Hugo von Hofmannsthal
Der Rosenkavalier
Hugo von Hofmannsthal

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Dritter Akt

Ein Extrazimmer in einem Gasthaus. Im Hintergrunde links ein Alkoven, darin ein Bett. Der Alkoven durch einen Vorhang verschließbar, der sich auf- und zuziehen läßt. Vorne rechts Türe ins Nebenzimmer. Rechts steht ein für zwei Personen gedeckter Tisch, auf diesem ein großer, vielarmiger Leuchter. In der Mitte rückwärts Türe auf den Korridor. Daneben links ein Büfett. Rechts rückwärts ein blindes Fenster, vorne links ein Fenster auf die Gasse. Armleuchter mit Kerzen auf den Seitentischen sowie an den Wänden. Es brennt nur je eine Kerze in den Leuchtern auf den Seitentischen. Das Zimmer halbdunkel.

Annina steht da, als Dame in Trauer gekleidet. Valzacchi richtet Annina den Schleier, zupft da und dort das Kleid zurecht, tritt zurück, mustert sie, zieht einen Crayon aus der Tasche, untermalt ihr die Augen. Die Türe rechts wird vorsichtig geöffnet, ein Kopf erscheint, verschwindet wieder, dann kommt eine nicht ganz unbedenklich aussehende, aber ehrbar gekleidete Alte durch die rückwärtige Tür hereingeschlüpft, öffnet lautlos die Tür und läßt respektvoll Octavian eintreten, in Frauenkleidern, mit einem Häubchen, wie es die Bürgerstöchter tragen.

Octavian, hinter ihm die Alte, gehen auf die beiden anderen zu, werden sogleich von Valzacchi bemerkt, der in seiner Arbeit innehält und sich vor Octavian verneigt. Annina erkennt nicht sofort den Verkleideten, sie kann sich vor Staunen nicht fassen, knixt dann tief. Octavian greift in die Tasche (nicht wie eine Dame, sondern wie ein Herr, und man sieht, daß er unter dem Reifrock Männerkleider und Reitstiefel an hat, aber ohne Sporen) und wirft Valzacchi eine Börse zu.

Valzacchi und Annina küssen ihm die Hände, Annina richtet noch an Octavians Brusttuch. Indessen sind fünf verdächtige Herren unter Vorsichtsmaßregeln von rechts eingetreten. Valzacchi bedeutet sie mit einem Wink, zu warten. Sie stehen rechts nahe der Türe. Valzacchi zieht seine Uhr, zeigt Octavian: es ist hohe Zeit. Octavian geht eilig durch die Mitteltüre ab, gefolgt von der Alten, die als seine Begleiterin figuriert. Annina geht zum Spiegel (alles mit Vorsicht, jedes Geräusch vermeidend), arrangiert sich noch, zieht dann einen Zettel hervor, woraus sie ihre Rolle zu lernen scheint. Valzacchi nimmt die Verdächtigen nach vorne, indem er mit jeder Gebärde die Notwendigkeit höchster Vorsicht andeutet. Die Verdächtigen folgen ihm auf den Zehen nach der Mitte. Er bedeutet ihrer einen, ihm zu folgen: lautlos, ganz lautlos. Führt ihn an die Wand rechts, öffnet lautlos eine Falltür unfern des gedeckten Tisches, läßt den Mann hinabsteigen, schließt wieder die Falltür. Dann winkt er zwei zu sich, schleicht ihnen voran bis an die Eingangstüre, steckt den Kopf heraus, vergewissert sich, daß niemand zusieht, winkt die zwei zu sich, läßt sie dort hinaus. Dann schließt er die Türe, führt die beiden letzten leise an die Tür zum Nebenzimmer vorne, schiebt sie hinaus. Winkt Annina zu sich, geht mit ihr leise rechts ab, die Türe lautlos hinter sich schließend. Nach einem Augenblick kommt er wieder herein: klatscht in die Hände. Der eine Versteckte hebt sich mit halbem Leib aus dem Boden hervor. Zugleich erscheinen ober dem Bett und an anderen Stellen Köpfe und verschwinden sogleich wieder, die geheimen Schiebtüren schließen sich ohne Geräusch. Valzacchi sieht abermals nach der Uhr, geht nach rückwärts, öffnet die Eingangstür, dann zieht er ein Feuerzeug hervor, beginnt eifrig die Kerzen auf dem Tisch anzuzünden. Ein Kellner und ein Kellnerjunge kommen durch die Mitteltüre gelaufen mit zwei Stöcken zum Kerzenanzünden und einer kleinen Leiter. Entzünden die Leuchter auf den Seitentischen, dann die zahlreichen Wandarme. Sie haben die Türe hinter sich offengelassen, man hört aus einem anderen Zimmer Tanzmusik spielen. Valzacchi eilt zur Mitteltür, öffnet dienstbeflissen auch den zweiten Flügel, springt unter Verneigung zur Seite.

Baron Ochs erscheint, den Arm in der Schlinge, Octavian mit der Linken führend, hinter ihm der Leiblakai. Baron mustert den Raum. Octavian sieht herum, nimmt den Spiegel, richtet sein Haar. Baron bemerkt den Kellner und Kellnerjungen, die noch mehr Kerzen anzünden wollen, winkt ihnen, sie sollten es sein lassen. In ihrem Eifer bemerken sie es nicht.

Baron: ungeduldig, reißt den Kellnerjungen von der Leiter, löscht einige ihm zunächst brennende Kerzen mit der Hand aus. Valzacchi zeigt dem Baron diskret den Alkoven und durch eine Spalte des Vorhanges das Bett.

Der Wirt mit noch mehreren Kellnern eilt herbei, den vornehmen Gast zu begrüßen.

Wirt
Haben Euer Gnaden weitere Befehle?

Die Kellner
Befehlen mehr Lichter? Ein größeres Zimmer? Befehlen noch mehr
Silber auf den Tisch?

Baron eifrig beschäftigt mit einer Serviette, die er vom Tisch genommen und entfaltet hat, alle ihm erreichbaren Kerzen auszulöschen
Verschwind'ts! Macht mir das Madel nicht verruckt!
Was will die Musik? Hab' sie nicht bestellt.

Der Wirt
Schaffen vielleicht, daß man sie näher hört?
Im Vorsaal da, als Tafelmusik.

Baron
Laß Er die Musik wo sie ist.
Bemerkt das Fenster rechts rückwärts im Rücken des gedeckten Tisches
Was is das für ein Fenster da?
Probiert, ob es hereinzieht.

Wirt
Ein blindes Fenster nur.
Verneigt sich
Darf aufgetragen werd'n?

Alle fünf Kellner wollen abeilen.

Baron
Halt, was wollen die Maikäfer da?

Die Kellner an der Tür
Servieren, Euer Gnaden!

Baron winkt ab
Brauch' niemand nicht. Servieren wird mein Kammerdiener da,
einschenken tu' ich selber. Versteht Er?

Valzacchi bedeutet sie, den Willen Seiner Gnaden wortlos zu respektieren. Schiebt sie zur Tür hinaus.

Baron zu Valzacchi, indem er aufs neue eine Anzahl von Kerzen auslöscht, darunter mit einiger Mühe die hoch an der Wand brennenden
Er ist ein braver Kerl. Wenn Er mir hilft, die Rechnung runter drucken,
dann fallt was ab für Ihn. Kost' sicher hier ein Martergeld.

Valzacchi unter Verneigung ab.

Octavian ist nun fertig.

Baron führt ihn zu Tisch, sie setzen sich.

Der Lakai am Bufett sieht mit unverschämter Neugierde der Entwicklung des Tête-à-tête entgegen, stellt Karaffen mit Wein vom Büfett auf den Eßtisch. Baron schenkt ein. Octavian nippt. Baron küßt Octavian die Hand. Octavian entzieht ihm die Hand. Baron winkt dem Lakaien abzugehen, muß es mehrmals wiederholen, bis der Lakai endlich geht.

Octavian schiebt sein Glas zurück
Nein, nein, nein, nein! I trink' kein Wein.

Baron
Geh', Herzerl, was denn? Mach' doch keine Faxen.

Octavian
Nein, nein, i bleib' net da.
Springt auf, tut, als wenn er fort wollte.

Baron packt ihn mit seiner Linken
Sie macht mich deschparat.

Octavian
Ich weiß schon, was Sie glauben! O Sie schlimmer Herr!

Baron sehr laut
Saperdipix! Ich schwör' bei meinem Schutzpatron!

Octavian tut sehr erschrocken, läuft, als ob er sich irrte, statt zur Ausgangstür gegen den Alkoven, reißt den Vorhang auseinander, erblickt das Bett. Gerät in übermäßiges Staunen, kommt ganz betroffen auf den Zehen zurück
Jesus Maria, steht a Bett drin, a mordsmäßig großes.
Ja mei, wer schlaft denn da?

Baron führt ihn zurück an den Tisch
Das wird Sie schon sehen. Jetzt komm' Sie, setz' Sie sich schön.
Kommt gleich der mit'n Essen. Hat Sie denn kein Hunger nicht?
Legt ihm die Linke um die Taille

Octavian
Au weh, wo Sie ja doch ein Bräutigam tun sein.
Wehrt ihn ab.

Baron
Ah laß Sie schon einmal das fade Wort!
Sie hat doch einen Kavalier vor sich
und keinen Seifensieder:
Ein Kavalier läßt alles,
was ihm nicht konveniert,
da draußen vor der Tür. Hier sitzt kein Bräutigam
und keine Kammerjungfer nicht.
Hier sitzt mit seiner Allerschönsten ein Verliebter beim Souper.
Zieht ihn zu sich.

Octavian lehnt sich kokett in den Sessel zurück, mit halbgeschlossenen Augen.

Baron erhebt sich, der Moment für den ersten Kuß scheint ihm gekommen. Wie sein Gesicht dem der Partnerin ganz nahe ist, durchzuckt ihn jäh die Ähnlichkeit mit Octavian. Er fährt zurück und greift unwillkürlich nach dem verwundeten Arm
Is ein Gesicht! Verfluchter Bub!
Verfolgt mich als a Wacher und im Traum!

Octavian öffnet die Augen, blickt ihn frech und kokett an. Baron, nun wieder versichert, daß es die Zofe ist, zwingt sich zu einem Lächeln. Aber der Schreck ist ihm nicht ganz aus den Gliedern. Er muß Luft schöpfen, und der Kuß bleibt aufgeschoben. Der Mann unter der Falltür öffnet zu früh und kommt zum Vorschein.

Octavian, der ihm gegenübersitzt, winkt ihm eifrig zu verschwinden. Der Mann verschwindet sofort.

Baron, der, um den unangenehmen Eindruck von sich abzuschütteln, ein paar Schritte getan hat und sie von rückwärts umschlingen und küssen will, sieht gerade noch den Mann. Er erschrickt heftig, zeigt hin.

Octavian als verstände er nicht
Was ist mit Ihm?

Baron auf die Stelle deutend, wo die Erscheinung verschwunden ist
Was war denn das? Hat Sie den nicht geseh'n?

Octavian
Da is ja nix!

Baron
Da is nix?
Nun wieder ihr Gesicht angstvoll musternd
So?
Und da is auch nix?
Fährt mit der Hand über ihr Gesicht.

Octavian
Da is mei G'sicht.

Baron atmet schwer, schenkt sich ein Glas Wasser ein
Da is Ihr G'sicht – und da is nix – mir scheint,
ich hab' die Kongestion.

Setzt sich schwer, es ist ihm ängstlich zumute. Der Lakai kommt, serviert. Die Musik von draußen stärker.

Octavian
Die schöne Musik!

Baron wieder sehr laut
Is mei Leiblied, weiß Sie das?
Winkt dem Lakaien abzugehen, Lakai geht.

Octavian horcht auf die Musik
Da muß ma weinen.

Baron
Was?

Octavian
Weil's gar so schön is.

Baron
Was, weinen? Wär' nicht schlecht.
Kreuzlustig muß Sie sein, die Musik geht ins Blut.
G'spürt Sie's jetzt.
Auf die letzt, g'spürt Sie's dahier, daß Sie aus mir
kann machen alles frei, was Sie nur will?

Octavian zurückgelehnt, wie zu sich selbst sprechend, mit unmäßiger Traurigkeit
Es is ja eh alls eins, es is ja eh alls eins,
was ein Herz auch noch so gach begehrt.
Indes der Baron ihre Hand faßt
Na was willst denn halt, so mit aller G'walt.
Geh', es is ja all's net drumi wert.

Baron
Was hat Sie? Is sehr wohl der Müh' wert!

Octavian immer gleich melancholisch
Wie die Stund' hingeht, wie der Wind verweht,
so sind wir bald alle zwei dahin.
Menschen sein ma halt, richt'ns nicht mit Gwalt,
weint uns niemand nach, net dir net und net mir.

Baron
Macht Sie der Wein leicht immer so? Is ganz gewiß Ihr Mieder,
das aufs Herz Ihr druckt.

Octavian mit geschlossenen Augen gibt keine Antwort.

Baron steht auf und will ihr aufschnüren
Jetzt wird's frei mir ein bissen heiß.

Schnell entschlossen nimmt er seine Perücke ab und sucht sich einen Platz, sie abzulegen. Indem erblickt er ein Gesicht, das sich über dem Alkoven zeigt und ihn anstarrt. Das Gesicht verschwindet gleich wieder. Er sagt sich: Kongestionen! und verscheucht sich den Schrecken, muß sich aber doch die Stirne abwischen. Sieht nun wieder die Zofe willenlos, wie mit gelösten Gliedern, dasitzen. Das ist stärker als alles, und er nähert sich ihr zärtlich. Da meint er wieder das Gesicht Octavians ganz nahe dem seinigen zu erkennen, und er fährt abermals zurück. Mariandl rührt sich kaum. Abermals verscheucht der Baron sich den Schreck, ein zwingt Munterkeit in sein Gesicht zurück, da fällt sein Auge von neuem auf einen fremden Kopf, welcher aus der Wand hervorstarrt. Nun ist er maßlos geängstigt, er schreit dumpf auf, ergreift die Tischglocke und schwingt sie wie rasend.

Da, da, da, da!

Plötzlich springt das angeblich blinde Fenster auf, Annina in schwarzer Trauerkleidung erscheint und zeigt mit ausgestreckten Armen auf den Baron.

Baron außer sich vor Angst
Da, da, da, da!
Sucht sich den Rücken zu decken.

Annina
Er ist's! Es ist mein Mann! Er ist es!
Verschwindet.

Baron angstvoll
Was ist denn das?

Octavian
Das Zimmer ist verhext!
Schlägt ein Kreuz.

Annina gefolgt von dem Intriganten, der sie scheinbar abzuhalten sucht, vom Wirt und von drei Kellnern, stürzt zur Mitteltür herein; sie bedient sich des böhmisch-deutschen Akzents, aber gebildeter Sprechweise
Es ist mein Mann, ich leg' Beschlag auf ihn!
Gott ist mein Zeuge, Sie sind meine Zeugen!
Gerichte! Hohe Obrigkeit! Die Kaiserin
muß ihn mir wiedergeben!

Baron zum Wirt
Was will das Weibsbild da von mir, Herr Wirt?
Was will der dort und der und der?
Zeigt nach allen Richtungen
Der Teufel frequentier' Sein gottverfluchtes Extrazimmer.

Annina
Er wagt mich zu verleugnen, ah!
Er tut, als ob er mich nicht täte kennen.

Baron hat sich eine kalte Kompresse auf den Kopf gelegt, hält sie mit der Linken fest, geht dann dicht auf die Kellner, den Wirt, zuletzt auf Annina zu, mustert sie ganz scharf, um sich über ihre Realität klar werden. Vor Annina
Is auch lebendig!
Wirft die Kompresse weg. Sehr bestimmt
Ich hab' wahrhaftigen Gott das Möbel nie geseh'n!

Annina klagenden Tons
Aah!

Baron zum Wirt
Debarassier' Er mich und laß Er fortservieren.
Ich hab' Sein Beisl heut' zum letztenmal betreten.

Annina als entdeckte sie jetzt erst die Gegenwart Octavians
Aah! Es ist wahr, was mir berichtet wurde,
er will ein zweites Mal heiraten, der Infame,
ein zweites unschuldiges Mädchen, so wie ich es war.

Der Wirt, die Kellner
Oh, Euer Gnaden!

Baron
Bin ich in einem Narrnturm? Kreuzelement!
Schüttelt kräftig mit der Linken Valzacchi, der ihm zunächst steht
Bin ich der Baron Lerchenau oder bin ich es nicht?
Fährt mit dem Finger ins Licht
Is das ein Kerzl, is das ein Serviettl?
Schlägt mit der Serviette durch die Luft
Bin ich bei mir?

Annina
Ja, ja, du bist es, und so wahr als du es bist,
bin ich es auch, und du erkennst mich wohl,
Leupold Anton von Lerchenau,
bedenk', dort oben ist ein Höherer,
der deine Schlechtigkeit durchschaut und richten wird.

Baron staunt sie fassungslos an. Für sich
Kommt mir bekannt vor.
Sieht wieder auf Octavian
Hab'n doppelte Gesichter, alle miteinander.
Sieht angstvoll nach den Stellen in der Wand und im Fußboden
Is was los mit mir, was Fürchterliches!
Geht wie verloren ganz nach vorne an die Rampe.

Die Kellner dumpf
Die arme Frau, die arme Frau Baronin!

Annina
Kinder! herein! und hebt's die Hände auf zu ihm!

Vier Kinder zwischen vier und zehn Jahren stürzen herein und auf Anninas Wink auf den Baron zu.

Die Kinder durchdringend
Papa! Papa! Papa!

Annina
Hörst du die Stimme deines Bluts!?

Baron schlägt wütend mit einer Serviette, die er vom Tisch reißt, nach ihnen
Debarassier Er mich von denen da,
von der, von dem, von dem, von dem!
Zeigt nach allen Richtungen.

Wirt im Rücken des Barons leise
Halten zu Gnaden, gehen nicht zu weit,
könnten recht bitter-böse Folgen von der Sach' gespüren.

Baron
Was? Ich was g'spüren? Von dem Möbel da?
Hab's nie nicht angerührt, nicht mit der Feuerzang'!

Annina schreit klagend auf
Aah!

Wirt wie oben
Die Bigamie ist halt kein G'spaß – ist – haben schon die Gnad',
ein Kapitalverbrechen!

Valzacchi sich ebenfalls an den Baron heranschleichend
Ik rat' Euer Gnad'n, seien vorsicktig!
Die Sittenpolizei sein gar nit tolerant!

Baron in Wut
Die Bigamie? Nit tolerant? Papa, Papa, Papa?
Greift sich an den Kopf
Schmeiss' Er hinaus das Trauerpferd! Wer? Was? Er will nicht?
Was? Polizei! Die Lackln woll'n nicht? Spielt das Gelichter
leicht alles unter einem Leder gegen meiner?
Sein wir in Frankreich? Sein wir unter die Kurutzen?
Oder in kaiserlicher Hauptstadt? Polizei!
Reißt das Gassenfenster auf
Herauf da, Polizei! Gilt Ordnung herzustellen
und einer Stand'sperson zu Hilf' zu eilen.

Wirt
Mein renommiertes Haus! Das muß mein Haus erleben!

Die Kinder
Papa! Papa! Papa!

Valzacchi indessen leise zu Octavian.

Octavian leise
Ist gleich wer fort, den Faninal zu holen?

Valzacchi
Sogleich in Anfang. Wird sogleich zur Stelle sein.

Stimmen von außen dumpf
Die Polizei, die Polizei!

Kommissarius und zwei Wächter treten auf. Alles rangiert sich, ihnen Platz zu machen.

Valzacchi zu Octavian leise
O weh, was macken wir?

Octavian
Verlass' Er sich auf mich und lass' Er's geh'n wie's geht.

Valzacchi
Zu Euer Exzellenz Befehl!

Kommissarius scharf
Halt! Keiner rührt sich! Was ist los?
Wer hat um Hilf' geschrie'n? Wer hat Skandal gemacht?

Baron auf ihn zu, mit der Sicherheit des großen Herrn
Is alls in Ordnung jetzt. Bin mit Ihm wohl zufrieden.
Hab' gleich verhofft, daß in der Wienerstadt alls wie am Schnürl geht.
Schaff' Er mir da das Pack vom Hals; ich will in Ruh' soupieren.

Kommissarius
Wer ist der Herr? Was gibt dem Herrn Befugnis?
Ist Er der Wirt?

Baron sperrt den Mund auf.

Kommissarius scharf
Dann halt Er sich gefällig still
und wart' Er, bis man Ihn vernehmen wird.

Baron retiriert sich etwas perplex, beginnt nach seiner Perücke zu suchen, die in dem Tumult abhanden gekommen ist und unauffindbar bleibt.

Kommissarius nimmt Platz, die zwei Wächter nehmen hinter ihm Stellung
Wo ist der Wirt?

Wirt devot
Mich dem Herrn Oberkommissarius schönstens zu rekommandieren.

Kommissarius
Die Wirtschaft da rekommandiert Ihn schlecht!
Bericht' Er jetzt.

Wirt
Herr Oberkommissar!

Kommissarius
Ich will nicht hoffen, daß Er mir mit Laugnen kommt.

Wirt
Herr Kommissarius!

Kommissarius
Vom Anfang!

Wirt
Dahier, der Herr Baron!

Kommissarius
Der große Dicke da? Wo hat Er Sein Paruckl?

Baron der die ganze Zeit gesucht hat
Das frag' ich Ihn!

Wirt
Das ist der Herr Baron von Lerchenau!

Kommissarius
Genügt nicht.

Baron
Was?

Kommissarius
Hat Er Personen nahebei,
die für Ihn Zeugnis geben?

Baron
Gleich bei der Hand! Da, hier mein Sekretär, ein Italiener.

Valzacchi wechselt mit Octavian einen Blick des Einverständnisses
Ick excusier mick. Ick weiß nix. Die Herr
kann sein Baron, kann sein auch nit. Ick weiß von nix.

Baron außer sich
Das ist doch stark, wällischer Bruder, falscher!
Geht mit erhobener Linken auf ihn los.

Kommissarius Zum Baron scharf
Für's erste moderier' Er sich.

Wächter springt vor, hält den Baron zurück.

Octavian der bisher ruhig rechts gestanden, tut nun, als ob er, in Verzweiflung hin- und herirrend, den Ausweg nicht fände und das Fenster für eine Ausgangstür hält
O mein Gott, in die Erd'n möcht' ich sinken!
Heilige Mutter von Maria Taferl!

Kommissarius
Wer ist dort die junge Person?

Baron
Die? Niemand. Sie steht unter meiner Protektion!

Kommissarius
Er selber wird bald eine Protektion sehr nötig haben.
Wer ist das junge Ding, was macht sie hier?
Blickt um sich
Ich will nicht hoffen, daß Er ein gottverdammter Deboschierer
und Verführer ist. Da könnt's Ihm schlecht ergeh'n.
Wie kommt Er zu dem Mädel? Antwort will ich.

Octavian
Ich geh' ins Wasser!
Rennt gegen den Alkoven, wie um zu flüchten, und reißt den Vorhang auf, so daß man das Bett friedlich beleuchtet dastehen sieht

Kommissarius erhebt sich
Herr Wirt, was seh' ich da?
Was für ein Handwerk treibt denn Er?

Wirt verlegen
Wenn ich Personen von Stand zum Speisen oder Nachtmahl hab' –

Kommissarius
Halt Er den Mund. Ich nehm' Ihn später vor.
Zum Baron
Jetzt zähl' ich noch bis drei, dann will ich wissen,
wie Er da zu dem jungen Bürgermädchen kommt.
Ich will nicht hoffen, daß Er sich einer falschen Aussag' wird unterfangen.

Wirt und Valzacchi deuten dem Baron durch Gebärden die Gefährlichkeit der Situation und die Wichtigkeit seiner Aussage an.

Baron winkt ihnen mit großer Sicherheit, sich auf ihn zu verlassen, er sei kein heuriger Has'
Wird wohl kein Anstand sein bei Ihm, Herr Kommissär,
wenn eine Standsperson mit seiner ihm verlobten Braut
um neune abends ein Souper einnehmen tut.
Blickt um sich, die Wirkung seiner schlauen Aussage abzuwarten.

Kommissarius
Das wäre Seine Braut? Geb' Er den Namen an
vom Vater und's Logis; wenn Seine Angab' stimmt,
mag Er sich mit der Jungfer retirieren.

Baron
Ich bin wahrhaftig nicht gewöhnt, in dieser Weise –

Kommissarius scharf
Mach' Er die Aussag' oder ich zieh' andre Saiten auf.

Baron
Werd' nicht manquieren. Ist die Jungfer Faninal
Sophia, Anna Barbara, eheliche Tochter
des wohlgeborenen Herrn von Faninal,
wohnhaft am Hof im eigenen Palais.

An der Tür haben sich Gasthofpersonal, andere Gäste, auch einige der Musiker aus dem anderen Zimmer neugierig angesammelt.

Herr von Faninal drängt sich durch sie durch, eilig, aufgeregt in Hut und Mantel.

Faninal
Zur Stell! Was wird von mir gewünscht?
Auf den Baron zu
Wie sieht Er aus?
War mir vermutend nicht, zu dieser Stunde
in ein gemeines Beisl depeschiert zu werd'n!

Baron sehr erstaunt und unangenehm berührt
Wer hat Ihn hierher depeschiert? In des Dreiteufels Namen?

Faninal halblaut zu ihm
Was soll mir die saudumme Frag', Herr Schwiegersohn?
Wo Er mir schier die Tür einrennen läßt mit Botschaft,
ich soll sehr schnell herbei und Ihn in einer üblen Lage soutenieren,
in die Er unverschuldter Weis' gerat'n ist!

Baron greift sich an den Kopf.

Kommissarius
Wer ist der Herr? Was schafft der Herr mit Ihm?

Baron
Nichts von Bedeutung. Is bloß ein Bekannter,
hält sich per Zufall hier im Gasthaus auf

Kommissarius
Der Herr geb' Seinen Namen an!

Faninal
Ich bin der Edle von Faninal.

Kommissarius
Somit ist dies der Vater –

Baron stellt sich dazwischen, deckt Octavian vor Faninals Blick, eifrig
Beileib' gar nicht die Spur. Ist ein Verwandter,
ein Bruder, ein Neveu! Der wirkliche
ist noch einmal so dick!

Faninal
Was geht hier vor? Wie sieht Er aus? Ich bin der Vater, freilich!

Baron will ihn fort haben
Das weitere findet sich, verzieh' Er sich.

Faninal
Ich muß schon bitten –

Baron
Fahr' Er heim in Teufels Namen.

Faninal
Mein Nam' und Ehr in einem solchen Händel zu melieren,
Herr Schwiegersohn!

Baron versucht ihm den Mund zuzuhalten, zum Kommissarius
Ist eine idée fixe!
Benennt mich also nur im G'spaß!

Kommissarius
Ja, ja, genügt schon. Er erkennt demnach
zu Faninal
in diesem Herren hier Seinen Schwiegersohn?

Faninal
Sehr wohl! Wieso sollt' ich ihn nicht erkennen?
Leicht weil er keine Haar nicht hat?

Kommissarius zum Baron
Und Er erkennt nunmehr wohl auch in diesem Herrn
wohl oder übel Seinen Schwiegervater?

Baron nimmt den Leuchter vom Tisch, beleuchtet sich Faninal genau
Soso, lala! Ja, ja, wird schon derselbe sein.
War heut' den ganzen Abend gar nicht recht beinand'.
Kann meinen Augen heut' nicht trau'n. Muß Ihm sagen,
liegt hier was in der Luft, man kriegt die Kongestion davon.

Kommissarius zu Faninal
Dagegen wird von Ihm die Vaterschaft
zu dieser Ihm verbatim zugeschobenen Tochter
geleugnet?

Faninal bemerkt jetzt erst Octavian
Meine Tochter? Da der Fetzen
gibt sich für meine Tochter aus?

Baron gezwungen lächelnd
Ein G'spaß! Ein purer Mißverstand! Der Wirt
hat dem Herrn Kommissarius da was vorerzählt
von meiner Brautschaft mit der Faninalischen.

Wirt aufgeregt
Kein Wort! Kein Wort, Herr Kommissarius! Laut eig'ner Aussag' –

Faninal außer sich
Das Weibsbild arretieren! Kommt an Pranger!
Wird ausgepeitscht! Wird eingekastelt in ein Kloster!
Ich – ich –

Baron
Fahr' Er nach Haus', – auf morgen in der Früh!
Ich klär' Ihm alles auf. Er weiß, was Er mir schuldig ist.

Faninal außer sich vor Wut
Laut eig'ner Aussag'! Meine Tochter soll herauf!
Sitzt unten in der Tragchaise! Im Galopp herauf!
Einige rückwärts gehen.
Das zahlt Er teuer! Bring Ihn vor's Gericht!

Baron
Jetzt macht Er einen rechten Palawatsch
für nichts und wieder nichts! G'hört ein' Roßgeduld dazu
für einen Kavalier, Sein Schwiegersohn zu sein.
Schüttelt den Wirt
Meine Perückn will ich seh'n!
Im wilden Herumfahren, um die Perücke zu suchen, faßt er einige der Kinder an und stößt sie zur Seite.

Die Kinder automatisch
Papa! Papa! Papa!

Faninal fährt zurück
Was ist denn das?

Baron findet im Suchen wenigstens seinen Hut, schlägt mit dem Hut nach den Kindern
Gar nix, ein Schwindel! Kenn' nit das Bagagi!
Sie sagt, daß sie verheirat' war mit mir.
Käm' zu der Schand' so wie der Pontius ins Credo!

Sophie kommt im Mantel, man macht ihr Platz. An der Tür sieht man die Faninalschen Bedienten, die linke Tragstange der Sänfte haltend.

Baron sucht die Kahlheit seines Kopfes vor Sophie mit dem Hut zu beschatten.

Viele Stimmen indes Sophie auf ihren Vater zugeht
Da ist die Braut! Oh, was für ein Skandal!

Faninal zu Sophie
Da schau' dich um! Da hast du den Herrn Bräutigam!
Da die Famili von dem saubern Herrn.
Die Frau mitsamt die Kinder! Da das Weibsbild
g'hört linker Hand dazu. Nein, das bist du, laut eig'ner Aussag'.
Möcht'st in die Erd'n sinken, was? Ich auch!

Sophie
Bin herzensfroh, seh' ihn mit nichten an dafür.

Faninal
Sieht ihn nicht an dafür! Sieht ihn nicht an dafür!
Mein schöner Nam'! Die ganze Wienerstadt! Die schwarze Zeitung!
Zerreißen sich die Mäuler bis hinauf
zu kaiserlicher Antecamera! I trau' mi nimmer über'n Grab'n!
Kein Hund nimmt mehr ein Stück'l Brot von mir.
Er ist dem Weinen nahe.

Die Köpfe in der Wand und aus dem Erdboden auftauchend, dumpf
Der Skandal! Der Skandal!
Für den Herrn von Faninal!
Verschwinden wieder, man hört noch dumpf aus der Erde und den Wänden klingen
Der Skandal! Der Skandal!

Faninal
Da! Aus dem Keller! Aus der Luft! Die ganze Wienerstadt!
Auf den Baron zu, mit geballter Faust
O, Er Filou! Mir wird nicht gut! Ein' Sessel!

Bediente springen hinzu, fangen ihn auf.

Sophie ist angstvoll um ihn bemüht. Wirt springt gleichfalls hinzu. Sie nehmen ihn auf und tragen ihn ins Nebenzimmer. Mehrere Kellner, den Weg weisend, die Tür öffnend, voran.

Baron wird in diesem Augenblick seiner Perücke ansichtig, die wie durch Zauberhand wieder zum Vorschein gekommen ist; stürzt darauf los, stülpt sie sich auf und gibt ihr den richtigen Sitz. Mit dieser Veränderung gewinnt er seine Haltung so ziemlich wieder, begnügt sich aber, Annina und den Kindern, deren Gegenwart ihm trotz allem nicht geheuer ist, den Rücken zu kehren. Hinter Herrn von Faninal und seiner Begleitung hat sich die Tür rechts geschlossen. Wirt und Kellner kommen bald darauf leise wieder heraus, holen Medikamente, Karaffen mit Wasser und anderes, das in die Tür getragen und von Sophie in der Türspalte übernommen wird.

Baron nunmehr mit dem alten Selbstgefühl auf den Kommissarius zu
Sind nunmehr wohl im klaren. Ich zahl', ich geh'!
Zu Octavian
Ich führ' Sie jetzt nach Haus'.

Kommissarius
Da irrt Er sich. Mit Ihm jetzt weiter im Verhör!

Auf den Wink des Kommissarius entfernen die beiden Wächter alle übrigen Personen aus dem Zimmer, nur Annina mit den Kindern bleibt an der linken Wand stehen.

Baron
Lass' Er's jetzt gut sein. War ein G'spaß. Ich sag' Ihm später, wer das Mädel ist!
Geb' Ihm mein Wort, i heirat' sie wahrscheinlich noch einmal.
Da hinten, dort, das Klumpert is schon stad.
Da sieht Er, wer ich bin und wer ich nicht bin!
Macht Miene, Octavian abzuführen.

Octavian macht sich los
I geh' nit mit dem Herrn!

Baron halblaut
I heirat' Sie, verhalt Sie sich mit mir.
Sie wird noch Frau Baronin, so gut gfallt Sie mir!

Octavian
Herr Kommissari, i gib was zu Protokoll!
Aber der Herr Baron darf nicht zuhör'n dabei.

Auf den Wink des Kommissarius drängen die beiden Wächter den Baron nach vorne rechts.

Octavian scheint dem Kommissarius etwas zu melden, was ihn sehr überrascht.

Baron zu den Wächtern, familiär, halblaut auf Annina hindeutend
Kenn' nicht das Weibsbild dort, auf Ehr'. War grad beim Essen!
Hab' keine Ahnung, was sie will. Hätt' sonst nicht selber um die Polizei geschrien! –

Der Kommissarius begleitet Octavian bis an den Alkoven. Octavian verschwindet hinter dem Vorhang. Der Kommissarius scheint sich zu amüsieren und ist den Spalten des Vorhangs in ungenierter Weise nahe.

Baron sehr aufgeregt über den unerklärlichen Vorfall
Was g'schieht denn dort? Ist wohl nicht möglich das! Der Lackl!
Das heißt's ihr Sittenpolizei?
Er ist schwer zu halten.
                                                Ist eine Jungfer!
Steht unter meiner Protektion. Beschwer' mich!
Hab' da ein Wörtel dreinzureden!

Reißt sich los, will gegen das Bett hin. Sie fangen und halten ihn wieder. Aus dem Alkoven erscheinen Stück für Stück die Kleider der Mariandel. Der Kommissarius macht ein Bündel daraus.

Baron immer aufgeregt, ringt, seine beiden Wächter loszuwerden
Muß jetzt partout zu ihr!

Sie halten ihn mühsam, während Octavians Kopf aus einer Spalte des Vorhangs hervorsieht.

Wirt herein
Ihre hochfürstliche Gnaden, die Frau Fürstin Feldmarschallin!

Kellner herein, reißen die Tür auf. Zuerst werden einige Menschen in der Marschallin Livree sichtbar, rangieren sich. Marschallin tritt ein, der kleine Neger trägt ihre Schleppe.

Baron hat sich von den Wächtern losgerissen, wischt sich den Schweiß von der Stirne, eilt auf die Marschallin zu
Bin glücklich über Maßen, hab' die Gnad kaum meritiert.
Schätz' Dero Gegenwart hier als ein Freundstück ohnegleichen.

Octavian steckt den Kopf zwischen den Vorhängen hervor
Marie Theres', wie kommt Sie her?

Marschallin regungslos, antwortet nicht, sieht sich fragend um.

Kommissarius auf die Fürstin zu
Fürstliche Gnaden, melde mich gehorsamst
als vorstädtischer Unterkommissarius.

Baron gleichzeitig
Er sieht, Herr Kommissar, die Durchlaucht haben selber sich bemüht.
Ich denk', Er weiß, woran Er ist.

Marschallin zum Kommissar; ohne den Baron zu beachten
Er kennt mich? Kenn' ich Ihn nicht auch? Mir scheint beinah'.

Kommissarius
Sehr wohl!

Marschallin
Dem Herrn Feldmarschall seine brave Ordonnanz gewest?

Kommissarius
Fürstliche Gnaden, zu Befehl!

Octavian steckt abermals den Kopf zwischen den Vorhängen hervor.

Baron winkt ihm heftig, zu verschwinden, zugleich ängstlich bemüht, daß die Marschallin nichts merke. Halblaut
Bleib Sie, zum Sakra, hinten dort!

Dann hört er, wie sich Schritte der Türe rechts vorne nähern; stürzt hin, stellt sich mit dem Rücken gegen die Türe, ist zugleich, durch verbindliche Gebärden gegen die Marschallin, bestrebt, seinem Gehaben den Schein völliger Unbefangenheit zu geben.

Marschallin kommt gegen rechts, mit zuwartender Miene den Baron anblickend.

Die Türe rechts wird mit Kraft geöffnet, so daß der Baron wütend zurückzutreten genötigt ist.

Octavian als Mann halb angekleidet, tritt zwischen den Vorhängen hervor, sobald der Baron ihm den Rücken kehrt; halblaut
War anders abgemacht! Marie Theres', ich wunder' mich.

Marschallin, als hörte sie ihn nicht; den verbindlich erwartungsvollen Blick auf den Baron geheftet, der in äußerster Verlegenheit zwischen der Tür und der Marschallin seine Aufmerksamkeit teilt.

Die Zwei Faninalschen Diener haben mit einiger Gewalt die Türe aufgedrückt, lassen jetzt Sophie eintreten.

Baron tritt zurück, auf dem Gipfel der Verlegenheit.

Sophie ohne die Marschallin zu sehen, die ihr durch den Baron verdeckt ist
Hab' Ihm von mei'm Herrn Vater zu vermelden!

Baron ihr ins Wort, halblaut
Ist jetzo nicht die Zeit, Kreuzelement!
Kann Sie nicht warten, bis daß man Ihr rufen wird?
Meint Sie, daß ich Sie hier im Beisl präsentieren werd'?
Will sie hinausschieben.

Zugleich tritt Octavian leise hervor, zur Marschallin, halblaut
Das ist die Fräulein – die – um derentwillen –

Marschallin über die Schulter zu Octavian, halblaut
Find' Ihn ein bißl empressiert, Rofrano.
Kann mir wohl denken, wer sie ist. Find' sie charmant.

Octavian schlüpft zwischen die Vorhänge zurück.

Sophie den Rücken an der Tür, so scharf, daß der Baron unwillkürlich einen Schritt zurückweicht
Er wird mich keinem Menschen auf der Welt nicht präsentieren,
dieweilen ich mit Ihm auch nicht so viel zu schaffen hab.
Und mein Herr Vater laßt Ihm sagen: wenn Er allsoweit
die Frechheit sollte treiben, daß man Seine Nasen nur
erblicken tät' auf hundert Schritt von unserm Stadtpalais,
so hätt' Er sich die bösen Folgen selber zuzuschreiben,
das ist, was mein Herr Vater Ihm vermelden laßt.

Baron außer sich, will an ihr vorbei, zur Tür hinein
He Faninal, ich muß –

Sophie
Er untersteh' sich nicht!

Die Zwei Faninalschen Diener treten hervor, halten ihn auf, schieben ihn zurück.

Sophie tritt in die Tür, die sich hinter ihr schließt.

Baron gegen die Tür, brüllend
Bin willens, alles Vorgefallene
vergeben und vergessen sein zu lassen!

Marschallin von rückwärts an den Baron herantretend, klopft ihm auf die Schulter
Lass' Er nur gut sein und verschwind' Er auf eins zwei!

Baron dreht sich um, starrt sie an
Wieso denn?

Marschallin munter, überlegen
Wahr' Er seine dignité und fahr' Er ab,

Baron sprachlos
Ich! Was?

Marschallin
Mach Er bonne mine à mauvais jeu,
so bleibt Er quasi doch noch eine Standsperson.

Baron starrt sie an, stumm.

Sophie ist leise wieder herausgetreten. Ihre Augen suchen Octavian.

Marschallin zum Kommissar, der hinten rechts steht, desgleichen seine Wächter
Er sieht, Herr Kommissar,
das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts.

Kommissarius
Genügt mir! Retirier' mich ganz gehorsamst.
Tritt ab, die beiden Wächter hinter ihm.

Sophie vor sich, erschrocken
Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts.

Die Blicke der beiden Frauen begegnen sich; Sophie macht der Marschallin einen verlegenen Knix.

Baron zwischen Sophie und der Marschallin stehend
Bin gar nicht willens!

Marschallin ungeduldig, stampft auf
Mon cousin, bedeut' Er ihn!
Kehrt dem Baron den Rücken.

Octavian geht von rückwärts auf den Baron zu, sehr männlich
Möcht' Ihn sehr bitten!

Baron fährt herum
Wer! Was?

Marschallin von links, wo sie nun steht
Sein' Gnaden der Herr Graf Rofrano, wer denn sonst?

Baron nachdem er jäh Octavians Gesicht scharf und in der Nähe betrachtet, mit Resignation vor sich
Is schon aso! Hab' gnug von dem Gesicht.
Sein doch nicht meine Augen schuld. Is schon ein Mandl.

Octavian steht frech und hochmütig da.

Marschallin einen Schritt näher tretend
War eine wienerische Maskerad' und weiter nichts.

Baron sehr vor den Kopf geschlagen
Aha!
Für sich
Spiel'n alle unter einem Leder gegen meiner!

Marschallin von oben herab
Ich hätt' Ihm nicht gewunschen,
daß Er mein Mariandl in der Wirklichkeit
mir hätte debauchiert!

Baron wie oben, vor sich hin sinnierend
Ha!

Marschallin wie oben und ohne Octavian anzusehen
Hab' jetzt einen montierten Kopf gegen die Männer –
so ganz im allgemeinen!

Baron allmählich der Situation beikommend
Kreuzelement! Komm' aus dem Staunen nicht heraus!
Mit einem ausgiebigen Blick, der von der Marschallin zu Octavian, von Octavian wieder zurück zur Marschallin wandert
Weiß bereits nicht, was ich von diesem ganzen qui pro quo
mir denken soll!

Marschallin mit einem langen Blick, dann mit großer Sicherheit
Er ist, mein' ich, ein Kavalier? Da wird Er sich halt gar nichts denken.
Das ist, was ich von Ihm erwart'.

Pause.

Baron Mit Verneigung und weltmännisch
Bin von so viel Finesse charmiert, kann gar nicht sagen wie.
Ein Lerchenauer war noch nie kein Spielverderber nicht.
Einen Schritt an sie herantretend
Find' deliziös das ganze qui pro quo,
bedarf aber dafür nunmehro Ihrer Protektion:
Bin willens, alles Vorgefallene
vergeben und vergessen sein zu lassen.
Pause.
Eh bien, darf ich den Faninal –
Er macht Miene, an die Türe rechts zu gehen.

Marschallin ungeduldig
Er darf, Er darf in aller Still' sich retirieren!

Baron aus allen Himmeln gefallen.

Marschallin
Versteht Er nicht, wenn eine Sach' ein End' hat?
Die ganze Brautschaft und Affär' und alles sonst,
was drum und dran hängt, ist mit dieser Stund' vorbei.

Sophie sehr betreten, für sich
Was drum und dran hängt, ist mit dieser Stund' vorbei.

Baron für sich, empört, halblaut
Mit dieser Stund' vorbei! Mit dieser Stund' vorbei!

Marschallin scheint sich nach einem Stuhl umzusehen, Octavian springt hin, gibt ihr einen Stuhl. Marschallin setzt sich links, mit Bedeutung für sich
Is halt vorbei.

Sophie rechts, vor sich, blaß
Is halt vorbei!

Baron findet sich durchaus nicht in diese Wendung, rollt verlegen und aufgebracht die Augen.

In diesem Augenblick kommt der Mann aus der Falltür hervor.

Von rechts tritt Valzacchi ein, die Verdächtigen in bescheidener Haltung hinter ihm. Annina nimmt Witwenhaube und Schleier ab, wischt sich die Schminke weg und zeigt ihr gewöhnliches Gesicht. Dies alles zu immer gesteigertem Staunen des Barons. Der Wirt, eine lange Rechnung in der Hand, tritt zur Mitteltüre herein, hinter ihm Kellner, Musikanten, Hausknechte, Kutscher.

Baron wie er sie alle erblickt, gibt sein Spiel verloren. Ruft schnell entschlossen
Leupold, wir gehen!

Macht der Marschallin ein tiefes, aber zorniges Kompliment. Leiblakai ergreift einen Leuchter vom Tisch und will seinem Herrn voran. Annina stellt sich frech dem Baron in den Weg. Die Kinder kommen dem Baron unter die Füße. Er schlägt mit dem Hut unter sie.

Die Kinder
Papa! Papa! Papa!

Leiblakai hat sich den Weg gegen die Tür hin gebahnt Baron will hinter ihm durch.

Die Kellner
Entschuldigen Euer Gnaden,
uns geh'n die Kerzen an!

Die Musikanten
Tafelmusik über zwei Stunden.

Die Kutscher
Für die Fuhr, für die Fuhr, Rösser g'schunden ham ma gnua!

Hausknecht
Sö fürs Aufsperr'n, Sö, Herr Baron.

Kellner
Zwei Schock Kerzen, uns geh'n die Kerzerl an.

Baron im Gedränge
Platz da, zurück da, Kreuzmillion!

Die Kinder
Papa, Papa, Papa!

Baron drängt sich mit Macht durch gegen die Ausgangstür, alle dicht um ihn in einem Knäuel.

Hausknecht
Führag'fahr'n, aussagruckt, Sö, Herr Baron!

Alle sind schon in der Tür, dem Lakai wird der Armleuchter entwunden.

Die Kellner
Uns gehn die Kerzen an!

Stürmen nach, der Lärm verhallt. Die zwei Faninalschen Diener sind indessen rechts abgetreten.

Sophie rechts stehend, blaß
Mein Gott, es war nicht mehr als eine Farce.
Mein Gott, mein Gott!
Wie er bei ihr steht, und ich bin die leere Luft für ihn.

Octavian hinter dem Stuhl der Marschallin, verlegen
War anders abgemacht, Marie Theres, ich wunder' mich.
In höchster Verlegenheit
Befiehlt Sie, daß ich – soll ich nicht – die Jungfer – der Vater –

Marschallin
Geh' Er doch schnell und tu Er, was sein Herz Ihm sagt.

Octavian
Theres', ich weiß gar nicht.

Marschallin lacht zornig
Er ist ein rechtes Mannsbild, geh' Er hin.

Octavian
Wie Sie befiehlt.

Geht hinüber.

Sophie wortlos.

Octavian bei ihr
Eh bien, hat Sie kein freundlich Wort für mich?
Nicht einen Blick, nicht einen lieben Gruß!

Sophie
Verkriech' mich in ein Kloster lieber heut' als morgen,
so jung ich bin.
Laß Er mich geh'n.

Octavian
Ich lass' Sie nicht.
Faßt ihre Hand.

Sophie
Das sagt sich leicht.

Octavian
Ich hab' Sie übermäßig lieb.

Sophie
Er hat mich nicht so lieb als wie Er spricht.
Vergeß Er mich.

Octavian
Ist mir um Sie und nur um Sie!

Sophie
Vergeß Er mich.

Octavian
Seh' all'weil Ihr Gesicht.

Sophie schwach abwehrend
Vergeß Er mich.

Octavian
Hab' allzu lieb Ihr lieb Gesicht!
Faßt mit beiden Händen ihre beiden.

Die Marschallin vor sich, gleichzeitig mit Octavian und Sophie
Heut' oder morgen oder den übernächsten Tag.
Hab' ich mirs denn nicht vorgesagt?
Das alles kommt halt über jede Frau.
Hab ich's denn nicht gewußt?
Hab' ich nicht ein Gelübde tan,
daß ich's mit einem ganz gefaßten Herzen
ertragen werd . . . . .
Heut oder morgen oder den übernächsten Tag.
So hat halt Gott die Welt geschaffen
und anders hat ers halt nicht können machen!
Sie wischt sich die Augen, steht auf.

Sophie leise
Die Fürstin da, sie ruft Ihn hin, so geh' Er doch.

Octavian ist ein paar Schritte gegen die Marschallin hingegangen, steht jetzt zwischen beiden verlegen. Pause.

Sophie in der Tür, unschlüssig, ob sie gehen oder bleiben soll. Octavian in der Mitte, dreht den Kopf von einer zur andern. Marschallin sieht seine Verlegenheit; ein trauriges Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Sophie an der Tür
Ich muß hinein und fragen, wie's dem Vater geht.

Octavian
Ich muß jetzt etwas reden und mir verschlagt's die Red'.

Marschallin
Der Bub, wie er verlegen da in der Mitten steht.

Octavian zu Sophie
Bleib' Sie um alles hier.
Zur Marschallin
Wie, hat Sie was gesagt?

Sophie zugleich mit der Marschallin, vor sich
Für nichts und wieder nichts wird sie nicht kommen sein.
Wird schon recht eine gute Freundin sein zu ihm.
Ich wollt', ich wär' in meinem Kloster blieb'n.
Und wüßt' halt gar nichts von der ganzen Welt.

Marschallin zugleich mit Sophie, vor sich
Hab' mirs gelobt, ihn lieb zu haben in der richtigen Weis',
daß ich selbst seine Lieb' zu einer andern
noch lieb hab' –
Hab' mirs freilich nicht gedacht,
daß es so bald mir aufgelegt sollt' werden.

Sie geht hinüber zu Sophie.

Octavian tritt einen Schritt zurück.

Marschallin steht vor Sophie, sieht sie prüfend aber gütig an.

Sophie in Verlegenheit, knixt.

Marschallin
So schnell hat Sie ihn gar so lieb?

Sophie
Ich weiß nicht, was Euer Gnaden meinen mit der Frag'.

Marschallin
Ihr blass' Gesicht gibt schon die rechte Antwort drauf.

Sophie
Wär' gar kein Wunder, wenn ich blaß bin, Euer Gnaden.
Hab' einen großen Schreck erlebt mit dem Herrn Vater.
Gar nicht zu reden vom gerechten Emportement
gegen den skandalösen Herrn Baron.

Marschallin
Red' Sie nur nicht zu viel, Sie ist ja hübsch genug.
Gegen den Herrn Papa sein Übel weiß ich etwa eine Medizin.
Und für die Blässe weiß vielleicht mein Vetter da die Medizin.

Octavian
Marie Theres, wie gut Sie ist!
Marie Theres, ich weiß gar nicht –

Marschallin mit einem undefinierbaren Ausdruck
Ich weiß auch nix.
Gar nix.
Winkt ihm zurückzubleiben.

Octavian
Marie Theres!

Marschallin bleibt in der Tür stehen. Octavian steht ihr zunächst, Sophie weiter links.

Marschallin zugleich mit Octavian und Sophie, aber ohne die beiden anzusehen
Es sind die mehreren Dinge auf der Welt,
so, daß sie eins nicht glauben tät',
wenn man sie möcht' erzählen hören.
Alleinig wer's erlebt, der glaubt daran und weiß nicht wie –
Da steht der Bub und da steh' ich und mit dem fremden Mädel dort
wird er so glücklich sein, als wie halt Männer
das Glücklichsein versteh'n. In Gottes Namen.

Octavian zugleich mit der Marschallin und Sophie, erst vor sich, dann Aug in Aug mit Sophie
Es ist was kommen und ist was geschehen.
Ich möcht' sie fragen: Darf's denn sein? und grad die Frag',
die spür' ich, daß sie mir verboten ist.
Ich möcht' sie fragen: Warum zittert was in mir, –
ist denn ein großes Unrecht g'scheh'n? Und grad an sie
darf ich die Frag' nicht tun – und dann seh' ich dich an,
Sophie, und seh' nur dich und spür' nur dich,
Sophie, und weiß von nichts als nur: dich hab' ich lieb.

Sophie zugleich mit der Marschallin und Octavian, erst vor sich, dann Aug in Aug
Mir ist wie in der Kirch'n, heilig ist mir und so bang
und doch ist mir unheilig auch! Ich weiß nicht, wie mir ist.
Ich möcht' mich niederknien dort vor der Frau und möcht' ihr auch
was antun, denn ich spür', sie gibt mir ihn
und nimmt mir was von ihm zugleich. Weiß gar nicht wie mir ist.
Möcht' all's verstehen und möcht' auch nichts verstehen.
Möcht fragen und nicht fragen, wird mir heiß und kalt
und spür' nur dich und weiß nur eins: dich hab' ich lieb.

Marschallin geht leise rechts hinein, die beiden bemerken es gar nicht. Octavian ist dicht an Sophie herangetreten, einen Augenblick später liegt sie in seinen Armen.

Octavian zugleich mit Sophie
Spür' nur dich, spür' nur dich allein
und daß wir beieinander sein!
Geht all's sonst wie ein Traum dahin
vor meinem Sinn!

Sophie zugleich mit Octavian
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein,
daß wir zwei beieinander sein,
beieinand für alle Zeit
und Ewigkeit!

Octavian ebenso
War ein Haus wo, da warst du drein
und die Leut' schicken mich hinein,
mich gradaus in die Seligkeit!
Die waren g'scheit!

Sophie ebenso
Kannst du lachen! Mir ist zur Stell'
bang wie an der himmlischen Schwell'!
Halt' mich, ein schwach' Ding wie ich bin,
sink' dir dahin!

Sie muß sich an ihn lehnen. In diesem Augenblick öffnen die Faninalschen Lakaien die Tür und treten heraus, jeder mit einem Leuchter. Durch die Tür kommt Faninal, die Marschallin an der Hand führend. Die beiden jungen stehen einen Augenblick verwirrt, dann machen sie ein tiefes Kompliment, das Faninal und die Marschallin erwidern.

Faninal tupft Sophie väterlich gutmütig auf die Wange
Sein schon aso, die jungen Leut!

Gibt dann der Marschallin die Hand und führt sie zur Mitteltür, die zugleich durch die Livree der Marschallin, darunter der kleine Neger, geöffnet wurde. Draußen hell, herinnen halbdunkel, da die beiden Diener mit den Leuchtern der Marschallin voraustreten.

Octavian und Sophie, allein im halbdunklen Zimmer.

Octavian
Spür' nur dich, spür' nur dich allein
und daß wir beieinander sein!
Geht all's sonst wie ein Traum dahin
vor meinem Sinn!

Sophie
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein,
daß wir zwei beieinander sein,
beieinand für alle Zeit
und Ewigkeit!

Sie sinkt an ihn hin, er küßt sie schnell. Ihr fällt, ohne daß sie es merkt, ihr Taschentuch aus der Hand. Dann laufen sie Hand in Hand hinaus. Die Bühne bleibt leer, dann geht nochmals die Mitteltür auf. Herein kommt der kleine Neger mit einer Kerze in der Hand. Sucht das Taschentuch, findet es, hebt es auf, trippelt hinaus.

 
Vorhang


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