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Junger Verleger, der nicht alt geworden ist

Wenn mir beim Zurückdenken an Albert Langen seine Jugend als das für ihn besonders Kennzeichnende erscheint, so liegt das weniger an den Jahren, die er zählte, als er sein eigentliches Lebenswerk begann, als an der beinah knabenhaften und im besten Sinn naiven Frische seines Wesens, die jedem, der da sehen konnte, in die Augen sprang. Als Beispiel dafür mag ein heiteres Histörchen dienen, das ich mit ihm erlebte, als ich erst kurze Zeit in seiner Firma war. In irgendeiner Sache gingen unsre Meinungen weit auseinander. Er suchte mich zu überzeugen, ich widersprach ihm hartnäckig. Als ihm kein weiteres Argument mehr einfiel, rief er ärgerlich: «Da sieht man wieder einmal, daß Sie erst vierundzwanzig sind!» – «Und wie alt sind Sie denn, wenn ich fragen darf?» gab ich zurück. «Ich? Sechsundzwanzig!» erwiderte er würdevoll und brachte es trotz meinem Feixen fertig, ernst zu bleiben, jeder Zoll der Chef, bis – er dann schließlich selber lachen mußte und daraufhin den zwischen uns gewohnten Ton der Kameradschaftlichkeit von neuem anschlug.

In meinem Erinnerungsbuch «ich – kleingeschrieben» steht manches über ihn, und Leute, die ihn kannten, haben mir bestätigt, daß mir damit ein wohlgetroffnes und lebendiges Bild von ihm gelungen sei. Das dort Gesagte wiederhole ich hier natürlich nicht, doch gibt es noch so manches von ihm zu berichten, was für ihn und das durch ihn Geschaffne kennzeichnend ist.

Dazu gehört vor allem die erstaunliche Geschichte, wie er zu der Begründung seines Verlages kam. Albert Langen hatte eigentlich nichts weniger im Sinn, als er, eben mündig geworden, seinen Vater verlor und nun ein ansehnliches Erbteil zur eignen Verfügung in die Hand bekam. Er hängte den Kaufmannsberuf, für den er bis dahin bestimmt gewesen war, im Innersten erleichtert an den Nagel und beschloß, sein Leben fernerhin der Kunst zu widmen. Ein junger Schwärmer, der so denkt, wird es sich wohl zunächst kaum je zum Ziele setzen, ein Förderer andrer Talente und ein Vermittler ihrer Schöpfungen zu sein – nein, er will selber große Werke schaffen. Und Albert Langen traute es sich zu, daß ihm dies in der Malerei gelingen könne.

Sich für diesen Beruf zu schulen, ging er nach Paris, der Stadt, von der aus grade damals die Kunst der großen Impressionisten Frankreichs ihren Siegeslauf begann. Was Albert Langen auf dem Gebiet geleistet hat, darüber bin ich nur durch eine Ölskizze von ihm unterrichtet, eine Waldlandschaft, deren herbstlich bunte Bäume sich in einem nicht eben überzeugend gemalten stillen Wasser spiegelten. Sie hat in einem Nebenraume des Verlags noch lange Jahre an der Wand gehängt und mir so wenig wie ihrem Schöpfer selbst gefallen. Und auch daß dieser später niemals mehr an Malen oder Zeichnen dachte, läßt den Schluß zu, daß seine Gaben ganz wo anders lagen.

Als Maler haben auch seine französischen Freunde »le petit Langène«, wie sie ihn nannten, niemals überschätzt; was sie hingegen überschätzten, waren seine Mittel. Und darin gab er selber ihnen offenbar nichts nach. Hielten sie ihn für einen vielfachen Millionär, so kam das sicherlich auch daher, daß er im Geldausgeben ein viel lockreres Handgelenk besaß, als es vielfache Millionäre aufzuweisen pflegen. Im näheren Umkreis eines jungen Menschen von dieser Art sammeln sich gern Leute an, die ihn zu plündern trachten. Der das am gründlichsten besorgte und Langen so ziemlich um sein ganzes Vatererbe brachte, war ein in mancher Hinsicht sehr begabter, auch kaum viel älterer Däne, Willy Grétor, Maler und «getarnter» Händler mit Gemälden alter Meister, die er nach der Behauptung guter Kenner im Bedarfsfall eigenhändig anfertigte. Dieser Mann soll später stets behauptet haben, er hätte alle seine Schulden bei Albert Langen dadurch mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt, daß er ihm riet, einen deutschen «Gil blas illustré», also den «Simplicissimus», zu gründen. Ob dies Tatsache ist, kann ich so wenig feststellen, wie die Frage klären, wer Langen auf den Titel «Simplicissimus» für seine Zeitschrift brachte. Ich habe zwei damals berühmte Männer gekannt, die dies Verdienst für sich beanspruchten. Langen selbst vertrat die Meinung, Willy Grétor habe ihm allerdings viel Geld gekostet, das aber reichlich dadurch wettgemacht, daß er ihm seine Malerträume endgültig ausredete. Es war wohl überhaupt nicht Albert Langens Art, verlornem Gelde nachzutrauern.

Tatsache aber ist es, daß der junge Kölner dem Dänen Grétor etwas andres zu verdanken hatte, was für sein Leben ausschlaggebend wurde: die Bekanntschaft mit vielen damals in Paris weilenden bedeutenden Skandinaven, darunter auch dem jungen Norweger Knut Hamsun. Diesen hatte sein Erstlingsroman «Hunger» im Norden mit einem Schlag berühmt gemacht; und beim Berliner Verlag S. Fischer war dies Werk in einer deutschen Ausgabe erschienen, die zwar das verdiente Aufsehen erregt, sich aber ziemlich langsam abgesetzt hatte. Deshalb weigerte sich Fischer, den seine sonst vielfach gerühmte «Nase» diesmal gründlich täuschte, Hamsuns zweiten Roman «Mysterien» deutsch herauszubringen – ihm sei das Risiko zu groß. Sein Leid darüber klagte Hamsun Albert Langen, der sowohl den «Hunger» als auch die schon fertige deutsche Übersetzung der «Mysterien» kannte und begeistert davon war. «Nein, die ›Mysterien‹ müssen deutsch erscheinen», rief er in seiner impulsiven Art. «Fragen Sie Fischer, was für einen Kostenzuschuß er verlangt! Das Risiko nehm ich ihm ab.» Hamsun war hocherfreut, und da er zwar ein großer Dichter, doch keineswegs ein großer Diplomat war, schrieb er an Fischer, er habe zufällig in Paris einen Millionär aus Deutschland kennengelernt, der alles zahle; er bitte also um postwendende Angabe des zuzuschießenden Betrags. Die Antwort blieb nicht lange aus und nannte eine Summe, die selbst den in Verlagsdingen noch völlig ahnungslosen Albert Langen so beträchtlich dünkte, daß er die Kosten einer deutschen Erstauflage der «Mysterien» durch einen ihm befreundeten bei einem Pariser Verleger angestellten Dänen nachkalkulieren ließ. Dieser Fachmann rechnete dabei einen Betrag heraus, der weniger als die Hälfte des von Fischer verlangten ausmachte. Dies aber war – und das kennzeichnet Langens Wesen wundervoll – der Anlaß, der ihn zum Verleger werden ließ. Er faßte kurz und bündig den Entschluß, Hamsuns «Mysterien» selber deutsch herauszubringen.

Gesagt, getan! Am 1. Dezember 1893 (wie deutlich spricht aus diesem Datum schon das Fehlen jeder praktischen Erfahrung) ging an den deutschen Buchhandel ein Zirkular hinaus, in dem Albert Langen, Paris, 112 Boulevard Malesherbes, verkündete, daß er einen «Buch- und Kunstverlag» gegründet habe, und daß «reiche literarische Erfahrungen, sowie gute Verbindungen mit hervorragenden Schriftstellern» ihn in den Stand setzten, dem deutschen Buchhandel baldigst Mitteilungen über demnächst bei ihm erscheinende «interessante Novitäten» zugehen zu lassen, und daß «mit dem heutigen Tage» als erster «Verlagsartikel» der Roman «Mysterien» von Knut Hamsun erscheine, der «elegant broschiert M 5.-» kosten solle. Der Verlag würde sein Augenmerk hauptsächlich darauf richten, «talentvolle Skandinavier sowie Franzosen» dem deutschen Publikum zugänglich zu machen. In einem zehn Monate später, am 1. Oktober 1894, ausgesandten andern Rundschreiben weiß er dem deutschen Buchhandel schon wörtlich dies zu sagen: «Es wird Ihnen bekannt sein, wie sehr meine Bestrebungen von Erfolg gekrönt waren, in Deutschland einer neuen, in künstlerischer Hinsicht hochstrebenden, Literatur die Wege zu bahnen, und Sie werden aus nachstehender Aufstellung meiner Neuigkeiten für die kommende Saison ersehen, daß sich die besten Namen zu einer Elite modernen Geistes in meinem Verlag vereint haben.»

Man sieht hieraus, daß sich der bei Begründung seiner Firma erst dreiundzwanzigjährige Anfänger trotz allem Dilettantismus schon einigermaßen auf das Trommeln verstand, das für das Handwerk des Verlegers leider unentbehrlich ist. Aber es sollte nicht beim Trommeln bleiben, und die Leistung folgte der Ankündigung bald nach. Nicht nur aus den skandinavischen Sprachen und dem Französischen übersetzte, sondern auch deutsche Werke kamen nun in schneller Folge in dem jungen Verlag heraus und erregten Aufsehen nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch das künstlerisch schöne und farbenfreudige Gewand, das Langen wohl als erster deutscher Verleger den meisten seiner Bücher gab. Diese «illustrierten Umschläge» haben viel dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf das junge Unternehmen hinzulenken, und, wenn es sich hier auch nur um eine Äußerlichkeit handelte, gezeigt, daß Langen einen angebornen Instinkt für das Verlegerische besaß. Den hat er gleicherweise in der Auswahl seiner Autoren und seiner Mitarbeiter bewiesen, sowie dadurch, wie schnell ihm, obgleich er an Paris sehr hing, die Einsicht kam, daß sich ein deutscher Verlag den Sitz in Deutschland suchen müsse. Schon 1894 siedelte seine Firma für kurze Zeit nach Leipzig und dann 1895 nach München über. Die Wahl grade dieser Stadt hing damit zusammen, daß er den «Simplicissimus» begründen wollte und die deutschen Zeichner für diese Zeitschrift nur am Isarstrand zu finden hoffen durfte.

An die Gründung seines Verlages wie auch des «Simplicissimus» ist Langen mit der erstaunlichen Tatkraft, Unternehmungslust und Kühnheit gegangen, die ihn überhaupt auszeichneten. Schon als sein Buchverlag ins Leben trat, war sein väterliches Vermögen bis auf einen knappen Rest verbraucht, und als der «Simplicissimus» herauskam, besaß er überhaupt nichts mehr davon. Daß der Prophet in seiner Heimat wenig gilt, ist eine Binsenwahrheit, und Albert Langen hat dies ebenfalls erfahren müssen. Im allgemeinen war seine Kölner Verwandtschaft über die Gründung seines Verlages nach allem, was er mir davon erzählt hat, keineswegs entzückt, und als dann gar der «Simplicissimus» erschien, sogar empört. Gar mancher von den Leuten erwiderte seinen Gruß nicht mehr. Eine erfreuliche Ausnahme aber bildeten Langens Geschwister, die, obgleich er ihnen manchmal Sorgen machte, stets sehr viel von ihm hielten, und deren pekuniäre Hilfe ihm die Fortführung des Verlags und die Gründung des «Simplicissimus» überhaupt wohl erst ermöglichte.

Die erste Nummer des «Simplicissimus», die Anfang April 1896 herauskam, ließ Albert Langen in einer Auflage von viermalhunderttausend Exemplaren drucken, was seiner Hoffnungsfreudigkeit ein besseres Zeugnis ausstellte als seiner geschäftlichen Voraussicht zu jener Zeit. Er hat diese erste Nummer, die großes Aufsehen machte, aber im Verhältnis dazu wenig gekauft wurde, nicht einmal geschenkweise – was er zu Propagandazwecken gern getan hätte – loswerden können. Der größte Teil der Auflage ist späterhin als Altpapier verkauft worden, und ich habe noch Jahre darnach eine deutsche Zeitschrift jede Woche in Streifbändern bekommen, die aus Exemplaren der Nummer eins des ersten Jahrgangs des «Simplicissimus» zurechtgeschnitten waren.

Ich machte die Bekanntschaft Albert Langens durch einen Zufall und wurde zunächst Volontär bei ihm, als der «Simplicissimus» seit einem halben Jahr erschien; und damals war es mit dem Absatz der Zeitschrift, obgleich sie in der Welt genug Spektakel von sich machte, trübselig bestellt. Das Blatt deswegen eingehen zu lassen, brachte Langen aber doch nicht übers Herz, sondern führte die Zeitschrift unter schweren Verlusten und mit Hilfe seiner Geschwister fort, bis endlich eine große Wendung eintrat, die allerdings für Albert Langen selbst aus Jahre hinaus viel Schweres nach sich zog.

Da ich die näheren Umstände dieses Falles schon in meinem bereits erwähnten Buch «ich – kleingeschrieben» eingehend geschildert habe, will ich hier nur kurz sagen, daß im Herbst 1898 die beiden sogenannten Palästinanummern des «Simplicissimus» von der Leipziger Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurden, daß diese gegen Albert Langen als den verantwortlichen Redakteur des Blattes Anklage wegen Majestätsbeleidigung erhob, daß Langen sich aus guten Gründen dem Gericht nicht stellen wollte, sich also der ihm drohenden Gefängnisstrafe durch schleunige Flucht aus dem Gebiet des deutschen Reichs entzog und die Verantwortung für den Verlag und für sein Blatt auf meine jungen Schultern lud.

Fünf Jahre mußte Langen nun fern von seinem Werk zum größten Teil in Frankreich, teilweise auch in Norwegen zubringen. In dieser Zeit hat er auf die Gestaltung der einzelnen Nummern des «Simplicissimus» und deren doch zum großen Teil durch die Ereignisse des Tages bedingten Inhalt wenig Einfluß nehmen können. Die Folge davon war, daß er sich mit noch größerem Eifer als zuvor dem Buchverlage widmete, den er vom Ausland her natürlich in ganz anderm Maß beeinflussen konnte als das aktuell satirische Blatt. Der Umstand, daß im Jahre 1901 Ludwig Thoma, eine der größten Entdeckungen Albert Langens unter den deutschen Dichtern, für die Leitung des «Simplicissimus» gewonnen werden konnte (das Nähere darüber ist in dem Thoma-Aufsatz dieses Bändchens erzählt), schuf mir die Möglichkeit, mich nach Niederlegung der Hauptschriftleitung des Blattes mit ganzer Kraft dem wachsenden und immer mehr aufblühenden Buchverlag zu widmen. Es standen jetzt für dessen Ausbau auch mehr Mittel zur Verfügung als bisher, wo das vorhandne Geld hauptsächlich der Fortführung der Zeitschrift hatte dienen müssen. Nun aber war die Auflage des «Simplicissimus» infolge des Lärms, den Langens Flucht und die Prozesse gegen seine Mitarbeiter verursacht hatten, binnen weniger Wochen von fünfzehntausend auf fünfundachtzigtausend Exemplare gestiegen und ist sich in der Folge bis zum Weltkrieg gleichgeblieben. Bei einzelnen Sondernummern erreichte sie sogar zweihunderttausend Exemplare, immerhin also die Hälfte dessen, was sich Langen zu Anfang hoffnungsfreudig vorgegaukelt hatte. Da außerdem der Preis der Nummer in mehreren, sich schnell folgenden Etappen von zehn bis auf dreißig Pfennige erhöht worden war, hatte sich das Unternehmen, das von einem Onkel Albert Langens einmal als «Jauchengrube» bezeichnet worden war, in die sein gutes Geld zu schmeißen eine Sünde wäre, zu so etwas wie einer Goldgrube entwickelt. Und dies kam nun dem Buchverlag zugute, der das («natürlich» würde hier der Kenner literarisch anspruchsvoll geführter Verlage einfügen) auch sehr gut brauchen konnte.

Es war nicht Albert Langens Art, dem Wachsen seiner Firma aus der Ferne in geduldiger Fassung zuzusehen. Er hat in den Jahren seiner notgedrungnen Abwesenheit von Deutschland ohne Unterlaß daran gearbeitet, seine Heimkehr zu ermöglichen, und sie endlich auch erreicht. Da das Verfahren gegen ihn in Leipzig, dem Druckorte der Palästinanummern, schwebte, mußte der Hebel dafür im Königreiche Sachsen angesetzt werden. Und merkwürdigerweise war es der Führer der konservativen Partei in diesem Lande, der Langen die Wege ebnete, und zwar auf die Verwendung von dessen Schwiegervater Björnstjerne Björnson hin, mit dem dieser Herr Mehnert zwar politisch kaum jemals der gleichen Meinung, aber doch eng befreundet war. So wurde der bis dahin steckbrieflich Verfolgte, nachdem er dem sächsischen Staat, ich weiß nicht mehr, für welche Zwecke, dreißigtausend Mark gestiftet hatte, im Jahre 1903 von dem ein Jahr vorher auf den Thron gekommnen König Georg begnadigt und konnte nach Deutschland zurückkehren.

Wir im Verlage hatten wohl gewußt, daß da etwas im Gange war, aber von Langen (wohl absichtlich, damit die Überraschung größer würde) nichts Näheres über den Verlauf der Dinge gehört. Ich sehe es noch deutlich vor mir, wie er eines Tages völlig unerwartet mit seinem schnellen Schritt zu uns ins Zimmer trat, mir und meinem Freunde Geheeb die Hand gab und so tat, als ob er überhaupt nicht fortgewesen wäre. Es hatte sich an ihm in den fünf Jahren kaum etwas geändert außer seinem Bart. Den trug er nun nach französischem Geschmack viereckig zugestutzt – übrigens auch nicht lange mehr. Denn bald darauf erschien der Augenblick, da alle Welt den bis dahin als schönste Manneszierde angesehenen Vollbart verächtlich «Fußsack im Gesicht» zu nennen sich verpflichtet fühlte. Von da an hat man Langen nur noch glattrasiert gesehen. Denn er war – das zeigte seine sehr gepflegte Erscheinung jedem, der den Blick dafür besaß – dem Modischen hingebend zugetan. Darum gehörte er auch zu den ersten, die in München Automobilbesitzer wurden. Er frönte dem Kraftwagensport mit der Lebhaftigkeit, mit der er sich überhaupt auf neue Dinge stürzte, und das wurde späterhin auch in gewissem Maß der Anlaß seines frühen Todes.

Wieder daheim in München, warf sich Langen mit der alten, während der Verbannungsjahre angestauten Tatkraft und Unternehmungslust in seine Arbeit und widmete sie immer mehr dem Ausbau seines Buchverlags und einer von ihm gegründeten Monatsschrift «März», seitdem er 1906 in bezug auf den «Simplicissimus» eine schwere Enttäuschung hatte erleben müssen, die ihm die reine Freude an diesem seinem einstigen Sorgenkind empfindlich trübte. Die Hauptmitarbeiter des «Simplicissimus», unter denen es ein paar sehr auf das liebe Geld versessene Leute gab, überschätzten, wie einstmals die Pariser Freunde das Vermögen Langens, so jetzt die Summen, die er an dem Blatt verdiente, und fanden sich, daran gemessen, viel zu schlecht gestellt. Zum Teil trug freilich Langen selbst die Schuld an dieser irrigen Meinung, weil er im Geldausgeben immer noch das lockre Handgelenk von ehedem besaß, sich stets zum mindesten zwei Automobile auf einmal hielt, sich eine hübsche Villa am Englischen Garten kaufte, sie ohne Rücksicht auf die Kosten großzügig umbauen ließ und sich, wie in seiner Kleidung, so überhaupt, gar manchen Luxus leistete, der andrer Leute Neid zu wecken wohl geeignet war. Daß er sich dabei keineswegs nach seiner Decke streckte und daß er, statt sich etwa ein Vermögen aus die Bank zu legen, auch jetzt zuzeiten auf Darlehen seiner Geschwister angewiesen blieb, davon erfuhren Außenstehende natürlich nichts. So hielten die Leute vom «Simplicissimus» die Einnahmen des Mannes, der sich das alles «leisten konnte», für phantastisch groß.

Bestärkt in ihrem Irrtum wurden sie von einem Herrn, der sich zwar als Verleger für einen Fachmann hielt, aber in diesem Berufe noch ein blutiger Neuling war und keine Ahnung von kaufmännischem und buchhändlerischem Rechnen hatte. Jedenfalls brachte er es fertig, zu «vergessen», daß ein Verleger dem Zwischenhandel auf seine Erzeugnisse Rabatt zu geben hat, und ging bei seiner Berechnung von der Annahme aus, es flösse Langen der volle Ladenpreis jeder verkauften Nummer zu. Somit kam die Kalkulation dieses «sachkundigen Beraters» auf einen Reingewinn heraus, der die Gemüter seiner Auftraggeber stark ins Kochen brachte.

Sie schlossen daraufhin eine Art Eidgenossenschaft und forderten von Langen, er solle sie zu am Gewinn beteiligten Mitbesitzern seiner Zeitschrift machen, widrigenfalls sie alle auf einmal den «Simplicissimus» verlassen und ihre Kräfte einem Konkurrenzblatt widmen würden, das sie in einem andern Verlag begründen wollten. Dies Ultimatum nun traf Langen in einer Stimmung an, die es bewirkte, daß er sich davon übermäßig beunruhigen ließ. Hätte er damals mit der ihm doch sonst eignen Kühnheit Widerstand geleistet, dann wäre der «Simplicissimus» – der Überzeugung bin ich heute noch – ein halbes Jahr lang wohl auch ohne die aufsässigen Mitarbeiter durchzuhalten gewesen, und bis dahin hätte das Konkurrenzblatt sein Erscheinen fraglos wieder eingestellt und wären die Künstler reumütig einer nach dem andern an ihren alten Platz zurückgekehrt. Mag aber sein, daß Langen die Dinge klarer sah als ich und sein Nachgeben praktisch unvermeidlich war. Kurzum, er fügte sich in allem Wesentlichen, konnte aber bei Begründung der neuen Simplicissimus-Verlag G.m.b.H. die Abmachungen so gestalten, daß er im Geldpunkt nicht so schlecht fuhr, wie es anfänglich ausgesehen hatte, während die Mitarbeiter weniger glänzend abschnitten, als sie es sich auf Grund der Vorausberechnung ihres merkwürdigen «Sachverständigen» eingebildet hatten. Immerhin verdoppelten sich ihre Einkünfte durch die Gewinnbeteiligung zum mindesten, was ihnen ganz gewiß zu gönnen war und auch von mir nur als gerecht empfunden wurde. Bedenklich schien mir aber, daß von Stund an die Künstler auch in die Leitung, sogar die geschäftliche, des Blattes mit hineinzureden hatten. Das Wort Homers, daß Vielherrschaft nichts Gutes sei und einer herrschen müsse, und die Erkenntnis unserer Zeit, daß Parlamentarismus, der sich auf Stimmenmehrheit stützt, nichts wahrhaft Schöpferisches leisten kann, trifft auf die Führung eines künstlerischen Unternehmens in besonderm Maße zu. Hier ist verständige Diktatur das einzig Fruchtbare. Und dafür war Albert Langen unbedingt der richtige Mann, zumal da ihm der Hang zu bockiger Tyrannei ganz ferne lag und er auch Widerspruch vertrug und sich von ihm gegebnenfalles überzeugen ließ. Er war stets gern bereit, von Leuten zu lernen, denen er im Einzelfall mehr Sachkenntnis zutrauen durfte als sich selbst, und hatte nichts von jenem Eigensinn, der nah an Dummheit grenzt. Er hat den Wert der von ihm glücklich ausgewählten Künstler des «Simplicissimus» nie unterschätzt und hat sich ihrem Rat, soweit er ihm Hand und Fuß zu haben schien, in keinem Fall verschlossen. Sie aber unterschätzten ihn und seine höchst anregende Lebendigkeit, wenn sie sich auf den Standpunkt stellten, im Grunde machten sie allein das Blatt, und Langen wäre nicht viel mehr als ein Nutznießer ihrer Schöpferkraft. In Wirklichkeit hatte er ja nicht nur den «Simplicissimus» geschaffen und durch die schweren Anfangsjahre mit vorbildlicher Treue zu seinem Werke Kopf und Kragen dafür aufs Spiel gesetzt, sondern war auch bis zu jenem Künstlerultimatum selbst während seiner notgedrungnen Abwesenheit, wenn ich das Bild gebrauchen darf, die Feder gewesen, die die Uhr im Gange hielt. Daß er auf Grund der nun erlittnen Enttäuschung die rechte Lust daran verlor, das hat dem Blatte wahrlich nicht genützt.

Brachliegen ließ er seine unternehmungslustige Tatkraft deswegen nicht, doch wendete er sie andern Gebieten zu. Den Vorteil davon hatte besonders auch die Zeitschrift «März», die er begründete, um hier ein neues Feld seiner persönlichen Betätigung zu finden, und die er zu einem für eine Monatsschrift erstaunlichen Anfangserfolg zu bringen wußte, der sich dann nach seinem Tod aus Gründen, die auf einem andern Blatte stehen, allerdings nicht durchhalten ließ. Blättert man heute in den ersten Jahrgängen des «März», so geht es einem deutlich auf, was für eine durch Anregung wahrhaft schöpferische Kraft am Werk gewesen sein muß, um so etwas im besten Sinn Lebendiges zu schaffen. Das gleiche gilt von der Entwicklung seines Buchverlags in diesen Jahren, die, wie das Unglück wollte, seine letzten wurden. Denn er, von dessen Werk so viel bis auf den heutigen Tag lebendig blieb, hat als Verleger nur drei Lustren schaffen können und zählte knapp vierzig Jahre, als er starb.

Es muß wohl in den letzten Märztagen oder Anfang April 1909 gewesen sein, daß Graf Zeppelin mit seinem damals neuesten Luftschiff zum erstenmal in München auf dem Oberwiesenfelde landen wollte. Eine gewaltige Menschenmenge hatte sich dort in Erwartung des Ereignisses versammelt. Natürlich war auch der allem Neuen freudig aufgeschlossene Albert Langen mit dabei, und zwar, wie andre Automobilbesitzer auch, mit seinem Wagen. Das Wetter war an dem Tage kühl und unfreundlich und wurde bald so stürmisch, daß dem Grafen die vorgesehene Landung zu gefährlich schien. Nachdem sein Luftschiff etwa hundert Meter über dem Boden angekommen war, stieg es wieder höher und setzte seinen Weg gegen Nordosten fort. Gelandet ist es dann, soviel ich mich erinnre, irgendwo in Niederbayern. Viele der Automobile, darunter der offne Wagen Albert Langens, verfolgten es und haben es an seinem Landeplatz dann auch erreicht.

Langen erzählte uns bei seiner Rückkehr mit lebhafter Befriedigung davon. Doch wollte es das Unglück, daß er sich auf dieser Fahrt erkältet hatte und eine anfangs leichte Mittelohrentzündung daraus entstand. Er achtete nicht sehr darauf und träufelte sich warmes Mandelöl ins Ohr, was auch die Schmerzen vorerst linderte. Leider ließ er sich dadurch verführen, zu Ostern, wieder in dem offnen Wagen, einen Ausflug an den Chiemsee zu seinem Freunde Rudolf Sieck zu machen, wobei er sich von neuem stark erkältete. Infolgedessen wurde die Ohrentzündung bösartig. Der nun gerufne Arzt ordnete Bettruhe an und hat sich eine Operation wahrscheinlich zu lange in der Hoffnung überlegt, über die Krankheit ohne diesen scharfen Eingriff Herr zu werden.

Ein paar Tage später ließ mich Langen bitten, ihn zu einer geschäftlichen Besprechung zu besuchen. Als ich an sein Krankenlager trat, erfaßte mich ein heftiger Schreck – so sehr verändert sah er aus. Er hatte ganz entschieden das, was man das «hippokratische Gesicht« zu nennen pflegt. Ich weiß nicht mehr, ob ich das auf den ersten Blick deutlich empfand, oder ob mir das erst später aufgegangen ist. Er selber dachte bei meinem Besuch gewiß noch nicht an ernsthafte Gefahr. Was er mit mir besprach, ging von der Annahme aus, er würde sich vielleicht zwei Wochen oder drei um den Verlag nicht kümmern können; daß er die Möglichkeit, nun ein für allemal von seinem Werk getrennt zu sein, nur mit dem Schatten eines Gedankens gestreift hätte – dafür gab unser Gespräch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Auch ich schob eine dunkle Ahnung, die sich in mir regen wollte, unwillig beiseite, verließ ihn aber trotzdem stark bedrückt und von heimlicher Angst erfüllt.

Erneute Hoffnung regte sich in mir, als er zwei Tage später überraschend im Verlag erschien. Er trat mit seinem mir so wohlvertrauten raschen Schritt ins Zimmer und schien mir wieder etwas besser auszusehen. Die ewige Bettliegerei sei ihm zu langweilig, erklärte er, und Krankheit schlage man am besten durch Verachtung in die Flucht. Dann fing er gleich von allerhand Geschäftlichem zu reden an. Doch es verging kaum eine Viertelstunde, da zeigte er schon wieder das erschreckend hinfällige Gesicht, man sah ihm an, daß er heftige Schmerzen litt, mit matter Stimme stieß er hervor, er habe sich doch zu viel zugemutet und fahre lieber heim. Ich brachte ihn an seinen Wagen und habe ihn, in dessen Sitz zurückgesunken, heute noch vor Augen, wie ich ihn zum letzten Male sah, als einen Schatten seiner selbst und schon den Schatten zugehörig. Seitdem war ich mir der Schwere seiner Krankheit klar bewußt und ahnte, daß er den dritten Tag kaum mehr erleben würde. Leider behielt die Ahnung recht.

Vom Ohr her war ihm Eiter in den Blutumlauf gekommen und hatte eine heftige Nierenentzündung erzeugt. Ein Wiener Spezialist, der telegraphisch herberufen wurde, zu erwägen, ob hier eine Operation noch würde helfen können, kam zu dem Schluß, dafür sei es zu spät. Ich habe nicht erfahren, ob er Langen auf dessen Drängen hin die Hoffnungslosigkeit seines Zustandes offenbart hat. Jedenfalls war der Patient sich jetzt darüber klar, daß er dicht vor dem Tode stand.

Da hat er, ohne unmännlich zu jammern, sein Haus getreu und ordentlich bestellt und damit unter schweren Schmerzen den Beweis geführt, wieviel an stiller Kraft, an tapfrer Geistesklarheit, an Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl sich hinter seinem lebhaften, manchmal auch leichtlebigen Wesen barg. Er ließ sich seinen Anwalt kommen und hat fast seinen ganzen letzten Nachmittag damit verbracht, ein Testament zu machen, in dem alles sorgfältig überlegt war, was ihm um seiner unmündigen Söhne und des Verlages willen am Herzen lag. Daneben hat er darin großzügig auch die bedacht, denen im Leben seine Liebe galt, und die ihm einst geholfen hatten, soweit sie es jetzt selber brauchen konnten. In dieser Hinsicht hat er den Fortführern seines Werkes nicht ganz leichte Pflichten auferlegt, weil er sich noch so kurz vor seinem Ende darin treublieb, was ihn durch seine ganze Lebenszeit begleitet hat: er schätzte sein Vermögen gar zu optimistisch ein und setzte in seinen Legaten größere Summen aus, als er in Wirklichkeit besaß.

Seine letztwilligen Bestimmungen wegen des Verlags indessen waren von der sachlich klarsten Einsicht in die Verhältnisse diktiert und fanden auch für die Lösung nicht ganz einfacher Probleme, die sich ihm da vor Augen stellten, einen klugen und geraden Weg. Seine Ehe mit Björnstjerne Björnsons jüngster Tochter hatte aus Gründen, die hier zu erörtern mir nicht ansteht, schon einige Jahre vorher zu einer Trennung geführt; die Scheidung war im Gang, vollzogen aber hat sie erst der Tod. Die beiden jungen Söhne des Paares lebten damals in Paris bei ihrer Mutter, die um des Scheiterns ihrer deutschen Ehe willen allem Deutschen mit wenig freundlichen Gefühlen gegenüberstand. Langen aber, der bei der Gründung des Verlages diesem eine stark internationale Prägung hatte geben wollen, war inzwischen immer mehr zu der Erkenntnis durchgedrungen, daß ein deutscher Verlag vor allem deutsche Dichter fördern und seine Wurzeln in die Tiefe deutschen Wesens senken müsse. Deshalb versprach er sich von dem Einfluß seiner norwegischen, in Frankreich eingelebten Frau auf die Leitung der Firma nichts Ersprießliches. Auch seine Söhne sollten sie erst übernehmen, wenn sie die nötige Reife hätten, zu wissen, was sie selber wollten. Er setzte sie also zu Erben des Verlages ein, bestimmte aber, daß sie dessen Führung erst in die Hand bekommen dürften, wenn der Jüngere von ihnen vierundzwanzig wäre. Damit sie dann auch die richtigen Voraussetzungen dafür erfüllten, ordnete er ferner an, daß sie in Deutschland deutsch erzogen werden müßten. Zur Weiterführung des Verlages bis dahin wurde ein vierköpfiges Kuratorium aus langjährigen Mitarbeitern Albert Langens bestimmt. Die Erledigung des rein Geschäftlichen fiel darin je einem kaufmännischen und buchhändlerischen Prokuristen der Firma zu, während die Wahrung der literarischen und künstlerischen Überlieferung des Verlages und dessen Weiter- und Höherführung im Sinne seines Gründers meinem Freund Reinhold Geheeb und mir übertragen wurden.

Um acht Uhr früh am 30. April 1909 erfuhren wir, daß Langen in den ersten Morgenstunden dieses Tages sanft entschlafen war. Obwohl wir diese Nachricht bangenden Herzens hatten kommen sehen, standen wir wie vor den Kopf geschlagen da. Jetzt erst überfiel uns die bis dahin von uns geflissentlich mit keinem Gedanken angerührte Frage, wie es nun mit der Firma weitergehen solle. Daß darüber Tags zuvor genaue Verfügungen getroffen waren, wußten wir ja noch nicht. Aber aus diesen Zweifeln wurden wir sehr bald befreit. Der Anwalt Langens rief mich an und unterrichtete mich von dem Inhalt des Testaments, soweit er den Verlag betraf. Denn Langen hatte ihn beauftragt, dies im Falle seines Todes ungesäumt zu tun: er wolle, daß wir die Arbeit ruhigen Herzens, ohne Sorge wegen einer Einmischung von außen her und ohne jede Pause weiterführen konnten. Nicht einmal seiner Beisetzung in der Familiengruft zu Köln sollten wir beiwohnen, da in diesen ersten Tagen unsere Anwesenheit im Geschäft bestimmt dringend vonnöten sei.

Mir kamen bei dieser nicht nur durch die liebende Sorge um den Verlag, sondern auch durch zarte Rücksicht gegen die Weiterführer seines Werkes diktierten letzten Botschaft Langens die bis dahin mannhaft unterdrückten Tränen, und ich gelobte mir, die Aufgabe, die er mir und meinen drei Kollegen hinterlassen hatte, bis in das Kleinste treu nach seinen Wünschen und meinen besten Kräften zu erfüllen. Der erste Verlagsvertrag mit einem neuen Autor ist noch am Todestage Langens unterschrieben worden.

Damit, was ich aus meiner persönlichen Erinnerung an Albert Langen hier berichten konnte, bin ich am Schluß. Nun noch zusammenfassend so etwas wie ein psychologisches Porträt von ihm und seiner Wesensart zu geben, darf ich mir sparen. Wer es versteht, zu lesen, wird ohnehin nach dem, was an kleinen menschlichen Zügen in meine Schilderung seines Lebensganges mit eingeflossen ist, ein Bild seiner Persönlichkeit gewonnen haben. Und seine Bedeutung als Verleger rühmt sein Werk, das nicht mit ihm gestorben ist und nicht vergessen werden kann.

Zu sagen bleibt mir noch, warum es uns unmöglich wurde, die Firma, die wir für die Söhne Albert Langens verwalteten und weiterführten, diesen zum vorgesehenen Zeitpunkte zu übergeben. Ihre Mutter, die in zweiter Ehe einen Franzosen heiratete, befolgte Langens Anordnung, daß sie in Deutschland deutsch erzogen werden sollten, nicht, sondern behielt sie in Paris, schickte sie 1914 beim Kriegsausbruch zu ihrer Großmutter Björnson nach Norwegen und hat es dann im Krieg durch ihre Beziehungen erreicht, daß sie, statt ihrer Dienstpflicht im deutschen Heere nachzukommen, norwegische Staatsangehörige wurden. Daraufhin beschloß die Vormundschaft in der Befürchtung, daß bei einem (zu der Zeit noch erhofften) für Deutschland günstigen Kriegsausgang die Firma vom Reich beschlagnahmt werden könnte, den Verkauf des Unternehmens für Rechnung der Erben und bot es dem Kuratorium an.

Um Albert Langens Lebenswerk nicht in ganz fremde und vielleicht lieblose Hände fallen zu lassen, griffen wir vier Prokuristen zu, erwarben den Verlag und – luden uns damit sehr schwere Sorgen auf. Denn die geringen Mittel, die uns zur Verfügung standen, entsprachen schon von Anfang an nicht den Verpflichtungen, die wir mit den Inhaberrechten übernehmen mußten. Die Niederlage Deutschlands im großen Krieg, die Inflation, die Jahre der Systemzeit und der Arbeitslosigkeit erschwerten unsere Lage noch. Albert Langens Bruder Martin und seine Schwester Martha Lilie sind uns auch damals noch in manchen Nöten beigesprungen, trotzdem aber waren wir oft daran, die Flinte verzagt ins Korn zu werfen, und hätten es vielleicht getan, wenn Albert Langens Mut in so gespannten Lagen uns nicht als Beispiel vorgeleuchtet hätte. Davon im einzelnen zu sprechen, ist hier nicht der Ort. Also kurzum: Wenn wir uns als Besitzer des Verlages auch nicht halten konnten – daß er am Leben blieb und literarisch eher stieg, als absank, haben wir geschafft. Und heute steht er, seit 1932 mit dem um zehn Jahre jüngeren Georg Müller Verlag verschmolzen, unter den deutschen Dichterverlagen führend und nach menschlichem Ermessen gesichert da.

Wenn er sich auch in vielem anders entwickeln mußte und entwickelt hat, als Albert Langen sichs vielleicht in seinen letzten Stunden dachte – ich glaube doch, er selber hätte ihn bei einem längeren Leben aus der gleichen geistigen Linie fortgeführt, der wir gefolgt sind. Denn er war ein viel zu lebendiger und aufgeschlossener Mensch, als daß er nicht die Wandlungen der Zeit aus vollem Herzen hätte miterleben müssen. Auf jeden Fall ist er es, der das Fundament zu dem stattlichen Bau gelegt hat, der sich uns heute darstellt. Wenn ich nur drei der von ihm für den Verlag gewonnenen Dichter nenne, die immer noch mit ihrem ganzen Werk zu dessen Zierden zählen: Knut Hamsun, Ludwig Thoma und Selma Lagerlöf, ist damit wohl genug gesagt. So steht der Name Albert Langen zu Recht in der neuen Firmenbezeichnung des Verlages an der Spitze. Und auch das bedeutet wohl ein Stück Unsterblichkeit.


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