsitzender, usw. starb etwas vom alten Schlamperl und der neue war da. Er hatte sich gehäutet. Es war eine brave Haut, etwas monoton, aber glücklich.

Aber die »jungen« Schlamperls waren noch nicht tot. Sie saßen nur in der Ecke und waren schlechter Stimmung, aber nicht hoffnungslos. Und sahen zu, wie sich die neuen Schlamperl breitmachten.

Manchmal wagte sich einer nach vorne – das war: wenn ein richtiger Saufbold kam oder ein loses Mädchen, aber husch! Schon hatte er von dem guten Schlamperl einen Stoß erhalten, so daß er in seine Ecke flog. So sehr beherrschten ihn die Guten. Es war nicht zu beschreiben.

Trotzdem gaben die bösen Schlamperls das Rennen nicht auf. Und vielleicht hätten sie doch mal wieder die Oberhand erringen können, aber da geschah etwas, was ganz außerhalb ihrer Einflußsphäre lag, und dazu muß ich jetzt erst noch eine Randbemerkung machen.

In der Stadt, in der Schlamperl servierte, saß ein König, und daher war die Stadt natürlich Haupt- und Residenzstadt. Der König war sehr für die Musen eingenommen, hatte eine herrliche Oper, zahlte aus seiner Privatschatulle drauf und war überhaupt ein gemütlicher Mensch. Alles, was er Ungemütliches hätte machen sollen, überließ er seinen Ministern, so gemütlich war er.

Diese Minister waren rechtschaffene Leute, klug und intelligent, aber leider fehlte ihnen etwas: es waren eigentlich hemmungslose Egoisten, aber sie wußten es nicht, Schurken und Verbrecher, und sie wußten es nicht, deshalb kann man ihnen schwer eine Vorwurf machen – es wäre allerdings besser gewesen, wenn sie keine Dummköpfe gewesen wären, wenn sie es gewußt hätten. Sie hätten zwar trotzdem ihre Schurkereien weiter vollführt, aber wenigstens hätten sie nicht soviel Dummheiten gemacht.

Nun konnte man schon seit einiger Zeit, seit Jahren und besonders im letzten Jahr in den Zeitungen immer wieder und wieder Nachrichten lesen, über die Wilden – das waren richtige Wilde, Menschenfresser, die wohnten jenseits der Grenze, hinter den Bergen, und es war schauerlich, was man da von den Wilden las an Greueln! Blutschande und so stand auf der Tagesordnung! Man entrüstete sich überall, im Bett, an den Stammtischen, in den Fabriken und die Bauern haben sich bekreuzigt, wenn man von den Wilden sprach.

In grauer Vorzeit sollen die Wilden mal eingebrochen sein, und alles verwüstet – aber es gab darüber nur mündliche Überlieferungen. Früher hat mal ein Professor es herausbekommen, daß damals der König das Land verwüstet hat, weil er verrückt gewesen ist, aber der ist gleich verbrannt worden auf alle Fälle: man wußte nichts Konkretes über die Wilden, es waren alles nur Sagen und Legenden.

Manchmal kam zwar Einer und der sagte: »Die Wilden sind garnicht so. Es sind anständige Menschen. Allerdings tragen sie Federn am Hintern.« Aber das war Landesverrat. Und wieder einzelne Verwegene sagten: »Die Wilden haben einen wunderbaren Schmuck! Und die Minister möchten nur den Schmuck!« aber die wurden von den Leuten mit Verachtung bestraft und erschlagen, weil jeder der Leute heimlich hoffte, so einen Schmuck bei einem Krieg mal selber zu erhalten.

Auch Schlamperl las die Sachen über die Wilden und glaubte sie. Besonders seine Frau entrüstete sich, und malte sich aus, wie das war, wenn ein Wilder sie vergewaltigen würde, und dann sagte sie: »Ich denke an unser Kind. Ich habe Angst um unser Kind.« Und er sagte: »Die Wilden kommen nicht, solang ich da bin«, gab ihr einen Kuß und bestieg sie. Und dabei kamen ihr wieder so Gedanken an die Wilden.

Und eines Tages klebten Plakate an den Wänden: »Krieg! Die Wilden wollen uns unseren Gott nehmen und das lassen wir uns nicht bieten! Krieg!« Und die Minister hielten Reden, aus jedem Fenster eine und sagten, der Krieg erhebe, und der Kriegsminister sagte: »Sagen Sie dem lieben Gott: wir werden ihn beschützen!« Und der König zeigte sich auf seinem Balkon und alles schrie »Hurrah!« und geriet in einen Taumel der Begeisterung.

Und alles wurde Soldat. Auch Schlamperl. Aber zuerst mußten sie die Sachen noch vorbereiten und die Waffen wurden geschmiedet. Die Waffenfabriken zögerten noch etwas, denn sie lieferten auch den Wilden die Waffen. Sie konnten also nicht verlieren. Gewannen die Wilden, wars recht, gewannen die Eigenen, wars auch recht, noch rechter, denn sie bekamen dann noch den Schmuck. Der Schmuck war natürlich Staatseigentum und kam allen zugute. Aus dem Schmuck wurden wieder Kanonen.

Nur der Unterrichtsminister wußte, daß es gegen die Wilden um den Schmuck ging, der Kriegsminister glaubte selber an den gefährdeten lieben Gott, so blöd war er.

Und die Offiziere freuten sich, und die Unteroffiziere auch. Sie wurden alle befördert. Und die leeren Stellen durch besonders taugliche Leute, die übrigen mußten exerzieren. Jeder tat das aber gerne, nur einzelne nicht, aber das waren eben faule Querköpfe, und die wurden eingesperrt. Und die anderen sahen voll Entrüstung auf sie, aber nur anfangs, dann bemitleideten sie sie und dann sagten sie, die haben eigentlich recht. Aber sie dachten es nur, und trauten es sich noch nicht zu sagen. Sie dachten es sich als sie in die Berge zogen. Eines Abends stand Schlamperl als Soldat Posten vor dem Hause des Königs. Und da hörte er auf dem Balkon, hinter dem ein Kronrat tagte, wie der Kriegsminister herauskam und zum Waffenfabrikanten sagte: »Sie liefern ja auch den Wilden Waffen, Sie Schuft gemeiner, und wenn Sie mich bei dem Geschäft nicht mitnehmen, dann sag ichs dem König, der ist ein Tepp und glaubt eh alles!«

Zuerst dachte Schlamperl, er hätte sich verhört, aber dann sagte es der Unterrichtsminister noch einmal, und nun wußte er es. Und es tauchten Jugenderinnerungen auf, sein Vater, den er nicht erinnerte und er sagte, das ist ja furchtbar. Und verließ seinen Posten und ging nachhaus.

Seine Frau lag schon im Bette und schlief. Sie wachte auf und sah ihn überrascht an: »Wo kommst du her?« »Ich tu nicht mit, grad hab ichs gehört, und die Wilden essen Menschen, aber was geht das uns an«.

»Und der Schmuck, den du mir mitbringen wolltest?«

»Wir können auch ohne dem leben.«

»Und unseren Gott wollen sie uns nehmen!«

»Du irrst.«

»Ich irre nicht. Und denk an unser Kind!«

Schlamperl trat ans Bett und betrachtete sein Kind. Das lag da und schlief. Er streichelte es und dann sagte er wieder »Ich bleibe. Ich geh nicht mit.«

Aber da kamen Soldaten, man hatte es bemerkt, daß er nicht Posten stand, bei der Ablösung – und verhafteten ihn. Sie sperrten ihn ein, zuerst schlugen sie ihn, dann stellten sie ihn vors Kriegsgericht. Und verurteilten ihn zum Tode. Und seine Frau ließ sich scheiden, denn sie wollte mit einem Feigling nichts zu tun haben. Und das Kind wurde ihr zugesprochen. Aber der König wollte das Todesurteil nicht unterschreiben, denn er war ein belletristischer Mensch, und verwandelte die Todesstrafe in lebenslängliches Zuchthaus, dunkel und Brot und Wasser.

Und die Frau heiratete einen Unteroffizier und der adoptierte Schlamperls Kind. Aber das Kind starb an Unterernährung. Und der Unteroffizier dachte, es ist besser, daß es hin ist, was kann von so einem Schlamperl schon werden? Und er machte der Frau ein neues Kind.

Und während er im Dunkeln saß, schien draußen die Sonne. Sie schien auf Schlachtfelder, und auf den Sieg der Wilden und da gab es Revolution. Die Minister verjagt und den König, aber man erschoß nur einzelne kleine Beamte. Der Kriegsminister floh mit General und Pack.

Kurz, es war Revolution – aber eigentlich sah das nur so aus, eigentlich war das ja nur ein Zusammenbruch der herrschenden Gewalten, denn die Wilden hatten gewonnen. Sie hatten viele gefangengenommen, und aufgefressen.

Sieben Jahre hat der Krieg gedauert. Und im ersten Jahre war die Begeisterung noch riesengroß.

Im zweiten schon weniger. Und da waren schon viele da, die hatten keine Beine. Und es waren auch viele da, die haben den Wilden die Beine abgeschnitten.

Und im dritten Jahr, da sagten alle Herrschenden und Wohlgesinnten: es ist ein heiliger Krieg.

Und im vierten Jahre haben sie gesiegt, und im fünften Jahre stellte es sich heraus, daß sie nicht gesiegt haben. Im sechsten nichts zum Fressen und im siebenten, da war es aus. Da gab es Generäle, die wollten akkurat am Namenstage der Königin eine Festung erobern, aber die Wilden dachten anders, und es ging kaputt. Ordensjäger. Paralytiker als Generäle. Und die es ernst meinten, die sind gefallen, unter den Militärs, und nun blieb das Pack zurück. Ein feiges Pack, das davonlief.

Und unter den Soldaten, da war einer, man kannte seinen Namen nicht, der sagte plötzlich gegen den Krieg, er wurde Kriegsminister und sagte: »Ich möchte keine Soldaten mehr sehen!« Ewiger Friede!

Und da war einer, der sagte: ja. Aber zuerst müssen die Minister daran glauben und alle, die den Krieg machten.

Nun hat aber der Krieg lange gedauert, und der Munitionsfabrikant war schon im dritten Jahr gestorben, und sein Sohn sagte: Meine Herren! Ich kann nichts dafür.

Und sie appellierten an die Menschlichkeit. Aber anfangs nützte das nicht viel. Und einer sagte: Wenn wir die leben lassen, haben wir bald wieder einen Krieg.

Nun war Schlamperl sieben Jahre gesessen und wurde von der Revolution befreit. In den sieben Jahren war es dunkel und es wurde ihm vieles klar. So zum Beispiel, daß man sich rächen muß, helfen muß, daß man sich um alle kümmern muß.

Und dann aber: Ihr habt mich sieben Jahre sitzen lassen, wo wart ihr? Und sie konnten ihm nichts darauf erwidern.

Und jetzt zog Schlamperl an der Spitze der Revolutionäre in das Schloß – und da wurden die Minister und der König so klein, daß sie sie zuerst garnicht fanden. Endlich stieß einer einen Stuhl um und rief: »Da sind sie ja alle! Da stecken sie ja! Soll ich euch zertreten?« Aber die winselten nur erbärmlich, fielen in die Knie und schworen bei Stein und Bein, daß sie von nun ab selbst Revolutionäre sein wollten! »Seht wie klein wir sind, was können wir euch denn schon gefährlich werden? Ein Tritt von euch und wir sind hin!«

Aber Schlamperl sagte: »Schlagt sie tot!« Aber die Anderen sagten, sie seien wirklich zu klein, und das besonders neben ihnen, und es wäre unter ihrer Würde – und sagten Schlamperl das, aber der sagte: »Das ist mir gleich! Weg müssen sie!«

Aber sie hielten Schlamperl zurück und da trat ein kleiner Mann hervor und sagte: »Wenn ihr sie nicht zertretet, dann werden sie wieder groß!« Aber er wurde ausgelacht, und als er sagte, sie seien Idioten, wurde er verprügelt. Er war nicht viel größer wie der Unterrichtsminister und der ganze Hofstaat, aber sie verprügelten ihn doch. Und als sie genauer hinsahen, war er tot.

Aber Schlamperl sagte: Ich bin sieben Jahre gesessen – und sie brauchten ihn, denn er war beliebt und berühmt. Und sie sagten ihm, sei unser Minister. Und als Schlamperl sich unschlüssig umsah, wußte er nicht, was er darauf erwidern sollte, und da sah er, daß ihm der Kriegsminister zublinzelt. Er wollte schon fragen, was er wolle, aber der Kriegsminister legte den Finger auf die Lippen, es sei ein großes Geheimnis. Und da packte ihn Schlamperl und steckte ihn rasch in seine Tasche, damit ihn die anderen nicht sehen, daß er mit dem Kriegsminister redet.


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