Hans Hoffmann
Ostseemärchen
Hans Hoffmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Bernsteinstadt.

Ein schöner junger Ritter Namens Harro hatte einen Lockenkopf voll goldblonder Haare, so dicht wie eine Löwenmähne; und wenn er, wie alle Welt wusste, mehr Schulden hatte als Haare auf dem Kopf, so wollte das also etwas Rechtes besagen. Seine Gläubiger peinigten ihn bis auf's Blut; denn er war eine ehrliche Haut, hätte sie gerne bezahlt und nahm sich's zu Herzen, dass 122 er das nicht konnte. Aber er konnte wirklich nicht: er hätte denn müssen das Reiten und Tanzen und Bechern und Würfeln und solche Dinge lassen, und das ging doch nicht an, weil er nun einmal ein Ritter war. So blieb ihm nichts übrig, als seine Schulden immer noch zu vermehren.

Endlich aber ward ihm die Plage zu toll; und er that seine Ohren auf und lauschte auf die Reden verständiger Männer, deren einer zu ihm sprach:

»Ich will dir rathen, fahre über die Ostsee nach der berühmten Stadt Wisby, da sind die Leute so reich, dass ihre Schweine aus goldenen Trögen fressen; wenn es dir da gelingt, eine Erbtochter zu erwischen und zum Heirathen zu bringen, ist dein Glück gemacht; du bezahlst deine Schulden und merkst noch nicht einmal eine Verminderung der Mitgift. Ein hübscher Krauskopf bist du; wer weiss, was dir dort blüht, wenn du nur halb so viel Verstand hast als Locken in deiner Mähne.«

Diesen Rath liess der Jüngling sich ernstlich durch den Kopf gehen. Zwar hatte er seine Bedenken, er hätte viel lieber ein 123 Mädchen geheirathet, das ihm wohl gefiele und klug, schön und gut wäre, als ein reiches Schaf oder einen vergoldeten Drachen. Doch er dachte an seine Gläubiger und sprach zu sich selbst: Lieber heirathen mit Ehren als lustig leben mit Unehren. Und er stieg auf ein Schiff und segelte nordwärts gen Wisby.

Als er nach sonniger Fahrt angekommen und in der Herberge abgestiegen war, begann er bei einem Trunke Malvasierwein den Wirth sachte auszuholen, welches wohl am Orte die reichsten und ansehnlichsten Erbtöchter seien.

Der als ein geriebener Mann, wie sein Geschäft das so mit sich bringt, hatte schnell heraus, welchen Kurs sein Gast steuerte, denn fahrende Ritter eben dieses Gewerbes waren hier etwas Alltägliches; ja häufig hatten die Gasthäuser der Stadt nicht Raumes genug, allen Pilgersleuten solchen frohen Glaubens ein Kopfkissen zu geben; manchmal nächtigten sie im Sommer zu Schaaren auf den Kirchenstufen und in den Nischen der Stadtmauer.

Darum lachte der Wirth bei allem Respect 124 vor seinem ritterlichen Schwerte fast ein wenig spöttisch, als er ihm den kurzen Bescheid gab:

»Mit Erbinnen ist hierzulande leider Gottes gar keine Seide mehr zu spinnen – nämlich ausser für Erbsöhne – ich erlebe noch, dass mein Geschäft drüber zu Grunde geht, wenn sich die Sache in der Welt draussen erst herumspricht. Es ist die alte Geschichte: Allzuviel des Guten schlägt leicht um in Allzuwenig. Ein Glück nur, dass ich als ein weitschauender Mann mein Schäfchen bei Zeiten geschoren habe.«

Der junge Harro war wohl ein wenig verdutzt, liess sich aber noch nicht gleich abschrecken, sondern fragte, mit scheinbarer Gelassenheit still in sein Glas schauend, wie das zu verstehen sei; die Erbtöchter könnten doch am Ende nicht ausgestorben sein.

»Das gerade nicht,« versetzte der Herbergsvater, »eher recht im Gegentheil: sie sind im besten Zuge, sich das Sterben nicht allein, sondern auch das Altwerden vollständig abzugewöhnen. Aber da sitzt eben der Haken: sie altern nicht mehr, aber sie verlieben sich auch nicht mehr; man hat gegen 125 Beides ein Mittel gefunden. Und das ist eben das Unglück der werbenden Herren Ritter.«

»Aber wie ist das möglich?« fragte Harro etwas ungläubig, »das wäre ja gegen alle vernünftige Weltordnung.«

»Ist es auch,« nickköpfte der Wirth, »es steckt eben eine Zauberin dahinter und zwar eine der ausgelerntesten ihrer ganzen Zunft. Sie wohnt draussen am Galgenberge und ist angestellt als vereidigte Stadthexe. Zu der pilgert jede Erbtochter, sobald sie mannbar wird und in Gefahr kommt sich zu verlieben, und lässt sich von ihr in die Sommerfrische schicken.«

Was ist das: die Sommerfrische?« fragte der Ritter, »was hat das für einen Zweck?«

»Die gründliche Abkühlung von Leib und Seele,« beschied ihn der Herbergsvater, »nämlich auf dem Grunde der Ostsee, nicht gar so sehr weit von hier, liegt die Bernsteinstadt: dahin schickt die Hexe diese Mädchen und lässt sie den Sommer hindurch unter dem Wasser verweilen. Da werden sie durch und durch gekühlt bis ins innerste Herz, und wenn sie im Herbste wieder an 126 die Oberwelt kommen und zum Tanze gehen, sind sie vollkommen gefeit gegen jedes Verlieben.«

»Und warum scheuen sie sich so sehr vor dem Verlieben?« fragte Harro, »das hat doch eigentlich auch seine guten Seiten und wird von den meisten Mädchen sonst recht gerne gesehen.«

»Ja, dies sind aber Erbtöchter,« gab der Wirth zu bedenken, »und also gleichsam jagdbares Wild für alle verarmten und verschuldeten Ritter. Einem solchen aber möchte doch keine recht gerne zum Opfer fallen; darum hüten sie sich so streng vor dem Verlieben und können dann also vernünftige und einträgliche Heirathen schliessen.«

»Sie heirathen also immer nur wieder einen reichen Mann oder Erbsohn?« fragte der arme Ritter betrübt.

»Natürlich,« bestätigte der Gastwirth, »nur einen innerlich Ebenbürtigen, wie sie das nennen.«

»Aber wie können sie denn allemal sicher gehen?« fragte Harro nachdenklich.

»Nichts einfacher als das,« erklärte der 127 Wirth, »sie schliessen ihre Verlöbnisse in folgender Art: ein Fräulein, das heirathen will, lässt die ehelustigen Männer einen nach dem andern vor sich kommen und ihre Geldsäcke mitbringen; da setzt er dann ein Goldstück ums andere, und sie setzt je eins daneben: wenn nun die Zahl der beiderseitigen Dukaten ganz genau gleich ist, dann heirathet das Paar in der Meinung, Gott selbst habe sie zusammengefügt. Wenn aber nicht, so suchen und zählen sie weiter, bis es mit einem Andern klappt.«

»Das wird aber doch selten genug vorkommen,« meinte der junge Ritter, »dass die Zahlen so genau stimmen, darüber wird manche zur alten Jungfer werden.«

»Das eben doch nicht,« versicherte der kundige Herbergsvater, »obgleich eine so schöne Harmonie freilich nicht alle Tage erzielt wird. Aber für diese Mädchen ist anders gesorgt: in ihrer wässerigen Sommerfrische, wo sie sich so gut auskühlen, werden sie gleichzeitig conservirt, so dass sie während des nächsten Jahres um keinen Tag älter werden. Ob das mehr an dem Salzwasser liegt oder schon an dem blossen Vermeiden 128 des zehrenden Verliebtseins, will ich nicht entscheiden. Die Thatsache aber steht fest: wir haben hier hundertjährige Jungfrauen, die genau noch so rosig und frisch sind, wie sie mit zwanzig waren. Daran ist garnicht zu rütteln. Erst wenn sie heirathen, werden sie älter in dem Zeitmass anderer Menschen, denn die Ehe zehrt natürlich erst recht, und verheirathete Frauen gehen nicht mehr in die Sommerfrische, weil sie ihren Männern hier oben während der Strohwittwerzeit nichts Gutes zutrauen. Heirathen aber wollen sie doch alle, das liegt so im weiblichen Blute.«

»Aber wenn jene Bernsteinstadt doch unter dem Wasser liegt,« forschte Harro kopfschüttelnd, »wie vermögen sie denn da zu athmen und zu leben? Sie sind doch keine Fische.«

»Sie sind's nicht, aber sie werden's: das ist eben der Pfiff,« versetzte der Wissende. »Unsere belobte Stadthexe versteht die Kunst, sie durch ein nur ihr bekanntes Verfahren in Goldfische zu verwandeln; und da leben sie natürlich sehr gesund und angenehm unter dem Wasser. Die Prozedur ist ein 129 bischen kostspielig, sie erfordert sehr viel feinsten Goldstaub; aber dafür sind sie ja Erbtöchter.«

»Das sind sie,« sagte der Ritter betrübt, »und ich sehe schon deutlich, für Unsereinen ist hier nichts zu verrichten. Ich habe mein Reisegeld umsonst ausgegeben.«

Der Herbergsvater versuchte ihn zu trösten: vielleicht sei in dem reichen Wisby ein anderes Geschäft für ihn zu machen, etwa ein alter Hagestolz zu beerben oder ein Jude auf der Landstrasse abzufangen. Aber Harro meinte, das hätte er zu Hause auch haben können: jedoch habe Beides hier wie dort seinen Haken. Die Zeiten seien nicht mehr danach angethan.

Also kehrte er ganz niedergeschlagen zu dem Schiffe zurück, mit dem er gekommen war, und fragte den Schiffer, wann er wieder heimfahre, er wolle die Rückfahrt auch mit ihm machen. Der aber erklärte, das habe gute Weile, man habe ja kaum mit dem Löschen begonnen. Da lehnte sich der Ritter vorn auf das Bugspriet und blickte schwermüthig ins Wasser.

Auf einmal tippte ihm etwas ganz leise 130 auf die Schulter; er blickte auf und sah ein kleinwinziges Männchen neben sich stehen mit einer rothen Jacke, weiten Schifferhosen und einem runden Hute. Oder eigentlich sah er es nicht, es flirrte nur so wie ein huschender Schatten an seinem Auge vorüber, dass er gleich darauf selbst nicht mehr hätte sagen können, ob er wirklich etwas gesehen habe. Um so deutlicher aber hörte er ein feines Stimmchen, das freundlich zu ihm redete:

»Ich bin der Klabautermann dieses Schiffes,« so sprach es, »und kenne Dich von der Fahrt her. Ich habe Dich lieb gewonnen auf Dein ehrliches Gesicht hin. Ich sehe Dir an, dass Dir etwas fehlt, und kann Dir vielleicht helfen. Ich habe jetzt nichts zu thun, langweile mich sträflich und sehne mich nach Arbeit; übrigens bin ich auch ein guter Kerl und ordentlichen Menschen von Herzen gern hülfreich. Wie viele Todte lägen ohne mich auf dem Grunde der See! Doch ich will mich nicht rühmen; ich sage dies nur, um Dir Zutrauen zu geben. Sprich also nur getrost aus, was Dein Herz bedrückt.«

131 »Je nun,« versetzte Harro, »vorläufig möchte ich gar zu gern einmal die Sommerfrische in der Bernsteinstadt besuchen: es ist so furchtbar heiss heute. Aber das ist doch nicht möglich.«

»Ach so, wo die Goldfischchen hausen!« rief der Klabautermann, und ein feines Lachen klang durch sein Stimmchen, »ich verstehe schon, und zwar sehr genau. O, das ist sehr wohl möglich, wenn Du Lust und Muth hast.«

»Lust habe ich ja, wie Du hörst,« erklärte der Ritter, »mit dem Muthe allerdings sieht es windig aus. Vor Feinden bin ich nicht ängstlich, auch nicht vor Walen, Robben und Haifischen; aber Luft muss ich schöpfen können: und das hat unter dem Wasser zumeist seine Schwierigkeiten. Oder solltest Du auch mich in einen Goldfisch verwandeln können?«

»Das lässt sich nicht machen,« belehrte ihn das Männchen, »dazu hast Du zuviel Schulden. Aber ich kann Dir eine Taucherglocke spinnen, die Luft genug auf Tage für Dich enthält und sonst durchsichtiger ist wie das feinste Glas.«

132 »Aus welchem Stoffe machst Du diese Glocke?« fragte Harro verwundert.

»Ich ziehe Wellenschaum zu Fäden, und aus denen spinne ich einen hohlen Ball, der vollkommen wasserdicht ist und doch so klar durchscheinend, dass Du nicht allein durch das Gespinnst selbst, sondern darüber hinaus noch durch fingerdicken Bernstein und durch haltbare Goldfisch-Schuppenhäute zu blicken vermagst.«

»Durch Goldfischhäute?« fragte Harro erstaunt, »das verstehe ich wahrhaftig nicht.«

»Du wirst es schon verstehen, wenn es so weit ist,« bemerkte der Klabautermann ein wenig kurz, »komm jetzt nur mit und lass Dich umspinnen.«

Er schien nun voranzugehen, und Harro folgte, immer auf den feinen Schall seiner trippelnden Füsschen lauschend, von dem Schiffe herab bis zur Aussenmole, die den Hafen schützte und an deren steinernem Rande die Wogen mit gewaltigem Anprall sich brachen.

Während er hier nunmehr mit scharfem Aufmerken in den sprühenden Schaum blickte, 133 sah er ganz deutlich, dass feine Fädchen, viel zarter als Spinnweb, sich von da her in die Höhe zogen und seltsam im Sonnenschein blinkten und glitzerten. Und es wurden deren immer mehr, und die wanden sich um einander und verschlangen sich zu Kreisen; aber wenn es ihrer recht viel geworden waren, verschwanden sie wieder und war nichts mehr zu sehen als die leere, klare Luft.

Das währte wohl eine Stunde oder vielleicht noch länger, indessen der Ritter ganz mäuschenstille stand, denn es war ihm wunderlich zu Sinne, als ob er leise betäubt würde; da rief das Stimmchen auf einmal: »So, meine Arbeit ist fertig. Eingesponnen bist Du, die Reise kann losgehen.«

Und er vernahm ein leichtes Rauschen, wie wenn ein feiner Wind in ein Segel fällt, und fühlte sich aufgehoben und hurtig von dannen über den Molenrand getragen; und dann sank er ins Wasser, doch merkte er sogleich, dass die Nässe nicht an ihn drang und ihm der Athem nicht im Geringsten beschwert war. Auch blieben seine Augen offen und wacker, und er sah Alles, was 134 unter dem Wasser schwamm und sich regte, so Pflanzen wie Fische und anderes Seegethier. Er fühlte auch, dass er schnell von einer unbekannten Strömung zugleich in die Tiefe und vorwärts gezogen wurde.

Und jetzt auf einmal sah er unter seinen Füssen in einiger Ferne etwas Goldiges schimmern; und er brauchte nicht lange nachzudenken, was es wohl sein könne, denn unversehens hatte er es dicht vor sich: und es war eine glatte Mauer mit einem erhöhten Thore darin, Alles scheinend von einem stillen Goldglanz, und er sah, das Ganze war aus Quadern klaren gelben Bernsteins gefügt.

Die Mauer hatte ungefähr Manneshöhe und der Thorbogen etwas darüber, so dass er grade hindurchschreiten konnte, ohne sich zu bücken oder den Kopf zu stossen. Eigentlich schritt er zwar nicht, sondern es war mehr ein Gleiten, das ihn trug, auch ohne sein Zuthun, doch seine Füsse streiften dabei immer leise den Boden.

So betrat er die Stadt und sah ihre Strassen und prächtigen Häuser, auch sie alle aus eitel reinem Bernstein erbaut. Sie 135 waren zumeist etwa so hoch und so breit wie ein gewöhnlicher Schrank, so dass er bequem in die oberen Stockwerke hineinschauen konnte, zu den unteren aber sich bücken musste. Die Thüren waren nicht grösser als Ofenthürchen, die Fenster noch kleiner, so dass er nicht einmal den Kopf hätte hineinzwängen können, auch wo eines offen stand.

Das hatte er aber auch nicht nöthig, denn sein Blick drang durch die bernsteinernen Wände wie durch dünnes Glas, und er sah Alles, was sich in den Zimmern befand, die niedlichen Tische und Stühle und Betten und was sonst zu einer vornehmen Ausstattung gehört, Alles aus gediegenem Bernstein verfertigt in den anmuthigsten Formen, auch Töpfchen und Tellerchen und Becherchen und sonst allerlei Geräthschaft.

Und er sah auch die Bewohner, die ihr Wesen darin trieben: und das waren keine anderen als lauter allerliebste Goldfische von reizender rother Farbe und den zierlichsten Bewegungen. Eines aber war merkwürdig und sehr auffallend an ihnen: sie schienen zwar zu schwimmen wie andere Fische auch, 136 aber nicht wie solche wagerecht auf dem Bauche, sondern aufgerichtet mit dem Kopfe nach oben und den glatten Fussboden leise mit der Schwanzflosse streifend. Einige freilich lagen auch ausgestreckt in den Betten, und es sah wunderlich genug aus, wie die blanken Schnäuzchen unter den Decken hervorlugten. Noch seltsamer aber war, dass sie auch zu sitzen vermochten, ganz ordentlich wie ein Mensch, in der Mitte geknickt, obgleich die dazu bestimmten Gliedmassen doch gar nicht so recht richtig dafür ausgebildet erschienen.

Alle diese Dinge sah der junge Ritter mit beständigem Staunen und grosser Freude, wie ein Kind ein neues herrliches Puppenwerk beschaut.

Allmählich aber, wie seine Augen sich besser gewöhnt hatten, entdeckte er noch etwas Neues: er blickte wirklich, wie der Klabautermann verheissen hatte, durch die Schuppenhaut der Fischchen hindurch: und da sah er denn, dass gewiss und wahrhaftig in dieser Haut wie in einem knapp anschliessenden Sacke lauter kleine Geschöpfe von menschlichem Wuchse und in weiblicher 137 Kleidung versteckt sassen, ganz zwergenhaft freilich, noch kaum eine Hand gross, aber doch in allen Gliederchen deutlich erkennbar und sogar an Antlitz und Mienen.

Es waren sämmtlich Mädchen, alle prächtig gekleidet, von stolzer Haltung und vornehmem Gebaren; doch Harro merkte bald, dass sie zumeist mit allerhand leiblichen Gebresten behaftet waren, an denen Erbtöchter gewöhnlich leiden: Eine war bucklig, die Andere plattfüssig und von latschendem Gangwerk, die Dritte schielte zum Gotterbarmen, die Vierte war so mager, als wenn sie schon ausgenommen wäre wie ein Häring, die Fünfte hatte grausam schadhafte Zähne und die Sechste eine Nase, aus der man bequem hätte drei machen können, aber dann wär's gut gewesen, sie auch gleich richtiger zu stellen.

Als der Ritter all diese armen kleinen Scheusälchen in Goldfischhaut sah, ward er sehr betrübt und sprach zu sich selber: »Mein Gott, was doch der Mensch nicht für seine Gläubiger thut – oder doch wenigstens versucht! Denn noch kann ich nicht wissen 138 ob ich ein so abschreckendes Werk werde durchführen können.«

Wie er schon in solcher halben Verzweiflung war, entdeckte er aber auf einmal in einem mehr abgelegenen Hause noch so ein Geschöpfchen, das ganz anders geartet war: tadellos gewachsen und in allen Stücken von einer so ebenmässigen und zugleich anmuthvollen Schönheit, dass er sich gar nicht daran satt sehen konnte. Am liebsten hätte er es gleich in beide Hände genommen und mit ihm gespielt wie mit einem zahmen Mäuschen; er getraute sich's aber nicht, eben weil es gar zu hübsch war.

Verlieben aber that er sich sogleich mit aller Gewalt in das niedliche Dingelchen und dachte im Herzen: »Guter Gott, wenn die doch von lebensgrosser Gestalt wäre oder ich meinetwegen so kleinzierlich wie sie: denn das käme auf eins heraus. Da könnte man sie doch mal beim Kopf nehmen und herzhaft abküssen!«

Gleich fiel ihm aber wieder ein, dass sie in Wirklichkeit ja eine Erbtochter war, und dass man eine solche niemals so ohne Umstände beim Wickel nimmt, sondern erst 139 säuberlich anfragt und auch dann meist nicht erhört wird.

»Schade!« sagte er, »wenn diese so arm wäre wie ein Kirchenmäuschen, ich nähme sie erst recht und pfiffe auf alle Gläubiger und alle Schulden!«

Nachdem er der kleinen Lieblichen also ein paar Stunden lang zugesehen hatte, wie sie in ihren Gemächern munter umherglitt, da war seine Liebe zu ihr schon so heftig geworden, dass sein unsichtbarer Begleiter, der Klabautermann, es ihm ansah und ihn ermahnte, jetzt aufzuhören, sein Schaumgespinnst könne von der inneren Gluth sonst brüchig und undicht werden und er elend darin ertrinken.

Das wollte er nicht; darum gehorchte er bald und liess sich wieder an die Meeresoberfläche bringen, so gern er auch noch verweilt hätte. Sobald er aber auf dem Festen stand und den freien Himmel über sich sah, fing er jämmerlich an zu seufzen und meinte, dass er gewisslich vor Liebe und Ungeduld zu Grunde gehen werde.

»Ein bischen lange wirst Du freilich warten müssen,« bemerkte das treue Männchen, 140 »wenn Du etwa daran denkst, ihre Liebe zu gewinnen: mindestens nämlich bis zum nächsten Sommer. Denn so lange hält die Herzensabkühlung bei den Goldfischchen allemal vor, so dass an keine Hoffnung zu denken ist. Erst um die Rosenzeit pflegen sich die Herzen wieder ein klein wenig aufzulockern und für äussere Wärme empfänglich zu werden, aber dann schlüpfen sie auch alsbald wieder in ihre Fischhaut und gehen in die Frische, so dass es alljährlich nur ein paar Tage sind, wo ein Mann sich allenfalls in ihr Herz schleichen könnte. Doch die klugen Rackerchen kennen selbst diese Gefahr und halten sich in den Tagen so streng verschlossen, dass nicht leicht Jemand zu ihnen dringen kann. Es gilt also aufzupassen und sich dran zu halten.«

»So lange kann ich überhaupt nicht warten,« erklärte Harro bestimmt, »denn bis dahin bin ich todt.«

»Dann weiss ich nur noch ein Mittel, in ihren Besitz zu gelangen,« sprach das Männchen bedächtig, »aber allerdings auch ein einfaches und streng ritterliches Mittel. Du raubst ihr gesammtes baares Vermögen, 141 zerlegst es in zwei genau gleiche Theile, behältst die eine Hälfte für Dich und lässest ihr die andere heimlich wieder zukommen. Darauf stellst Du Dich als Freier vor, zählst Dukaten gegen Dukaten und wenn Du richtig gezählt hast, muss Alles stimmen und sie wird Deine Frau. – Mir scheint dies Verfahren einfach genug für Einen, der zu Hause die Ritterschaft gelernt hat.«

»Nein, eben darum ist es unausführbar,« versetzte Harro mit trübem Kopfschütteln, »Dir scheint unbekannt zu sein, dass ein Ritter an Wittwen und Waisen niemalen Gewalt noch Raub üben darf. Das ist erstes Gesetz aller Ritterschaft.«

»Ganz recht,« sprach das unsichtbare Männchen, »wenn Du darauf ausgingest, durch Deinen Raub diese Waise zu schädigen, hätte ich den Vorschlag gar nicht erst gemacht. Dem ist jedoch nicht so. Du wirst ihr nichts auf die Dauer entziehen, sondern wirst durch die Heirath Alles bis auf das letzte Goldstück ihr wiederbringen, und obendrein noch etwas Rechtes dazu, nämlich einen ritterlichen Ehemann; das ist doch wahrhaftig nichts Kleines. Folglich ist es 142 nur ein Scheinraub, was ich Dir anrathe; Du nimmst nicht, sondern giebst.«

»Das lässt sich allerdings hören,« rief der Ritter erfreut, »und ist nichts als reine Wahrheit. Ich gebe, indem ich zu nehmen scheine; und zwar gebe ich etwas hundert Mal Besseres als den erbärmlichen irdischen Mammon, nämlich ein Herz voll glühender Liebe.«

»Du triffst den Nagel auf den Kopf,« sprach der weise Berather. »Und damit ist Dein Spiel schon so gut wie gewonnen. Was Dir noch zu thun bleibt, nämlich ein paar Riesen zu erschlagen, einen Meerdrachen zu erwürgen und eine Hexe zu binden, das ist ja natürlich nicht der Rede werth.«

»Nein,« sagte der Ritter, »das ist Kinderspiel. Allenfalls macht die Hexe mir einige Bedenken; vor Teufelskünsten kann auch der Beste unterliegen.«

»Umgehen kannst Du sie aber nicht,« behauptete der Klabauter, »denn gerade dieser Stadthexe haben die Erbtöchter ihre Geldsäcke anvertraut, und sie hütet ihrer mit grosser Strenge. Aber List hilft auch 143 gegen Teufelskunst. Ich will Dir ein neues Schaumgewebe machen: wenn es Dir gelingt, ihr das über den Kopf zu werfen, hast Du sie sicher; sie kann es nicht zerreissen und bleibt darin gefangen, bis Du selbst sie befreien willst. Aber klug musst Du's anfangen, sie ist auf ihrer Hut. Sie wohnt in dem grossen Thurme, der neben dem Galgenberge steht, und hält darin alle die Schätze und Geldsäcke verwahrt. Gedulde Dich jetzt noch ein Stündchen, bis ich mein Gespinnst fertig habe; und dann Gott befohlen und muthig ans Werk! Frisch gewagt ist halb gewonnen.«

»Ist ganz gewonnen,« verbesserte der Ritter und wartete still, indem er voll heimlicher Sehnsucht von der Mole aus ins sprudelnde Wasser blickte.

Als er endlich das Gewebe empfangen hatte, das einem wunderzarten Schleierchen glich und so winzig klein war, dass er's um den Finger wickeln konnte wie einen dünnen Ring, nahm er mit herzlichem Dank Abschied von seinem guten Gönner, der ihm jetzt noch einmal auf ein flüchtiges Augenblickchen sichtbar wurde wie ein 144 hauchender rother Schatten, und eilte an seine Arbeit.

Als er dem Thurm am Galgenberge nahte, sah er zwei ungeheure Riesen davorstehen, in den Fäusten Hellebarden schwingend so gross wie Mastbäume. Er zog sein Schwert und ging auf sie zu und schlug sie todt, einen nach dem andern.

Nun schritt er hinein in das hochgewölbte Thor; da sah er unter dem Bogen einen scheusslichen Drachen liegen mit Flügeln und Flossen zugleich; der spie ihm siedendes Wasser entgegen wie eine züngelnde Flamme. Harro aber hielt ihm den Schaumschleier entgegen: da vermochte ihm die Siedegluth nichts anzuhaben. Er sprang dem Unthier auf den Rücken, warf beide Arme um seinen schuppigen Hals und würgte es zu Tode.

Jetzt stand ihm der Zutritt zum Innern offen; er klopfte aber mit bescheidener Höflichkeit an der nächsten Thür und wartete still, bis eine heisere und zornige Stimme Herein rief.

Da fand er die Hexe; sie war ausbündig schauderhaft anzusehen, mit rothen 145 Triefaugen und einer krummen Nase, die einem Eulenschnabel glich; auch schnappte sie mit dem Maule immerfort wie ein wüthender Schuhu.

Harro aber trat leichtfüssig auf sie zu, verbeugte sich zierlich als ein gelernter Ritter, küsste ihr die Pfote, die über und über mit schwarzen Haaren bewachsen war, und sprach mit einem lieblich schmachtenden Blicke:

»Gepriesen sei mein Glück, dass ich endlich so vor Dir stehe, Du Schönste der Schönen! Wohl habe ich Dich aus der Ferne schon lange angebetet, doch wagte ich nicht so holden Reizen mich zu nahen, bis endlich die Sehnsucht so glühend stark wurde, dass ich jetzt lieber sterben will als noch länger Deiner beseligenden Nähe entbehren.«

Nach diesen feinen Worten lächelte das alte Scheusal so holdselig, dass ihr Maul sich von einem Ohre zum andern zog und ihre messerlangen, pechschwarzen Zähne zum Vorschein kamen. Er aber that so, als wollte er sie küssen, obgleich er schon bei dem Gedanken beinahe in Ohnmacht fiel, 146 und als sie zärtlich zu ihm hinsank, warf er ihr von hinten den Schleier über den Kopf, und da war sie gefangen und konnte sich nicht mehr rühren.

»Todtmachen will ich Dich nicht,« versprach er ihr tröstend, »denn vielleicht kann ich Dich noch brauchen. Nur ruhig liegen musst Du eine Weile, bis mein Ziel erreicht ist.«

Also lehnte er sie gegen die Wand wie einen Besen, denn sie war stocksteif eingepackt in den Schleier, und liess sie da stehen.

Er sah nun ein grosses silbernes Brett an der Wand, an dem hingen viele goldene Schlüssel, und über jedem Schlüssel war das demantene Bildniss derjenigen angebracht, zu deren Schatzkammer er führte. So fand der Ritter den leicht heraus, den er haben wollte, und fand auch die Kammer, wo die gesuchten Goldsäcke lagen.

Das gab nun ein grausam Stück Arbeit all die Goldstücke zu zählen und in zwei mächtige Haufen zu sondern, die einander an Zahl genau gleich sein sollten. Er hätte statt dessen lieber mit zwölf Riesen gekämpft, 147 so greulich war ihm die Mühsal. Er hätte auch gern den vierten Theil hingegeben für einen guten Juden, der ihm das abnähme; doch es war keiner zur Stelle. Also musste er's allein zu Ende bringen, so sauer es ihm auch wurde. Neunundneunzig Mal verzählte er sich; doch beim hundertsten Male wurde er fertig. Und jetzt musste er wieder seine neu gefüllten Säcke Stück für Stück auf dem Rücken bei Nacht nach dem Gasthause schleppen, in welchem er wohnte, und in seinem Zimmer verwahren. Das war auch schlimme Arbeit, doch nicht so schlimm wie das Rechnen.

Nach alledem kam aber das Allerschlimmste, das war das Warten. Denn es währte noch etliche Wochen, bis die Erbtöchter aus der Bernsteinstadt heimkehrten; und so lange musste er sich gedulden.

Endlich nahte der Tag, da die Goldfische heimwärts strichen; Harro harrte ihrer am Strande. Sie kamen in langem Zuge geschwommen, und als sie das Land erreichten, thaten sie einen kräftigen Sprung und schnellten sich aus dem Wasser; und sobald sie den Sand berührten, fiel die 148 Goldfischhaut von ihren Gliedern wie Staub, und sie standen da als geberdige Jungfrauen in guten Kleidern. Die sassen jetzt noch wohl eine Stunde oder mehr bei einander im Sande unter dem freundlichen Herbstsonnenschein und liessen sich wachsen: und dann waren sie eben so gross wie gewöhnliche Mädchen.

Der Ritter belauschte sie dabei aus bescheidener Entfernung, hinter einer Stranddistel versteckt. Er fand seine Schönste auf der Stelle heraus, und als sie ihre Menschengrösse erreicht hatte, ward er noch zehnmal verliebter als zuvor und wäre ihr am liebsten sogleich zu Füssen oder noch viel lieber um den Hals gefallen. Doch er war verständig und bändigte seine Sehnsucht. Als sie aber nach Hause ging, folgte er ihr heimlich und merkte sich ihr Wohnhaus.

Am folgenden Tage miethete er sich eine Kutsche, fuhr mit allen Geldsäcken zu seiner Geliebten und meldete sich als Freier. Da fuhr diese sogleich mit ihrer eigenen Kutsche hinaus nach dem Hexenthurm und holte sich ihren Reichthum.

Sie wunderte sich wohl, dass sie die 149 Riesen todt fand; doch sie dachte bei sich: Sie werden sich untereinander umgebracht haben, es waren immer unverträgliche Burschen. Und über den Drachen freute sie sich sogar, dass er hin war, denn sie hatte sich jedesmal vor ihm gefürchtet. Die Hexe war nicht zu finden, denn der Schleier machte sie unsichtbar; doch die Jungfrau dachte: »Ist auch kein Unglück,« nahm ihren Schlüssel und ging in die Goldkammer. Dass die Hälfte der Säcke fehlte, davon merkte sie garnichts; denn es waren noch immer so viele, dass man sie gar nicht übersehen konnte. Sie rief ihren Kutscher und liess den die kostbare Last in den Wagen und dann in das Haus tragen.

Dort setzte sie sich ihrem Freier gegenüber an einen grossen Tisch aus Elfenbein und Silber, und Jedes hatte seine Säcke rund um sich stehen. Auch standen neben ihnen zwei schöne Juden, die sie schnell hatten holen lassen; und die mussten zählen und einander auf die Finger passen.

Und so sassen sie und zählten den ganzen Tag, immer Dukaten gegen Dukaten, und als es Mitternacht wurde, waren sie endlich 150 fertig: und siehe, es ergab sich, dass sie genau ebenbürtig waren.

»Nun, Gott sei Dank, dass ich endlich standesgemäss unter die Haube komme!« rief die schöne Erbtochter und war sehr zufrieden. Harro aber in grosser Glückseligkeit wollte sie umhalsen als seine liebe Braut. Doch als er sie berührte, fühlte er ihre Haut so kalt wie die eines Fisches; und er schauderte zurück und mochte sie nicht küssen. Und wenn er in ihre schönen blauen Augen blickte, schimmerte es auch aus denen ihm so eisig entgegen, dass er eine schwere Gänsehaut davon kriegte.

Jetzt war er noch elender als je zuvor, denn es war, als hätte er einen Eiszapfen zum Liebchen. Aber es half nichts dagegen; so war sie und so blieb sie.

Die Hochzeit ward mit gewaltigem Pompe gefeiert, die Braut sah vornehm und schön aus, aber der Bräutigam blass und betrübt. Und es wurde auch von da an erst recht nicht besser, sondern sie blieb ihm unnahbar in Eiseskühle. Sein einzig bischen Glück war, ihre Schönheit zu betrachten; doch sobald er auch ihre Hand nur leise berührte, 151 ergriff ihn der Schauder, und er versank wieder in Trübsinn.

Einen Trost nur hatte er: dass er jetzt seine Schulden bezahlen konnte; und das that er auch ehrlich. Er schickte den Gläubigern ihr Geld mit demselben Schiffe, mit dem er gekommen war. Doch dieser Trost hielt nicht lange vor.

Zuletzt beschloss er in seiner grossen Verzweiflung, die kluge Stadthexe um Rath anzugehen. Er begab sich in den Thurm und tappte so lange an der Wand herum, bis er sie zu fassen kriegte, wo sie immer noch so steif eingewickelt lehnte, und er sprach zu ihr:

»Wenn Du mir einen guten Rath geben kannst, wie ich meine Gemahlin erwärmen und zur Liebe bringen mag, so will ich Dich befreien.«

»Das kann ich,« rief die Hexe, »Du musst warten bis zur Rosenzeit, dann thaut sie sachte auf, und wenn sie nicht wieder in die Sommerfrische geht, wird sie warm werden wie andere Weiber und wird sich auch verlieben. Dafür hast Du nur zu sorgen.«

»Oho, dafür sollst Du sorgen,« rief der 152 Ritter hastig. »Schwöre mir, dass Du sie nicht wieder in einen Goldfisch verwandeln willst, und ich mache dich frei.«

»Ich schwöre!« sprach die Hexe, und Harro wickelte ihr gemächlich den Schleier vom Leibe.

Kaum aber fühlte sie sich frei, so ergriff sie einen Besenstiel und fuhr damit aus dem Schornstein.

Und als der Ritter den Thurm verliess und zum Thore hinausschritt, schrie sie ihm höhnisch von der Zinne herab nach:

»Warm werden wird sie, und verlieben wird sie sich auch. Aber dass eine Hausfrau sich in den eigenen Gatten verliebt, dessen Geld sie geheirathet, das hat man in der Weltgeschichte kaum jemals erlebt.«

Da erschrak er bis ins Herz; und er zitterte vor Eifersucht und Gram bei dem Gedanken, sie könne sich dereinst in einen Andern verlieben. Und er sann nun Tag und Nacht darüber nach, wie er's zwingen könne, dass sie sich in ihn verliebe und in keinen Andern.

»Was half mir zuletzt aller Rath und Weisheit von Klabautern und Hexen,« so 153 sprach er zu sich, »wenn ich selbst nicht zuletzt das Beste ersinne? Es bleibt schon richtig: Selbst ist der Mann.«

Sobald er nur erst diese Wahrheit entdeckt hatte, bekam er auch gleich einen Einfall oder deren sogar zwei. Der erste war, Geduld zu haben bis zur Rosenzeit; der Rath war sehr gut. Der zweite aber war noch besser.

Als die Rosenzeit da war und die Welt voller Herrlichkeit, da versuchte er zuerst noch, sie feuriger zu umwerben und ihre Liebe zu erringen durch Eifer und Treue. Er führte sie im Garten unter dem Rosenduft spazieren sogar beim Mondschein, wenn die Nachtigallen schlugen; er kaufte ihr jeden Tag ein neues Prachtkleid oder einen niedlichen Frühlingshut, ja, am Ende machte er gar ein Gedicht auf ihre Schönheit: aber das alles half ihm zu garnichts.

Zwar ward ihre Haut mit dem wachsenden Sommer ein wenig wärmer, ihre Blicke aber nicht.

Das betrübte ihn wohl Anfangs, aber entmuthigte ihn nicht. »Es ist nur natürlich,« sprach er sich zum Trost, »die Hexe hat 154 recht gesagt; in den eigenen Ehemann verliebt sich keine Frau. Der ist ihr zu alltäglich.«

So sputete er sich jetzt und trat eines Tages gelassen vor sie hin und sprach mit ruhiger Würde: »Wir wollen uns scheiden lassen.«

Erstaunt sah sie ihn an und fragte: »Warum denn? Ich finde, dass wir uns vortrefflich vertragen.«

»Das mag schon sein,« erwiderte er freundlich, »aber weil wir heuer einen so herrlichen Sommer haben, bin ich gewillt mich zu verlieben, und das kann man doch nicht in meine eigene Frau.«

»Nein,« sagte sie nachdenklich, »das mag man wohl nicht können.«

»Drum eben will ich mich scheiden lassen,« erklärte er noch einmal, »und eine Andere suchen. Denn zwei Frauen kann man nicht haben.«

»Nein,« sagte sie, »das geht nicht. Und übrigens soll mir's recht sein; wenn Du durchaus willst, können wir uns scheiden lassen. Nur Dein Geld muss ich behalten, das habe ich ehrlich erheirathet; umsonst 155 will ich diese Umstände nicht gehabt haben.«

»Das magst Du getrost behalten,« bestätigte ihr Harro, »was liegt mir an dem dummen Gelde? Wenn ich Dich nur los werde.«

Da machte die schöne Erbtochter gewaltig grosse Augen; so etwas hatte sie noch niemals gehört und auch nie für möglich gehalten. Sie verfiel darüber in so tiefes Grübeln, dass sie an gar nichts mehr denken konnte, als wie so etwas möglich sei, dass Jemand Geld dumm nenne. Und ehe sie noch eine Erklärung gefunden hatte, war die Scheidung vollzogen.

Der entweibte Gatte nahm mit vieler Höflichkeit Abschied und verliess das Haus.

Kaum aber hatte er die Thür hinter sich geschlossen, als ihr plötzlich eine gewaltsame Neugier aufstieg, dass sie schnell hinter ihm herlief und ihn wieder hereinzog und ernstlich bat, ihr noch etwas zu beantworten.

»Warum hast Du mich denn eigentlich geheirathet,« so lautete ihre Frage, »wenn Dir doch an dem Gelde so wenig lag, dass Du es sogar dumm nennst?«

156 »Vornehmlich, weil ich Dich hübsch fand,« entgegnete er frisch, »ich war nämlich bis zu unserer Hochzeit recht unerfahren und verstand es nicht besser. Jetzt freilich bin ich des Irrthums gewahr geworden, und eben darum liess ich mich von Dir scheiden.«

Als sie das hörte, ward sie roth und blass in jähem Wechsel und stotterte endlich in vollem Entsetzen:

»Aber um des Himmels willen, ich bin doch nicht hässlich! Das hat mir noch Niemand gesagt, weder ein Mensch noch ein Spiegel.«

»Nicht so eigentlich hässlich,« versetzte er gelassen, »aber noch weniger hübsch. Einer aufgeputzten Puppe möchte ich Dich vergleichen, und eine solche kann wohl Kindern gefallen und kinderhaften Narren, wie ich einer war, doch keinem vernünftigen Manne. Um Männern schön zu erscheinen, müsstest Du schon wirklich ganz anders werden.«

»Ja, aber wie denn?« rief sie verblüfft und tief betroffen. »Wer nicht schön ist, kann doch nicht schön werden, wenn er's noch so gern möchte.«

157 »Darauf verstehe ich mich nicht,« antwortete er kühl, »das aber weiss ich: ein Weib, dem keine Liebe aus den Augen spricht, kann niemals schön sein.«

Mit diesen Worten verbeugte er sich nochmals und ging.

Da blieb sie zurück in grossem Kummer und seufzte ganz bitterlich und konnt' es nicht verwinden, dass sie jemand nicht schön fand. Und so oft sie auch ihre Spiegel befragte und ihre Zofen und so viel die auch alle sagten, sie sei die Allerschönste, sie kam doch nicht darüber weg, dass ein einziger Mensch ihr das rundweg geleugnet hatte. Und sie dachte den ganzen Tag immer nur an diesen Einen, wie sie ihn beschämen und des Irrthums überweisen könnte. Aber es fiel ihr nichts ein, wie sie das anstellen sollte.

»Es ist doch schade, dass wir uns schon haben scheiden lassen,« sprach sie betrübt, »hätte ich ihn nur immer vor mir, er müsst' es schon merken, dass ich die Hässlichste nicht bin.«

Zuletzt aber ward sie ganz zornig auf ihn, dass er sie in solchem Elend hatte sitzen lassen.

158 »Ja, was fällt ihm denn ein?« rief sie heftig die Fäustchen ballend, »ist er selbst etwa so schön, dass er mir so etwas sagen darf?«

Und indem sie darüber nachdachte, fiel ihr plötzlich auf, dass sie gar nicht mehr recht wusste, wie er eigentlich aussah, so wenig hatte sie ihn angeschaut. Darum wusste sie auch nicht, ob er hässlich oder schön sei. Und es ergriff sie alsbald eine heftige Begierde, ihn sich daraufhin anzuschauen und ihr Wissen zu bereichern; und sie bedauerte nochmals, dass sie sich so früh hatten scheiden lassen.

Am Ende schickte sie alle ihre Diener in der Stadt umher, dass sie ihn suchten und bäten, noch einmal zu ihr zu kommen; sie habe noch etwas zu fragen.

Als Harro nun kam, hatte sie sich mit Schmuck und Kleidern so schön gemacht, wie sie irgend konnte. Und als sie ihm die Hand gab, fühlte er die so warm wie noch niemals zuvor.

»Ich wollte nur von Dir hören,« redete sie ihn an, indem sie ihn heimlich scharf musterte, »ob Du schon eine Andere gefunden 159 hast, in die Du Dich verlieben kannst, wie Du das gern wolltest.«

»Nein,« antwortete er, »die Rechte habe ich noch nicht gefunden. Zwar sah ich Manche, die wirklich recht sauber war und mir vernünftigerweise wohl hätte genügen können: aber seltsam, mir war's doch immer, als hätte ich schon einmal etwas Schöneres gesehen. Und ausserdem schien mir's, als ob die guten Mädchen auch an mir nichts so Besonderes fanden. Es mag wohl so sein, dass auch ein Mann nicht schön ist, wenn ihm keine Liebe aus den Augen spricht.«

Und indem er dies sagte, schaute er ihr mit einem heissen Blicke voll sehnender Liebe tief in die Augen.

Da vergass sie ganz, darüber nachzusinnen, ob er schön sei oder nicht. Doch als er schnell davonging, rief sie ihm nach: »Komm bald einmal wieder!« Und als sie allein war, sprach sie seufzend zu sich selber: »Könnte ich nur einmal täglich solchen Blick von ihm bekommen, ich hätte keinen Wunsch mehr. Ich habe nie geahnt, dass Blicke so sein können!«

Und nachdem sie lange Zeit weiter 160 nachgedacht hatte, kam ihr der Einfall: Wenn ich solche Augen machen könnte, glaube ich ganz sicher, er fände mich schöner, als irgend eine Andere. Man müsste es doch einmal versuchen.«

Sie versuchte es vor dem Spiegel; aber es wollte nicht gelingen.

»Nein,« sprach sie sehr traurig, »er hat ganz recht: ich habe ein Gesicht wie eine langweilige Puppe. Mein Gott, aber was ist er für ein kluger und scharfsichtiger Mensch! So Einer darf wohl das Geld dumm nennen und mich obendrein. Ach, hätte ich mich doch nicht von ihm scheiden lassen, ich wäre gewiss mit der Zeit auch klüger geworden und hätte von ihm so holdselige Blicke gelernt. Es ist ein schreckliches Unglück, dass ich ihn verloren habe!«

Darauf weinte sie viele Stunden lang und wusste sich nicht zu lassen vor Sehnsucht in dem einsamen Hause.

Doch als Harro nach etlichen Tagen wirklich wieder zu Besuch kam, da empfing sie ihn mit einem so strahlenden Blick voll Bewunderung und heimlicher Liebe, wie weder der Mann noch ihr Spiegel es sich schöner 161 hätte wünschen können. Sie selbst aber wusste nichts von diesem Blicke. Und ihre Hand war heiss, als hätte sie Fieber, und zitterte auch so heftig.

Da beherrschte er sich nicht länger; er umfing ihren Nacken und küsste sie auf den Mund. Und er fand ihre Lippen und Wangen so warm wie ihre Hände.

Da küsste er sie noch vielmals und sie ihn desgleichen.

»Aber warum haben wir uns eigentlich scheiden lassen?« fragte sie auf einmal in Thränen ausbrechend.

»Nun, ich denke,« erwiderte er schnell, »damit wir uns heirathen können, nämlich aus Liebe.«

»Ach ja, wir wollen uns heirathen!« rief sie glückselig.

 


 


 << zurück weiter >>