Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Flucht ins Glück

Der sandfarbige Wagen machte vor dem Hause Nummer achtzehn in der Dultstraße halt. Gestettner stieg gemächlich aus und öffnete den Schlag vor Centa. Sie gewann den Eindruck, daß er sich dabei weniger stramm hielt und die Mütze lässiger zog als sonst. Deshalb klang ihre Stimme ziemlich herrisch, als sie befahl: »Gel, das Gepäck ins Rückgebäude, zweiten Stock!«

»Aber den großen Koffer?« wendete er ein.

»Moment! Ich schau geschwind da nein, ob einer aufzutreiben ist, der mit anfassen kann«, rief Centa und trat in das Charkutiergeschäft neben der Tordurchfahrt. Dort traf sie niemand, aber eine Glocke meldete sie an und zeterte so grell, daß Sie die Tür geschwind von innen wieder schloß. Aus einer andern Tür hinter der Ladenbudel schlurfte ein weißbeschürzter Dickwanst mit einem Fuchsgesicht und dienerte beflissen. »Ja, gut Nachmittag zu wünschen! Hab die Ehr! Grüß Gott! Laßt sich die Fräulein Centa wieder einmal anschaun? Das ist recht!«

»Grüß Gott, Herr Berndl! Bitt schön, wär keiner da von Ihre Leut, der meine Koffer nauf schaffen helfen könnt? Weil mein Chauffeur sie nicht allein derschleppt.«

»Wern wir gleich habn!« Herr Berndl steckte zwei Finger in den Mund, stieß einen scharfen Pfiff hervor und brüllte: »Hans!«

Ein stämmiger Metzgergesell erschien, begrüßte Centa als Bekannte und trollte sich, der Weisung seines Meisters folgend, auf die Straße.

»Also, vergelt's Gott tausendmal, Herr Berndl! Wiederschaun!« rief Centa und folgte ihm.

Der Herr des Ladens watschelte hinterdrein und machte auf der Türschwelle halt. »Pfundiger Wagen!« lobte er. »Ja, ja, wer hat, der kann! Und dös Trumm Koffer! Gibt's dös aa? – Bleibt denn die Fräulein Centa jetzt länger daheim?« Die schlauen Äuglein wurden vor Neugier blank.

»Nein, für paar Tag bloß zum Besuch!« erklärte Centa und war sich gleich darüber klar, daß diese Angabe auf Zweifel stoßen mußte und auch stieß. »Ich geh derweil schon nauf«, erklärte sie den Trägern. »Behüt Gott, Herr Berndl! Gel, noch einmal schönsten Dank!« Und schnell verschwand sie in der Unterfahrt.

»Recht so!« sprach sie im Gehen ärgerlich zu sich. »In ein paar Stund gibt's keinen in der ganzen Nachbarschaft, der's noch nicht wüßt. – Daß ich gleich mit der größten Ratschen von ganz München zusammenrumpeln muß! Der Spitzmauskopf, der angefressene! – Wird das Gescheitere sein, wir schicken die Verlobungskarten bald herum.« –

Als nur noch ein Treppenabsatz vor ihr lag, sah Centa ihre Mutter vor der geschlossenen Flurtür im zweiten Stockwerk auf sie warten. Die wohlbeleibte grauhaarige Frau winkte ihr zu und legte bedeutsam warnend den Zeigefinger an den Mund.

Die Tochter eilte rasch hinan und dämpfte folgsam ihre Stimme.

»Was ist denn, Mutter? Grüß dich Gott!«

»Pscht, Cenzi!« Während sie ihr die Hand gab, deutete Frau Hollerieth mit dem linken Daumen hinter sich. »Daß die neugierige Goaß von nebenan nix spannt! – Du, der Oggetti Karl ist fei schon drinnen.«

Centa lächelte. »Schau, funktionieren tut er prompt!«

»Er hätt ein Telegramm von dir.«

»Jawohl. Du vielleicht nicht?«

»Doch! Also, er wartet derweil in der Wohnstub. Ich selber bin dann in die Küch und hab beim Fenster nausgespitzt, und wie ich dich hab kommen sehen, bin ich geschwind ins Treppenhaus, weil man doch wissen will, was und wieso.«

»Ja, das hörst nachher schon!«

»Schickt sich wohl, daß du's gleich verzählst, weil ich am End die Mutter bin!«

»Mei, das verzählt sich nicht so schnell.«

»Braucht ja kein langes Drumherum, und dreht sich um das eine bloß: ist es nun mit dem andern gar? Und glaubst mir jetzt, daß der dich nie heiraten tät?«

»So ist's na doch nicht! Ich hab nimmer mögen und hab Schluß gemacht.«

»Auf einmal? Und erst vor drei Tag ...?«

»Wenn sich's so auftrifft, lernt eins in drei Tag sehr viel. Kann sein, auch schon in einer halben Stund. Glaubst du mir's nicht, daß ich's gewesen bin?« Und Centa hob herausfordernd den Kopf.

»Pscht, leis, hab ich gesagt! Ja, glaub dir's schon.« Aber die Tochter sah es ihrer Mutter an, daß die nur um des lieben Friedens willen fünfe grad sein ließ. »Hauptsache, Cenzi, du siehst's einmal ein und heiratst den Oggetti Karl. Damit wird alles wieder recht ...«

»No, no, zuvor besichtige ich ihn mir genau!«

»Hab ich gar keine Sorge – denn die Proben halt er aus. Den wenns d' heut siehst ...! Ein saubrer Bursch ist er schon alleweil gewesen. Und kann etwas und ist etwas und geht ihm gut. So nobel, wie der jetzt daherkommt – ein Kavalier, laßt sich nicht anders sagen! Weiß nicht: ich selbst wenn jünger wär um dreißig Jahr – ständ ich für nix!«

»Ja, Alte!« Centa lachte. »Spannst du ihn mir gar noch aus?«

Frau Hollerieth schlug schmollend mit der Hand nach ihr. »Du, nicht zu keck! Was heutzutag sich so ein Fratz erlaubt! Und ich hab fei noch meine Eltern siezen dürfen, ja.«

»Recht!« Centa verneigte sich. »Na siez ich künftighin die Frau Verwalter an die Sonn- und Feiertag bei gutem Wetter auch.«

»Geh, blödes Ding! Er bleibt dir schon vergönnt. Aber als Schwiegersohn, da wären mir von seiner Sorten fünf weitaus das Liebere. Denn die vier andern hätt ich mir ganz gewiß nicht rausgesucht!«

»Meinst: ich? Die Zwockel dürft mir einer am Tablett servieren!«

»So schlecht brauchst du sie auch nicht machen«, mahnte Frau Hollerieth. »Tut von die vier ein jeder doch sein Sach und ist ...«

»Du, Mutter«, fiel Centa ihr in die Rede, »drunten kommen sie schon mit die Koffer – säh doch blöd aus, wenn sie uns zwei hier ... Sperr auf! Ich geh derweil schon nein zu deinem Schwarm.«

»Ach, Schwarm!«

»Und du nimmst denen meine sieben Zwetschgen ab. Sind zwar bloß drei: ein großer Koffer und zwei suit case

»Was ist das?«

»No, kleine halt! Paß auf: vom Schweinemetzger Berndl ist der Moosrieder dabei: dem gibst ein Markl ...«

»Ein Zwanzgerl langt da übrig! Wo die Bagasch alleweil so interessiert beim Wiegen ist!«

»Nein, weißt, der große hat fei einen Zentner, wenn es langt. Ein Fuchzgerl, sagen wir! Kriegst es von mir schon wieder. Dem andern, dem Chauffeur, gibst aber nix! Nicht, daß der freche Zipfel meint, ich wär gleich seine Gnädige nimmer; gel?«

Wenige Schritte brachten Centa vor die Wohnstubentür, sie atmete zweimal tief auf und trat entschlossen ein. »Grüß Gott!« Ein wenig heiser kam es heraus.

Der blankgescheitelte, braunhaarige junge Mann im grauen Sommeranzug, der am offenen Fenster stand, fuhr schnell herum.

»Grüß Gott!«

»Hab deinen Brief bekommen, und ... da wär ich«, sagte sie.

»No, endlich, Cenzerl!« Er nahm ihre Hand und wollte sie gleich stürmisch an sich ziehen.

»Langsam!« wehrte sie ihm und wich zurück. »So weit sind wir noch nicht. Setz dich! Dahin!« Sie zeigte auf den einen Lehnsessel am Sofatisch. »Setz dich und hör erst einmal zu! Setz dich! Ich mag das nicht!«

Er ließ sich zögernd nieder. »Und ich hab gemeint, es war jetzt mit dem andern Schluß? Nach dem, was deine Mutter mir gesagt hat ...«

»Und deshalb glaubst, ich dürft grad dankbar sein, wenn du ...?«

»Geh, Cenzerl, warum bist du denn so? Hab ich dir was getan?«

Sie schüttelte den Kopf. Mechanisch hob sie die Hände, zog die Nadel aus dem großen weißen Hut, nahm ihn vom Kopf und warf ihn auf den Tisch, mitten in einen Sonnenstreifen, der durchs Fenster in die Stube floß. Sie ließ sich auf den andern Sessel sinken, bohrte die Hutnadel, ohne es selbst zu wissen, in die Plüschdecke des Tisches, zog sie ein Stück heraus, stach sie hinein, zog sie heraus, stach sie hinein und schwieg und sann ...

Er sah ihr hilflos ins Gesicht. »Cenzerl«, begann er endlich tastend, »hast du's nun eingesehn, daß jener, daß der andre es mit dir nicht so ehrlich meint wie ich?«

Sie schob die Nadel bis zum Knopf in die Tischdecke und ließ sie los. »Auf jeden Fall ist er für mich erledigt. Reden wir nimmer lang von ihm!«

»Dann«, rief er und sprang auf, »ist alles gut!«

»Nein, laß dir Zeit! Das geht mir fei zu schnell. Ich bin nimmer so dumm und hab aus unsre Divergenzen damals was gelernt.«

»Cenzerl, daran war aber ich nicht schuld!«

»Das klingt ja vielversprechend!« sagte sie mit leichtem Spott. »Meinst nicht: die alten Sachen lassen wir begraben sein? Denn fangt man einmal von dem an, so gibt ein Wort das andre ...«

»Einverstanden, Cenzerl!«

»Schau, Karl, wär alles recht ... Traust du dich aber, daß du es zusammenbringst, es mir gar nie aufs Butterbrot zu schmieren, was ... seit der Zeit ... gewesen ist?«

»Alles vergessen und verziehn!« Er wischte es gleichsam mit der Hand vom Tisch.

»Erlaub einmal: ich hab dich nicht gebeten, daß du mir was verzeihen sollst, und tu's auch künftig nicht. Ja, und vergessen? Wenn das bloß so einfach ging! Mich aber darfst von dem nie etwas hören und – das ist weitaus das schwerere – auch nicht einmal fühlen lassen. Glaubst du, daß du das schaffst?«

Er blickte nachdenklich zu Boden, richtete sich wieder auf und sagte: »Ja.«

»Schau, Karl, du wirst mir auch wohl kaum die ganzen Jahr her treu blieben sein?«

»Ja, hättest du das denn erwarten können? Nachdem du ...? Ich geb dir sogar zu, daß ich, vor ich dich damals in der Eisenbahn wiedergesehn hab, vielleicht nimmer so weit von einer anderen Partie gewesen bin.«

»Partie? Schau, schau!«

»Jawohl, auch Mittel hätt sie einige hinter sich gehabt. Aus gutem lübischem Bürgershaus ein Mädel.«

»Lübeckerin mit etwas hinter sich – Respekt!« lächelte Centa. »Daß du dann ausgerechnet auf mich armes Hascherl aus der Münchnerstadt verfällst!«

»Ja, da bist aber wirklich ganz allein du selber schuld«, sagte er feurig. »Denn wärst du nicht viel schöner noch geworden, wie du schon warst ...!«

»Hast du mir oft genug geschrieben«, unterbrach sie ihn. »Laß gehn! Ich nehm es für genossen an, daß ich in die fünf Jahr, vom Schönen abgesehn, auch jünger, und was weiß ich noch, geworden bin.«

»Ist aber wahr! Man selbst läßt nach, und du ...«

»Fisch du nicht Komplimente, Karl, und tu nicht so, wie wenns du jetzt im Bogen um die Spiegel gingst! Wär auch ganz neu! So fesch wie du kommt keiner daher, der nix von seinem Äußern hält!« schmunzelte sie und war sich doch bewußt, daß sie da liebenswürdig ein klein wenig log. Und als er aufsprang und sorgfältig seine weiße Weste herunterzog, wurde es ihr noch klarer, daß seine Eleganz, um einen Ausdruck Ferdinands zu brauchen, stark nach der »Goldenen Neunzehn« roch.

»Es ist nicht Eitelkeit, wenn ich jetzt besser auf mich halt«, strahlte er ahnungslos. »Man stellt da droben immerhin was vor und kann es sich ja leisten, Gott sei Dank! Darf sagen: hab es in die Jahr zu was gebracht. Und bring es weiter noch! Wird kaum lang dauern, bis ich in die Hauptverwaltung komm, wieder nach Bremen hin. Und dann ...«

»Darfst du ja stolz sein«, sagte sie. »No ja, ein Tüchtiger bist du immer schon gewesen.«

»Stolz – ach nein! Was mich natürlich freut, ist, daß ich das ausschließlich mir allein verdank. Heißt schon was mehr, als wie wenn einer alles bloß von seine Eltern erbt!«

Es ärgerte sie, daß er so hinten herum schon wieder das verbotene Gebiet betrat. Und glaubte er denn, daß sich nichts vererbte als das Geld? Im dunkeln Drange, ihn in seiner Eitelkeit zu treffen, fragte sie unvermittelt: »Wo hast du denn die Krawatte her?«

Er faßte hin, zog sie ein Stück hervor und schaute sie verwundert an. »Was soll der fehlen? Und ich dachte: Schottisch ist die große Mode?«

»So? In Lübeck?«

»Nein, die hab ich überhaupt in Bremen gekauft.«

»Schottisch und schottisch ist auch zweierlei.«

Er bezwang sich mit Gewalt und räumte ein: »Vielleicht, daß sie für München weniger paßt. Hat jeder Platz halt seinen eignen Stil.« Dann aber brach doch die Gekränktheit durch. »Mit diesem Riesenhut und mit dem Kleid, was du da trägst, könntest du dich bei uns droben gar nicht zeigen.«

Nun stand auch sie auf und sah ganz verblüfft an sich hin= unter.

»Herrschaft! Das einfache Rohseidenkleid?«

»In diesem engen Rock, wenn du in Lübeck über die Breite Straße gehst, dreht sich ja alles nach dir um.«

»Ist mir in München zwar auch schon passiert«, stellte sie selbstzufrieden fest. »Karl, davon hast du keinen Dunst! Wird auch in Lübeck Damen geben, die sich anzuziehn verstehn. Weiß es schon selber, daß mir von Pariser Modellen künftighin der Schnabel sauber bleiben wird. Jetzt sind sie aber einmal da; und wenn sich deine Wasserkantler deshalb das Gnack verrenken, mir ist's wurscht.«

»Mir aber nicht!« betonte er. »Ich muß auch Rücksicht nehmen aufs Geschäft. Es geht in Lübeck nicht, daß meine Frau schicker daherkommt wie die Senatorsgattinnen.«

»Den Spießer mußt du dir als erstes abgewöhnen, lieber Karl.«

»Was bin ich?«

»Allerdings: ein Spießer, wie's nicht leicht 'nen größern gibt.«

»Wenn ich ein Spießer wär«, sagte er grollend, »würd ich nach all dem, was gewesen ist, wohl kaum ...«

»Halt!« unterbrach sie ihn. »Sprich diesen Satz nicht fertig! Könnt sonst sein, daß ich ihn nicht vergiß – gar nie, versteh mich recht! Und meine Toilettenfragen überlaß nur mir! Sollt ich sie wegschmeißen, die Kleider? Und wo nähm ich auf den Sturz gleich andre her?«

»Kannst du sie nicht verkaufen und ...?«

»Du hast 'ne Ahnung, was man schon dafür bekäm! Sonst hätt ich sie auch gar nicht mitgenommen, sondern sie ihm gelassen wie den ganzen Schmuck.«

»Schmuck?« staunte er.

»Ja. Und ist manches schöne alte Stück dabei gewesen, das ich recht gern behalten hätt.«

»Ja, und warum läßt du ihn da?«

»Was dachtest du? Die Kleider stören dich, und mit dem Schmuck hätt ich mich wohl behängen sollen?«

»Davon ist keine Red. Schmuck läßt sich aber doch verkaufen. Und schließlich hat er dein gehört.«

»Da komm ich nimmer mit! Könnt ich ja gleich zu seiner alten Dame laufen und von ihr verlangen, was sie mir freiwillig angeboten hat: eine recht schöne Mitgift, wenn ich einen andern nehm!«

»Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?« rief er. »Hätt ich vom Schmuck kein Wort verloren!«

»Sprichst du im Ernst?« Sie fuhr empor. »Was glaubst du denn von mir!«

»No, Cenzerl, schau: daß du von ihm nichts willst, ist mir nur recht. Aber wenn sie aus freien Stücken ... Könntst dir ja leicht von ihr versprechen lassen, daß er's gar nicht erfährt.«

»Weil sie so ein Versprechen selbstverständlich halten tät!« Sie lachte bitter auf. »Ja, spürst du es denn nicht, daß damit etwas, was sauber gewesen ist – vollständig sauber, bitt ich mir schon aus! –, noch hintennach zu etwas Unsauberm gemacht würd durch das dreckige Geld?«

»Dreckiges Geld!« rief er beinah gekränkt. »Hast du sie auch schon, diese Sprüch? Die können sich für einen passen, der's so haufenweis geerbt hat, daß er's wie Dreck nausschmeißen kann. Wer es sich sauer verdienen muß, redet mit mehr Respekt davon.«

»Geld ist schon etwas, um Respekt davor zu haben!« warf sie hin.

»Jawohl, weil es die Angel ist, worum sich alles dreht!«

»Du – scheinbar schon!«

»Und du wohl nicht?« erwiderte er giftig. »Frag dich doch ehrlich, ob du überhaupt auf den verfallen wärst, ohne sein großes Portemonnaie!«

In ihren Augen blitzte nun der helle Zorn. »Daß du dich gar nicht schämst! Ist wohl dein Portemonnaie so groß gewesen, wie ich auf dich verfallen bin?«

»Das läßt sich doch gar nicht vergleichen!« erwiderte er selbstbewußt.

»Weil du es warst?« spottete sie. »Weil man nach dir sich ja für keinen zweiten interessieren kann?«

»Ich hoffe allerdings, daß es mit mir und dem ein Unterschied gewesen ist?«

»Das hoffst du: daß ich mich bloß verkauft hätt an den andern? Sauber! Dann sag ich dir eins: Verkauf du dich an deine gutgestellte Bürgerstochter! Und mir laß die Ruh!«

»Cenzerl, muß denn gleich alles übers Knie gebrochen sein? Ist recht, ich sag von seiner Mutter in Gottes Namen gar nichts mehr. Ich hab doch an dies Geld um deinetwillen bloß gedacht, und nicht für mich. Ich nehm dich ohne Mitgift gradsogern.«

»Jawohl! Daß ich's dann jedesmal, wenn ich was brauch, fein hingerieben krieg, weswegen ich mir's nicht hab geben lassen. Nein: wenn du dich schon jetzt so schlecht verstellen kannst, wo ich noch meine Freiheit hab – was tät ich späterhin erleben, wenn ich erst einmal so vor dir stand!« Sie legte heftig ihre Handgelenke über Kreuz.

»Ah, das denkst du von mir!« brauste er auf und fuhr plötzlich gefühlvoll fort: »Hast du mich früher nicht ein bißl anders gesehn?«

Genau das hatte sie heute schon einmal hören müssen. Sie zuckte müde lächelnd mit den Achseln. »Weiß selber nicht, warst du da anders, oder war ich noch so dumm? Bist du inzwischen weniger worden, oder ich mehr

»Wahrscheinlich letzteres!« höhnte er. »Ich wüßt bloß gern, wodurch!«

»Durch meinen unsittlichen Lebenswandel, willst du sagen. Sag's nur, du – feiner Mann!«

»Jawohl, der andere war feiner! Dann geh du nur zu ihm zurück! Heißt das: wenn er dich überhaupt noch will! Denn ob dein Abgang da so freiwillig gewesen ist ...?«

»Natürlich, nausgefeuert hat er mich«, bestätigte sie trocken, »und ob ich ihn jetzt um Schönwetter bitten soll, werd ich dich fragen!«

»Da ist wohl schon ein Dritter bei der Hand?«

»Freilich, ein ganzer Klub, kannst du dir denken! Oder, daß ich auch nicht zu wenig sag, die ganze bayrische Armee! Erst aufwärts vom Major natürlich. Denn mit die Subalternen hab ich's nimmer – tut mir leid für dich!«

»Ich bin in unserm Wirtschaftsleben längst kein Subalterner mehr!«

»So, so, im Wirtschaftsleben nicht? Betätige dich also da! Schad um die schöne Zeit, die du bei mir vertust!«

Er stampfte mit dem Fuß. »Das soll wohl ein Hinauswurf sein?«

Sie zuckte stumm die Achseln.

»Gut. Kann ich ja gehn!«

Sie gab noch immer keine Antwort.

Schon an der Tür, kehrte er plötzlich wieder um. »Geh, soll nun das das Ende sein?« fragte er weich.

Doch Centa schwieg.

»Wenn dich das nur nicht später einmal reut!« schrie er.

»Dann schreib ich dir's auf einer Ansichtskarte, gel? Das Portofünferl soll mich ganz gewiß nicht reun.«

»Du nimmst mich überhaupt nicht ernst!«

»Sei froh! Denn sonst ...«

»Gut! So hast du mich zum letztenmal gesehn!«

»Freundlichen Gruß noch an die andre mit was hinter sich!« rief sie ihm nach. – Doch kaum war sie allein, da warf sie sich mit heftiger Bewegung in den Sessel, zog aus dem Halsausschnitt ihr Taschentuch und gab sich einem unbeherrschten Schluchzen hin. Plötzlich aber setzte sie sich steil und horchte angespannt: die Flurtür war noch nicht gegangen; sonst hätte sie es sicherlich gemerkt, weil sich das Ding von draußen nur mit einem Krach zuziehen ließ. So stand er wohl noch auf dem Vorplatz und spitzte, ob sie etwas hören ließ. Und wie sie diesen Helden kannte, hatte er ein gesundes Fell und kam womöglich wieder herein und bat, die Briefe mitgerechnet, zum fünftenmal um ihre Hand. Ging ihr grad ab, daß er sie dann in Tränen fände. »Nein, das erlebt er nicht!« sprach sie zu sich und wischte sich mit einer wahren Wut die Augen. »Ja, spinn ich denn? Ist scheinbar seit heut in der Früh 'ne dumme Angewohnheit von mir worden, jedem Mannsbild, dem ich den Laufpaß geb, erst einmal nachzutrenzen. Ist's mir denn leid um den? Nein, froh bin ich! Wollt's mir im Anfang nur nicht eingestehn, aber im Grund ist mir's gleich klar gewesen: der ist nix mehr für mich.« Sie merkte auf: war das nicht ihre Mutter, die da sprach? Und mit sich selber reden war nicht ihre Art. Da, horch: die Flurtür knallte hart ins Schloß. Na, etwas leiser wär es doch am End gegangen!

Und gleich darauf stand Frau Hollerieth vor ihrer Tochter.

»Du, was heißt denn das? Ich komm grad aus der Küch und seh da draußd den Karl und frag ... Aber er gibt mir überhaupts nicht an, schießt bei der Gangtür naus und schmeißt sie zu, daß es bloß a so scheppert. Was ist los?«

»A weiter nix. Dein Traum hat sich verflüchtigt«, erklärte Centa mit beinah zu unbefangner Heiterkeit.

»Heißt das, daß es nix wird mit euch?«

»Nein, kaum; auf diesen Schwiegersohn verzicht nur gleich!«

»Daß ihr auch alleweil streiten müßts!«

»Ich mit dem streiten? Nein, ich mag ihn nimmer. Fertig, Schluß!«

»Ja, Herrschaft, erst kommst du daher, und jetzt ...«

»Ach, Mutter, nach die Brief hat er sich anders angeschaut. Macht er den Mund auf, dann kommt der Prolet heraus.«

»Prolet! Sein Vater ist Verwalter bei der Bahn gewesen wie der deinige auch!«

»Dreht sich nicht um den Stand, auch nicht um den von seinem Vater. Das sitzt inwendig drin.«

»A, Cenzi, geh! Wie man so reden kann! Die heutige Jugend – na! So wählerisch seids ihr!«

»Gehört sich auch am End!« bemerkte Centa. »Soll ja fürs Leben sein. Hättst du zu deine Zeiten einen genommen, der dir in den Tod zuwider war?«

»So ist er auch nicht! – Zieht sich da nix mehr zurecht?«

»Ich mag ihn nicht und will ihn nicht, und anders wird es nicht!«

»Und mit dem Doktor Rapp? Wie ist's? Kannst du denn wieder zu dem hin?«

»Mei, wegen Können ...! Wenn ich doch nicht mag!«

»Du!« mahnte Frau Hollerieth. »Da muß es doch was geben haben? Warst es wirklich du?«

»Mutter, auf Ehr und Seligkeit: mit Kußhand tät er mich sogar heiraten!«

»No, und?«

»Was: und? Ich hab ihn dick.«

»No, weißt: von ihm wirst schwerlich sagen können, er wär ein Prolet.«

»Prolet, was man so heißt ... Ein Protz ist er und ... hat noch andres auch, was mir nicht paßt.«

»Ihr mögts schon heutzutag den Sack mit sieben Zipfeln. An jedem fehlt dir was. Wohl auf den Märchenprinzen warten, gel? Aber obs d' den derwarten kannst?«

»Der darf mir ebenfalls gewogen bleiben! Und die Mannsleut durch die Bank!«

Die Alte seufzte. »Cenzerl, ich glaub fast, du hast dich richtig zwischen zwei Stühl gesetzt.«

»A geh! Scheint mir, ich sitz hier ganz kommod in deinem Sorgenstuhl.«

»Ja, Sorgen kannst du einem machen, ist schon wahr. – Du, Centa, wenn das alles stimmt, was du mir da verzählst – läßt sich's gar nimmer leimen mit dem Doktor Rapp?«

Centa sprang auf. »Natürlich stimmt's, aber nachdem ich ihm den Bettel hingefeuert hab, sollt ich ...? Nein, das erlebt er nie!«

»Du, Cenzi, da ist doch der alte Graf, von dems du mir gesagt hast. Wenn nicht du, könnt vielleicht er es richten, daß ...?«

»Der Brokkenhuus? Der wär der letzte, vor dem ich mich kleinmachen tät!«

»Ja, und mit dem Oggetti Karl ...? Denn einer muß es doch schließlich sein!«

»Nein, der schon gar nicht!«

»Cenzi, ihr nehmt alles gar so leicht ... Und was soll denn nun werden? Wie denkst du dir's?«

»Geh, Alte!« Die Tochter schlang den Arm um ihre Mutter und lehnte ihr die Wange schmeichelnd an die Stirn. »Nimmst du halt die verlorne Tochter bis auf weitres wieder auf?«

»Von wegen dem ...! Aber ich mein ...«

»Mit meine Zeugnis find ich zum nächsten Ersten doch mit Kußhand eine Stell. Und wenn auch das nicht – auf Quartalsanfang gewiß. Am Montag gleich schau ich bei der ›Verdandi‹ vor. Die wissen noch von früher, was man an mir hat.«

»Ja, Kind, bist doch die Arbeit gar nimmer gewohnt.«

»Gewöhn es wieder in drei Tag! Und glaubst, ich hätt jetzt all die Jahr her nix getan? Erlaub einmal: der Haushalt war fei tadellos instand! Ist halt die gute Schul von dir!«

»A, Schmeichelkatz!«

»Getippt hab ich noch außerdem. Die ganzen Manuskripte für den Grafen Brokkenhuus. Aus Freundschaft, und auch daß ich in der Übung blieb.«

»Und was hab ich dir denn zum bieten? Wo's du fünf Jahr lang so im Fett gesessen bist!«

»Ach, Mutter, besser kochen als wie du – gibt's überhaupt gar nirgends.«

»Geh, mach keine Sprüch!« Wohl aber tat Frau Hollerieth dies Lob im tiefsten doch.

»Wir richten es uns schon recht grübig ein«, fuhr Centa fort. »Mach keine Mördergrub aus deinem Herzen! Muß dir auch selber lieber sein wie alleweil mit der Resi bloß, der sauer gewordnen Tatzensteckenschwingerin.«

»Hast an der auch was zum kritisieren?« tadelte die Mutter. »In der Schul ist sie fei recht und hat die frechen Münchner Früchtln fest im Zug.«

»Von mir aus!« lachte Centa. »Wenn bloß ich nicht in ihre Klass' geschickt werd!«

»Ist ein wahres Glück, daß die grad fort in die Vakanz ist. Die wenn hier wär, no, da tät sich eine schön das Maul zerreißen! Jessas, und die Leut! Die werden was zum Schwätzen haben!«

Ein Schatten huschte über Centas Stirn, aber sie sagte flott: »Wenn mir im Leben nie ein größerer Schmerz passiert, sollen sie doch! Werden's schon auch gewöhnen, daß ich wieder da bin; und dann wird ein andres Opfer hergenommen. – Und daß ich von der Resi noch ein bißl 'ne Respektfrist hab, trifft sich grad gut. Nehm ich derweil ihr Zimmer.«

»Nein, nein, lieber nicht! Die ist so diffizil mit ihrem Sach! Aber ich hab zur Zeit ja keinen Zimmerherrn. Hast denn am Haustor drunt den Zettel nicht gesehn? Den Berchtenbreiter haben s' nach Bamberg versetzt; und jetzt im Sommer bis du einen andern findst ...«

»Recht so, wär ja die Wohnungsfrag gelöst. Mit Umbausofa, grad hundsnobel! Und Mutter, horch, was dir der Berchtenbreiter zahlt hat, zahl ich dir natürlich auch.«

»Das wird sich dann schon zeigen. Hab nur erst wieder eine Stell!«

»Die kriegen wir! Sind wir schon einig. – Mutter, ich hätt es selbst nicht glaubt, aber es ist doch so: ich freu mich richtig auf die Abwechslung! Und wenn mir zu meinem Glück noch etwas fehlt – was meinst wohl, was das ist?«

»No, ich könnt mir Verschiednes denken.«

»Nein, ist bloß eins! Magst du mir nicht geschwind etwas zum essen geben? Mir ist vor Hunger schon ganz schlecht.«

»Mei, hast denn noch nicht Mittag gessen?«

»Nicht ein Bröckel seit heut in der Früh. Ist alles so Hals über Kopf gegangen.«

»Kind Gottes, warum hast mir das nicht auch telegraphiert? Wo nehm ich auf den Sturz denn gleich was her? – Wart einmal, doch: ein Stückl Ochsenfleisch ist noch überblieben vom Mittag ... Kochte Kartoffeln – ja ... Ein Gröstl ließ sich machen, wenn ...«

»Doch wunderbar!« rief Centa. »Weißt nimmer, daß ich dafür schwärm? Ein Bier hast auch?«

»No, freilich! Geh gleich mit!« Sie traten in die Küche, und Frau Hollerieth holte die Pfanne her. »Du, Cenzi, sei so gut: am Fenster in der Speis stehn die Kartoffeln. Und aus dem Eisschrank bringst das Fleisch mit und ein Bier. Ja, und den Butter und die Zwiefeln nicht vergessen!«

Als Centa dann am Küchentische saß und den Verschluß der Flasche öffnete, rief sie erstaunt: »Was? Rappenbräu? A geh, seit wann?«

»Weil man von denen doch das meiste Eis geliefert kriegt.«

Centa schenkte sich ein. »No ja, heut noch einmal als Abschiedshalbe für den verflossenen Ferdinand! Aber von jetzt an nimmst gescheiter helles Thomas, weil's weitaus besser ist. Denn mit dem Rappenbräu ...« Sie trank.

»Schau, Cenzi«, überlegte Frau Hollerieth, die ihr Kartoffeln schälend gegenübersaß, »wär alles recht, ich hab dich ja auch gern bei mir. Aber für dich – weiß nicht, das Wahre kann es auch nicht sein. Schau bloß die Resi! Hat ihr schönes Amt, pensionsberechtigt noch dazu, und geht ihr gar nichts ab! Und trotzdem alleweil unzufrieden. Richtig angesäuert, wie du sagst.«

»Fürcht ich mich nicht, daß ich so werden könnt«, entgegnete Centa vergnügt, »und du ja auch nicht, tu nicht so! Ist doch die Resi schon mit zwölf die alte Jungfer gewesen, wie s' im Buche steht, weil sie halt so geboren ist.«

»Freilich hat euer Vater damals auch die richtige Gesundheit nimmer gehabt. Ich weiß schon, daß du anders warst: immer fidel und hast dich freuen können über jeden Dreck. – Aber, mein Gott: jahraus, jahrein nix wie Büro! Grad du! Da hätt ich mir nun denkt ... Ich wie so alt gewesen bin, wie du heut bist, hatt ich schon, wart einmal, das vierte Kind.«

Die Tochter schmunzelte. »Dir in dem Stück nachkommen, ist nicht leicht. Hätt ich mich früher dazuhalten sollen. Aber muß denn für mich schon aller Tage Abend sein? Schau, wie ich geboren bin, hast du fünf Jahr gut mehr gehabt als wie ich heut. Und ist das Resultat so schlecht?«

»Ja, Kind, ich hatt auch einen Mann. Und du willst doch von keinem nimmer wissen!«

»Will ich auch nicht. Aber kann eins voraussehn, was geschieht? Mutter – lach mich nicht aus –, mein kleiner Finger sagt mir's irgendwie trotz allem: ich sterb nicht als Tippmamsell!«

 

Centa hatte sich das Geröstl schmecken lassen und fühlte sich behaglich satt. »Abspülen, Mutter, tu nachher schon ich. Aber jetzt hocken wir ein bißl noch so da, und du hörst mir die mütterliche Beicht ab; gel? Denn anders tust du es ja nicht. Und so abscheulich werden meine Sünden auch nicht sein.« Sie rückte ihren Stuhl etwas zurück und warf unter dem Plaudern manchmal einen Blick durchs Fenster in den Hof, wo sie als kleines Mädel Tag für Tag geschussert, Ball gespielt und manchen Unfug ausgebrütet hatte. Wie vertraut ihr doch die Rückfront des Hauptgebäudes drüben war. Sie kannte jeden Riß und jede Narbe im Verputz, selbst das Geraffel auf den in zwei Senkrechten vom Erdgeschoß zum vierten Stock ansteigenden Küchenbalkonen schien noch das gleiche wie zu jener Zeit. – Freilich, die Aussicht von der Villa Rapp draußen am Tegernsee war schöner. Aber es sagte ihr doch auch etwas, wieder daheim zu sein.

Ihr Sorgenkind hatte Frau Hollerieth ihre Zweitjüngste oft genannt, wenn sie sie mit ihren andern Kindern verglich, die alle braver und gesetzter ihren vorgeschriebnen Weg verfolgten – ernsthafte Sorgen aber hatte sie sich um die Centa nie gemacht. Nein, die kam durch, weil ihr – nicht leicht zu widerstehen war. Das wußte sie ja von sich selbst. Hatte sie denn die Cenzi, ob die auch am meisten anzustellen pflegte, nicht ganz selten nur verwichst? Vor diesem Blick, der sogar dann noch etwas Strahlendes behielt, wenn sich der Kopf erschrocken seitwärts duckte, verlor auch eine im Umgang mit acht Rangen locker gewordne Hand ihre Schlagfertigkeit. – Und schauen tat das Frauenzimmer heute mit siebenundzwanzig immer noch genau wie dazumal. Natürlich hatte sie jetzt wieder einmal etwas Dummes ausgefressen und nicht viel Verstand gezeigt. Aber, mein Gott, der eine schafft's mit dem Verstand, der andre schafft's mit dem Glück. Und auf die Füße fiel die alleweil!

So gab es sich von selber, daß das Gespräch der beiden immer munterer wurde und vom Vergangnen und Gegenwärtigen in die Zukunft schweifte. Sie malten es sich aus, wie friedlich sie zusammen hausen wollten. Resi, das »Reibeisen«, wie Centa ihre Schwester nannte, sollte sie darin nicht stören; vielleicht ließ sogar ihre Säure langsam nach, wenn sie begriff, daß sie damit nicht andern wehtat, sondern nur sich selbst.

»Mutter, paß auf, wird alles recht«, lächelte Centa. »Du, und das Gfrieß von unsrer Resi, wenn die aus der Vakanz kommt und trifft mich daheim – da freu ich mich ja heut schon drauf und will ...« Doch jetzt fiel ihr das Trillern der Flurklingel in die Rede.

Frau Hollerieth erhob sich. »Wer kann das bloß wieder sein?«

»Nein, Mutter, bleib! Ich mach schon auf. Ist doch kein andrer wie der Oggetti Karl. Den bringst aufs erste Mal nicht los. Aber er kriegt das Nötige gesagt, hab keine Angst!« Centa hatte den Griff der Tür schon in der Hand.

»Wenn er es ist, nimmst es am End doch als ein Zeichen«, riet die Mutter. »Geh, sei nicht zu harb mit ihm und brauch ein bißl Verstand!«

»Mei, woher nehmen und nicht stehlen, Mutter? Deinen Verstand hast mir du Geizkragen ja nicht vererbt – bloß deine Hübschigkeit. No, immerhin ein Pflichtteil, das sich sehn lassen kann!« Damit war sie hinaus.

Frau Hollerieth schüttelte ihren grauen Kopf. »Tu, was du willst – echt bös sein kannst dem Weibsbild nicht!« –

Centa straffte ihre Schultern kampfbereit und riß die Flurtür heftig auf. Doch plötzlich zeigte sie ein völlig anderes Gesicht; denn vor ihr stand Graf Brokkenhuus, schwer auf Gestettners Arm gestützt.

»Du«, rief sie. »Das ist aber lieb!«

»Centa, grüß Gott! Ich dachte nur ...«

»Ja, tritt doch näher! Häng dich bei mir ein! So ist es recht.« Und zum Chauffeur gewendet, fuhr sie fort: »Warten Sie drunten, bis man Ihnen ruft!«

»Drunten warten, jawohl!« Gestettner riß die Absätze zusammen. Schau, schau, die Strammheit war auf einmal wieder da! Frau Hollerieth in ihrer Küche neigte lauschend den Kopf zur Tür und nickte. »Also mit ihm reden will sie doch! No, hoffen wir's, es zieht sich wieder zurecht.«

An Centas Arm betrat der Graf die Wohnstube, wo der weiße Hut noch immer in der Sonne lag und einen eignen Zwielichtglanz gegen die Decke warf. »Da, in den Sessel!« sagte sie und half ihm sorgsam, bis er saß. Auf einmal fiel ihr etwas ein: »Was? Der Gestettner hat dich hergefahren? Jessas naa, muß der gesaust sein!«

»Ja; das heißt ...« schnaufte der Graf. »Bißchen verpusten noch! Ich bin das Treppensteijen gar nicht mehr jewöhnt.«

»Und kommst trotzdem, um mir behüt Gott zu sagen! Daran erkenn ich dich!« Sie zwängte sich hinter der Tischplatte durch, setzte sich in die Sofaecke neben ihn und sah ihn lächelnd an.

»Tja ...« wollte er beginnen.

Sie fiel ihm ins Wort: »Und wie ist es mit dem Duell?«

»Alles in Butter, wie sich der Müller Alois auszudrücken pflegt. Der Frieden ist jeschlossen, und zwei Unbesiegte stehen glänzend da.«

»No, weil nur dies Theater unterwegs bleibt!« nickte sie befriedigt.

»Darf ich daraus entnehmen, daß ein lebendijer Ferdinand dir lieber als ein toter Goswin ist?«

»Ist mir der eine wie der andre wurscht!«

»Nu, nu!« Er schüttelte den Kopf und fügte unruhig hinzu: »Um Gottes willen, war dieser Oggetti schon bei dir?«

»War er, jawohl.«

»Nu, und?«

»Was: und?«

»Hat er dein Wort?«

»Ja, einen Schmarrn hat er! Nein, Brokkenhuus, du hast ihn nach dem einen Brief von ihm, den ich dir damals, weißt, hab lesen lassen, besser herausgehabt wie ich nach ... Lassen wir's! Was muß ich vor fünf Jahren noch für eine Schneegans gewesen sein! – Gel ja, da schaust? An einem Tag zwei ernsthafte Bewerber schießen lassen – ein Rekord! Mach mir das eine nach!«

»Also, dann ist noch nichts verloren!« rief der Graf erleichtert.

Sie sah ihn mißtrauisch von der Seite an. »Eins sag ich dir fei gleich: wenn du jetzt für den Ferdl sprechen willst, sprich lieber nix! Mit uns hat's endgültig geschnappt.«

»Aber wenn es doch mit dem anderen nichts wird?«

»Brauch den nicht und brauch den nicht! Hab überhaupt die Mannsbilder im ganzen dick. Taugt keiner nix. – Du selbstverständlich ausgenommen, Brokkenhuus.«

»Ja, ja, so wird man tauglich durch Untauglichkeit«, lächelte er etwas wehmütig. »Aber woher auf einmal dieser Zorn jejen den armen Ferdinand?«

»Auf einmal, meinst? Du weißt halt nicht, was es zwischen uns zwei heut in der Früh gegeben hat.«

»Doch, doch! Er hat mir's unterwegs jenau erzählt.«

»Was heißt denn: unterwegs?«

»Er ist doch mit mir einjefahren.«

»Was?«

»Ja, und wird in zehn Minuten hier erscheinen. Ich wollt nur erst ein Viertelstundchen mit dir allein ...«

»Daß du es weißt: hier in die Wohnung kommt er nicht!«

»Centa, sei doch nicht unvernünftig!«

»Findst du? Sachen hat er mir gesagt!«

»Im Zorn! Du wirst dich auch nicht überströmend herzlich jejen ihn jeäußert haben.«

»Red, was du willst – jetzt hab ich ihn erkannt!«

»Jetzt erst? Wirklich erst jetzt?«

»Wieso?«

»Ja, Centa, selbstverständlich hat er neben erfreulichen auch seine Schattenseiten, wie sie jeder hat. Und du als Realistin hättest die nicht von Anfang an bemerkt?«

»So, Realistin? Willst du mich auch noch beleidigen?«

»Ist doch als Lob jemeint! Ist Realistin denn nicht besser als verstiejene Gans, die Wunder was von Märchenprinzen träumt?«

»Merkwürdig!« sagte sie nachdenklich. »So etwas von Märchenprinzen hat mir meine Mutter auch grad hingerieben.«

»Nu, kuck mal, wie jescheit!« lobte der Graf. »Was mich bei deiner Mutter zwar nicht überrascht. – Centa, sei doch zufrieden, daß er Fehler hat, die du ihm nach der Hochzeit schön bei langsam abjewöhnen kannst. Ein fehlerloser Mann wär fürchterlich: er zwäng moralisch ja auch seine Frau, den eignen kleinen Fehlern restlos den Kragen umzudrehn. Stell dir so eine Ehe vor – man würde sich zu Tode langweilen dabei!«

»Ja, du verstehst es, einem zuzusetzen, Brokkenhuus, und kannst so harmlos tun, als wenns du nur vom Ferdl reden tätst, indem du anstatt dessen mir die Leviten liest. – Soll's aber sein, wie's will – das gibt es nicht, daß ich mich wieder klein und häßlich mach vor ihm auf das hinauf!«

»Erbarmung, Centa: klein und häßlich ist nur er. Er hat nun deinen Ernst jesehn und streckt die Waffen ohne Vorbehalt.«

Dies Wort schlug bei ihr ein – das merkte er an ihrer Miene und an ihrem Zögern, bis sie sich zum Antworten entschloß. Er fühlte sich enttäuscht, als sie dann endlich sagte: »Brokkenhuus, warum liegt dir soviel daran?«

»Nu, weil ihr glänzend zueinander paßt.«

»Besonders schmeichelhaft find ich das nicht nach dem, wie er sich heut benommen hat.«

»Liebes Kind, wiegt denn ein hitziger Augenblick fünf gute Jahre auf? Er ist nicht anders, als er immer war, und ist für einen Sohn aus reichem Haus sogar ein ausnahmsweise netter Kerl. Nein, nimm es mir nicht übel, du hast dich da nur in was verrannt.«

»Verrannt! Verrannt!«

»Ja, und im Grund ist es dir selber gar nicht mehr so richtig ernst ...«

»Was?« rief sie lebhaft. »Und ich kann dir sagen: wär mir's nicht heiliger Ernst gewesen ...«

»... dann hättest du damit nicht – deinen Zweck erreicht?« fragte er schnell und schmunzelte verschmitzt.

»Du glaubst, das war Komödie bloß von mir? Ich schwör dir's zu ...«

»Nu, Centa, ruhig Blut! Wer spricht denn von Komödie! Natürlich war dir's ernst, solang du glaubtest, es würde mit dem andern was. Aber seitdem ...? – So einen Unsinn machen, nur um vor dir selber das Jesicht zu wahren – das paßt nicht zu dir.«

Sie hatte halb abgewendet von ihm dagestanden. Jetzt fuhr sie herum, und ihre Augen wurden hell. »Brokkenhuus«, lachte sie, »du bist ein Feiner und weißt besser wie man selber, wieviels in einem drin geschlagen hat. – Nehmen wir halt den Ferdl wieder in Gnaden an! Aber meine Bedingungen stell ich ihm schon.«

»Ja, wenn du meinst ... Ich bin auch so schon froh! Nur um Himmels willen nicht zu viel Bedingungen! Die Zukunft Punkt für Punkt vertraglich festzulejen – so unbegabt wirst du nicht sein. Und deine weiblichen Talente schaffen es nach der Hochzeit leicht auch ohne das.«

»Freilich!« gab sie siegesbewußt zurück. »Hab ich den Fuchs einmal im Eisen, dann ist mir's um das Weitre gar nicht bang.«

»Kuck, wie du wieder strahlst!« stellte er gleichfalls strahlend fest. »Ist dir nu doch ein Stein vom Herzen?«

»Ja, Brokkenhuus, ich fühl mich recht blamiert, aber es ist deshalb doch so gewesen: Kaum den Oggetti Karl gesehn, da hab ich schon gewußt, daß er gegen den Ferdl überhaupt gar nicht in Frage kommt. Ich hatt nur meine Wut und hab mich justament dagegen aufgebockt. Ich hätt dem Ferdinand auch ganz gewiß nicht nachgeheult und mir mein Leben ohne ihn schon eingerichtet, wie es sich gehört, aber hart angekommen wär mir's heimlich doch, das schöne Haus am Tegernsee zu missen und – natürlich dich.«

»Nu, nu, verjiß den Ferdinand nicht ganz!«

»Ja, und von mir aus auch den Ferdinand. Weiß selbst nicht, was das ist!«

»Sollte es nicht am Ende – Liebe sein?«

»Ach, Brokkenhuus, so mögen es die Poesiedichter in ihre Bücher heißen. Bin ich schon eine Realistin, no, dann sag ich's weniger geschwollen: bin ihn einmal gewohnt. – Herrschaft, da schellt er schon! – No, dann in Gottes Namen! Gehn wir's halt an!«

Sie winkte ihrer Mutter, die neugierig aus der Küche lugte, warnend ab, ging, als die Alte sich zurückzog, an die Flurtür, verzog noch einen Augenblick und machte dann entschlossen auf. Rapp schaute sie befangen an und sagte heiser: »Grüß dich Gott!«

Sie nickte kühl. »Grüß Gott! Wenn du schon einmal da bist, geh halt dort hinein. Der Brokkenhuus ist drinnen, und ich komm gleich nach. Muß bloß zuvor ...« Sie eilte in die Küche.

Frau Hollerieth trat ihr entgegen. »No, was ist denn? Red halt, Kind!«

»Was soll denn sein? Diesmal ist es der Doktor Rapp gewesen. Hab ihn derweil ins Wohnzimmer spediert.«

»Ja, spinnst du denn? Den – zum Oggetti Karl?«

»Geh, der erste war der Graf Brokkenhuus. Und ich hab dich nur bitten wollen: wenn's wieder schellt, machst du auf, gel? Und ist es der Oggetti Karl, dann sagst du ihm, ich tät bedauern – grad aber hätt ich mich verlobt.«

»Nein, ist es wahr?« Frau Hollerieth schlug freudig in die Hände.

»Gratulationen werden später angenommen«, lachte Centa und war schon entwischt. –

»No also, Cenzerl, sind wir wieder bei Verstand?« rief Rapp, als sie erschien.

»Mein Herr!« wies sie ihn kühl zurück. »Grad weil ich bei Verstand bin, sind wir noch nicht soweit. – Ach so? Der Brokkenhuus hat dir natürlich alles schon geratscht?«

»Weil das den Fall vereinfacht!« lächelte der Graf. »Und damit ist mein Werk jetan. Nun laß ich euch besser allein.«

»Wär ja noch schöner!« widersprach ihm Centa. »Nein, du bleibst! Weil ich notwendig einen Zeugen brauch. Denn jetzt wird es fei ernst. Du, Ferdinand, setz dich da in den Sessel hin – in dem hat heut schon ein ernsthafter Bewerber einen Korb von mir besehn!«

»Was soll der Unsinn?« murrte er halb lachend und halb ärgerlich. »Muß das denn sein?«

»Klar, daß es muß! Und ist gescheiter, du sitzt schon zuvor, wenn ich dir meine Bedingungen diktier.«

»O weh!« Er ließ sich nieder. »No, ich bin auf Furchtbares gefaßt.«

»Das darfst auch! Also Paragraph eins: wir reisen morgen in der Früh direkt von hier aus, notabene, ohne vorher heimzufahren, nach der bekannten Insel Jersey. Weißt du, wo die ist?«

»Beiläufig, ja. Und muß das ums Verrecken morgen sein?«

»Jawohl. Hab lang genug gewartet schon.«

»Aber zu einer Hochzeit braucht es doch Papiere.«

»Ah, kein Schein! In England nicht. Sind dort die Paechtlis doch getraut! Glaubst du, ich hätt die Gwen nicht ausgefragt? Zwei Zeugen bloß – das langt. Und die verschafft uns die Pensionsmama, von der ich die Adresse auch schon aufgeschrieben hab. Und wenn die keine wissen sollt, dann stehn vorm Standesamt so Packträger herum, die tun es um zehn Schilling liebend gern. Sie leben ja davon.«

»Bloß Anzüg zum verpumpen haben die wohl kaum. Ich kann doch nicht so wie ich geh und steh, sonst ohne nix, nach England hin«, wehrte sich Rapp.

»Ich hab mein Sach dabei, und wegen dem deinen schreibst dem Müller Alois einen Brief«, erklärte sie. »Der Brokkenhuus fahrt so mit unserm Wagen naus und nimmt ihn mit. Dann packt der Otto dir ein Kofferl, und der Gestettner nimmt den kleinen Adler und schafft es herein.«

»Ja aber, Cenzerl, wär's da nicht einfacher, wir fahren mit ihm naus und richten es dann selber?«

»Freilich, daß du dich draußen wieder davon druckst!«

»Wenn ich's dir doch versprech!«

»Ja, glaubst, ich geh nach dem, wie ich heut fort bin, noch einmal ins Haus, wenn nicht als richtige gnädige Frau? – Mich dumm anschaun lassen von der Bande, ging mir ab! Dienstboten sind fei nicht so blöd, wie ihre Herrschaft meistens glaubt. Geheimniss' gibt's vor denen nicht. So – oder gar nicht – wird's gemacht! Wir übernachten hier drinnen im Hotel! Heut abend könnt man in die Oper. Sind die Festspiel grad. Im Residenztheater: Don Giovanni – da gehn wir hinein.«

»Du mußt wohl noch einen bestraften Wüstling sehn?« erkundigte sich Rapp.

»Von wegen: Wüstling!« lachte sie. »Geh, überschätz dich nicht! Aber: bestraft – ja, Strafe hast du schon verdient.«

»Ach Gott!« seufzte er humoristisch. »Also, Paragraph eins ist angenommen. Mach nur ruhig weiter – ich hab ein gesundes Fell!«

»Mehr – gibt es nicht«, erklärte sie.

»Bravo!« rief Brokkenhuus.

»Das andere diktier ich dir dann nach der Hochzeit«, kündigte sie an.

»Wird sich ja zeigen!« erwiderte Rapp unbesorgt. »Aber weil du's so gnädig machst, möcht ich freiwillig noch etwas tun. Du hast doch auf den Namen von unserm Haus des öfteren geschimpft. Na, taufen wir's in: ›Villa Centa‹ um!«

»Du läßt dir's ja was kosten!« spöttelte sie. »Bloß schad, daß mir das gleich gar nicht gefällt! Mein Namen ist zu gscheert dafür.«

»Mein lieber Rapp«, schlug Brokkenhuus mit stillem Schmunzeln vor, »tauf es Centa zu Ehren doch: ›Haus meine Unruh‹! Ich glaub, das paßt. Denn deine Uhr, die in der letzten Zeit klein bißchen nachjing, kriegt jetzt wohl grade diesen Teil neu einjebaut – was meiner Ansicht nach kein Fehler ist!«

»Wie ich mich freu!« seufzte der Doktor. »No, wenn's mir zu bunt wird, brenn ich ihr einfach durch.«

»Daß sich Herr Doktor fei nicht täuschen!« sagte Centa. »Nämlich: wie man Männer fesselt, darüber hab ich jetzt von deiner alten Dame hübsch was profitiert.«

»Ach was?« rief Rapp. »Da du sie nur par renommé kennst, heißt das ja allerhand.«

» Par renommé? Bin aber letzten Dienstag eine geschlagene Stund bei ihr gesessen, ellabätsch! No, und das langt!«

»Ja, bist du ganz plemplem? Zu was denn das?«

»Halt, um mit ihr zu reden von uns zwei.«

»Jetzt wird es Tag! Und wie hat sie drauf reagiert? Natürlich sauer?«

»Süß grad nicht – das geb ich zu. Aber wie mich ihr mütterlicher Fluch dermatscht hat, kennst vielleicht an dem!« Centa nahm ihre Handtasche vom Tisch, zog ein Etui, doppelt so lang als breit, daraus hervor und hielt es ihm hin.

»Was ist das?« fragte er.

»Schau es nur an! Direkt von ihr bin ich zum Juwelier. War dir ja eigentlich schon zum Geburtstag zugedacht.«

Er öffnete das Kästchen. »Eheringe?« staunte er.

»Da fällt mir ein«, rief Brokkenhuus, »Centa, ich hab auch was für dich, was Ferdinand ersten bei mir vergaß.« Er zog das Schmuckkästchen hervor.

»Dank schön!« Sie nahm es und warf es in ihre Tasche. »So also, Ferdl, gehst du um mit meinem Sach! – Nein, nein, die Fangeisen behalt nur du! Oder, gescheiter noch: wir stecken sie gleich an!« Und das geschah denn auch. Centa musterte ihre Hand. »Steht mir doch gut! Du Brokkenhuus, ja schau nur grad: der Ferdinand mit Ehering! Ich lach mich ja kaputt! Fehlt weiter nix als wie die alte Dame, die uns ihren Segen gibt!«

»War eine Kateridee von dir: der auf die Bude rücken!« knurrte Rapp. »Denn der Effekt wird sein, daß sie mich als Präsent zur Hochzeit glatt enterbt.«

»Ach? Und dann müssen wir stehend freihändig Hungers sterben?« fragte sie vergnügt. »Mich reut er gar nicht, der Besuch. Wenn auch ein bißl anders, wie ich mir's gedacht hab, hat er doch seinen Zweck erfüllt.«

»Ah? Und dein Zweck war wohl, bei ihr auf Bisgurn lernen? Nett, und da werd ich mir ja was versprechen können!«

»Homöopathisch anjewendet«, mischte sich Brokkenhuus nun ein, »drei Tropfen Bisgurn auf einen Suppenlöffel Liebenswürdigkeit und zur Jeschmacksverbesserung ein Prischen Mutterwitz hereinjerührt – das ist bekömmlich und gesund, mein lieber Rapp.«

»Und wegen dieser Art Gesundheit, meinst du wohl, verzichtet man mit Kußhand auf sein Muttererbe?« hielt ihm Rapp entgegen.

»Wird nicht so heiß gegessen!« munterte ihn Centa auf.

»Die Alte kommt schon wieder zu Verstand. Die krieg ich rum! Und ohne ihr großartig nachzulaufen. Weißt du, wodurch? – Dadurch, daß ich dich in der Ehe erst zum Menschen mach. Jawohl!«

»Rapp, das hättest du bei schnellerem Zugriff billijer haben können«, lachte der Graf und fuhr wie tröstend fort: »Aber richtig zu Menschen werden Eheleute ja erst durch die Kinder, weil man die doch erziehen muß und das nur auf dem Weg des Beispiels jeht.«

»Mei, Ferdl«, Centas Grübchen tanzten lustig in den Wangen, »ein Beispiel wenn's d' erst bist, wirst du vollends unwiderstehlich. Kommt es soweit, weißt, dann verpflicht ich mich, dir keinen Tropfen nimmer einzugeben von der bewußten Bisgurn-Medizin, und du darfst zur Revanche mich dreimal täglich füttern mit deine Lebenverlängerungs-Pralinee. Denn daß jetzt hinter die Erfindung endlich Dampf kommt, dafür tu ich dir schon! Ich möcht ja nicht für meine Kinder bloß, sondern für recht viel Enkel und Urenkel noch ein Beispiel sein. – Ja, schau nur, Brokkenhuus! Darfst es mir glauben: ich werd hundert, wenn's langt. Mich vorher totzuärgern, bringt nicht einmal der zustand!« Sie faßte Rapp am Oberarm und schüttelte ihn flott, strahlend vor Frische und Gesundheit – eine Siegerin.

 

Ungefähr um die Stunde, als im Münchner Residenztheater Centa und Rapp den steinernen Kontur bedrohlich Don Juans Speisesaal betreten sahen, nahmen Graf Brokkenhuus und seine Neffen im Salettl des Sixenhofes Platz. Sie hatten in des Grafen Bauernstube ihre Abschiedsmahlzeit eingenommen und waren, weil da drinnen große Schwüle herrschte, hier herausgezogen, um noch, wie Henne sagte, »bißchen Mondschein und viel Alkohol« zu kneipen. Was der Sixenbauer sein Salettl nannte, war ein öder, langgestreckter, nach Westen offener Bau und diente meistens nur zum Wäschetrocknen, wenn es regnete; fast nie genoß ein Mensch die weite Aussicht über den See und auf die Berge, die sich hier bot.

Als Brokkenhuus in dem Rohrsessel saß, den Sepp für ihn herausgetragen hatte, befahl er diesem: »Jeh also und bring jetzt das Jetränk!«

»Jawohl, Herr Graf!« Der kleine Diener machte sich davon, war aber, bevor er noch das Haus betreten hatte, wieder da und ließ den Müller Alois an sich vorbei.

»Schön guten Abend!« sagte der und hob den dreien einen Henkelkorb entgegen, aus dem einige grünbekapselte Weinflaschenhälse ragten. »Herr Graf, darf ich mich jetzt zu Gast bei Ihnen laden? Hab auch was mitgebracht, weil mir die Centa unter den Brief vom Ferdinand eigens geschrieben hat, sie macht mich dafür haftbar, daß Sie ihre Verlobung heut mit einem würdigen Wein begießen. Ich bin gleich in den Keller und hab was Extrafeines ausbaldowert: Pfälzer im heiratsfähigen Alter, dreiundneunziger Forster Ungeheuer, waren grad noch vier Flaschen da, pro Nase eine, stimmt aufs Haar. Das ist ein Tropferl, no, Sie werden schaun! Schaun tat ja auch der Ferdinand, wenn er es wüßt, daß wir die Marke ohne ihn verdrucken. Aber in der Hinsicht sind wir kalt. Um auf sein Glück zu trinken, ist uns nix zu gut. Steht auch dafür, es mit dem Tröpferl zu begießen, daß uns die Centa doch nicht durch die Lappen ist, gelten S', Herr Graf?«

Brokkenhuus nickte ihm wohlgefällig zu, denn er begriff, warum sich Rapps Faktotum heute abend viel beredter als gewöhnlich zeigte. Auch Alois freute sich, und das gefiel ihm gut von ihm.

»Nu, setzen Sie sich«, lud er ihn ein und rief: »Du, Sepp, verschwind und bring jetzt nichts, bis man dich ruft! Das heißt, ja, Gläser werden nötig sein.«

»Brauchts nicht«, erklärte Alois. »Entsprechend edle Gemäße hab ich ebenfalls dabei.« Er faßte in den Korb und stellte vier kristallene Römer auf den Tisch. Dann schob er einen Stuhl für sich heran, zückte den Korkzieher und machte sich über eine Flasche her. Der alte Pfälzer floß ölig wie ein Südwein in die Gläser, sein feiner Duft berückte die Nasen schon im vorhinein.

Henne nahm schnell den ersten Schluck. »Ah!« stöhnte er vor Lust. »Gar nicht jewußt, daß es auch hier in Deutschland heiße Weine jibt! Das schönste Unjeheuer, das mir je bejegnete – von dir, Goswin, natürlich abjesehn.«

Nun hob der Graf den Römer. »Auf das junge Paar!« Sie stießen an, es gab ein silbernes Geläut. »Heut bleib ich auch bei dem«, schmunzelte Brokkenhuus, als er getrunken hatte. »Der Hofrat ist nicht zum Verbieten da. Und Sherry hierauf kam mir doch zu spanisch vor.« Dann flog ein Schatten über seine Stirn.

»Erbarmung, wenn nur Bachhuber den Wein nicht riecht!«

»Bis München – nein, keine Gefahr!« beruhigte ihn Alois.

»Wieso denn München?«

»Ich hab ihn doch heut nachmittag schon auf den Schub gebracht nach dort. Ist ebenfalls im Brief vom Ferdl drin gestanden – dienstlicher Befehl. Das hab ich mir nicht zweimal sagen lassen und bin postwendend in die Pension zu ihm, hab seine Rechnung glattgemacht, dabei schonend durchblicken lassen, daß der Herr es selber weniger mit dem Bezahlen hätt, und daß von unsrer Seite kein Pfennig nimmer zum derwarten wär. Dann hab ich ihn beim Flügel packt, ihn an die Bahn bracht, ihm die Fahrkarte München dritter in die ungewaschne Flosse druckt und: ›Behüt Gott, Herr Bachhuber; ist gern geschehn!‹«

»Nu endlich!« nickte der Graf.

»Ja, ja, das kommt vom Wetten!« sagte Henne.

»Nun aber noch das Interessanteste«, erzählte Alois weiter, »was ich nicht glauben tät, wenn ich nicht selbst dabei gewesen wär! Mich armes Luder ausgerechnet, dem doch das Gerschtl nicht so zuwachst wie dem Ferdinand, hat er noch angehaut um zwanzig Mark.«

»Wei, und das überrascht Sie so?« erkundigte sich Henne.

»Von ihm ja weniger, aber von mir: daß ich's ihm geben hab. Hunger tat weh, hat er gar so geschmerzt dahergebracht, und ich bin scheinbar doch ein Mann von Herz.«

»Was? Hunger?« Goswin fiel beinah vom Stuhl. »Aber ich gab ihm ja fünfhundert Mark.«

Die andern staunten. »Ja, bist du verrückt?« rief Henne. »Wann vollzog sich diese Transaktion?«

»Nu, er kam heute nachmittag, wie du jerade schliefst, und bat mich. Er will nach Paris.«

»Das hätt ich wissen sollen!« murrte Alois empört.

»Nicht eine Stunde darf das Kind allein jelassen werden!« klagte Henne. »So leichtsinnig verschmaddert dieser Mensch mein Reisejeld!«

»Eijentlich hat er die Wette ja jewonnen«, wendete Goswin ein. »Und darum fand ich es im Grund honorig, daß er das nicht jeltend machte und sich das Jeld nur von mir puffen wollte.«

»Nu, im praktischen Effekt ist ja der Unterschied nicht groß«, bemerkte Henne.

»Auch nicht einmal klein«, bestätigte der Müller Alois.

»Ich hab aber sein Ehrenwort!« verteidigte sich Goswin.

»Ach, sind Sie Sammler?« fragte Alois mit verdächtigem Ernst. »Da könnten wir Ihnen von dieser Art noch einige Dubletten preiswert überlassen.«

»Hei, aber ich weih diesem Tüchtijen einen stillen Schluck.« Und Henne trank. »Weil er mir jetzt bei langsam imponiert. – Sag aber, hast du jetzt auch noch jenug für uns?« wendete er sich besorgt an seinen Vetter.

»Kommen schon aus!« beruhigte ihn der.

»Könnt man Sie auch noch anpumpen, Herr Graf?« wollte der Müller Alois wissen. »Oder ist Ihr Bedarf darin gedeckt?«

»Hehe«, kicherte Goswin verlegen und wies, um abzulenken, gegen den Wallberggipfel hin: »Ist das ein Scheinwerfer, was da so macht?«

»Scheinwerfer? A woher! Nein, wetterleuchten tut's. Merken S' das erst jetzt?«

»Wie furchtbar!« ächzte Henne. »Und wir hier im Freien! Soll man nicht schnell ins Haus? Das hat, so hoff ich, einen Blitzableiter, der auch funktioniert?«

»Nein, bleiben wir nur hocken!« tröstete ihn Alois. »Das steht weit hint in Österreich. Heut gibt es da nix mehr. Aber gar lang wird's nimmer dauern, bis er kommt, der Wettersturz. So schwül, wie es die Tag gewesen ist! Rührt sich bei mir im linken Flügel auch der Reißmatthias schon. Es braut sich was zusammen, ja. Und einmal kommt's.«

»Wenn nur nicht heute!« hoffte Henne. »Morjen entfleuch ich sowieso.«

»Ja, einmal kommt es«, sagte nachdenklich der Graf. »Meteorolojisch und – auch sonst. Wer weiß, ob unsere liebe Centa nicht grade noch den richtijen Moment ergriff, um unterzukriechen unter ein solides Dach!«

»Wei, Onkel Woldemar«, und Henne hob sein Glas, »bei diesem bemerkenswert großbürjerlichen Trank fällt dir nichts andres ein als die von dir ausdauernd prophezeite Jötterdämmerung der bürjerlichen Welt?«

»Von Jöttern seh ich da nicht viel«, seufzte der Graf.

»Also sagen wir dann: Tod des Bürjertums!«

»Manny, von Tod hab ich nie was behauptet. Und ich glaub auch nicht daran. Schon weil der Drang, es im Leben ›zu was zu bringen‹, im Menschen, besonders in Leuten, die selbst nicht viel sind, nu mal drinsteckt. Von seinem goldjezäumten hohen Roß wird es herunter müssen, das Bürjertum, das glaub ich wohl und sehe Zeiten kommen, wo es sein blaues Wunder zu erleben haben wird. Deswejen aber sterben – nein. Laß Stürme blasen – auch von ihm jilt jenes Wappensprüchlein fluctuat nec merjitur

»Ach, wie heißt das auf deutsch?« bat Alois. »Latein hab ich in meiner Oberrealschule nicht gehabt.«

»Deutsch kann man wenijer pathetisch sagen: Kork schwimmt oben«, lächelte Brokkenhuus.

»Hotz, schmeichelhaft fürs Bürjertum ist diese Übersetzung grade nicht«, fand Henne.

»Nu, warum?« fragte der Graf. »Man soll das Leichte zwar nicht über-, aber auch nicht unterschätzen. Kork, der oben schwimmt, hält manches spezifisch Schwerere über Wasser, um das es schad wär, wenn es einfach, pluksch, auf Grund jing – findest du nicht auch?«

»Schwimmjürtel!« strahlte Goswin und war ganz im Bild.

»Nein, wie du immer gleich auf so was kommst!« bewunderte ihn Henne.

»Ja, ich bin nicht dumm!«

»Im Jejenteil!«

»Was meinst du denn mit: Jejenteil?«

»Nu ja: das Jejenteil von nicht dumm.«

»Das wollt ich mir auch ausjebeten haben!« stellte Goswin beruhigt fest.

»Prost, Süßing, du bist eine Perle. Leb jefälligst hoch!« Der bürgerliche Vetter hielt dem gräflichen den Römer hin, ihr Onkel und der Müller Alois taten es ihm nach, die Gläser klangen an.

»Äcks!« schrie da Henne auf und deckte sich mit der Hand die Augen zu; denn in grellweißen Flammen flackerte plötzlich das halbe Himmelsrund.

»Ja, schaun S' nur dort im Kreuther Tal die Wolkenbank!« rief Alois erstaunt und deutete hinaus. Die andern wendeten die Köpfe hin und sahen: durch die blauschwarze Finsternis in der Bergsenke schlängelte sich haarfein und zierlich verzweigt ein blaß rosenfarbiger Blitz. Alois erhob die Hand, wie wenn er sagen wollte: »Horch!« Die Balten bückten sich lauschend vor. Sie hörten aber nichts. Erst als sie wieder entspannt zurück in ihre Stühle sanken, rollte unheimlich leise der erste Donner über das durch zu schönes Wetter dürr gewordene Land.


 << zurück weiter >>