Heinrich Hoffmann
Eine Kartoffelkomödie
Heinrich Hoffmann

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Erster Akt

Erster Auftritt

An der chinesischen Grenze. Links der chinesische Grenzpfahl mit einem gespießten Kopfe darauf.

Männecken (in einem schwarzen Domino, kommt atemlos gelaufen) Puah! Puah! uff! uff! – Was für eine Hitze! Was für ein Staub! Was für ein Weg! – So direkt in einem Schuß von Berlin hierher zu laufen ins Chinesische, keine Kleinigkeit! – Und nirgends hier eine Erquickungsanstalt! dürre Heide ohne Weißbier, wüste Fläche ohne Pfannkuchen! O Vaterland! – Zeit war es aber, daß ich lief; die Kanonen krachten mir dicht vor den Ohren, die Russen waren mir ganz nahe auf dem Leibe. Ich bin zwar Friseur von Profession, und Kunst geht über alles; aber so einem Kosaken in die Haare zu geraten, hatte ich doch keine Lust. Die Burschen sind mir zu pikant. Ich schmiß die Muskete ins Weite, rettete mich zu einem Maskenhändler, sprang ins erste beste Kleid, und lief querfeldein, fort bis hier. Mit etwas Philosophie und viel Russophobie kommt der Mensch heutzutage überall fort. – Weit von China kann es nicht mehr sein; es riecht schon alles nach Tee und Brezeln. – Wahrhaftig, da steht der Grenzpfahl! (Er betrachtet ihn von allen Seiten.) Und ein Kopf darauf! Nicht gerade einladend! – Aber Courage! Sei mir gegrüßt, du Vaterland der Tusche, hier in China will ich wieder frisieren und pudern und Locken brennen. Juchhe! Nur nicht den Kopf verloren, wie der da oben! (Will weitergehen.)

Zweiter Auftritt

Voriger. Chinesischer Zollwächter (hält ihm eine Picke vor)

Zollwächter. Halt! Wer do?

Männecken (prallt zurück). Ha!

Zollwächter. Wer do? Antworten's oder i geb Feuer!

Männecken. Ach, verehrtester Herr chinesischer Kosak, ein reisender Künstler, ein Entwirrer von Verwirrungen, jetzt selbst höchst verwirrt.

Zollwächter. Was wollen's mit'n Kosak? i froag, hoaben's was Zollbares im Sack, und roate Ihnen, lassen's das Sticheln.

Männecken. Ich sticheln? Ach du lieber Gott! Sticheln Sie nur nicht und tun Sie Ihre Stange da weg, höchst ehrwürdiger Herr Lançier! Ob ich etwas Zollbares bei mir führe? Weder Zollbares noch sonst was Bares ist bei mir zu finden, mein lieber, bester Herr Räuber!

Zollwächter. Halten's still und's Maul! Jetzt müssen'»visitiert werden.

Männecken. Ach ja doch! – (Zollwächter befühlt ihn von allen Seiten.) – der wird wenig finden.

Zollwächter. Führen's vielleicht Opium bei sich?

Männecken. Nötig hätt' ich's, denn in drei Tagen habe ich kein Auge zugetan.

Zollwächter. Lassen's mich einmal sehn, ob's keine hohlen Zähne hoben und Opiumpillen drin. (Er sieht ihm in den Mund.)

Männecken. Ich habe ja ganz gesunde Zähne, aber nichts zu beißen.

Zollwächter. Stehn's goar etwa im deutsch-katholischen Geruch?

Männecken. Von Stehn ist gar die Rede nicht mehr bei mir, ich falle beinahe um.

Zollwächter. Oder sein's so ein Kommunist? Oder gehören's der Kasselisch protestantischen Chinesenvertilgungssozietät an? Oder dem Frankfurter Montagskränzchen? Oder was anderem? Oder hoben's verbotene Schriften bei sich?

Männecken. Mir schwindelt! Die einzigen Schriften, Herr chinesischer Kosak, die ich bei mir führe, sind einige unbezahlte Wirtsrechnungen.

Zollwächter (ärgerlich). Also gar nix kann er deklarieren?

Männecken. Ach ja! Herr Kosak! – Gleich.

Zollwächter. Nun!

Männecken. Was soll ich dem Menschenfresser nur gleich deklamieren? – So! – ja!

Sie sollen sie nicht haben,
Die Konstitution;
Das war ein haltbar Möbel,
So ein papierner Thron!

Zollwächter. Er ist ein Esel.

Männecken. Bitte sehr! – Aber, Herr Kosak, erlauben Sie mir eine Frage! Sind Sie vielleicht auch Haarkräusler, lockender Künstler?

Zollwächter. Wie kommt er zu der Frage?

Männecken. Nun! weil Sie da oben einen Kopf ausgestellt haben, wie bei uns zu Lande die Peruquiers.

Zollwächter. Dummes Zeug! Der Kerl dort oben war ein pensionierter baierischer Opiumraucher.

Männecken. Puah! (schüttelt) Das Mittel hat stark gewirkt! Der arme Teufel hat wirklich den Kopf darüber verloren.

Zollwächter. Perückenmacher und Friseurs gibt's hier im Lande gar nit, weil alle Welt kahlköpfig ist.

Männecken. O! – Weh! – Ach! – Meine Aussichten, meine Absichten! Mein Einkommen, mein Auskommen! Also eine universale Polizei-Tonsur! Weh! Weh!

Zollwächter. Das ist ein toller G'sell. – Ja, wir sind ein zivilisiertes Volk, wir stehen an der Spitze der gesamten asiatischen Intelligenz, wir leben in einem Polizeistaate, und do loßt die Polizei niemanden ungeschoren. – Nun mach er's aber kurz; ich muß ihn jetzt noch zeichnen!

Männecken. Ach, warum nicht gar! Zeichnen! So einen geschlagenen, verhungerten Menschen, wie mich! Was tun Sie mit meinem Bildnis? Bitte ergebenst.

Zollwächter. Ich muß ihn zeichnen, damit er im Lande als visitiert und plombiert passieren kann. Eine Art von Paß muß er sich mitgeben, d. h. er muß sich in die Waden stechen lassen. Zeigt er diese dann vor, so darf er ungehindert weiterziehen.

Männecken. Ach, Herr Kosak, ich bin schon ganz passabel. Ich will gar nicht gezeichnet sein, am wenigsten mit dem Bleistift da. Ich will gar nicht nach China hinein.

Zollwächter. Tut nichts. Er wird doch gezeichnet. (Er sticht ihm in die Beine)

Männecken. I! – Oh! – Weh! – Weh! –

(Zollwächter ab)

Dritter Auftritt

Männecken (allein, aus seiner Ohnmacht erwachend)

Herr Kosak! – Er ist fort. – Ich bin wahrhaftig ganz mutterseelenallein. Welch ein greulicher Unstern hat mich Kräusler ins Land der Kahlköpfe gebracht! Mein Kopf ist wüst und meine Beine sind zerstochen. Aber Mut, Männecken, Mut! Vielleicht kannst du doch dein Glück machen unter den Glatzigen. Was fang' ich an? Soll ich auch Kosak werden? – Hu! Nein! – Oder Hessen-Kasselischer Missionär? – Hu! Hu! Nein! Nein! – Oder Korrespondent der Allgemeinen Zeitung? Hu, hu, hu! Nein, nein, nein! – Halt! Licht! Land! – Prophezeiung, Du gehst zum zweiten Male in Erfüllung! – (tiefsinnend) Als ich noch ein kleiner Bube war, prügelte ich mich oft und wacker mit meinen Gespielen herum; ich aber hatte meine Vorteile, und schlug ihnen immer auf die Köpfe. Da sprach meine Amme, die alte Hexe: Adrian wird es weit bringen, er wird über Köpfe herrschen. – Wenn meine Mutter Spargeln kochte, war ich flugs bei der Hand und biß die Köpfe ab. Da sprach meine Amme, die alte Hexe: Adrian wird es weit bringen, er wird über Köpfe herrschen. – Ich wurde Friseur; da riefen die Muhmen und Basen: Die Prophezeiung geht in Erfüllung: Adrian wird über Köpfe herrschen. – Nichts da! Mit dem Frisieren geht es nicht mehr. – Nun, kann ich die Köpfe nicht von außen zurechtsetzen, so will ich's von innen versuchen. Ich will Professor der schönen Künste und Wissenschaften werden. Herrlich! Göttlich! Ich werde einen chinesischen Prinzen auf die Universität begleiten und in dulci jubilo leben. – Von nun an also: Baron von Männecken. –

Vierter Auftritt

Voriger. Knot-jang (mit Ränzel und Stock, kommt singend)

Knot-jang
                Durch die Welt;
    Ohne Geld
    Reist es sich am besten.
    Viel Gepäck,
    Volle Säck,
    Machen viel Molesten.
Handwerksbursche reiset gut,
Hat er stets nur leichtes Blut.
    Schmeißt man hier
    Zu die Tür,
Er behält den Mut.

Männecken. Das scheint ein lustiger Zeisig!

Knot-jang (Beiseite). Was ist das für eine traurige Krähe! (Laut) Ein armer reisender chinesischer Handwerksbursch bittet um einen Zehrpfennig.

Männecken
    Durch die Welt
Ohne Geld
Reist es sich am besten.

Knot-jang. Aha! Ist der Herr vielleicht ein reisender Schornsteinfeger?

Männecken. Pfui! Ich bin Adrian, Baron von Männecken, Professeur des beaux arts.

Knot-jang. Nun, mein verehrtester bösartiger Herr Professor, schenken Sie mir was! –

Männecken. Im Augenblick unmöglich, Freund. Als ich durch die Mongolei schiffte, wurden wir um Mittag von einem Schwarm Kalmücken überfallen; die ganze Mannschaft, alle meine Leute erlagen den giftigen Stacheln dieser Tiere. Ich sprang über Bord und suchte mich durch Schwimmen zu retten. Nach acht Tagen fand ich Grund, und kam ans Ufer. Ich zog vier Wochen landeinwärts. Da hatte ich das Unglück, daß dort unten im Tale meine Pferde vor der großen Chinesischen Mauer scheuten; sie gingen durch, d. h. nicht durch die Mauer, sondern bergab, einen tausend Fuß tiefen Abgrund hinunter. Der Wagen wurde leicht beschädigt; zwanzig meiner Bedienten blieben auf dem Platze, und ich laufe umher, um Leute zu suchen, die mir helfen.

Knot-jang. Ei, die sollen bald gefunden sein. (Beiseite) Das scheint mir ein Hauptwindbeutel!

Männecken. Bleibe nur; so sehr eilt es nicht. Kannst du mir den Weg nach der Hauptstadt Peking zeigen?

Knot-jang. Das will ich meinen! Ich gehe ja selbst hin. Aber was wollen Sie denn dort?

Männecken. Das sollst du erfahren. Ich will in der Hauptstadt eine Kleinkinderschule für höhere gesellige Bildung errichten, eine Säuglings-Emanzipations-Anstalt. Ich werde den zarten Wesen die Grundsätze des Tanzens, Reitens, des guten Tones beibringen. Pharao, Landsknecht, Bouillotte, Rouge et Noir, alles soll dort gelehrt werden. Philosophie und Laufen, Geschichte und Reden, Musik und anständig Essen soll schon im Keime begründet, so recht eigentlich in den Kindesbrei hineingerührt werden.

Knot-jang. Herr Professor, Halbpart! Die Eßstunden übernehme ich.

Männecken. Wollen sehen. Kann sich machen. Du singst erträglich?

Knot-jang. Und mache Verse.

Männecken. Gut! Du könntest Musik und Poesie lehren.

Knot-jang. Und die Eßstunden nebenbei! – Aber da fällt mir etwas Herrliches, Treffliches bei. Seine himmlische Majestät, Kaiser Wuwatz, sucht einen Hofmeister für seine Tochter Lala. Sie könnten sich um die Stelle bewerben.

Männecken. Ein guter Vorschlag! – Ja, bei Gott, ein köstlicher! – Komm an mein Herz, mein Associé! Du Schatz von der Landstraße, wie heißest du?

Knot-jang. Baron von Knot-jang.

Männecken und Knot-jang (sich umarmend) Mein Knot-jang! Mein Männecken!

Knot-jang (will fort). Soll ich nach Euer Exzellenz Wagen sehen?

Männecken. Halt, Ihro Gnaden! Es ist durchaus nicht nötig. Meine Leute kommen nach. Sie wissen den Weg. Sehen Sie, ich gehöre der romantischen Schule an; das Reisen zu Fuß, das noble Vagabundieren gefällt mir. Reisen wir zusammen! Jedem die Hälfte der Kosten!

Knot-jang. Einverstanden, Herr Patron! Vorwärts!

Beide
(Arm in Arm ab, singend:)
                Sonder Harm
    Arm in Arm
    Mit dem Freund, dem rechten,
    Weiß er sich
    Ritterlich
    Durch die Welt zu fechten.
Fährt vom Schuh die Sohle los,
Gehn' wir auf dem Strumpfe blos;
    Ochs und Kuh
    Trägt kein Schuh,
Und die Welt ist groß.

(Ende des ersten Aktes)


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