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Zweiter Akt

Côte 2735.

In der Arbeiterbaracke Nummer vier der Bergbahn A. G. Links Matratzenlager. Rechts Herd und langer Holztisch, darüber Petroleumlampe. Im Hintergrunde eine Tür ins Freie, rechts eine nach dem Raume des Ingenieurs. Neben letzterer ein Telephon. Nacht.

Reiter, Maurer, Sliwinski, Simon, Xaver ziehen sich die Stiefel aus, wechseln Socken, Hemden, Joppen – liegen, sitzen auf den Matratzen oder stehen herum. Veronika kocht.

Moser zieht sich das Hemd aus: Wer hust da was von Rohheit? Wer? Die paar Pflaster hat si der Hundling redli verdient! War ja glacht! Er a scho mit de großn Hund pieseln! Pürscht si da ran, der Beihirsch! In diesem Punkte kennt der Moser weder Spezi no Bruder! Will er net kennen! Da werd er wild! – Vroni! Geh her! Daher! Veronika tritt zu ihm hin. Ha? Hab i den zu stark gschlagn?

Veronika Du weißt es nit, wie stark du schlagn kannst. – Moser! Du bist a Tier! A wilds Tier! Ausm großn Wald!

Moser Und du? Sags! Ha?

Veronika Du! Du machst mi zum Tier – Sie beißt in seine Brust. Oberle tritt ein.

Moser stößt Veronika von sich; grinst; gröhlt: Jessas, jetzt kommt ja die wandelnd Nächstenlieb! Stehts auf allesamt! Zu! Präsentierts der frommen Seel! Dem verschleimt Apostl, der Wasser predigt, Luft frißt und do nur Dreck scheißt! So präsentierts do! Zu! Los! Keiner reagiert. Sieht sich überrascht um. Ja, Herrgottsakrament – Schweigen. Fixiert heimtückisch Oberle; lacht gewollt. Oberle! Oberle! Du hättest Christkind werdn solin! Oder Papst!

Oberle Und du Metzger. Oder Henker. Schweigen.

Reiter leise: Horch, der Wind –

Maurer ebenso: Wie a Opernsängerin.

Moser näherte sich langsam Oberle; unterdrückt: Du, geh her! Wie hast du des gmeint, des mit dem – Henker?

Oberle Des werst leicht erratn. Er läßt ihn stehen.

Simon überlaut, als wollte er etwas überschreien: Wann kimmt denn der Herr?

Xaver Was für a Herr?

Simon Der Direkter!

Hannes Was für a Direkter?

Sliwinski Der Zirkusdirekter! Einzelne lachen befreit auf. Der an Ingineur braucht zum aufikeuchn, zwegn dem Großkopf!

Xaver Und zwegn der Wampn! Hat an Bauch, wies Goldene Kalb!

Maurer War ka Wunder! Schaugts hin aufn Herd, was so a hoher Herr für Brotzeit macht, bal er mal fünf Stunden hatscht.

Simon Dafür is er a Direkter und du bist bloß der Arbeitsmann. Er dirigiert und schluckt Schnitzl mit Salat und sauft sein Champagnerwein, daß ihm die Sauce bei der Lefzn runterrinnt – und du derfst di schindn und hast an Schmarrn!

Hannes Aber an guatn, des muaß ma da Vroni lassn!

Sliwinski Recht hast, kenigli boarischer Haus- und Hoftepp!

Simon Der Kavalier! Der Zawalier!

Xaver Geb nur acht, daß die der Moser net derwischt!

Moser Was gibts da mitn Moser?

Oberle Nix. Sliwinski spielt auf einer Mundharmonika.

Maurer grinst Moser ins Gesicht: Bravo!

Xaver schnalzt: Tanzn sollt ma halt kennen! Tanzn!

Simon A Tanz ohne Dirn, is wie a Stier, der net springt!

Reiter Zum Landler ghört a Mensch, wie a Köchin zum Kaplan.

Maurer singt:

Guten Morgen, Herr Pfarrer
Wo is der Kaplan?
Er liegt auf der Köchin
und kräht wie a Hahn!

Schallendes Gelächter.

Xaver Kreizkruzefix! War scho höchste Zeit, daß an was Weibliches zulauft! Alls kannst unmögli nausschwitzn!

Simon singt:

Und Keiner ist so eigen
Und Keiner so verschmitzt
Als wie der, der ins Bett macht
Und sagt, er hätt gschwitzt –

Telephon. – Alles verstummt und horcht.

Veronika tritt ans Telephon: Hier Baracke Nummer vier. Ja. – So. Ja. Sie hängt ein. Der Ingenieur is unterwegs. Der Direkter kimmt heut nimmer; der übernachtet auf Nummer drei.

Simon Auf Nummer sicher.

Sliwinski Den hats zerrissn! Der hat sie mit die Berg überhobn.

Hannes Wisst Leutl, des mit die Direkter. Des is so: da ghöret a Lift her, wies es in die Wolkenkratzer habn, drübn in Amerika. So an Wolkenkratzer is nämli häher, als inser hächster Berg!

Xaver Jawohl, Herr Nachbar!

Reiter Des is ja gar ka Direkter, des is an Aufsichtsrat.

Simon Richti! Des san die, die allweil aufpassn, ob die andern net faulenzen. Dabei sitzens in lauter Schaukelstuhl und schnupfn.

Sliwinski spielt nun ein sentimentales Stück.

Maurer Pst!

Alle lauschen.

Xaver singt leise:

Und die Wasserl habn grauscht
Und die Bacherl habn plauscht

Hannes fällt ein:

Aber gschwind, wie der Wind
Lassens trauri mi hint –

Gesumm.

Denn auf den Bergen
Da wohnt die Freiheit
Ja, auf den Bergen
Da is es scheen –

Einzelne summen mit:

Da is es scheen –

Moser näherte sich Oberle; leise; unsicher: Oberle, du bist so hinterlisti still. – Hast etwa zuvor sagn wolln, daß i den da draußn, daß der da draußn –

Oberle Na. Aber bremsn mußt! Sonst könnts leicht mal an Unglück gebn. Der blut nur, aber leicht kennt si mal aner verblutn.

Moser grinst: So? Halt! Sag: was hättest denn du dann hättst ihn gstreichelt und gschmeichelt, hättest Kratzfuß gmacht, daß der Dreck nur so rumgspritzt war, ha? Net zughaut, na na! Und warum net? Weißt warum net? Weil du net kannst! Weil deine Arm ohne Schmalz san, verstehst, du Schleimer! I hab di scho heraussen, Oberle!

Oberle Meinst?

Moser Jawohl! Sogar sehr! – Oberle, kennst die Hirsch? Was macht denn der Hirsch, wenn a Fremder über sein Rudel kimmt, ha? Der rauft damit! Und dersticht ihn! Der Stärkere den Krüppl, verstehst?!

Oberle Wir san aber kane Hirsch. Wir san arme Teufl. Wir kennens uns net leistn zwegn an Madl – und wars a ganzer Harem, uns die Schädl zu zerschlagn! Wir müssn des Hirn und all unsere Kraft sparn. Wir habn nur Feind, lauter mächtige Feind!

Moser Wo hast denn die Spruch glernt?

Oberle Im Krieg. Da hab i den Feind gsehn, ganz deutli und scharf. – Damals warst du no klein. Hast Schneemänner baut und net lesen kennen. – Komm jetzt!

Veronika hatte zwei dampfende Schüsseln auf den Tisch gestellt um den die anderen bereits Platz genommen haben.

Oberle setzt sich.

Moser folgt ihm langsam nach.

Alle essen.

Der Wind wimmert und rüttelt an den kleinen Fenstern.

Sliwinski lauscht: Der bringt Schnee. Viel Schnee.

Reiter Oktober. Nacher werds nimmer gut.

Xaver Ja, die Berg warn a zu rot.

Schweigen.

Maurer Jetzt heut wars scho gar nimmer so einfach. Der weni Neuschnee in der letztn Nacht, da rutscht alls, und drobn des Groll, des hat der Satan angschaut – da, wer net hinhorcht, da ists glei aus mitn schönen Land Tirol!

Schweigen.

Reiter Wie hat sie nur jetza der gschriebn, dens im Frühjahr runtergwaht hat? Beim Hilfskabel. Da hast schier nimmer gwußt, was da vor dir liegt. Im Sack habens den Brei aufn Gottesacker gschafft.

Simon Der Müller Anton wars. Von Pfaffenhofen.

Maurer Richti! Ja, des war schreckli. Und a Weib und vier unmündige Kinder.

Schweigen.

Es is scho a wahre Sund, was mit die Menschn gtriebn werd. Da turnst herum, wie kaum a gewiegter Turist, rackerst di ab mit Lawinen, Steinschlag, Wetter – und was erreichst? Grad, daß dei Essen hast und a Lager, wie a Unterstand, als hätt der Krieg kan End! Abgschnittn von der Welt.

Schweigen.

Sliwinski Neuli habns an Ingineur gfeiert.

Maurer In der Zeitung is gstanden, er sei unsterbli.

Simon Aber von die Totn schreibt kaner!

Reiter Die Totn san tot.

Oberle hebt langsam das Haupt: Die san net tot! Die lebn!

Schweigen.

Sliwinski Da liest überall vom Fortschritt der Menschheit und die Leut bekränzn an Ingineur, wie an Preisstier, die Direkter sperrn die Geldsack ind Kass und dem Bauer blüht der Fremdenverkehr. A jede Schraubn werd zum ›Wunder der Technik‹, a jede Odlgrubn zur ›Heilquelle‹. Aber, daß aner sei Lebn hergebn hat, des Blut, werd ausradiert!

Simon Na, des werd zu Gold!

Xaver Wahr ists.

Reiter Allweil.

Schweigen.

Xaver Allweil des Geld.

Hannes Des Geld hat der Teifl gweiht!

Maurer Des Grundübel, des is die kapitalistische Produktionsweise. Solang da a solche Anarchie herrscht, solang darfst wartn mit den Idealen des Menschengeschlechts. Die Befreiung der Arbeiterklasse –

Simon unterbricht ihn: Des san Sprüch.

Maurer Was san des?

Simon Sprüch. – Und weisst warum? Weil mans nur hört, aber net spürt! Da hat erst neuli einer drunt gsprochn, vor der letztn Wahl wars, und Leut warn da von weit und breit, gstecktvoll! Und gredt hat der, zwa Stund! Vom Klassenbewußtsein und der Herrschaft des Proletariats, und vom Zukunftsstaat, zwa Stund – aber nachher, da hat er mit an Gendarm kegelt, vier Stund! Lauter Kränz habns gschobn, lauter Kränz! An Kenig habns stehn lassn, a jedsmal! Akkurat! – Alle neune, muß heißn! Alle neune!!

Maurer Des san Sprüch!

Sliwinski Des und des! Was nützt des Redn ohne Macht?

Simon Richti! Aber wie willst denn du die Macht erobern?

Sliwinski Wie du! Damit!

Simon Bravo!

Sliwinski Mit der Faust! Er schlägt auf den Tisch. Und, wenns an Oberle a net passn sollt –

Oberle Obs an Oberle paßt oder net paßt, des is ganz gleich – aber ob uns mit der Faust gholfen is, des bezweifelt der Oberle. Er glaubt, daß man mit der Faust nix erreicht

Sliwinski unterbricht ihn: Also möcht der Oberle, daß alls so bleibt, wies is.

Oberle Es werd net so bleibn.

Simon Richti! Es werd no viel schlimmer werdn!

Oberle Was weißt denn du, wie schlimm daß es war?! Wie alt bist denn du, ha? Was hast denn du scho gsehn?!

Sliwinski Holla, holla, holla – Der sanft Oberle –

Reiter Ruhe!

Hannes Laßt an do essn!

Sliwinski grinst: Friß nur, friß – daß di aber nur net verschluckst.

Simon zu Oberle: Entschuldigens, Herr, daß i bisher nur Dreck gsehn hab. I kann aber nix dafür, daß i no net in Asien war – du, du kannst ja a nix dafür!

Oberle lächelt: Na, da kann i nix dafür. Mir wars lieber, kannst es glaubn, i hätt des Asien nie gsehn und war heut erst zwanzig Jahr.

Sliwinski Jetzt predigt er scho wieder!

Simon ›Liebe den Kapitalismus, wie dich selbst!‹

Xaver lacht.

Sliwinski Der Moser hat recht! Des is an Apostl, auf und nieder! Recht hast, Moser!

Moser rührt sich nicht.

Schweigen.

Oberle Der Moser weiß, daß durch Gewalt nix gedeiht. Nix.

Alle starren Moser verdutzt an.

Der Moser weiß, daß sei Faust stark is, furchtbar stark – und es kann ja leicht möglich sein, daß er sei Faust mal gebrauchn werd müssn, aber da gabs bloß Blut. Sonst nix.

Schulz tritt rasch ein und bleibt verstört in der offenen Türe stehen. Sein Gesicht ist blaurot vor Kälte und Blut, sein Anzug zerfetzt, zerschunden. Veronika schreit gellend auf. Moser, Oberle, Maurer, Simon schnellen empor. Alle versteinert. Der Sturm heult in den Raum, fegt ein Glas vom Herde, das klirrend zerbricht und bläst fast die Petroleumlampe aus.

Veronika schreit: Des Licht! Des Licht!

Simon schreit: Ist d'Höll los?!

Maurer Die Tür! Die Tür!! Schulz schließt sie und lächelt verlegen. Stille.

Schulz Eigentlich wollte ich absteigen, aber ich habe mich verstiegen. Und dann stürmt es so grausam und die Berge wachsen in der Nacht. Man muß es gewohnt sein – Darf man sich wärmen? Oberle deutet auf den Herd. Verbeugt sich leicht. Danke.

Veronika entsetzt: Er soll si do des Gsicht abwischn!

Schulz Warum?

Oberle Es is voll Blut.

Moser heiser: Vroni! Gib ihm a Tuch! Zu!

Veronika reicht Schulz scheu einen Lappen.

Schulz Ich danke, Fräulein Veronika.

Ingenieur tritt ein, bleibt perplex stehen: Wer ist das? Oberle, was ist denn hier geschehen?

Oberle Herr Ingineur –

Schulz unterbricht ihn: Herr Ingenieur!

Ingenieur Wer ist das?

Schulz aufgeregt: Ich habe gehört, hier würden noch Leute eingestellt werden! Er überreicht ihm hastig seine Papiere. Hier! Meine Name ist Schulz, Max Schulz.

Ingenieur Mensch, wie siehst du aus! Alle außer Ingenieur und Schulz sehen Moser an.

Schulz Ich habe Nasenbluten.

Moser wendet sich ab, starrt vor sich hin.

Ingenieur fixiert Schulz scharf: So?

Schulz verwirrt: Und dann bin ich auch gestolpert, hierherauf, und gestürzt, einigemale – Ich habe gehört, hier würden noch Leute eingestellt werden. Bitte! Moment! Ich bin nicht schwach, ich wirke nur so! Ich bin klein, aber stark – jede, auch die schwerste Arbeit!

Ingenieur blättert in den Papieren; lächelt spöttisch: Sie sind Friseur?

Schulz Jawohl, jedoch –

Ingenieur unterbricht ihn: Bedaure! Rasiere mich immer selbst.

Gewaltiger Sturmstoß.

Fährt zusammen. Hoppla! – Hm. Mensch, Sie haben Schwein. Gut! Ich stelle Sie ein. Wir müssen fertig werden, bevor das Wetter etwa umschlagen sollte. Oberle! Er arbeitet mit auf 3018. Zu Veronika. Mein Essen! Ab nach rechts.

Maurer Habts ghört? Passts auf! Wies Wetter umschlägt, stellens die Arbeit ein!

Xaver Was sagst?

Reiter Lang san wir nimmer da.

Maurer Ich weiß net, wo i nacher hin soll!

Sliwinski I a net.

Hannes I scho.

Simon Du scho! Freili! Du rollst di in dei Dorf retour und hütst die Gäns im Stall!

Hannes Da täuscht di! I, wanns hier zugmacht werd, i geh stehln! Pfeilgrad! I geh stehln! Alle schauen ihn groß an.


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