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Erster Akt

Côte 2735.

Breiter Gratrücken. Gletscher ringsum. Rechts Arbeiterbaracke Nummer vier der Bergbahn A. G. Links Quelle und primitive Bank. An einer Leine hängt bunt geflickte Wäsche.

Spätnachmittag. Herbst. Windstill.

Veronikas Stimme tönt aus der Baracke; sie singt vor sich hin.

Karl tritt aus der Baracke mit zwei Eimern, die er an der Quelle füllt, streckt sich, gähnt; horcht auf, grinst, pfeift Veronikas Melodie mit und verschwindet wieder in der Baracke.

Schulz ein blasses, schmales Kerlchen mit Sommersprossen, steigt aus dem Tal empor; sieht sich forschend um: niemand – Er lauscht Veronikas Gesang; Karl pfeift; plötzlich verstummt alles; Stille.

Veronika lacht hellauf und stürzt aus der Baracke, hält in der Türe: Ausgrutscht! Ausgrutscht! – Du bist mir so aner, so von hinten – so a ganz Rabiater – Sie erblickt Schulz, schrickt etwas zusammen; mustert ihn mißtrauisch.

Schulz verbeugt sich leicht; er lispelt ein wenig: Guten Tag! Verzeihen Sie, Fräulein: dies hier, dies gehört doch zum Bergbahnbau?

Veronika Ja.

Schulz Dies ist doch Baracke Nummer vier?

Veronika Ja. Ab in die Baracke.

Schulz allein: Hm. Er lauscht.

Stille.

Karl tritt aus der Baracke mit einem hölzernen Traggestell: Wer san denn Sie?

Schulz Mein Name ist Schulz, Max Schulz.

Karl Was wollns denn da?

Schulz Ich möchte den Herrn Ingenieur sprechen.

Karl Der is jetzt net hier.

Schulz Ich habe gehört, hier würden noch Leute eingestellt werden.

Karl Suchens Arbeit?

Schulz Ja.

Karl schnallt sich das Gestell auf den Buckel: So? Drum.

Schulz lächelt verlegen: Eben.

Veronika erscheint in der Türe. Zu Karl. Wann kommt der Ingenieur?

Veronika Nit vor der Nacht. Nähert sich Karl. Mußt scho nunter? Wieder nunter? Du trauriger Bua –

Karl Tu nur net so! So scheinheili! – Alsdann, was brauchst? A Mehl, dreißig Pfund und a Marmelad.

Veronika Und an Schnaps.

Karl Und an Schnaps. – Und?

Veronika Sonst nix.

Karl Nix?

Veronika Nix. Nix vo dir. Stille.

Karl Jetzt glaub ichs, was d'Leut im Dorf redn. Es is scho wahr: dei Mutter hat mitn Teufl paktiert, an Vater hat ja no kaner gsehn!

Veronika Schweig!

Karl Du bringst bloß Unglück. Veronika lacht. Wie die lacht! Wie die lacht! Herrgottsakra! Das Fleisch! Du bist scho des best Fleisch im Land, auf und nieder. Di hat net unser Herrgott gformt, den Arsch hat der Satan baut! – Adies, Höllenbrut! Er steigt rasch ab. Stille.

Veronika fixiert Schulz; etwas spöttisch: Was wollens denn vom Ingineur?

Schulz Ich habe gehört, hier würden noch Leute eingestellt werden.

Veronika äfft ihm nach: So? Das habe ich nicht gehört. Ab in die Baracke.

Schulz wieder allein: Hm. Er setzt sich auf die Bank.

Stille.

Xaver, Sliwinski, Reiter kommen von der Arbeit mit Spaten, Hacken usw. – Xaver und Sliwinski ab in die Baracke.

Reiter bleibt vor Schulz stehen und betrachtet ihn: Wer bist denn du?

Schulz Ich habe gehört, hier würden noch Leute eingestellt werden.

Reiter lacht leise, kurz: So? Wo hast denn des ghört?

Schulz In, in – ich weiß nicht, ob es stimmt.

Reiter Des stimmt net. Aber scho gar net. Er folgt Xaver und Sliwinski. Stille.

Veronika tritt mit einer Schüssel Kartoffel und einigen rohen Koteletts an die Quelle: Jetzt hockt der no allweil da!

Schulz Ja.

Schweigen.

Schulz Eßt ihr hier alle Tage Fleisch?

Veronika Ah! Die Schnitzl da san für an höhn Herrn, an Direktor aus Linz. Der ist d'Bergluft nit gwohnt, drum muß er fest essn – was schauns mi denn so an?

Schulz Ich dachte nur nach, wann ich das letztemal Fleisch –

Veronika Was für Fleisch?

Schulz Fleisch –

Veronika Aso! Schweigen. Jaja, Kind Gotts.

Schulz Wenn es einem jeden Kinde Gottes so schäbig ergeht – Richtig! Einen haben sie ja ans Kreuz genagelt, richtig. Man vergißt es schon.

Veronika wendet sich ihm zu: Um Gotts willn! Mensch, was habens denn?! Sie san ja ganz gelb, als warens tot!

Schulz Mir ist es nur plötzlich so schwindlig – es wankte das Panorama, als wären Himmel und Hölle besoffen. Das dürfte wohl auch die Luft gewesen sein, die Bergluft, die eben nicht jeder gewohnt ist. Fest essen, fest essen.

Veronika setzt sich neben ihn und schält die Kartoffel: Woher kommens denn?

Schulz Von unten.

Veronika Na, i mein: woher? Aus welcher Stadt? Sie san do aus der Stadt, Sie redn ja so.

Schulz Ich bin aus Stettin.

Veronika Stettin?

Schulz Stettin liegt am Meer.

Veronika Am Meer? Am richtign Meer?

Schulz lächelt: Am richtigen.

Schweigen.

Veronika San Sie schon mal durch Berlin kommen?

Schulz Oft.

Veronika I, wenn i Sie war, i war nie fort von dort!

Schulz Es gibt dort zu viele ohne Arbeit.

Veronika I glaub allweil, Sie habn no net viel gearbeitet.

Schulz Wieso?

Veronika Die feinen Händ! Wie ane Hebamm. Da, schauns meine an: kochn, waschn, scheuern – da platzens und werdn rot, wie der Krebs.

Schulz Die müssen Sie einfetten und fleißig baden. In heißem Wasser. Dann wird die Haut wieder sammetweich und elfenbeinern. Am besten: Sie nehmen die Salbe von Meyer et Vogel in der blauen Tube.

Veronika Woher wissens denn all des?

Schulz Eigentlich bin ich Friseur.

Veronika Drum, diese Hand!

Schulz Ich habe schon viele hundert Frauenhände behandelt.

Veronika Geh hörens auf!

Schulz Jawohl! Dazumal, als ich in Warnemünde über die Sommersaison arbeitete: im ersten Haus am Platze! Tipptopp! Fräulein, das war mein goldenes Zeitalter! Ich war, sozusagen, Intimus der Damenwelt. Da war eine Frau Major, die vertraute mir – alles an!

Veronika Da habens freili viel ghört und gsehn. Danebn is unserans a neugeborens Kalb.

Schulz Ich schätze naive Frauen. Nur zu rasch übersättigen einen die Raffinierten.

Veronika Wir haben hier auch an, der scho weit in der Welt rumkommen is. Der alt Oberle, der war kriegsgfangen, in der Mongolei, ganz hint. Bei den Gelbn, Schlitzäugigen und Juden. In Asien. – Waren Sie scho in Asien?

Schulz Nein. Noch nicht.

Veronika So sieht halt jeder was andres.

Schulz Durch unseren Beruf bekommt man automatisch Einblick in manch Geheimnisse des weiblichen Wesens. Man enträtselt allmählich die Sphinx. Er hustet stark.

Veronika klopft ihm auf den Rücken: Hoppla! Sie solltn nit so viel redn. Die Bergluft –

Schulz Ich bin Ihnen dankbar, sehr dankbar, daß Sie mit mir reden. Ich habe nun fünf Tage lang kaum geredet. Da verlernt man selbst die Muttersprache. Man ist überrascht von der eigenen Stimme, wie der Dichter sagt. Er hustet wieder.

Veronika ließ ihre Hand auf seinem Rücken; befühlt nun seine Schultern, Arme –: Hörens: i glaub kaum, daß Sie hier mitarbeitn werdn: Sie san zu schwach.

Schulz Meinen Sie?

Veronika Wie der guckn kann! Direkt spaßig!

Schulz Sie lachen so schön –

Veronika Sie san a komischer Mensch!

Schulz Gestatten Sie: mein Name ist Schulz. Max Schulz. Und Sie?

Veronika Vroni.

Schulz Das soll wohl Veronika sein?

Veronika Ja. Schweigen. Habens scho viele rasiert?

Schulz Rasiert, frisiert, onduliert –

Veronika ›Onduliert‹?

Schulz Das läßt sich nicht so einfach erklären. Schweigen. Die Sonne ist untergegangen. Rot färben sich die Felsen, stahlblau die Gletscher. Ein leiser Wind weht: die Wäsche an der Leine bewegt sich. Rasch wird es Nacht.

Veronika Die Friseur san alle gscheite Leut. Friseur und Dokter. Die kennts kaum ausanand. – Sans verruckt?

Schulz riß sie an sich: Was bin ich? Schwach?

Veronika Lassens! Nit! Ni – Schulz küßt sie. Moser stürzt hinter der Wäsche hervor. Jesus Maria!!

Moser I habs gsehn! Lüg net! Du Fetzn! Oberle, Maurer, Hannes, Simon folgen Moser. Reiter, Xaver, Sliwinski eilen aus der Baracke.

Veronika I lüg nit, Moser!

Moser I habs scho vo drobn gsehn, wie ihr beieinanderhockt! Und jetzt!

Veronika Der hat mi überfalln! Meuchlerisch, heimtückisch! I hab bloß gredt, und da hat er mi packt. Moser fixiert Schulz. Schulz weicht zurück. Veronika flüchtet in die Baracke.

Moser drängt Schulz an die Wand, breitspurig: Wer bist denn du, ha?

Schulz Ich habe gehört, hier würden noch Leute eingestellt werden. Moser gibt ihm eine schallende Ohrfeige. Einzelne lachen halblaut.

Oberle Moser!

Moser Schweig! So a Krüppl ghört zu Mus getretn! Er schlägt ihm mit der Faust ins Antlitz. Spürst was, Bürscherl? – Der lacht! Wart! Da!

Oberle Schlag do kan Krüppl!

Moser Halts Maul, damischer Wanderapostl! Predig in der Höll! I glaub and Faust! Da, du Lump! Und da!

Schulz brüllt plötzlich los: Au! Au! Ich habe ja nichts – Au!!

Moser Nix?! So is des a nix! Spürst des ›nix‹?! Er schlägt tobend auf ihn ein; immer ins Gesicht. Alle außer Oberle, haben sich in die Baracke zurückgezogen. Schulz wimmert blutüberströmt und bricht bewußtlos an der Wand zusammen. So. Der langt jetzt kaner mehr an den Bart. – Aber heiß werd an bei dem Geschäft. Heiß! Er tritt an die Quelle und sauft. Oberle beugt sich zu Schulz nieder. Oberle! Dokter, was macht unser Patient? Fühl den Puls, ob er si bschissn hat! Er stinkt so! Ganz sakrisch!

Oberle Halts Maul! – Moser, du kenntest an Menschn niederschlage, als wars an Ochs.

Moser lacht kurz: Vieher san wir alle. I, er und du a.

Brummend ab in die Baracke. Es ist Nacht geworden. Der Wind weht schärfer und die Wäsche an der Leine flattert gespenstisch.

Schulz räkelt sich langsam empor; erblickt Oberle: Wollen Sie mich weiter schlagen? Bitte –

Oberle I hab Sie no nie gschlagn.

Schulz Alles schlägt mich. Schweigen.

Oberle Was wollns hier?

Schulz Arbeit.

Oberle Hörens: bevors an Unglück gibt, kehrens um!

Schulz Nach Stettin? – Woher hätte ich es wissen sollen, daß das Fräulein einen Bräutigam hat? So laßt mich doch! Laßt mich! Er krümmt sich am Boden und schluchzt.


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