Heinrich Hoffmann
Handbüchlein für Wühler
Heinrich Hoffmann

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Erstes Kapitel

Die Retraite

Hänge den Mantel nach dem Winde! ist gut sagen und auch leicht ausführen, wenn die Passatwinde gleichförmig aus einer Himmelsgegend herwehen, schwer aber, wenn in sturmbewegter Zeit kein Mensch dir sagen kann, woher es eigentlich pfeift. Die Windfahnen sind dann in der alten gewohnten Richtung eingerostet oder kreischen haltlos hierhin und dorthin. Dann ist Vorsicht und kaltblütige Überlegung vor allem nötig. Wenn z. B. 33 Jahre lang der Hof- und Fürstenwind geweht hat und nun mit einem Male in Volkssturm umsetzt, wie soll man da das Steuer führen, um gehörig zu lavieren und oben zu bleiben? – Grün allein ist der Praxis goldner Baum! Also ein Beispiel!

Der Amtmann X. in Ypsilonstadt war bis zu den Märztagen ein submissester Fürstenlecker und konsequenter Polizeimandarin. Da bricht das Völkerleben und Thronewanken los. Alsbald erscheint in einer benachbarten Zeitung nachfolgender Artikel, vom Herrn Amtmann entweder selbst oder durch einen sehr vertrauten Freund verfaßt und besorgt.

»Ypsilonstadt. Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Auch bei uns regt sich mächtig das Volksbewußtsein usw. Freiheitsfrühling usw., Volkssouveränität usw., Proletarier usw., Tyrannei usw., Nieder! usw., Hoch! usw. – Daß die Bewegung auch bei uns mit Kraft und Nachdruck auftreten muß, dafür bürgt der Name des Amtmanns X., eines Mannes, dessen Verdienste, lange verkannt, jetzt im reinsten Lichte glänzen werden, eines Mannes, der jetzt um so ungehemmter für des Volkes heilige Interessen tätig sein kann, als die schändliche Kamarilla gestürzt ist, die dem Edlen überall hemmend in den Weg trat und als deren Opfer er betrachtet werden muß usw.«

Einen Tag später wird der ganze Artikel in dem Ypsilonstädter Anzeiger abgedruckt, etwa mit folgenden einleitenden Worten: »Wir lesen in der X'schen Zeitung mit Freuden nachstehenden Aufsatz über die hiesigen Zustände.« – Nun hat der Herr Amtmann folgende Entwicklungsstadien durchzumachen:

Dritter Tag. Er tritt an die Spitze folgender Geldsammlungs-Komitees:

  1. für Schleswig-Holstein
  2. für die deutsche Flotte
  3. für die Opfer in Berlin und Wien.

Vierter Tag. Er schenkt der rasch herzurichtenden Bürgerwehr aus eigenen Mitteln oder klüger aus der Amtskasse eine schwarz-rot-goldene Fahne. Aus Dankbarkeit wird er zum »Oberleitmann« erwählt.

Fünfter Tag. Er veranstaltet irgendeine PetitionEine kleine Bemerkung über Petitionen dürfte wohl hier am rechten Orte sein. Man hüte sich bei Abfassung derselben vor dem Worte: Wir wünschen, oder: wir bitten; statt derselben heißt es jetzt: Wir wollen, wir verlangen. Was den Inhalt angeht, so ist dieser ziemlich gleichgültig; es muß nun einmal petitioniert, adressiert, geanspracht, geaufruft usw. werden; ein guter Wühler unterzeichnet alles, selbst wenn die Nachtwächter verlangen sollten, daß sie fortan ihr Amt nur während des Tages, als der naturgemäß zur Arbeit bestimmten Zeit, ausüben, und daß sie des Nachts grundrechtlich schlafen wollten. oder eine Adresse und hält eine donnernde Rede.

Sechster Tag. Er sammelt für die flüchtigen Patrioten und stiftet einen demokratischen Verein mit einer noch donnernderen Rede.

Siebenter Tag. Tag der Ruhe nach göttlichem Gesetz. Der Kunstpatriot ist fertig und handelt weiter nach Umständen.

Dies ist so der Weg, den mutatis mutandis ein jeder einschlagen kann, dies die Schablone, durch die sich ein jeder volkstümlich mit den Farben des Tages anstreichen lassen muß. Ein Grundsatz vor allem darf nie außer Augen gelassen werden: Rasch, aber doch allmählich! Keine Sprünge, sonst brichst du das Bein! –


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