Hans Hoffmann
Neue Korfu-Geschichten
Hans Hoffmann

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Die Gekreuzigten.

Zwei Welten, verschieden wie Himmel und Hölle, liegen auf Korfu hart an einander gefügt; sie berühren sich nachbarlich auf dem Kamme einer Bergmauer, welche sie mit fester Grenze scheidet. Wer auf dieser Höhe steht, blickt gegen Sonnenaufgang in ein breites, weiches Land, ganz übersponnen von dem Friedensbaum, der fruchttragenden, leichtschattenden Olive, als von einem einzigen Walde oder Garten, aus dem die Dörfer mit ihren Glockenthürmen hervorleuchten wie weißliche Früchte aus grüner Schale, Glanz und Fülle überall bis hinab an die ruhigen Buchten des Golfes, der das Eiland von den Bergen Albaniens trennt: gegen Niedergang aber stürzet der Fels schauerlich ab wie in den ewigen Abgrund; zackiges Gestein nur starrt wild aufgethürmt und wild zerrissen, nur gähnende Schlünde und wirre Klippen jäh bis hinab zum unfruchtbaren, in endlos ödem Blau sich dehnenden Meer.

94 Hoch auf dieser trennenden Felswand, doch dem Morgen und dem Segenslande zugekehrt, liegt hart unter der Kante eine Ortschaft Pelleka, in schöner Einsamkeit über ihren Oelwäldern thronend, gegen die Meerstürme und die Schrecken der Klippenküste geschützt durch den starken Rücken ihres Berges, an dessen obersten Hang sie sich steil aufklimmend schmiegt. Nur ein schmaler, wenig betretener Pfad führt gewunden und mühsam zu wandeln von der steinigen Wand meerwärts hinab, bis wo hinter einer vorgesprengten Klippe ein paar Nachen auf engem Strande lagern zu seltenem Gebrauch und Verkehr längs der menschenleeren Küste; denn der Ort zieht seine Nahrung vom Lande, dem früchtereichen, und die Gemüther der Leute hangen an ihm und fürchten das unbekannte, grenzenlose Meer.

Nicht weit aber von jenem Klippenhafen und nicht hoch über dem Wasser stehen bei einander zwei riesenhafte Oelbäume ganz allein; sich wechselseitig schirmend, haben sie den rauhen Anhauch des Meeres ausgehalten durch die Jahrhunderte, sie allein, denn keinen andern Baumwuchs nährt die Felswand, sondern kaum in heimlichen Spalten ein dürres, verkrüppeltes Gesträuch.

95 Die beiden Zwillingsbäume sehen aus, als wären sie von der Berghöhe herabgestürzt und hier hängen geblieben; vom Meere aus blickend begreift das Auge nicht, wie sie dort haften mögen und die Stätte finden für ihre Wurzeln; allein wer den Pfad ein wenig hinaufsteigt, entdeckt eine sanfter geneigte Fläche, groß genug immerhin, die beiden Riesen zu tragen und zu nähren. Wie es oft die Art der Oelbäume ist, heben sich die Wurzeln derselben weit über den Boden empor, nicht unähnlich schwellenden und wider einander kämpfenden Schlangen, die vielverschlungen sich an dem aufgelockerten Stamme emporzuringeln und zuletzt in dem Gezweig sich zu verlieren scheinen, ein sonderbarer und fast unheimlicher Anblick, zumal wenn zur Dämmerstunde oder in der zitternden Gluthluft des Mittags die leise wankenden Schatten der leichten Blätter jenen Schlangen den täuschenden Anschein lebendiger Bewegung leihen.

Es geht auch die Rede, daß in den Bäumen Gespenster hausen, Dryaden oder Nereiden, die den Schlummernden beschleichen und mit Fieber schlagen; doch möchte selbst ohne solche Furcht nicht leicht Jemand verlockt sein, hier lange zu rasten, außer 96 wer etwa ein Wohlgefallen am Schauerlichen findet; denn es ist ringsum nichts Liebliches zu sehen, weder zu Lande noch auf dem Meere.

Zu der Zeit, da diese beiden Baumgreise Kinder waren, nur eben als zarte Hälmchen dem Boden entsprossen, damals gerade ging hinter dem Berge ein Sturm von Osten her mit ungeheurem Siege durch die Menschenwelt, die Herzen bis in die Tiefen erschütternd und die Gedanken umkehrend, daß sie das Schöne nicht mehr für schön hielten, daß sie ihre strahlenden Götter in den Staub stießen als verrätherische Teufel, daß sie die mütterliche Erde mit ihrer Lust und Nahrung verachteten und die Freude, die anmuthvoll unbekümmerte, aus ihren Seelen zu verdrängen suchten, um sich ganz einer wehmüthigen Himmelsseligkeit zu opfern.

Mehr denn tausend Jahre aber nach dem großen Siege des Christengottes, als die zwei Oelbäume die herrliche Höhe ihres Wuchses erreicht hatten, da ging abermals ein anderer, milderer Hauch über die Welt, ein neuer und doch uralter Geist; die geknebelten Seelen thaten sich wieder auf und bereiteten der Schönheit aufs Neue eine offene Bahn.

97 Und es zeigte sich, daß die unterdrückte Flamme der Erdenlust nicht erloschen war in den tausend Jahren der selbstbetrügenden Weltabkehr, sondern nur lose verdeckt unter warmer Asche.

Allein der strenge Gott des Ostens wehrte sich gewaltig gegen seine neu auferstandenen Feinde und predigte weiter seine Buße und Entsagung und führte rastlosen Krieg gegen die verführerische Herrlichkeit der alten Götter.

In den Tagen dieser Wiedergeburt der Schönheit lebte in jenem Pelleka ein Mann, dem es ernster war mit dem ewigen Kampf als tausend Andern, ein Priester, der den Dienst der schönen Heiterkeit verfluchte und verfolgte, wo immer er ihre Spuren erblickte, auch bis in die geheimsten Abgründe seines eigenen Herzens hinein.

Dieser Mann hieß Arsenios, war groß und schön von Gestalt, sehr angesehen im Volke und von Vielen gefürchtet. Er hatte einen stillen, festen Gang; nur manchmal, wenn er plötzlich etwas erblickte, das ihm mißfiel, that er einen Ruck, als müsse er darauf losfahren oder einen Sprung und Schlag thun wie ein Raubthier. Doch er bändigte sich dann sogleich mit großer Gewalt und tadelte 98 gelassen, was er zu tadeln hatte. So that er, wenn er einen Müßiggänger am Werktag sah oder eine laute Fröhlichkeit am Sonntag oder einen schönen Tanz der Weiber oder auch ein anmuthiges Frauenzimmer, das sein Angesicht nicht ehrbar genug verhüllt und die Augen nicht tief genug zu Boden geschlagen hielt. Denn er wußte, daß der Teufel am liebsten durch die Augen in das Herz der Männer fährt, und hielt sich strenge an das Wort: »Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen.« Darum trachtete er, die Lust an irdischer Schönheit zuvörderst in seinem eigenen Busen zu ersticken und auszurotten bis auf den allerletzten Keim. Im Gehen sah er nicht viel um sich, weder auf die Pracht des Himmels, noch auf das schmeichelnde Grün der Thäler, noch sonst auf ein Ding, das andere Menschen gern betrachten und in dem Anschauen die eigene Stimmung erhöhen. Seine Augen waren groß, ernsthaft und sehr ruhig, nur daß es zuweilen darinnen sich regte, wie wenn aus undurchsichtigem Wasser Blasen hastig aufgurgeln und wieder schwinden.

Als dieser Arsenios zum Priester seiner Gemeinde gesetzt wurde, empfahl ihm der Bischof, ein 99 Weib zu freien, wie es die Sitte erforderte, damit Niemand ein Aergerniß nähme. Er gehorchte, obzwar nicht ohne Bedenken, weil er jegliche Frau fürchtete um der Macht der Schönheit willen, die Gott dem Geschlechte verliehen hat, und bat den Bischof, selbst ihm ein Mädchen zu wählen nach seinem Gutdünken, wenn es aber sein könnte und geziemlich wäre, das armseligste und unansehnlichste im Orte.

Der geistliche Oberhirt, der ihn kannte und seine Meinung verstand, lobte ihn kräftig um seiner Verleugnung des Fleisches willen und fand ihm ein armes, junges Ding, des Namens Alexandra, kaum den Kinderschuhen entwachsen, bläßlich, mager, verschüchtert und eine Waise. Diese führte Arsenios zur Kirche, und sie schwuren, einander die Treue zu wahren, bis daß der Tod sie scheide.

Sobald aber die Einsegnung ergangen war, und er sein junges Gemahl in sein Haus geführt hatte, kehrte er noch einmal allein in die Kirche zurück, warf sich zur Erde vor seinem Gott und that insgeheim den andern Schwur, er wolle sein eheliches Weib drei Jahre hindurch als eine reine Braut bei sich halten und nicht eher, als bis er 100 solcher Art seine geistliche Sicherheit erprobt und gefestigt, dem Fleische geben, was des Fleisches ist. Also wies er der Gattin sogleich von Anfang eine gesonderte Kammer neben der seinen zu und hielt sie in allen Stücken ehrlich und mild wie eine junge Schwester.

Alexandra liebte und fürchtete ihren Herrn mit herzlicher Verehrung, der sie aus der Dürftigkeit erhöht hatte, und der ihr auch ohne das der schönste und herrlichste aller Männer schien. Sie forschte mit schüchternen Augen heimlich nach Allem, was ihm lieb war, und that darnach und diente ihm in Treuen.

So lebten sie mit einander freundlich wie in einem stillen Schattenthale, das die Sonne nicht sengt und der Sturm nicht durchwettert, in gleichmüthiger Arbeit und gedämpftem Glück.

Als aber etliche Monde ruhig dahingezogen waren, begann Alexandra's Wuchs und Antlitz sich sichtlich zu wandeln und aufzublühen, wie eine köstliche Frucht in Schutz und stiller Sonne reift von ihrer Herbheit zu schwellender Süße.

Und es geschah eines jungen Morgens, daß Arsenios aus seiner Kammer tretend unvermuthet 101 ihrer gewahr wurde, wie sie in der Frühsonne mit nackten Schultern am Brunnen saß und ihr glänzendes Haar strählte. Sie lächelte ihm entgegen in holder Heiterkeit, und der Sonnenschein blitzte freudig auf ihren weißen Zähnen.

Er aber fuhr betroffen zurück, warf ihr einen bösen Blick zu, und seine Stimme war rauh und herrisch wie nie zuvor, als er zu ihr sprach und befahl:

»Ich will, daß Du Deine Schultern und Deinen Nacken allezeit verhüllt tragest, auch vor mir, und vor Dein Gesicht sollst Du einen Schleier ziehen, wenn Du mich erwartest, denn es ziemt sich nicht für mich, daß irdische Schönheit meine Gedanken verwirre. Geh' und gehorche.«

Sie that ohne Zögern nach seinem Willen, jedoch verwunderte und bekümmerte es sie, daß er so heftig zu ihr redete, als ob sie ein Unrecht begangen habe. Zugleich aber gefiel ihr heimlich, daß er einer Schönheit erwähnt hatte, die an ihr sei, und als sie allein in ihrer Kammer war, streifte sie von Neuem das Kleid zurück, blickte seitwärts auf die Schulter hinab, strich mit den Fingern kindisch kosend darüber und freute sich, wie hell 102 glänzend die Haut sich unter ihrer Hand abhob, denn diese war braun gefärbt von der Sommersonne. Auch zog sie ihr Haar aufgelöst über die Brust, ließ es wellig durch die Finger gleiten und die Sonne über das herrliche Schwarz schimmern. Zuletzt aber seufzte sie und dachte: »Wie schade, daß er mich nicht ansehen will!«

Von diesem Tage an behandelte ihr Gatte sie nicht mehr brüderlich wie sonst, sondern hart und kalt; er vermied ihre Gesellschaft und nahm ein fremdes Wesen an, das ihr nicht begreiflich war. Des Nachts aber vernahm sie öfters durch die Wand mit stillem Schrecken, daß er auf seinem Lager sich herumwarf und ächzte wie in Schmerzen, und wie er zuletzt aufstand und laute Gebete sprach, deren Worte ihr wunderlich schienen und von dunklem Sinn, bis seine Stimme in Murmeln erstarb, oder sie selbst über ihren Sorgen einschlief.

Endlich eines Tages, da er milder zu blicken schien, faßte sie sich den Muth, ihn zu fragen, was ihn Nächtens quäle, und ob sie nichts zum Guten für ihn thun könne mit Heilkräutern und kühlenden Getränken. Er aber wies sie noch zorniger ab als sonst; in seinen Augen sprudelte es auf, daß sie sich 103 entsetzte, und er verschloß sich fortan nur noch finsterer vor ihr.

In der folgenden Nacht aber hörte sie ihn plötzlich aus seiner Kammer gehen in das Dunkel hinaus, bis er nach Stunden wiederkam und darnach einem schweren Schlafe zu erliegen schien. Und dasselbe geschah nun fast in jeder Nacht.

In einer hellen Mondnacht, da der Schlaf auch sie selber floh, ergriff sie die Begierde, ihm nachzueilen und ein wenig zu erforschen, was er draußen unter dem kühlen Himmel treibe. Da sah sie, daß er den Gipfel des Berges erklomm und über den Rand hinaus der Tiefe zu verschwand. Beklommen stieg auch sie langsam der Höhe entgegen und schaute von oben zagend hinab auf das Meer, das im vollen Mondlicht vor ihr erglänzte. Da sah sie, daß ihr Herr sich ins Wasser geworfen hatte und kräftig rudernd auf den Wellen schwamm; deutlich hob sich das Schwarz seines Haupthaares und der blinkende Glanz seiner Arme und seines Nackens aus dem Dunkel der Fluth.

Langsam beschwichtigte sie den Schrecken, der sie zuerst gebunden hielt; sie erkannte, daß seine Absicht gewißlich keine andere sei, als eine 104 Fiebergluth oder sonst ein inneres Quälen in der frischen Meerfluth zu kühlen.

Als sie nun beruhigter sich heimwärts wandte und zwischen den Oelbäumen hinabstieg, kam sie an eine Stelle, die sie gewiß schon oft genug betreten hatte, die ihr jedoch niemals zuvor in besonderer Weise merkwürdig erschienen war. Mitten in einem sehr dichten Gebüsch von wilden Myrten entspringt dort eine Quelle, deren Wasser in einem fast kreisrunden Becken zum Stehen kommt und keinen sichtbaren Abfluß nach unten hat, außer daß man an dem üppigen Reichthum der Pflanzen, welche sich von dort den Berg hinabziehen, den Weg erkennt, den das unterirdisch sickernde Wasser nimmt.

Indem Alexandra durch die Büsche schreitend den Rand dieses Beckens erreichte, blinkte ihr mit so plötzlicher Helle das Spiegelbild des Mondes entgegen, daß sie erschrak und in ihrem hurtigen Gange innehielt. Denn die Wasserfläche stand ungeregt wie festes Glas, weil die Myrten sie vor dem leisesten Hauch der Nachtluft schirmten, und der Mond stand in dieser Stunde fast gerade darüber.

Als sie sich nun neugierig darüber beugte, hauchte ihren erhitzten Wangen eine süße Kühlung entgegen; 105 sie schöpfte mit der hohlen Hand und netzte sich erquickt die Stirn und die Augen. Und wie sie die schmeichelnde Frische fühlte, legte sie den Schleier ab und die Jacke und kühlte auch die Arme und die Schultern.

Hiernach hielt sie sich eine Weile still und wartete, bis das ringelnde Wasser sich ganz wieder beruhigt hatte, daß sie ihr Antlitz darin spiegeln konnte. So bewunderte sie sich still und freute sich als ein spielendes Kind des heiteren Menschengesichtes, das ihr aus der schwarzen Tiefe entgegenlächelte, bräunlich glänzend in jener Farbe, welche tausendjähriger Marmor empfängt, und welche schöner ist als lauteres Gold.

Dann bekleidete sie sich und kehrte voll stillen Behagens lange vor dem Gatten in das Haus und ihre Kammer zurück.

Am andern Tage aber, als Arsenios sie wie sonst nur mit abwehrenden Augen ansah, regte es sich in ihrem Herzen wie ein Zorn, und freiwillig verhüllte sie mit trotziger Geberde ihr Antlitz tiefer noch, als sie gewohnt war.

Doch wie die heißen Stunden kamen, empfand sie eine neue innere Gluth und eine Sehnsucht, sich 106 zu kühlen und ihre Züge auch der Sonne zu enthüllen und den Lüften des lichten Tages. Darum schlich sie zur Mittagszeit an die Myrtenquelle, ohne daß Arsenios es wußte, und es war das erste Mal, daß sie etwas mit vorwissender Absicht heimlich vor ihrem Herrn that.

Die Quelle schien zu dieser Stunde noch ungeregter als zur Nacht und gab das Spiegelbild reiner und fester zurück. Alexandra that wiederum Schleier und Jacke von sich und auch das Mieder und beugte sich so lieblich entblößt über den leuchtenden Spiegel. Da sah sie all' ihre frisch erblühte Schönheit, das Angesicht zusammt den Schultern und dem reinen Busen aus der Tiefe widerglänzend, und weil es ihr war, als sähe sie nicht ihr eigenes, sondern ein ganz fremdes Bild, wagte sie dasselbe mit freien Augen anzuschauen, und ein Schauer schwülen Entzückens ging durch ihren Leib.

Indem sie sich in langer Freude also bestaunte, wogte auf einmal ein heftigeres Rauschen durch die Büsche, welche tief im Schatten ihr gegenüber als eine dunkle Wand geschlossenen Grüns sich wirrten; fast als ob etwas Lebendiges dahinter sich regte. Das durchzitterte sie mit einem gewaltsamen Schreck, denn 107 es kam ihr der Gedanke, es könne von dorther das Auge eines Menschen auf ihre geheime Schönheit blicken.

Sobald sich jedoch solche Furcht ein wenig beruhigt hatte, stieg ihr im Herzen mit allem Zagen zugleich ein geheimes Wünschen auf, es möchte ihr strenger Gatte gekommen sein und aus jenem geheimnißvollen Dunkel sie belauschen.

Da sich aber fürder nichts regte als der flüsternde Mittagswind, lehnte sie sich müde zurück in das Moos, das Haupt auf beide Hände gestützt, und ließ in stillwonnigem Träumen den Wind über die weichen Wellen ihres Leibes spielen. Ihre Träume aber gingen um keinen andern Mann als um den, der ihren Reiz, dessen er Meister sein konnte, in herber Abkehr verschmähte.

Als sie an diesem Tage nach Hause zurückkehrte, da war es, als sei eine geheime Weihe über sie gekommen, seit sie ihr Auge mit vollem Erkennen an dem Glanz ihres eigenen Bildes geweidet. Ihr Gang war größer und freier, ihre Haltung stolz und ihre Geberden von ruhiger Weichheit, das Haupt aber trug sie dennoch leise gesenkt, als sie ihrem Gatten entgegentrat, und als sie mit neuer 108 Kühnheit den Schleier ein wenig zurückschob, lag auf ihren Zügen eine fremde Lieblichkeit.

Und als sie nun mit zart verlangendem Blick sein Auge suchte, da traf sie sein Auge mit einem irren Blick voll Haß und Schauder, daß sie vor ihm erbebte wie vor einem Richter, der ihr strafend ins Herz zu schauen vermöchte, und doch las sie in demselben Blick wie ein fernes Schimmern noch etwas Anderes, das sie nicht verstand, und das ihr den Mann fremd erscheinen ließ und fast schrecklich. Sie empfand aber zugleich ein Verlangen, zu seinen Füßen hinzusinken und ihn anzuflehen um ein einziges gütiges Wort.

Da wandte er sich hastig um, breitete die Arme aus in Kreuzform vor einem Gottesbild, das an der Wand hing, und hub an brünstig zu beten mit einer Stimme, die mehr einem verzweifelten Drohen glich, als einem gottesfürchtigen Flehen.

Alexandra ward nun sehr traurig und vermochte keine Freude mehr an ihrer Schönheit zu haben. Sie ging auch an den folgenden Tagen nicht mehr zu dem Wasser, sich zu spiegeln, sondern verharrte in dumpfem Sehnen in ihrer Kammer.

Eines Abends aber, ehe die Sonne niederging, 109 trieb es sie hinaus mit heimlichen Aengsten, sie wußte nicht wohin, und sie kam auf die Höhe des Berges und spähte aufs öde Meer hinaus, als müsse aus nebliger Ferne dort das Glück ihr kommen, nach welchem ihre Seele in dunkler Tiefe bitterlich verlangte. Allein es kam nicht einmal ein Segel über das öde Meer. Nur die kahlen Klippen ragten versprengt aus dem Wasser, als ob sie ertrinkend um ihr Leben kämpften, und die Wogen kamen unablässig und nagten schäumend daran.

Alexandra brach in Thränen aus und begann ihren Herrn im Herzen zu hassen, doch mit jenem trotzigen Haß, der noch nachbarlich eng bei der Liebe wohnt.

Einige Tage nach diesem ward ein Tanz gefeiert auf dem ebenen Platz vor der Kirche. Eine Schar Mädchen stand aufgereiht hintereinander; Jede hielt ein buntes Tuch in der Hand, das die Andere faßte, und indem sie sich langsam mit sanft hüpfenden Schritten vorwärts wiegten, tanzten sie schön, still und feierlich, und die weißen Kopfschleier wehten leise im Winde hinter ihnen her. Alexandra gesellte sich zu ihnen, und ihre Schönheit leuchtete vor allen Andern.

110 Unter den Männern, welche seitab lehnend dem Tanze zuschauten, bemerkte sie einen fremden Jüngling, dessen schwarzes Auge unverwandt an ihrer Gestalt haftete. Sie fühlte seinen Blick, auch wie sie ihn nicht ansah, und erschauerte leise unter demselben. Und bald war es ihr, als ob eine fremde Gewalt sie zwinge, den Menschen wieder anzuschauen, der sie mit so offener Bewunderung betrachtete. Sie sah nun auch, was sie nicht sehen wollte, daß sein Gesicht von seltener Schönheit war, zart und von jugendlicher Frische; wenig Bart noch kräuselte sich um seine Lippen und sein gerundetes Kinn, das Haupthaar aber hing ihm sehr weich und in Strähnen an den Schläfen tief hernieder, und das gab ihm ein müdes und träumerisches Aussehen, nur daß seine Augen immerfort von einem still begehrlichen Feuer strahlten.

Alexandra begann sich zu fürchten vor diesen Augen, und nach einer Weile trat sie scheu aus der tanzenden Reihe zurück und zog hastig den Schleier vor ihr Antlitz. Mit neuem Schrecken aber meinte sie zu empfinden, daß jener begehrliche Blick auch den Schleier zu durchdringen und all' ihre Schönheit freudig flammend zu umfassen vermöge.

111 Da seufzte sie tief auf und dachte: »Warum hat mein Herr mich nie mit solchen Blicken angesehen?«

Dann befragte sie zaghaft eine Nachbarin um den Fremden und erfuhr, es sei Jason Kabasilas, ein Herr aus der Stadt von den Vornehmen, der sich zur Zeit unten im nahen Roppathale mit der Schnepfenjagd in den Sümpfen vergnüge. Da beschloß sie, den Menschen und seine Seltsamkeit zu vergessen.

Als sie nun nach Hause kam, wandelte sie eine Lust an, ihrem Herrn diese Sache zu berichten, damit er merke, wie sie von andern Männern der Bewunderung und des Verlangens wohl werth gehalten werde. Doch indem sie den Mund zum offnen Reden aufthun wollte, versagte ihr die Stimme in einer sonderbaren Angst, als ob es eine eigene Sünde sei, die sie zu beichten sich anschicke, oder als müsse ein schweres Unheil daraus entstehen.

Mit dieser Angst aber wuchs gleichmäßig die Begierde, sich ihres Sieges zu rühmen und seine Beachtung mit Gewalt herauszufordern, und sie kämpfte mehrere Tage lang, zwischen Scheu und Stolz schwankend, mit sich selber. So kam es, daß 112 sie den Willen, jenen Vornehmen zu vergessen, nicht ins Werk setzen konnte, sondern alle Tage blieben ihre Gedanken an der quälenden Erinnerung haften, und des Nachts standen die verlangenden Augen über ihr gleich zwei funkelnden Sternen.

Zuletzt aber, da sie dieser langen Qual müde ward, begann sie einen trotzigen Haß auf den Menschen zu werfen, der sich ungerufen in ihren Frieden drängte. Und der andere Haß, den sie zuvor gegen ihren Herrn getragen, schwand nun ganz aus ihrem Herzen; sie ward wieder freundlich gegen ihn und still wie im ersten Anfang und ließ sich seine abgekehrte Weise ohne Wünsche gefallen, machte auch keinen Versuch mehr, ihm anders zu gefallen, als seine Strenge es von ihr forderte.

So gingen sie eine Zeit lang gleichmüthig neben einander hin.

Da geschah es eines Tages, daß Alexandra einsam durch das Dorf schritt, das um diese Stunde ganz menschenleer war, weil Männer und Weiber draußen ihrer Arbeit nachgingen, und im Wandeln vernahm sie dicht neben sich das klägliche Schreien eines Kindes. Sie blickte um und gewahrte durch die offene Thür eines Hauses einen Säugling in 113 seiner Wiege ohne seine Mutter oder Pflegerin. Sie erkannte, daß ohne Zweifel die Mutter um irgend einer Arbeit willen das Kind habe allein lassen müssen, trat mitleidig hinzu und nahm das Geschöpfchen empor, um es zu beruhigen. Es schrie aber nur heftiger und tastete mit den winzigen Händen zappelnd nach ihrer Brust, wie es gewohnt war, dort seine Nahrung zu suchen. Das junge Weib ward von einem süßen Schreck durchbebt, und in der traulichen Einsamkeit der Gasse vermochte sie nicht, zu widerstehen, öffnete das Mieder und legte das Würmchen schnell an ihren warmen Busen, als ob es an den jungfräulichen Brüsten seinen Hunger stillen könnte.

Als sie so mit seligem Lächeln eine Weile gestanden hatte, vernahm sie plötzlich nicht fern einen Laut aus eines Menschen Munde, halb wie einen Seufzer, halb wie einen Ruf des Entzückens.

Und als sie zusammenschreckend aufsah, erkannte sie in der Thür des gegenüberliegenden Hauses das Antlitz jenes gehaßten Jason, der ganz in heißes Schauen versunken war.

Bei seinem Anblick faßte es sie an wie das Wehen eines schweren Schicksals, zitternd riß sie 114 das Kleid über die Blöße ihres Leibes und warf dem Jüngling einen jähen Blick hinüber voll Zorn und Haß und heftigem Schauder. Im selben Augenblick aber empfand sie mit schleichendem Grauen, daß mit ganz demselben Drohen der Augen sie einst ihr Herr zurückgewiesen, da er zum erstenmal ihre unvermuthete Schönheit sah. Sie wußte nicht, warum ihr solche Gleichheit Grauen erweckte, aber sie vermochte desselben doch nicht ledig zu werden und begann sich heimlich vor sich selber zu fürchten.

Noch stand sie wie gebannt unter seinem trunkenen Blick, und je länger sie verharrte, desto schwerer umfing sie eine wollüstig schmerzende Beklommenheit. Ihr war, als habe der kühne Jüngling mit seinem Blick festen Besitz genommen von der geheimen Schönheit ihres Leibes, die ihrem Gatten nicht gehörte, weil er sie zu sehen verschmäht, und als sei sie nun auf ewig rettungslos unter die Macht dieses Fremden gebannt, wie sehr auch ihre Seele sich wehrte und angstvoll aufzuckte wider den Zwang.

Endlich vermochte sie doch den Fuß zur Flucht zu heben, trat in das Haus zurück und legte den Säugling in seine Wiege. Doch als sie sich wieder umwandte, verfinsterte sich der Eingang, und Jason 115 drang mit glühenden Wangen herein, warf sich nieder, umklammerte ihre Kniee, stammelte wirre Worte hingerissener Leidenschaft.

»Verschmähe mich,« rief er, als sie wie versteinert schwieg, »verstoße mich, laß mich sterben – aber laß mich sterben im Anblick Deiner Schönheit, die ein gnädiger Gott mir wider Verhoffen offenbart hat!«

Dabei ergriff er ihre schlaff herabhängenden Hände und bedeckte sie beide mit einer Fluth der heftigsten Küsse. Doch als er nun kühner aufsprang und sie ganz in seine Arme schließen wollte, erwachte in ihr eine letzte Kraft zum Widerstande; sie riß sich von ihm mit einem Blick ohnmächtigen Entsetzens und vermochte zu entweichen.

Als sie nach Hause kam, verschloß sie sich in ihre Kammer und ließ sich an diesem Abende vor ihrem Gatten nicht mehr sehen. Nachdem sie aber die ganze Nacht in Qualen unsäglicher Angst verbracht hatte, versuchte sie noch einmal sich ihrem Gatten anzuvertrauen; doch auch diesmal wagte sie es nicht, denn sie dachte: »wenn er vor dem eigenen Erblicken dieser meiner Schönheit sich so sehr entsetzet, wie würde er es ertragen, daß ein Anderer mich so gesehen hat!«

116 Sie diente ihm jedoch an diesem Morgen eifriger als sonst und strebte, ihm allerhand Liebes zu thun und ihm Ehrfurcht zu bezeigen; als sie aber nach der Morgenandacht ihm die Hand küssen wollte, wie sie zu thun gewöhnt war, wenn sie in ihm den Priester ehrte, fühlte sie es wie eine Kühle heranwehen, und sie gewann es nicht über sich, diese Hand auch nur mit dem Rande der Lippen zu streifen. Sie gedachte der Küsse des Jason, und ein süßer Schwindel wallte durch ihr Hirn. Da wußte sie, daß sie der Sünde verloren war, und daß ihr Verlangen von ihrem eignen Manne abgewendet sei hinüber zu einem fremden; denn es gab für sie in diesem Augenblicke keinen süßeren Wunsch als die schönen flehenden Hände des Jason zwischen den ihren zu halten und ihre Lippen daraus zu drücken.

Da ließ sie die Hand des Priesters mit einer Heftigkeit fallen, daß er voll Verwunderung fragend zu ihr niederblickte. Sie aber schlug die Augen nieder, erblaßte und schwieg.

Von dieser Stunde an ward Arsenios von einer Unruhe ergriffen und erschien seltsam verwandelt. Wie er es sonst vermieden hatte, sein Weib 117 anzusehen, so suchte er jetzt mit heimlicher Stetigkeit ihre Augen, und es stand wie ein Flehen und Dringen in seinen Blicken. Alexandra fühlte wohl sein neues Gebahren, so schüchtern es war; doch was ihr vor Kurzem die seligste Wonne gewesen wäre, scheuchte sie nun zurück wie ein kühles Wasser den erhitzten Fuß. Des Mannes Unruhe aber wuchs mit ihrer Abkehr, und sein Verlangen nach ihren Augen ward sichtlicher.

Da gab ihr ihre Scheu eine seltsame Keckheit ein: unvermerkt ließ sie ihr Tuch ganz zurückgleiten, neigte den Kopf wie sinnend zurück und gab ihm die reizenden Linien ihres Halses frei. Und was sie geahnt hatte, geschah; Arsenios schrak zusammen bei dem allzuholden Anblick, besann sich auf sich selbst, bändigte sich und zog sich in alter Herbheit auf sich selbst zurück.

Jason Kabasilas aber wagte es und trat an diesem Abend in das Haus des Priesters, ihn um ein Obdach für die Nacht zu bitten. Arsenios empfing den unbekannten Gast, wie es seine Pflicht war, und bewirthete ihn.

Als nun Alexandra auf sein Gebot das Huhn hereintrug und Brot und Wein, saß Jason heiter 118 an dem Tische, und seine zwei Jagdhunde lagen neben ihm. Sie war verschleiert bis auf die Augen, aber wiederum schienen ihr seine begeisterten Blicke durch jede Hülle hindurchzudringen. Wie sie das Geräth aufsetzte, verstand er es einzurichten, daß er leise ihre Hand berührte, und als sie den sanften Druck fühlte, rann es ihr jäh durch die Adern bis zum Herzen wie süßes, lebendiges Feuer.

Da raffte sie sich auf, deckte die Hand hastig über den Busen, als müsse sie ihn schützen vor seinem Anschauen, und warf ihm einen heimlichen Blick hinüber, der nichts zeigen sollte als Haß und Abscheu. Es ward aber dennoch kein anderer Blick als gestern, gemischt aus Trotz und Furcht und schmerzlichem Schauder.

Arsenios aber, der gegenüber am Tische saß, ward dieses raschen Blickes gewahr, und wie sie selber am Tage zuvor, empfand auch er erinnernd, daß er sonst mit dem gleichen Ausdruck die Schönheit seines Weibes zurückgewiesen hatte.

Und er erbebte bis ins Mark; in seinen Augen sprudelte es auf, und sie hafteten mit entsetzter Frage auf ihrem Antlitz.

Alexandra vermochte es, ruhig hinauszugehen, 119 und die beiden Männer blieben in beklommenem Schweigen zurück; Arsenios sprach nun kein Wort mehr zu dem Gaste, außer daß er die Pflichten des Wirthes erfüllte, bis er ihm zu seinem Lager leuchtete. Und auch der Jüngling schwieg, von schwerem Bangen erschüttert, obgleich er nicht wußte, was geschehen war.

Alexandra aber floh aus dem Hause und wanderte rastlos umhergetrieben in der dunklen Nacht unter den Oelbäumen umher; wenn sie rasten wollte, war es ihr, als vernehme sie dicht neben sich das Heulen von Hunden, und sie sprang auf und flüchtete wie ein Wild, doch je länger sie umherirrte, desto gräßlicher klang aus dem Schweigen das Geheul hinter ihr, als ob eine Meute sie verfolge. Endlich schrie sie laut gellend auf; da war urplötzlich eine unendliche Stille um sie her, doch dies Verstummen dünkte sie fürchterlicher noch als zuvor das Getöse.

Sie ertrug es nicht mehr, sie eilte in das Haus zurück, und, was sie nie noch gethan, sie drang in die Kammer ihres Gemahls und warf sich weinend vor seine Füße; denn sie fand ihn angekleidet beim Schein seiner Lampe auf seinem Bette sitzend und finster vor sich niederstarrend. Mit flehender Stimme rief sie:

120 »Rette mich! Rette mich vor der Schönheit dieses Menschen und vor seinen Augen; sie versengen meine Brust; ich bin verloren, wenn Du mich nicht rettest!«

Sie wagte nicht aufzublicken, und sie sah nicht, wie schrecklich sich das Antlitz des Mannes bei ihren Worten verfärbte und entstellte. Und weil er wie versteinert schwieg und weder Hand noch Haupt bewegte, so meinte sie, ihre Angst bekümmere ihn nicht sonderlich, und er verharre nur in seiner alten Kühle; da riß sie mit einem wilden Ruck das Kleid von ihrem Halse und ihren Schultern, öffnete den heißwogenden Busen seinen Blicken und rief:

»Sieh' her, diese Schönheit, die Du verschmäht und verabscheut hast, Jener hat sie so geschaut, wie Du sie jetzt schaust; diesen Busen hat er mit seinen Blicken belauschend genossen und hat auch mein Herz vergiftet mit seinem Schauen. Ich kann ihm nicht widerstehen, denn er hat meinen Leib sich zu eigen genommen mit seinen begehrenden Blicken. Rette mich vor seiner Begierde, wenn Du kannst!«

Arsenios starrte mit brennenden Augen auf den enthüllten Reiz des jungen Weibes und stöhnte, als habe er eine Todeswunde empfangen. Nach 121 einem unendlichen Schweigen sagte er plötzlich kalt und hart und mit kühlen Blicken:

»Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen. Und ein Weib, das seiner begehren läßt, hat schon die Ehe gebrochen. Harre Du nun meiner hier an dieser Stelle auf Deinen Knieen, bis ich wiederkehre und Dir Rettung bringe.«

Nach diesen Worten erhob er sich und schritt in trüber Gelassenheit der Thüre zu.

Alexandra aber rief ihm angstvoll nach, ohne von ihren Knieen aufzustehen:

»Und wenn inzwischen Jener kommt, mich zu bestürmen, was soll ich thun? Wie soll ich mich verbergen?«

Arsenios erwiderte mit einem ruhigen und fast traurigen Tone:

»Jener Mann wird nicht kommen, ich schwöre es Dir, und wenn er Dich wiedersieht, werden seine Blicke Deine Schönheit nicht mehr gefährden.«

So ließ er sie in bitterem Zagen zurück. Getreu seinem Gebot blieb sie auf ihren Knieen liegen wie eine Büßende, auch als im langen Harren die Glieder sie heftig schmerzten; denn es verging eine Stunde und zwei, bis er wiederkam.

122 Zu Anfang, als er von ihr ging, hörte sie ihn das Haus durchschreiten, und sie ahnte mit Entsetzen, daß er nach dem Gemache seines Gastes gehe. Doch dieses lag von dem seinigen entfernt, und sie vernahm nichts weiter, als daß er nach einiger Zeit mit schwerem Fuß auftretend, als ob sein mächtiger Körper eine sehr große Last trüge, zurückkam und sogleich das Haus verließ.

So harrte die Unselige einsam ihres Schicksals; kein Ton drang mehr an ihr banges Ohr durch die nächtliche Stille, und ihr Auge sah nicht, wie am Himmel die Sterne langsam ihre Bahn weiter zogen.

Sie erschrak auch nicht, als sie endlich die Schritte des Arsenios vernahm, und gehorchte schweigend seinem Befehl, sich jetzt zu erheben. Sein Gesicht war bleich und still, nur seine Augen wühlten zuckend in ihren Höhlen. Er nahm sie bei der Hand, und sie folgte ihm in zitternder Ergebung, denn sie wußte nicht, ob er Gutes oder Böses mit ihr im Sinne habe, und er zog sie mit sich in die Kirche und drückte sie dort abermals auf die Kniee nieder vor dem blutigen Bilde des gekreuzigten Heilands. Er besprengte sie mit Weihwasser und sprach traurige 123 Gebete über ihr; seine Stimme aber klang, wie wenn man eine zersprungene Glocke läutet. Und als sie in der Verwirrung ihrer Seele hastig aufzublicken wagte, sah sie seine Gestalt im Dämmerschein der ewigen Lampe vor sich stehen, riesig wie einen Schatten, und die weiten Aermel des schwarzen Gewandes hoben sich auf gleich den Fittigen eines schrecklichen Vogels.

Dann schritten sie mit einander in die freie Nacht hinaus. Der Himmel war mondlos und nebelüberdeckt; nur wenige Sterne schimmerten matt durch das lockere Laubdach der Oelbäume.

Wie sie auf den steinigen Gipfel kamen, der baumlos ist, drang das traurige Dröhnen des Meeres zu ihnen herauf wie ein Geläute von hundert Glocken in unendlicher Ferne; doch sie sahen nichts als den gestaltlosen Abgrund.

Alexandra brach hier zusammen, so sehr hatte das Grauen ihre Kraft zerbrochen. Da hob ihr Herr sie auf seinen Arm wie ein Kind oder ein Opferthier, und ihr Haupt hing schwer über seine Schulter. So trug er sie den schmalen Pfad hinab, der zum Meere niederführt.

Sie erwachte aus ihrem fühllosen Brüten, da 124 sie über sich ein Rauschen vernahm; sie blickte auf und erkannte auch im Dunkel das breite Schirmdach der beiden uralten Oelbäume über dem Wasser. Arsenios legte sie sanft auf den Boden nieder, und wieder vernahm sie einen andern Ton, der auch von dem dunkeln Stamm des einen Baumes herkam, ein Stöhnen und Knirschen und Zischen wie aus dem Munde eines Menschen, der mit Schmerzen ringt oder sich gegen zwängende Bande wehrt; wenn es nicht die gespenstische Stimme der Dryade war.

Dem jungen Weibe wollte vor Grausen das Blut erstarren; da fühlte sie, wie die starke Hand ihres Gatten fest ihre beiden Füße erfaßte und mit einem Seile raschen Griffes aneinanderschnürte. Und ehe sie daran dachte, sich gewaltsam zu sträuben, streifte er der Wehrlosen andere Fesseln über jedes ihrer Handgelenke, warf die Enden dieser beiden Stricke über die unteren Aeste des einen der Bäume und zog die aufjammernde Unglückliche an dem Stamme in die Höhe und befestigte ihre Glieder so an demselben, daß sie mit ausgespreiteten Armen als eine Gekreuzigte an dem Holze hing.

Und als er dies vollbracht hatte, schnitt und 125 zerrte er ihr alles Gewand herab, bis sie entblößt dahing, und sprach:

»So sei der sündige Reiz Deines Leibes preisgegeben den Blicken der Sterne und des Meeres und des Morgenroths und jenes Mannes, dem er zum Verderben geworden wie Dir selber gleichermaßen. Wenn die Sonne heraufzieht, soll bei Eurem Tode unverschleiert zur Buße vor Euch stehen, was der Ursprung Eures Todes geworden ist.«

Nach dieser grausamen Rede, die er mit müder, verhüllter Stimme sprach, warf er sich nieder zwischen den beiden Bäumen, dem Meere zugewendet, und begann lauten, schrecklichen Tones für das Heil ihrer Seele zu beten.

So lag er, so lange die Nacht noch währte, und das leise Wimmern der Gekreuzigten mischte sich jammervoll mit seinem Gebet.

Und als nun das Licht des jungen Morgens langsam über das Meer quoll und das weite Felsgestade sich aufthat in der schauerlichen Pracht, das Meer in seiner Bläue erglänzte und ein Windhauch erfrischend durch die Zweige der beiden Bäume strich, da hob die Sterbensmatte in stummem Flehen 126 die Augen auf: und siehe, an dem andern Stamm hing gleich ihr gekreuzigt die schlanke Gestalt des jugendschönen Mannes, welcher ihres Leibes begehrt hatte und den enthüllten Reiz nun sterbend vor seinen sterbenden Blicken sah.

Da glitt ein leuchtender Schein über der Beiden verblassende Züge, wie wenn die Abendsonne ihre letzten Strahlen über ein Schneefeld gießt, und ein leises Glück beruhigten Verlangens verklärte ihre Schönheit fast über das Irdische hinaus.

So nahmen sie in gesänftigtem Jammer Abschied von einander mit schweigendem Liebesgruß.

Als aber Arsenios die Augen aufhob und sah, wie ihre Schönheit sich wechselseitig im Tode noch mit Freuden grüßte, gab er einen Schrei von sich wie ein Thier, dem der Speer die Brust durchbohrt, sprang einem Sinnlosen gleich von der Erde auf, raffte einen schweren Stein empor, schmetterte ihn auf des Jünglings Haupt und schlug ihn also zu Tode.

Und nachdem er diesen Mord gethan, warf er sich vor dem gekreuzigten Weibe nieder, ihre gefesselten Füße küssend und mit seinen Thränen benetzend, und rief mit inbrünstiger Klage:

127 »Mein Weib! Mein Weib! Mein bist Du, mein sollst Du werden und bleiben!«

Er löste mit hastigen Fingern die Bande ihrer Füße und richtete sich schnell zu seiner mächtigen Höhe vor ihr auf, sie ganz zu befreien. Und als er die zarte Gestalt in der Fülle ihrer Schönheit so nahe vor sich sah, umfaßte er sie zum erstenmal und küßte ihre Lippen mit selbstvergessener Leidenschaft.

Im selben Augenblick aber sank ihr Haupt schlaff auf die Brust herab, und als er es zärtlich aufrichten wollte, sah er, daß ihr Auge im Tode gebrochen war.

Er aber fiel jählings zwischen seinen beiden Todten nieder in das Gras, barg die Stirn und stöhnte:

»Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen. Wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat auch schon sein Gelübde gebrochen. Gott sei mir Mörder gnädig!« . . . .

Und er stand auf und verließ das einsame Gestade. Von der Höhe des Berges streckte er segnend beide Hände über die Tiefe aus, und dann wanderte 128 er durch das blühende Gefilde hinab zur Stadt Korfu, sich selbst als einen Mörder den Gerichten zu übergeben.

Arsenios, der Priester, ward aber als Lästerer des sterbenden Heilandes auf dem Scheiterhaufen gerichtet.

 


 


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