Hans Hoffmann
Die Teufelsmauer und andere Erzählungen
Hans Hoffmann

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Schattenseite

Ein Harzmärchen

Ein Bürger der Stadt Altenau im Harz, mit Namen Peter, ein noch jüngerer Mann, doch schon seit Jahren verheiratet, hatte sich wieder einmal mit seiner Frau gezankt, oder genauer gesprochen, war von ihr ausgezankt worden; und das zog er sich diesmal mit so viel Grimm und Gram zu Herzen, daß er aus dem Hause und der Stadt entwich, sich in den Wald warf und, dem Laufe der Oker aufwärts folgend, immer weiter in die Wildnis und immer höher auf den Berg kam. In seine schmerzhaften Gedanken vertieft, merkte er lange Zeit nicht, wie der Wald allmählich lichter wurde, dafür aber die einzelnen Tannen immer seltsamere Gestalten zeigten, knorrig, zerzaust, verbogen, die wunderlich verworrenen Zweige mit dichtem, grauem Moose bewachsen. Aber plötzlich blickte er auf, durch irgend etwas erschreckt, er wußte selbst nicht, durch was, einen Ton oder einen Hauch, und er fand sich auf einer ziemlich ebenen Blöße, die sich seinem kundigen Blicke als ein langgestrecktes Moor darstellte. Da wußte er, daß er auf dem Rücken des hohen Bruchberges stand, der dem Brocken gerade gegenüber liegt, und erschrak nun tiefer; denn hier oben war weder er selbst noch irgend jemand sonst aus Altenau 98 oder den anderen Ortschaften und Siedelungen dieses Gebirgsteils jemals gewesen. Das machte, dieser Berg war verrufen, weil er wie kein anderer ganz und gar mit Moor und Bruchland bedeckt und außerdem, wie man weiß, für den wilden Jäger und ähnliche unholde Geschöpfe ein beliebtes Unfugsgebiet ist.

Zugleich mit dem Schrecken aber erwachte auch eine Neugier in ihm und etlicher Stolz, daß er so etwas gewagt hatte, wenn auch ohne wissenden Willen, und er fing an, sich schüchtern ein wenig umzusehen, ja, bald auch vorsichtig einige Schritte vorwärts in das Moor hinein zu gehen.

»Es ist meiner Frau ganz recht,« dachte er trotzig, »wenn ich hier in einen Sumpf gerate und elend ersaufe, ohne daß sie jemals erfährt, was aus mir geworden ist. Das hat sie von ihrem Zanken. Ich armer Mensch!«

Das Moor war aber zumeist trocken, und wo sich sumpfige Stellen fanden, erkannte er sie leicht an den andersartigen Pflanzen und hütete sich wohl, da hinein zu tappen, sondern umging sie mit Sorgfalt, so gern er seiner Frau auch den Tort angetan hätte.

Allein obgleich er sich je länger je mehr in ganz guter Sicherheit fühlte, überkam ihn doch allmählich mit aller Gewalt ein wunderliches Bangen, dafür er sich keine Erklärung wußte; das war, wie manche Leute auf einem Kirchhofe um Mitternacht von einem 100 quälenden Grauen erfaßt werden. Und doch war's die volle Mittagsstunde, und im heißen Sonnenglanze schimmerten die hohen Kuppen drüben, der Brocken mit dem Königsberg, der Wurmberg und der steile Achtermann mit seiner spitzigen Felskappe über die weite Talsenkung herüber. Still war es freilich wie in einsamer Mitternacht. Nicht einmal ein Lufthauch machte sich vernehmbar. Und über dem schweigenden Moor wie über den anderen Höhen lag ein feiner, seltsamer Dunst, ein stilles Wallen und Flimmern, daß alles sonderbar aussah und anders, als er sonst es erblickt hatte. Das war, als ob diese Welt umher in einem tiefen Traume läge oder als ob er selbst träumte. Bald kamen die einzelnen Tannen am Rande der Moorfläche ihm vor wie menschliche Gestalten, jedoch fratzenhaft verzerrte, unheimliche Gesellen.

Und plötzlich sah er ganz deutlich, wie zwischen diesen wunderlichen Bäumen etwas bewegt hinhuschte, wie ein lichter Schatten oder eine Nebelsäule, nicht ein Tier des Waldes, sondern aufrecht wie ein Mensch, nur von riesiger Größe. Ein Laut aber war nicht zu hören, weder Tritte noch ein Rauschen der Büsche.

Und wie er still schaudernd und festgebannt starrte, sah er das rätselhafte Ding an einer hohen Tanne still stehen und erkannte ein großes Menschenantlitz, das mit weiten Augen zu ihm herüberschaute; aber diese Augen sahen ganz weiß und verblichen aus.

101 Das dauerte eine ziemliche Weile, und er vermochte vor Angst keinen Fuß zu bewegen. Aber nun glitt die Erscheinung vorwärts und kam auf das offene Moor heraus und gerade auf ihn zu. Und je näher sie kam, desto klarer formte sich seinen Augen ein riesiges Menschenbild, das feste, weite Schritte machte und in der ausgreifenden Hand eine mäßige Fichte mit Knorren und Zacken als Knüttel oder Keule trug. Und er sah, daß es ein Weib war; ein mächtiger Haarwald quoll von ihrem Scheitel und umhüllte den ganzen Leib bis hinab zu den Füßen; sonst war sie nur mit einem breiten Schurz von Eichenblättern bekleidet. Aus voller Nähe betrachtet, hatte sie auch ganz vernünftige menschliche Augen, nur daß sie ungewöhnlich funkelten und rollten. Aber riesengroß war sie und von gewaltigen Gliedern, daß der stattliche Mann sich wie ein Kind daneben vorkam.

»Ich bin das wilde Weib,« sprach sie, als sie herangekommen war, mit einer rauhen und fast drohenden Stimme, »und wer bist du und was willst du auf meiner stillen Höhe?«

Peter meinte, er würde vor Schreck keinen Ton aus der Kehle bringen, aber doch kam's ihm heraus, als ob ein Fremder aus ihm spräche: »Ich habe mich mit meinem Weibe gezankt und suchte die Einsamkeit.«

Auf dieses Bekenntnis begann das wilde Weib 102 auf einmal freundlicher zu blicken und fragte mit ganz gelindem Ton ihrer starken Stimme:

»Also dein Weib ist stärker als du? Hat sie dich sehr geprügelt?«

»Nicht doch,« antwortete er schnell, »wir prügeln uns niemals; das gilt bei uns nicht als gute Sitte. Übrigens bin ich um vieles stärker als sie!«

»Wie kann man sich zanken, ohne sich zu prügeln?« rief die Riesin erstaunt.

»Wir zanken uns mit Worten,« beschied er sie, »und darin allerdings ist meine Frau um vieles stärker. Darum bin ich vor ihr entwichen.«

»Das ist ein armseliges Zanken«, sprach sie verächtlich, »was kann dabei herauskommen? Das ist bei uns ganz anders. Bei mir nämlich und meinem Verlobten. Wenn wir uns zanken, prügeln wir uns, daß die Knochen krachen und die Funken stieben. Da weiß man doch, was man hat. Und wir zanken uns fast immer, wenn wir beieinander sind; das ist eben das Unglück.«

»Wer ist denn dein Verlobter?« fragte Peter zaghaft.

»Der wilde Mann natürlich,« erwiderte sie, »und er heißt so mit Recht, denn er ist ganz fürchterlich wild. Er behauptet freilich, ich sei noch wilder als er, aber das ist eine Verleumdung. So viel aber ist richtig, zu zähmen bin ich auch nicht. Und gerade weil er mich 103 immer zahm haben will, so kommen wir ins Zanken, und das wird gewöhnlich so schlimm, daß die Berge und Täler weithin widerhallen und die Leute in der Ebene wohl denken, hier oben sei ein Unwetter. Auch setzt es dann geknickte und ausgerissene Bäume, denn man will doch etwas in der Hand haben zu seiner Verteidigung. Und das sage ich bloß: unterkriegen lasse ich mich nicht. Und zähmen erst recht nicht. Ich bin stark genug, mich gewaltig zu wehren. Wünschest du es vielleicht zu erproben?«

Peter wünschte das gar nicht, aber sie nahm ihn gelassen mit einer Hand beim Kragen und warf ihn im Bogen so hoch durch die Lüfte, daß er beim Niederfallen Arme und Beine zerbrochen hätte, wäre er nicht zum guten Glück mit den Füßen voran in eine Sumpfstelle geraten, in die er bis zum Halse hineinsank. Aber das wilde Weib war schon da und zog ihn lachend beim Kopfe heraus. »Siehst du wohl, wie wild ich bin?« sagte sie heiter.

So kam er mit dem Schrecken davon; allerdings sah auch seine Kleidung nicht mehr so sehr sauber aus. Sie aber streichelte ihn freundlich über Kopf und Rücken, und daraus ersah er, daß sie es nur als ein fröhliches Scherzspiel gemeint hatte. Er bat jedoch wehmütig, dergleichen nicht wieder zu beginnen. »Denn wir Menschen,« sagte er, »sind so sehr zerbrechlich.«

104 Sie versprach ihm das auch, und er erholte sich allmählich von der ausgestandenen Angst. Sie fragte nun weiter:

»Warum aber zankst du dich mit deiner Frau? Ist sie auch wild, und du willst sie zähmen?«

»Ach nein,« seufzte Peter, »solchen Versuch werde ich niemals machen, denn ich weiß schon lange, daß ein Weib zu zähmen ein unmögliches Ding ist. Es ist aber auch nicht nötig, denn sie ist gar nicht wild, sondern sanft und gemächlich, überhaupt mit allen Tugenden der Frauen geziert, sie ist häuslich und fleißig, gescheit und sparsam, tüchtig und züchtig und noch vieles andere. Sie hat nur den einen einzigen Fehler, daß sie ein bißchen unduldsam ist und so leicht anfängt zu zanken.«

»Ja warum tut sie das denn?« fragte das wilde Weib, »das kann doch kein Vergnügen sein, sich so bloß mit Worten zu zanken.«

»Nein, zu ihrem Vergnügen tut sie's auch nicht,« antwortete Peter, »und zu meinem erst recht nicht. Es ist nur, daß sie mich zu bessern beflissen ist. Ich habe nämlich, glaub' ich, einige kleine Naturfehler, die sie mir austreiben möchte.«

»Und welches sind diese Fehler?« fragte sie neugierig. »Wild scheinst du mir nicht zu sein.«

»Das glaube ich auch nicht,« bestätigte Peter, »es ist etwas anderes. Ich trinke nämlich für mein Leben 105 gern Wein, vornehmlich guten, auch echtes Bier verschmähe ich nicht, und ebensowenig bin ich altem Wernigeröder oder Nordhäuser abhold. Und von allen diesen Sachen trinke ich am liebsten recht viel. Da kommt es denn manchmal, daß ich des Guten allzuviel tue und nachher nicht mehr so ganz sicher auf den Beinen bin und im Kopfe allerlei Flausen habe. Und das vermerkt sie dann übel und zankt mich aus, daß es ein Elend zu hören ist. Aber sie sollte doch einsehen, daß so etwas vorkommt und daß es nicht an mir liegt, sondern an dem Wein, und daß es nicht aus Absicht und Bosheit geschehen ist.«

»Das verstehe ich nicht recht,« sprach das wilde Weib, »mein Bräutigam kann zechen, so viel er will, er wird niemals betrunken.«

»Er wird eben eine bessere Natur haben als ich,« sagte Peter gedankenvoll, »aber das ist doch nicht meine Schuld, daß ich so empfindlich geschaffen bin.«

»Und ist das dein einziger Fehler?« forschte sie weiter.

»Das doch wohl nicht,« sprach er etwas bedrückt. »Dann ist noch dies, daß die Weiber mich meist so gern haben und freundlich nach mir blicken, und das kann ich nicht vertragen: ich kann es nicht lassen, dann wieder freundlich zu blicken und ein bißchen zu scharwenzeln. Meine Frau habe ich deshalb doch sehr lieb, und sie ist mir die Allerbeste. Aber sie ist 106 so unduldsam und quält mich entsetzlich mit Zetern und Zanken.«

»Das muß unangenehm sein,« bemerkte das wilde Weib, »aber wenn mein Verlobter das täte und nach fremden Weibern sähe, ich schlüge ihm alle Knochen im Leibe entzwei. Zum Glück bin ich das einzige Weib seiner Gattung; mit menschlichen Dingerchen kann er sich doch nicht einlassen, und mit Zwerginnen erst recht nicht. So bin ich seiner sicher. Aber hast du sonst noch Naturfehler?«

»Das mag wohl sein,« gab Peter zu, »vielleicht allerlei, was so drum und dran hängt. Ein bißchen gefräßig zum Beispiel kann man mich wohl nennen.«

»Pah, wenn's weiter nichts ist,« fiel sie ihm ins Wort, »da solltest du meinen wilden Mann einmal fressen sehen. Ein Eber ist ein schlechtes Wildpret, pflegt er zu sagen, und er prahlt durchaus nicht, einer zum Frühstück ist zu wenig, und zwei sind zu viel. Es ist eine Pracht, ihn schlingen zu sehen. Darum habe ich ihn nur noch lieber. Überhaupt, das ist eben das Unglück, daß wir einander so fürchterlich lieb haben und uns doch immer zanken müssen. Es ist rein zum Verrücktwerden.«

»Wohnt ihr eigentlich zusammen?« fragte Peter bescheiden.

»Bis jetzt noch nicht,« versetzte sie traurig, »aber wir waren gewillt, uns wirklich zu heiraten, getrauten 107 uns nur noch nicht recht, denn wenn ein Brautpaar sich schon so viel prügelt, was soll unter Eheleuten werden? Wir wollten deshalb lieber erst versuchen, uns vor der Hochzeit ein bißchen zu bessern. Aber nun ist uns überhaupt ja der Fluch dazwischen gekommen.«

»Was für ein Fluch?« fragte er verwundert.

»Unser gemeinsamer Ahnherr hat uns verwunschen,« erklärte die Riesin, »der alte Hackelberg nämlich, der drüben im Brocken wohnt und mächtiger ist als wir durch seine dienenden Geister und auch noch ein bißchen wilder, der hat uns voneinander verbannt, weil der Lärm von unserm Prügeln ihn störte. Nun hause ich hier einsam auf dem öden Bruchberg und mein Liebster auf dem Königsberg zwischen den Mooren und Klippen. So können wir uns wohl von ferne sehen und einander zurufen und winken, aber zueinander dürfen wir nicht; wer die Senkung überschreitet, die das Brockenfeld heißt, würde augenblicklich des Todes sein. Aber möchtest du ihn nicht einmal sehen?«

»Eigentlich wohl lieber nicht,« bekannte er ängstlich, »an einer Nummer von eurer Sorte habe ich gerade genug.«

»Ach, sei nicht so ein Hasenfuß!« rief sie voll Unmut, »was kann er dir denn tun auf diese Entfernung? Er sieht dich ja überhaupt nicht, du bist viel zu klein. Und es macht einem doch Freude, seinen Bräutigam zu zeigen und bewundern zu lassen. Also schau einmal 108 scharf hinüber zu den Klippen dort, die man die Hirschhörner nennt; da wird er gleich auftauchen.«

Und ehe sich's Peter versah, legte sie die Hände an den Mund und stieß einen Schrei aus, der so fürchterlich gellte, daß er von dem Luftdruck zu Boden stürzte. Doch sobald er sich aufgerappelt hatte, spähte er aufmerksam nach der Klippe hinüber. Und nach kurzer Zeit sah er eine Gestalt auf dem Steine hervortreten, die riesenhaft sein mußte, um auf solche Entfernung noch deutlich gesehen zu werden. Auch war zu erkennen, daß der wilde Mann erst wütend die Faust ballte und mit der anderen die Riesenkeule drohend durch die Luft schwang, dann aber, sie hinwerfend, plötzlich beide Arme sehnsüchtig ausbreitete und vorstreckte. Zugleich sah Peter mit einem Seitenblicke, daß die Riesin neben ihm genau die gleichen Bewegungen machte. Zuletzt rannen ihr die Tränen stromweis über die Wangen, und diese Tränen waren so groß wie Weinbeeren oder kleine Kirschen.

»Es ist zu trostlos,« jammerte sie, »daß wir so voneinander getrennt sind und haben uns doch so lieb. Eine Möglichkeit gibts freilich, uns von dem Fluche zu erlösen: wenn sich nämlich ein menschliches Ehepaar findet, das sich ein Jahr lang niemals gezankt hat, dann ist der Bann gebrochen, und wir können wieder zueinander kommen. Heiraten allerdings dürfen wir auch dann noch nicht, dazu muß noch eine andere, fast 109 noch schwerere Bedingung erfüllt werden. Doch das sind spätere Sorgen. Furchtbar schwer ist auch die erste; wir suchen und suchen seit unzählbaren Jahren und haben in der Welt noch nirgends solch Wunderpaar gefunden. Aber sag' mal, Peterchen, glaubst du, daß deine kleine Frau aufhören würde zu zanken, wenn du deine bösen Laster ablegtest, und daß ihr dann ein Jahr lang Frieden halten könntet?«

»Dessen bin ich ganz sicher,« sprach er mit Zuversicht. »Aber ob ich die kleinen Fehlerchen ablegen kann, das ist eine ganz andere Frage. Wenn ich es könnte, hätte ich es gewiß doch schon lange getan, denn diese ewige Zänkerei ist eine schwarze Schattenseite des ehelichen Glückes.«

Das wilde Weib nickte kummervoll und dachte ein wenig nach. Endlich sprach sie mit einem froheren Blicke:

»Da ließe sich am Ende nachhelfen, wenn du wirklich den ehrlichen Willen hast, uns zu erlösen.«

»Den habe ich,« versicherte er kurz.

»Auch würde es dein Schade nicht sein,« bemerkte sie mit Nachdruck. »Wenn du mit mir in mein Schloß kommen willst, kann ich dir Reichtümer zeigen, daß dir die Augen übergehen werden: und davon magst du mitnehmen, was du tragen kannst, sobald du uns geholfen hast. Und da will ich dir auch ein Mittelchen einflößen, das dich von deinen Lastern ganz von selber 110 befreien wird. Eine ganz einfache Sache. Überlege dir den Fall.«

Er machte große Augen vor Staunen und Begierde und erklärte sich unverzüglich bereit, mit ihr zu gehen und alles zu tun, was sie von ihm verlange.

Da nahm sie ihn fest bei der Hand und zog ihn mit sich fort; sie ging aber so rasch mit ihren mächtigen Schritten, daß er, um mitzukommen, so große Sprünge machen mußte, als ob er flöge. So eilten sie den breiten Kamm des Bruchberges entlang, bis sie die Felsmasse erreichten, die den Namen der Wolfswarte führt. Hier packte sie einen gewaltigen Stein mit beiden Händen und schob ihn beiseite. Und nun sah er an der Stelle ein weites Loch und blickte hinab in eine schwarze Tiefe.

»Dies ist der Schacht, der zu meinem Schlosse führt,« erklärte das wilde Weib.

»Ja, aber wie soll ich da hinunterkommen?« fragte er sorgenvoll; »ich möchte nicht zum zweiten Male Arme und Beine und wahrscheinlich auch das Genick daran wagen.«

»Schade, daß du deines Zeichens kein Schornsteinfeger bist,« sagte sie lächelnd, »dann würdest du es können. Aber es soll auch so gehen, laß mich nur machen.«

Und ehe er Weiteres einwenden konnte, hob sie ihn in die Luft wie eine leichte Puppe, setzte ihn rittlings 111 über ihren Kopf hinweg auf ihre breiten Schultern und stieg mit ihm in den Schacht. Hier stemmte sie Arme und Beine gegen die Seitenwände und rutschte mit furchtbarer Geschwindigkeit in eine endlose Tiefe.

Der arme Peter verlor fast die Besinnung bei dieser schauerlichen Fahrt, aber endlich sah er tief unten ein starkes Licht schimmern, und gleich darauf stand die Riesin auch schon auf festem Boden und hob ihn hinunter.

Da sah er mit Staunen eine glänzend erleuchtete Halle, obgleich von oben her nicht die leiseste Spur von Tageslicht hereindrang und in dem Raume selbst nur ein winziges Grubenlicht brannte. Doch merkte er bald, daß sowohl die Wände als die gewölbte Decke mit lauter funkelnden Diamanten übersät waren, von denen das gewaltige Leuchten herkam.

Das wilde Weib löste einen dieser kostbaren Steine und schenkte ihn Petern.

»Dies vorläufig als Handgeld,« sagte sie freundlich, »Wenn das Werk getan ist, darfst du übers Jahr dir alle Taschen vollstopfen und auch meinetwegen noch einen Sack oder eine Kiepe mitbringen!«

Da freute er sich über die Maßen und beschloß, alle Kraft an die Durchführung des Werkes zu setzen.

Sie durchschritten nun mehrere ähnliche Hallen, die sämtlich von derselben blendenden Pracht waren; 112 nur fiel es Petern sonderbar auf, daß nirgends von etwelchen Gerätschaften, Tischen, Stühlen, Schränken und dergleichen etwas zu sehen war. Sie bemerkte seine Verwunderung an seinen forschenden Blicken und erklärte:

»Ja, Möbel kann ich nicht brauchen; ich hab' es oft genug probiert, aber sie halten sich nicht bei mir. Wenn ich meinen Verlobten geärgert habe und in kräftiger Stimmung bin, schlage ich alles kurz und klein und habe dann bloß die Mühe, die Splitter beiseite zu schleppen. Darum behelfe ich mich lieber so, die Sache wird sonst auf die Dauer zu kostspielig.«

»Aber ein Bett müßtest du doch haben?« fragte Peter kopfschüttelnd.

»Hab' ich,« erwiderte sie, »wenn du das so nennen willst. Ich liege auf dem Fußboden, der, wie du siehst, von Alabaster ist, einer weichen Steinart, und ich decke mich mit Goldklumpen zu. Matratzen und Federbetten verweichlichen ja bloß und sind gar nicht mal gesund. So, und jetzt kommen wir in meine altdeutsche Trinkstube; da sollst du den Saft kriegen, der deine zukünftige Tugend aufsteifen soll. Bitte, hier hinein!«

Sie traten in einen Saal, der nichts als eine Reihe großer Fässer enthielt und einige kleinere, die als Sitze dienten.

113 »Die Fässer zerschlage ich nicht, selbst im höchsten Zorn, vor denen habe ich Ehrfurcht, auch ist der Inhalt mir zu kostbar. Zudem komme ich allemal gleich in eine sänftliche Stimmung, sobald ich hier hereintrete. Jetzt will ich mir erst eine kleine Stärkung antun, und dann kommst du an die Reihe.«

Sie füllte aus einem der Fässer ein köstliches Kelchglas, das aus einem einzigen Goldtopas geschnitten war und etwa zwanzig Liter fassen mochte, und leerte es auf einen Zug. Ein wunderbarer Duft wie von tausend Rosen erfüllte den Raum, nur noch viel feiner und süßer. Petern trat vor Sehnsucht das Wasser in die Augen.

»Nein,« sagte die Riesin, die das bemerkte, »von diesem Tranke bekommst du vorläufig nichts, der ist der Tugend nicht günstig. Es ist ein unterirdischer Wein, von den Zwergen viel tiefer im Erdinnern erpflegt, da wo die Temperatur schon ein bißchen mollig wird, so gegen hundert Grad Celsius. Ich habe jedoch auch oberirdischen zur Verfügung, und davon eben sollst du ein Gläschen haben; eigenes Gewächs, und zwar aus hiesiger Gegend – von Sankt Andreasberg, das dir ja doch bekannt ist.«

»Um des Himmels willen,« schrie Peter erbleichend, »bei Andreasberg gedeihen ja kaum noch in warmen Jahren ein paar kümmerliche Kartoffeln, und auch die nur auf den steilen Hängen, die genau 114 nach Süden abfallen, aber kein Korn und kein Obst mehr, und da soll Wein gebaut werden? Ein schauderhafter Gedanke.«

»Sei nicht naseweis!« sprach das wilde Weib, »sondern komm und koste.«

Und sie führte ihn zu einem Fasse, auf dem in dicken, echt goldenen Buchstaben geschrieben stand: »Sankt Andreasberger Sonnenseite. Kreszenz Wildes Weib.«

Ein Trinkgefäß aus Smaragd von der Größe eines gewöhnlichen Weinglases stand darauf; das langte sie herunter, füllte es aus dem Fasse und reichte es ihrem Gaste.

»Ich möchte dir raten,« sagte sie leichthin, »das Schlückchen in einem Zuge hinunter zu gießen, es rutscht so noch am leichtesten. Denn so viel Gutes man diesem Wein auch nach anderen Richtungen nachsagen kann: geradezu süffig möchte ich ihn nicht nennen.«

Nach einem bänglichen Zaudern folgte er ihrer Weisung und stürzte den Trank mit einem gewaltsamen Schlucke durch die Kehle. Allsogleich aber tat er einen heftigen Aufschrei und drehte sich wie ein Wirbel mit fürchterlicher Geschwindigkeit wild um seine Achse, indem er dazu wütend mit den Armen schlenkerte und mit dem ganzen Leibe sich schüttelte und zuckte.

115 »Nun ja,« sprach mit leisem Mitleid das wilde Weib, »er schmeckt ein bißchen nach dem Essig hinüber, das ist nicht zu leugnen; aber die Wirkung ist gut, und sauer macht lustig.«

»Mein Gott, mein Gott,« stöhnte der arme Peter, »aber Essig ist ja dagegen der reinste Sirup.«

»Dummer Kerl, was willst du?« rief sie ganz ärgerlich, »dieser Tropfen ist ja doch von der Sonnenseite und nur eine Vorprobe zum Drangewöhnen. Das Eigentliche kommt erst.«

Und sie faßte ihn am Kragen und stellte ihn vor ein anderes Faß, auf dem mit diamantenen Buchstaben geschrieben stand: »Sankt Andreasberger Schattenseite. Kreszenz Wilder Mann.«

Da fiel er auf die Knie, jammerte und krümmte sich und flehte um Gnade.

»Stoß dir nur keine Verzierungen ab,« sagte sie böse, »ein bißchen durchlöchern wird dieser Wein dich ja wohl, doch überstehen wirst du's, dafür verbürge ich mich. Aber ich sehe, ich muß dir ein bißchen Mut machen: sieh mal, hier liegt noch eine Traube vom vorigen Herbst, das war ein besonders gutes Jahr; die sind dauerhafter als Winteräpfel, fühle nur, wie schön fest ihre Beeren sind.«

Und sie langte die Traube von dem Fasse herunter und dazu einen starken silbernen Nußknacker, 116 der daneben lag. Sie gab ihm beides und sagte mit einigem Stolz:

»Nun versuche einmal, ob du solche Beeren aufzuknacken imstande bist.«

Er bemühte sich hastig, doch ohne jeden Erfolg.

»Ach, du armer Schwachmatikus,« rief sie befriedigt, »gib mir nur her, ich will dir zeigen, was man leisten kann, wenn man das wilde Weib ist.«

Sie nahm Beere und Knacker und drückte mit aller Kraft. Dann zeigte sie ihm die Beere und sprach:

»Siehst du, jetzt ist sie abgeplattet an den Polen wie die Erdkugel, und wenn ich sie ein Stündchen so weiter bearbeite, wird sie ganz flach wie eine Linse und gibt richtig Saft von sich. Du kannst dir nun denken, das Keltern macht einige Mühe, aber dann wird's auch was Rechtes. Der Wein hat Rasse, wenn man auch von eigentlicher Blume nicht gerade reden kann. Aber nun frisch an die Arbeit.«

Sie goß wieder ein und hielt ihm den Becher hin. Doch er fiel abermals auf die Knie und winselte um Schonung.

Da wendete sie sich schweigend von ihm ab, tat einige Schritte und holte einen Trichter, der aus einem leuchtenden Rubin geschliffen war. Dann preßte sie mit der Linken Peters Kopf nach hinten, 117 zwang den Trichter in seinen Mund und goß das Getränk mit einem Schwunge hinein. Er sprudelte und zischte und spritzte einen Teil der Flüssigkeit wieder hinaus, aber die Hälfte mußte er doch schlucken, und das wilde Weib meinte lächelnd, das genüge vollkommen.

Er fiel nun aber der Länge nach zur Erde und wälzte sich wimmernd mit schrecklichen Zuckungen und Sprüngen wie ein Hecht auf dem Sande. Die Riesin sah ihm geduldig zu und sagte beruhigend: »Es wird sich schon geben.«

Und es gab sich auch wirklich. Nach einer kleinen halben Stunde wurde er ruhig und gebärdete sich menschenhaft, nur prustete er noch etwas.

Da streichelte sie ihn liebreich und sprach:

»So, nun will ich dich nach oben tragen, und du gehst nach Hause. Die Wirkung des Trunkes wirst du schon merken – ich meine, die moralische; die leibliche ist schon überstanden. Zum Andenken darfst du dir den Trichter mitnehmen. Und wenn du deine Sache so machst, wie ich hoffe, und uns von dem Fluche erlösest, bekommst du übers Jahr die verheißenen Schätze.«

Sie nahm ihn wiederum auf die Schultern und kletterte mit ihm den Schacht in die Höhe, viel langsamer als hinabwärts, doch immer noch so schnell wohl wie eine flüchtende Katze. Oben nahm 118 er hastigen Abschied und lief im Trabe nach Altenau hinunter und kam zu seinem Weibe.

Es geschah nun aber in den folgenden Tagen und Monden, daß er in der Tat, wie das wilde Weib es vorausgesagt hatte, die Wirkung des getanen schmerzhaften Trunkes auf eine seltsame Weise zu verspüren bekam. Gleich zu Hause, als seine Frau ihm, wie er das gewöhnt war, zum Abendessen ein Glas Wein vorsetzte, ward er von einem tiefen Schauder ergriffen, prustete und schnob und schüttelte sich vor Ekel, ergriff auch das Glas und goß den Trank mit einer Gebärde des Abscheus zum Fenster hinaus.

Und genau so erging es ihm, als er danach zum Schlummerschoppen das gewohnte Wirtshaus aufsuchte. Nicht bloß der Wein erregte ihm Schaudern und bittere Übelkeit, sondern leider auch das Bier und der Schnaps und alle anderen starken Getränke. Ja, er konnte diese selbst in den Gläsern der anderen Gäste nicht stehen sehen, ohne sich vor heißem Widerwillen zu krümmen. Da ließ er sich schnell ein Glas Milch kommen und machte sich aus dem Staube.

So mußte er merken, daß alle diese ihm einst so lieben Säfte durch den einen Becher Andreasberger Schattenseite ihm gründlich verekelt waren, und zwar blieb dies auf die Dauer. Wiewohl er 119 noch manche verzweifelte Trinkproben machte, über Milch oder Sauerbrunnen kam er nicht hinaus. So gewöhnte er sich notgedrungen aus dem Wirtshause fort und blieb nüchtern bei seinem Weibe.

Und auch für die fremden Weiber war er ein anderer geworden, als er zuvor gewesen: er hatte fortan keine Lust mehr an ihnen. Das kam daher, daß zum ersten der Wein ihn nicht mehr lustig machte und zu Liebesgedanken erregte, wie denn geschrieben steht:

Und der Satan kommt verschmitzt,
Wenn man einen Rausch besitzt;

und zum anderen daher, daß der üble Andreasberger ihn so gänzlich durchsäuert und gleichsam mit Herbheit durchimpft hatte, davon die innere Säuerlichkeit sich auch auf seinem Antlitz ausprägte, weswegen die Weiber nicht mehr heimlich mit ihm liebäugelten und ihn dadurch in Versuchung führten.

So hatte er denn also zu der Tugend der Nüchternheit und Häuslichkeit auch die der ehelichen Treue gewonnen, und da sich andere Tugenden vermöge deren innerer Wahlverwandtschaft jenen anhängten und die Laster vor ihnen davonstoben wie aufgescheuchte Spatzen, so fand seine Frau beim besten Willen keine Ursache mehr zum Schelten und Zanken und mußte sanftmütig bleiben, sie mochte wollen oder nicht. Er selbst aber hütete sich im 120 Gedanken an die winkenden Schätze wohl, den kleinsten Streit vom Zaune zu brechen oder einer bösen Laune sich hinzugeben; und so lebten sie Monat für Monat in einem so ungeheuren Frieden miteinander, daß Peter mit wonnevollem Hoffen das Ende des Jahres herankommen sah.

Je weiter indessen die Zeit vorrückte, desto größer ward seine Sehnsucht, es möchte zu Ende gehen. Das wirkte nicht bloß jener hoffende Wunsch, sondern es kam noch etwas anderes und Stärkeres hinzu: er fühlte sich kreuzunglücklich in diesem stillen Glücke des fromm, gleichmütig hinplätschernden Lebens, das ihm zwar wenig Leid, aber auch gar keine recht herzhaften Freuden mehr brachte, wie er sie früher gewohnt gewesen war. »Ach Gott,« pflegte er zu seufzen, »die Tugenden sind ja gewißlich edle, erhabene und göttliche Wesen, aber ein passender Umgang für mich sind sie nicht; es fehlt zwischen uns die rechte Seelenverwandtschaft.«

Zudem konnte er bemerken, daß auch seine Frau in der schrankenlosen Friedfertigkeit sich gar nicht so recht heimisch fühlte; er sah sie je länger, je öfter trübselig einherschleichen mit einer Miene, als ob ihr etwas fehlte, das sie heimlich suchte und nicht finden könnte.

»Aha,« sprach er zu sich selbst, »das arme Geschöpf hat eine dunkle Sehnsucht, sich einmal wieder 121 starkmütig über mich auszusprechen. Was sie sucht und vermißt, ohne es selbst recht zu wissen, sind meine Sünden, an denen sie die Kraft und den Reichtum ihrer Zunge bewähren könnte. Auch ist es wissenschaftlich erwiesen, daß ein jedes Glied, das nicht fortdauernd seiner Natur nach gebraucht und geübt wird, bald an Tüchtigkeit einbüßt und langsam verkümmert. Darum ist die Frau von Herzen zu beklagen, wie denn von allen menschlichen Gliedern das feinste und edelste doch wohl die Zunge ist. Gewiß, ich bin es ihr schuldig, wieder einiger Sünden zu pflegen; ach, wenn ich nur könnte! Auch möchte ich ihr wohl solche nötige Kraftübung gönnen und wollte lieber alles Zanken, Schelten und Keifen still duldend über mich hinbrausen lassen, als daß ich noch länger auf diesem qualvoll verödeten Tugendpfade schmachtend dahintrotte. Ach, vielleicht kann das gute wilde Weib durch irgend ein Mittel diesen schändlichen Ekel vor Wein und Weibern wieder von mir nehmen; denn was nützt mir aller Reichtum der Welt, wenn ich seiner nicht genießen kann?«

Solche trüben Seufzer gab er immer reichlicher von sich, wenn auch nur vor sich selbst, und die Tage schienen sich ihm immer länger und trauriger zu dehnen. Seine Frau aber gab den selbigen Anschein.

122 Zuletzt aber kam das träge Jahr doch noch zu seinem Ende. Peter ließ sich ungeheuer weite Taschen in seine Kleidung machen und eine Kiepe flechten, in der er ein Stückfaß hätte tragen können, eilte gleich in der Morgenfrühe des nächsten Tages zur Wolfswarte und rief mit hallender Stimme:

»Wildes Weib! Wildes Weib!«

Es währte nicht gar lange, so wurde der Stein von unten her in die Höhe gehoben und beiseite getrieben, und der Kopf der Riesin erschien über der Erde.

»Das ist schön, daß du kommst,« rief sie sehr vergnügt, »ich habe schon auf dich gewartet, und du sollst gleich deinen Lohn kriegen, denn du hast ihn wohl verdient. Der Fluch ist gelöst, ich darf mit meinem Verlobten wieder beisammen sein, so oft es uns beliebt. Und das ist die Hauptsache; diese ewige Sehnsuchtsqual war ja rein nicht mehr auszuhalten. Mit dem Heiraten freilich, das hat noch seinen Haken, welchen, das kann ich dir jetzt noch nicht sagen, vielleicht später einmal. Aber traurig ist es, daß wir immer noch warten müssen, vielleicht ins Unendliche.«

»Das ist im Grunde nicht gar so schlimm,« bemerkte Peter tröstend, »denn was nach der Hochzeit kommt, hat sehr seine Schattenseite, so gut wie Sankt Andreasberg. Ich rede aus Erfahrung. Aber was 123 mich betrifft, so habe ich eine sehr große Bitte; wenn du die mir erfüllen kannst, tust du mir mehr Gutes an als mit allen deinen Schätzen.«

»Sprich sie immer aus,« sprach sie ermunternd.

»Sieh mal,« versetzte er eilig, »das Leben, das ich dieses Jahr hindurch geführt habe, ist mir ganz unerträglich; ich flehe dich an, wenn es irgend in deiner Macht steht: schaffe, daß ich wieder Durst kriege und Freude an den Weibern und den anderen kleinen Sünden, davon ich dir gesagt habe. Konntest du sie mir nehmen, wirst du sie mir auch wiedergeben können.«

»Gewiß ließe sich das machen,« bestätigte sie gelassen, »aber ich muß dich warnen: es ist kaum ein Zweifel, deine Frau wird dann wieder zanken.«

»Das wird sie,« entgegnete er ruhig, »aber das soll mich in Zukunft gar nicht mehr anfechten. Recht im Gegenteil: ich finde ihre Sanftmut so unausstehlich, ich hab' eine wahre Sehnsucht, sie einmal wieder tüchtig zanken zu hören.«

Kaum hatte er dies gesprochen, als das wilde Weib einen so übergewaltigen Jubelschrei ausstieß, daß die Felsen erzitterten, und Peter weithin zurückflog.

»Das war ja der Haken!« rief sie mit strahlenden Augen, »der nun entfernt ist: wir durften nicht heiraten, bis sich ein Mensch fände, der sich aus 124 vollem Herzen eine zankende Frau wünscht. Das war doch gewiß eine schwierige Bedingung; ja, es schien fast unmöglich und ist nun dennoch erfüllt. Und jetzt komm, du guter Kerl, dein Wunsch soll erhört werden.«

Und sie nahm ihn auf die Schultern und fuhr mit ihm hinab.

Dort füllte sie ihm eigenhändig die riesige Kiepe und alle Taschen mit Diamanten und anderen edlen Steinen, denn Gold fand sie zu ruppig; und als nichts mehr hinein ging, gab sie ihm einen Becher von dem unterirdischen Weine, der einen so überherrlichen Duft ausströmte: vor solchem süßen Geruche hielt sein Ekel nicht Stand, er konnte trinken und tat's. Und siehe, wie ein holder Feuerstrom floß es ihm durch die Glieder, und eine wonnige Lebenslust schwellte seine Adern.

»So,« sagte das wilde Weib, »fortan wirst du alles wieder trinken mögen, was sonst deiner Seele lieb gewesen ist; und die Weiber werden dir gefallen, vielleicht mehr, als dir lieb ist; damit dies recht geschehe, mußt du freilich von mir einen Kuß hinnehmen, der dich dazu wieder befähigen wird.«

Peter erschrak, er wagte jedoch nicht, etwas dawider zu sagen.

»Aber nun komm an die Oberwelt,« fuhr sie fort, »denn ich erwarte bald meinen Bräutigam, und der 125 könnte am Ende eifersüchtig werden, so ein hübscher Bursche, wie du bist, und dich windelweich prügeln. Und das sollte mir um dich leid sein, da du mir so viel Liebes und Gutes getan hast.«

Und sie nahm ihn ohne weiteres und trug ihn zusamt der schweren Kiepe den Schacht hinauf; oben schnaufte sie aber doch etwas. Als sie wieder vollen Atem hatte, gab sie ihm einen ungeheuren Kuß, wie er so etwas noch nicht erlebt hatte und davon er mehr als einen gar nicht ertragen hätte, und sagte: »Lebewohl! Und grüße deine Frau!«

Damit verschwand sie in der Tiefe.

Als nun jedoch Peter seine Kiepe aufhucken wollte, erfand sich's, daß sie bei weitem zu schwer war; er konnte sie nicht einen Finger breit von der Stelle bewegen. Da blieb ihm nichts übrig, als sie einstweilen stehen zu lassen, um später aus ihr seine Taschen zu füllen. Als er aber nachher wieder kam, war sie mit allen Schätzen verschwunden, und aus dem Innern des Berges ertönte ein dröhnendes Lachen wie unterirdischer Donner. Da verging ihm der Mut, sich weiter darum zu bemühen. Auch grämte er sich nicht lange. »Was soll mir der Bettel?« sprach er zu sich. »Ich hab' auch so genug. Auf ein paar lumpige Milliarden kann's gar nicht mehr ankommen. Die Hauptsache bleibt mein lustiges Leben.«

126 Das hatte er fortan wieder und lebte mit seiner Frau in der alten Weise in häufigem Unfrieden. Aber sie versöhnten sich immer wieder; und es gibt Leute, die der Meinung sind, ein Wechsel der Dinge sei dem Glücke des Menschen gemäßer als ein träges Gleichmaß der Ruhe.

Von dem wilden Weibe und dem wilden Manne will man glauben, daß sie sich in der Ehe noch viel heftiger prügeln als vorher im Brautstand: erstens liegt's in der Natur der Sache, und zweitens hört man zu oft ein fürchterliches Toben da oben in den Bergen und findet gefallene Bäume als Zeugen ihrer ehelichen Freuden.

 


 


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