Hugo von Hofmannsthal
Der Abenteurer und die Sängerin
Hugo von Hofmannsthal

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Zu Vittoria tritt der Baron, Cesarino zu Marfisa, den Musikern und dem Abbate, der ihn bekomplimentiert.

Vittoria (geht noch einige Schritte nach vorne, so daß niemand sie hören kann; zum Baron)
So weißt du, wer das ist?

Baron (küßt ihr die Hand)

Vittoria                                   Es ist dein Kind,
dein und mein Kind! Stell' dich vor mich,
daß mich die dort nicht weinen sehn
(Sie weint.)

Marfisa Such' du mir eine Frucht aus, Cesarino,
und bring' sie mir!

Salaino (leise, flehend)   Marfisa!

Marfisa (halblaut zu ihm)               Das war gestern –
und heut ist heut!
(Sie nimmt die Frucht aus Cesarinos Hand)

Vittoria (zum Baron)     So wein' ich
einmal aus meiner Seele tiefstem Kern:
denn dies ist das Geheimnis meines Lebens
und alles andre nur die leere Schale.

Baron Du liebste Zauberin, ein Spiegel ist's,
der dreißig Jahr nach rückwärts, wie ich atme,
mich eilig blitzt! Ich küsse meine Jugend
wehmütig auf die Stirn, wenn ich ihn küsse!

Vittoria Mir macht er meiner Jahre Zählung wirr
und mich mir selbst zur Doppelgängerin.

Baron Wie meinst du das?

Die Gruppe links will Cesarino ans Klavier ziehen, Marfisa am schmeichelndsten. Ein Musiker bietet seine Geige. Salaino steht abseits.

Vittoria (halb gegen diese gekehrt, spricht zum Baron)
Sind alle nicht von seinem wilden Feuer
bestrahlt? er ist dein Kind! sag', bist du froh?
(Indem sie sich nach links hin wendet)
Sie haben recht, Abbate – Malaspina
hat Unrecht: ja, mein Bruder spielt viel besser,
geläufiger und besser viel als ich,
obwohl er um zehn Jahr', vielmehr beinahe
zehn Jahre jünger ist –
(zum Baron)
                                    Siehst du, hier weiß
kein Mensch mein wahres Alter!

Baron                                                 Weil du keines hast!

Vittoria (lächelnd)
So schwimme ich auf einer großen Lüge
durchs Leben, wie Europa auf dem Stier:
die Schwester meines Kindes, schattenhaft,
zu einem neuen Wesen fast verdoppelt – –

Es kommt rechts der Alte vor, von seiner Dienerin und der Redegonda geführt; hinter ihm Lorenzo und der deutsche Graf. Der Baron tritt etwas zur Seite nach rechts vorne, Lorenzo zu ihm. Die Redegonda präsentiert den Alten und die Dienerin der Vittoria.

(Der Graf nimmt Anteil. – Indessen)

Lorenzo (zum Baron)
Nun weißt du, was mich in den Boden schlug,
als du mir deine Dose schenktest. Zwar
nicht jedes Blut ist so, daß es vor Staunen
und plötzlicher Verwirrung fast gefriert.
Ich müßte diese Eigenschaft in meinem
ein Weibererbteil nennen und mich schämen,
wüßt' ich's dafür nicht ziemlich frei von Feigheit
und fieberfrei, wo wirkliche Gefahr.

Baron (schweigt mit einer verlegenen Bewegung)

Lorenzo (erklärend)
Ich weiß erst heute, daß Vittorias Bruder
von Mutter- zwar, doch nicht von Vaterseite
ihr Bruder ist –

Baron (ablenkend)     Ich kannte einen Marschall
von Frankreich, den der Anblick weißer Mäuse
in Ohnmacht warf. Es gibt dergleichen Spiele –

Vittoria (läßt sich von einem Diener die große Fruchtschüssel reichen und legt Feigen und Orangen in einen Korb, den die alte Dienerin hält. Der Alte sieht mit leuchtenden Augen zu)

Vittoria Ja, deine Anna trägt sie dir nach Haus,
und sie gehören alle dir. Die Welt
ist für ihn wieder, wie für Kinderaugen
zurückgekrochen in die runde goldne
Orange. Möglich hat er selbst einmal
den Kern, bei Gott! unwissend hingestreut,
daraus der Baum entstand, von dem die kommt.
Er war vielleicht bei einer, die er liebte,
und wie die Nacht verging und ihnen Küsse
den Sommerdurst nicht stillten, schälten sie,
im Bette aufgestützt, solch eine Frucht
und warfen ihre Kerne durch das Fenster
nach einer Fledermaus, die draußen schwirrte.
Sie wühlten in dem kühlen Fleisch der Frucht
und teilten ihren Duft und Purpursaft
mit trunknen Fingern, die in einer Welt
von Leben, Lust und Traum zu wühlen meinten –
und ihre Lippen teilten eine Welt!
Nun hat die Zeit dies alles umgekehrt
wie eine Sanduhr, und die ganze Welt,
rückflutend, ließ ihm nichts als diese Frucht zurück.

Der Graf Ich führ' in meiner Gondel ihn nach Haus:
er wohnt in einem Winkel der Giudecca,
wo morsche Leiber alter Schiffe liegen
und, langsam faulend, auf das hohe Meer
aus blinden Augenhöhlen –

Redegonda                                 Wie! und ich?
Ich fahr' nicht mit! Dort ist nichts als Gesindel,
hohläugige Kinder –

Der Graf                         Kommen Sie nicht mit,
so finden wir uns auf der Piazza später,
in einer Stunde.

(Die Redegonda tritt einen Schritt nach rückwärts, die Dienerin fährt den Alten weg.)

Vittoria (zu dem Grafen) Schön ist an euch Deutschen –
Daß ihr Liebende sein und doch zugleich
vom Vater und vom Bruder einen Schimmer
an euch bewahren könnt. Hier liegt ein Grund,
euch recht zu lieben, wenn man euch versteht.

Redegonda (flüsternd zum Baron, der zu ihr getreten ist)
So gib doch acht! Er würde mich ermorden!

Der Graf (lächelnd)
Meint ihr's auf den? Dann war's von Söhnen etwas –

Redegonda (etwas rückwärts, zum Grafen)
Friedrich, Sie kommen nicht?

Vittoria (zum Grafen)                     Ich mein's auf den
vielleicht, und auch auf die

Der Graf                                   Ihr seid sehr gut –

(Er küßt ihr die Hand, sie reden noch, langsam nach rückwärts gehend.
Die Gruppe am Klavier hat sich aufgelöst und mit Ausnahme der Marfisa, die sitzen bleibt, sind alle nach rückwärts gegangen.)

Baron (Rechts vorne zu Lorenzo, dem Alten nachsehend.)
Das wird aus uns!

Lorenzo                       Ich glaub', ich hab' gehört,
daß er sehr schön war und von vielen Frauen
geliebt –

Baron             Nicht möglich! Hast du seine Lippen
gesehn?

Lorenzo       Es gibt vielleicht Gedichte drauf! Er sang
in einer seiner Opern – man verglich
die Lippen einer halbgeöffneten
Granatfrucht –

Baron                       Weißt du das? (für sich)
                                                Er ist nicht doppelt
so alt wie ich, und wär' er's, wär's kein Trost!
Nur keinen Tag verlieren, keiner kommt zurück!

(Er sieht, daß Marfisa allein ist, geht mit einer verbindlichen Bewegung gegen Lorenzo eilig zu ihr hinüber, spricht eifrig mit ihr; sie lacht. Lorenzo geht zu der Gruppe im Hintergrund. Von dieser lösen sich bald Cesarino und Vittoria und kommen wieder vor, jeder für sich, er links, sie rechts. Cesarino betrachtet den Baron. Dann bemerkt er Vittoria, geht lebhaft zu ihr. Beide stehen rechts im Mittelgrund, halb den zwei andern zugewandt. Indessen)

Baron (zu Marfisa)
Ich muß wahrhaftig heut' vor Abend fort,
und doppelt gibt, wer gleich gibt, schöne Kleine!

Marfisa (lacht, scheint ihm etwas zu versprechen)
Vor Abend, das ist lang'!

Baron                                       Drei kurze Stunden!

(Er zieht seine Uhr heraus, beide neigen sich über die Uhr. Marfisa streckt drei Finger in die Höhe, er küßt flüchtig ihre Fingerspitzen. Sie deutet, er solle jetzt zu den andern gehen.)

Cesarino (lebhaft zu Vittoria)
Schwester, der fremde Mensch gefällt mir sehr –

Vittoria Hat er denn viel mit dir geredet?

Cesarino                                                   Nein!
Allein die Art, und daß er wieder jetzt
mit der Marfisa spricht – schau, wie sie lacht!
ich weiß nicht, was es ist – ich hab' ihn gern!

Vittoria (küßt ihn auf die Stirn)
Stellst du dir vor, du möchtest gern einmal
so sein?

Cesarino       Wie der? ganz so und nichts als das?

Vittoria Ja, was denn noch? berühmt?

Cesarino                                               Ja, auch berühmt!
Um alle auszulachen, die den Ruhm
wie eine große Staatsperücke tragen!

Vittoria Wie trügst denn du ihn?

Cesarino                                       Wie eine Schuhschnalle.

Vittoria Wenn er jetzt herkommt, sprich noch mehr mit ihm,
und merk' auf alles gut, was er dir sagt.

Marfisa (ist aufgestanden und mit einem Blick auf Vittoria langsam und lautlos nach rückwärts gegangen, wo sie in der Tür rechts verschwindet)

Baron (tritt mit einer leisen Verlegenheit zu Vittoria und Cesarino)
Bruder und Schwester!

Cesarino                             Das sind wir doch wirklich!
Sie sagen's so wie: »Diana und Endymion«,
»Zeus und Europa«, ganz als ob es Masken wären.

Vittoria Er ist zu unverschämt!

Baron                                         Es ist sein Alter.
Ich muß ihn bitten, daß er mir du sagt,
daß wird ihn älter machen und mich jünger.

Cesarino Warum? es sagen Väter ja und Söhne
einander du!

Baron                   Doch Freunde auch. Es gibt
nicht wenig Städte, wo der ganze Adel
sich so zu Brüdern macht.

Vittoria (zu Cesarino)               Laß dir von ihm
erzählen! Er ist viel gereist: die Welt
ist ihm ein offnes Buch.

(Sie geht nach rückwärts, wo sich indessen alle empfohlen haben und Lorenzo allein zurückgeblieben ist)

Cesarino (eifrig zum Baron)     Die halbe Lust
am Reisen, denk' ich, nein, mehr als die halbe
muß in der Schnelligkeit – ich kann mich schlecht
ausdrücken –

Baron                   Aber was du meinst, hat Sinn:
Europa wird dein Haus, die Welt dein Garten,
der Wunsch erschafft dir Vaterländer,
die Hast ist schönste Trunkenheit!

Cesarino (nachdenkend)
Ja, das – und viel – Doch irgendwie
muß dann das Leben immer so –
(Er hält inne)

Baron                                                 Das kommt von selbst.
Der umgegrabne Baum geht schnell zugrund',
uns gibt ein fremder Boden Riesenkräfte.
Die Märchen werden wahr, der Vogel Rockh
trägt dich in seinem Turban, Ariadne
hebst du in deinen Wagen, die Verlassne:
Städte versinken hinter dir, und neue
tauchen empor: weil du der Fremde bist,
bist du schon reizender als alle Andern:
die Schönsten sind an Felsen festgekettet,
doch du hast Flügel an den Fuß gebunden
und wo du auftrittst, haben sich im Flug
Perseus und Andromeda schon gefunden!

Cesarino (der jedes Wort von seinen Lippen trinkt; atemlos)
Warst du an einem Hof? und wie ist's dort?

Baron Dort lernst du's jeden kurzen Augenblick
so leer zu saugen, wie ein Bettelkind,
das Trauben stahl, die letzte Beere aussaugt.
Und das ist gut, denn keiner kommt zweimal!
Geh' jung an einen Hof und wenn du dort
herauskommst, bist du wie der Salamander,
der auch im Feuer atmet. Dort nur lernst du,
die Flatternde von vorne wild zu packen
an ihrem einzigen Büschel Haar, die Göttin
Gelegenheit! Dort lernst du, Dolche reden
und Gift aus deinen Blicken werfen, aber
du lernst auch, Augenblicke, die die Kraft
von Blitzen haben, deinem Willen vor-
zuspannen, mehr in einem Blick zu schlürfen
als Perlen, die drei Königreiche wert sind,
und eines Atemzuges Frist zu stehen
auf einem Rad, dess' Speichen Schicksal sind!

Cesarino Mir schwindelt!

Baron                                 Nein, es ist nichts als Spiel,
darin der stärkste Wille aus Medusen,
die ihn erwürgen, wenn er sie nicht bändigt,
tanzende Grazien machen kann, ein Spiel –

(Er legt die Hand auf Cesarinos Schulter und geht plaudernd mit ihm nach rückwärts)

Vittoria, hinter ihr Lorenzo, kommen stumm aus dem Hintergrund und bleiben links vorne stehen. Vittoria zeigt auf die Beiden.

Kleine Pause.

Lorenzo Er denkt nicht daran, ihn uns wegzunehmen,
nicht wahr?

Vittoria (den Blick zu Boden)
                    Er denkt nicht dran.

Lorenzo                                             So bist du froh?

Vittoria (nickt, aber mit traurigem Gesicht)

Lorenzo (tritt von ihr weg nach links. Sie steht, ans Klavier gelehnt)

Lorenzo (für sich)
Warum ist sie nun traurig? Wieder Träume,
daran ich keines Schattens Anteil habe?
Ich werd' nicht fröhlich, eh' nicht der verschwunden:
so hängt noch immer Unheil in der Luft.
Fang' ich aufs neue mich zu quälen an?
Nun ist nicht Nacht und morgen folgt nichts Bessres.

(Der Baron und Cesarino kommen wieder nach vorne, Cesarino hat einen Geldbeutel in der Hand)

Baron Auch Kleider sind kein Ding, ganz zu verachten,
nichts ist bloß äußerlich: was wären Blumen?
In diesen Dingen steckt ein Teil von uns:
die Römer ließen Sklaven hinter sich
hergehen, deren Köpfe schwer beladen
mit dem Gedächtnis wundervoller Verse
aus großen Dichtern waren: unsre Kleider
sind solche Diener, und sie atmen Träume,
die unsre eigne Phantasie erschuf.

Cesarino                                               Du hör':
ich hab' die siebzehn Maße, die ein Schneider
notiert: die Mitte, Hüften, Ausschnitt, Nacken,
et cetera von der Marfisa so
im Kopf, verstehst du, wie die ganzen Stimmen
der Palestrinamesse, die ich neulich
aus dem Gedächtnis aufschrieb in der Nacht.
Und von dem Geld da, das du mir geschenkt hast,
bestell' ich ihr ein Kleid –

Vittoria (zu ihnen tretend)
Ich seh', daß Ihr Euch nur zu sehr versteht.

Cesarino Ja, liebe Schwester. O mach' keine Falten
in deine schöne, liebe, helle Stirn!
Steht nicht so da und seht euch an und denkt:
er ist verliebt, und noch nicht fünfzehn Jahr',
man muß ihn hüten, er ist viel zu jung!
O laßt die Worte weg, sie sind Harpyen,
die Ekel auf des Lebens Blüten streun!
Bin ich so jung? Die Göttin Helena
war sieben Jahr', als Könige um sie
zu Felde lagen, und der Dichter Dante
neun Jahr', als ihm der Liebesgott im Traum
erschien und in Sonetten zu ihm sprach!
Die Seele hat kein Alter: Dein und meine
sind Zwillinge, die deine nur die sanftre!
Wenn ich Musik gehört hab', ist mein Ohr
so voller Nachklang, daß ich Harmonien
der Sphären spüre, wenn ein Ruder leise
durchs Wasser gleitet: so verzaubert sie
mir meine Augen, wie Musik mein Ohr.

Baron (küßt ihn auf die Stirn)
Geh', geh', mein Sohn, o wie ich dich erkenne!

Cesarino Für was?

Vittoria (schnell)     Für einen frechen kleinen Burschen –

(Baron und Lorenzo reden indessen miteinander.)

Vittoria So geh' nur, geh'!

Lorenzo (zu Cesarino)       Nimmst du mich mit?

Cesarino                                                               Wie gern!

(Er läutet, ein Diener kommt, bringt zwei schwarze Maskenanzüge.
Der Baron tritt zu Cesarino, flüstert ihm etwas ins Ohr, Cesarino hängt sich ausgelassen an seinen Arm. Lorenzo legt den Arm um Vittorias Taille, führt sie ein paar Schritte nach vorne.)

Lorenzo (sehr heiter)
Weißt du, daß der Baron mir eben sagt,
daß er Venedig heute schon verläßt?

Vittoria Wie, heute schon?

Lorenzo                             Ja, heut', und läßt sein Kind
mit heiterm Lächeln stehen, wo er's fand.
Wie rätselhaft verschieden Menschen sind. . . .
Auch deine Mutter glich wohl dir nicht sehr!
Wie töricht war ich nur mit meiner Angst:
das weiß ich: diesen hast du nie geliebt,
auch nicht im Traum, auch nicht im bunten Traum!
(Er wendet sich wieder zu den andern.)
Leb' wohl, Vittoria. Cesarino, komm!
(Zum Baron)
Du aber, bitte, leistest meiner Frau
noch eine kurze Zeit Gesellschaft, ja?
Ihr müßt euch vieles zu erzählen haben,
wenn ich nicht irre. Sind die Masken da?

(Lorenzo und Cesarino werfen die Masken über und gehen ab.)

Vittoria (Geht nach vorne links, lädt den Baron mit einer Handbewegung zum Setzen ein, er bleibt stehen, scheint befangen.)

Vittoria Nun geht dein Sohn mit meinem Mann und kaufen
ein Kleid für die Marfisa. Ei, kein Märchen
geht lustiger aus. Die alten Tränen wurden
Goldflitter für ein buntes Maskenkleid,
du bist der Tänzer, ich die Tänzerin,
wir drehn uns einmal, dann gehst du hinaus,
ich hier hinein, und alles hat ein Ende.

Baron (küßt ihre Hand)
Du Liebe, Schöne, Gute!

(Er wendet sich, nimmt seinen Hut von einem Lehnstuhl, wie um wegzugeben.)

Vittoria (sieht ihn nachdenklich an) Viel, viel leichter
sind manche Dinge hier, wo sie geschehn,
als hier, wo wir sie träumen. Sonderbar!
Nun lassen sie uns eine halbe Stunde
allein, damit wir, wie auf dem Theater,
du mir, ich dir, in hundert Worten sage,
was zu erleben grad' ein halbes Leben
hinreichte, – und dann willst du wirklich fort?

Baron (den Hut in der Hand, rasch)
Noch heute, Liebe.

Vittoria                         Heute! an dem Tag,
der dir dein Kind gegeben. – Dies ist wahr,
daß Frauen Mütter sind, und Männer – Männer.

Baron So kränkt es dich?

Vittoria (achselzuckend)     Du mußt –

Baron                                                   Ich muß, Geliebte!
Sie sind mir auf der Spur. Aus Eifersucht
hat eine Frau –

Vittoria (lächelnd)     Ist eine Frau im Spiel?
So mußt du wirklich, Frauen sind gefährlich!
Man sagt's zumindestens. Ich war es nicht:
Dir nicht, dem alten Mann nicht, nicht dem Dritten.
Vielleicht auch bin ich keine rechte Frau.
(Sie tritt ihm einen Schritt näher.)
Weißt du denn noch, wie über alle Maßen
achtlos, wie über Nacht du mich verließest?

Baron Nach den drei Tagen?

Vittoria                                   O nein, der drei Tage
gedenk ich nicht, der guten Zeit gedenk ich,
und ihres doch für dich so leichten Endes!

Baron (verlegen)
Du weißt nicht, wie das war.

Vittoria                                         Ich weiß es nicht
und hab es nie gewußt. Doch nun, mein Lieber,
erzähl mirs nicht, denn nun ist nicht die Zeit.
(Tritt ein wenig zurück)
Nun ist die Zeit, von unserm Kind zu reden.
– – Der alte Mann, bei dem ich lang gelebt –

Baron Der Fürst von Pallagonia?

Vittoria                                         Diesen Namen,
der dich und mich nicht kümmert, der auf Erden
nichts als den Deckel einer Gruft bezeichnet,
den wußtest du, doch daß ein Kind, dein Kind
aufwächst, ein lebend Kind von dir und mir,
das hast du nie gewußt! so leben wir!
(Nach einer kleinen Pause)
Der alte Mann war gut. Mit wenig Kunst
könnt ich aus ihm mir einen Vater machen.

Baron (mit affektiertem Interesse)
Er?

Vittoria Hat dies Kind gekannt und recht geliebt.
Ich hab ihn sterben sehn. Die Güter kamen
an seine Neffen.
(Sie tritt an die Wand links, schlägt einen Gobelin zurück und läßt ein tiefes geheimes Fach aufspringen)
                            Diese Edelsteine,
die er mich anzunehmen sterbend bat,
sind das Korallenriff im Meer gewesen,
daran sich mit der Zeit ein kleines Erbgut
für mein – für unser Kind von selber hing.

Baron Von selber?

Vittoria                   Ja, denn ich tat nichts dazu,
als daß ich sang. Wofür sie mich bezahlten,
der Schatten war's, den meine Seele warf,
wenn sie die Flügel schwang, um dich zu suchen.
Ich warf mein Netz nach Liebe, und ich zogs
mit einem Klumpen Gold empor. Allmählich
fand ich das Leben freundlich. Wie sie alle,
die Menschen, wie ein langer Maskenzug,
fast wie die Könige aus Morgenland,
die Gaben brachten für ein schlafend Kind,
an mir vorüberkamen und von allen
mir nichts zurückblieb, als dies viele Gold –

Baron So ist er reich?

Vittoria (lächelnd)       Wohl reicher als mein Mann.

Baron Der – ist der Dritte?

Vittoria (läßt das Fach wieder zuspringen) Ja, der Dritte. Du
der Erste, warst mein einziger Geliebter:
doch weil das Leben Vater mir und Bruder
versagte, als ich hilflos war und klein,
so mußt ich sie im Leben suchen gehn
und fand zuerst den Einen, dann den Andern.
(sie zieht die Tapete wieder vor, tritt von der Wand weg)
Nun weißt du alles.

Baron (zieht einen Ring vom Finger) Wenn dein Sohn so reich ist,
so wird ihn dieser Ring des Steines nicht
und auch – des Gebers wegen nicht erfreun:
so gib ihn du, von der er alles hat,
dem Kind an seines armen Vaters statt!

Vittoria Du nennst dich selber arm! Antonio, hör mich.
(nimmt ihn bei der Hand)
Er, ich, dies alles ist doch dein! dein Ding!
Du bist sein Vater, ich gehör zu ihm,
und er muß dir –

Baron (schnell)           Vittoria! still, Vittoria!
Wir müssen still vorüber aneinander,
still wie die beiden Eimer in dem Brunnen,
der eine geht nach oben, der ist voll,
der leere geht nach unten in das Dunkel.

Vittoria Antonio!

Baron                     Ich bin heut nicht arm und morgen –

Vittoria (ängstlich)
Lieber!

Baron Gib ihm den Ring und sag ihm dies dazu:
er kommt von einem, der mit tausend Armen
nach allen Freuden griff und wie ein Kind
mit allem wild zum Mund fuhr; der mit Lust
am Schein von Seifenblasen hing; der achtlos
ein wundervolles Herz hinfallen ließ,
um eine liederlich geschminkte Maske
zu haschen; der des Lebens Sklave hieß,
nicht altern konnte, und – dein Vater war!
Gib ihm den Ring, und sag ihm nichts dazu.
(Er wendet sich zum Gehen)

Vittoria Wie, du willst gehen und ihn auch nicht erwarten?
Es ist noch früh am Nachmittag!

Baron (siebt auf die Uhr, verlegen)     Verzeih,
ich hab' Verschiedenes zu ordnen, auch –
es wär ein Augenblick, was macht der aus?

Vittoria So geh und ordne.
(Sie läutet; an der Tür rechts vorne erscheint ein Diener)
                                    Angelo, die Gondel
für den Baron.

Diener ab.

                        Wie du sie verstehst,
die Kunst, die ich im Leben nie erlernt',
die Kunst, zu enden! Wer das kann, kann alles.
Ich fing was an, da war ich sechzehn Jahr,
und heute hat's kein Ende –

Baron                                         Tut's dir leid?

Vittoria Ich weiß nicht; geh.

Baron                                     Leb wohl!

Vittoria                                                     Leb wohl!
(Sie wendet sich noch einmal um, gebt an ihn heran; mit veränderter Stimme)
Antonio, weißt du, wie ich gestern Nacht
zu dir kam? Nimm dir's als Erinn'rung mit:
ich kam, so sehr die Sklavin eines Zaubers,
der von dir ausging – und doch nicht von dir –
daß ich kaum mehr die Mutter deines Kindes,
kaum mehr ich selber war, die Sängerin,
vielmehr dein Ding, dein törichtes Geschöpf,
die kleine längst begrabene Vittoria.
Ich bin sehr froh, daß du das nicht gespürt
und mich mir selbst zurückgegeben hast.
Ich könnt' auch dafür danken, daß du schuld warst,
daß ich's noch einmal spürte –

Baron (nähertretend)                         O Vittoria!

Vittoria (indem sie ihn mit einer leisen Gebärde abwehrt, leise)
Vorüber.

Von rückwärts kommt der Diener.

Vittoria (dem Diener zunickend, lächelnd, laut)
                  Ihre Gondel wird gemeldet,
Baron!

(Sie verneigt sich, der Baron verbeugt sich tief. Beide geben ab. Der Baron verschwindet mit dem Diener im Hintergrund. Vittoria bleibt an der Tür links stehen, sieht ihm nach, bis er verschwindet)

Vittoria Wie, geht er wirklich? Kann er's? ja, er geht!
Er geht. Was will ich weinen? Alles führt
ein gütiges Geschick zu sanftem Ende,
und mir bleibt alles, denn der Eine geht,
aus dessen Mund der Blitz hätt' fallen können:
denn ihn hält eine Tänzerin am Faden,
und den Magnetberg, dran sein morsches Schiff
einmal die Nägel läßt und elend scheitert,
birgt jedes Haus, aus dessen offnen Fenstern
geschminkte Lippen auf die Straße lächeln.

(Sie setzt sich in einen Stuhl, schlägt die Hände vors Gesicht, weint. Nach einer Weile steht sie auf, geht auf und ab.)

Er geht und dreht den Kopf nicht noch einmal,
das Haus zu sehn, in dem sein Kind zurückbleibt.
Mich dünkt, das wollt' ich doch, was jetzt geschah!
Wie, oder log ich auch mich selber an?
Wie leicht und lustig ging dies alles aus!
Hätt' ich ihn gestern abend nicht gesehn,
gelang mir heute niemals die Verstellung:
und wiederum, wär' etwas von dem Erz,
das in dem Namen »Vater« dröhnt und klingt,
in seines Wesens weichen Lehm gemischt,
so ging er heut nicht so von dieser Schwelle!
An welchem Spinnweb oder welcher Kette
von Eisen hängst du unser Schicksal auf,
Du droben?

(Sie stößt mit dem Fuß an eine Orange, die aus dem Korb des Alten gefallen ist, hebt sie auf und legt sie, ohne darauf zu achten, aufs Klavier.)

                  Wohl, ich seh', dies ist nun so.
Des Lebens Wasser rinnen einen Weg,
und der Musik erschuf – dann kommt ein Tag,
wo er sie nicht erkennt, und sich von ihr
wegwendet: also auch geschah es hier.
Bin ich nicht die Musik, die er erschuf,
ich und mein Kind? ist Feuer nicht in uns,
was Feuer einst in seiner Seele war?
Was gilt das Scheit, daran es sich entzündet:
die Flamme ist dem höchsten Gott verbündet!

(Sie geht mit leichtem Schritte zur Tür rechts vorne hinaus.
Die Bühne bleibt eine Weile leer. Dann kommt von rückwärts Cesarino, verlarvt. Er ruft.)

Cesarino Vittoria! Vittoria!

(Steht horchend in der Mitte der Bühne still, reißt die Larve vom Gesicht, horcht gespannter. Läuft an die Türe rechts, horcht und ruft mit bebender Stimme:)

Lorenzo, schnell! sie singt so wundervoll,
mir bleibt das Blut in allen Adern stehn!
Sie singt das große Lied der Ariadne,
das sie seit Jahren hat nicht singen woll'n!
die große Arie, wie sie auf dem Wagen
des Bacchus steht! o komm, Lorenzo, komm!

(Vorhang)


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