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Max Dauthendeys Schicksalshaus

Man hat Max Dauthendey, der einer der deutschesten Deutschen war, die man sich denken kann, oft für den Sprößling einer in Deutschland erst zugewanderten Familie angesehen. Besonders häufig traf ich auf die Meinung, die Wiege seines Geschlechts müsse in Schottland gestanden haben. Woraus man dies schließen zu dürfen glaubte, weiß ich nicht; denn Namen, die im Klang an Dauthendey erinnern, sind mir als schottische nicht bekannt geworden, während man ähnliche, wie etwa Hinckeldey und Mackeldey, in mancher Gegend Deutschlands häufig trifft. Kurzum: Buchhändler, die ihrer Bildung etwas Besondres schuldig zu sein meinten, redeten von ihm gern als von «Max Dossendi», wobei das Doppel-S gelispelt wurde, und ich könnte mir in dieser Hinsicht gehemmte Leute denken, die sichs nicht recht getrauten, ein Buch von ihm im Laden zu verlangen, weil sie nicht wußten, wie ihr Lieblingsdichter auszusprechen sei. Nun, für den Absatz mag das der Umstand wettgemacht haben, daß es zu jener Zeit für etwas Feineres galt, ein bißchen von wo anders herzustammen.

Max Dauthendey hat seinen Namen immer so gesprochen, wie er geschrieben wird, doch hat auch er zuweilen mit dem Gedanken einer schottischen Abstammung geliebäugelt; daneben aber hielt er eine französische für nicht ganz aus dem Weg. Dies wollte er – und das kennzeichnet seine von der Phantasie genährte Denkart gut – damit begründen, daß in seinem Vaterhaus als Krönungsschmuck der Weihnachtstanne nicht wie sonst üblich ein Stern, sondern ein goldner Hahn gedient hätte. Nüchterner veranlagten Naturen wäre dabei wahrscheinlich der deutsche Kirchturmgockel ins Blickfeld getreten statt des gallischen Chanteclair; auch läßt sich annehmen, daß ein französischer Stamm seinen auf fremden Boden ausgepflanzten Ablegern an Erbgut eher alles andre mitgegeben hätte als grade Christbaumschmuck.

Fraglos war schon der älteste Ahnherr seines Namens, von dem Max Dauthendey selbst wußte, und dessen nach einem zeitgenössischen Original kopiertes Bildnis über seinem Schreibtisch hing: der im siebzehnten Jahrhundert am braunschweigischen Hofe lebende gelehrte Mathematiker Casparus Dauthendey, ein richtiger Deutscher, und des Dichters aus Aschersleben stammender Vater war es auch. Das gleiche gilt von seiner allerdings in Rußland, aber als Tochter fromm Herrnhuterischer deutscher Kolonisten geborenen Mutter. Max Dauthendey selbst hat in Würzburg das Licht der Welt erblickt und ist ein lebender Beweis dafür, daß eines Menschen Wesen zwar vor altem durch das ererbte Blut bestimmt wird, daneben aber doch in hohem Maß durch den Geburtsort, wenn ihm der auch Heimat bleibt und seine Kinderspiele und ihn zum Jüngling und zum Mann erwachsen sieht. Ein Zufall nur hat unseres Dichters Eltern, von denen der Vater ganz gewiß nicht, die Mutter kaum mainfränkischen Stammes war, in Würzburg ansässig gemacht. Trotzdem dünkt mich der Sohn aus dieser Ehe das Urbild eines Unterfranken; und wüßte ichs nicht anders, würde ich darauf schwören, daß die Dauthendeys von Anbeginn auf diesem alten Kulturboden gesiedelt hätten.

Er selbst hat sich als seinen richtigen Sohn gefühlt, und doch... Jawohl, es gibt da ein «und doch», das für sein Leben bahnbestimmend wurde, ihn manchen Weg auf Erden und einmal sogar den rund um die Erde wandern hieß. Nicht nur der Name eines Menschen, sondern vielleicht auch eine irrige Deutung dieses Namens kann ihm Schicksal werden. Mag sein, daß schon der Knabe Max im Vaterhaus von fremdländischer Abkunft der Familie dies und das hat munkeln und vermuten hören, mag sein, daß er sich mit aus diesem Grund unter den Freunden und Gefährten seiner Jugend, die ihrerseits etwas Besondres in ihm sahen, als, wie er selbst es ausdrückt, «weißer Spatz», ja, oft wohl gradezu als völlig fremder Vogel fühlte. In Wahrheit aber ist das nicht so sehr auf seine Abstammung zurückzuführen, als vielmehr darauf, daß er von je ein Dichter war.

Es liegt nicht in dem Plan dieses Erinnerungsblattes und ist gottlob nicht meines Amtes, sein Werk in eine literarische Rangklasse einzuschachteln. Dies sei der Zunft der Germanisten überlassen, die sich dabei zwar auch nicht leicht tun werden und ihm, soviel steht fest, in der Vergangenheit oft ziemlich hilflos gegenübergestanden haben. Denn weder als Dichter noch als Mensch kann er nach der «Tabulatur» gemessen werden. Den Maßstab dafür hat nur das Gefühl, das auch dem Laien zur Verfügung steht. Und darum darf ich wenigstens das Eine sagen, daß ich ihn, zumal als Lyriker, nicht nur für einen der echtesten und größten unter unfern deutschen Dichtern halte, sondern auch für den vielleicht am festesten mit unseren Ursprüngen verknüpften. Es ist da um ihn ein Geheimnis, dessen Schlüssel wahrscheinlich darin liegt, daß sich bei ihm das Schaffen und das Sein vollständig deckten. Ihm hatten Schulweisheit und sogenannte Bildung nicht ihre Brille aufgesetzt und die Schau in die Natur getrübt, doch war er wohlgesittet, feinnervig, von empfindlichem Gemüt und, was damit durchaus nicht stets zusammenfällt, von ungemeiner Rücksicht gegen andre. Insofern hatte die Kultur des Elternhauses und des mainfränkischen Landes ihr Werk an ihm getan, ohne aber die Fäden abzuschneiden, die ihn mit der im Vorzeitdämmer versunknen Menschheitswelt verknüpften.

Auf diesen Fäden tanzte seine Phantasie leichtfüßig nach einem verlornen Urväterparadies zurück, davon in seinem Herzen irgendwie ein Traum aus einem abgelebten Sein geblieben war. Sie winkte ihm gebieterisch, und ihm blieb keine Wahl, als ihr zu folgen, so schwer sich ihm auch die Gewichte unsres Heute an die Füße hängten. Da hieß es, Koffer packen, hieß es, sich Bahnen oder Schiffen, Gemächten einer Technik, die ihm im Grund zuwider war, ohnmächtig anvertrauen, hieß es, das Schwierigste von allem meistern, nämlich Geld in seinen Beutel tun. Doch hatte ihn einmal das Ferneweh gepackte dann gab es keine Fessel, die er nicht mit seiner zarten Kraft zerbrach, dann wurde er, der gegenüber Widrigkeiten manchmal fast zaghaft wirkte, waghalsig bis zum äußersten.

Wie mancher, der ohne die nötigen Mittel in die weite Fremde zog, ist dort als ein Gestrandeter geblieben und hat die weiße Rasse in den Augen Farbiger zum Gespött gemacht. Dies brauchte er niemals zu fürchten. Davor bewahrte ihn eine Kraft, die Sehnsucht nach der Heimat und seiner blonden Frau aus Schweden hieß, der er im Lauf der Jahre an die tausend Liebeslieder sang. Erst von der letzten Fahrt hat es ihn lebend nicht zurückgeführt. Da aber war es der Krieg, der ihm die Wege nach Europa sperrte.

Und so fiel ihm sein Los seit Anbeginn und bis zum Schluß: Von Hause lockte es ihn zwingend fort, kaum aber spannte sich ein fremder Himmel über ihm, da packte ihn die bittre Sehnsucht nach dem deutschen Wesen und dem Frankenland. Wie glühend er daran hing, hat ihn vielleicht die Welt der Tropen erst gelehrt. Es schien, als müsse er sich das immer neu beweisen, wenn es ihn wieder und wieder auf die Reise trieb. Und ist es zu verwundern, daß einem solch ein Schicksal schließlich zum Verhängnis wird?

Diese Gefahr hat er wohl irgendwie geahnt. Es kann kaum anders sein. Denn wie er, sonst allem abgeneigt, was Rechnen hieß, an der Magie der Zahlen hing und Vorzeichen in ihnen suchte, so war er mehr als andre von Ahnungen gesegnet oder geplagt – ich weiß nicht, was die Sache richtiger trifft. Ich bin auch überzeugt, daß er, wenigstens halb unbewußt, dies drohende Verhängnis irgendwie hat wenden wollen. Je mehr er in die Jahre kam – er hat die fünfzig freilich nicht weit überschritten –, desto heftiger erfaßte ihn der Drang, ein Stückchen der geliebten Frankenerde in Besitz zu nehmen. Er nährte insgeheim gewiß die Hoffnung, daß er durch solche Bindung an die Scholle auch seinen Wandertrieb in Fesseln schlagen würde. Gar oft, wenn ich mit meiner Frau bei Dauthendeys in Würzburg war, hat er uns dies oder jenes von Gartenland umgebne Anwesen gezeigt, das grade zum Verkauf stand, und es sich ausgemalt, wie schön es wäre, wenn er sich solch ein Grundstück kaufen, dort Blumen, Früchte und Gemüse (vor allem Blumen) ziehen und vom Ertrage und Erlös des eignen Gartens leben könnte. Das dünkte ihn so etwas wie das Paradies. In jungen Jahren hat er sich seinen Traum davon in Mexiko erfüllen wollen und hat dafür sein elterliches Erbteil drangegeben. Jetzt konnte er sich solch ein Eden nur noch in der Heimat denken; ein Vatererbe aber stand ihm nicht mehr zu Gebote. So scheiterten all diese Pläne bis auf weiteres am Geld.

Wenn aber Max Dauthendey, der Liebenswürdige, der einem ungern widersprach und im persönlichen Verkehr nachgiebig und vernünftiger Zurede offen wirkte, sich etwas ernstlich vorgenommen hatte, dann konnte nichts ihn hindern, seinen Willen früher oder später durchzusetzen; und seine Phantasie wies ihm auch hierbei Wege, auf die ein rechnender Tatsachenmensch niemals verfallen wäre. Stand ihm der Sinn nach einem eignen Haus im eignen Garten, so schaffte er es sich auch ohne Geld – ob allerdings zu seinem Glück, war eine Frage, aus die das Schicksal eine grausam harte Antwort gab. Ist es nicht oft und oft ein Segen für den Menschen, wenn ihm das Leben seine Wünsche nicht erfüllt?

Und dies ist die Geschichte, die ich hier erzählen will, nicht immer in der Reihenfolge, wie sich das alles zugetragen hat, sondern teilweise so, wie ichs von weitem miterlebte, während sich mir aus allerhand Bruchstücken ein ganzes Bild erst nachträglich durch den Bericht des Dichters selber formte.

Ich greife in den Sommer 1910 zurück, um klarzumachen, wie sich zwischen meinem Freunde Max und mir, der ich ja sein Verleger war und in gewissem Sinn auch so etwas wie seinen Bankier zu spielen hatte, allmählich, zwar wohl mehr auf seiner als auf meiner Seite, mancherlei Verdruß ansammelte, dem unser Geschäftsbriefwechsel häufig neue Nahrung gab. Denn wenn wir Aug in Auge miteinander sprachen, verschwand sehr bald der letzte Schatten einer Wolke zwischen uns.

Um jene Zeit begann sich in Max Dauthendey wieder einmal die Deutschlandmüdigkeit zu regen. Er hatte daheim verarbeitet, was ihm auf seinen Reisen zugewachsen war, hatte die asiatischen Novellen der Bände «Lingam» und «Die acht Gesichter am Biwasee», hatte sein dem Umfang wie dem Inhalt nach gleich großes Lied der Liebe und der Wunder um sieben Meere «Die geflügelte Erde» eine Dichtung, die Deutschland noch zu wenig kennt – vollendet und den Roman «Raubmenschen», der seine mexikanischen Erlebnisse ins abenteuerlich Phantastische erhob, und dem er eine Reihe von vier weiteren großen Prosa-Epen nachzuschicken plante. Als Schauplatz dieser fünf Geschichten waren abwechselnd alle die Länder vorgesehen, wo er auf seinen Fahrten selbst gewesen war, erzählen aber sollte sie eine Gestalt, die eine wunderliche Tarnung des Verfassers darstellt: ein junger Diplomat, der in geheimen Aufträgen die Welt bereist, und dem der Dichter den für die eigne Hin- und Hergeworfenheit zwischen Fernedrang und Heimweh sinnbildlichen Namen «Rennewart» gegeben hat. War nun der Hintergrund des ersten Rennewart-Romans das von Max Dauthendey als mörderisches Barbarenland gesehene Mexiko gewesen, so wollte er wie zur Erholung von dieser Raubmenschenwelt den zweiten inmitten der, wie man damals merkwürdig harmlos annahm, «gefestigten» Kultur Europas spielen lassen. Um ihn zu schreiben, dünkte ihn ein räumlich wie nach den Lebensformen möglichst weiter Abstand vom modernen Wesen unentbehrlich. Denn wen es stark zu etwas zieht, ist meist um Gründe dafür nicht verlegen.

Da einer größeren Reise der Geldmangel entgegenstand, beschloß der Dichter, wie schon einmal in seinen ersten Mannesjahren, als ihn vor allem andern die billigen Preise dahin führten, für den Sommer 1910 an die schwedische Westküste zu gehen. Dort in der meerumrauschten granitnen Inselwelt hoffte er unter dem Dach eines hölzernen Fischerhauses mit weißen Fensterstöcken in den blutrot getünchten Wänden seine Erzählung aus der großen Welt Europas gut in Zug zu bringen.

Er selber aber – und wer weiß, ob das nicht unbewußte Absicht von ihm war – richtete sich ein Hindernis dagegen auf. Ich spreche hier von unbewußter Absicht, weil ich mir denken kann, daß ihm zu dem geplanten Roman noch einiges fehlte außer dem von ihm so heiß begehrten Blickpunkt von wo anders her. Die Welt der sogenannten Hochzivilisation, die er da schildern wollte, war ihm ja nicht nur äußerlich so gut wie unbekannt, sondern lag ihm auch innerlich viel ferner als die fernste Fremde. Und hier ließ sich durch Phantasie schwerlich so leicht und vollgültig wie dort ersetzen, was ihm an Vertrautheit mit den Dingen abging.

Kurzum: er redete mir dringend zu, den Urlaub dieses Sommers mit Frau und Kind dort oben in seiner und seiner Frau Gesellschaft zu verleben. Ich danke ihm noch heute in seinem Grab dafür; denn diese Mittsommertage auf der Insel Koster stehen mir als die schönste Freizeit meines Lebens vor der Erinnerung. Wasser und Stein, von klarem Himmel überwölbte Landschaft, würzige Seeluft und der Verkehr mit Menschen, die einem etwas gaben, vereinten sich zu festlichem Zusammenklang. Solch einer guten Trägheit – Trägheit ohne Gewissensbisse, wie sie dem Arbeitsmenschen selten nur beschieden ist – habe ich mich sonst höchstens auf Seereisen hingeben können. Mit Baden, Segeln, kleinen Wanderungen über einsame Schären oder an der Festlandküste liefen die Tage rasch davon, und nicht nur mir, sondern auch Max Dauthendey, der uns in seiner liebevoll besorgten Weise die Honneurs von Schweden machte und sich für unser Wohlergehn persönlich haftbar fühlte.

So kam es denn, daß er von seinem zweiten Rennewart-Roman einstweilen keine Zeile schrieb und diese Arbeit auf die Zeit nach meiner Abreise verschob – wollte er doch viel länger hier verweilen als die vier Wochen, die mir zugebilligt waren. Um trotzdem künstlerisch etwas vor sich zu bringen, landschafterte er aber eifrig, was ihm geschwind und mühelos von der Hand ging. Ich stelle die besten seiner Buntstift- und Wasserfarbenzeichnungen ohne Bedenken dem Besten gleich, was er geschrieben hat; und wer vor ihnen fachmännisch überlegen von Dilettantismus spricht, sollte ihn folgerichtig auch als Dichter einen Dilettanten heißen, weil er als solcher genau so wenig das besaß, was man Routine oder Technik nennt, und was sich schließlich jeder, der nicht völlig des Talents ermangelt und den nötigen ernsten Willen hat, durch Studium meisterlicher Vorbilder und Emsigkeit aneignen kann. Eine so ursprüngliche Naturbegabung wie die seine wäre durch die Bemühung um gefeilte Glätte nur verdorben worden. O ja, ich weiß, daß es auch andre Wege zum großen Kunstwerk gibt – für ihn gab es sie nicht. Was ihm nicht eingeboren war von Anbeginn, das zu erlernen fehlte ihm die Gabe; eingeboren aber war ihm die völlig eigne schöpferische Form, der es nicht Abbruch tut, wenn etwa ein ganz Kluger die Form- Vollendung daran vermißt.

Ich habe ihm in jenem Sommer oft beim Zeichnen zugeschaut, und das ist mir auch für sein dichterisches Schaffen aufschlußreich geworden. Er zeichnete nach der Natur, hielt sich jedoch in Einzelheiten der Linie und der Farbe durchaus nicht streng an sie, sondern gestaltete gleichsam sein inneres Ideal, ich möchte beinah sagen, sein vorgefühltes Erinnerungsbild von diesem Stückchen Welt. Solange er bei der Arbeit war und ich nicht wußte, auf welches Ziel das alles hinstrebte oder, treffender ausgedrückt, von selber zulief, habe ich mich manchmal beinah ärgerlich gefragt, warum er denn die Dinge nicht schlicht und recht so wiedergab, wie sie sich meinem und also offenbar auch jedem andern offnen Auge darstellten; hatte er aber den letzten Strich an einem solchen Blatt getan, dann sah ich wohl, daß ihm trotz willkürlichem Umspringen mit der Wirklichkeit fast immer ein im höheren Sinne treues und meisterliches Abbild dessen, was da vor mir lag, gelungen war, woran man sich nichts anders wünschen mochte. Und so entschleierte sich mir im Miterleben seines Schaffens etwas von dem Geheimnis der Genialität.

Auch das verkürzte mir die Tage, und als die Mitte meines Urlaubs überschritten war, kamen sie vollends immer mehr in Fahrt; ich hätte sie gern halten mögen und fühlte die Abschiedswehmut schon voraus. Max Dauthendey hingegen begann die Aussicht, hier noch lange Zeit zu haben, unruhig zu machen. Nicht, daß er von verfrühtem Abbruch seines Aufenthalts gesprochen hätte, aber es wollte ihm hier oben nichts mehr recht behagen, besonders – die Verköstigung nicht.

«Ewig Fisch!» beklagte er sich eines Mittags. «Das Gehirn wird ja auf eine Art mit Phosphor überfüttert ...! Man fühlt sich gar nicht mehr! Da muß ja schließlich der Verstand hypertrophieren!»

«Na, wenn du keine größere Sorge hast ...!» lächelte ich.

«Korfiz ...!» Er musterte mich vorwurfsvoll, als hätte ich ihn mit meinem leicht hingeworfnen Wort zum Dummkopf stempeln wollen, was keineswegs in meiner Absicht lag, fuhr aber schnell ablenkend fort: «Dies Essen lähmt die Phantasie. Oh, wenn ich an Italien denke ...! Alles mit Öl gekocht! Das schmeckt so gütig, und man wird ein andrer Mensch davon!»

Ich dachte mir mein Teil und sagte nachher, als ich mit ihr allein geblieben war, zu meiner Frau: «Glaubst du, daß Max seinen Roman hier fertig schreibt? Ich glaub, er fängt ihn gar nicht an. Sind wir erst fort, dann hat ihn Koster auch gesehn.»

Damit behielt ich recht: der erste Brief von ihm, den ich nach unsrer Heimkehr bekam, war in Limone abgestempelt. Unter dem tiefer blauen Himmel dort fühlte er sich anfangs wie erlöst und war fest überzeugt, daß ihm bei der «gütigen» Kost und dem «wärmenden» roten Wein Italiens die große Arbeit, die er vorhatte, leicht fallen und in einem Zug zum guten Schluß gedeihen müsse. Bald stellte sich jedoch heraus, daß die Gestade des Gardasees dafür nicht günstiger gelegen waren als die des Skagerraks. Die Folgerung aber, die Max hieraus zog, war nicht, daß eine Ortsveränderung es auch nicht schaffen könne, sondern daß diese letzte Ortsveränderung viel zu geringfügig gewesen sei. So schrieb er denn an den Verlag, daß er «nicht leben» könne, wenn wir ihm nicht einen mehrmonatigen Aufenthalt in – Abessinien ermöglichten. Denn nur in diesem urtümlichen Land der Negerchristen vermöchte er seinen Roman «ganz zeitgemäß, modern und interessant» zu schaffen.

Nun war ich durch langjährigen Geschäftsverkehr mit Dichtern gegen Überraschungen ja abgehärtet, hier aber stand ich wieder einmal starr. Und grade weil ich mich Max Dauthendey befreundet fühlte, schien mir in der Geldfrage, so sehr sie dabei ins Gewicht fiel, noch lange nicht das ernsteste Bedenken gegen seinen abenteuerlichen Plan zu liegen. Schon auf der von einem gewiegten «Manager» der Firma Cook betreuten Weltreise hatte die lebhafte Einbildungskraft des Dichters ihm so und so oft Todesgefahren vorgespiegelt, die seinen nüchterner veranlagten Fahrtgenossen sicherlich entgangen waren. Allein und mit gelegentlichem Anschluß an Karawanen, wie er sich das vorstellte, mußte er sich auf Abessiniens rauhen Wegen ständig unter Mördern fühlen und dabei Gemütserschütterungen zu erdulden haben, denen seine Kraft schwerlich gewachsen war. Unter derartigen Verhältnissen einen Roman zu fördern oder auch nur zu entwerfen, dazu hätte wahrhaftig eine widerstandsfähigere Natur gehört. Und was den Vorschuß anbetraf, so waren dem Verlag, der keineswegs «im Gelde schwamm», Grenzen gezogen, die er ohnehin schon öfter überschritten hatte, als sich kaufmännisch rechtfertigen ließ. Wir mußten ja Max Dauthendey, aus dessen Büchern damals kein Gewinn zu ziehen war, ständig behilflich sein, sich nur das schlichte Leben zu erhalten. Die Hergabe einer so großen Summe, wie er sie jetzt verlangte, auf einmal hätte uns für geraume Zeit die Möglichkeit genommen, ihm weiter beizustehen.

Dies waren ungefähr die Gründe, die den Langenschen Verlag bewogen, dem Dichter die Erfüllung seiner Bitte abzuschlagen. Die Aufgabe, ihm das so glimpflich beizubringen, wie es irgend ging, fiel mir zu und fiel mir nicht leicht. Da ich ihn kannte, wußte ich genau, wie hart ihn dies Zerschellen eines Planes treffen mußte, darein er sich mit aller Leidenschaft verbissen hatte. So mag ich wohl in dem Bestreben, ihm unser Nein als ein Gebot vernünftiger Erwägungen recht einleuchtend zu machen, übers Ziel geschossen, mag meinem Brief an ihn trotz aller liebevollen Meinung etwas Schulmeisterliches angehaftet haben – feststellen kann ich das nicht mehr. Ich weiß nur noch, daß er mir tief beleidigt antwortete: Er habe mir im Lauf der Jahre manche Derbheit nachgesehen, weil er empfand, daß sie aus guter freundschaftlicher Gesinnung kam, hier gehe meine Freundschaftsderbheit aber doch zu weit. Er sei kein Kind mehr, wie ich offenbar zu meinen scheine, sondern volle fünf Jahre älter und erfahrner als ich. Grade bei dem, was alle Welt als Unvernunft von ihm betrachtete, habe sich stets sein sichres Gefühl dafür bewährt, was er für seine Dichtung brauchte, und ohne solche «Unvernunft» hätte er seine bedeutendsten und besten Werke niemals schreiben können. Wovon er nach der Abessinienreise leben wolle, sei nicht Sache des Verlags, er müsse sich diese unzarte Einmischung in sein Privatleben verbitten und fühle sich selber Manns genug, für sich zu sorgen ... Kurzum, er zürnte mir im Ernst, und dieser Strich durch eine ihm sehr liebe Hoffnung ist mir von ihm nie ganz verziehen worden. Wohl war, nachdem ich ihm in dem Bewußtsein, mit meiner Absage das Richtige und einzig Mögliche getan zu haben, begütigend zugeredet hatte, die Freundschaft äußerlich bald wieder hergestellt – der Stachel aber blieb ihm im Fleisch.

Der Plan des großen europäischen Romans wurde vertagt und meines Erinnerns nie wieder nur mit einem Wort erwähnt. Wahrscheinlich hat es zu Max Dauthendeys Versöhnlichkeit mir gegenüber beigetragen, daß er die Schuld daran nicht bei sich selber suchen mußte. Unfruchtbar war die Zeit, die er, durch die Verhältnisse gezwungen, dann noch in Deutschland blieb, deswegen nicht; denn wir verdanken ihr außer so manchem andern, was nebenher entstand, seine bedeutenden und schönen Erinnerungsbücher «Der Geist meines Vaters» und «Gedankengut aus meinen Wanderjahren», die schwerer wiegen, als jene Rennewart-Geschichte selbst im besten Fall gewogen hätte.

Im Herbst des Jahres 1911 trafen Freund Max und ich uns ausnahmsweise in Berlin. Das kurz vorher verkrachte «Hebbeltheater» dort wurde unter einer neuen Leitung als «Theater an der Königgrätzerstraße» mit der ersten öffentlichen Aufführung von Dauthendeys Versdrama «Die Spielereien einer Kaiserin» wieder in Gang gebracht. Acht Tage später folgte an der gleichen Bühne mein Lustspiel «Hundstage». Das Publikum erwies den beiden Stücken recht viel Freundlichkeit, auch die Kritik verriß sie nicht zu sehr. Richtige Kassenschlager wurden sie freilich nicht, doch füllten sie, abwechselnd gegeben, durch fast drei Monate das Haus zwar niemals ganz, hingegen immer so, daß das Theater auf die Kosten kam. Das Dauthendeysche Stück erzielte sogar langsam wachsende Besucherziffern. Dann aber, mit der dritten Premiere der neuen Direktion, brach plötzlich so etwas wie eine Christenverfolgung über uns herein: Rößlers «Fünf Frankfurter» entfesselten derartige Beifallsstürme, daß Hunderte von ausverkauften Häusern darauf folgen mußten; und damit waren unsre weniger «tüchtigen» Stücke abgesetzt und – blieben es.

Ein Trost im Unglück war es für Max Dauthendey, daß die Berliner Aufführung mehrere große Bühnen – ich habe Hamburg, München, Wien und Leipzig im Gedächtnis – veranlaßte, sein Drama ebenfalls zu spielen, wogegen kleinere Theater an den Ausstattungskosten Anstoß nahmen. Immerhin hat, er damals durch seine «Spielereien» ein paar recht hübsche Monatseinkünfte gehabt, was freilich keine ganz reine Freude für ihn war. Er jammerte mir öfters brieflich vor, daß alle seine Gläubiger mit einem Schlag verrückt geworden wären und ihn auf Grund dieses ihn selbst doch schwer enttäuschenden Erfolgs für einen Millionär zu halten schienen. Jeder Idiot verlange plötzlich Geld von ihm. Da das durchaus glaubwürdig klang und wir von ihm nicht auch für irrsinnig gehalten werden wollten, zahlte ihm der Verlag, obgleich er bei ihm hoch im Vorschuß stand, die ganzen Bühnentantiemen aus – sah er doch ein, daß hier noch mancher Not zu steuern war.

Und so geschah es denn, daß einmal um die Monatsmitte – es dürfte im April des Jahres 1912 gewesen sein – Max Dauthendey an einem Samstag neunhundert Mark von uns geschickt bekam. Sie gleich zum Schuldenzahlen zu verwenden, spürte er keinen Drang – dafür blieb Montag ja noch Zeit genug. Es reizte ihn, sich dieses Wochenende über mit den neun blauen Scheinen in der Tasche richtig wohlhabend zu fühlen; und keine Ahnung flüsterte ihm zu, daß er mit dem Entschluß zu diesem harmlosen Vergnügen vielleicht den ersten Schritt in sein Verhängnis tat ...

Das Wetter billigte sein Vorhaben ersichtlich: Der nächste Morgen zog bei strahlend blauem Himmel frühlingswarm herauf. Deshalb beschloß der Dichter, mit seiner Frau eine Fußwanderung in die Umgebung Würzburgs anzutreten. Sie überquerten auf der neuen Brücke den Main, stiegen gemächlich den Leutfresserweg hinan und wendeten sich, auf der Höhe angelangt, nach Süden in den Guttenberger Wald. Max Dauthendey, den grade seine Erinnerungsbücher stark beschäftigten, fühlte sich dadurch seiner Heimat inniger verbunden und träumte lebhafter als je von einem Leben auf der eignen Scholle. Der von tief ausgefahrnen Gleisen zerrissene Weg, den sie beschritten hatten, führte sie nach einiger Zeit auf eine Lichtung. Rechts von dem Sträßchen stieg ein locker mit jungen Obstbäumen besetzter Grashang leise an, links ging es jäh in eine Schlucht hinunter, aus der sich dicht gedrängt die Wipfel alter Bäume hoben.

Entzückt von diesem Landschaftsbild, sagte Max Dauthendey zu seiner Frau: «Also, sich hier ein Häuschen hinzubaun ...! Wenn man das kaufen könnte – wunderbar!»

«Kaufen kann man das schon!» erklang die Stimme eines Bauern, der plötzlich aus dem Waldesschatten trat.

«Gehört das Ihnen?» rief der Dichter und umschrieb mit ausgestrecktem Arm den grünen Fleck.

«Freilich, gehört schon mein.»

«Und was wär denn der Preis?»

Der Bauer musterte den Stadtherrn nachdenklich. Dies für ihn unbequem gelegne Stück Waldwiese als Bauplatz anzubringen, hätte er sich wahrhaftig niemals träumen lassen. Endlich entschloß er sich, zu sprechen: «Ja ... ich mein ... sechshundert Mark.» Und hastig fügte er hinzu: «Ist nicht zuviel. Die Lage halt ...»

«Utmärkt billig!» sagte der Dichter überrascht auf schwedisch zu seiner Frau, und unwillkürlich tastete seine Rechte nach der Stelle, wo seine wohlgespickte Brieftasche stak.

Nun, genügend Schwedisch, um wenigstens das zweite dieser Worte zu verstehen, konnte der Bauer immerhin, und damit hatte er bereits erfaßt, wie dieser Fremde zu behandeln sei. Unter beiläufiger Erwähnung andrer Kauflustigen, die sich neuerdings bei ihm gemeldet hätten, drang er darauf, die Sache gleich durch Handschlag festzumachen und dann auch ohne unnütze Verzögerung zum Notar zu gehen.

So wurde Max Dauthendey – er wußte kaum, wie ihm geschah – in aller Form Rechtens zum Grundbesitzer, und so hat er mir die Geschichte später selbst erzählt. Wir im Verlag erfuhren von dieser «Kapitalsanlage» erst ein paar Monate nachher durch einen Brief, worin er uns mitteilte, daß er sich auf dem von ihm erworbnen Stück Land im Guttenberger Wald ein ganz bescheidnes Blockhaus bauen wolle, um dadurch künftighin die teure Wohnungsmiete in der Stadt zu sparen. Die Kosten für den Bau erbitte er sich als Vorschuß von uns – was wir ihm ja wohl nicht abschlagen würden, weil sie sich nur auf rund fünftausend Mark beliefen.

«Utmärkt billig» fand er offenbar auch dies – wir vom Verlage mußten notgedrungen andrer Meinung sein; und wieder traf es mich, ihm dies in aller Freundschaft klarzumachen. Ich schrieb ihm also und stellte ihm zunächst die Frage, worauf wir ihm denn diesen Vorschuß geben sollten. Die «Spielereien» seien überall schon wieder abgesetzt, und weitere Annahmen des Stückes blieben leider aus; mehrere Werke, die er erst zu schreiben habe, seien schon in einer Weise vorbelastet, die keine Steigerung mehr erlaube; für seinen laufenden Bedarf aufkommen müßten wir auch weiterhin, da er von den erhofften Einsparungen an Miete ja nicht leben könne; es wäre also angezeigt, den Blockhausbau auf bessere Zeiten zu verschieben.

Er antwortete mir, schon leicht gereizt, warum ich denn in meinem Brief von lauter Dingen rede, die er selbst zum Überdruß auswendig wisse, hingegen mit keinem Wort sein neues Stück erwähne, das vor acht Tagen an uns abgegangen und doch wohl schon von uns gelesen sei. Nach dem Erfolg der «Spielereien» würde es nächsten Winter ohne Zweifel über alle deutschen Bühnen gehen, und damit wären nicht nur diese fünftausend Mark, um die er nochmals dringend bitten müsse, sondern auch alles, was er uns von früher schulde, in ein, zwei Monaten gedeckt.

Ich seufzte tief, als ich das las. Ja, dieses Stück, worauf er so viel Hoffnung setzte! Es hieß «Die Heidin Geilane», und sein Stoff war die Legende des Würzburger Stadtheiligen Kilian. Mir sagte es nicht viel, doch mochten andere darüber anders denken – eins aber schien mir ganz gewiß: daß es unendlich schwer sein werde, es bei einer Bühne anzubringen.

Das nun Max Dauthendey dürr herauszusagen, dünkte mich in diesem Augenblick unmenschlich hart. Ich schrieb ihm also zurück, daß der Verlag sich gern bereiterkläre, seine «Heidin Geilane» ungesäumt zu drucken und den Theatern einzureichen. Zwar hätten diese für gereimte Versdramen nicht viel übrig und könnten auch am Ende Anstoß daran nehmen, daß das Werk ein – freilich umfangreicher – Einakter sei, und es aus diesem Grunde nicht für abendfüllend gelten lassen; wir wollten aber immerhin der besten Hoffnung sein und würden die Gewährung des Vorschusses auch nicht erst von dem Erfolg der Uraufführung abhängig machen, sondern ihm die verlangte Summe geben, sobald zwei größere Theater sein neues Drama angenommen hätten. Früher ginge es auf keinen Fall.

Dieser Brief von mir entflammte Max Dauthendey zu hellem Zorn, und ungemein kennzeichnend für ihn ist es, was ihn dabei am heftigsten erregte: nicht etwa unsere Absage, wie man doch hätte meinen sollen, sondern daß ich in seiner «Heidin» einen Einakter zu erblicken wagte. Jetzt hatte seine lebhaft Schlußfolgerungen ziehende Phantasie heraus, was ich für einer war: so etwas konnte nicht der sachliche Verleger schreiben, sondern nur der «Auchdramatiker» und mißgünstige Nebenbuhler. Man soll deswegen aber ja nicht glauben, daß er andre hinterm Busche suchte, weil er selbst dahinter saß o nein, das alles diente nur zur Übertäubung einer Lebensangst, die ihn bei dem Gedanken packte, was werden solle, wenn das neue Stück sich nicht bewährte.

Jedenfalls war er für eine Weile mit mir «fertig» und richtete sein nächstes Schreiben nicht an mich, sondern an meinen Verlagskollegen und Freund Geheeb. Er müsse sich bei ihm dagegen wehren, wie ich seine «Heidin Geilane» kleinzumachen trachte. Das Stück sei durchaus abendfüllend und mehr als das – an Zahl der Verse übertreffe es Schillers «Wallenstein». Wenn er es durchweg auf einem Schauplatz spielen und niemals zwischenhinein den Vorhang fallen lasse, tue er das, weil nur die langen Umbaupausen bei seinen «Spielereien» es veranlaßt hätten, daß dieses Stück nicht zu dem verdienten großen Kassenerfolg gekommen sei. Was mich zu meinem schiefen Urteil führe, scheine ihm freilich klar. Er wolle sich nicht näher äußern, doch habe es etwas Ungesundes, wenn ein Verleger selber Stücke schreibe. Natürlich könne mir das nicht verboten werden, als unerhört müsse er es jedoch bezeichnen, daß ich in meinen «Hundstagen» ihn, einen Dichter von seinem Rang, erkennbar auf die Bühne gebracht und lächerlich gemacht hätte.

«Auf einmal!» schmunzelte ich, als mich Geheeb das lesen ließ. Ich konnte nämlich diese furchtbare Anklage mühelos durch die Feststellung entkräften, daß ich mein Lustspiel – wie sichs auch gehörte – Max Dauthendey als erstem vorgelesen und er in keiner Weise Ärgernis daran genommen, sondern mir vergnügt bestätigt hatte, wie gut und liebenswürdig er darin getroffen sei.

Als ihm Geheeb dies ins Gedächtnis rief, antwortete er, man habe ihn natürlich mißverstanden. Das Recht, ihn zum Modell für eine keineswegs gehässig gesehene, wenn auch recht unbedeutende Bühnengestalt zu nehmen, streite er mir nicht ab – was er mir vorzuwerfen habe, sei etwas andres. Bei Aufführungen meiner «Hundstage» in verschiednen Städten schrieben die Kritiker immer wieder, daß der Verfasser bei der Schilderung seines Dichters offenbar an einen – bekannten Lyriker gedacht habe. Ich hätte ihn also nicht nur porträtiert, sondern, und das eben sei das Schlimme, diese Tatsache den Bühnen überallhin mitgeteilt, um auf die Art mein doch wohl leider ziemlich «sanftes» Stück – sensationell zu machen.

Auch wer mich gar nicht kennt und nichts von mir gelesen hat als diesen Aufsatz bis hierher, wird mir wohl glauben, daß ich solche Hirngespinste einer gekränkten Dichterseele nicht übel, sondern von der heitern Seite nahm. Nun ist es aber wohl in allen guten Ehen Brauch, daß sich die Frau Kränkungen, die ihrem Manne widerfahren, heftiger zu Herzen gehen läßt als dieser selbst. So fand denn meine Frau, die bisher stets durch dick und dünn zu Dauthendeys gehalten hatte, daß hiermit die Grenze überschritten und es das Gebotne sei, die Freundschaft jetzt für einige Zeit auf Eis zu legen. Ich widersprach ihr nicht, sah ich doch ein, daß dies mir künftig manchen Verdruß ersparen könne, der mir bisher aus meiner Doppeleigenschaft als Freund und als Verleger Dauthendeys erwachsen war. Fortan schrieb also nicht mehr Korfiz Holm an seinen lieben Max, sondern die Firma Albert Langen an den sehr verehrten Herrn Dauthendey, und unter jedem Brief stand neben meinem Namen noch ein zweiter. Persönlich also «schnitten» wir uns und waren, ohne uns das feierlich mitzuteilen, «böse» miteinander, während zwischen ihm und dem Verlag alles bald wieder in das alte Gleis zu kommen schien. Von seinem Blockhaus war nicht mehr die Rede, und wir glaubten fest, daß er dessen Erstellung, unsern Rat befolgend, auf eine günstigere Zeit verschoben hätte.

Wir waren also verblüfft, als er uns im Vorfrühling 1913 schrieb, er habe sich nun seine künftige Heimstatt bauen lassen, doch, da ihn das bei näherer Überlegung richtiger dünkte und er ja Platz für seine Arbeit brauche, nicht in Blockhausform, sondern massiv und etwas größer, als es im Anfang vorgesehen war. Natürlich sei das Haus entsprechend teurer ausgefallen und koste fünfundzwanzigtausend Mark. Nun müsse er dem Architekten aber schleunigst eine erste Rate von fünftausend Mark bezahlen und bitte uns aufs dringendste um den Betrag.

Dies vernahm ich mit aufrichtiger Bestürzung, erkannte ich doch besser als der Dichter selbst, was er sich damit aufgeladen hatte. Wir im Verlage sahen keine Möglichkeit, ihm da herauszuhelfen, und hofften nebenbei im stillen, daß unsre Absage der Anlaß für ihn werden möchte, alles zu tun, um dieses Haus, das er ja doch nie würde halten können, so schnell es irgend ginge, wieder loszuwerden. So wurde unsre Antwort, wie im vorigen Sommer, ein bestimmtes Nein.

Sein nächster Brief gab seinem bittern Befremden darüber Ausdruck, daß wir, die wir ihm stets vom Reisen abgeraten hätten, jetzt, wo er sich doch eine Art Versicherung gegen jede weitre Reise schaffen wolle, auch dazu nicht die Hand zu bieten willig seien. Im übrigen nahm er diese Enttäuschung ruhiger, als wir erwartet hatten, und ergab sich anscheinend ohne Groll in das, was sich zur Zeit nicht ändern ließ.

Nicht einmal mir persönlich schien er mehr zu grollen; denn bald darauf begann er wieder meiner Frau und mir zwar ziemlich kurz, doch freundschaftlich zu schreiben. Er erzählte uns von seinem Einstand in dem neuen Heim und schickte uns Lichtbilder von Haus und Garten, die uns zeigten, wie hübsch und stattlich beides ausgefallen war. Uns dünkte es ein wenig peinlich, ihn zu etwas zu beglückwünschen, worauf er sich nach unsrer Überzeugung nur zu seinem Unglück eingelassen hatte. Wir zogen also vor, zu tun, als wären wir auch weiter mit ihm böse, und nicht zu antworten. Auch er verstummte daraufhin für einige Zeit.

Dann eines schönen Frühherbsttages traf eine Ansichtskarte bei uns ein, auf deren Bildseite der feuerspeiende Berg Stromboli seine Rauchpinie in einen unwahrscheinlich blauen Öldruckhimmel steigen ließ, während uns auf der Anschriftseite Max Dauthendey zu wissen tat, er sei mit seiner Frau vor dem schrecklichen deutschen Wetter nach Süditalien geflüchtet und schicke uns von den Liparischen Inseln seinen schönsten Gruß.

Ich lächelte, als ich das las, und sagte zu meiner Frau: «Hab ich mir doch gedacht – jetzt, wo der Max ein Haus in Würzburg hat, wird er bestimmt nie mehr in Würzburg sein.» Dies scherzhaft hingeworfne und gemeinte Wort hat mir in der Erinnerung später fast einen Schauer über den Rücken laufen lassen, als sich erwies, daß ich da unbewußt etwas wie eine Prophezeiung ausgesprochen hatte. Tatsächlich ist der Dichter seit damals, wenn überhaupt, nur einmal noch für wenige Stunden in der Vaterstadt gewesen.

Nun war der Sommer 1913 bei uns wirklich unangenehm regenreich. Insofern ließ sich diese Flucht nach Süditalien gut verstehen. Schwerer verstanden wir es schon, woher er eigentlich das Geld dazu genommen hätte. Noch unverständlicher aber wurde die Angelegenheit, als wir erfuhren, Max Dauthendey habe auf der Rückfahrt München berührt, ohne uns aufzusuchen, und lebe nun in einer Berliner Pension. Dabei verhielt er sich dem Langenschen Verlage gegenüber weiter stumm, bezog auch keinen Pfennig mehr von uns.

«Was mag er wohl für einen Juden totgeschlagen haben?» fragte ich mich; und meine Kollegen erörterten besorgt die Möglichkeit, daß irgendein Verleger in Berlin dahinterstecke. Diese Befürchtung konnte ich nicht teilen; denn wenn ich auch dem Dichter selbst die ehrlich naive Auffassung zutraute, daß er durch unsere «Verständnislosigkeit» seiner Pflichten gegen uns entbunden sei, versah ich mich doch von der Berliner Konkurrenz, die da in Frage kam, nicht soviel geschäftsuntüchtiger Harmlosigkeit. «Wir können warten», meinte ich deshalb. «Was gilt die Wette? Er kommt ganz von selber wieder.»

Und er kam. An einem Wintermorgen kurz vor Weihnachten 1913 surrte auf meinem Schreibtisch im Verlag der Fernsprecher, und ich vernahm, daß mich Herr Dauthendey zu sprechen wünsche. «Am Telephon?» erkundigte ich mich – Nein, er sei selbst am Schalter. – «Also, ich lasse bitten», seufzte ich.

Der Dichter trat befangen lächelnd ein und wirkte, obgleich ich ihm ja sozusagen böse war, sofort mit der ihm eignen Unwiderstehlichkeit auf mich. Doch nahm ich mich zusammen und spielte täuschend den ernst höflichen Verleger.

Kaum daß er saß, gab Max sich einen Ruck und schwang sich mit kühnem Sprunge über seine Hemmungen hinweg. «Korfiz», brach es aus ihm hervor, «mir ist Entsetzliches passiert.»

«Also laß hören!» sagte ich. «Dann werden wir ja sehn.»

Und er begann. Ereignet hatte sich das Folgende: Sein Architekt, dessen auffallende Geduld ich mir nachträglich nur so erklären kann, daß er dem Dichter selbst zu diesem sonderbaren Hausbau zugeredet haben mag, hatte, da ja von seinem Bauherrn nichts zu holen und da auch angesichts der durch den Balkankrieg geschäftlich trüben Zeiten kein Bankgeld aufzutreiben war, Max Dauthendey gefragt, ob denn nicht er einen Bekannten oder Freund dazu bewegen könne, ihm eine erste Hypothek von wenigstens zehntausend Mark auf das Anwesen zu gewähren. Der Zufall wollte es, daß kurz darnach den Dichter ein Jugendfreund besuchte, der irgendwo auswärts in günstigen Umständen lebte, an Max Dauthendey sehr hing und alles, was er schuf, bewunderte, so auch sein letztes Werk: dies Haus. So kam es, daß er wegen einer Hypothek gern mit sich sprechen ließ, und so gelangte Max in den Besitz der angenehmen Summe von zehntausend Mark. Dies Geld, wo er doch selber so in Not war, seinem Architekten hinzuwerfen, hätte ihm sehr weh getan. Auch fühlte er sich von dem Aufenthalt in seinem neuen Heim schon recht bedrückt. Es lag so einsam, daß es fast zum Fürchten war. Am Abend stiegen aus dem Guckelesgraben, der Waldschlucht gegenüber seinem Gartentor, gespenstische Nebelschwaden auf, unheilverkündend schrien nachts die Eulen durch die schwere Stille... Dazu plätscherte der Regen Tag für Tag – was andrerseits ja freilich als Erleichterung zu begrüßen war. Max hatte sich nämlich, worauf wohl nur ein Dichter kommen kann, sein Haus an einen Platz gebaut, wohin nicht nur keine elektrische und keine Gasleitung gelegt war – schließlich gibt ja die altväterische Petroleumlampe auch ein «gütigeres» Licht –, sondern wo es bei schönem Wetter auch kein Wasser gab. Das mußten ihm dafür gedungne Leute in großen Bütten, die sie auf dem Rücken trugen, vom nächsten Dorf her fünfundzwanzig Minuten weit bergauf befordern.

Ich habe dies Haus Max Dauthendeys im Guttenberger Wald bloß einmal, kurz nach seinem Tod, betreten und glaube nicht, daß es nur die Dämmerstunde, zu der ich hinkam, und das Gefühl, hier müßte jetzt sein Schatten geistern, gewesen ist, was sich mir bei dem Aufenthalt in diesen Räumen, so wohnlich er sie auch mit alten und mit selbstentworfnen Möbeln eingerichtet hatte, schwer lastend auf die Seele legte. Daß er in diesem Heim nie für die Dauer hätte heimisch werden können, wurde mir mit Wehmut klar.

Ob er sich dessen ganz bewußt war, weiß ich nicht. Sicherlich trieb es ihn damals von dem allen fort. So «rettete» er sich und seine Hypothek nach Süditalien.

Nun höre ich gar manchen, der dies liest, befremdet äußern, so ahnungslos, sich dazu für berechtigt anzusehen, könne niemand sein – ich habe Max gekannt und weiß, daß er es war. Gewiß, ein wohlgesetzter Bürger täte so etwas nicht, und auch sein Ahnherr, der Mathematiker Casparus Dauthendey, hätte es nicht getan; von dessen rechnerischen Gaben aber war auf Max auch nicht ein Deut gekommen. Er war fest überzeugt, daß dieses Haus sein eigen sei, und machte sich nicht klar, daß ihm in Wirklichkeit kein Ziegelstein davon gehörte. So ahnungslos war er nun freilich wieder nicht, sich zu verhehlen, daß ihm sein Architekt die Sache übelnehmen würde. Hatte der aber schon so lange warten können, so könnte er das auch ein bißchen länger noch. Denn ewig würde es nicht dauern, bis ihn der endlich einsetzende Erfolg – am Ende gar der Nobelpreis – mit einem Schlag aus aller Not erlöste. Um sich jedoch Verdrießlichkeiten zu ersparen, ging er bei seiner Heimkehr aus Italien nicht nach Würzburg, sondern nach Berlin.

Verborgen für die Dauer blieb sein Aufenthalt in dieser Stadt dem Architekten aber nicht, und eines Tages traf die Botschaft von ihm ein, daß es ihm infolge einer Besserung der allgemeinen Lage geglückt sei, eine Bodenkreditbank für die Hergabe einer ersten Hypothek auf das Anwesen zu gewinnen. Er schickte allerhand Papiere mit, die Max bei einem Notar rechtsgültig unterfertigen sollte. Das konnte er natürlich nicht, er teilte dem Bedränger also mit, daß er zu dessen Gunsten höchstens eine zweite Hypothek eintragen lassen könne, denn eine erste hätte er schon selbst. Nun aber riß dem Architekten die Geduld, er wurde mehr als deutlich und sprach von Strafanzeige und vom Staatsanwalt.

Jetzt erst begriff der arme Max, was er da angerichtet hatte, und sein Schreck war groß. Er fuhr am gleichen Tag – was sollte er sonst tun! – zu seinem Jugendfreund und bat ihn flehentlich, mit seinen zehntausend Mark großmütig auf die zweite Stelle auszuweichen. Und dieser wahrhaft edle Mensch erklärte sich dazu bereit. Doch wer da glaubte, daß damit jede Gefahr auf lange abgewendet sei, der täuschte sich. Denn dieser böse Architekt forderte dringend mehr. Und wessen man sich von einem Mann versehen mußte, der rücksichtslos genug war, einem deutschen Dichter mit dem Staatsanwalt zu drohen – darüber gab sich Max Dauthendey jetzt keinem schönen Traum mehr hin.

Deshalb war er zu uns gekommen und brauchte auf der Stelle zehntausend Mark. Mit einem Teil des Geldes wollte er diesem unbequemsten unter seinen Gläubigern für einige Zeit den Mund zu stopfen suchen, der Rest sollte ihm helfen, sich bis Anfang September durchzuschlagen. Von da ab sei für ihn gesorgt: er habe mit einer Berliner Konzertagentur vereinbart, daß die ihn nächsten Winter auf eine Vortragsreise durch ganz Deutschland schicke. Und dann sei alles gut. Denn Richard Dehmel hätte damit Hunderttausende verdient.

Wenn ich das auch für übertrieben hielt und diese Aussichten nicht in so rosigem Lichte sah, sagte ich mir doch, daß wir wohl oder übel das, was später würde, der Zukunft überlassen und jetzt vor allem zusehen müßten, dem unglückseligen Dichter für den Augenblick zu helfen. Ich hieß ihn also warten und besprach mit meinen Kollegen vom Verlag den Fall. Sie waren durchaus meiner Meinung, nur schien es uns recht schwierig, zu ergründen, woraus wir ihm denn einen Vorschuß von annähernd der gewünschten Höhe geben sollten. Wir fanden aber schließlich einen Weg, den näher zu erörtern hier nicht nötig ist, und der unsern guten Herzen zweifellos mehr Ehre machte als unsern kaufmännischen Fähigkeiten, Max Dauthendey jedoch bis zum August des nächsten Jahres ein monatliches Einkommen von tausend Mark zusicherte. Der Dichter war mit allem dankbar einverstanden, und wir im Verlag schmeichelten uns der Hoffnung, so alles Nötige dafür getan zu haben, daß dieser Vorschuß sinngemäß Verwendung finde. Wir ahnten eben trotz langjährigen Erfahrungen noch nicht, auf welche sonderbare Art ein Dichter sich durch jede Wand ein Loch zu brechen weiß, wenn ihn sein Dämon treibt.

Als der Vertrag über den neuen Vorschuß abgeschlossen war und Max die erste Anzahlung in der Tasche hatte, saß er noch immer gleichsam wartend da. Was er vermißte, wußte ich genau: er wollte aufgefordert werden, mich zu Hause zu besuchen. Ich aber fand: «Wenn man schon böse miteinander ist, muß man auch böse miteinander sein», und stellte mich hartnäckig dumm. Endlich erhob er sich leicht vorwurfsvollen Angesichts, bedankte sich noch einmal, sprach die Hoffnung aus, daß wir uns bei meinem nächsten Besuch in Berlin dort treffen würden, drückte mir die Hand und ging.

Als ich an diesem Nachmittag nach Hause kam, begrüßte meine Frau mich mit der Kunde, daß sie Max Dauthendey zum Abendessen eingeladen habe.

«Ach was?» rief ich belustigt. «Und ich hab gedacht, du willst jetzt nichts mehr von ihm wissen?»

«Er war so nett am Telefon», erklärte sie.

Und diese jeden Widerstand umreißende Nettigkeit bewahrte Max, als er dann kam, bis weit nach Mitternacht. Er fühlte sich aus schwerer Not erlöst und sprudelte von liebenswürdiger Laune über. Damals erzählte er uns seine ganze Hausgeschichte noch einmal genau, nicht mehr als Trauerspiel, wie heute im Verlag, sondern mit dem entzückendsten, ganz leise selbstironischen Humor. Wenn ich sie einigermaßen unterhaltsam wiedergeben konnte, verdanke ich das ihm.

Als etwas für mich Neues kam der Bericht hinzu, auf welche Art er seine erste Hypothek nach Süditalien befördert hatte. Da er plötzlich die schön runde Summe in den Händen hielt, die ihm, wie er doch hoffte, lange dienen sollte, war er von der Furcht befallen worden, daß irgend etwas diesen Traum zu Wasser machen könnte. Begriffe, die ihn bisher nie beschäftigt hatten, wie Geldentwertung, drängten sich ihm auf. Ihn, der in Zeitungen nur das zu lesen pflegte, was unter dem Striche stand, hatte, weiß der liebe Gott, woher, die Ahnung angewandelt, daß ein Weltkrieg vor dem Ausbruch sei. (Er brauchte ausdrücklich dies Wort, das uns in jenen Tagen noch nicht so geläufig war, wie es uns späterhin geworden ist.) Dann aber würde auf der Erde niemand mehr Papiergeld nehmen wollen. Was also tun? – Er wußte Rat: er lief durch alle Bankgeschäfte Würzburgs und ließ nicht nach, bis er das ganze Geld in deutsche Goldstücke umgewechselt hatte. Ein Portemonnaie, das diese fassen konnte, gab es nicht, so steckte er sie lose in die Hosentasche und reiste, um ein Erkleckliches gewichtiger geworden, doch ohne weitre Kriegsfurcht ab. Aufregungen hatte es deswegen trotzdem noch genug gegeben. So war er einmal in Neapel schreckensbleich aus seinem schönsten Schlaf gefahren, weil ihm einfiel, daß er seine Hose zum Putzen vor die Tür gehängt hatte, ohne die Tasche auszuleeren, darinnen er sein Kapital verwahrte. Gestohlen worden war ihm aber nichts von seinem Gold – er hatte es schon selber redlich aufgebraucht.

Dies alles erzahlte er so hinreißend lebendig, daß ich mir einfach Tränen lachte und schließlich rief: «Den Stoff mußt du mir schenken!»

Er war dazu, wie immer zu Geschenken, gern bereit. Jedoch aus seiner Gabe Kapital zu schlagen, blieb mir verwehrt. Hätte ich diese erstaunliche Geschichte einer erfundnen Gestalt nachsagen wollen, wäre sie jedermann höchst unglaubwürdig vorgekommen. So etwas konnte nur Max Dauthendey erleben.

Nachdem er öfters schon vom Aufbrechen gesprochen hatte und immer wieder noch geblieben war, verabschiedete er sich – von meiner Frau für alle Zeit. So steht er ihr mit der fröhlichen Miene jenes Abends im Gedächtnis.

Ich sah ihn noch einmal, wohl Ende März des Jahres 1914, in Berlin. Dort führten wir ein Gespräch von ernsterer Art. Er sagte mir, daß er sich jetzt nach der Vollendung seiner «Geschichten aus den vier Winden» schöpferisch völlig ausgegeben fühle und wieder eine Reise brauche, um sich Anregung zu holen. «Aber», fügte er hinzu, «Korfiz, hab keine Angst: nicht eine große diesmal – eine kleine nur.»

«Wohin denn also?» fragte ich.

«Nach Neu-Guinea.» Und er sah mich zaghaft an.

Ich lachte auf. «Na, lieber Max, das scheint mir doch die weiteste, die möglich ist, wenn man nicht gleich rund um den Erdball will.»

«Korfiz, ich weiß doch, daß ich Anfang September wieder da sein muß – da fangen meine Vorträge ja an.» Und eifrig legte er mir dar, warum es grade Neu-Guinea sein müsse. Dort gebe es noch richtige Menschenfresser. Solche seien ihm noch nicht begegnet. Er versprach sich anscheinend viel davon für seine Kunst.

«Und woher nimmst du denn das Geld?» erkundigte ich mich.

Oh, meinte er, so teuer würde es ja nicht. Er habe an den Norddeutschen Lloyd geschrieben, ob nicht eine Ermäßigung des Passagepreises zu erlangen sei, wenn er sich verpflichte, Zeitungsaufsätze und späterhin ein Buch über die Reise abzufassen, und darauf hätte ihm die Reederei geantwortet, daß er dann nur die Hinfahrt zu bezahlen brauche, die Rückbeförderung erfolge kostenlos. – Nun müsse er aber den Verlag dringend ersuchen, ihm den Rest des Vorschusses sofort auf einmal auszuzahlen.

Ich riet Max Dauthendey, von diesem Plan zu lassen, und führte viele gute Gründe dafür an. Er hörte mir tieftraurig zu und widersprach nicht viel, so daß ich in der Meinung, ihn vollständig überzeugt zu haben, zurück nach München fuhr. Dort aber lag bei meiner Ankunft schon ein Brief von ihm, der, ohne auf seine Unterredung mit mir Bezug zu nehmen, die gleiche Bitte wie zuvor an mich jetzt an die Firma richtete.

Ihm unsre Absage ausführlich zu begründen, hatte keinen Zweck – das sah ich nun. Wir antworteten ihm also kurz, daß der Verlag die Mittel zur Erfüllung seines Wunsches leider nicht verfügbar hätte, es falle uns schon schwer genug, ihm monatlich die Raten auszuzahlen – was, nebenbei gesagt, auch keineswegs gelogen war.

Nun schwieg er sich eine Weile aus, dann schrieb er uns aus Bremen, daß er, da diese Reise eine künstlerische Notwendigkeit für ihn bedeute, seine Forderung an uns dem Norddeutschen Lloyd zediert habe (auf diese fachgemäße Ausdrucksweise schien er besonders stolz zu sein) und uns ersuche, die weiteren Monatsraten bei Fälligkeit dorthin zu überweisen. Wenn wir sonst noch irgend etwas von ihm wissen wollten, erreichten ihn bis zu dem und dem Tag Anfragen in Genua auf dem Dampfer «Goeben».

So trat Max Dauthendey die Reise an, die seine letzte werden sollte. Ob ihm jetzt keine Ahnung mehr von einem nahen Kriege sprach, das weiß ich nicht. Gemeldet haben mag sich solch ein Vorgefühl wohl hie und da; denn in Batavia auf Java war er Ende Mai schon fest entschlossen, wieder umzukehren und die Fahrt nach Neu-Guinea aufzugeben. Hätte er daran festgehalten, dann wäre er grade noch vor Kriegsausbruch wieder daheim gewesen. Der Dämon aber, der ihn trieb, hat es anders gewollt; und diesmal, wo es ihn gleich anfangs so stark zurück nach Deutschland zog, dürfte es kaum sein alter Dämon Ferneweh gewesen sein, sondern vielmehr der Alb, zu dem sein Haus mit allem, was sich daran knüpfte – sein Schicksalshaus im Guttenberger Wald –, für ihn geworden war. Die Weiterreise schob den Tag hinaus, da sich die Würzburger Gläubiger auf ihn stürzen würden. Dem zog er den Verkehr mit Menschenfressern vor. Ich sage das nicht nur so hin: ich weiß, daß er drei Jahre später noch, als ihn die Sehnsucht nach dem deutschen Boden fast verbrannte, aus demselben Grund mit schwerster Sorge an die Heimkehr dachte. Denn hatte er den Weltkrieg auch vorausgeahnt – die große Inflation vorauszuahnen, die reiche Männer arm werden ließ, verschuldete aber aus der Schuldverstrickung löste, dafür fehlte ihm die Gabe, weil Bankmanöver sich auf einer Ebene vollziehen, wohin die Seele keinen Zugang hat.

Dann mit dem Kriege, der ihn in der Banda-See ereilte, fing eine furchtbare, vier Jahre währende Folter für ihn an, die erst sein Tod beendete. Nun haben mir ja nüchternere Menschen, die während dieser Zeit mit ihm zusammen waren, gesagt, man solle doch die Dinge auch nicht übertreiben: Java sei in den höheren Lagen ein Paradies, es wäre Max Dauthendey dort bis zu seiner tödlichen Erkrankung eigentlich recht gut gegangen, und man hätte ihn zuweilen ganz vergnügt gesehen. Was heißt das schon! Kein Mensch kann Jahr um Jahr ununterbrochen trauern, und vor allem war der Dichter viel zu takt- und rücksichtsvoll, um andre immerfort mit seinem Jammer zu beschweren. Wer ihn gekannt hat und vielleicht auch schon, wer seines Wesens einen Hauch aus dem verspürt hat, was ich hier wahrheitsgetreu, doch mit dem Blick der Liebe geschaut von ihm erzählte, kann Seelenqualen eines Menschen von solcher Leidenschaft und Schmerzempfindlichkeit, wie er einer gewesen ist, nicht eingebildet heißen, weil stumpfere und derbere Naturen nicht in der Lage sind, sie nachzufühlen; und der ermißt, was es für ihn bedeutet haben muß, hier wohl zum erstenmal im Leben vor einer Wand zu stehen, in die nicht einmal die unbändige Sehnsucht nach seiner Frau und seinem im schwersten Kampfe liegenden Vaterland ihm eine Öffnung brechen konnte. Seine Briefe und Tagebücher aus der Zeit bezeugen es erschütternd, daß er das bittre Sterben in seinem Herzen vielhundertmal erlitten hat, bevor er wirklich starb.

Hier könnte allerdings ein ganz Gescheiter sagen: Daß er damals nach Neu-Guinea reiste, hätte er sich selber zuzuschreiben, und damit auch das ganze Trennungsweh. Banalitäten lassen sich schwer widerlegen. Wer immerzu im Flachland bleibt, stürzt selbstverständlich nie von einem Gipfel ab, wird aber die Welt auch nie von oben sehen und es sich gefallen lassen müssen, daß man ihn einen Philister nennt. Max Dauthendey hat oft gesagt, ein Dichter habe den gefährlichsten Beruf, und heute reut es mich, daß ich mich hie und da darüber lustig machte. Denn, mag es auch ein wenig sonderbar geklungen haben, er hatte, was ihn selbst betraf, sehr wahr gesprochen: sein Leben ist, auch wenn er still daheim saß, immer bis zum äußersten gewagt gewesen, und er hat sich darüber nicht getäuscht, nein, seine Phantasie sah die Gefahren, die ihm drohten, eher zu groß als zu gering; so hat er, was man seinen Leichtsinn heißen könnte, im tiefsten niemals leicht genommen. Nur das Bewußtsein seiner echten Künstlerschaft und die gewisse Hoffnung, daß sein Volk sie bald erkennen und belohnen müsse, hat ihn zeitweise von der Lebensangst befreit. Wer eine, wie die Griechen sagten, Hybris darin sieht, daß er sich nicht brav bürgerlich nach der Decke streckte, mag sein sogenanntes Gerechtigkeitsgefühl damit beruhigen, daß er diese Schuld, wenn es für ihn als Künstler eine war, in seinen letzten Jahren mehr als abgebüßt hat. Ich wünsche diesem weisen und gestrengen Richter solche Leiden nicht.

Die beste Rechtfertigung für einen Dichter aber ist, was er uns gab. Wäre Max Dauthendey als Mensch nicht der gewesen, der er war, dann hätte sein Werk nicht werden können, was es ist: Ein aus jungfräulicher Erde aufgeschossener Baum mit breiter, blütenschwerer Krone, in deren Schatten Geschlechter um Geschlechter gleich uns Labung suchen werden, solang es deutsche Menschen gibt.


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