Heinrich Hoffmann
Handbüchlein für Wühler
Heinrich Hoffmann

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Viertes Kapitel

Von der Rede

Ich bin nun an dem wichtigsten Teile des Büchleins angelangt. Das Wort ist recht eigentlich das Samenkorn der Tat, nicht allein, daß aus den gesäten Worten Taten reifen, sondern auch diese Taten wiederum bringen eine reiche Worternte, nämlich unendlichen Redesegen, ganze Scheunen voll, grobkernige Früchte, mitunter recht flegelhaft ausgedroschen. Wer nicht reden oder wenigstens schwatzen und schwadronieren kann, wird sein Lebtag kein Kunstpatriot. Erstes Bedürfnis ist ein Paar recht starke Lungen. Ohne sie ist jeder Versuch ein verzweifelter. In der Kraft des Schreiens stimmen die Helden der Ilias und die des Tages überein, und von göttlicher Grobheit waren jene auch.

Was nun Gehalt und Ausdruck angeht, so muß ich mich wiederum auf allgemeine Sätze beschränken, die aber wohl angewendet von großem und entschieden praktischem Nutzen sein können.

  1. Sprich über alles! Keiner Frage weiche aus! Das wäre ja feige. Ein Volksredner muß es machen wie General Wrangel bei Danevirke. Die Zunge ist sein Bajonett, und damit: drauf und drauf! Ein großer Fehler ist ein jedes zweifelhafte Urteil, namentlich wenn er tadelt. Tadeln soll überhaupt ein Kunstpatriot nie, sondern nur schimpfen.
  2. Die Rede sei durchweg derb! Alle Aussprüche seien vierschrötig, grobknochig! Gedrungene Sätze, so daß den Zuhörern ein Gefühl von Pflastersteinen, Sensen, Dreschflegeln und von anderem Freiheitsprügelmaterial anwandelt, und zwar aktiv oder passiv, je nachdem.
  3. Frech geradezu zu lügen, ist Unrecht, denn es ist unklug. Nur im äußersten Falle, als letzte Notwehr kann es erlaubt sein. Hingegen so ein bißchen neben herumlügen ist durchaus nicht zu verwerfen. Überhaupt, was ist Wahrheit? Subjektive Ansicht. Was ist eine Tatsache? Objektive Erscheinung. Da nun aber letztere immer durch die erstere bedingt wird, so liegt es in der Idee der Tatsache, daß sie in eine Stellung geschoben werden muß, wo man sie vom individuellen Standpunkte aus eben von der geeignetsten Seite erblicken kann. Jede Tatsache steht wie manche Bildsäulen auf einem beweglichen Fußgestell; nun ist es doch wahrhaftig einerlei, ob ich mit dem Licht um die Bildsäule herumgehe, oder ob ich dieselbe selbst um sich selbst herumdrehe. Es kommt alles auf den Standpunkt an, und es steht mir gewiß das souveräne Urrecht zu, dabei zu verfahren, wie mir gut dünkt. Das rechte Maß zu halten, ist schwer, und es bedarf eines feinen Tastsinnes. Wichtiger und sicherer ist hierbei immer das Verschweigen, gefährlicher das Erfinden. Das ist so unsere Weltanschauung!
  4. Wo etwa Begeisterung nötig ist, suche der Redner in Wut zu geraten. Der Wein der Begeisterung tut es nicht mehr, man muß zum Schnaps des Fanatismus greifen. Der Kunstpatriot ist ein echter Bürgersoldat, er hat wahre Kriegsstrapazen durchzumachen, und da sind trotz aller Mäßigkeitsvereine die starken geistigen Fluida nicht zu entbehren.
  5. Eigentliche Titulaturen fallen ganz weg. Dies versteht sich eigentlich von selbst, als mit dem Begriff der Grobheit unvereinbar. Man muß aber konsequent dabei sein; so ist die Anrede: »meine Herrn« ganz zensurwidrig und mit der Brüderlichkeit und Gleichheit unverträglich. Man sagt: »Freunde« oder »Mitbürger« oder »deutsche Männer« oder noch besser gar nichts; die Leute wissen doch, was sie sind. Das Wörtchen »Ihr« ist besser als »Sie«. Jenes ist mehr proletarisches Eichenholz, dieses aristokratisch poliertes Mahagoni. – Ferner sage man z. B. nicht: »Herr Torschreiber Eppelmeier«, sondern nach Vorgang der Franzosen »Citoyen Eppelmeier«, zu deutsch »Bürger Eppelmeier«. Herren werden nun ein für allemal nirgends mehr geduldet.Ich mache hier aufmerksam, daß sich das verpönte Wort irgendwo noch immer erhalten hat und vielleicht noch lange erhalten könnte. In den Wirtshäusern, auf den Eisenbahnhöfen gibt es gewisse Gemächer, auf deren Türen sich die aristokratische Inschrift findet: »Für Herren«. Also selbst auch hier noch Standesunterschiede! Das muß geändert werden. Ich schlage zu dem Ende vor, einen großen Verein durch ganz Deutschland zu bilden, etwa unter dem Namen: Allgemeiner Deutscher S. V.-Türen-Republikanisierungs-Verein.
  6. Die Gestikulationen seien rasch, wild, eckig. Selten nur werde die Hand so ausgestreckt, daß die Hohlhand nach oben sieht. Dies ist eine Bettelbubenbewegung und nur als Zeichen wegwerfender Verachtung zu benutzen.

    Die Theorie der Gestikulationen ist folgende:

    1. Vorzugsweise sei der Rücken der ausgestreckten Hand nach oben gerichtet. Befehlende Bewegung; kategorischer Imperativ. Mit allein ausgestrecktem Zeigefinger stellt sich der Redner als revolutionärer Wegweiser dar.
    2. Hauptbewegung ist die geballte Faust oder beide. Sie bedeutet Drohung, Kraft, Entschlossenheit, Verschlossenheit, Komplott, Verschwörung und noch vieles andere.
    3. Auf der Brust gekreuzte Arme. Beweis unerschütterlicher Grundsätze und selbst passiver Widerstandsfähigkeit. Sie tun oft gute Wirkung, und ich erinnere mich, daß diese Stellung einem 17jährigen Studenten, der in einer der Abendversammlungen zur Zeit des Vorparlaments von der Erbärmlichkeit des Alters und von der Alleinberechtigung der Jungen sprach, recht allerliebst zu Gesichte stand.
    4. Im Stadium der Begeisterung und der Wut hört jede Regel auf. Der Redner kann stampfen, springen, tanzen, hauen, boxen, kurz, treiben, was er will.
  7. Die Reihenfolge der Redner sei so eingerichtet, daß die Jungen das erste und wiederum auch das letzte Wort haben. Hierdurch unterscheidet sich die Freiheit der Gegenwart von der des Altertums. Die Neuzeit geht von unwiderlegbaren Prinzipien, von Fundamentalsätzen der Natur aus. Ein alter dürrer Apfelbaum wird ausgerottet und ein neuer hingepflanzt. Die Ehrfurcht gegen das Alter ist gar kein Naturgesetz (vgl. die ganze Tierwelt), sondern ein Artefakt, eine Konvenienz, eine Unnatur, ein Zwang, eine Sklaverei, mit einem Wort, Reaktion. Weiße Haare sind Mangel an Färbestoff in den Haarzylindern, und weiter nichts.
  8. Das Reaktionsgeruchsorgan muß bis zur feinsten Empfindlichkeit ausgebildet werden. Am sichersten fährt man, wenn man eben Reaktion in allem und allem findet. Wird z. B. das Brot teurer, so ist dies Reaktion; die volksfeindliche Wucherregierung will das unglückliche Proletariat aushungern, sie will den letzten Blutstropfen aus den leeren Adern herauspressen. – Schlagen die Brotpreise ab, dann schreit der Volksredner: »Männer, eßt dies Brot nicht! Es ist vergiftet! Ich will euch sagen, womit. In diesem wohlfeilen Brot steckt das Gift der Reaktion. Man will euch mit leiblichem Wohlbehagen kirren; in sinnlichen Genüssen sollt ihr gefangen werden, damit man euch später desto ärger schinden könne. Eßt in Gottes Namen lieber Backsteine, aber verschmäht dieses wohlfeile, reaktionsgiftige Brot!« – Wenn es regnet, so ist dies Reaktion; »denn«, spricht der Volksredner, »seht ihr nicht, dieser Regen ist das Werk einer heimlichen Reaktion. Ja Männer, die Aristokratie mit ihren seidenen Regenschirmen will euch eure Dürftigkeit fühlen lassen! Sie lächelt, befindet sich behaglich und läßt die armen Tröpfe in den Tropfen.« – Wenn die Sonne scheint, so ist dies Reaktion; »denn«, spricht der Volksredner, »sie freuen sich ob der Glühhitze, wo ihr unter der Bürde der Arbeit doppelt schwitzt und seufzet, wo euch am dürren Gaumen die vertrocknete Zunge klebt«. (Herrliche Floskel, besonders im Bierhause von praktischem Erfolge.) Namentlich hüte man sich, irgend etwas von dem, was bis jetzt durch die politische Bewegung errungen worden ist, anzuerkennen. Am besten wird das alles ganz und gar mit Stumpf und Stiel weggeleugnet. Es existiert kein freies Assoziationsrecht, weil irgendeine Spitzbubenbande oder ein geheimer Spielklub gesprengt worden ist. Pressefreiheit existiert nicht, weil der Prinz von Preußen nicht mehr per »Kartätschenprinz« traktiert werden darf. Die Mehrheit der Nationalversammlung in der Paulskirche ist nun gar nichts anderes als ein großes Reaktionsbrauhaus, als eine Assekuranzgesellschaft für den Polizeistaat. Alles, was irgend mit einer Regierung zusammenhängt, muß verdächtigt werden. Heute ehrlicher Patriot, morgen Minister, übermorgen schlechter Volksverräter. Das ist ein Axiom, ein Grundrecht. Da beißt, wie die Leute sagen, keine Maus einen Faden ab. Merke es, mein Schüler, die Aufregung darf nicht aufhören! Hört sie auf, so höre ich und du, wir alle hören auch auf, und dann ist der ganze Spaß vorbei. So muß der kluge Volksführer die Reaktion überall aufzufinden wissen. Es ist dies Wort das Gold der Rede, es verlockt und besticht; und der Kunstpatriot muß der Adept sein, der dieses Gold aus allem bereiten kann, aus allem, aus jeder Krone, aus jedem Dreck. Diese Reaktion ist der rote Faden, der durch das ganze Takelwerk der Rede durchgehen muß. Endlich
  9. glaube ich dem lernbegierigen Schüler noch eine Einrichtung empfehlen zu müssen, die bei wichtigen Gelegenheiten, z. B. in Volksversammlungen, von entscheidendem Einflüsse sein wird. Es ist dies eine geübte, schlagfertige Claque. Diese wird ohne übergroße Geldopfer zu beschaffen sein, und in jeder nur mittelmäßigen Stadt sind hierzu schon die genügenden Einrichtungen vorhanden; Dilettanten tun es umsonst, Virtuosen werden billig (12 Kreuzer) besoldet. Eine solche Prätorianergarde muß sowohl zur Defension, d. h. zum Beifall für den Entrepreneur, als auch zur Offensive, d. h. zum Zerzischen und Zerstampfen gegnerischer Ansichten einexerziert sein. Wahrlich, man kann wohl sagen, da liegt die Wahrheit auf der flachen Hand! Vor allem bedarf die ganze Herde eines mit der gehörigen Intelligenz versehenen Leithammels. Dieser klatscht oder pfeift voran; die andern Hammel folgen blindlings. Auf jeden Fall ist es rascher zu einem sicheren Ziel führend, wenn man eine Meinung niedertrommelt, als wenn man sie mühsam widerlegt. Das Jahrhundert braucht Männer der Tat. Also, in Germanias Namen, losgeklatscht, gescharrt, gepfiffen und getrommelt! Auf der Galerie der Paulskirche in Frankfurt ist die Hochschule aller Claqueurs.

     

    Anmerkung. Eine gut geübte Klatsch-Rotte kann außerdem noch eine wesentliche Unterstützung sein. Steckenbleiben ist menschlich; auch der Kunstpatriot ist, wenn auch in der höchsten Potenz, eine Art Abgott, denn doch am Ende ein Mensch; mithin kann der Kunstpatriot auch steckenbleiben. In F. lebte früher ein alter Schwimmlehrer, der jährlich eine große nautisch-deklamatorische-piratologische Vorstellung gab, d. h. zum Besten seiner Kasse eine Rede hielt, Feuerwerk abbrannte und zuletzt ins Wasser sprang. Diesem guten Manne geschah es regelmäßig, daß er bei der Festrede steckenblieb. Da schrie er: Bursche, he! ein Pot à feu! Sogleich sprühten und platzten die Schwärmer in der Luft umher, und der Zusammenhang war wieder da, und die Rede ging weiter. Gerade so hilft sich der Volksredner, wenn ihm das menschliche Steckenbleiben begegnet, mit seiner Klatschgarde; nur muß sie gut abgerichtet sein, daß sie Kunstpausen nicht etwa mit Steckenbleiben verwechselt.

Einer ganz neu erfundenen Art der Literatur muß ich hier noch schließlich gedenken, nämlich eines Amphibiengeschlechtes, welches zwischen der wäßrigen Journalistik und der heißblütigen Rede mitten inne steht. Es sind die Predigten der Quadersteine, es ist die Literatur der Eckpfosten, die Literatur der Plakate. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in einem fort zu reden, das hält selbst das patriotischste Lungenpaar nicht aus (Cato, der es gekonnt haben soll, ist tot); solch ein Plakat aber wird nicht heiser. Das Publikum wechselt, der Redner spricht immerfort, auf öffentlichem Markte, zu aller Welt, nicht bloß zu den paar armseligen Abonnenten. Gegnerische Anschläge, reaktionär Gedrucktes muß mit Indignation und Konsequenz überall herabgerissen werden. –


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