Hans Hoffmann
Die Teufelsmauer und andere Erzählungen
Hans Hoffmann

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Die Teufelsmauer

Ein Harzmärchen

Vor Zeiten lebte zu Halberstadt, das damals noch Bischofssitz war, eine wohlbegüterte Jungfrau namens Ilsebill, die aber so grausam häßlich war, wie es heutzutage lebendige Mädchen gar niemals mehr sind, und wie unsere armen Männeraugen das gar nicht mehr ertragen würden. Sie selbst aber glaubte durchaus nicht daran, daß sie so mißgestaltet sei, sondern hielt sich, wenn auch nicht geradeaus für eine Schönheit, so doch immerhin für einen ganz netten Käfer.

»Es mag ja wahr sein,« pflegte sie zu sagen, »daß meine rechte Schulter etwas höher ist als die linke, aber dafür ist das linke Bein wieder länger als das rechte: das gleicht sich doch aus. Und wenn die Leute sagen, ich schiele – nun, meinetwegen: aber doch auf beiden Augen; da bleibt das Gleichmaß ungestört. Und mein Mund mag etwas groß sein, und die Zähne etwas lang, aber dafür ist die Nase desto feiner und kleiner, eigentlich nur noch ein Knöpfchen. Mein Haar soll fuchsrot sein und meine Gesichtsfarbe gelb: aber diese beiden Tinten stimmen doch wundervoll zusammen, wie man bei jedem Sonnenuntergang beobachten kann. Ich denke also wohl, ich darf mich sehen lassen.«

16 Trotz solcher guten Meinung von sich war sie voll giftigen Neides gegen alle anderen Mädchen und Frauen, auch sehr hochmütig wegen ihres Reichtums, dazu habgierig und geizig und sehr hartherzig gegen die Armen. Den größten Teil ihrer Einkünfte verwandte sie auf Schmucksachen und prunkende Kleider, denn ihr Sinn stand auf nichts anderes, als einen Mann zu berücken, daß er sie heiraten solle.

Aber ein Vornehmer mußte es sein, das stand ihr ganz fest. Als sie siebzehn Jahre alt war, richtete sie ihren Wunsch auf einen Prinzen; ein Jahr darauf, 17 als kein solcher angebissen hatte, gedachte sie sich mit einem Grafen zu begnügen; als auch die sich rar machten, durfte es ein Freiherr oder gar ein einfacher Edelmann sein. Aber die zierten sich leider ebenso.

Mit zwanzig und einigen Jahren sprach sie gelassen: »Nun ja, ich habe es immer gesagt, der heutige Adel ist gänzlich entartet und verkommen und überhaupt längst nicht mehr zeitgemäß; Kraft und Wert liegen einzig im Bürgerstande.«

Und nun jagte sie auf reiche Kaufherren oder hohe Beamte und dergleichen stattliche Leute. Von Jahr zu Jahr aber stieg sie tiefer hinab, zuletzt bis zu den kleinen Krämern und Hökern und ehrsamen Handwerkern; mit dreißig Jahren hätte sie keinen Schneider mehr abgewiesen. Aber es wollte keiner heran, auch um all das viele Geld nicht.

Da ging sie zu einer alten Frau, die das Kupplerhandwerk betrieb und auch eine Hexe war, und ließ sich ausbieten durch das ganze Land bei den ärmsten Bauern und notleidenden Landwirten. Und die kamen in Scharen auf die Brautschau gezogen, doch einer nach dem andern fuhr ängstlich wieder ab und sagte betrübt: »Lieber hungern als solch ein Ungeschöpf im Hause haben.« Und der letzte, dem das Wasser schon ganz an den Hals ging, rief laut, daß sie's hörte: »Jetzt häng' ich mich auf. Die mag der Teufel heiraten.«

Und er tat nach seinen Worten.

18 Dem armen Scheusälchen ging dieser Ausruf lange im Kopfe herum; endlich fragte sie bei sich selber sorgenvoll: »Ob der Teufel es wohl tun würde?«

Und sie ging wieder zu der alten Hexe und fragte sie um ihre Meinung. Die wiegte bedenklich den Kopf hin und her und gab ihr endlich den Bescheid:

»Junker Satan ist ein hartgesottener Hagestolz und erträgt von Weibern nur seine Großmutter im Hause, die ihn dafür auch ganz gehörig in der Zucht hat. Er fürchtet die Ehe, wie auch böse Menschen sie fürchten, weil sie dann Kinder müssen wiegen helfen und sonst allerlei fromme Werke tun. Man munkelt sogar, er habe Angst, daß er dann in die Kirche gehen müsse; denn darin pflegen die Frauen strenge zu sein.«

»Darauf würde ich nicht bestehen,« sprach die böse Jungfrau, obgleich sie selbst fromm war und täglich in die Kirche ging.

»Desto besser für ihn,« versetzte die Hexe, »und das mag ihn vielleicht schon ein klein bißchen zahmer stimmen. Und das muß ich sagen: ich glaube, daß du ihm gefallen wirst. Schon dein Äußeres wird ihm zusagen.«

Jungfrau Ilsebill lächelte geschmeichelt.

»Er hat nämlich umgekehrte Augen wie die Menschen,« gab jene zur Erklärung, »alles was sie schön finden, ist ihm ein Greuel, so Menschen wie Dinge, und was sie häßlich nennen, ist seine Wonne. Darum stellt er den hübschen Weibern so gerne nach, weil 19 sie ihm ein Ärgernis geben, und bringt sie in Versuchungen, denen sie dann natürlich unterliegen; die Häßlichen, die seinen Augen wohltun, läßt er eher ungeschoren: darum sind sie meist tugendhafter.«

Ilsebill schnitt ein Gesicht, schluckte die Pille jedoch herunter, denn sie war nun schon an manches gewöhnt, und meinte ein bißchen verschämt:

»Vielleicht hat er nur einen besseren Geschmack als die Menschen. Und unter diesen gibt's doch auch manche, die das Häßliche schön finden: und die kommen sich besonders klug vor, werden's also auch wohl sein. Aber wie könnte der Herr Teufel mich denn wohl einmal kennen lernen?«

»Zu Walpurgis auf dem Blocksberg natürlich,« antwortete die Hexe, »ich leih' dir einen Besen.«

»Aber das ist lange hin,« erseufzte die Jungfrau, »noch über eine Woche.«

»Das wohl,« sagte die Alte, »aber die Zeit vergeht auch. Doch wenn du so große Eile hast, gibt's noch eine andere Auskunft. Kennst du die Roßtrappe gegenüber unserem Tanzplatz?«

»Ei freilich, die kenn' ich. Eine wüste Gegend.«

»Tut nichts, sie hat auch ihre Vorzüge. Auf diesem Felsen also hat der Teufel sein Standesamt: du wirst erstaunen, wie das überlaufen ist. Da gibt er nämlich die Paare zusammen, die um des Geldes oder eines vornehmen Namens willen sich heiraten 20 wollen. Ich kann dir sagen, die reine Völkerwanderung nach diesem Felsen. Du kennst die dumme Geschichte, die den Leuten vorgefaselt wird, von der Königstochter, die vor dem Riesen, ihrem Freier, geflohen sei und deren Roß seinen Huf in dem Stein abgeprägt habe. Ist ja reiner Unsinn! Nein, recht im Gegenteil, nach dem Standesamt hat sie so fürchterliche Eile gehabt.«

»Kann ich mir auch eher denken,« bestätigte Ilsebill.

»Nun also,« fuhr die Hexe fort, »da ist es doch ganz einfach. Du mietest dir einen Kerl, der zum Schein deinen Bräutigam spielt und dich zu diesem Standesamt führt; denn eine einspännige Person wird nicht eingelassen. Er braucht dich eben nur hineinzubugsieren; nachher kann er mit aller Kraft nein sagen: und das wird er natürlich. Aber der Fall wird ungeheures Aufsehen dort machen, der ist noch nicht dagewesen und das ist dir günstig, das lenkt von vornherein die Aufmerksamkeit auf dich und deine besondere Art von Schönheit, die du in den Augen des Teufels nämlich hast: man nennt das beauté du diable, Französisch ist seine Lieblingssprache. Aber eins lass' dir raten: tu' ihm um Gottes willen nur nichts zu Liebe, ehe er dich in aller Form geheiratet hat. Nicht einen Kuß lass' dir vorher gefallen, sonst hat er dich gleich in 21 seiner Gewalt. Das weiß man ja längst, wenn man ihm den kleinen Finger gibt, nimmt er die ganze Hand.«

Jungfer Ilsebill ging nun etwas bedrückt nach Hause; denn es war ihr doch ängstlich geworden, daß sie den Teufel heiraten sollte. Insbesondere machte es ihr schwere Sorge, wie er zu der kirchlichen Trauung sich stellen werde; daß er da Winkelzüge machen müsse, war ihr ohne weiteres klar. Allein ihr Wunsch zu heiraten überwand doch alles, und sie entschloß sich sehr bald, dem Rate der Hexe zu folgen und zum wenigsten so die Bekanntschaft des Teufels zu machen! Besinnen konnte sie sich nachher ja noch immer.

Sie ließ einen Arbeitsmann zu sich rufen, der bettelarm war und von dem jedermann wußte, daß er die Furcht nicht kenne und in seinem Leben noch niemals gebebt habe. Sie bot ihm ein Goldstück an, so sauer ihr das wurde, denn sie war fast so geizig wie sie häßlich und fromm war; dafür sollte er sie in des Teufels Standesamt auf die Roßtrappe als ihr scheinbarer Bräutigam führen. Nur ihren eigentlichen Zweck verriet sie ihm nicht, nämlich den Teufel zu heiraten; sie schämte sich dessen ein wenig, weil der keinen guten Ruf hat.

Der Mann aber entsetzte sich, denn er vermeinte nichts anderes, als daß es auf ihn gemünzt sei und 22 sie ihn durch eine Hinterlist in die heilige Ehe verschleppen wollte, und er fing an zu zittern wie ein Espenlaub, weigerte sich auch heftig, ihr dorthin zu folgen. So blieb ihr nichts übrig, als noch ein Goldstück mehr zu bieten, obgleich ihr das Herz fast darüber brach. Doch erst als sie zehn Stücke bewilligt hatte, konnte er nicht mehr widerstehen und fügte sich ihrer Zumutung.

Nun ließ sie eine Kutsche anspannen und fuhr im Galopp auf das Bodetal und die Roßtrappe zu. Unterwegs versuchte der Mann noch mehrmals mit Gefahr seines Lebens aus dem Wagen zu springen; doch sie klimperte mit dem Gelde, das er bekommen sollte; da blieb er wieder sitzen und weinte vor Angst nur still vor sich hin.

Als sie endlich den Fuß der Roßtrappe erreicht und den steilen Felsen erklommen hatten, denn einen Fahrweg gab es damals noch nicht, traten sie in das Amtszimmer des Teufels, das da oben war; Jungfer Ilsebill ließ ihren Begleiter vorangehen, und das war klug; sonst wäre er doch wohl im letzten Augenblick noch entwischt.

Es waren schon sehr viele Paare versammelt, und die beiden mußten lange warten: das war dem Arbeitsmann nur lieb und schien ihm eine Galgenfrist. Die Bräute waren zumeist unschön von Antlitz und dürftig von Gestalt, aber prächtig gekleidet.

23 Der Teufel waltete seines Amtes mit großem Eifer, und ein Paar nach dem anderen wurde abgetan. Er trug einen Frack, denn dieses Kleidungsstück war vom Teufel schon damals erfunden, während es sonst noch niemand trug; den Schwanz hatte er in die Rocktasche gesteckt, die Klauen verbarg er in weißen Handschuhen und den Pferdefuß in Lackstiefeln; über die Hörner hatte er einen Zylinderhut gesetzt, der gleichfalls seine Erfindung war.

So sah er ganz manierlich aus: denn von Antlitz ist der Teufel so übel nicht; insonderheit hat er ein recht süßes Lächeln, damit er so viele arme Seelen verführt, auch die Augen blinzeln schelmisch und freundlich, und mit den Ohren versteht er anmutig zu wackeln.

Als Ilsebill mit dem falschen Bräutigam nun endlich an die Reihe kam und der Teufel diesen fragte, ob er die neben ihm stehende Jungfrau zum Weibe nehmen wolle, stockte dem der Atem vor Angst, und er vermochte keinen Ton aus der Kehle zu bringen.

Da vermeinte er nicht anders, als nun wäre sein Schicksal erfüllt, der Teufel würde sein Schweigen für ein Ja nehmen und ihn hurtig ihr antrauen. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, daß sie aussahen wie gestielt, und er verwünschte seine 24 Geldgier, die ihn das Wagnis hatte unternehmen lassen.

Zuletzt aber, als der Teufel wirklich solche Meinung und Absicht kund gab, gelang es ihm doch, zunächst wenigstens kräftig mit dem Kopf zu schütteln: und damit war der Starrkrampf gelöst, er brüllte allsogleich ein so dröhnendes Nein, daß selbst der Teufel erschrocken zurückfuhr. Und als der sich gefaßt hatte, kam er in ein ungeheures Staunen und verharrte darin eine gute Weile. Nun blickte er fragend nach der Braut hinüber: und deren Anblick fuhr ihm übermächtig ins Herz. »Donnerschock,« sprach er zu sich selbst, »so etwas Reizendes habe ich aber noch niemals gesehen.«

Darauf trat er etwas vor und drehte dem Mann schweigend den Hals um.

»Denn zum ersten,« sagte er darnach zur Erklärung, »so ein lumpiger Hungerleider gehört nicht vor mein Standesamt. Und zum anderen: dieses Weib ist zu schade, auch nur einen Augenblick wie seine Braut an seiner Seite zu stehen. Und zum dritten: man soll den Teufel nicht zum Narren halten.«

Und da hatte er recht, das soll man nicht.

Ilsebill war auch froh, daß der Bursche tot war, denn er hatte das Seinige getan und konnte ihr nur noch Ungelegenheiten machen. Der Teufel sah 25 nun wieder zu ihr hinüber, starrte sie mit gierigen Augen an und verliebte sich in sie mit so großer Gewalt und Geschwindigkeit, wie nur er das zustande bringt. Und je heftiger seine Verliebtheit wurde, desto mehr schnitt er die wunderlichsten und greulichsten Grimassen, so daß Ilsebill laut auflachen mußte, worüber sie selbst erschrak: sie fürchtete seine Gunst, die sie alsobald fühlte, dadurch wieder zu verscherzen; allein ihr Lachen war so boshaft und garstig, daß er nur noch desto hitziger für sie entbrannte.

Er merkte aber auch an ihrer schämigen Haltung, daß sie nicht abgeneigt war. Und er ließ alle seine Klienten im Stich, kam mit einem seligen Quieken auf sie zu, faßte sie um die Mitte, schleifte sie an den Rand des Felsens und fuhr mit ihr sausend in einem mächtigen Sprunge quer über das Tal auf den hohen Hexentanzplatz.

»So, und nun schnell einen Tanz,« sagte er vergnügt, indem er sie niedersetzte, »aber so einen, wo die Lüfte mittanzen; und dann hurrah, fort in die Büsche!«

»Ein Tänzchen will ich allenfalls gewähren,« versetzte sie tapfer und bestimmt, »obgleich ich's gerade hier nicht sehr gern tue, denn man kann dadurch in falschen Ruf kommen; zum Glück sieht's ja wohl niemand. Aber sonst vor der Hochzeit nicht 26 anrühren, nicht einmal einen Handkuß kann ich erlauben.«

Bei dem Worte Hochzeit ward der arme Teufel bleich wie der Tod und schlotterte in allen Gliedern; zwar erholte er sich noch einmal und schwur beim Barte seiner Großmutter – denn die hat einen – daß er sie morgen schon heiraten wolle (an welchem Wort er beinahe erstickte), wenn sie ihm heute etwas zu Liebe tun wolle. Allein sie wußte, was von des Teufels und vieler anderer Männer Eheversprechen zu halten sei und rief dreimal mit aller Kraft und Nachdruck:

»Erst heiraten! heiraten! heiraten!«

Das war ihm zu viel des Schlimmen; er verfiel in fürchterliche Zuckungen und Krämpfe und lag bald dahingestreckt in jämmerlicher Ohnmacht.

Da kriegte sie Angst, er möchte ihr tot gehen und sie um den Ehemann kommen, und sie suchte nach einem Riechfläschchen, um ihn zum Leben zu erwecken. Sie fand aber nichts als ein Gefäß mit Weihwasser, das sie im Dome geschöpft und der Vorsicht halber mitgenommen hatte: denn man kann nie wissen, ob man so etwas nicht brauchen kann. Das hielt sie ihm dann unter die Nase und benetzte ihm Stirne und Lippen.

Da fuhr er mit einem entsetzlichen Fauchen und Prusten in die Höhe, sprang auf und fuhr 27 gleich über die Talschlucht weg nach der Roßtrappe zurück.

Sie war für heute zufrieden; sie wußte, er kam ihr doch wieder, denn seine Verliebtheit sprühte durch alle Ritzen, und sie machte, daß sie durch den Hirschgrund zur Bode hinunterkam, wo ihr Wagen ihrer harrte. So stieg sie ein und fuhr im Galopp nach Halberstadt zurück.

Der arme Teufel, nachdem der Geruch des starken Wassers sich ein wenig verflüchtet hatte, strich in ungeheurer Verliebtheit, wie ein gehörnter Kater, um den Blocksberg her und durch andere Klippeneinsamkeiten, bald suchend durch die Städte der Menschen im Tal. Aber er fand die Geliebte weder in Quedlinburg, noch in Ballenstedt, noch in Blankenburg, noch wohin er sonst kam; nach Halberstadt ging er nicht: das vermied er gern, weil der Bischof dort hauste und viel mit Weihwasser umging.

Weil aber der Teufel in dieser Zeit seine Arbeit nicht tat, die Menschen in Versuchung zu führen, sondern nach Art aller Verliebten müßig vor sich hin träumte, so geschah etwas Seltsames und nie Dagewesenes unter dem Monde: es wurde in der ganzen Welt keine Sünde mehr begangen, noch weniger ein Verbrechen, nicht einmal eine Unart. Und dann erfand sich binnen kurzem noch ein 28 seltsameres Ding: es ging allerorten durch die Lüfte ein dumpfes, mächtiges Tönen, das klang wie ein Stöhnen und ein hallendes Gähnen von zahllosen Menschen. Das kam daher, daß eine ungeheure Langeweile schwer über allen Landen lag, wie eine unheilbrütende Wolke; und die allerfrömmsten Seelen seufzten im Kämmerlein heimlich: »Ach, wenn mich doch jemand in Versuchung führte, wieder einmal eine Sünde zu begehen, wär's auch nur eine ganz kleine, wär's auch nur ein Räuschchen oder ein heimlicher Kuß; aber ich weiß nicht, wie das kommt, es will gar nicht mehr gehen. Oder wenn doch mein lieber Nachbar oder irgendwer sonst etwas recht Sündhaftes anstellte, daß ich mich darüber in Tugend entsetzen und redlich entrüsten könnte! Aber auch damit ist's nichts mehr. Die Menschheit wird alt.«

So ganz trübselig sah es in jenen Tagen auf Erden aus, und der pflichtvergessene Teufel hatte immer nichts im Kopfe als seine Liebesgedanken.

Jungfer Ilsebill war besser daran. Zum ersten sehnte sie sich nicht nach Sünden: sie hatte sich deren immer so dauerhaft enthalten wie der Tugenden und guten Taten auch; und zum andern wußte sie genau, was sie wollte und konnte.

Als die Walpurgisnacht herankam, ging sie zu ihrer Hexe, lieh sich einen gesalbten Besen und fuhr 29 mit ihr auf den Blocksberg. Sie hatte sich aber wiederum ein noch größeres Gefäß mit Weihwasser eingesteckt, das durfte sie zwar auf den Gipfel unter das Hexen- und Teufelsvolk nicht mitnehmen, so was schickt sich doch nicht, aber sie legte es etwas unterhalb, wo das Gesindel nicht mehr hinkam, auf einen Stein von besonderer Form, den sie sich gut merken konnte, dazu auch eine kleine Spritze.

Als sie oben ankam, fand sie bereits ein unendliches Gewimmel von tanzendem Volk, das sich in einem lichten, von Fackelblitzen durchsprühten Nebel in rasendem Wirbel und mit schauerlichem Lustgeschrei um die breite Kuppe herumtrieb. Den Meister Teufel aber fand sie erst nach langem Suchen, wie er tatlos auf seinem Throne saß, ganz in sich zusammengeklappt und von trübtraurigem Aussehen. Selbst seine Hörner waren schlaff geworden und hingen ein wenig zur Seite geneigt, von dem Schweif gar nicht zu reden, der hing hernieder wie ein Trauerweidenzweig.

Da freute sich die Jungfer, denn sie merkte daran, wie trefflich ihr Hase lief, und sie betrachtete ihn eine ganze Weile aus sittsamer Entfernung. Erst als der Damenwalzer an die Reihe kam, machte sie sich an ihn und forderte ihn knicksend zum Rundtanz auf. Da sprang er von seinem Throne mit einem wildquietschenden Jauchzer, fiel ihr zu Füßen und 30 wollte ihr die Hände küssen. Sie aber entzog ihm die mit dem kurzen Bescheid: »Bitte sehr, erst heiraten!« Sie sprach das Wort jetzt aber nur einmal aus, daß sie ihn nicht wieder in Ohnmacht würfe, denn das war ihrem Zwecke nicht günstig.

Er aber geberdete sich auch so noch verstört und erbärmlich, lief quiekend im Kreise umher, wie eine Ratte, der ihr Loch verstopft ist, und konnte sich lange gar nicht beruhigen. Endlich aber fand er sich doch wieder und ersann eine vernünftige Ausflucht:

»Aber wie sollen wir uns denn heiraten?« sagte er trotzig, »vor meinem Standesamte geht das doch nicht; denn erstens gibt es da nur einen Beamten, und der bin ich, und zweitens heiraten wir uns doch aus Liebe und haben dort keine Rechte. Daß ich mich aber von einem Pfaffen nicht trauen lassen kann, wirst du selber wohl einsehen. Und dann muß ich dich auch noch warnen: du würdest als Schwiegermutter meine Großmama kriegen, und das kannst du mir glauben, mit der ist schlecht Kirschen essen: das ist die Überschwiegermutter, wie sie im Buche steht. Schlag' dir die Heirat also lieber aus dem Kopfe. Die freie Liebe ist ja auch das Modernste.«

Ilsebill schauderte nun doch ein wenig, und zugleich sah sie ein, daß er mit seinen Gegengründen recht hatte. Aber sie gab die Partie darum doch nicht verloren, sondern überlegte und meinte endlich:

31 »Die Schwiegermutter tun wir natürlich aus dem Hause, das ist meine erste Bedingung. Und das andere Bedenken – wie wär's, wenn ich beispielsweise zum Islam übertrete, da könntest du gegen die Trauung doch kaum etwas einzuwenden haben?«

»Ach was,« brummte der Teufel, »Moschee oder Kirche oder Tempel oder heiliger Hain oder was sonst für Zeug, das ist alles dasselbe; da bringen mich keine zehn Ziegenböcke hinein. Das ist gegen meine Natur.«

»Es könnte ja auch eine Haustrauung sein,« schlug sie weiter vor.

»Pfaff ist Pfaff,« rief der Teufel heftig, »ich würde ersticken, wenn ich vor solchem Kerl stramm stehen sollte. Ist alles unmöglich, ist ganz unmöglich.«

Nun fiel ihr wirklich nichts weiter ein; denn ein menschliches Standesamt gab es damals noch nicht, das hatte der Teufel sich noch vorbehalten. Sie verlor aber doch den Mut noch nicht ganz, sondern sagte eifrig:

»Wenn ich einige Zeit habe zum Nachdenken, fällt mir gewiß noch etwas anderes ein, und ich finde einen Ausweg, der uns beide befriedigt. Für heut' lebe wohl; es ist Mitternacht vorüber, da muß ich nach Hause.«

Jetzt wurde der Teufel aber fuchsteufelswild und rief höhnisch und herrisch:

32 »Oho mein Püppchen, hier ist mein Herrschaftsgebiet, hier bist du mir untertan und mußt dich mir fügen, du magst wollen oder nicht. Her zu mir, in meine Arme, du prächtiges Schätzchen!«

Und er packte sie wild in seine Arme und umfing sie gewaltsam. Da sie zum Widerstande keine Kraft hatte, tat sie etwas anderes: sie griff mit der Hand zwischen seine Hörner und kraute ihn auf dem Kopfe. Das machte ihn milde, er schnurrte behaglich und ließ ab von seiner Wildheit. Das benutzte sie klüglich und sagte mit List:

»Pfui Teufel aber! Sich küssen vor allem Volke! Das geht mir so gegen den Strich wie dir Kirche und Pfaffe. Da mußt du gerecht sein, ich gebe dir ja auch nach. Komm ein wenig abseits vom Gipfel, wo es still ist und liebliche Einsamkeit, da will ich dich gerne krauen und küssen, da wollen wir es uns gemütlich machen.«

Gerecht ist der Teufel: er mißt den König wie den Bettler mit gleichem Maße und holt den einen wie den andern, wenn er sie fassen kann. Und dumm ist er ja auch; so ließ er sich betören.

Sie hängte sich in seinen Arm und führte ihn also mit sanfter Gewalt hinab zu dem Steine, wo sie ihr Werkzeug verwahrt hatte. Schnell sprang sie einige Schritte voraus, als wollte sie ihn necken, faßte ihre Spritze, und als er voll stürmischer 33 Zärtlichkeit heranflog, spritzte sie ihm die volle Ladung unter die Nase.

Da fuhr er heulend zehn Schritte zurück, wischte sich hastig das Gesicht und konnte doch noch minutenlang nicht einmal fluchen, so heilig ist das Weihwasser. Und andere Rede fand er vor Wut nicht.

Ilsebill aber sagte gelassen: »Du siehst, ich bin vor dir sicher. Hier ist ein ganzer Topf Weihwasser. Also sei vernünftig und begib dich artig zurück zu deinen Völkern. Ich reite nach Hause.«

Der arme Teufel wimmerte nun kläglich und flehte inbrünstig, sie müsse ihn wenigstens noch einmal zwischen den Hörnern krauen. Aber sie hütete sich wohl, machte ihm eine lange Nase und bestieg ihren Besen.

Nun flehte er weiter: »Gib mir wenigstens deine Adresse, daß ich mich einmal nach deinem Befinden erkundigen kann.«

»Dies nach der Hochzeit,« versetzte sie kühl. »Meine Wohnung aber kannst du wissen, Fensterpromenade darfst du mir machen.«

Und sie sagte ihm hierin Bescheid. War ihm die Stadt unangenehm, so wußte er doch gleich, daß er kommen würde; seine Liebe war zu groß. Und als sie abfuhr, schaute er ihr zähneknirschend und doch voll heißer Bewunderung nach.

»Das ist wahrhaftig ein Teufelsweib,« brummte 34 er entzückt, »die muß ich haben, koste es, was es wolle.«

So kehrte er sehnsuchtsvoll und traurig auf seinen Bergthron zurück.

Gegen den nächsten Abend, kaum daß er ausgeschlafen hatte, war er schon zur Stelle, schön angetan mit Hut und Kleidern, die all seine verräterischen Abzeichen verbargen, lustwandelte vor ihrem Hause und spähte nach ihren Fenstern.

Bald zeigte sie sich und schnitt ihm von oben eine greuliche Grimasse. Das nahm er für eine liebliche Geberde und einladenden Wink und schickte sich an, die Straße zu überschreiten und ihr Haus zu betreten. Sie aber öffnete eilig das Fenster und richtete drohend eine Spritze auf ihn. Diesmal war's eine ansehnliche Handfeuerspritze. Da entwich er mehrere Straßen weit. Erst als es ganz dunkel geworden war, kehrte er heimlich zurück und verbrachte die Nacht in sehnsüchtiger Klage auf ihrer Schwelle. Als der Morgen dämmerte, fuhr er in seine Berge.

So ging das mehrere Tage, während Jungfer Ilsebill unausgesetzt auf ein Mittel sann, wie sie ihn heiraten könne. Und was ein Weib alles Ernstes will, das setzt es auch durch, vornehmlich in Heiratssachen.

Am Ende glaubte sie wirklich auf einer guten 35 Spur zu sein. Sie hatte sagen hören, wenn ein Paar vor den Ohren eines Priesters mit vernehmlicher Stimme sage: »Dieser ist mein Mann« – »Diese ist mein Weib«, so sei damit eine vollgültige Ehe geschlossen.

Sie ging nun zu ihrem Beichtvater, fragte ihn hierüber aus und empfing seine Bestätigung. Nun beichtete sie ihm ihre Heiratswünsche, sagte aber nichts vom Teufel, sondern nur, es sei ein sonst ordentlicher Mann, von außerhalb zugereist, der jedoch aus einer wunderlichen Verwirrung seiner Gedanken an die heilige Kirche, deren Macht und Rechte nicht glaube und von einer Trauung vor dem Altare nichts wissen wolle. Darum müsse er auf diese besondere Art zu einer christlichen Ehe gezwungen werden.

Des guten Priesters Augen blitzten fröhlich auf, als er solches hörte.

»Das machen wir,« rief er und rieb sich schmunzelnd die Hände, »wir gewinnen eine Seele, der Kirche eine Seele! Ist er erst einmal dein christlicher Ehemann, so gehe ich jede Wette ein, wir kriegen das verirrte Schäflein oder richtiger Bock in unseren heiligen Stall. Wir gewinnen eine Seele! Wann wollen wir ans Werk gehen?«

»Am liebsten gleich heute,« versetzte sie schnell, »die Männer sind ein wankelmütig Geschlecht, und 36 es gibt so viele böse Weiber, die ihnen nachstellen. Darum muß man auf dem Posten sein. Jeden Abend gegen die Dämmerung kommt er mich zu besuchen; wenn Ihr dann zur Stelle sein wollt, will ich's Euch danken, und die heilige Kirche soll nicht leer ausgehen. Aber natürlich muß ich Euch irgendwo verstecken, in einem Schrank oder einer Truhe, derart, daß Ihr alles hören könnt, er Euch aber nicht sieht, denn sonst läuft er uns auf der Stelle davon.«

Der Priester war einverstanden mit allem und versprach pünktlich zu kommen.

Auch hielt er redlich sein Wort, kam schon nachmittags und ließ sich einen nicht gar zu unbequemen Platz in einer großen Truhe zurüsten, deren Deckel zwar geschlossen war, jedoch so, daß durch ein zwischengeklemmtes Hölzchen ein feiner Spalt blieb, den von außen nicht leicht jemand merkte, durch den er aber vortrefflich alles sehen und hören konnte.

Der Teufel kam zur gewohnten Stunde und begann seinen schmachtenden Lustwandeltrab. Ilsebill beugte sich zum Fenster hinaus und rief ihm zu, da gerade sonst niemand auf der Straße war:

»Ich kann dein Elend nicht länger mit ansehen. Komm herauf, ich will deine Sehnsucht stillen. Mit einer ganz kleinen, stillen Feierlichkeit vorher will ich mich begnügen. Das mußt du mir schon zu Gefallen tun, da ich dir doch soviel mehr noch 37 entgegenkomme. Was ich wünsche, ist nichts weiter, als daß du laut und feierlich zu mir sagst: ›Diese ist mein Weib‹, und ich will sagen: ›Dieser ist mein Mann‹. Damit soll der Bund für geschlossen gelten. Wenn du also nicht anderen Sinnes geworden bist, komm immer herauf.«

»Ist auch kein Weihwasser oben?« fragte er erst noch mißtrauisch; doch als sie bestimmt verneinte, bedachte er nicht mehr, daß sie selbstverständlich log, sondern tat einen Freudensprung gleich über die Straße hinweg und lief wie ein Schulbub die Treppe hinauf, wobei es ihm geschah, daß sein haariger Schweif, weil er so freudig sich ringelte, unvermerkt aus der Rocktasche heraussprang und sein Endbüschel zwischen den Frackschößen lustig hervorwedelte. In seinem verliebten Geiste nahm er sich nicht die Zeit, das wieder zu ordnen, hielt es auch nicht für nötig, denn Ilsebill wußte ja genau, wer er war, und konnte daran keinen Anstoß nehmen.

Sobald er nun ins Zimmer gestürmt war, schloß sie leise die Tür hinter ihm zu, damit er nur ja nicht etwa zu guter Letzt doch noch entschlüpfen könnte, falls er durch irgendeinen bösen Zufall Unrat wittern sollte.

Doch er blieb unschuldig und harmlos und ließ sich geduldig von ihr die Stellung anweisen, die er einnehmen müsse. Allein ehe er sein Sprüchlein 38 hersagen konnte, das ihm so nichtsbedeutend schien, geschah es, daß sein Schweifbüschel der Ritze unter dem Truhendeckel zu nahe kam und dem Priester um die Nase zu fuchteln begann.

Da vernahm man auf einmal ein Wimmern aus dem Kasten und gleich darauf einen unheimlichen, rucksenden, glucksenden Ton, der durch Mark und Bein ging. Dem armen Beichtvater war übel geworden, und es half ihm nichts, er mußte den Deckel in die Höhe heben und den Kopf herausstrecken, um Luft zu kriegen.

Sobald aber der Teufel die Tonsur erblickte und das geistliche Gesicht, schoß er nach der Tür, und als er die verschlossen fand und den Schlüssel herausgezogen, fuhr er tobend im Zimmer umher und an den Wänden in die Höhe wie eine wildgewordene Katze. Denn durchs Fenster konnte er ja nicht entfliehen, weil der Teufel nur auf demselben Wege zurückgehen darf, auf dem er gekommen ist.

Der arme Priester indessen, als er das Schweifende erblickte und auch den Pferdefuß deutlich klappern hörte, vielleicht auch etwas Schwefliges roch, wußte alsbald, daß es der Gottseibeiuns sein müsse, ward von einem scharfen Entsetzen ergriffen, sprang aus der Truhe, stürzte zur Tür und stob nach vergeblichem angstvollen Rütteln gleichfalls blindrasend in der Stube umher, nur daß er um seiner 39 geistlichen Würde willen nicht an den Wänden hinaufsprang. So sah es aus, als ob die beiden einander in wilder Hatz jagten, da sie doch in Wahrheit jeder vor dem andern jämmerlich flohen. Die unglückliche Jungfer blieb, zu Anfang vor Schreck wie versteinert, regungslos mitten im Zimmer stehen und ließ die beiden in ihrer kopflosen Flucht immer um sich herumschießen wie um den Mittelpfeiler einer Rennbahn. Allmählich aber kam sie zu sich und erkannte, daß ihr Spiel rettungslos verloren war. Da ersah sie eine Gelegenheit, wo sie zwischen den beiden wilden Rennern hindurch nach der Tür schlüpfen konnte, öffnete diese hastig und stieß sie weit auf.

Nun schoß zuerst der Priester hinaus, der Teufel gleich hinterher. Dieser jedoch lief mit seinem Pferdefuß schneller, holte jenen gerade auf dem Treppenabsatz ein und wollte ihn bei Seite stoßen, um zuerst das Freie zu gewinnen. Der geistliche Herr aber, der nicht anders glaubte, als er wolle ihn die Treppe hinabwerfen, klammerte sich in seiner Herzensangst an den Teufel an, als an eine rettende Stütze. So kollerten beide fest umschlungen die Stufen hinunter, bald der eine obenliegend und bald der andere. Der Teufel aber fiel weicher, denn er ist dürre und ein Geistlicher ist fett. Doch kamen sie beide noch leidlich erhalten auf dem Hausflur an, ließen einander los und stürzten in entgegengesetzter 40 Richtung die Straße entlang, so daß sie der Jungfer, die aus dem Fenster ihnen nachsah, sehr bald aus den Augen entschwanden.

Der Teufel zog sich in seine Berge und brütete dort weiter über dem Windei seines Liebesgrams. Der unselige Priester, nachdem er sich von jenem Schrecknis bei einer guten Mahlzeit so im gröbsten erholt hatte, vertraute im stillen Herzensschreine die Schaudergeschichte seinem Sonderheiligen, Sankt Godehard, an. Dieser aber wußte selbst nichts Rechtes anzufangen mit einer so unerhörten Begebenheit und beschloß, die Jungfrau Maria selber um Rat anzugehen.

Nun ist Unsere liebe Frau aber von so seltsamer Art und Begabung, daß sie in allen Dingen der Welt und ebenso im Menschen nur das Gute und Schöne zu sehen vermag; für alles Böse und Häßliche ist sie stockblind.

Darum ist sie auch zur Weltregierung untauglich und hat im himmlischen Stab nur eine fürbittende und mildernde Stimme.

Da begriff sie denn auch die Meinung und das tolle Begehren der Jungfer Ilsebill in seiner Häßlichkeit gar nicht, sondern legte sich's ein gut Teil anders zurecht.

»Dieses herrliche Mädchen,« sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, das aber kein Lächeln 41 menschlicher Art war, sondern so leise und überirdisch fein, daß von den Himmelsbewohnern nur die drei Erzengel es zu bemerken die Gabe hatten, »dies Mädchen hat in überschwenglicher Seelengüte die beispiellose Großtat vollbringen wollen, den bösen Feind selber zum Guten zu bekehren und ist zu solchem Zwecke sogar sich selbst, ihren keuschen Leib, zum Opfer zu bringen willig und bereit gewesen. Das war ein ungeheurer Irrtum: sie hat nicht bedacht oder gewußt, daß Satan für alle Ewigkeit verdammt ist, Böses zu wollen und zu wirken, und daß selbst Gott und der Heiland ihn zu erlösen nicht die Macht haben, weil sie nicht gegen ihren eigenen Urwillen und Weltplan ankämpfen können. Gleichwohl war des Mädchens Absicht so schön und erhaben, daß ich ihr ein Zeichen meiner Gnade geben muß. Ich denke, ich will sie zu einer stattlichen Heiligen machen, die etwas vorstellt auf Erden und später im Himmel. Ja, ja, ich meine, das ist das Rechte.«

Und schnell wie die Himmelskönigin im Ausführen schöner Entschlüsse ist, schwebte sie hinab in die uralte Kirche zu Halberstadt, die Unserer lieben Frau geweiht ist, fuhr in ihr Bildnis, das darinnen auf dem Altar stand, und wandelte also in etwas vermenschlichter Gestalt hinaus auf den Domplatz und weiter in die Gassen.

42 Als sie das Haus der Ilsebill am Breiten Wege erreicht hatte, klingelte sie und fragte die Dienstmagd, ob ihre Herrin zu Hause sei.

»Jawohl, sie ist in ihrem Zimmer,« sagte jene und führte sie hinein, »bitte hier – seht hin, da sitzt sie auf ihrem Faulbett.«

Aber die Jungfrau Maria sah nichts; denn weil an der Ilsebill kein gutes Haar war an Leib und Seele, war deren Anblick ihrem heiligen Auge verschlossen, sie war ihr wie Luft. Ingleichen aber sah auch die Jungfer von der Himmelskönigin nicht einen Lichthauch: denn nur reinen Augen wird diese sichtbar.

Maria verwunderte sich, daß alles leer war und blieb, und dachte bei sich: »Das Dienstmädchen muß sich geirrt haben, die edle Jungfrau ist nicht zu Hause. Ich will morgen zu etwas früherer Stunde wieder vorsprechen.«

Und sie begab sich zurück in ihre Kirche, wo sie gleich übernachtete, um früh bei der Hand zu sein.

Am andern Morgen ging Ilsebill nach einer schlaflosen Nacht in verdrossener Stimmung hinaus auf die Gasse, sich die Stirn ein wenig zu kühlen. Im Vorbeigehen sah sie in einer Haustür ein Kindchen stehen, das hatte einen Klumpfuß, der fast wie ein Pferdehuf aussah. Urplötzlich fuhr ihr ein schwerer Schauder zum Herzen, sie wußte selber nicht gleich, 43 warum. Aber es zwang sie etwas, alsbald umzukehren und das Ungebilde wieder und wieder zu betrachten.

Und nun kam's ihr in die Gedanken: »Wenn ich den Junker Satan heiratete und kriegte dann ein Kind, so möchte es leicht solchen Fuß mit auf die Welt bringen.«

Und von Stund' an warf sie den Gedanken an den Teufel weit aus ihrer Seele und war von so widrigem Gelüste für immer geheilt. Zugleich aber regte sich ein wunderliches Mitleid mit ihrem ungeborenen Kinde in ihrem Herzen und der Wunsch, ihm zum Troste etwas Gutes anzutun. Und da sie es nicht zur Stelle hatte, ging sie zu dem fremden Kinde und gab ihm einen Groschen. Da dieses aber ein dummes Gesicht machte und nicht wußte, was damit anfangen, ging sie in den nächsten Laden, kaufte eine Puppe und schenkte ihm die. Und als das Gesichtchen der Kleinen aufstrahlte in jubelnder Freude, da ging ein leiser Widerschein von solchem Strahlen auch über ihr kaltes, hartes Gesicht.

In diesem Augenblick kam die Mutter Gottes vorübergewandelt; und siehe, sie vermochte die Jungfer zu erblicken und was sie tat, wenn auch nur wie einen dämmerigen Schatten; von dem Antlitz sah sie nur den freundlichen Widerschein, das andere blieb ihr verborgen. Sie empfand nun sogleich 44 Teilnahme an diesem gütigen Menschenkinde und folgte ihm auf seinem Wege. Und da sah sie, wie Ilsebill in das Haus eintrat, das ihr von gestern bekannt war, und sie merkte, daß es eben das Weib war, das sie suchte; da ward sie voller Freude, ging mit ihr in ihre Stube und redete sie an. Jetzt vermochte auch Ilsebill sie zu sehen und zu hören, auch nur wie einen Schatten und wie einen Hauch der Lüfte; aber die Worte verstand sie.

»Ich bin die Jungfrau Maria und habe die Kunde vernommen von deinem hochherzigen und edlen, aber törichten Unterfangen, den Bösen selbst zu bekehren. Das ist ewig unmöglich. Doch ich ersehe daraus, daß du von der Art bist, eine treffliche Heilige abzugeben; ich will dir dazu verhelfen, daß du es werdest.«

Ilsebill fühlte vor Staunen einen wirren Schwindel im Kopfe und wollte schon fürchten, sie sei von Sinnen gekommen, zumal sie sich im Stillen schon über sich selbst wundern mußte, daß sie dem fremden, dummen Kinde eine kostspielige Güte angetan hatte.

Allmählich aber faßte sie sich ein wenig und fühlte sich mächtig geschmeichelt, daß die Himmelskönigin sich so mit ihr befaßte und sie gar zu einer Heiligen machen wollte.

Trotzdem war sie im Herzen noch unentschieden, 46 ob ihr die Heiligkeit nicht ein zu anstrengendes Gewerbe sei; insbesondere zur Märtyrerin fühlte sie gar keinen Beruf: aber sie wagte keinen Widerspruch.

Maria nahm ihre Zustimmung als selbstverständlich an und fuhr freundlich fort:

»Ich will dir die innere Kraft verleihen, durch Gebet und Händeauflegen verkrüppelte Kinder zu heilen. So wirst du Segen um dich verbreiten und Trost und Wonne deiner Mitmenschen werden. Hebe dich auf und gehe mit mir, du sollst sogleich deine Kraft erproben.«

Und sie nahm die Jungfer sanft bei der Hand und führte sie zurück zu dem Kinde mit dem Klumpfuß. Sie selbst zog ihm die Schuhe aus und ließ nun die andere ihres Amtes walten.

Ilsebill gehorchte, legte die Hand auf und betete laut ein Paternoster und ein Ave Maria. Und da begann der häßliche Klumpen sich zu recken und zu formen, und in kurzer Frist hatte sich das niedlichste und brauchbarste Füßchen herausgewachsen, und die Kleine tanzte gleich vergnüglich über die Straße.

Des Kindes Mutter hatte alles aus dem Fenster mit angesehen, nur die Jungfrau Maria sah sie nicht, die sich bescheiden bei Seite gemacht hatte, um den Ruf der neuen Heiligen nicht zu 47 überstrahlen. Die Mutter fiel nun dieser zu Füßen, küßte ihr die Hände und den Saum ihres Gewandes und fand kein Ende, ihr zu danken und sie zu preisen.

Das ging der neuen Heilkünstlerin wunderlieblich ein, denn so etwas war sie gewiß nicht gewohnt, und es ist dem Menschenkinde eine feine Sache, sich anbeten zu lassen.

Indem kam auch der Vater herzu und dankte gleichfalls, wenn auch ein wenig gemäßigter und ernster: dafür brachte er einen Beutel voll Geld mit, alle seine Ersparnisse, denn er war nur ein ärmlicher Mann, den wollte er ihr darreichen. Sie hätte ihn auch genommen, nur daß Maria plötzlich wieder herzutrat und ihr ins Ohr raunte: »Laß das, es sind arme Leute.«

So wehrte sie ab, wenn auch unfreudigen Herzens. Sie merkte aber doch, daß mit ihrer heiligen Kunst ein Geschäft zu machen sei, und das stimmte sie noch etwas froher als jene heiße Verehrung. Sie war nun völlig entschlossen, eine Heilige zu werden.

Und sie tat nach diesem Entschlusse. Sie verließ die Stadt, zog sich ins Gebirge und gründete eine Einsiedelei hoch oben im Klostergrunde bei Blankenburg, hinter dem gesegneten Kloster Michaelstein, an der Stelle, wo ehedem schon eine berühmte Klausnerin, Liutbirg, gehaust hatte. Denn das 48 Wohnen abseits von den Menschen schien ihr dem Geruche der Heiligkeit günstig.

Also lebte sie dort viele Jahre und tat Wunder über Wunder. Denn der Ruf der ihr verliehenen Heilkraft verbreitete sich schnell unter den Leuten, in Blankenburg zuerst und von da weiter und weiter durch die Lande um den Harz und darüber hinaus bis an beide Meere.

Von allen Seiten strömten die Leute herzu fast Tag für Tag und brachten ihr Kinder, die verkrüppelt waren an den Füßen oder Händen, die einen Buckel hatten oder schief gewachsen waren und all solche Gebresten. Und sie legte die Hand auf und heilte sie alle.

So wuchs ihr Ruhm gewaltig im Volke, sie ward mit Ehren überhäuft, und die dankbaren Eltern spendeten ihr Gaben über Gaben, so daß sie zehnmal so reich ward, als sie es früher gewesen.

In eben diesen Jahren aber, die ihr so gesegnet waren, geschah in ihr selber langsam, langsam ein anderes Wunder, das manchen noch größer scheinen mag als jene, die sie wirkte. Jener Widerschein der kindlichen Freude und heiligen Dankes, den einst die Mutter Gottes auf ihrem Antlitz gesehen hatte, trat nun gar so oft in ihre Züge, daß diese davon leise sich zu wandeln begannen. Denn es gibt kein staubgebornes Weib, auch das böseste 49 nicht, das dem Blicke eines Kindes ganz zu widerstehen vermöchte.

Und es weichte sich allmählich in ihrem Herzen etwas auf, wie wenn langer Regen auf ein ausgetrocknetes Fruchtfeld rieselt. Und was auf ihrem Fruchtfelde wuchs, war die Freude an ihrem Werke und die Freude an denen, die ihr Segen beglückte. Und die ihr diese Freude brachten, die mußte sie lieben, und sie lernte es immer besser, daß kein Mensch anders kann, als den lieben, dem er wohltut.

Bald ließ sie sich Puppen und alles Spielzeug kommen und beschenkte die Kinder, die sie heilte, noch obendrein reichlich, und wenn sie lachten und jauchzten, lachte sie in ihrem Herzen liebevoll mit. Und es währte nicht lange, so sangen die Kinder Verse auf sie, wie sie noch heute vom guten Bischof Buko von Halberstadt singen.

Um die Zeit, da diese neuen spielenden Seelenlichter auf ihrem Antlitz sich eingewöhnt hatten, erfuhr der Teufel davon, daß seine alte Flamme im Bergwalde hause und Wunderkuren vollbringe. Von neuer Begierde ergriffen, eilte er schleunigst zu ihrer Klause und trat vor sie hin unter dem spöttischen Vorwande, sich seinen Fußschaden heilen zu lassen.

Kaum aber hatte er ihr ins Auge geblickt, als er jählings zurückfuhr und ein erschrockenes Zischen 50 vernehmen ließ. Dann zog er die Nase kraus, kratzte sich an den Hörnern, wackelte verächtlich mit den Ohren und rief mit ergrimmter Stimme:

»Pfui Teufel, bist du aber häßlich geworden! Kaum wieder zu erkennen. Wie ist's möglich, daß sich ein Mensch so zum Nachteil verändern kann! Und um so was bin ich alter Esel so viele Jahre in Liebesgram fast vergangen! Wenn dies meine Großmutter wüßte, das gäb' ein schönes Höhnen und Zetern. Um so was! Um so was! Nochmals: Pfui Teufel!«

Er hätte ihr nun gerne den Hals umgedreht, doch er witterte etwas von dem Geruche der Heiligkeit, und da wagte er's doch nicht, sondern wandte sich ohne Gruß kurz ab und trollte halb verdrießlich, halb erleichtert seines Weges. So war der arme Teufel endlich seiner Liebesleiden ledig geworden, und im letzten Grunde verdankte er's der Jungfrau Maria selber.

Als er aber gegen Blankenburg kam und sah auf dem Thing eine große Anzahl hübscher und blühender Mädchen den Ball schlagen und sich freuen, da sagte er knurrig:

»Schöner als die Kröten ist Ilsebill freilich immer noch.«

Und jetzt faßte ihn jählings eine scheue Angst, es möchte ihm solch Unheil noch einmal begegnen, 51 daß er sich verliebte. Und er beschloß, sich gegen dieses Übel nach aller Möglichkeit zu verbarrikadieren. Weil er aber meinte, daß diese Gefahr ihm vornehmlich von Halberstadt her aus dem Bischofssitze drohe, führte er eine riesige Mauer in weitem Bogen um seine Gebirge gegen Halberstadt auf.

Die hat auch eine Zeitlang starr, glatt und unversehrt gestanden, und er hat wirklich von Weibern keine Anfechtung mehr gehabt. Allein der Teufel baut unsolide wie ein Berliner Maurermeister, und so ist denn sein Werk doch bald verfallen, teils ganz zusammengestürzt und verschwunden, teils vom Wetter zerrissen und zersplittert. Und wo die alten, stolzen Zinnen bis heute noch ragen, sind sie doch ungleich, trümmerhaft und unbrauchbar geworden. Solche Reste der Teufelsmauer zeigt man noch heute bei Blankenburg und Thale.

Dem Teufel aber drohte auch so keine Gefahr mehr, weder aus Halberstadt noch aus den anderen Städten in der Runde um den Harz, denn so scheußliche Weiber, wie die Jungfer Ilsebill in ihren Jugendzeiten war, werden heutzutage dort überhaupt nicht mehr geboren. Die jetzt dort leben, findet er alle ausnahmslos häßlich.

 


 


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