Hans Hoffmann
Neue Korfu-Geschichten
Hans Hoffmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die vier Büßerinnen.

Vor zwei Jahrhunderten ungefähr war auf dem Eiland Korfu einer der reichsten und angesehensten venetianischen Herren der Fürst Azzo d'Arzignano.

Derselbe war ein älterer Lebemann von ungemein freudigen Sitten, aus dessen Jugendtagen eine bewunderungswürdige Fülle der kecksten Streiche auf allen Gebieten der Lebenskunst, vorzüglich soweit diese sich auf Wein, Weib, Würfel, Jagd, Zweikampf und dergleichen erstreckt, im Munde der Leute noch herumgetragen wurde. Später jedoch, im gesetzten Alter, war er weit entfernt davon, solche Jugendsünden nach der gewohnten Art ängstlicher Gemüther durch Kasteiungen und selbsteigene Pein büßen zu wollen, sondern verfocht die durchdachte Meinung, daß man allzu reichliche Jugendgenüsse am besten durch ein behagliches und gemäßigtes Genießen in vernünftigeren Jahren sühne. 132 So pflegte er nun nicht mehr sechs Flaschen schweren Weines und nicht mehr bis an den lichten Morgen zu trinken, sondern nur noch etwa deren eine oder zwei bis zur bescheidenen Mitternachtsstunde, und so fort in den anderen guten Dingen. Er war ein Wittwer, und seine Gemahlin hatte ihm vier Töchter hinterlassen, welche im Lebensalter so nahe aufeinander folgten, wie es die Natur nur irgend gestattet. Dieselben hatte er einstweilen zur Erziehung in ein Kloster überm Meere im Päpstlichen gethan und harrte mit Lust der Zeit, da er die Herangewachsenen würde neben sich schreiten sehen und da er mit ihnen vereint in Muße und Frieden nach passenden Männern ausschauen könnte, was ihm bei seinem Reichthum und der Schönheit seiner Kinder, die sich frühe verrathen hatte, als ein eben so vergnügliches Geschäft erschien, wie alle anderen Sachen, die er betrieb.

Weil aber die vier Schwestern dringend wünschten, beisammen zu bleiben, so geduldete er sich, deren wechselseitige Liebe im Herzen rühmend, bis die jüngste das reizvolle Alter von fünfzehn, und die älteste dasjenige von achtzehn Jahren erreichte, welches nach dem Urtheile einiger Kenner 133 sogar noch trefflichere Reize zu entfalten im Stande ist.

Die vier Kinder kehrten nun in ihr Vaterhaus zurück. Der Fürst empfing sie in seinem herrlichen Palast, der den blauen Golf überschaute, mit allem Stolze eines heiteren Vaterherzens. Und dennoch gedieh ihm das erste Wiedersehen nicht zu so ungemischter Freude, wie er es sich wohl geträumt hatte. War es sein Wahn gewesen, die Mädchen würden ihm mit hellem Jubel entgegenhüpfen und alsbald die Gemächer des weiten Hauses von Tanz, Gelächter und allem Singsang widerhallen lassen, wie es sonst so begnadeter Jugend natürlich ist, so fand er sich seltsam enttäuscht. Als sich die Thür aufthat, siehe, da wallten ihm züchtig in schweigendem Zuge mit gesenkten Augen und gesenkter Stirn vier wunderschöne, aber grausam ernste Madonnenbilder entgegen, schritten feierlich herzu, verbeugten sich in stummer Demuth, küßten ihm mit untadligem Anstand die Hände und benahmen sich in Allem so über die Maßen sittsam, daß er Anfangs gar glaubte, sie wollten einen schalkhaften Hokuspokus mit ihm treiben, und sich im Stillen seiner aufgeräumten Kinder freute.

134 Nur zu bald aber mußte er merken, daß dieser klösterliche Aufzug bitter ernst gemeint war und aufs Genaueste ihre wirkliche Gesinnung und Gewöhnung ausdrückte. Darüber gerieth er allmälig in einigen Zorn, soweit das seine fröhliche Gemüthsart und sein väterlich Herz eben zuließen, und begann nicht ohne Heftigkeit auf sie einzudringen, was solcher Unfug heißen solle; ob sich derlei Trübseligkeit für adelige, reiche und niedliche Fräuleins schicke, und ob sie nicht etwa gar lieber gleich ins Kloster zurückkehren und armselige Nonnen werden wollten.

Auf solche Reden erwiderten sie anfänglich nur soviel, daß sie in allen Stücken gern dem Willen ihres Herrn Vaters gehorsam sein möchten, ob er sie nun ins Kloster zurückthun, oder aber mit Männern zu verheirathen vorzöge. Mit der Zeit erst kam es deutlicher heraus, was ihnen im Kopfe steckte: nämlich nichts Anderes, als daß sie sich vorgesetzt hatten, lebenslang Buße zu thun für die Sünden ihres Vaters, von deren ungeheuerlicher Zahl und Schwere sie im Kloster tagtäglich die jämmerlichsten Geschichten hatten erfahren müssen. Darum wollten sie ihrerseits ihr Leben einem unwandelbaren und inbrünstig gesammelten Ernste 135 weihen, um solcherart die gegensätzlichen Uebelthaten des alten Herrn durch vielfältige Anstrengung vor der himmlischen Gerechtigkeit vielleicht noch wieder auszugleichen.

Aus diesem mühsam erpreßten Geständnisse witterte der Fürst als ein heller Kopf ohne Schwierigkeit, woher ihm solche Heimsuchung komme; nämlich daß die Klosterfrauen, klug wie die Schlangen nach dem Gebote der Schrift, versucht hatten, die Seelen seiner Töchter an feinen Ketten festzuhalten und mit der Zeit vielleicht für immer ihrem Orden zuzuführen und damit das große Vermögen des Fürsten bei dem Mangel eines männlichen Erben für die heilige Kirche zu retten.

Ueber dieser Entdeckung wurde er fast wieder fröhlich, indem er meinte, es werde nicht allzu schwer halten, die Herzen so jugendlicher und lebenathmender Geschöpfchen einer rechtschaffenen Weltfreude wieder zu öffnen.

In dieser Berechnung fand er sich freilich arg betrogen; die langjährige weibliche Webearbeit erwies sich als haltbar genug zum Widerstande gegen seine derblustigen Versuche, dasselbe zu zerreißen oder zu durchlöchern. Die reizenden Fräulein 136 blieben hartnäckig fromm und jeder Weltlust unzugänglich, wie sie heimgekommen waren. Dabei waren sie jedoch von Gestalt und Antlitz so hinreißend schön und zeigten in all ihrem Gebahren eine so herrliche Anmuth, daß Jedermann sie mit Lust betrachtete und über sie ein Scherzwort herumging, welches die alten Griechen bemitleidete, weil sie der Grazien nur drei gekannt hatten, während in neuester Zeit allein die Stadt Korfu deren vier aufzuzeigen habe.

Das war auch die vornehmlichste Ursache, warum Herr Azzo binnen Kurzem die gesammte edelgeborne Jugend der Insel zu Bundesgenossen bei seinen Wiederbelebungsversuchen gewann. In geschlossenen Reihen umdrängten die Freier diese holden Büßerinnen und versuchten mit tausend Künsten, ihren Lippen ein Lächeln zu entlocken, oder nur ein wenig ihre Augen auf sich zu ziehen, durch die sie dann ohne Umschweif ihnen auch ins Herz schlüpfen zu können vermeinten. Doch ihre Lippen blieben dem Lachen fremd, und Keiner konnte je sich rühmen, von ihnen einen freundlicheren oder froheren Blick empfangen zu haben.

Wenn aber trotzdem Einer, was bei der natürlichen Eitelkeit des männlichen Geschlechts nicht 137 selten geschah, sich etwas Holderes einbildete und bei dem Fürsten mit seiner Werbung Ernst machte, so antworteten die Mädchen auf die heimliche Frage des Vaters nach ihrer Neigung jedesmal demüthig und mit gleichgültiger Miene: »Ganz nach Eurem Willen, Herr Vater,« oder »Wen Ihr mir zum Herren bestimmt, dem will ich folgen, wohin Ihr befehlt,« oder »Gehorsam ist besser denn Opfer« und dergleichen erbauliche Redewendungen, die ihm allemal sein bischen Galle erbärmlich aufregten. Denn er war keineswegs der Mann, ihnen in solcher Sache im mindesten auch nur durch Ueberredung einen Zwang anzuthun, sondern gleichwie er selbst seine selige Gemahlin, ihre Mutter, einst aus rechter Leidenschaft des Herzens geehelicht und mit ihr darnach die fröhlichsten und seligsten Jahre seines fröhlichen Lebens verbracht hatte, so wünschte er den armen Kindern von ganzer Seele ein Gleiches, und glaubte nicht wie sonst ergrauende Väter, daß solches Glück ohne ganze Lust und Liebe zu gewinnen sei. Deshalb schob er diese Freier mit sanfter Ablehnung etwas nach rückwärts und lockte dafür andere hervor, in der geduldigen Meinung, irgend einmal müsse auch unter dem trübsten Himmel jedes jugendliche 138 Herz zum Blühen kommen. Erst als einmal ein frischer Gesell sein Auge gerade auf Fräulein Penelope, die Allerjüngste, geworfen hatte und diese auf des Vaters Anklopfen ungleich den Schwestern in heftige Thränen ausbrach und bekannte, sie habe ein Gelübde gethan, zur allerwirksamsten Sühne der väterlichen Sündenlast die Hand niemals einem ordentlichen, brauchbaren Mann, sondern einzig einem niedrigen Bettler oder ganz armen Schlucker zu reichen, da ward ihm ob solchen schwärmerischen Ueberschwanges doch ernstlich bange.

Er versuchte darum noch auf eine andere Weise Bresche in ihre von frommem Trübsinn ummauerten Herzen zu legen, indem er mit allerlei Listen ein unvermuthetes Lachen auf ihre Lippen zu zaubern trachtete. Denn ein freies und herzliches Lachen, sagte er, ist ein treffliches Gegengift selbst wider körperliche Krankheit, vielmehr aber noch gegen ein schleichendes Siechthum der Seele, wie es diese elenden Würmchen befallen hat; wenn sie nur ein einziges Mal hell auflachen können, so vermesse ich mich, sie binnen Kurzem gänzlich zu erlösen. Diesem Gedanken gemäß verschrieb er sich aus Venedig und anderen dieserhalb berühmten Städten die allerwitzigsten 139 Schalksnarren und ließ sie urplötzlich in einer ehrsamen Gesellschaft die kräftigsten Scherze wie ein Rottenfeuer gegen seine Töchter richten; oder er führte diese unvorbereitet vor die lächerlichsten Schaustellungen und Aufführungen bewährter Possenreißer: allein ob auch alle anderen Gäste vor Lachen fast vergehen wollten, von der ehernen Frömmigkeit dieser Jungfrauen prallten alle Veranstaltungen wie von einem Sandsacke ab. Denn sie verstanden es jedesmal, sich sogleich beim Anfang solchen Unfugs allerlei leis gemurmelte Litaneien und Gebete gleich einer Kappe um die Ohren zu legen; ihre Augen aber fanden häßlich, was sie sahen, und achteten es nicht einmal eines Lächelns würdig.

So vergingen zwei oder fast drei Jahre, ohne daß sich eine Wendung zum Besseren auch nur von ferne gezeigt hätte, und einer der Freier nach dem andern ließ die Flügel sinken und eilte, sich anderwärts ein bequemeres Glück zu suchen. Es war ihnen aber nicht allzusehr zu verargen, daß sie den unnahbaren Schönen zur Strafe allerhand Spottnamen anhängten und sie die Marmorgrazien hießen oder die Wermuthsengel oder die tragischen Masken oder die Passionsblumen oder die Bräute des Styx oder die gefrornen 140 Weihwasserbecken oder die Schatten der Niobiden oder die versteinerten Bußpsalmen und was dergleichen Koseworte mehr waren.

Nun befand sich unter den Anbetern dieser vier Marmorgrazien ein sehr mäßig begüterter Edelmann, auch schon etwas ältlich und dünn von Beinen, aber noch sehr jugendlichen Herzens, der sich mit der Dichtkunst befaßte und durch das beständig erhitzende Feuer der Musen die Fähigkeit gewonnen hatte, alle Vier zugleich mit gleicher Gluth zu lieben. Da er jedoch einsah, daß es mit den Satzungen der heiligen Kirche nicht vereinbar sein würde, alle Vier gleichzeitig zum Altar zu führen, so faßte er den Entschluß, sich mit Einer zu begnügen und es dem Zufall anheimzustellen, welche unter ihnen die Seinige werden solle. Auch war es ihm gelungen, den Mitstrebenden einen gewissen Vorsprung abzugewinnen, und zwar auf folgende Art. Er hatte sich als Dichter unter den bestehenden und von den Kunstrichtern gebilligten Gattungen der Poesie als sein besonderes Feld die fromme und weinerliche Ode erwählt, und hatte es in der Anfertigung solcher Kunstwerke zu einer wunderwürdigen Geschicklichkeit gebracht, so daß er täglich eine fast ebenso große Anzahl von Versen zu 141 machen im Stande war, wie eine geschickte Näherin Stiche vollbringt.

Durch diesen Kunstbetrieb hatte er sich den vier frommen Fräulein empfohlen und ward öfters in ihre Gemächer zugelassen, ihnen ein und das andere Dutzend seiner neuen Werke vorzutragen. Die Gedichte aber waren sämmtlich von einer unglaublichen Schwermüthigkeit durchtränkt, und da er sie dazu mit einer sehr hohlen und leidensvollen Stimme vorlas, so geschah es gewöhnlich, daß die Hörerinnen in kurzer Frist davon völlig betäubt wurden, wie wir Sünder manchmal von schwerem Weine, und ihre Köpfe rückwärts auf die Stuhllehnen sinken ließen, wodurch ein Uneingeweihter zu dem Glauben hätte kommen können, daß sie ruhig schlummerten. Dem war jedoch nicht so; denn sie selbst als die Einzigen, welche hierüber wahrhaft Gültiges aussagen konnten, leugneten es.

Auf diese Weise hatte Herr Pantaleone es zu einer Art von Freundschaft mit den büßenden Mädchen gebracht, ohne daß jedoch irgend eines von ihnen jemals ein Anzeichen von etwas kräftigeren Gefühlen hätte merken lassen. Da er selber sonach auch zu keiner Entscheidung seiner Zweifel in 142 Betreff der Wahl gelangen konnte, so verfiel er in eine noch viel tiefere Wehmuth, und seine Lieder gewannen einen so trostlosen Klang, daß sie zuletzt auch demjenigen Menschen, der sie stets am ersten und öftesten anhören mußte, schwer auf die Nerven fielen, obgleich er sonst von Herzen unempfindlich gegen ihre Macht gewesen war. Es war dies sein Page Spirido, ein junger, munterer und kluger Edelknecht, arm wie eine Kirchenmaus und von nur etwas schäbigem griechischen Adel, aber desto fröhlicheren und auch sehr treuen Gemüthes. Diesen hatte Pantaleone aus gutem Herzen und weil er geringere Ansprüche machte als ein anderer Gehilfe, zu sich genommen und auch noch erzogen und unterrichtet, so daß er im Lautenspiel, Gesang und Erzählungskunst erfahren war, wenn er auch für die feierliche Gattung der frommen Ode keine selbstthätige Begabung verrieth. Er war seinem Herrn aufrichtig ergeben und sann deshalb eifrig darüber nach, wie er ihm helfen könne, und wäre es auch nur, um seine Verse von der fast übermenschlichen Kläglichkeit etwas zu entlasten. Da Herr Pantaleone ihn als Träger der umfangreichen Liederhefte gewöhnlich zu jenen Vorlesungen mitgenommen hatte, 143 so war er auf Grund kluger Beobachtungen zu der Hoffnung gelangt, der fromme Starrsinn möge auf Umwegen doch wohl noch zu brechen sein, wenn Einer es richtig anfange. So glaubte er insbesondere bemerkt zu haben, daß einen nicht kleinen Theil der Schuld, warum sie so wenig das Bedürfniß einer schönen Leidenschaft empfänden, auch ihre große wechselseitige Liebe trüge, welche ihnen eine Trennung von einander als ein übergroßes Uebel erscheinen ließe. Nun kam ihm in diesem Betracht ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Drei edle Venetianer jugendlichsten Alters kehrten aus der Levante zurück und hatten vor, auf der Durchreise einige Zeit in Korfu zu verweilen, um dieses gesegnete Besitzthum der Republik aus eigener Anschauung genauer kennen zu lernen. Zwei von ihnen waren Brüder, welche mit dem dritten, einem früh verwaisten Vetter, seit den Kinderjahren in so enger und zärtlicher Gemeinschaft lebten, daß sie füglich vielmehr alle Drei als echte Drillingsbrüder gelten konnten und auch oftmals selbst in ihrer Vaterstadt dafür gehalten wurden. Sie hießen Rinaldo, Lamberto und Agolante; ihr Geschlechtsname muß verschwiegen bleiben, weil ihre Nachkommen noch heute in einer Stadt Oberitaliens blühen.

144 An dieses Kleeblatt machte sich der Page heran, was ihm mit Hilfe seiner lustigen Sangeskunst nicht schwer wurde, und begann sie unmerklich in seinem Sinne zu bearbeiten. Er rechnete nämlich zunächst, daß diese durch Blut und Liebe engverbundenen Jünglinge dreien der Töchter Azzo's zum mindesten etwas beachtenswerther erscheinen würden als Andere, welche einspännig dahertrabten, indem sich den Schwestern sonach die Aussicht böte, auch nach der Verheirathung mit einander in naher Gemeinschaft zu bleiben. Und weiter plante er: wenn es also wirklich gelingen sollte, drei von den Schönen zugleich einem Herzensbunde entgegen zu treiben, so müßte nach aller Wahrscheinlichkeit die letzte, einsam zurückgelassene ganz von selbst als eine reife Frucht Herrn Pantaleone zufallen, als welcher doch immerhin die anderen Bewerber offenbar schon um ein Beträchtliches überflügelt hatte.

Also erzählte der kluge Spirido den edlen Fremdlingen von den berühmten vier korfiotischen Marmorgrazien und schilderte mit aller Kraft die mannigfachen Vorzüge derselben, während er auf ihren bedenklichsten Fehler, die übergroße Frömmigkeit, nur ein bescheidenes Streiflicht fallen ließ, 145 nur so viel als nöthig schien, um das Gerede anderer Leute und die herumgetragenen Spottnamen zu erklären.

Dieser Fehler – wenn es nämlich ein solcher ist: denn das Wort steht hier nur in dem Sinne jenes Pagen – focht jedoch die drei kecken Venetianer wenig an oder befeuerte vielleicht eher ihre Begierde, die unberührten Seelen zu süßem Liebesleben zu erwecken, zumal auch alle äußeren Verhältnisse, als Stand und Reichthum, worauf ein Edelmann mehr als ein Anderer zu sehen hat, so günstig wie nur möglich erschienen.

Sie begaben sich daher sehr bald, von sehnsüchtiger Neugier getrieben, in den Palast des Fürsten Azzo und stellten sich ihm als Freier vor, indem sie über sich selbst, ihren Rang und ihr Vermögen wahrheitsgetreue Auskunft gaben. Der Fürst empfing sie nicht nur mit aller Höflichkeit, sondern mit wahrer Freude; denn es schien ihm nach dem Urtheil seiner Augen nicht unmöglich, daß diese Drei berufen sein möchten, die verzauberten Herzen seiner armen Kinder zu erlösen.

Es hatte jedoch Anfangs den Anschein, als müßte seine Hoffnung auch diesmal wieder zu 146 Schanden werden. Die vier schönen Heiligenbilder, herbeigerufen, wallten in den Saal ganz wie sie gewohnt waren, in stiller Schönheit und mit unerschüttertem Ernst, huben weder die Augen empor, noch antworteten sie auf eine Anrede etwas Anderes als ein züchtiges »Ja« und »Nein«, und am allerwenigsten zeigte sich je die Spur eines Lächelns auf ihren Lippen, welche vergeblich von der gütigen Natur mit dem überschwenglichsten Reiz schwellender Fülle und blühenden Roths ausgestattet zu sein schienen.

Der Fürst lud die drei Fremdlinge zu einem fröhlichen Schmause ein, um ihnen einen kleinen Ersatz für das noch nicht erreichte Glück zu gewähren, und als sie nun um Mitternacht in guter Weinlaune zu ihrer Herberge zurückkehrten, fanden sie daselbst den Pagen Spirido noch ihrer harrend, der sie sogleich begierig fragte, was sie ausgerichtet.

»Wenig oder gar nichts,« entgegnete Lamberto etwas beschämt; »die vier Marmorbilder haben wir zwar gesehen, und sie gefallen uns, die Wahrheit zu sagen, nicht weniger als diejenigen der besten Künstler, die wir kennen, und ein Bernini dürfte sie mit vielem Vortheil als Modelle gebrauchen. 147 Allein über unser Herz haben sie noch keinen Sieg gewonnen, und doch nimmt man ein Eheweib, wenn man klug ist, nicht für die Augen allein, sondern weit mehr noch für das Herz; ein Weib aber, das nicht zu lachen versteht, wird niemals im Stande sein, einen gesunden und heiteren Mann wahrhaft zu beglücken. Im Lachen und Lächeln einer Frau wohnen die lieblichsten Geister irdischer Seligkeit; ein Weib, das nur betet und niemals lacht, taugt wohl für den Himmel und für das Kloster, aber nicht für ein frohes Haus auf der Erde. Ich für mein Theil kann diese Mädchen wohl bewundern und allenfalls um ihrer Schönheit willen von ferne ein wenig anbeten; aber zu lieben vermag ich sie nicht, ehe ich ein Lachen ihrer Lippen und einen hellen Blick ihrer Augen gesehen habe. Denn in diesen beiden Dingen erkennt man die Seele eines Menschen, besonders aber eines Weibes.«

Dieser Meinung stimmten die zwei anderen jungen Männer bei, und Spirido kehrte sorgenvollen Geistes in die Wohnung seines Herrn zurück. Während des Restes der Nacht aber dachte er sich schleunig einen neuen Anschlag aus, vermittelst dessen er dennoch zu einem guten Ziele zu gelangen hoffte, 148 und begab sich am Morgen geradeswegs zum Fürsten Azzo, um diesen in seine List einzuweihen. Er empfahl ihm, seine Töchter um die und die Stunde in einen Saal nach dem Hofe hinaus zu setzen, selbst aber mit den drei Freiern heimlich auf eine hohe Galerie zu steigen, welche sich an der einen Seite des weiten Gemaches hinzog und von der aus sie unbemerkt Alles übersehen konnten. Denn bei den Gewohnheiten der Jungfrauen sei nicht zu fürchten, daß sie etwa unvermuthet die Augen bis zu der Galerie in die Höhe höben.

Der Fürst willigte in Alles ein, was der schlaue Page anzustellen beabsichtigte, und bereitete selbst das Erforderliche nach seinen Angaben vor. Im schlimmsten Falle verhieß er sich einen guten Spaß und hoffte sich damit für ein Mißlingen, das er fürchtete, ein wenig zu entschädigen. Aehnlich dachten auch die drei Venetianer, und so geschah Alles, wie es der Page gewünscht hatte.

Als nun die vier schönen Schwestern in dem Saale versammelt waren, ohne die Anwesenheit der Männer zu ahnen, und sich eben in Bußbetrachtung zu versinken anschickten, hub auf einmal Spirido unten auf dem Hofe eine unermeßlich 149 schwermüthige Weise zu spielen an und sang dazu mit wohlklingender Stimme, die dumpf aus einem tiefen Grabgewölbe zu kommen schien, als Text eine von seinem Herrn gedichtete Ode auf den heiligen Laurentius, welcher lebendig auf dem Rost gebraten worden ist.

Dadurch wurden die Jungfrauen aufmerksam, blickten aus dem Fenster, erkannten den bescheidenen Pagen des Herrn Pantaleone und winkten ihm, er solle heraufkommen, um ihnen in größerer Nähe noch eindringlicher seine Buß- und Marterlieder zu singen. Bereitwillig gehorchte er und trat herein, mit einem ehrbar dunklen, langen Mantel angethan; er that diesen aber nicht erst von sich, sondern setzte seine jammervollen Gesänge so fort, als wäre er gar nicht unterbrochen worden.

Nun konnte es nicht lange währen, so trat bei den Hörerinnen jener Zustand ein, da sie in Betäubung zu fallen begannen und vermöge derselben kaum noch die Hälfte seiner Worte gleichsam im Traume aufzufassen im Stande waren. Sobald Spirido das merkte, eilte er Text und Weise um ein Mäßiges abzuwandeln und von der odenhaften Anrufung der Märtyrer und Heiligen zu einer 150 erzählenden Darstellung ihrer Thaten überzugleiten, wodurch er bewirkte, daß die Betäubung keine weiteren Fortschritte machte, sondern eher einer kleinen Aufmerksamkeit wich. Ganz unmerklich richtete er es nun weiter so ein, daß diese Legenden ihren Ton ein wenig änderten und statt des Sengens, Spießens, Räderns, Hängens, Köpfens, Zerreißens, Erwürgens, Pfählens und Kreuzigens allerlei etwas behaglichere Abenteuer aus dem Leben der Heiligen zum Besten gebend, wie sie fromme und fleißige Poeten mannigfach in Verse gesetzt hatten.

Die frommen Mädchen aber lauschten seinem Vortrage immer andächtiger, ohne die Veränderung der Stilart im mindesten zu merken. So faßte er mehr und mehr Muth, stimmte immer hellere und fröhlichere Töne an und ging mit jeder neuen Geschichte ein Stückchen kecker ins Zeug, bis er allmälig die strenge Maske fallen ließ und ganz ins Weltliche übertrat. Einige noch gut geistlich angestrichene Episoden aus Torquato Tasso's »Befreitem Jerusalem« bereiteten den Boden, bis die Geschehnisse im Garten der bildschönen Armida einen raschen und nun doch wohlvermittelten Sprung in des ausgelassenen Ariosto »Rasenden Roland« möglich machten.

151 Jetzt warf der Sänger auch seinen dunkeln Mantel von sich und stand in rother Seide da.

Die vier Schwestern aber ließen sich ohne Arg auf den gleitenden Wellen der Töne wiegen, und obwohl sie, ohne es zu wollen oder nur zu merken, dem Texte eine gespannte Aufmerksamkeit schenkten, ahnten sie im Entferntesten nicht, in welch' eine gefährliche Strömung sie hinterlistig gelockt worden. Sie lauschten nur und lauschten lautlos und beglückt den wunderbaren Rhythmen und Mären Meister Ariosto's, und mit jeder Minute vergaßen sie mehr sich selbst und tauchten unter in dem schmeichelnden Meer von Wohllaut und Heiterkeit, das sich fluthend an ihre Seelen drängte. Es war ihnen nicht anders, als ob sie im Traume durch einen gewaltigen Zaubergarten geführt würden, von dessen Reichthum und beseligendem Glanz sie nimmer zuvor etwas geahnt und dessen Gleichen sie auf Erden nicht für möglich erachtet; sie wandelten begierig weiter und weiter und entdeckten immer neue Wunder. Berauschende Düfte schienen den Blüthenbäumen dieses Gartens zu entschweben, ein Farbenschimmer sonder Gleichen verwirrte das Auge durch eine unendliche, immer neu 152 reizende und wieder im süßesten Zusammenklang beruhigende Mannigfaltigkeit. Herrliche Menschengestalten wogten her- und hinüber in seligem Genießen und freudig erhobenem Handeln; die wildesten Kämpfe der Helden erschienen als ein harmonisches Spiel schöner Kräfte, die nur deshalb gegen einander wirkten, um sich im Gegendruck zu bewähren, zu stählen und zu steigern und zuletzt im Ausgleich in erhöhtester Pracht zu erglänzen. Die Schönheit der Frauen war durchstrahlt von unversieglicher Herzensheiterkeit, die nicht allein auf den blühenden Lippen als ein liebreizendes Lächeln thronte und aus den feurigen Augen entzückend blitzte, sondern sich in göttlicher Fülle wie ein goldner Quell über alle Glieder ergossen zu haben schien, daß sie von eigner Anmuth leuchteten wie von einem inneren, nie verlöschenden Lichte.

Während also diese armen Mädchen ungewarnt und ohne Widerstand in solche unsägliche irdische Herrlichkeit hineingerissen wurden, war es den heimlichen Zuschauern vergönnt, auf deren schönen Gesichtern ein nicht minder entzückendes und wechselvolles Schauspiel betrachtend zu genießen. Denn ganz wie wenn die frühe Sonne den Bergen 153 gegenüber aufgeht und erst nur die höchsten Kuppen mit leiser Röthe bestreicht, bald tiefer dringend die vorragenden Blöcke und Kanten sprungweise überblitzt, dann langsamer in die tausend Risse und Schluchten quillt, über Matten und breite Wälder huschend, endlich auch das verborgenste Thal erreicht und nun die weite Erde mit einem einzigen lachenden Tagesglanz übergoldet, so zuckte in den verschüchterten Zügen der Jungfrauen zuerst nur hier und da ein flüchtiger Schimmer auf, daß sie den Kindern glichen, deren ersten zarten Versuch zu lachen nur kaum das Mutterauge merkt; langsam aber zog solcher Schimmer von den Augen und den Mundwinkeln weiter und lagerte sich als stilles Leuchten lieblich über die Wangen und das ganze Gesicht, wie man es bei glücklich Träumenden erblickt. Auf einmal, bei dem ersten keckeren Scherz des ewig frohen Dichters kräuselten sich die Lippen sichtlicher auf, zwar Anfangs nur mit einem secundenlangen Lächeln, das schneller noch wieder verschwand; doch es kam wieder, öfter und öfter, und die Augen blitzten kühner und lustiger auf; ein Lachen ward vernehmbar, leise, leise zuerst wie in stiller Ferne ein silbernes Glöcklein, dann plötzlich heller aufschallend, jetzt noch scheu und 154 abgebrochen, bald unwiderstehlicher wiederkehrend, bis endlich die siegende Sonne des Frohsinns den letzten dumpfen Schatten getilgt hatte, ein einziges klares Lächeln die holden Gestalten mit unsäglichem Liebreiz umkleidete und ihr jubelndes Lachen ununterbrochen erklang wie der plätschernde Schwall eines frischen Bergbächleins. Und da wollte es die Zuschauer oben auf dem Gange bedünken, als ob solche Heiterkeit auch ein gutes Gebet eines dankbaren Herzens genannt werden könne und einer rechtschaffenen Frömmigkeit gewiß keinerlei Abbruch thue.

Die drei Jünglinge aber vermochten kaum an sich zu halten vor wonnevollem Staunen, und gut war es, daß alle ihre lauten Ausrufe des Entzückens von den Klängen der Laute und der kecken Stimme des Sängers übertönt wurden.

Es hatte nun aber Spirido ihnen zuvor einen sehr klugen Rath ertheilt: nämlich es solle doch Jeder nur eine Einzige der Schönen immerfort treu im Auge behalten und, so gut das möglich sei, niemals die Blicke auf eine der Andern abschweifen lassen. Das rieth er deshalb, weil er meinte, es müsse auf solche Art Jeglicher sich in ein anderes dieser holden Gesichter gleichsam hineinleben und 155 sich in aller Eile so gründlich verlieben, daß er nachher die Uebrigen ohne Schaden würde anblicken können, damit nicht etwa aus Nebenbuhlerei ein Streit unter ihnen entstünde. Darum hatte er Jedem dem Alter nach eine Bestimmte zum Betrachten und Verlieben zugewiesen. Penelope, die Jüngste, allein hatte er freigelassen, weil sie ihm selbst um ein Geringes besser noch gefiel als die Schwestern, und er sie darum seinem lieben Herrn am meisten gönnte. Daß dieser freilich für eine so junge Braut schon etwas ältlich war, hatte er aus Zuneigung zu demselben zu bedenken versäumt.

Ihm selbst aber geschah während seines Spielens und Singens etwas Wunderbares: weil er den drei Freiern mit seinen Blicken nicht in die Quere kommen wollte, ließ er dieselben ganz unausgesetzt auf dieser Penelope haften, und so vergaß er für sich selbst eben jene Vorsichtsmaßregeln zu beachten, welche den für die Andern aufgestellten, in umgekehrter Art würden entsprochen haben. Dies war nach aller Wahrscheinlichkeit der Grund, warum er von dem beständigen Anblick der reizenden Person mit jeder Minute stärker bewegt und sogar in einer seltsamen Weise beunruhigt ward.

156 Als nun Spirido spürte, daß seine weise List von einem herrlichen Gelingen gekrönt zu werden schien und zugleich auch seine Kräfte allgemach versagten, gab er dem Fürsten Azzo verabredeter Maßen einen heimlichen Wink nach oben, den dieser alsbald klüglich auffaßte und weiterwirken ließ.

Da thaten sich leise die Thüren des Saales auf und herein wogten von allen Seiten bunte, reizvolle Gestalten, welche nach Tracht und Gebahren genau jenen in den Gesängen des Ariost geschilderten Personen glichen, nur daß sie sämmtlich durch Gesichtsmasken verhüllt waren; diese Alle rauschten und stolzierten unter den Klängen einer rasch einfallenden Musik in prächtigem Zuge um die Jungfrauen herum und begannen mit einander zu tanzen und in anmuthigem Wirrwarr schön bewegte Wirbel zu drehen.

Aengstlich lauschend harrte unterdessen Spirido, wie diese neue und kühne Ueberraschung auf die frommen Kinder wirken möchte; mit froher Verwunderung aber entdeckte er, daß dieselben über die Neuigkeit offenbar weit weniger erstaunt und betroffen waren, als man hätte denken sollen: denn ihre ungewohnte Einbildungskraft war von den 157 glänzenden Bildern des Dichters so sehr erfüllt und übernommen, daß sie wie trunken waren und ihnen in der ganzen Welt das allergrößte Wunder nicht mehr wunderbar vorgekommen wäre.

Sobald aber die Dinge zu so gutem Ziele gediehen waren, warfen sich die drei Venetianer mit gewaltiger Eile in das Gewühl der Tanzenden, woselbst sie als die Einzigen, welche keine Maske trugen, in ihrer frischen Jugendschönheit rasch vor den Schwestern erschienen, und Jeder diejenige ergriff, welche seine Augen zuvor erkoren hatten. Und so tanzten sie in beglückter Leidenschaft mit ihnen dahin, ehe die armen Mädchen noch zu einiger Besinnung oder zu dem Gedanken eines Widerstandes hätten gelangen können.

Nur allein Penelope stand ohne einen Tänzer abseits und starrte wie Eine, die aus einem wonnevollen Traume erwachend sich in der Wirklichkeit noch nicht zurechtzufinden vermag, verwundert und beglückt bald in das prächtige Gewühl, bald auf den schmucken Sänger, der nicht weit von ihr in ihren Anblick hilflos versunken war und doch nicht näher zu treten wagte. Seinen Herrn freilich, den schwermüthigen Poeten, hatte auch er wie alle 158 Andern völlig aus dem Gedächtnisse verloren, und Jener saß einsam zu Hause und fügte unter unzähligen Seufzern viele vortreffliche Verse zu Oden aneinander.

Unterdessen hatte der Fürst mit unermeßlichem Vergnügen die wundervollen Wandlungen in den Gesichtern und dem gesammten Gebahren seiner Kinder beobachtet, und in seinem guten und frohen Herzen sogleich von der allerheftigsten Dankbarkeit gegen den jungen Lautenspieler ergriffen, flog er mit jugendlicher Eile an seine Geldtruhe und langte mit vollen Händen ohne Besinnen so viele Zechinen heraus, als seine Taschen, welche nicht klein waren, nur irgend zu fassen vermochten, und eilte solchermaßen um Vieles beschwerter und langsamer, bei jedem Schritte klirrend, dahin zurück, wo er Spirido zuletzt gesehen hatte. Auch fand er ihn noch an derselben Stelle, mit der jungen Penelope stumme und bescheidene Blicke wechselnd, und bat ihn, seinen Hut herzuhalten, damit er ihm denselben mit Golde füllen könne; denn er habe solche wohlklingende Danksagung überaus reichlich verdient.

Spirido aber besann sich jetzt auf einmal dessen, was er mit all' seinen Anstalten und Listen eigentlich bezweckt hatte, und sprach:

159 »Nicht doch, erlauchter Fürst, besinnet Euch eines Besseren. Daß auch ich einen mäßigen Dank um Euch verdient habe, will ich zwar nicht leugnen und Eure Gunst deswegen nicht völlig zurückweisen; aber sagt doch: Wenn Ihr Euch einmal Nachts, aus dem Wirthshaus heimkehrend, des freundlichen Lichtes erfreut, das der Mond auf Euren Pfad gießt, und Ihr diesen darum zu rühmen geneigt seid, ist es nicht billig, daß Ihr mit ungleich höheren Lobpreisungen der Sonne gedenket, von welcher das Nachtgestirn all' seinen Glanz nur kümmerlich erborgt? Oder wenn Ihr eines trefflichen Mahles theilhaftig werdet, danket Ihr mehr dem dienenden Koch, der dasselbe seiner Pflicht gemäß ordentlich bereitet, oder dem Herrn, dessen edle Gastlichkeit Alles angeordnet und die Mittel dazu hergegeben hat? Oder wenn Euch ein schönes Weib durch ihre Zofe ein verheißungsvolles Briefchen zusteckt, dankt Ihr es der Letzteren mit herzlichen Küssen oder der geliebten Herrin? Ganz ebenso aber verhält es sich auch hier: wenn Ihr mir als dem Monde und dem Koch und der Zofe ein kleines Trinkgeld zustecken wollt, so bin ich des nicht unzufrieden; der vielmal höhere Preis und Lohn aber gebühret offenbar demjenigen, 160 in dessen Dienst ich als ein schlichter Mensch stehe und dessen Geschichten allein das große Wunder vollbrachten, Eure in Schwermuth versunkenen Töchter der süßen Herrlichkeit der Welt wieder zugänglich gemacht zu haben. Was Eure besten Witzbolde und Possendichter deshalb nicht vermochten, weil ihnen die zarte Form fehlte, die allein auch die kühnsten Scherze der Weltlust in ein sprödes Gemüth einzuschmeicheln versteht, das hat er allein mit seiner Rhythmen Wohllaut leicht zu Wege gebracht, der große Wunderthäter, und fast möchte ich sagen Heilige, der göttliche und durchaus unsterbliche Meister Ariosto.«

Erstaunt, aber nicht unwillig blickte Herr Azzo auf den begeistert redenden Jüngling und sprach:

»Mit Recht nennst Du Ariosto einen Unsterblichen, im geistigen Verstande begriffen, denn seine Werke werden ohne allen Zweifel ewig leben; trotzdem aber ist er dem Leibe nach verstorben, wie soll ich es also nach Deinem Rathe möglich machen, dem großen Todten außer dem Lobe, das Jedermann für ihn hat, noch einen andern Lohn zu entrichten? Lebte er im Leibe, so sollte keine Macht der Erde mich hindern, ihm jetzt sogleich eine viel größere 161 Fülle des Goldes, als ich hier bei mir trage, in den Schoß zu schütten. So aber weiß ich leider nicht, wohin Deine Rede zielt.«

Da lächelte der Page vergnüglich und sagte:

»Jeglichen großen Poeten, der nicht mehr auf Erden wandelt, ehrt ein Ueberlebender dadurch am richtigsten, daß er seine geistigen Nachkommen, die noch leben, hochhält und nach seinen Kräften belohnt und fördert. Denn auch wenn solche jüngeren Sänger die Größe ihres Ahnherrn nimmer erreichen, so dienen sie auf ihre Weise dennoch dem Ruhme desselben – wofern sie nur mit Ernst auf seinen Wegen wandeln und nicht am Gemeinen ihr Genüge finden – indem sie die Freude an der hohen Kunst in dem lebenden Geschlechte wach erhalten und künftigen größeren Dichtern die Wege offen bewahren: denn es ist in der Kunst nicht anders, als daß ein Lebender vom Lebenden lerne, wie der Handwerkslehrling vom Meister, und es nützt wenig, die todten Poeten mit Gelehrsamkeit zu studiren, weil Lebendiges nur vom Lebendigen erzeugt werden kann, und darum ist es nöthig, daß die bescheideneren Dichter die Pfade durch die Jahrhunderte weiter bahnen, bis die launenhafte Natur wieder einen Genius 162 erschafft, der den Gewaltigen vergangener Zeiten es gleichzuthun vermöge. Demnach also werdet Ihr, erlauchter Herr Azzo, dem großen Ariosto nicht besser lohnen können, als wenn Ihr meinem wackern Herrn, dem rühmlichen Poeten Pantaleone, einen würdigen Preis aussetzet, wie solcher in Eurer Macht steht.«

Nach diesen Worten schwieg der treue Page. Der Fürst aber war nicht wenig gerührt von seiner Treue und Ergebenheit gegen Jenen, den er seinen Herrn nannte, und erwiderte sogleich, es werde ihm keinen Kummer bereiten, dem guten Pantaleone ebenfalls eine beträchtliche Summe Geldes auszuhändigen.

Da blickte der Page stolz und sprach:

»Solcher Lohn wäre zwar nicht ganz zu verachten, denn Poeten sind allzumal liederlich und vergeuden viel Geld; aber dennoch genügt er nicht, sondern Ihr müßt auf Größeres denken. Darum schlage ich Euch vor: Gebt ihm Eure jüngste Tochter, welche nach aller Voraussicht nun einsam zurückbleiben würde, zur Gemahlin; das wird ihm ein würdiger Dank sein, ihr selbst aber keineswegs eine Schande. Denn wenn Ihr Euch etwa an seinem geringeren 163 Adel und seinem winzigen Reichthum stoßen wollt, so erinnert Euch wohl, daß von all den reichen und vornehmen Herren Eures Ranges, welche vor hundert Jahren lebten, nur eine gar kleine Zahl noch im Gedächtniß der Menschen lebt, welcher Nachruhm doch der wahre und allerhöchste Adel ist; sondern sie sind dahingegangen wie Spreu vor dem Winde mit all ihrem Pomp. Ariosto's Name aber blüht fort in immer höherem Glanz, so daß dieser Dichter also nach richtiger Schätzung allein den Königen gleich zu achten ist, die geringeren Poeten aber, von denen auch manch guter Name den späteren Zeiten aufbewahrt wird, mit Euch, erlauchter Fürst, von dem man ohne Zweifel nach hundert Jahren noch Gutes reden wird, und andern großen Herren Eures Schlages den gleichen Rang beanspruchen müssen. Darum dürfet Ihr Eurer Tochter getrost vorstellen, es sei keine Erniedrigung für sie, mit einem so trefflichen Odendichter, wie Herr Pantaleone ist, in die Ehe zu treten. Auch ist zu allem Uebrigen zu hoffen, daß seine Gedichte dann einen freudigeren Ton annehmen werden, als es ihm bisher gelungen ist, da er von heftiger Sehnsucht nach einem guten Weibe niedergedrückt ward.«

164 Indem der Page aus seinem ehrlichen Herzen heraus diese schönen Reden zu Gunsten seines Herrn und Lehrmeisters hielt, konnte er doch nicht verhindern, daß ihm im Anschauen der jungen Penelope unter den letzten Worten einige Thränen in die Augen traten und, da er sie des Respects halber nicht abzuwischen wagte, langsam die Wangen hinabrollten.

Da begab sich sogleich ein wunderbarer Zwischenfall. Das schöne Fräulein, welches, man weiß nicht warum, den Pagen auch jetzt noch aus einiger Ferne im Auge behalten hatte, als ob sein Gesang noch fortdauerte, glitt plötzlich gleich einer Nachtwandlerin mit fast starren Augen näher heran und ging dicht an ihm vorüber: im Vorübergehen aber erhub sie leise die rechte Hand mit ihrem Tüchlein und trocknete ihm durch eine schnelle und so zarte Bewegung die Thränen von den Wangen, daß Niemand etwas davon bemerkte als ihr Vater und vielleicht auch Spirido, am allerwenigsten aber gewißlich sie selber.

Hierauf schlich sie einer stillen Ecke zu, legte dort das Tüchlein an ihre Augen, und es gewann den Anschein, als ob sie ihre eigenen Thränen mit den aufgefangenen des jungen Menschen vermische.

Herr Azzo aber beobachtete alle diese Dinge 165 mit offenen Blicken, und halb vor Rührung, halb vor herzlichem Lachen über die seltenen Tollheiten dieses Tages trat ihm selbst ein wenig Wasser in die Augen. Und sobald er wieder etwas zu sich gekommen war, rief er dem Pagen kräftig zu:

»Geh' hin, guter Spirido, und tanze sogleich in Vertretung Deines trefflichen Herrn mit meiner Jüngsten; denn sie steht vergessen und trostlos in der Ecke und könnte leicht wieder in ihre Büßerlaune verfallen.«

Und als der Page freudig und dennoch halb verzagt gehorchte und mit dem Mädchen nun zierlich durch den lauten Saal wirbelte, folgte Azzo dem Paare prüfend mit den Augen. Da merkte er, daß Penelope mit dem zärtlichsten und glückseligsten Lächeln von der Welt an seinem Arme hing und sich so zutraulich an ihn schmiegte, als ob er ein Betpult gewesen wäre.

Als Azzo das gesehen hatte, nickte er und sprach zu sich selber:

»Es ist Alles richtig. Sie hat geschworen, nur einen armen Lumpen und Bettelmann zu heirathen: ihr soll nach ihrem Willen geschehen; sie soll den schlimmsten aller Bettelprinzen, einen 166 Geschichtenerzähler und Fiedler zum Manne haben und auf diese Weise die Sünden ihres Vaters aufs Gründlichste büßen, indem sie die gleichen Greuel ihres Eheherrn ertragen lernt. Pantaleone aber soll ihr und ihren Schwestern das Hochzeitscarmen verfertigen, ein besseres und lustigeres haben sie alle vier nicht verdient.«

Ueber diesen Gedanken verfiel er in ein so unauslöschliches Gelächter, daß ihm bald die Kraft ausging, und er sich aus dem glänzenden und rauschenden Gewoge der jubilirenden Tänzer in ein stilles Nebengemach zurückzog, woselbst zahlreiche köstliche Speisen und Getränke aufgestellt waren.

Hier ließ er sich nieder und fing an, zu seiner Kräftigung nachdenklich und nicht unerheblich zu zechen. Nach einer langen Frist rief er einen Diener herbei und hieß ihn seinen Töchtern sowie den drei venetianischen Herren und auch dem bisherigen Pagen des Herrn Pantaleone entbieten, wenn sie ihn etwa suchten, würden sie ihn in diesem Vorgemache bei den Flaschen finden.

Es währte nun nicht eben lange, so erschienen seine Töchter alle vier zugleich mit heißen Wangen und stillleuchtenden, aber doch etwas unsichern Augen in dem 167 Seitenzimmer und blickten fragend auf ihren Vater, indem sie sich dicht aneinander drängten, als ob sie sich vor irgend einer unbekannten Gefahr schützen wollten. Ebenso kamen auch die drei Brüder und Spirido herein, welche sich hingegen ziemlich entfernt von einander aufstellten, sei es, daß sie sich Alle Manns genug fühlten, sich selbst zu schützen, sei es, daß sie ihre Blicke Jeglicher ganz allein auf die Erwählte seines Herzens richteten, ohne auf irgend etwas Anderes zu achten.

Da also der Fürst sie Alle versammelt sah, die er haben wollte, hielt er mit einem unmäßig ernsten Gesicht eine kurze Rede: er habe heute beschlossen, dem Drängen seiner lieben Kinder nachzugeben und sie sämmtlich aus der Gefangenschaft des Vaterhauses in die Freiheit des Klosters zu entlassen, wohin sie nach eigenem Geständniß ihre ganze Sehnsucht ziehe; nur allein seine Penelope wolle er ihrem Gelübde gemäß einem höchst spitzbübischen Taugenichts zur Ehe geben, der nichts auf der Welt sein eigen nenne, als was jeder Singvogel unter dem Himmel auch besitze, ja nicht einmal soviel, denn ein eigenes Nest vermöge er durchaus nicht nachzuweisen: einen so brauchbaren Erztaugenichts habe er in diesem Spirido glücklich ermittelt.

168 Nach diesen Worten blickte er allen seinen Töchtern mit vergnüglicher Schadenfreude ins Gesicht und bemerkte sogleich eben das, was er verhofft hatte, nämlich eine heftige Bestürzung und bitterliche Verlegenheit und ein jähes Entweichen der schönen Röthe aus ihrer Aller Wangen, die junge Penelope allein ausgenommen.

Er aber that, als ob er nichts sehe, sondern wandte sein Antlitz abseits und schaute emsig in den Becher, den er mit verständigem Behagen leerte und ohne Hast wieder mit klarem Wein füllte. Und als er nun endlich doch wieder empor und in das Zimmer hinein blickte, sah er, wie sich die Stellung der anwesenden Personen in wundersamer Weise verändert hatte; denn eine Jede seiner lieben Töchter stand in allernächster Nähe eines der venetianischen Freier, und Penelope hatte ihr Köpfchen bereits vertrauensvoll an die Brust Spirido's gelegt.

Da lachte dem fröhlichen Greise das Herz im Leibe; er sprach kein Wort weiter, sondern ging und umarmte die glücklichen Paare eines nach dem andern, am allerwärmsten aber drückte er Spirido an seine Brust, der vor glücklicher Verwirrung nicht wußte, wie ihm das hatte geschehen können. Nach einer beträchtlichen Weile aber besann sich dieser mit 169 plötzlichem Schreck, daß er doch eigentlich nicht für sich, sondern für seinen guten Herrn hatte werben wollen, und wie er demselben also die Treue gebrochen habe, obzwar zu einem guten Theile wider sein eigenes Vermerken und ohne seinen Vorsatz. Als er nun darüber bestürzt stand und sich selbst laut der Untreue anklagte, fragte ihn Azzo:

»Welche von meinen Töchtern ist es, die Herr Pantaleone sich zu seiner Liebsten erkoren hat?«

Da mußte Spirido bekennen, daß Jener bisher noch keine engere Wahl getroffen habe, sondern einstweilen noch alle vier gleichmäßig anbete.

»Wenn es so steht,« entgegnete Herr Azzo, so ist es am besten, es bleibt auch dabei. Denn so er eine von ihnen zum Weibe gewönne, würde er fortan entweder nur diese lieben und die Andern vernachlässigen, und eine Beschränkung würde sicherlich seiner Kunst zum Schaden gereichen (denn ein Dichter braucht von Rechtswegen neun Musen, und wenn er sich mit deren vieren begnügt, so ist er schon allzu bescheiden): oder aber, was bei dem lotterigen Poetenvolk wahrscheinlicher ist, er würde fortfahren, die andern drei, welche er nicht hat, anzubeten, und würde Diejenige, welche er sein eigen 170 nennt, verachten, und damit wäre meiner Tochter übel gedient. Darum ist es am richtigsten, er liebt alle Viere weiter wie bisher, und wir wollen uns Mühe geben, ihm noch andere fünf Musen mehr zu diesen zu finden, damit die Zahl voll werde, und wenn sie gefunden sind, mag er seine alte Köchin heirathen, die für sein leiblich Theil sorge. Von dem Gelde aber, welches ich irrthümlich für Dich, lieber Sohn Spirido, bestimmt hatte, will ich ihm zum Ersatz eine goldene Leier machen lassen; auf derselben wird er einige Male spielen und dazu etliche grausame Oden singen und wird sie dann bei einem Trödler versetzen: denn das ist ebenfalls aller Poeten hergebrachte Sitte.«

Kaum hatte er Solches gesprochen, als man von draußen ein unsäglich klägliches Getöse vernahm, welches sich, da Alle schaudernd aufhorchten, als eine neue Schmerzensode des frommen Pantaleone erwies. Für einen Augenblick erschrak Herr Azzo, weil er fürchtete, die unglaubliche Traurigkeit dieses Liedes möchte seinen Kindern ans Herz greifen und sie wieder in die alten Irrthümer zurückstoßen. Doch er fand schnell, daß er sich getäuscht: sie hatten Alle mit so großer Schnelligkeit, wie das nur der 171 Frauen Klugheit vermag, im tiefsten Gemüthe erkannt, daß es auf Erden keine größere Thorheit gibt als diejenige, sich die kurzen Lebenstage durch müßiges Wimmern und Büßen, das Niemand zu Gute kommt, zu versäuern. Auch fiel ihnen ein, die Sünden ihres Vaters könnten wohl so überaus arg nicht gewesen sein, da er sich trotz ihrer Last eine so große Heiterkeit und werkthätige Güte bewahrt hatte.

So kam es, daß sie die trübseligen Oden ihres Sängers mit einem anmuthigen Lachen begrüßten und sprachen, dieselben seien zwar gut und edel, aber die Geschichten des großen Ariosto seien um ein Erkleckliches nützlicher zu vernehmen.

 


 


 << zurück weiter >>