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Italienische Nacht

Zu seinem Geburtstag hatte Rapp die ganze »Rasselbande« eingeladen, bis auf Bachhuber. Der aber roch es ja von weitem schon, wenn hier besondere Tafelfreuden winkten, und erschien dann ungebeten. So hatte man sich damit abgefunden, ihn als eine Art Landplage mit in Kauf zu nehmen, gegen die kein Kraut gewachsen sei.

Mithin sah Henne an seinem mutmaßlich letzten Abend hier in Tegernsee den gleichen Kreis versammelt wie seinerzeit am ersten auch. Nur sein gräflicher Vetter Goswin war heute als Fremdkörper mit eingesprengt. Der selber freilich spürte nichts von solcher Wirkung: erstens lag ihm der Gedanke fern, er könnte überhaupt je anders auffallen als angenehm, zweitens prallten die Pfeile, die dieser oder jener auf ihn abschoß, vom Harnisch seiner Ahnungslosigkeit zurück, und endlich hatte er für nichts Ohr noch Auge als für seine Tischnachbarin. Je mehr er trank – und er trank viel und hastig –, desto zielbewußter huldigte er Centa, desto größere Belustigung schuf er damit den Unbeteiligten.

Selbst Rapp, in dessen Garten einzusteigen sich der Fremdling doch vermaß, fand sein Gebalz zuerst nur komisch und nicht der geringsten Sorge wert. Befremden mußte es ihn dann aber doch, daß Centa diese blöden Schmeicheleien des Balten sozusagen »fraß«, ja, ihrem Strom mit allen Werkzeugen der Koketterie ein glatteres Gefäll zu bahnen suchte, wenn sein Lauf einmal zu stocken schien, oder wenn Lydia versuchte, ihn nach ihrer Seite abzulenken. Centa siegte leicht in diesem Kampf, und Goswin schwoll der Kamm noch stärker in dem Gefühl, daß sich »die Weiber um ihn rissen«. Und da sein Onkel, der ihm sonst bestimmt des öftern Asche auf die Glut geschüttet hätte, erst nach Tisch erwartet wurde, flackerte das Strohfeuer seines Herzens munter fort; immer bewußter wurde er sich seiner Unwiderstehlichkeit.

Des Hausherrn Staunen über dies »Affentheater«, wie er es im stillen nannte, wuchs mit der Zeit zu innerlicher Wut, zumal da aus dem Kreise seiner Freunde auch gegen ihn so mancher Pfeil herüberschwirrte. Auch dünkte es ihn gar nicht hübsch von Centa, ihm kalt lächelnd vorzuführen, über welche Liebenswürdigkeit sie mühelos gebot, während sie ihn, der doch der nächste dazu war, den ganzen Tag schon eher häßlich als geburtstagsmäßig nett behandelt hatte. Sollte sie vielleicht doch ...? Wer kannte sich denn mit den Weibern aus! – Nein, Schluß der Vorstellung! Er fragte nichts darnach, ob namentlich die Damen nicht recht gerne noch zum drittenmal von dem trefflichen Pückler-Eis genommen hätten. Er gab Centa einen Augenwink, und sie gehorchte ungesäumt und hob die Tafel auf.

Als sie dann in die Diele kamen, saß Graf Brokkenhuus schon an seinem gewohnten Platz hinter dem Sherryglas. Die ganze Schar begrüßte ihn mit lebhaftem Hallo; Centa rückte sich einen Sessel neben ihn, warf sich hinein und fing ein munteres Geplauder an.

Da rief Rapp von der offnen Tür: »Vor ihr euch hinhockt, gehts doch her und schauts euch erst einmal die Landschaft an!« Außer Centa und Brokkenhuus drängte sich alles auf die Freitreppe hinaus.

»Welch wunderbare Mondnacht!« tönte Gwendolin Conradis klangvolles Organ.

»Das einzige, was ich daran vermisse, ist der Mond«, dämpfte ihr Mann, spöttisch wie immer, ihren Überschwang.

»Weil er noch hinterm Wallberg steht«, erklärte Rapp. »Da droben, wo es schon so hell wird, spitzt er dann gleich vor.«

»Weiß nicht«, meinte Paechtli kühl, »Sinn für Natur ist das Produkt einer recht primitiven Stufe der Zivilisation.«

»Aber die Landschaft so in diesem Licht!« widersprach ihm seine Frau. »Nein, besser stellt das auch kein Possart hin!«

»Zeit lassen!« sagte Rapp. »Jetzt kommt doch erst das Wunder der Regie!« Er drehte einen Schalter neben dem Türrahmen um, und plötzlich erglühten weithin durch den Garten endlose Ketten in den sanften Feuerfarben der chinesischen Papierlaternen. Ein mehrstimmiges »Ah!« stieg in die Luft.

»Elektrisch ...!« Henne schnalzte verächtlich mit der Zunge.

»Ja, was denn sonst?« erkundigte sich Rapp. »Sie meinen: Kerzen? Wär ja die erste lang schon ausgebrannt, vor man die letzte überhaupt anstecken könnt!«

»Gel ja, Egidi, schön?« rief Mena und lehnte sich hingegeben an ihres Hofrats Schulter.

»Daß keine einzige von den Laternen in Flammen aufjehn kann, fehlt einem doch«, fand Henne. »Was ich hinjejen jern vermisse, ist bengalische Beleuchtung, die sonst unbedingt zu so etwas jehört.«

»Wott, damit wär der Kitsch vollkommen!« höhnte Lydia.

Ivar Evander grauste es geradezu. »Und das sich jetzt gemalt noch vorgestellt! Wie Himbeerlimonade! Durst auf Alkohol kriegt man von das!«

»Brauchst es nicht malen», knurrte Rapp. »Und für den Durst ist leicht geholfen. Nur hineinspaziert! Kannst dich gleich in die Bowle stürzen!« – Oh, der Hausherr hatte es sofort bemerkt, daß Goswin nicht mehr hier draußen war.

Und richtig saß der Kerl schon wieder süßholzraspelnd bei der Centa.

»Nu, schöne Seelen treffen sich!« stichelte Lydia und besetzte den Stuhl zu Goswins linker Hand. Auch alle die andern nahmen Platz und griffen nach den Gläsern. Henne allein blieb in der Tür, um sich die Landschaft noch ein bißchen ohne Kommentare anzusehn.

»Wie sich die Centa alleweil das schönste Platzerl zu entdecken weiß!« bemerkte Mena.

»Gel?« Centas Augen leuchteten vor Übermut. »Zwischen zwei Grafen sitzen bringt doch Glück – sagt man nicht so?«

»Dir sicher, Centa«, grinste Paechtli, »dein neunzackiger Komplex ist uns längst kein Geheimnis mehr.«

Da reckte Goswin sich hellhörig auf. »Wollen Sie damit etwas jejen mir rechtens zustehende Adelsprädikate sagen?«

Paechtli wurde klein. »O keineswegs, Herr Graf!« erklärte er beflissen. Aber schnell gewann er seinen Mut zurück: »Ich kann sogar behaupten, ohne Krone sah Ihr Kopf gar nicht vollständig aus.«

»Ja, Kronen putzen sehr«, bemerkte Rapp.

»Du, Rapp, tu bloß nicht so«, fiel jetzt Bachhuber ein, »als ob du dir dein Heim nicht gern mit Adelsnamen und klingenden Titeln schmückst!«

»Geh, Bachhuber«, klang es zurück, »daß ich mit so einem Mitteleuropäer wie dir frère et cochon bin, beweist wohl meine demokratische Gesinnung zur Genüge.«

»Ich höre immer: demokratisch?« Lydia lachte auf.

Rapp nickte sehr vergnügt. »Beruhige dich! Ich weiß schon: Demokrat bin ich auch bloß im Sinne jenes jungen Schnösels aus dem ›Simplicissimus‹, welcher da sagte: Ach, ich pfeif auf Abstammung und Adel – mein Vater war Geheimer Kommerzienrat. Und das genügt mir!«

Goswin fuhr so wild von seinem Stuhl auf, daß er beinah vornüber kippte. »Ich hab das nicht richtig jehört! Ist das vielleicht auf meinen Stand als Edelmann jemünzt?«

»Ach, Goswin«, nahm Graf Brokkenhuus verstimmt das Wort, »fühl dich nicht so als Mittelpunkt! Reg dich nicht auf und setz dich hin!«

Und Henne, der die ganze Zeit mit seinen Augen draußen in der Nacht, mit seinen Ohren aber stets am Tisch gewesen war, hinkte eilig heran, schob seine Rechte unter Goswins Arm und rief: »Du, komm mal schnell! Ich zeig dir was.«

»Was soll ich denn?«

»Jetzt ist der Mond über den Berg. Das mußt du sehn! Die ganze Welt in Milch der frommen Denkart einjetaucht! Trink mal zur Abwechslung von der!«

»Ach Mond! Erst muß ich feststellen ...«

Centa sprang auf. »Herr Henne, dann gehn wir! Hab die Lampions noch gar nicht angesteckt gesehn.«

Und als er sie mit einem verstohlenen Seitenblick nach seinem Vetter zweifelnd musterte, blinzelte sie ihm pfiffig zu, wie wenn sie sagen wolle: »Überlassen Sie das mir!«

Und ihre Ahnung trog nicht: kaum hatten sie sich auf den Weg gemacht, da zog es Goswin schon magnetisch nach, und er vergaß ganz, was er seinen hundertsechsundzwanzig Ahnen schuldig war. »Nu, was kann sein! Besichtijen wir den Mond!« rechtfertigte er sich vor den anderen. –

»Ich – kenn die Sonne, die ihn in den Mondschein zieht«, bemerkte Paechtli grinsend, als die drei verschwunden waren.

»Feuriger junger Mann, Herr Graf, Ihr neuer Herr Neveu!« fand Hofrat Astaller.

»Ja, leider!« seufzte Brokkenhuus. »Und ich hab Angst, daß er heut abend noch mit – blauer Flamme brennen wird. – Habt ihr bei Tisch so viel jetrunken?«

»Das weiß Gott!« beteuerte Ivar Evander, ordentlich stolz darauf, wieviel in ihn hineinging, und reichte Rapp sein Bowlenglas zu neuer Füllung hin.

 

Auf der Terrasse machte Centa mit den beiden Vettern halt. »Doch wirklich schön!« rief sie. »Daß man bei dieser Nacht da drinnen hockt, ist beinah eine Sünd!«

Henne zog Goswin schnell beiseite und sprach leise auf ihn ein:

»Sag mal, zu welchem Zweck spielst du den wilden Mann und rammst den Leuten ewig deine Krone in den Bauch?«

»Beruhije dich, ich weiß, was sich jehört!« warf hochnäsig der andre hin.

»Nein, lieber Freund, das weißt du eben nicht! Man schneidet auch der Hausfrau nicht auf Deiwel komm heraus die Cour.«

»Gnädijes Fräulein«, sagte Goswin laut, »haben Sie an meinem Benehmen jejen Sie was auszusetzen?«

»Ich? Nein.« Sie lächelte. »Andre vielleicht ... Ich nicht.«

»Zum Beispiel der!« Er wies auf Henne.

»So? Sie auch?« erkundigte sie sich.

»Wei, wer denn noch?«

»Nein ... niemand weiter.«

»Also jefall ich Ihnen doch klein bißchen, gnädijes Fräulein?« Goswin warf sich in die Brust.

Sie zuckte mit den Achseln und schielte ihn spitzbübisch an. »Was soll man auf so was erwidern? Schaun S', Herr Graf, Sie fragen gar zu gradheraus ... No ja, was die Erscheinung anbetrifft – natürlich ...«

»Ja, nicht wahr?« spöttelte Henne. »Wie eine Wachsfigur in einer Kleiderbude! Weiße Schmanthosen und weiße Schuh, helljelber Schlips und rostbraunes Jackett! Dazu noch einen andern Kopf darauf – es war ein Bild, wie es der Mond nicht oft bescheint!«

»Pfui, Manny!« Goswin schob schmollend die Unterlippe vor. »Gnädijes Fräulein, was fehlt meinem Kopf? Und sagt er Ihnen nichts?«

»Ach, Graf, er hat mir heut schon mehr gesagt, wie ich, bei Licht besehn, hätt hören dürfen ...«

»Nu?« Goswin blickte seinen Vetter triumphierend an.

Der aber fand, es sei jetzt an der Zeit, von diesem Thema abzukommen, und begann: »Die Aussicht hier ist schön. Wissen Sie aber, Fräulein Hollerieth, was man vermißt? – Man sieht fast nichts vom See.«

»Sind halt die Obstbäum vom Sixenbauern auf der drübern Straßenseite schuld. Schad ist es schon! – Wissen Sie was? Wir gehn schnell nauf nach dem Salettl droben am Mauereck!« Sie deutete rechts hinter sich bergan. »Von da sieht man den ganzen See.«

»Dort oben?« Henne schaute Centa ängstlich an. »Das ist der lange Zickzackweg?«

»A nein, woher!« beruhigte sie ihn. »Da gingen wir ja um. Gradaus über die Wiese nauf – dann haben wir es gleich.«

»Wenns dir zu weit ist, Manny, bleib doch unten!« schlug Goswin ihm entgegenkommend vor.

»Nein!« Centa winkte lächelnd ab. »Herr Henne, gel, Sie gehn doch mit?«

»Wird man wohl müssen«, seufzte dieser, und so traten sie die Wanderung an. Kaum aber hatte Henne einen Fuß auf den Grashang gesetzt, da sagte er: »Nein, das auf keinen Fall! Mir viel zu glatt!«

Die andern waren schon ein Stück voraus, und Centa wendete sich um. »Na müssen S' halt die Serpentine gehn, und am Salettl treffen wir uns dann.«

»Gott scheint es ja zu wollen«, sagte Henne trüb.

Bei seinem Ton kam Centa ein Gedanke. »Ja also, dann auf Wiedersehn!« rief sie hinunter. »Und hoffentlich lauft Ihnen nicht der Bürschei in den Weg! Der ist bei Nacht fei immer los.«

»Wie furchtbar! Dann auch nicht für eine Million!« jammerte Henne. »Ich jeh gleich herein! Sie hoffentlich doch auch?«

Bedauernd meinte Centa: »Wird nix andres übrigbleiben; gel, Herr Graf?«

Er wisperte eindringlich: »Schadt nichts! – Ich hab mich so jefreut! Ach, bitte, bitte!«

»Soll ich oder soll ich nicht?« Sie wiegte mit gespieltem Zweifel den Kopf, warf ihn dann aber in den Nacken. »No, von mir aus! – Aber brav sein, gel?«

»Jewiß, jewiß«, versicherte er obenhin.

»Was die nur da zu flüstern haben?« dachte Henne ungeduldig und sah sich bang nach allen Seiten um.

»Sie, Herr Henne«, sagte Centa, »Ihr Herr Vetter, wissen S', gibt halt keine Ruh. Gehn Sie derweil nur zu die andern; und wenn einer fragt: wir kämen gleich! – Jetzt links da nauf, Herr Graf!« Sie lachte innerlich. Daß all das wie geschmiert von selber lief! Sie kannte ihren Ferdinand. Jetzt wurde er einmal herausgekitzelt aus der Wurstigkeit. Jetzt ging er hoch – ja, darauf nahm sie Gift!

Der schnöd Alleingelassene sah ihnen nach, bis Centas helles Kleid und Goswins weiße Beine hinter dem Gebüsch verschwanden. »Sonderbar!« dachte er. »Dies Fräulein Hollerieth war sonst ein heller Kopf und hatte doch viel Blick für Komik. Schlägt denn Gott mit Blindheit, wen er sich verlieben lassen will?« Henne erwog zu spät, daß er vielleicht doch hätte mitgehn müssen. Und erforderte es nicht der Takt, jetzt hier zu warten, bis sie wiederkämen? Aber allein im Dunkeln – fürchterlich! Und kroch dort zwischen den Georginen nicht schon dies blutdürstige Tier? O nein, sein Leben war ihm lieber als die Seelenruhe Doktor Rapps! Er hinkte schnell zurück auf die Terrasse und die Freitreppe hinan.

Der Blick des Hausherrn war inzwischen häufig nach der Tür geschweift. Er sah den Ankömmling zuerst, beugte sich unwillkürlich vor und bohrte ihm die Augen forschend ins Gesicht. Schon hatte er den Mund geöffnet, aber er lehnte sich dann stumm zurück und setzte eine fast zu gleichgültige Miene auf.

Er hatte es auch gar nicht nötig, sich da selber zu bemühen. Lydia ergriff sofort das Wort: »Herr Henne, solo? Wo ist Centa? Und Ihr Vetter?«

Henne nahm Platz und machte eine unbestimmte Handbewegung.

»Sind Sie dem Glühwurmpärchen durchgebrannt?« erkundigte sich Paechtli.

»Sei nicht so lyrisch!« riet ihm Rapp in trocknem, aber etwas heiserem Ton.

»Und das Glühwurmpärchen sucht verzweifelt nach dem verschwundenen Elefanten!« lachte der Schwede.

»Elefant, Gott schütz! Denn Elefanten zapft Herr Rapp Hormone ab.«

Graf Brokkenhuus schlug vor: »Verschwenden wir nicht unnütz Jeist an ein Problem, das sich durch das Erscheinen der Vermißten sowieso gleich lösen wird.«

»Natürlich!« sagte Henne. »Mir war's nur zu steil. Sie sind noch schnell hinaufjestiegen zum ... Salettel heißt es wohl, wejen der Aussicht; nicht?«

»Gut nur, daß Centa nicht – Europa heißt«, lächelte Paechtli.

Rapp hob jäh den Kopf. »Europa?«

»Ja doch: Damen, die so heißen, werden hie und da von einem Stier entführt.«

»Nu!« mahnte der Graf.

»Ein solcher Stier soll ruhig kommen, dann tät ich ihn schon bei den Hörnern packen!« Der Humor, den Rapp in diese Antwort legen wollte, glückte nicht so ganz.

Der Schweizer konnte sich die Bosheit nicht versagen: »Wenn dann vor lauter Hörnern nur der Mond noch sichtbar bleibt!«

»Faß dich an deine eignen Hörner!« fauchte Rapp.

»Soll damit meine eheliche Treue angezweifelt werden?« entrüstete sich Gwendolin.

»Jewiß nicht, gnädije Frau«, wiegelte Brokkenhuus schnell ab. »Wie wär es überhaupt, wenn wir das Zoolojische von nun an aus dem Spiele ließen? Erquicklich wirkt es grade nicht.«

Rapp stand unvermittelt auf, warf hin: »Muß einmal nach der zweiten Auflage von unsrer Bowle schaun!« schritt auf die Gangtür zu und ging hinaus.

»Ich glaub, jetzt wird die Nacht erst richtig italienisch«, sagte Lydia und leckte sich die Lippen.

 

Centa stieg rasch den Hang hinan; Goswin blieb hinter ihr ein Stück zurück – er spürte jetzt, daß ihm Gastein den Rheumatismus nicht ganz ausgetrieben hatte. Als er zu der viereckigen Mauerkanzel kam, hatte sie sich schon auf die Bank gesetzt und zeigte nach dem Platz sich gegenüber hin.

»Warum denn da?« rief er. »Warum nicht da?« Er meinte: neben ihr.

»Weil Sie den See genießen wollten, Graf.«

»Ach, See!« warf er verächtlich hin.

»Ja, weshalb sind Sie dann herauf?«

»Deswejen wohl nicht.« Und er bot ihr eine Zigarette an.

»Nein, dank schön! Rauchen aber Sie nur ungeniert! Weshalb sind Sie also herauf?«

Er nahm sich Feuer. »Sein Sie doch nicht so! Sie wissen ja ...!«

»Ich? Nein. Und warum stehn Sie noch? Nehmen Sie Platz! – O nein, da drüben; gel?« Etwas verstimmt gehorchte er. Ihn dünkte dieser Anlauf unnütz lang. Sie wendete den Kopf und wies hinaus: »Sagen Sie selbst – ist das nicht schön?«

»Ich find Sie – schöner!«

»So? Gefall ich Ihnen?«

»Nu, und wie!« rief er begeistert. »Und ich Ihnen auch?«

»Sie fragen das ein bißl oft, Herr Graf. So fragt man eine Dame nicht.«

»Warum?«

»Ja, wenn ich Ihnen drauf die Wahrheit sag, bilden Sie sich gleich was ein!«

»Oh, Senta, darf ich das?«

»Ich heiß nicht Senta. Und ich nenn Sie auch nicht Goswin.«

»Tun Sie's, bitte, bitte!« Er saß plötzlich neben ihr und warf die halb gerauchte Zigarette auf den Boden, daß die Funken stoben.

»Halt, drei Schritt vom Leib!« wies sie ihn in die Schranken. »Nein, noch ein bißl weiter! So! – Vernünftig bleiben, Graf! Denn wohin soll das führen?«

»Einerlei!«

»Sie machen es sich leicht! Und ich?«

»Senta, ich lieb Sie, und Sie lieben mich ...«

»Geh, woher wissen Sie das denn?«

»Das merkt man doch! Was fragen wir viel nach der Welt! Heute ist heut!«

»Mein Gott, das kommt mir so bekannt vor ... Wo hab ich das schon gehört?«

»Ach, kennen Sie nicht das Jedicht: Ob ihren Rosenmund morjen schon Hildegund anderen beut, darnach ich wenig frag, wenn sie mich heut nur mag; heute ist heut.«

»Schau, für Gedichte interessieren Sie sich auch?«

»Das haben wir in Dorpat auf der Kurischen Kneipe oft jesungen.«

»Und morgen eine andre!« sagte sie. »Sie sind ein richtiger Don Juan, kommt mir vor? Grad Herzen brechen! Sind Sie immer so ... draufgängerisch?«

»Nur dann, wenn eine mir gefällt!« Er näherte sich ihr und faßte sie am Arm.

»Halt, Finger weg!« Sie rutschte ein Stück fort und lauschte in die Nacht hinaus. Kam denn der Ferdinand noch nicht? Das wurde langsam fad. Nun, irgendwie im Gange halten mußte man das Gespräch, und so begann sie wieder: »Ja, Sie sind ein freier Mann, Herr Graf ... Aber mein ... Bräutigam – was sagt denn der dazu?«

»Der braucht's ja nicht zu wissen! Und was man so Bräutigam nennt ...«

»Ach so?« Sie sah ihn von der Seite an. »Ja, ja, ich les' Ihre Gedanken schon. Für Sie kommt doch nur eine Gräfin in Betracht.«

»Das wohl«, räumte er unbefangen ein. »Wenn man durch sechs Jenerationen nur uradlije Ahnen hat, kann man sich nicht das Blut ...«

»Gel, es ist blau?« erkundigte sie sich schelmisch andächtig.

»Nu, grade blau? Eijentlich wohl rot. Aber ein Unterschied ist doch ...«

»Das merkt man Ihnen freilich an«, rief Centa mit scheinheiligem Augenaufschlag. »Aber das bringt mich leider Gottes auf den Glauben, lieber Graf, daß Ihre Schwärmerei für mich halt auch bloß 'ne Verirrung ist.«

»Das ist doch grad was Schönes!« sagte er. »Verjessen Sie mal endlich, daß ich Graf bin! Sehn Sie nur den Mann in mir!« Damit legte er keck den Arm um sie.

Nun sprang sie auf und machte sich gewaltsam frei. »Ich mein, wir gehn gescheiter!« Und sie legte schnell die Stufen hinter sich.

Er folgte ihr bestürzt. »Was ist denn los? Weshalb?«

»Weil ich halt nimmer mag!«

»Erst waren Sie ... Was ist auf einmal anders?«

»Weiter nichts.« Sie wußte ganz genau, was für sie anders geworden war: sie hatte die Bierruhe Ferdinands stark unterschätzt. Der hockte jetzt gemütlich hinter seinem Bowlenglas. So ging sie schnellen Schritts bergab und hörte nicht darauf, was ihr enttäuschter Verehrer im Jammerton daherbrachte. Plötzlich stockte ihr Fuß, sie horchte ... Droben hinter den Hollerbüschen hatte sich etwas gerührt. Das war bestimmt der Ferdinand! Nun galt es, diesen sogenannten Flirt von neuem anzuspinnen. Sonst war die ganze Müh umsonst vertan.

Und wie gerufen trat ihr Goswin in den Weg. »Ach, bleiben Sie! Ich weiß nicht, was ich tu, wenn Sie ...!«

»Geh, Graf, ist Ihnen selbst nicht ernst! Für Sie ist es doch bloß ein Spiel; und da ... da täuschen Sie sich fei in mir!«

»Wie können Sie so etwas von mir glauben?«

»Lieber Graf, man nimmt doch eine Dame nicht so ohne weiteres in den Arm und meint, sie muß ... Ein bissel Werben, das gehört sich mindestens!«

»Soll ich vor Ihnen auf die Knie hinfallen?« bot er ihr feurig an.

In ihren Augen blitzte es auf. Wenn er das täte, und der Ferdl käme drüber hinzu, das gäbe eine Mordsviecherei. »Lieber Graf«, erkundigte sie sich, »vor wieviel Frauen haben Sie denn schon gekniet?«

»Vor keiner! Weil das überhaupt bei uns gar nicht mehr Sitte ist. Sie sind die erste! Glauben Sie mir nun?« Schon lag er ihr im Gras zu Füßen.

»So stark hat es Sie gepackt?« sagte sie heuchlerisch gerührt und wich zurück.

»Senta!« Er rutschte auf sie zu, schlang seine Arme um sie und zog sie fest an sich.

»Geh, lassen S' mich doch aus! Was fallt Ihnen denn ein!« Sie wehrte sich erregt, doch war er ihr zu stark. Mein Gott, wenn sie der Ferdl so erwischte, dann spuckte es im Ernst! – Da kam ihr eine Hilfe, die sie nicht erwartet hatte. Unter den nächsten Büschen stürzte Bürschei heraus und fiel mit zeterndem Gekläff ihren Verehrer an.

Der ließ erschrocken los und sprang empor. »Verdammte Bestie!« knirschte er und suchte nach dem Feind zu treten.

»No aber, Bürschei!« lockte sie. »Geh her! So geh halt her!«

Der Hund sprang schweifwedelnd an ihr hinauf und leckte ihr die Hände, stolz auf seine Heldentat. Sie tätschelte ihn. »Ja, bist brav und laßt noch auf deine alten Tag dem Frauerl nix geschehn. – Also«, fuhr sie zu Goswin hingewendet fort, »ich mein: wir nehmen das jetzt als ein Zeichen an, was mir mein Schutzengel gegeben hat ...« Von oben her gellte ein Pfiff, Bürschei gehorchte ihm und keuchte eilig bergauf. »Jessas, mein Bräutigam!« flüsterte sie mit gut gespieltem Schreck. »Ein Segen, daß Sie nimmer knien! Aber jetzt dalli! Und nix wie verrollt!«

Mit langen Schritten setzte Rapp den Hang herunter auf die beiden zu. »Die Überraschung!« grinste er.

»Der Ferdl!« sagte Centa anscheinend erstaunt.

»Und wo sind denn die Herrschaften gewesen, wenn ich fragen darf?«

»Bloß am Salettl droben«, sagte sie gefaßt.

»Bißchen Mondschein jeschwärmt«, erklärte Goswin recht verwirrt.

»O wie poetisch!« höhnte Rapp. »Aber zuviel davon ist ungesund! Jetzt gehn wir schön wieder hinein! Oder haben Sie noch längere Promenaden vor? Sie brauchen's mir bloß sagen! Aber wenn ich Ihnen raten darf ...!« Ein Drohen schwoll in seiner Stimme, und er wies gebieterisch nach der Terrasse hin.

Centa trat ihm in den Weg. »Gehn Sie einmal voraus, bloß bis ans Hauseck vor; gel ja, Herr Graf? Wir kommen gleich.«

Goswin, der schon den Mund zu einer Antwort offen hatte, blieb lieber stumm, verbeugte sich und ging.

Kaum war er außer Hörweite, da herrschte Centa den Doktor leise an: »Wenn dir etwas nicht recht ist, und du hast etwas zu benzen, nachher red sofort und hier! Da drinnen bei der Bagasch wird kein Theater aufgeführt, daß du es weißt!«

»Nur noch recht großartig!« lachte er voll Wut. »Da brauchst du dich nicht kümmern! Den Deppen den Hanswurschten machen – ging mir ab! Nicht aber daß du meinst, ich tat dir das vergessen! – Mit dem neunzinkigen Stiesel noch dazu! Möcht wissen, was du an dem findst!«

Sie lächelte. »Und eifersüchtig bist ja doch!«

»Wegen dem Hammel? So ein Schmarrn!«

»A? Warum spionierst du uns dann nach? Und weckst den Bürschei aus dem schönsten Schlaf und setzt ihn auf die Spur?«

»Aus Eifersucht? – Nein, weil ich mich dafür bedank, vor denen da zur komischen Figur gemacht zu werden!«

»Brüll du nur recht!« zischelte sie. »Na lachen die schon von allein!«

Er schaute mißtrauisch zum Haus hinüber. »Schluß also für jetzt! Bloß, in der Sur bleibt dir der Schinken schon, das merk dir gut! – Das Gescheiteste wird sein: die drinnen spannen überhaupt gar nix davon, daß wir uns troffen haben. Ich geh hinten rum, und ihr gehts vorn hinein und – habt von mir gar nix gesehn. Sagst es dem Blödian auch! Den kauf ich mir schon bei Gelegenheit.«

»Mein Gott«, spöttelte sie. »Wirst ihn doch nicht gar fordern wollen?«

»Dös kannst dir denken!« lachte er auf. »Jetzt weiter! Mach! Je länger daß ihr ausbleibts, je üppiger wird denen ihre Phantasie.«

Als sie zu Goswin kamen, hatte dieser sich von seinem Schreck halbwegs erholt, er machte ein hochmütiges Gesicht und zeigte jedem Angriff keck die Stirn.

»Jawohl, spazieren S' nur hinein, Herr Graf!« rief Rapp ihn im Vorübergehen spöttisch an.

»Und Sie?« fragte der andere erstaunt.

»Ich? Nein, ich muß geschwind noch in der Küche nach der Bowle schaun und komm dann anders rum. – Centa, du weißt ... von wegen ...! – Nix da, Bürschei! Geh nur mit!« –

»Nu«, triumphierte Goswin, als der Doktor verschwunden war, »sehn Sie: er hat gar nichts jemerkt!«

Sie streifte ihn mit einem Seitenblick. »Sje – merken aber alles, lieber Graf! Jetzt horchen S' zu! Wir haben ausgemacht, ich und ... no, er: die andern brauchen es nicht wissen, daß wir ihn getroffen haben. Von dem wird also nix geschnauft!«

»Ja, ich begreif!« Er grinste schlau und seufzte plötzlich wieder schmelzend: »Senta!« Seine Hand langte nach ihrem Arm.

Sie gab ihm einen Klaps darauf, lief ihm davon und gleich zur Tür hinein. Da faßte er sich denn fürs erste in Geduld und folgte ihr. –

»Schon?« lachte Lydia anzüglich, als sie die beiden sah. »Nu, war es schön?«

»Ein Traum von einer Mondnacht!« Centa schnitt ihr eine spöttische Fratze.

»Und wo ist Ferdinand?« erkundigte sich Paechtli.

»Wie?« Verblüfft sah Centa sich im Kreise um. »Ist er nicht da? Wo steckt er denn?«

Ivar Evander nickte. »Ja, Glück haben muß der Mensch!«

»Ach«, rief ärgerlich Graf Brokkenhuus, »er wollte doch nur nach der Bowle sehn!«

»Ja, Bowle!« stimmte Goswin ein. »Und kommt dann anders herum.«

Centa drehte den Kopf zu ihm hinüber und konnte einen Seufzer kaum noch unterdrücken.

Paechtli strahlte. »Oh, und woher wissen Sie das denn, Herr Graf?«

»Ich ... hab mir das nur so jedacht.«

»Kalkuhn denkt auch!« flüsterte Henne über den Tisch weg seinem Onkel zu.

Die Gangtür ging, Rapp kam herein und wurde grade Zeuge, wie Lydia auf Goswins weiße Hose deutend rief: »Herr Graf, Sie haben ja ganz grüne Knie! Kommt das von einem Fußfall her?«

»Ich?« Goswin starrte dumm und machte einen unnützen Versuch, die Flecken wegzuputzen.

»A woher!« rief Centa munter. »Ich hatte bloß etwas verloren, und der Graf als liebenswürdiger Kavalier ...«

»Sie hatten was verloren?« Goswin stand mit offenem Munde da.

»Herrschaft, nein! Doch nicht Ihr Herz?« wendete sich Bachhuber an Centa und – schützte auch schon seinen Kopf mit dem erschrocken vorgebognen Arm.

Denn Rapp, der damit einen Ableiter für seine Wut gefunden hatte, fuhr auf ihn los und brüllte: »Hältst du jetzt dein ungewaschnes Maul?«

Der Komponist wich, blaß wie eine Leiche, an die Wand zurück und wäre, hätte nur die Möglichkeit bestanden, gern noch in sie hineingeschlüpft, konnte sich aber nicht enthalten, hämisch zu erwidern: »Tapfer, jawohl – sich immer grad den Schwächsten auszusuchen!«

Rapp ließ die schon geschwungene Rechte fallen. »Bist mir allerdings zu wenig!« fauchte er und suchte nach einem würdigeren Opfer für seinen Zorn. Doch als er nun Centa ins Auge faßte, maß die ihn mit einem kühlen Blick, drehte sich um und ging gemessenen Schrittes auf die Gangtür zu. »Hier wird geblieben!« rief er ihr noch nach. Als Antwort aber krachte die Tür heftig ins Schloß.

Jeder war darauf gefaßt, daß nunmehr Goswin an die Reihe käme. Und dieser selbst sorgte geschickt dafür, daß er nicht in Vergessenheit geriet. »Pardon, die Dame ist ganz unschuldig«, erklärte er ritterlich.

»Ach, steht sie unter Ihrem Schutz?« Rapp lachte grimmig auf.

»Nu ja, es war ein Mißverständnis, und sie hatte was verloren ...«

» Sie aber haben hier nichts mehr verloren!« wetterte Rapp.

»Schrein Sie jefälligst nicht! Ich bin nicht taub!« fuhr Goswin auf. »Wie meinen Sie das überhaupt?«

»Schwer von Begriffen?« keuchte Rapp. »Sie können anscheinend kein Deutsch? Vielleicht verstehn Sie diese Sprache?« Seine Hand wies nach der Tür.

So schlau, den Angriff als die beste Art der Verteidigung zu erkennen, war selbst Goswin. So brüllte nun auch er: »Und Sie erlauben sich ...? Mit Ihnen wollt ich ersten schon ...! Was haben Sie jesagt: Sie pfeifen auf den Adel?«

»Oha!« Rapp blickte ihn mitleidig an.

»Nehmen Sie das zurück!«

»Könnt Ihnen passen! Grad nicht!«

»Also betrachten Sie sich als von mir ...!«

»Goswin, hör auf und sprich kein Blech!« mischte sich Henne ein. Er war herangehinkt und legte von hinten die Hand auf Goswins Schulter, wich einem Ellbogenstoß, der ihn zur Seite schieben wollte, vorsichtig aus und sagte begütigend: »Jehn wir nach Hause! Es wird besser sein.«

»Ich – hierbleiben?« Goswin reckte sich zu seiner ganzen Höhe auf, senkte die Stirn kaum wahrnehmbar vor Rapp und sagte kalt: »Sie werden von mir hören!«

»Sie mich auch!« erwiderte der Hausherr überlegen.

»Nu, wird man morjen sehn! Kater dämpft Leidenschaft. Recht wohl zu schlafen allerseits!« lächelte Henne, hängte sich bei seinem Vetter ein und führte ihn zu Tür.

Goswin drehte sich noch einmal um und rief: »Nu, Onkel Woldemar, was ist mit dir?«

»Was willst du noch?«

»Was? Und du bleibst in einem Haus, in dem man deinen Stand als Edelmann ...?«

»Laß mich zufrieden!« schalt der Graf. »Kriech lieber in dein Bett und schlaf dich aus! Aber verjiß nicht, vorher deine Krone abzunehmen!«

»Kusch!« herrschte Henne Goswin an, als der empört erwidern wollte, und zog ihn fort.

»Wie schade, daß dieser vergnügte Abend solch ein Ende nehmen mußte!« bedauerte der Hofrat, als die beiden draußen waren.

»Nu, ich fand es recht interessant«, erklärte Lydia. »Und Stoff, um Stunden noch davon zu sprechen, ist wohl da.«

»Soll ich hinausgehn?« fragte Rapp. »Oder sucht ihr euch dazu nicht gescheiter ein andres Lokal? Hättet ihr's zwangloser.«

»Oh, wir verstehen!« grinste Paechtli. »Und da die Hausfrau sich wohl endgültig zurückgezogen hat, wollen wir die Harmonie des trauten Familienlebens nicht mehr stören.«

»Bestrickende Idee! Und gute Unterhaltung weiter!« sagte Rapp. –

Der Aufbruch der Gesellschaft ging sehr schnell vor sich, und da der Müller Alois unauffällig mit den anderen verschwand, sah sich Rapp bald unter vier Augen mit Brokkenhuus. Der wollte eben davon anfangen, daß es auch für ihn Zeit sei, heimzugehen, als der Doktor, der rastlos auf- und abgewandert war, sich plötzlich zu ihm setzte.

»Was sagst du nun zu deinem Neffen?« fragte er.

»Ja, wer ihn einen Jeistesriesen nennen wollte, würde lüjen«, erwiderte der Graf.

»Und ›von ihm hören‹ soll ich! Will er mir seinen Sekundanten schicken? Den schmeiß ich aber glatt hinaus, wie ich mich kenn!«

»Erbarm dich, wo soll er denn einen nehmen! – Nu, wenn er morjen wieder soweit bei Verstand ist – relativ, mein ich –, setz ich ihm schon den Kopf zurecht. Wenn's weiter keine Sorjen jäbe ...«

»Sorgen? Glaubst vielleicht, ich hab Angst vor ihm?«

»Nee, Angst wohl nicht ... Und ich hab's doch jewußt: er paßt nicht zu uns hier. Wär es nach mir jegangen, dann hättet ihr ihn nie erlebt. Und bißchen viel zu trinken kriegte er hier auch.«

»Sag einmal, Brokkenhuus, wie hat sich's denn gemacht, daß er trotzdem herausgekommen ist?«

»Ja ... Hat dir Centa nicht erzählt ...?«

»Schon. Aber anfangs wollt sie ihn doch gar nicht sehn. Warum hat sie dann in die Bar hin müssen?«

»Es war so heiß. Sie hatte Durst.«

»Ja freilich! Neugierig ist sie gewesen. Der Henne hätt auch nicht den Pflanz um seine Schönheit machen brauchen! – Und dabei ... Findst du ihn schön?«

»Ich, lieber Freund, find schöne Männer überhaupt nicht schön. Und glaubst du, daß die Art, wie Manny davon sprach, so sehr empfehlend wirkte? Ja, und daß Centa, nur um einen schönen Mann zu sehn – das paßt gar nicht zu ihr.«

» Weil es nicht zu ihr paßt!« betonte Rapp und schaute den Grafen forschend an. »Denn ihn auf heut herausgebeten hat doch sie. Und muß ihn ziemlich dringend drum gebeten haben?«

»Nein, er war gleich bereit. Und wie!«

»So meinst, er hat sich auf den ersten Blick in sie verknallt?«

»Nu ja, er hat ein Herz, das leicht entzündlich ist. Und viel Verstand zum Bremsen ist nicht da.«

Rapp richtete sich auf. »Und sie?« Er legte in die beiden Silben viel Gewicht.

»Sie? Ja?« Der Graf sah einen Augenblick stumm vor sich hin. »Du meinst, ob sie ...? Nein, das nehm ich nicht an. Und hab auch wirklich keine Spur von einem Grund ...« Himmel, war das ein peinliches Gespräch!

»Warum hat sie ihn denn dann eingeladen?«

»Nu, aus Höflichkeit.«

»Und heute das, mein lieber Brokkenhuus? Hast du nicht ein klein bißl mehr darin gesehn wie Höflichkeit? Ich schon! – Schau, du kennst sie so gut, in mancher Hinsicht besser noch vielleicht wie ich ... Du bist ihr Freund, und meiner auch; ist es nicht wahr?«

»Das brauch ich nicht erst zu betonen, Rapp!«

»Dann sag mir, was du von der Sache hältst!«

»Wüßt ich nur, von welcher ›Sache‹ du da sprichst!«

»Weich mir nicht aus! Ehrlich: glaubst du, sie hat sich ernsthaft in den Kerl verschaut? Entschuldigst es schon, wenn ich ›Kerl‹ sag!«

»Bitte, bitte!«

»Oder«, fuhr der Doktor fort, »ob da nicht doch was andres noch dahinter steckt?«

»Was andres?« fragte Brokkenhuus, der jetzt nur Zeit gewinnen wollte.

»Ich mein: ob es nicht eher – Theater war?«

»Theater?«

»Könnt ja sein, nicht wahr: um, sagen wir, meine Gefühle, no, halt aufzufrischen, ja oder ... anzukurbeln, wie man's beim Auto heißt. Was glaubst?«

Das war eine vertrackte Frage für den Grafen, und er fand nicht gleich das richtige Wort. Rapp brannte anscheinend vor Eifersucht. Die für ihn schmeichelhaftere Auffassung, die der Gute nebenbei erwog, war nur der Strohhalm, nach dem er in der Verzweiflung griff, ohne an seine Tragkraft selbst zu glauben. Was tun? Noch Öl ins Feuer schütten, ging nicht an und widerstrebte ihm, es aber löschen oder auch nur dämpfen durfte er der Freundin wegen nicht. Vertrauen bindet den damit Beschenkten. Ekelhaft war dies ... Plötzlich erkannte er, daß der Erfolg dem Mädel ja im Grunde recht gab! Ihr erstes Ziel, Rapp aus der Sicherheit zu reißen, war erreicht. War es deshalb nicht ihre eigene Sache, nun zu sehen, wie sie weiter kam? – Jawohl, er konnte nichts Besseres tun, als heimgehn. »Tja, was soll man sagen?« fing er an.

»Das ist's.« Rapp nickte. »Ja, die Weiber sind so ein Kapitel, das ein Mann nie ausstudiert.«

»Drum mein ich, Rapp, solltest du einen weiblichen Experten konsultieren. Und wer liegt da näher als eben – Centa selbst? Das Klügste ist: du sprichst mit ihr

»Da brauchst du dich nicht kümmern: das tu ich sofort und – deutlich!«

Der Graf merkte es seinem Ton an, daß Rapps Zorn noch viel zu frisch für eine Aussprache von dieser Art war. Deswegen sagte er: »So eilig ist das auch nicht. Das hat Zeit bis morjen. Besser nicht in der Aufrejung ...«

»Bin gar nicht aufgeregt. Bis morgen, meinst? Daß ich die ganze Nacht kein Aug zutu?«

»Nu siehst du, Rapp, das nenn ich aufjeregt. Ich seh es aber ein ... Sprich also heute noch mit ihr, wenn es nicht anders ist! Nur bitt ich dich recht sehr, bewahr die Ruhe! So ernst brauchst du doch Goswin nicht zu nehmen.«

»Glaubst du, ich nehm den ernst? Haha!«

»Dann um so besser! – Und wie ist's: kann mich dein Otto wohl nach Hause bringen?«

»Aber gern.« Rapp schellte nach dem Diener, gab ihm die Weisung, reichte Brokkenhuus den Arm und führte ihn hinaus. Der Graf mahnte ihn flüsternd: »Mach es nur mit Vernunft! Tu nichts, was du nachher bereuen mußt! Wirst sehn: bei gutem Willen beiderseits rejelt sich das von selbst. – Und morjen vormittag erzählst du mir vielleicht ... Ich bin ja neujierig.« Er ließ sich in den Rollstuhl helfen, und der Diener schob an. »Auf Wiedersehn«, rief Brokkenhuus, »und denk daran, du weißt ...!«

Rapp ging die Freitreppe hinauf, trat in die Tür und sah den beiden nach. Die Festbeleuchtung draußen schien ihm auf einmal töricht und geschmacklos. Als er das Gartentor zufallen hörte, drehte er den Schalter um, das bunte Lichtgefunkel erlosch, und nur der Mond, der jetzt klein, hoch und hell neben dem Hirschberg stand, goß kaltes Licht über das Land. Rapp war es fast, als lächle das Nachtgestirn da oben spöttisch.

Er machte sich von diesem Anblick los, stieg ein paar Stufen tiefer und sah am Haus empor: Centas Schlafzimmer im ersten Stock zeigte noch Licht, und offen stand das Fenster auch. So hatte sie die ganze Komödie Wort für Wort mit angehört. – Eine saublöde Sache das! Und jetzt, allein mit sich, ging ihm erst richtig auf, wie lächerlich er sich gemacht hatte. Vor all den Leuten seine königlich bayrische Ruh verlieren! – Aber wer war schuld? – Bloß sie! Und dafür sollte sie ihr Fett bekommen, dafür stand er ihr gut!

Eilig durchquerte er die Diele und den Gang, stieg, in der Hast immer zwei Stufen auf einmal nehmend, treppauf, klopfte kurz bei ihr an und wollte hinein. Aber die Tür war zugesperrt.

»Mach auf!« schrie er erbost.

»Kann mich beherrschen!« klang es kühl zurück.

»Wird's bald? Sonst brech ich sie auf!«

»Tu, was du magst!« erwiderte sie kalt. »Hast mich und dich noch nicht genug blamiert? Sollen die Dienstboten jetzt auch noch ihre Gaudi haben?«

»Laß mich halt ein, ich hab mit dir zu reden!«

»Gar kein Drandenken vors du erst einmal nüchtern bist!«

Er schlug mit beiden Fäusten an die Tür.

»Mach nur so fort!« Auch sie geriet in Zorn. »Eins aber sag ich dir: wenn du nicht auf der Stell jetzt eine Ruh gibst, hast du mich gesehn, a tempo geh ich aus dem Haus! Und daß du mich dann überhaupt nimmer hierher bringst, beim Leben meiner Mutter schwör ich's dir zu!«

Er spürte ihren Ernst und wollte sich aufs Bitten legen. »Centa, sei gescheit! Wir können auch in Frieden drüber reden.«

»Hab's ja gemerkt, wie gut du das heut kannst!« antwortete sie fest. »Vor morgen bin ich nicht für dich zu sprechen. Dabei bleibt's! Und wenn's das Ende sein sollt, soll's das Ende sein!«

Er stampfte mit dem Fuß auf. »Morgen kannst du lange auf mich warten!« knirschte er, stand noch eine Weile horchend da, machte auf einmal kehrt und ging ins eigne Schlafzimmer hinüber. Denn hier bei Nacht noch weiter Krach zu schlagen, wäre verrückt, das sah er ein. »Wird sich ja zeigen, wer auf die Läng den dickern Kopf hat!« knurrte er.

Centa seufzte erleichtert auf, als es da draußen still geworden war. Schleunigst zog sie sich aus und kroch ins Bett. Aber sie schlief so bald nicht ein. Jawohl, sie hatte sich talentvoll totgesiegt. Ihr Plan, ihn hochzutreiben, war geglückt, aber – zu gut. Brokkenhuus hatte recht behalten: es ging nicht mit Gewalt. Mochte auch sein, daß sie's ein bissei gar zu bunt getrieben hatte oder, lieber Gott, sich hatte treiben lassen. Saß man einmal in diesem Karren drin, dann lief er ganz von selber weiter und nahm einen mit – gar noch, wenn man so dumm gewesen war, sich einen solchen Büffel einzuspannen. Und es durch Klugheit schaffen, lag ihr überhaupt nicht – auch darin gab sie ihrem alten Freunde recht. Zum zweitenmal in knapp drei Tagen war sie bös aus ihrem Stil gefallen. Ja, und weswegen denn? War überhaupt ein Mannsbild auf der Welt es wert, daß man ihm zulieb so einen Krampf vollführte? – Oh, sie pfiff jetzt schon gehorsamst drauf! Sollte es gehn, wie's wollte, sie rührte keinen Finger mehr darum! – Mit dem Gedanken schlief sie endlich ein, aber der traumlos tiefe Schlummer, den sie sonst kannte, war es heute nicht.


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