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Ein Schrei.

1856.

Es gibt Geldsorten, die der Staat für werthlos erklärt, die der Einzelne als falsch erkennt und die dessenungeachtet fortwährend von Hand zu Hand gehn; man hat sich eben an sie gewöhnt, sie bequem gefunden und nimmt sie ruhig an und gibt sie ebenso wieder aus. Da indessen der Geldwerth ein mehr oder minder imaginärer und konventioneller ist und die betreffenden Stücke auch grade nicht in großer Anzahl vorhanden zu sein pflegen, so ist die Sache einestheils ziemlich gleichgültig, andrerseits würde der Verlust auch im schlimmsten Fall ein nur geringer sein. Anders ist es aber mit hunderterlei Meinungen, Vorurtheilen und – Axiomen, die ganz ähnlich kursiren, vor der Vernunft nicht bestehen können und von der Erfahrung widerlegt werden und dennoch mit einer wahrhaft lächerlichen Pietät kultivirt, dennoch von Einem dem Andern aufs gedankenloseste nachgeschwatzt und nachgeglaubt werden. Es ist einmal so angenommen! – Es ist so bequem, wenn man nicht eigene oder gar neue, sondern nur die alten Gedanken zu denken braucht!

Nirgends hat sich dies begreiflicherweise klarer und bestimmter gezeigt, als auf dem Felde, welches für den menschlichen Geist am schwersten zu erfassen und zu durchdringen ist auf Erden – ich meine bei der Beurtheilung des innern Menschen, in der Psychologie und Physiognomik. Ich will von der Entwürdigung schweigen, die man dem gottentstammten freien Menschengeiste, der Menschenseele angedeihen läßt, wenn man diesen unendlichen, diesen mannigfaltigsten, diesen edelsten Stoff über die natürlichen Schranken des menschlichen und Erdendaseins hinaus wie Thon und Letten in eine Form zu kneten, in Schemata, in von armseligen Köpfen ausgeheckte noch armseligere Regeln zu sperren sich erkühnt. Ich habe es hier nur mit der charmanten Kunst zu thun, die dem Menschen an der Nase ansehen will, was er im Innern nicht nur gewesen und noch ist, sondern sogar was er all sein Lebtage sein und werden wird. Wenn man schlösse: wer Tag ein und aus brummt, tobt und finster ist, der wird am Ende auch überall nicht mit solchen Augen dich ansehn, wie einer, der stets lächelt und heiter dreinschaut, – so möchte das etwas für sich haben. Aber man schließt im Gegentheil: wer finstere Augen hat, der ist auch finster, der ist böse, der ist gefährlich, der ist grausam, ein Ungeheuer und Gott weiß was noch. Und man gehe nur einmal in die Welt und beobachte selbständig und redlich! Wie viele findet man schlaff, kalt, glatt – und sie sind dennoch der größten Erregung, der höchsten Energie fähig! Und wie viele scheinen schon ein Dutzend Menschen verspeist zu haben und das zweite Dutzend verspeisen zu wollen – und sind innerlich sanft wie Lämmer und traitabel wie ein Handschuh!– Und wie viele sehn aus, als ob sie keine Freude kennten – und sind bei Gelegenheit die Fröhlichsten! – Und wie viele schauen sanft darein wie Engel und sind im Grunde die rauhsten, widerwärtigsten Gesellen!

Ich habe einen Mann gesehen, der Raubmorde, der Brandstiftungen, kurz alles auf dem Gewissen hatte, was man als das Böseste von einem Menschen sagen kann. Und dennoch hatte er das humanste Gesicht von der Welt, als ob er kein Wasser trüben könne, und es war nichts von Heuchelei oder Falschheit in seinem Blick. Einen andern habe ich gekannt, der das häßlichste Gesicht – eine wahre Galgenphysiognomie hatte, ohne einen einzigen angenehmen Zug, und nach seinem Tode sagte seine Frau: er habe ihr nichts als Glück und Segen gegeben sein Leben lang, und sie starb vor Gram über seinen Verlust. Und so könnte ich euch Beispiele über Beispiele anführen. Ich will euch aber lieber eine Geschichte erzählen von einem Menschen, dem man auch nicht ansah, was er gewesen.

Den größten Theil meiner Lebenszeit habe ich an der See zugebracht und es sind Jahre dabei, in denen ich mehr im Boot auf dem Wasser als auf dem Lande lebte. Und da mich von jeher die Menschen in der Natur mindestens ebensoviel, wo nicht mehr als diese letztere selbst interessirten, so verkehrte ich auch mit den Seeleuten, mit Fischern, Schiffern und Matrosen, und suchte sie auf, wo sie zu finden sind, auf der See in ihren Fahrzeugen, am Lande in ihren Wohnungen, in den Schenken, auf den Werften und Hafenplätzen. Ich könnte eben nicht sagen, daß ich dies bereute oder mich ungern dran erinnerte; im Ganzen war mein Vertrauen und meine Offenheit bei Leuten dieses Schlages weniger weggeworfen und ward weniger getäuscht als in den gebildeten Kreisen des täglichen Umgangs. Rohheit findet sich dort nicht nur nicht häufiger, sondern viel seltener als in den höheren Sphären, das heißt Herzens-Rohheit, was denn allerdings etwas andres als ein frischer, dreister Lebensgenuß und derbe, rauhe Lebensform ist. Im Gegentheil habe ich nirgends mehr Achtung vor wirklichem Unglück, nirgends mehr wahrhafte Theilnahme, Barmherzigkeit, ächte Herzensgutmüthigkeit und Milde gefunden als bei den verrufenen Matrosen und Schiffern. Was thut die rauhe Schale dem edlen Kern? – Herzen und Köpfe in Sammet und Seide geboren und erzogen, Hände in Glacéhandschuhen und Füße in Glanzstiefelchen muß man freilich nicht bei ihnen erwarten, und auch keine Lebensanschauung verlangen wie unsere spitzfindige oder blasirte. Sie haben zwar um nichts bessere oder schlechtere oder andere Augen, nur daß sie mit diesen selbst sehn und nicht wie wir durch Brille oder Lorgnette. Das macht viel aus.

Zwischen manchen andern Gesellen lernte ich damals auch einen Menschen kennen, der zu den eigenthümlichsten gehört, die mir je zu Gesicht gekommen.

Zuerst fanden wir uns, indem ich zufällig neben dem Werft stand, wo eben eine neue große Bark von Stapel laufen sollte. Rings umher bewunderte man das saubere Schiff, freute sich seines tüchtigen, starken und dabei doch schlanken Baus und prophezeite Wunderdinge von seiner Schnelligkeit. »Und ich sage, es ist jammer und schade,« bemerkte ein alter, grauhaariger Bursch nahe vor mir, und schlug dabei bekräftigend gegen seine Lende, »ja, jammer und schade ist's, daß das saubere Fahrzeug sich nur mit Korn und solchem Kram schleppen soll. Der müßte seine zwanzig Brummer im Bauch haben. Dann sollte uns der Däne da draußen nicht mehr lange auf der Nase tanzen! Es ist 'n rechter Flieger, so ein rechter Allerweltsfeind; es nähm's mit einem Baltimore-Schoner auf. Das würd' eine Jagd!« Es war zur Zeit des traurigen Krieges mit Dänemark, alle Welt schrie nach einer Kriegsflotte bei Tage und träumte von ihr zur Nacht, und natürlich in den Seestädten noch mehr als anderwärts. Denn da draußen lag ein kleines armseliges unbedeutendes Kriegsschiff und lähmte doch den ganzen Handel der reichen, thätigen, mächtigen Stadt.

Arm an Arm mit mir stand ein nur mittelgroßer, aber breiter und gedrungener Mann von vielleicht fünfzig bis sechzig Jahren, mit braunem, aber ziemlich wohl konservirtem Gesicht und dichtem grauem Haar, das glatt und ordentlich unter dem gutgebürsteten Hut hervortrat. Er hatte den letztern auf die zwar nicht wohl zu beschreibende, aber ganz charakteristische Weise aufgesetzt, welche den Träger fast mit untrüglicher Gewißheit als einen Schiffer erkennen läßt. Und um meinen Schluß noch sicherer zu machen, stand er auch so breitbeinig, wie man es durch ein langes Leben auf Schiffen zu lernen genöthigt ist. Bisher war er ein stummer Zuschauer des Schauspiels gewesen; sein Auge – denn er sah nur mit dem linken, während das rechte durch eine schwarze Binde verdeckt war, – sein Auge sah ruhig, um nicht zu sagen gleichgültig auf die Bark auf dem Stapel, auf die Flut drunten oder auf die Menschenmenge umher, und seine Hände ruhten lässig in den Seitentaschen des langen, dunkelfarbigen, überaus sauberen Rocks. Nur einmal, wie die Reden über den schmucken Bau des »Fliegers« grade im vollsten Gange waren und ich zufällig nach einem lebhaft Sprechenden mich umsah, bemerkte ich, daß mein Nachbar die Hand aus der Tasche gezogen und sich mit dem Vorfinger unter der Nase scheuerte, als wolle er das leise, aber spöttische Lächeln vollends wegwischen, das ich noch um seinen Mund zucken sah. Das fiel mir auf, denn die Ansicht über die Tüchtigkeit des Schiffs war eine beinah einstimmige in den kompetenten Kreisen, und ein fremder Baumeister sogar sollte erklärt haben, es sei ein wahres Musterstück und verspreche alles Mögliche.

So war es denn sehr begreiflich, daß ich bei der entschiedenen, oben angeführten Rede des alten Seemanns halb unwillkürlich und halb neugierig zu meinem Nachbar mich umsah. In der That stieß ich diesmal auf einen kleinen verächtlichen Zug, und zugleich zuckte er die Achseln. Doch blieb es nicht dabei, er sprach auch. »Tröste dich, mein Junge,« sagte er mit einer ein wenig heisern Stimme; »mit dem Fahrzeug da holst du den Dänen nicht ein und führst du ihm auch nach rund um die Erde. Zum Korn- und Kohlenschleppen ist das Ding gut genug, aber ein Flieger wird's in Ewigkeit nicht. Ich weiß nicht, wo ihr eure Augen habt.« Und er deutete mit ausgestreckter Hand so unbestimmt gegen das Schiff, das eben ins Gleiten kam, daß mir, dem Unerfahrenen, nicht verständlich ward, was er meinte. Der vorige Sprecher hatte sich zuerst ziemlich erzürnt nach dem Widersacher umgesehn, dann aber, als ob er ihn erkenne, seine Mütze gelüftet und sein Auge der angedeuteten Richtung folgen lassen. Inzwischen ward eine Zustimmung oder Widerrede jetzt durch den eben beginnenden Tumult abgeschnitten; das Schiff glitt stolz und glücklich hinab und schoß ins Wasser. Dann Hurrahrufen und Trompetenschmettern, Kanonenschüsse und Drängen umher und Lärmen – ich zog mich sacht aus dem Treiben. Der alte Seemann hatte es ebenso gemacht. Wir standen fünfzig Schritte rückwärts wieder neben einander.

Er grüßte mich mit höflichem Lächeln, da er mich erkannte. »Ja, ja,« meinte er dann und sah zum Schiff hinüber, das sie eben zu seinem ersten Ankerplatz zogen, wo es seine volle Ausrüstung erhalten sollte, »das alles ist brav gemacht, es war gut aufgelegt, der Meister versteht seine Sache. Aber einen rechten Flieger hat er auch gar nicht bauen wollen.« – »Und doch behauptete das vorhin alle Welt,« bemerkte ich. – »Ja, und alle Welt sieht nicht oder will nicht sehen,« sprach er bestimmt. »Ich kann Euch das nicht demonstriren, mein Herr, da Ihr kein Seemann seid. Aber ein Seemannsaug', das zumal auswärts aufgepaßt und die Engländer und Amerikaner angesehen, kann das im Augenblick erkennen.« – Er zog bei den Worten sein roth und gelb geblümtes Taschentuch heraus, nahm den Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn, denn die Sonne brannte heiß. Dabei sah ich, daß vom Schädel herab über die gefurchte hohe und gegen das Gesicht wunderbar weiße Stirne eine furchtbare Narbe grade auf das rechte Auge herunterlief. Obgleich die Haare oben drüber gekämmt waren und man den Anfang nicht sah, war sie doch selbst am obern Stirnrand noch so tief, daß man bequem einen Finger hineinlegen konnte.

Ich konnte mich eines Ausrufs nicht enthalten. Die Wunde mußte so schrecklich gewesen sein, daß ich nicht begriff, wie er sie überlebt haben konnte. »Das ist ein grausamer Hieb!« sagte ich, denn dafür mußte ich es halten. »Wo hat Sie der getroffen?« – »Kein Hieb – es fiel mir eine Spiere auf den Kopf,« versetzte er. »Allerdings war's hart. Ich lag über ein Vierteljahr in Raserei, und noch jetzt spür' ich's, wenn das Wetter sich ändern will. Auch habe ich erst seit einigen Jahren die silberne Platte weglassen dürfen, die ich bis dahin tragen mußte. Und ich war doch noch ein junger Mensch, da es mich traf.« – »Sie sind viel in der Welt umher gewesen?« fragte ich. »Und die Amerikaner und Engländer, von denen Sie vorhin redeten, kennen Sie aus eigener Erfahrung?« – Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Mehr als das,« erwiderte er dann. »Ich bin die Hälfte meines Lebens bei ihnen an Bord gewesen, und kenne daher die Flieger!« setzte er wieder lächelnd hinzu.

Ich weiß es noch heut nicht recht auszusprechen, was eigentlich mir an dem Mann so auffällig war. Denn etwas Besonderes zeigte sich gar nicht an ihm, es müßte denn dies ganz eigenthümliche, oft wiederkehrende Lächeln gewesen sein, das ich nie sonst an einem Menschen seinesgleichen bemerkt hatte, so spöttisch war es und doch wieder so ruhig und selbstbewußt, ohne den geringsten Zug von Hochmuth oder Einbildung. Zum Spott aber und zum Selbstgefühl gehört unabweislich eine gewisse Bildung, gleichviel woher sie geschöpft sei, – und die zeigte sich denn auch in seinen Reden und in seinem Wesen vielleicht mehr als man sie zu erwarten berechtigt war.

Inzwischen begann das Volk sich zu verlaufen, und nach einigen gleichgültigen Worten bemerkte er, es sei auch für ihn an der Zeit, nach Hause zu gehn. Und so entfernte er sich langsam mit einem höflichen Gruß. Ich fragte ein paar mir bekannte Leute nach seinem Namen; sie kannten ihn nicht und wußten auch nichts von dem Mann selbst, als daß er ihnen seit einigen Monaten hie und da auf der Straße begegnet und nicht weiter aufgefallen sei. Denn es ist grade nichts Besonderes, daß ein alter Schiffer dort sich zur Ruhe setzt, wo er seinem frühern Element und Geschäft wenigstens mit den Augen noch nahe bleibt. Das kommt alle Tage vor; und es kommt auch vor, daß sie ziemlich unbekannt bleiben ihr Leben lang, denn sie sind zuweilen einsiedlerisch und menschenfeindlich, die alten Gesellen.

Einige Tage darauf traf ich ihn wieder, als ich mit einigen Bekannten an die See ging, um uns ein Boot zu einer Segelfahrt zu suchen. Er saß diesmal auf der Mole, so weit am vordern Ende, wie er gelangen konnte, und sah durch ein langes Fernrohr nach dem Dänen draußen, der eben Jagd auf einen armen Küstenfahrer machte, welcher ihm jedoch zu entschlüpfen schien. Ich grüßte ihn und er dankte. »Nehmt Euch in acht,« sagte er dann zu mir, da wir neben ihm ins Boot stiegen. »Macht Euch nicht zu weit hinaus. Es spielt so in der Luft, daß der Wind sicher umschlägt, ehe eine Stunde vergeht, und dann könnt Ihr ihm grade in die Zähne laufen.« – »Ohne Sorgen, Kap'tain,« entgegnete unser Bootsmann, indem er an seine Mütze langte, »ich will schon aufpassen. Wir kriegen so was von Nord-Nordost, vielleicht kann's auch Nord geben, und damit haben wir ihn zum Narrn.« – »Oder auch West,« bemerkte er, »und dann spielt er mit euch.« – »Ne, Kap'tain, West wird's heut nicht,« war die Antwort und wir fuhren ab. Nun erfuhren wir auch von ihm. Er hieß Georg Vicent, war ein Landeskind, aber bereits vor so langer Zeit zur See hinausgegangen, daß er, da er inzwischen nie von sich hören ließ, für todt oder verschollen erklärt und sein geringes Erbtheil an andere Verwandte vertheilt wurde. Erst vor einem halben Jahre sei er plötzlich angelangt, habe sich legitimirt und ein kleines Haus am Hafen erstanden. Er sei nach langen Diensten Kapitän eines nordamerikanischen Wallfischfängers oder eines großen Kauffahrers geworden und dabei nach und nach zu so viel Vermögen gekommen, daß er behaglich davon leben könne. Das war alles.

Der Wind ging richtig um, der Däne fing uns aber nicht und wir kamen nach einigen Stunden fröhlicher Fahrt heiter zum Hafen zurück und wie gewöhnlich und natürlich so hungrig, daß wir nur rasch in eine nahe kleine Schenke eilten, um uns mit derber Seekost zu stärken. Da trafen wir den alten Kapitän wieder, wie er mit dem dicken Wirth, auch einem frühern Schiffer, in vertraulicher Unterhaltung war. Wir setzten uns an seinen Tisch, kamen in ein lebhaftes Gespräch, luden ihn endlich zu unserm Getränk ein, und fanden dann in den folgenden Stunden immer mehr, daß wir es mit einem Menschen zu thun hatten, der vielleicht nicht viele seines Gleichen haben mag. Von allen Fächern, die man nur aus Büchern erlernen kann, wußte er augenscheinlich gar nichts. Dagegen hatte er sich ebenso augenscheinlich durch sein wechselvolles reiches Leben, durch seinen Verkehr mit allen möglichen Leuten eine Art Bildung angeeignet, die ihn zu befähigen schien, in jedem Kreise mit Ehren zu bestehen. Man wußte nicht, sollte man sich mehr verwundern über dies endlose, unermeßliche Umhertreiben auf allen Meeren und in allen Ländern, oder über die wunderbare Weise, wie er beobachtet und in sich aufgenommen, wie er es wieder heraus zu geben verstand. Und wieder wußte man nicht, sollte man mehr die Talente bewundern, die in diesem Graukopf sich regten, oder mehr beklagen, daß sie nie zur rechten Ausbildung und Vollendung gelangt, nie ihn auf die passende und gebührende Stelle geführt. Und wie ich bereits am ersten Tage bemerkt hatte, es sprach sich in seinem Wesen und Reden zwar ein ruhiges Selbstgefühl, eine gewisse Sicherheit und Bestimmtheit aus, aber es zeigte sich nicht eine Spur von Hochmuth oder Prahlerei und Aufschneiderei, diesem fast durchgängigen Fehler alter, »vielbefahrener« Seeleute. Ruhig und bescheiden kam's heraus und so klar und so – porträtirt, will ich sagen, daß jeder von der Wahrheit und Richtigkeit seiner Mittheilungen und Ansichten überzeugt sein mußte.

Es begreift sich von vornherein, daß ich dies alles an diesem ersten Abend unseres Zusammenseins wohl in seinen Grundzügen herausfand und verstehn lernte, daß ich aber, um voll in sein Wesen einzudringen und das eben Gesagte wirklich sagen zu können, erst länger und oft mit ihm verkehren mußte. Das geschah denn auch nach diesem Zusammensein. Ich bin in meinem Leben oftmals in ziemlich seltsame Gesellschaft und in einen nicht selten wunderlichen Verkehr mit allerlei Leuten gerathen, ohne daß ich mehr als nur hie und da anzugeben wüßte, wie das zuerst so gekommen, wie und weßhalb es später so weiter gegangen, so freundlich und zutraulich geworden. Hin und wider freilich bin ich auch Einem wohl wie ein Liebhaber auf Schritt und Tritt nachgelaufen und habe mich an ihn gehängt. Bei Vicent war das aber nicht der Fall. Mit dem war ich knall und fall vertraut. Er besuchte mich in meiner Wohnung, ich kam zu ihm in sein sauberes kleines, ächtes Schifferhaus; wir liefen Tags zusammen umher und saßen Abends an einem Tisch vor unsern Gläsern. Nur zu einem Geschäft war er nie mein Gefährte – bei den Segelfahrten im Boot; doch war das nichts Besonderes. Fast alle alten Schiffer, die immer nur auf größern und großen Schiffen gefahren, haben vor so einem offenen Dinge einen heillosen Respekt, ja eine wahre Angst, als seien sie darin in steter Todesgefahr.

In seinem Hause lebte er allein mit einer alten Wirthschafterin, die er Gott weiß wo aufgetrieben hatte, die aber ihr Geschäft vortrefflich verstand und eine meisterliche Köchin war. Ich habe bei ihm ein paarmal ganz ausgezeichnet gegessen, – er hielt was darauf, denn er war in seiner Weise etwas von einem Gourmand, und konnte ordentlich in Aufregung gerathen, wenn er der Küche auf den Antillen und in einigen südamerikanischen Häfen gedachte. Besser aber noch tranken wir dazu, und zwar nur südliche Weine von einem solchen Feuer und so edel, daß ich ihn einmal fragte: »Kapitän, woher bezieht Ihr die nur?« Denn ich nannte ihn auch Ihr, weil er mich, sobald wir bekannter waren, gebeten hatte, ihm den einzigen Gefallen zu thun, »das dumme neumodische Sie« wegzulassen. – »Was geht's Euch an?« entgegnete er gutgelaunt auf meine Frage und schlürfte dabei mit Behagen sein Glas Syrakuser, »trinkt doch und fragt nicht. Wenn Ihr aber an dem Säftchen Vergnügen findet, so kann ich Euch wohl eine Quelle zeigen. Heut Abend will ich Euch abholen, wenn Ihr nichts Besseres zu thun wißt.«

Und so geschah's. Er holte mich ab, führte mich durch allerlei Quergassen und trat zuletzt mit mir in ein kleines Wirthshaus nicht fern von seiner Wohnung und gleichfalls am Hafen, das mir bisher nur als gewöhnliche und ziemlich verrufene Matrosenschenke bekannt geworden. Da gingen wir durch das große branntweindunstige Gastzimmer und traten in eine kleine Nebenstube, deren Fenster grade auf den Hafen hinausführten. Jetzt war es da draußen freilich still; zu andern Zeiten aber mußte man in ein unendlich bewegtes buntes Leben hineinblicken, und ich kann mir noch heut keinen bessern Platz für einen alten Seefahrer denken, der von seinem früheren Beruf nicht gänzlich scheiden will. Man schien meinen Begleiter und seine Wünsche zu kennen. Denn gleich nach unsrem Eintritt kam der Wirth mit einer Flasche und zwei Gläsern, rückte den Tisch und zwei Stühle zum Fenster, holte aus dem Wandschrank eine frische Cigarrenkiste und Feuerzeug und verlieh uns dann mit einem: »du weißt ja Bescheid, Georg.« In der That, das war derselbe edle Wein von Syrakus, den ich Mittags beim Kapitän selbst erprobte. »Trinkt mit Bedacht,« sagte er, da er mich wohlgefällig kosten sah, »er ist's werth. Aber – reinen Mund, mein Junge!« –

Von der Zeit an verging keine Woche, wo wir nicht wenigstens am Sonnabend Abends dort waren; gemeinhin traf es sich aber auch noch in der Woche einigemal, denn ich sah nie ein heimlicheres Plätzchen, ich fand nie einen bessern, gleichmäßigeren, freundlicheren Gesellschafter, und vor allen Dingen nie bessere Getränke und Cigarren zu so mäßigen Preisen. Und wenn wir so bei einander saßen in belehrender oder munterer oder interessanter Unterhaltung, geschah es mehr als einmal, daß es unvermerkt tiefe Nacht ward, bevor wir loszukommen vermochten, so sehr auch zuweilen der alte Wirth über uns schmälte oder so laut er zu andern Zeiten in seinem Lehnstuhl schnarchte.

Einmal Abends holte er mich wieder ab, und wir saßen dann lange und wie gewöhnlich allein auf unseren nun schon herkömmlichen Plätzen. Es war gegen elf Uhr, vielleicht auch darüber, der Lärm im Nebenzimmer hatte mit den letzten andern Gästen aufgehört und die beiden Lampen dort waren ausgelöscht. Wir hatten keine Lust, schon nach Hause zu gehn, denn es war grade ein furchtbares Wetter; der Aequinoctialsturm brauste mit donnernder Gewalt über Hafen und Haus, die Schiffe draußen knarrten und ächzten an ihren Ankern, die Laden der Fenster klapperten vor den gewaltigen Stößen, die zugleich eine wahre Sündflut von eisigem Regen peitschend mit sich trugen. Doch ist es nicht der Sturm, der mir den Abend in der Erinnerung hält, so lange ich lebe; denn seines Gleichen kann man dort öfters erleben.

Wie es zuweilen geschieht, waren wir seit einiger Zeit still geworden, wir sahen vor uns hin oder dem sich kräuselnden Cigarrenrauch nach, wir lauschten auf die furchtbaren Stöße, die das Haus zittern machten, auf das Sausen und Pfeifen, das Regenprasseln und das dumpfe Wellenbrausen, wir tranken einmal von unsrem Wein und schwiegen. Der Wirth hatte sich nach einem vergeblichen Versuch uns zu entfernen, wie gewöhnlich murrend in seinen Lehnstuhl zurückgezogen und schnarchte jetzt, als ob er's drauf abgesehen, es dem Sturmtosen zuvorzuthun. Wir waren seit einiger Zeit in einen Kursus über Schiffsbau und Schiffstakelung gekommen, und Vicent hatte mir vorhin zur bessern Anschaulichkeit und »Explikation« ein großes Schiff mit allem Stengen- und Tauwerk mit Kreide auf den Tisch »geschrieben,« von der großen Raa bis zur Oberbramraa und vom Spanker bis zum Außenklüver, so daß es theils wirklich hübsch, theils höchst instructiv war. Und nun saß er mir schweigend gegenüber, den Rock ausgezogen wie gewöhnlich, und die Manschetten seines feinen Hemdes zurückgeschlagen von den braunen Händen.

Und ich seh' ihn noch, wie er dasaß, den Kopf auf die Hand gestützt, das kraftvoll-männliche und doch wieder gutmüthige Gesicht unbewegt, das blaue scharfe Auge bald zur Zeichnung gesenkt, bald mit einem gedankenvollen, man könnte sagen, abwesenden Blick zu mir, zu den Fenstern, dem Rauch nach erhoben. Der Zug um den Mund, die leichten Furchen quer über die hohe Stirn, die frei gezogene graue Augenbraue – das alles sprach wohl von dem Lebensernst und den reichen Erfahrungen des weit umhergetriebenen Mannes, aber man las kein Unglück, keine Härte, nichts Schweres und Sorgenvolles heraus, wie man es doch sonst an alten Schifferköpfen begreiflicherweise so oft findet. Man sah's, der Mann war in gefaßter Ruhe, in vollem Frieden. Und das Licht unserer Lampe fiel im scharfen Strahl auf den grauen Kopf, auf das braune Gesicht. Ich weiß noch, daß ich in dem Augenblick ernstlich bedauerte, kein Maler zu sein. Es müßte ein prachtvoll Bild gegeben haben in diesem Licht, in diesem Schatten.

Da ließ er die Hand auf den Tisch sinken, nahm die Cigarre aus dem Munde, trank sein Glas leer, füllte es wieder und da die Flasche leer war, rief er: »Wirthshaus, he alter Schnarchbär, wird's bald? Die Flasche ist leer, Bursch, bring' uns immer noch eine neue! Sollst heut Verdienst haben.« Und als der Alte mit einer neuen Flasche aus dem Nebenzimmer zurückkam und sie geöffnet hinstellte, nippte Vicent von seinem Glase, daß er noch einige Tropfen hineingießen konnte – denn er war in dergleichen von besonderer Aufmerksamkeit, – darauf hieß er mich austrinken und füllte auch mein Glas, – und dann war er wieder schweigend mit einer neuen Cigarre beschäftigt.

Das fiel mir auf. Er war stiller als je und trank nicht mehr, aber anders als sonst: er stürzte von Zeit zu Zeit die vollen Glaser hinunter. Genirt hatte ich mich ihm gegenüber niemals, und so sagte ich: »was gibt's, Kapitän? Es ist nicht ganz recht mit Euch!« – Er streifte mich flüchtig mit einem leise lächelnden Blick, richtete dann das Auge auf die Lampe und ohne es von dort wegzuwenden, sprach er erst nach einigen Augenblicken: »ja seht, mein Junge, der Mensch ist eine recht seltsame Kreatur. Ich hätt' wohl Grund zufrieden zu sein und ruhig zu bleiben,« fuhr er fort und legte sich mit den beiden Armen lässig auf den Tisch. »Ich hab' Unruh genug im Leben gehabt und mich nach der Ruhe lang genug gesehnt. Und doch, wie ich Euch da das Schiff »hinschreibe,« und wie es da draußen weht und tobt – Junge, Gott verdamme mich, aber ich sehn' mich nach meinem alten Leben draußen in See und Sturm, Gott verdamme mich!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sein Auge blitzte dunkel und heiß. Es war was Wildes in dem Blick, wie bei einem Thier, das längst gezähmt, plötzlich seiner frühern Natur sich erinnert. Ich hatte den Blick noch nie an ihm gesehn.

»Ja, Gott verdamme mich,« fuhr er wieder fort, und stürzte sein Glas hinunter. »Das ist was! Ein flinkes Schiff, eine stramme Brise, ein offenes Lee, eine wackere Mannschaft – und der Feind zu finden! Seht, so hab' ich gelebt, und es war beim Donner ein Leben, wie ich's nicht besser möchte und wüßte mein Lebenlang! Und wenn ich nicht so ein alter halblahmer und einäugiger Hund wäre, und wenn ich wäre wie Ihr, – kein Teufel brächte mich dazu, daß ich meine Knochen am Lande verfaulen ließ', wie jetzt. Aber es ist aus mit mir,« brach er ab, indem er sich auch an die Stuhllehne zurücklegte und das Auge wieder ruhig ward, »weiß Gott, wo die Planken schwimmen, auf denen ich vordem stand! Die Kameraden sind auch davon – wo sind sie? Und ich habe mich zur Ruh' gesetzt.« Und ein Lächeln fuhr über seine Züge, wie ich es sonst weder an ihm, noch bei sonst jemand gesehn, so verzerrte es sein Gesicht in Bitterkeit, Hohn und Haß. Aber kaum bemerkt, war's auch schon vorüber, und er schüttelte nur noch ein paarmal leise den Kopf mit einem so ruhigen Gesicht, als wäre das Gleichgültigste von der Welt abgehandelt worden.

Ich wußte nicht, was ich denken, was ich reden sollte, so überrascht, um nicht zu sagen so erschreckt war ich. Was hieß das? Wie kam das? Von Trunkenheit oder auch nur Aufgeregtheit war bei ihm keine Rede heut so wenig wie je. Denn wenn er auch viel trank, so war dies Viel für ihn und seine Natur doch noch wenig, und überdies blieb er stets bei einem Getränk und trank nur selten etwas andres als Wein. – Sagen mußte ich jedoch etwas, denn er sah mich an, und so meinte ich denn so ruhig wie möglich: »Nun, Kapitän, Ihr wählt die Zeit zu Euren Erinnerungen nicht gut. Bei dem Wetter möcht' es auch Euch besser am Lande als an Bord und in See gefallen.« – Er lachte ganz munter und schüttelte den Kopf. »Das versteht Ihr nicht, mein Junge,« sagte er. »Das Wetter ist auf hoher See nicht so schlimm, wie es hier an all den Häusern und Läden und Mauern klappert und braust. Es ist ein stetiger, derber Wind und nichts mehr – der Regen könnte freilich davon bleiben. Aber einen stetigen Wind hab' ich nie gescheut auf der See, wenn das Lee offen war. Im Gegentheil war er mir nie scharf genug. Ein reguläres Unwetter kennt ihr hier zu Lande nicht, dazu müßt ihr erst einmal nach den Antillen kommen, in die Meere und Küsten von Amerika – dann macht ihr euch nichts mehr aus solch einem ehrlichen Wind – oder könnt ihn auch Sturm nennen, wenn es euch Pläsir macht. Jeder mißt nach seinem bekannten Maß.« – »Ei,« entgegnete ich lachend, »von Stetigkeit merk' ich nicht viel. Horcht, wie er stößt und aussetzt.« – »Na ja,« erwiderte er gut gelaunt, »es ist wahr, aber was wollt Ihr? Wie soll der arme Bursch grade und ungestoßen durch all das »Gezeugs« umher kommen? Draußen ist's anders, und für ein ordentliches Wasser ist's doch nur Spielerei.«

Und als ob der Sturm ihn eines Bessern und fühlbar von seiner Gewalt überzeugen wollte, so brach eben jetzt ein Stoß gegen das Haus, daß es bebte in seinen Mauern und der Fußboden zitterte, daß der Wirth sogar im Lehnstuhl sein Schnarchen durch ein unwilliges »Na!« unterbrach. Und zugleich rollte ein dumpfer Donner über uns hin.

»Ei sieh, sieh, ist der auch da?« sprach er kopfnickend und trank bedächtig sein Glas leer! »am Ende thu' ich dem Lande hier unrecht, – es hat doch seinen netten kleinen Sturm. Sieh, sieh, das macht sich! Und da muß es in diesen engen Wassern wirklich kein –«

»Heiliges – Kreuz! – Was ist das?« – unterbrach er sich jäh und sprang wie von einer Kugel getroffen vom Stuhl empor und sein Haar sträubte sich, und sein Auge brannte gegen das Fenster, als wollte es durch Glas und Laden schauen, und die Cigarre fiel ihm aus dem Munde, und er zitterte so, daß er sich mit beiden Fäusten auf den Tisch stützen mußte. Und indem erschallte durch die momentane Stille des aussetzenden Sturms von draußen noch einmal der grelle, langausholende Schrei einer Frauenstimme, der ihn bei seinem ersten Schallen unterbrochen und emporgejagt hatte.

»Aber um Gotteswillen, Kapitän,« sagte ich – ich war gleichfalls aufgesprungen – »was habt Ihr denn? Das kann Euch doch nicht neu sein. Wir sind im rechten Viertel; Matrosen scherzen nicht fein noch sanft, und die Weiber, die's mit ihnen halten, sind auch nicht fein und schreien besser als eine.« – »Ja, Knabe, ja!« sprach er dumpf und verstört. »Ich weiß, ich weiß das alles, und bin kein Kind und kein Feigling und doch – es schneidet mir durch Mark und Bein, so daß auch ich schreien könnte vor Entsetzen, wie das Weibsbild!« Und damit fiel er auf den Stuhl mehr als er sich setzte, legte beide Hände vor das leichenblaß gewordene Gesicht, und ich bemerkte, wie auf seiner Stirne große Schweißtropfen standen. Ich wußte nicht, was ich sagen, was ich thun sollte. Ich habe mehr als einmal bei diesem oder dem böse Momente, tiefe Erschütterungen beobachtet und Veränderungen gesehn, wie sie kaum schneller und schärfer gedacht werden können. Aber, um das nochmals zu wiederholen, bei Vicent hatte ich dergleichen am wenigsten erwartet. Waren hinter diesen ruhigen Zügen, hinter diesem stillen, gesetzten Wesen dennoch böse Tiefen? Wir sind so eingeschnürt in die seit unserer Kindheit uns überlieferten Ansichten und – Narrheiten, daß wir ihnen unwillkürlich immer von neuem anheimfallen und nachlaufen. Der stille, ruhige Mann da vor mir hatte, so viel ich wußte, stets ein ziemlich geordnetes Leben geführt, ohne besonders schreckliche und schreckhafte Erlebnisse. Und wie sollte er auch! Er sah weder wie ein Eisenfresser aus, noch wie eine »geknickte Blume,« weder leidend, noch gespenstig, noch geheimnißvoll! Im Gegentheil war er ja wie jedermann! – Und nun dieser Vorfall, – schon der zweite an diesem schönen Abend! Aber es sollte noch ganz anders kommen.

Denn in dem Augenblick ließ er die Hände vom Gesicht sinken und – ich mußte mich besinnen, ob das noch derselbe Mann sei, so verändert, so furchtbar anders war dieser hier. Ein Gesicht, in dem jeder Zug anders geworden, sich verzerrt hatte zu Wildheit und Trotz, ein Gesicht von Leidenschaften durchwühlt – nicht voreinst, sondern jetzt – ein Mund von eiserner Härte, eine Stirn von furchtbarem, finsterem Drohen, ein Auge von unheimlicher Starrheit, brennend unter der niedergedrückten Braue – und die Narbe brennend roth, und das sonst so saubere Haar jetzt wirr und struppig über die Stirn hängend. Und von der Zeit an habe ich an die Anekdoten von großen Schauspielern geglaubt, die ihr Gesicht so verändern konnten, daß ihre besten Freunde sie nicht erkannten. Wäre er mir so auf der Straße begegnet, ich hätte ihm erstaunt nachgesehen, als einer ganz unbekannten und höchst auffälligen Erscheinung. Und ein Schauspiel war dies hier nicht, sondern bittere Wahrheit, und ich erschrack so beim ersten Anblick, daß ich mit einem lauten Ausruf wie vor einem Gespenst zurückfuhr.

»Nur sachte, mein Bursch, nur sachte!« sagte er mit höhnischem Ton und wildem, verachtendem Lächeln, das ich gleichfalls in seinem Gesicht nie bemerkte und auch für unmöglich gehalten hätte, wenn ich's nicht selbst gesehn. »Brauchst nicht zu schreien, ich beiß' dich nicht. Erschrick nicht wie ein altes Weib, ich thu' dir nichts, sag' ich. Was ist's denn groß, wenn so ein alter Mensch sich einmal an sein altes Geschäft erinnern muß und damit auch die alte Fratze wieder annimmt? Hab' den Pfaffen geglaubt und der alten Weiberrede, daß man sich wieder herausleben könne aus der Sündhaftigkeit, wie die das nennen, – und habe gelebt wie die zahmste von euch Landratten, und gedacht, der im Himmel dort oben sei zufrieden und alles gut und charmant, und mein Alt-Weiberleben als Buße angenommen. Und da geht's mir so! Da bin ich wieder mitten darin! Was schiert mich der Himmel oben und die Hölle unten? Das in dem Menschen, das Erinnern, das Grübeln, das Gedenken – das ist Himmel und Hölle! Und was nützt mir die Buße, das glatte Leben, wenn sie mich davon nicht los machen?«

Er war aufgesprungen, er ging im Zimmer umher, er stieß seine Worte in kurzen Sätzen, in Pausen aus, er schlug dazwischen einmal mit der Faust auf den Tisch oder eine Stuhllehne, er stieß ingrimmig mit dem Fuß nach dem, was ihm im Wege war. Mir war unheimlich zu Muth; was bedeutete das alles? Was hatte er in sich? – Indessen mußte etwas geschehen, denn so ging das nicht fort. Halb, wie gesagt, war mir unheimlich, halb aber war es mir auch widerwärtig; ich habe diese Art von Unglauben und Blasphemiren niemals leiden können. Und so faßte ich denn meinen Entschluß und sagte anscheinend eisig kalt: »wozu all die Reden, Kapitän? Ihr seid eben grausam erschrocken über den dummen Schrei einer Matrosenschönen. Und nun – was wollt Ihr eigentlich?« Ich habe die Wirkung einer solchen Rede bei heftig Aufgeregten mehr als einmal zu beobachten Gelegenheit gefunden und selten mich in meiner Absicht getäuscht gesehn; sie gelang mir auch hier.

Er blieb mitten im Zimmer stehn, und je weiter ich sprach, desto fester und drohender ruhte sein Blick auf mir. Als ich zu Ende war und noch einmal wiederholte: »was wollt Ihr eigentlich?« – trat er auf mich zu. Am liebsten, glaub' ich, wäre er über mich hergefallen, so wüthend sah er aus. Doch, wagte er es nicht oder beherrschte er sich – kurz, mit einemmal warf er die Arme auf den Rücken, das verächtliche Lächeln verzerrte noch einmal sein Gesicht, und er sagte: »ja, habt recht, muß Euch erscheinen wie ein Verrückter oder ein altes Weib. Ja, was will ich? – Euch erzählen davon will ich, Bursch. Dann könnt Ihr selbst sagen, ob's Kinderspiel ist. Euch erzählen – kann doch nicht schlafen.« Und damit ging er ruhigen Schritts zu seinem Stuhl zurück, setzte sich, nachdem er noch stehend sein Glas geleert und eine neue Cigarre genommen, schlug die Arme über einander und sah mich eine lange Zeit fest und ernst an. Erst nach einer geraumen Pause begann er zu reden.

»Ihr wißt,« fing er an, »ich bin drüben an der Küste geboren, eines Schiffers Sohn und von jung auf bei meinem Geschäfte gewesen, zuerst in Küstenfahrern, dann zum Versuch auch 'mal nach England, dann in die Mittelländische See und endlich immer so weiter. Als ich von meiner ersten Reise nach dem Cap zurückkehrte und wieder einmal bei meinen Alten war, starb mein Vater, und da ich mich mit der alten Frau nicht recht vertragen konnte, ließ ich mich so bald wie möglich von Kapitän Gering auf das Vollschiff »die sieben Schwestern« heuern zu einer Reise nach dem dazumal noch hispanischen Amerika. Wir hatten Leinenwaaren, Porzellan und allerhand Derartiges zur Fracht, was man drüben immer gerne hat.

»Die Reise ließ sich unglücklich an. Wir waren am Donnerstag Abend fertig mit unserer Fracht, waren ausklarirt und wollten am Sonnabend Anker lichten. Allein schon am Freitag Nachmittag, da der Kapitän eben noch einmal zur Stadt wollte – er hatte da einen Schatz – packte uns eine jähe Bö aus Nord-Nord-West auf eine so rauhe Weise, daß wir auf der hundsfött'schen Rhede triftig wurden und nur die Wahl hatten, auf den Strand geworfen zu werden oder in See zu gehn. Das wollte keinem von uns allen zu Kopf und schien uns von übler Vorbedeutung, von dem Unglückstage ganz zu schweigen. So geschah es auch. Eine schlimmere Fahrt als die damalige habe ich Zeit meines Lebens nicht gehabt. Und als wir endlich nach zwölf Wochen auf der Höhe von Cuba waren, wurden wir aufgebracht. Es war eine böser Tag voll Blut und Unglück; doch habe ich weiter nichts davon zu sagen, als daß unsrer Vier von allen allein übrig blieben und gezwungen wurden, bei den wilden Gesellen einzutreten. Das hatte man uns auch nicht an unserer Wiege gesungen.«

Ich weiß nicht, ob es mir gelingen kann, dem Leser mit diesem Anfang seiner Erzählung denselben Eindruck zu machen, den er auf mich hervorbrachte. Er erzählte ganz ruhig, beinah kalt, aber sowohl in seinem Ton, als auch in der ganzen Art und Weise war trotz der klaren, einfachen Worte etwas gewissermaßen Dumpfes und Schweres, wenn ich so sagen darf – etwas wie eine bittere Resignation: so war's und so ward's einmal. – Ich bin überzeugt, daß diese Weise mich auch ohne den Vorgang des oben Erzählten gleich unheimlich berührt haben müßte. Und nun kamen noch seine letzten Worte von den »wilden Gesellen« dazu; ich konnte mich nicht enthalten zu fragen: »wer waren die wilden Gesellen, Kapitän? Wer brachte euch auf?«

Da zuckte wieder jenes halb wilde, halb verächtliche Lächeln über sein Gesicht, und er antwortete: »ja, mein Püppchen, ich möcht's Euch gern ersparen, aber es geht nicht. So haltet Euch denn hübsch fest, daß Ihr nicht vom Stuhl fallt. Das Schiff, das uns nahm und Dreiviertel von uns über Bord spazieren und einen Besuch bei den Haifischen machen ließ, war der »Feuerstrahl,« der dort zu Lande damals im weitesten Rufe stand; und die Mannschaft hatte weder mit Rheder, noch Cargadeur, noch sonst jemand zu thun. Sie war das alles selber. Und Ihr könnt die tollen Gesellen auch Piraten nennen, wenn es Euch so besser gefällt. Also – Piraten! und nun – erschreckt Ihr nicht, armer Junge?«

Es war etwas wahrhaft Widerwärtiges in seinem Ton und Wesen, so etwas Verbissenes, Beleidigendes, und ich hatte auf der Zunge ihm zu sagen: mein guter Mann, wollen wir auch lieber nach Hause gehn? Allein er war in einer kurz angebundenen Laune und hätte nicht eingelenkt, sondern sich auf immer von mir geschieden. Und das wollte ich nicht. Also zuckte ich nur die Achseln und meinte so gleichgültig wie möglich: »Und was weiter, Kapitän? Beunruhigt Euch nicht meinetwegen; ich sorge am besten selbst für mich.« –

»Ihr nehmt's kaltblütig,« sprach er mich fixirend und nahm die Cigarre aus dem Munde. – »Nun, sollte ich vielleicht anfangen zu schreien und zu heulen?« war meine ruhige Antwort. – »Das nicht,« versetzte er noch immer mit demselben starren Blick; »aber ist Euch das etwas so Geläufiges – Piraten?« – »Das nicht,« sagte ich gleichfalls, »doch ich habe nach dem, was heut Abend passirte, kaum etwas Anderes erwartet. Wenn Ihr einmal ein alter Sünder seid, was wollt Ihr denn viel anders gewesen sein? Dabei kommt es nicht auf ein bischen auf und ab an.« – »Da habt Ihr recht,« erwiderte er jetzt lachend, »aber kaltblütig nehmt Ihr's, Gott verdamm's! Und ich wollte, ich könnte das auch. Doch wir wollen das dumme Gezänk lassen, und ich will weiter erzählen. Trinkt Euer Glas aus.« Und als er die Gläser neu gefüllt, fuhr er fort:

»Es war ein wildes Leben, und zuerst ward mir dabei vor den Augen grün und gelb; allein der Mensch gewöhnt sich an alles, und so ging es auch mir nach und nach, – erst ward es mir egal, dann machte es mir Spaß und zuletzt mocht' ich nimmer davon ab. Dazu kam, daß der Steuermann bei unsrem ersten Gefecht erschossen wurde und, da niemand da war, ihn zu ersetzen, seine Stelle von den Kameraden mir anvertraut ward. Das schmeichelte und gefiel mir; man hatte Vertrauen zu mir und ich konnte was nützen. Und das ist mir alle Tage meines Lebens die Hauptsache gewesen, ich habe nie umsonst einen Posten oder ein Amt haben mögen. Was mir allein nicht zusagte, war, daß unser Kapitän ein Unmensch und Bluthund war, und daß es da oft gar kein Hemmen und Zurückhalten gab. Und unsre Bursche waren so schon wild und grausam genug, sie bedurften dazu nicht erst eines besondern Leiters! einer, der sie zurückhielt, wäre ihnen viel nöthiger gewesen. Der Kapitän war damals ein Engländer und hieß John; und es war ein böser Gesell, freundlich nie, und wenn einmal gereizt, wie ein wildes Thier.

»Ich war schon ein Jahr an Bord und darüber, hatte manches mitgemacht und dachte nicht ans Davongehen; mit den Kameraden stand ich mich gut, sie liebten mich und hatten Respekt vor mir, so daß ich mehr als einmal ihrer Unmenschlichkeit hatte Einhalt thun können, trotz des Kapitäns, mit dem es dann jedesmal einen harten Strauß gesetzt. Das letztemal, wo er wieder die ganze Mannschaft des beraubten Schiffs über Bord spazieren lassen wollte, hatte ich ihm sogar ruhig und fest gesagt, daraus werde nichts, und es dahin gebracht, daß die noch Uebrigen mit ihrem leeren Schiff gehn konnten, wohin sie wollten, Wozu sollte die Unthat? Man kannte uns zur Genüge an der ganzen Küste, heimlich war unser Treiben längst nicht mehr, und wenn wir uns nicht durchschlugen oder entfliehen konnten, so waren wir doch geliefert. Nun, er gab denn auch nach, da er nur wenig Gesellen auf seiner Seite und überdies in der letzten Zeit bei seinen Anschlägen und Ausführungen kein Glück gehabt hatte. So was wirkt wundersam.

»Als wir zuletzt auf Cuba landeten, erfuhren wir, daß man ein Schiff mit einer schwer reichen Ladung von Spanien erwartete, und seine Connaissements seien ausgestellt nach Matanzas auf das Haus des Don Cristobal Lopez. Das war uns recht; wir hatten seit einiger Zeit Unglück gehabt; entweder waren die Ladungen für uns nicht nutzbar und nicht der Rede werth, oder die Schiffe entkamen uns, oder wir wurden auch einmal derb auf die Nase und abgeschlagen. Und zudem saß uns eine englische Achtzehnkanonenbrigg auf den Hacken, wo wir uns ein wenig länger aufhielten, und ließ uns kaum noch ein Geschäft in rechter vergnügter Ruhe ausführen. Ueberdies hatten wir auch auf Don Cristobal noch ein besonderes Auge. Er hatte nie eine Ladung durch uns verloren, rühmte sich dessen und hatte gemeint, wenn man ein gutes Schiff, einen tüchtigen Kapitän und brave Mannschaft habe, brauche man einen Baltimore-Schoner und ein paar Dutzend Piraten nicht zu fürchten. Es würden anderwärts auch flinke Schiffe gebaut, und wilde und wackere Gesellen gäb's auch an einem ehrlichen Bord. Da mußte man ihm doch den Unterschied einmal zeigen.

»Wir hatten acht Tage gekreuzt und nichts bemerkt und nichts gefangen; ein paar Küstenfahrer war alles, was wir nah und fern von Segeln gesehn; und einmal war auch der Engländer draußen vorbei gegangen in einer schönen Nacht, aber ohne uns zu bemerken. Es ward uns ungeduldig zu Muth, und zornige Klagen wurden gegen den Kapitän laut, der auch diesmal wieder Unglück hatte. Da bekamen wir am Morgen des neunten Tages Windstille; sie währte nur siebzehn Tage – aber für uns, in unserer damaligen Laune waren es hundert Jahre. Ich habe schlimmere erlebt, wo wir auf halbe, auf Viertelrationen Wasser kamen – und hier fingen wir erst am zwölften Tage mit den halben an und reichten damit aus. Aber so wie diesesmal habe ich nie gesehn, was für eine Bestie im Menschen steckt, wenn er wartet – nicht mit Ungeduld, sondern mit Gier, und ihm dazu die Sonne auf den Kopf brennt und seine Zunge ausdörrt.

»Seht,« sagte er sich unterbrechend, im selben kalten, sogar etwas docirenden Ton, »ich erzähle Euch das, denn es gehört dazu, und ich erzähl' es gleichgültig, da es mich jetzt nicht weiter inkommodirt und ich was Andres im Kopf habe. Aber in Wahrheit, kann ich Euch sagen, war es kein Spaß, sondern furchtbar. Die Planken rissen, das Pech quoll aus den Fugen, der Kupferbeschlag war so heiß, daß man nicht die Hand daran halten konnte. Und dazu dieser blaue Himmel und diese Sonnenmacht, und dieser Wiederglanz von der See – und des Tags Glut und des Nachts kochende Hitze, – keine Luft, kein Hauch, kein Gott, kein Teufel! – Nichts als blauer Himmel und stille See! Und die Haut zersprang und das Blut brach aus den Lippen und die Zunge war trocken, und die Augen entzündeten sich. Hört, mein Bursch, es war furchtbar, und selbst dem sanftesten von uns kochte das Blut, in dem kühlsten Kopf tobte das Fieber. Wär' es nicht bald anders geworden, wir wären über einander hergefallen, nur um die Glut auszutoben, nur um Blut – Blut zu sehn; es gab alle Tage schon schlimme Auftritte. – Und dazu ging's drunten im Meer seinen geruhigen Weg; das Seekraut trieb, und die Seethiere schwammen vorbei, die Schildkröten sonnten sich – man hätte selbst eine sein mögen, um nur einmal schlafen zu können, denn wir Menschen an Bord thaten es nicht mehr. Und das Schiff lag wie ein Block, und die Haifische trieben sich umher unter unserm Bug.

»Als ich am achtzehnten Tage morgens vor der Sonne aufs Deck taumelte, wo die Wachen betrunken lagen, war mir's als spürt' ich einen leisen Hauch. Ich schrie nicht – ich heulte auf vor Entzücken, so daß die halbe Mannschaft mir nachstürzte und dann in einen gleichen Schrei ausbrach. Denn ja – es regte sich die Luft! – Und als ich dann zu Mast lief und vom Mars meinen Ausguck nahm – da sah ich drüben in Nord-Nordost eine schwere, mälig aufsteigende Bank, und grade vor ihr her kam mit allem Tuch, das es tragen konnte, ein Schiff. Mein Ruf, mit dem ich das meldete, wirkte wie ein Donnerschlag, so schrieen sie auf, so stürzten sie an die Arbeit. Die Kranken waren gesund, die Trunkenen nüchtern, und in zehn Minuten waren alle Segel gesetzt und die Kanonaden geladen und schußfertig und die Waffen parat. Und wär's eine Fregatte gewesen, – diesmal hätten wir sie angegriffen. Wir mußten einen Kampf haben, und Blut, Blut!

»Aber es kam keine Fregatte, – es war unser Spaniole, wie er leibte und lebte, wie man ihn uns beschrieben. – Und da faßte auch uns die Brise, der Schoner folgte dem Steuer, wir kamen los von dem verfluchten Fleck und zu ihm hinan, der sorglos niederkam.

»Ich seh es noch, wie er in seinem stetigen Lauf schwankte als ihm unser erster Schuh über die Spieren fuhr, damit er beilege. Doch er fuhr wieder stetig weiter und die englische Flagge ging in die Höhe. Allein das irrte uns nicht; unsere nächste Kugel kostete ihn die Fockraa und die Leesegel kamen herunter wie eine Wolke. Aber wenn wir ihn damit zu haben gedachten, hatten wir arg in die Kohlen geschlagen. Im Nu hatte er gewendet und das Wrack vom Halse und dann lief er hin vor der sich stets frischenden Brise, so stolz, so leicht, daß wir wohl sahen, wie Don Cristobal so unrecht nicht hatte; das Schiff war edel und seine Mannschaft mit ihrem Kapitän so brav, wie eine auf der Welt. Zu einer andern Zeit hätt's mich ihrer jammern können; aber damals war auch ich nur voll heißer Gier. Und unser Schoner ward jetzt auch lebendig und that, was in seinen Kräften stand. Dagegen konnte denn kein ander Schiff aufkommen. Und dennoch jagten wir ihn vom Morgen bis zum Mittag, vom Mittag bis zum Abend, und vom Abend wieder bis zum Morgen, ohne ihn recht fassen zu können, denn es war ein trefflicher Segler. Doch am folgenden Morgen erreichten wir ihn mit unserer langen achtzehnpfündigen Karronade, knickten ihm eine seiner Federn nach der andern, und eine Stunde nach Sonnenaufgang hing er matt an unsern Enterhaken.

»Ich will Euch nicht davon erzählen. Die Zeit vorher hatte uns erhitzt; die Jagd hatte uns nicht abgekühlt. Der Spaniole ergab sich auch nicht wie ein feiger Hund, sondern wehrte sich mannhaft. Und bei uns war niemand, der da kalt geblieben. Kurz, es war eine Stunde voll Blut, und es blieb nicht ein Leben an seinem Bord von allen, die wider uns gekämpft. Das habe ich öfters erlebt – und dabei wär' nichts, das mich dran besonders gedenken ließe. Es war ein Spiel: du oder ich, – und so war's wett. Aber nun!« – Er holte tief Luft und schwieg einen Augenblick.

»Als es still droben war, als das Geschrei, das Schießen und Klirren verstummt war, da kam von unten ein gellender Ruf, und indem flog es schwarz die Leiter herauf, und auf dem Verdeck stand ein Weib in dunklen Gewändern – glühend – entsetzt – zitternd vor Schreck und Angst – ein paar wilde Gesellen stürzten hinter ihr drein – und sie sah wild nach dem Blut und den Leichen, und sie sah entsetzt auf die wilden, geschwärzten, blutigen Bursche umher, und indem heftete sich ihr Blick auf mich, und mit einem neuen Ruf stürzte sie durch die Menge und warf sich mir zu Füßen und umschlang meine Kniee und drückte das Gesicht dagegen – »Don Jorge!« rief sie stöhnend. »Don Jorge!«

»Wie durchfuhr es mich! Es war Donna Teresa, die Gattin eines deutschen Kaufmanns in Cadiz, in dessen Hause ich auf zwei meiner frühern Fahrten mit meinem Kapitän oft genug gewesen und daselbst sehr viel Gutes empfangen hatte. So was vergißt ein armer Matrose nicht.

»Hätt' ich mich besonnen, ich weiß nicht, was geschehn; denn klug war meine Einmischung nicht. Aber ich besann mich nicht. Ich riß mich los und warf mich vor sie und schrie den wilden Burschen entgegen: »wehe dem, der sie anrührt! Dies Weib ist mein!« Und in der einen Pistole hatte ich noch einen Schuß, und mein Degen war noch scharf. So stand ich vor ihr, und bei Gottes Donner, ich hatte nicht im Sinn zu spaßen.

»Da stellt sich der Kapitän vor mich hin, mit untergeschlagenen Armen, mit höhnischem Gesicht – ich seh sie noch die böse, mit Blut besudelte Fratze – und so starrt er mich an, ganz stumm, was die Stimme anbelangt, aber die Augen lebendig wie leibhaftige Teufel. Und endlich sagt er: »Ei, ei, Don Jorge, was Ihr für charmante Bekanntschaften habt, – hätt's Euch gar nicht zugetraut!« Damit schweigt er zwar wieder, allein ich merk' es schon, wohinaus es mit den Worten soll, und ich spreche auch kein Wort, sondern halte nur mein Pistol fest in der Hand, den Finger am Drücker. Das sieht er, sein Gesicht färbt sich noch röther, die Stirne runzelt sich noch mehr, und mit einemmale bricht er aus: »Aber mein Bursch, neue Moden führst du hier nicht ein. Bekanntschaft hin und her – fort mit dir an deinen Posten, und das Weib in meine Kajüte! – Kein Wort! – Schnell!«

»Aber es gehorchte ihm niemand. Sie sahen's mir an, wie es in meinem Sinne stand, und, wie ich Euch sagte, hatte ich auch meine große Partei an Bord, die fest zu mir hielt. Je mehr ich nun fühlte, daß eine Entscheidung nahe sei, desto kaltblütiger und entschlossener wurde ich, und so wartete ich – nein, zu warten hatte ich nicht mehr, denn er sprang bei meinem Säumen auf mich ein, wie ein Tiger – in demselben Augenblick ging mein Schuß los, er stürzte im Fallen auf mich und riß mich um. Aber ich stand im Nu wieder auf meinen zwei Beinen. Das ging so schnell, wie ein Gedanke, und wenn ich's ebenso schnell erzählen wollte, müßte ich eine Zunge haben, wie ein altes Weib oder ein Franzose. – Was jetzt geschah, brauche ich Euch nicht zu sagen. Genug, ich ward damals der Kapitän der Schaar, nachdem man mich feierlich von aller Schuld an dem Todtschlag freigesprochen. Und mein erstes Werk war, daß wir uns mit der günstigen Brise davon und in unsern eigenen Hafen machten. Die See hatte an diesem Tage so viel von uns zu sehen gekriegt, daß wir bange hatten, die Wellen sogar möchten plaudern. Wir wollten sie erst vorüberziehn lassen.«

Er machte eine neue Pause und ließ mir Zeit über das Erzählte und seine Weise dabei nachzudenken. Wie ich schon oben gesagt, es war für mich eine Studie der seltensten Art, die wahrhaft wunderbar klar hervortretenden Seelenregungen des Mannes zu beobachten. Wie durch eine Glasdecke sah man in ihn hinein und erkannte, wie es dort trieb und wogte, wie es sich gleich schweren Wolkenmassen langsam empor, neben und vor einander schob. Und man bemerkte wohl – was vorhin jäh empor gerauscht, war nur ein Vorläufer des rechten Wetters gewesen. Dann war die Starrheit gefolgt, die Resignation, und jetzt bei der Schilderung der letzten Scenen zeigte sich eine Trockenheit und Kälte, die mich ahnen ließen, daß er vielleicht nur darüber hin wollte, etwa weil ihm die Erinnerung peinlich sei. Und ich hatte mich nicht geirrt.

Er fing wieder an. »Ich will Euch das schnell sagen, denn verweilen dabei kann ich nicht, noch mag ich's. Wenn es lang und breit erzählt werden müßte, möchte ich es auch nicht mehr genau in meinem Kopfe zusammenfinden. – Die Frau ging mit uns an Land. Aber als ich nach sechs Wochen wieder in See wollte, weil es mir auf der Feste nicht länger behagte, da bot ich ihr an, mit uns zu gehn, und versprach ihr sie auf das erste uns begegnende Schiff zu setzen, damit sie dann hinginge, wohin es ihr beliebe. Ihr Mann war freilich todt, wie ich von ihr erfuhr, aber sie konnte ja zu dem alten Ohm gehen, zu dem sie eigentlich gewollt, oder wohin es ihr sonst paßte. – Ich will Euch bekennen, in Betreff ihrer Sicherheit traute ich meiner Mannschaft nicht besonders und, was noch mehr war, ich traute mir selber nicht. Der Mensch ist ein halb armselig, halb seltsames Geschöpf und berechnen kann er zuweilen sich selbst ganz und gar nicht, mag er für gewöhnlich noch so fest und sicher sein. Und seht, Junge, es jammerte mich ihrer, wenn ich mir solche Gedanken machte. Sie war ein prachtvolles Weib, von einer Schönheit, wie meine Augen nie und nirgendwo sonst gefunden, von einer Sanftmuth und Schüchternheit, und jetzt noch obendrein von einer Trauer – war's über den Mann oder ihre jetzige Lage? – umfangen, die mich wilden Kumpan ganz mitleidig machten. Die, dachte ich, werde an ihren Gedanken sterben, wenn sie bei uns bleiben müsse; sie war nicht für solch ein Leben, schien es mir. Mich jammerte ihrer! vielleicht hatte ich sie auch schon lieb. Zwischen dem Gesindel, das bei uns für Weiber galt, war sie auch wie ein Engel Gottes. Und bisher war ihr noch kein unsauber Wort zu nahe getreten.

»Als ich nun zu ihr sprach: »macht Euch parat, Sennora, so und so hab' ich's mit Euch im Sinn, wenn es Euch also recht ist!« – da sah sie – sie lag in ihrer Hängematte – langsam und erst nach einer Pause mit ihren großen braunen, sanften Augen auf. Ich sehe noch diesen – unmenschlichen Blick, wie sich die Wimpern hoben, ganz allmälig, ganz sanft – man konnte ordentlich Angst haben vor dem, was nun dahinter los sein würde! Und es war auch was da, was Unbeschreibliches, ein Feuerstrahl, ein allmächtiger Blick, sag' ich Euch – aber gleich hinterdrein war er so weich wie genuesischer Sammet. So kam er auch jetzt, so haftete er eine Sekunde auf mir. Ihre Lippen blieben aber geschlossen.

»Ist es Euch also recht, Sennora?« fragte ich; mir war beklommen. Sie sah wieder so auf – so langsam, so blitzend, so weich. »Nein,« sagte sie. – »Aber was befehlt Ihr dann, Donna Teresa?« fragte ich wiederum nach einer Pause. – »Hierbleiben,« war ihre Antwort, ohne daß sie dabei aufsah. – »Hierbleiben?« rief ich, »aber –.« – Doch ich sprach nicht aus, denn bevor ein Wort weiter heraus war, fuhr sie von ihrem Lager, ihre Arme lagen wie zwei Flammen um meinen Hals, ihr Köpfchen war an meiner Brust wie eine Blume, und sie flüsterte: »bei Euch, Jorge, thörichter Mann, bei Euch! Oder – wollt Ihr mich nicht, Sennor Don?« –

»Wißt Ihr,« unterbrach er sich und legte die Arme auf den Tisch und sah mich forschend an, »wißt Ihr, »woran ich zumeist denke, wenn ich mir diese Historie einmal wieder recht in's Gedächtniß rufe? Seht, das ist nicht das allmächtige Glück, das mir damals aufzugehn schien, wie ein ganzer glorreicher Frühlingstag, sondern das ist das Grübeln: wie sah es in ihr aus, als sie sich mir so an den Hals warf? War es Wahrheit, war sie es selbst, ihr Herz und ihre Seele, was sich mir enthüllte? Oder war es eine Komödienscene? Liebte sie mich eigentlich ganz und gar nicht und hatte dabei nur irgend einen – der Teufel weiß, welchen Zweck? – Das sind böse Gedanken, mein Junge, die einem das Leben ruiniren können, wenn es nicht sonst schon ruinirt ist. Ich bin auch erst nach und nach dazu gekommen, seit ich älter ward, mir die Welt um die Ohren schlug und anfing nachzudenken. Damals war es noch nicht so weit. Ich war ein rauher ungeschlachter Bursch, wenig im Verkehr gewesen mit honetten Leuten, ich that, ich fühlte nach meiner Natur, nach der Eingebung des Augenblicks, und nachdenken that ich gar wenig. Da war es denn wohl begreiflich, daß ich sie dazumal nicht erst lange fragte: »wie kommt Ihr dazu?« oder: »ist das auch gewiß und wahrhaftig so Eure Herzensmeinung?« Sondern ich hielt sie in meinen Armen und mir war, als dürften die nach solcher Herrlichkeit nie mehr was Andres halten. Meine Augen sahen nur sie und mein Herz war voll von ihr. –

»Ich habe sie geliebt, Kamerad, unmenschlich – unmenschlich hab' ich sie geliebt!« sagte er und schlug das Auge zu mir auf, und es war so groß, als ob sein nächster Blick sich in Thränen brechen würde. Aber es kam kein Tropfen, kein Hauch, sondern nur ein Lächeln, doch es war so sanft, so erinnerungstief, möchte ich sagen, so schwermüthig, daß es mich bis in's Herz ergriff und mir ward, als sei er wieder der wackere, mir hochwillkommene Gesell, der er vor den Begebenheiten dieses Abends für mich gewesen. So was macht viel wieder gut am Menschen. Und als ich ihm in der ersten Regung meine Hand über den Tisch hinbot, ergriff er sie und preßte sie in seine harte Faust wie in einen Schraubstock.

»Ja,« sprach er dabei, »so ist's wahrhaftig gewesen; und es war das was andres, als wenn Einer von euch ehrbaren Leuten sich eine Frau nimmt und sich vom Pastor mit ihr die Hände zusammensplissen läßt, und sich mit ihr lieb hat, wie's im Buch steht. Und wenn jemand sich an ein Weib hängt und ihm nachläuft, Jahr ein und aus und Unsinn macht und für sie alles in die Schanze schlägt, – das mag schon seine Art haben. Aber gegen das bei mir dazumal kommt's so wenig auf, wie eure Sonne hier zu Lande gegen die, welche dort Himmel und Erde und See mit Feuer füllt. So was läßt sich nicht schildern, nicht malen. Alles um mich her war anders – lauter Duft und Glut. Ich träumte nicht – den Teufel auch, ich wußte und fühlte wohl, daß ich lebte; aber ich kam mir wie ausgetauscht vor, es schien mir nicht möglich, daß ich noch derselbe Mensch sei wie vordem. Was ich sprach – es war anders, was ich that und trieb, es hatte eine andere Manier, – es flog, es sprang, es blitzte alles nur so hin. Ich war wie in einem steten Rausch, wenn ich bei ihr war, und wenn ich mit dem Schiff und den Gesellen zu einem neuen Zuge auslief und meine klaren fünf Sinne beieinander haben und – so zu sagen – aufwachen mußte – da hatt' ich keinen Katzenjammer, wie es sonst den Trunkenen passirt', sondern war leicht und frisch, keck und froh wie nie zuvor. Was ich unternahm – es gelang, als ob es nicht anders sein könne, das Schiff glitt wie eine Möve durch die jäheste Bö, es stieß wie ein Falke auf den Feind. Ich war barmherziger gegen die Ueberwundenen als je einer meines Gleichen. Aber wir hatten auch Glück, wie noch nie. Und eine lustigere, keckere, gehorsamere Mannschaft hat kein Kapitän befehligt als meine Piraten waren. Sie beteten mich an, Mann für Mann; ich hätte sie in die Hölle führen können, ohne daß mir einer entwichen. Aber ich führte sie nur zu Beute und Lust.

»Teresa begleitete mich anfangs ein paarmal, halb freilich gegen meinen Willen, halb aber, weil ich ihr nicht widerstehn, sie nicht entbehren konnte. Dann aber hörte das auf; sie schenkte mir einen Knaben, und ich lernte auch einsehn, daß diese Fahrten nicht für sie seien, sie waren zu gefährlich; und ich liebte sie mehr von Tag zu Tag, jeder Tropfen ihres Bluts war mir lieb, jedes Haar ihres Hauptes mir heilig. Wie sollte ich sie und mein Kind da leichtsinnig den Gefahren aussetzen, die uns trotz alles Glücks doch stets umdrohten? – So blieb sie denn vom zweiten Jahr unseres Zusammenseins an mit den andern Weibern am Lande zurück, beschützt von einem Häuflein treuer alter Gesellen, verehrt und angebetet, wie eine Königin. Und ich kann Euch das nicht beschreiben, Junge, wie mir war, wenn ich nach einem Streifzuge zurückkehrte und des Weibes Herz und Arme für mich geöffnet wußte! Denn Ihr könnt mir's glauben, sie liebte mich dazumal und war mein bis in den letzten Schlag ihres Herzens. Freilich,« setzte er plötzlich düster hinzu, »als das Kind nach kurzer Zeit starb, ward es anders. Ich fühlte mich ihr noch fester zu eigen, aber sie wurde – nachdenklich und träumerisch, wie mir's erschien, und hielt sich ferner von mir. Ich schob das auf ihre Trauer, aber es war was Andres.

»So waren, seit sie zu uns gekommen und seit ich das Kommando führte, etwa drei Jahre vergangen, als wir nach manchen Wochen des Umherkreuzens einmal wieder gründlich am Lande bei den Unsern ausruhten und im wilden Jubel die Zeit todtschlugen; so was muß der Mensch hin und wider auch einmal haben. Doch müßt Ihr drum nicht denken, daß wir uns um alles, was draußen passiren mochte, gar nicht bekümmert hätten. Im Gegentheil hatte ich in den meisten Hafenplätzen meine Spione, die mich von allem in Kenntniß setzten, was für uns wissenswerth war. Und seit Jahr und Tag hatten wir einen zweiten Schoner, den wir gekapert, auf das tüchtigste ausgerüstet und ließen ihn nun mit uns abwechselnd umherkreuzen, so daß immer einer von uns draußen war und die neusten Nachrichten einholte. Da lief eines Tags, als wir grade ein extralustiges Fest feierten, die »Teresa« – so hatte ich den andren Schoner getauft – binnen und brachte uns die Nachricht, daß demnächst von Port Royal ein Schiff mit schwerer Ladung abgehn werde. Der Mund wässerte uns, denn wir hatten die letzte Zeit wenig mehr als Spielerei gehabt; und noch dazu war das angezeigte Fahrzeug ein alter Bekannter von uns, den wir schon einmal auf seiner Fahrt von Antigua aus verfolgt und in einem schweren Sturm hatten aufgeben müssen. Es hieß freilich, daß eine Achtzehnkanonenbrigg zugleich auslaufen werde, und die englischen Kreuzer liefen damals dort uns so schon überall in die Augen, – aber alles das kümmerte uns wenig, da wir an Mannschaft so stark waren wie noch nie vorher, zwei tüchtige Schiffe und ein solches Verlangen nach der angekündigten Beute hatten, daß man's sogar hätte Liebe nennen können. Damit wird alles Spaß.

»Zu säumen, wußte ich, war nicht; vom Gelage ging es recta zu Schiff – die Trunkenen konnten an Bord nüchtern werden – und mit allen Segeln folgten wir unserm Curs. Ich habe Euch sonst noch genug zu erzählen – hievon ist wenig zu sagen. Wir fanden den Burschen mit dem Bullenbeißer zur Seite. Letzteren ließ ich der Teresa, die sich ehrlich mit ihm herumneckte, ich im Feuerstrahl nahm den Kauffahrer, und hüls'te ihn aus. Beim Kampf waren hüben und drüben ein paar Leute gefallen; im Uebrigen schonten wir, wie gewöhnlich, jetzt der Mannschaft – wir trugen bei solchen Affairen Masken oder schwärzten auch einmal die Gesichter, um ein späteres Wiedererkennen zu verhindern. Als ich fertig war, gab ich der Teresa drüben Signal, sich von dem Achtzehner los zu machen und mir zu folgen, löste die Enterhaken und lief vor der sich frischenden Brise nach Südwest hinauf. Wir machten eben alles wieder klar, säuberten das Verdeck und knüpften ein paar zerschossene Taue – denn der Engländer hatte uns mit seinen kleinen Puffern doch einigen Schaden gethan – da gab's zwischen den Leuten mit einemmal ein Halloh, und aus der Luke tauchte ein langer Gesell aus, hielt die Andrängenden gebieterisch zurück und fragte nach dem Kapitän. Man führte ihn zu mir.

»Ich weiß nicht mehr, was der Bursch uns alles vorwelschte in seinem gebrochenen Spanisch und hinterdrein in desto geläufigerem Englisch; das Lange und Breite war, daß er ein Deutscher aus dem Hannoverschen, daß er bisher auf einem Wallfischfahrer gewesen, sein Schiff verloren und von Port Royal habe über England in die Heimat gehn wollen, um sich nach neuer Heuer umzusehen. Nun habe ihm aber unser Handwerk längst gefallen, und was er vom »Feuerstrahl« gehört, habe ihn mächtig gelockt. Da nun die Gelegenheit dagewesen, sei er im Tumult heimlich an unsern Bord gekommen; der Engländer drüben brauche nicht zu wissen, wo er geblieben. Ob ich ihn aufnehmen wolle? – Nun, Knabe, es war da etwas an ihm oder in seiner Vergangenheit, was nicht recht zu Tage kam. Aber, lieber Gott, nach einem Paß fragten wir nicht und auch nicht nach alten vergangenen Dingen; wenn uns nur der Mensch sonst gefiel. Und der da gefiel uns allen. Es war ein prächtiger Bursch, schlank und doch voll Kraft, eine Figur voll Mark, mit einem kleinen Kopf, großen veilchenblauen Augen und blonden Haaren. Und als wir am Abend einen recht ordentlichen Sturm kriegten, zeigte er sich bei den ihm übertragenen Geschäften so muthig, daß er unser aller Herzen gewann. Freilich sah nicht ich allein, daß es mehr guter Wille und allgemeine Geschicklichkeit war als wirkliches Verstehen. Man merkt' es, daß er diese Dinge oft gesehn, aber entweder selten oder lange nicht mehr selbst geübt, und man konnte ihn etwa für einen Offizier halten, der sehr wohl sein Schiff zu führen, die kleinsten Anordnungen zu treffen versteht, ohne bei der praktischen Ausführung und Anwendung jemals anders als zufällig thätig gewesen zu sein.

»Darüber verständigte ich mich schon während der ersten Nacht mit meinem Steuermann, und wir kamen überein, den Gesellen auf diese und jene Stelle zu bringen, bis wir seinen richtigen Platz gefunden. Es fand sich auch bald eine Gelegenheit. Die »Teresa« hatte im Gefecht einen ihrer Offiziere verloren; ich schickte einen von meinem Bord hinüber und ließ den Heinrich Paulsen – so nannte sich unsre Acquisition – bei mir in eine Offiziersstelle rücken; es ging noch besser, als wir gedacht; der Bursch hätte in jedem Seedienst der Welt Ehre eingelegt. Es war entschieden ein Seemann ersten Ranges, wenn auch der kleine Dienst ihm nicht oder doch weniger geläufig war, und ein Schiff zu führen verstand niemand besser als er. Und in den acht Wochen unseres diesmaligen Kreuzens ward er auch im kleinen Dienst so gewandt, daß er auf jedem Posten zu verwenden gewesen wäre. Lernen konnte man was bei uns.

»Auch im Uebrigen,« fuhr der Kapitän nach einem tiefen Zuge aus seinem Glase fort, »schickte sich der Mann zum Offizier, wenn auch nicht grade bei uns. Er hatte etwas Vornehmes an sich, äußerlich nicht nur, sondern auch im Innern, – stolze Manieren und kühles Wesen, und wie freundlich und kameradschaftlich er auch mit der Mannschaft verkehrte, – überall zeigte sich's, daß er nicht zu ihnen gehörte, zumal er auch durch eine tüchtige Schule gelaufen sein mußte, da er sich allenthalben daheim zeigte, so daß er selbst die Besten von uns weit übersah. Haß erweckte er dadurch nicht – er blieb, wie gesagt, kameradschaftlich und stets in den Schranken seiner Stellung; allein übersehen ward sein Wesen nicht, und bald hieß er an Bord allgemein nur el Conde – das heißt: »der Graf,« mein Junge.

»Mich selbst zog es bald gar besonders zu ihm; ich weiß nicht, war es sein Wesen und Behagen, seine Tüchtigkeit als Seemann, sein fester Muth und seine eiserne Entschlossenheit bei allen Vorfällen oder endlich seine Menschlichkeit nach dem Kampf, mit der er meinen Willen unterstützte. Denn es gab bei uns noch immer genug wilde Gesellen, deren Hauptpläsir im Blutvergießen, im Hinschlachten, in thörichten Grausamkeiten bestand, und die nur mit Gewalt davon zurückzuhalten waren. Dagegen stand er mir und den Meinen wacker zur Seite. Genug ich hätte ihm gern schon vom ersten Tage an vertraut und ich that es wirklich beinah, als wir erst einige Zeit mit einander gefahren waren. Nur in einem Punkt hatten wir endlich noch ein Geheimnis; vor einander; ich erfuhr einen Theil seiner Vergangenheit nicht, und er kriegte nicht zu wissen, daß ich ein Deutscher sei. Weßhalb? Das weiß ich eigentlich nicht zu sagen, es müßte denn sein, daß mir sein Gesicht zuweilen bekannt erscheinen wollte, ohne daß ich jedoch anzugeben vermocht hätte, wo, wann und bei wem ich diese Züge einmal schon gesehn. Am Ende dacht' ich auch nicht viel nach; Ihr wißt wohl selbst, wie leicht man Aehnlichkeiten findet. Hier in dem Nest läuft mehr als ein Gesicht umher, das ich vor Zeiten an Orten gesehen, von denen der hiesige Besitzer desselben nie auch nur den Namen gehört.

»Wir fuhren nach achtwöchentlichem Kreuzen und nach einigen weiteren guten Fängen wieder nach Haus, schwer beladen und in der besten Laune von der Welt; es war kein Mann an Bord, der nicht zufrieden gewesen mit dem Erfolg – und mich erhoben sie bis in den siebten Himmel. Mir selbst war zu Muth als sei ich bereits darin, ich ging meinem Weibe entgegen, und wenn ich noch eine oder zwei ähnliche Fahrten machte, konnte ich mich zurückzuziehn suchen und leben, wo ich wollte. Denn ich will Euch was sagen, mein Junge,« unterbrach er sich und schaute mich ernst an, – »so sehr ich auch Seemann war und so wenig ich mir sonst aus den Gefahren machte, die es grade bei meinem Geschäft gab, – wenn man so glückselig ist, wie ich dazumal, sehnt man sich nach einigem Bestand seines Glücks, nach Ruhe, und beides gab es auf diese Weise für mich nicht, wo, wie ich wissen mußte, im Fall eines Unglücks für mich überall eine Schlinge am Rock parat war. Und das ist ein verflucht kitzliges Gefühl, Knabe, zumal für einen Hals, der sich gern von ein paar weichen Armen umschlingen läßt.

»Es war das so Stil bei uns – wenn wir Neulinge an Bord hatten, segelten wir die Klippen vor unserm Hafen stets zur Nacht an, traten Morgens früh in das enge Fahrwasser zwischen ihnen, ließen dann bis zum Abend wieder den Anker fallen und gingen erst in der nächsten Nacht in den Hafen selbst hinein. So blieben die Meisten über den Ort im Unklaren, und nur wir Offiziere und ein paar alte Gesellen wußten genau Bescheid; bis ein Neuer eingeweiht wurde, darüber konnte lange Zeit vergehn und er mußte erst seine vollen Proben abgelegt haben. Nur auf diese Weise konnten wir uns sicher halten und waren's bisher geblieben. Es war, wie Ihr Euch selber sagen könnt, kein Spaß damit; überall saßen uns die verdammten englischen Kreuzer auf den Hacken, und vor Verrath der eigenen Genossen konnte man nie ganz ruhig sein. So aber wußten sie nichts, oder nicht genug, und ließen den Verrath hübsch bleiben.«

»Und fürchtetet ihr nie, daß ein Fremder sich bei euch anwerben ließ, nur um euch und eure Schlupfwinkel auszuforschen?« fragte ich, indem ich an irgend einen Roman dachte, wo ich einmal so etwas gelesen. – Er schüttelte finster den Kopf. »Nein, mein Junge, das fürchteten wir nicht! in unsrem Leben ging's nicht zu, wie im Geschichtenbuch, es war kein Spaß damit, versicher' ich Euch. Und hätt's Einer gewagt, so hätten wir ihn bald so oder so gehabt. Ein bischen Blut gab es immer noch, trotz aller Schonung; wen wir angriffen, wehrte sich seiner Haut. Und wer von uns nicht seine Waffen in solchem Kampf geführt und auch gebraucht hatte, galt bei uns noch nicht für voll. War er aber dabei gewesen, so war er unser mit Haut und Haar, und es löste ihm kein Gott und kein Teufel das Blutband von der Seele. Doch will ich Euch gestehn, bei »dem Grafen« dachte ich zuerst selbst an so was, und dieser Verdacht war ein Grund mehr, ihm gleich einen Hauptposten zu geben und ihm ein blindes Vertrauen zu zeigen. Der Mensch ist ja eine dumme Kreatur und wenn man seine Eitelkeit reizt, ist's gar keine Kunst ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen. Wollte der Gesell uns ausspioniren, so hatte er an seinem Platz und bei unserm anscheinenden Vertrauen allen Grund zur Einbildung, daß er uns schon im Sack habe und losbrechen könne. Und hätt' er nur das gewollt, so wär' er in die Schlinge gegangen, sag' ich Euch. Wir gaben ihm Gelegenheit dazu. Aber nichts da! Und als wir ihn erst im Kampf gehabt, war alles schön und gut; er schlug unparteiisch los auf Engländer und Franzosen, auf Hispanier und Deutsche, und wen er traf, stand nicht wieder auf.

»Auch diesmal,« fuhr Vicent nach der Unterbrechung fort, indem er das Deckblatt einer frischen Cigarre oben naß machte und sie dann anzündete, »auch diesmal gingen wir also Nachts vor Anker und von den Schiffen ging niemand an Land als ich, der ich zu Teresa eilte. Ich fand sie frisch und gesund und – o ja, auch voll Liebe. Dann nahm ich mir den alten Burschen vor, der in meiner Abwesenheit am Lande kommandirte. »Was neues?« fragte ich, »oder, wie gewöhnlich nichts?« – »Doch,« versetzte er ernst. »Bald nach Eurer Abfahrt hat sich hier ein fremder Nigger gezeigt, der Teufel mag wissen, wie er hereingekommen und wo er hinauswollte. Keiner hat ihn kommen sehn. Die Sennora zeigte mir das Gewürm, als es an den Manglen hin zu entschlüpfen suchte.« – »Die Sennora?« rief ich überrascht, – so nannten sie Teresa. – »Die Sennora,« wiederholte er. – »Und ihr faßtet ihn?« forschte ich. – »Nein,« war seine Antwort. »Stehn wollte die Bestie nicht, einholen konnten wir sie auch nicht; so schoß Jack und traf ihn so dumm, daß er schon todt war, da wir herankamen.« – »Und habt ihr nichts an ihm entdeckt, was Aufschluß über den Burschen geben könnte?« – »Nichts, Kapitän.« – Ich schüttelte den Kopf und ging zu Teresa zurück.

»Sie wußte mir wenig mehr zu sagen. Am Morgen, wie sie ihr Gemach verlassen, habe sie zufällig den Nigger vorbeispringen sehn, den sie sogleich für einen Fremden erkannte, da die drei oder vier, welche uns am Lande gehörte«, bereits weißköpfige Bursche waren. Die noch brauchbaren hatten wir auf den Schiffen mit uns. So rief sie den alten Bootsmann, und es geschah, wie er mir so eben erzählt. Sie war verdrießlich bei diesem Bericht; sie habe schon damals bis zum Ueberdruß davon sprechen hören, meinte sie, und nun scheine es erst recht anzufangen! – Das that es nun freilich nicht, denn sie hörte kein Wort mehr davon; allein mit meinen nächsten Offizieren kam die Sache ernst zur Sprache, denn wie lange es auch schon her, das schien eine Sache, die ohne allen Spaß war. Die Mannschaften blieben alle vorerst an Bord; nur ein paar Vertraute und ein kleiner Trupp zuverlässiger alter Gesellen folgten mir, und wir suchten unsere Niederlassung und die Umgebungen auf das genaueste durch, ohne eine Spur zu entdecken, wo der Fremde etwa hereingekommen wäre. Niemand als wir, erfuhr von diesem Zufall: der Bootsmann und Jack hatten wohlweislich geschwiegen: Teresa legte ich selbst noch ein unverbrüchliches Schweigen auf. So blieb nichts mehr übrig, als die paar alten Nigger vom Lande an Bord zu schaffen – wir trauten den Bestien nicht mehr – und noch bessere Wacht zu halten als schon bisher.

»Es war das eigentlich nicht schwer,« fuhr er fort, und holte so tief Luft, daß man's beinah einen Seufzer nennen konnte: »der Platz, an dem wir hausten, war wie eine Festung, und mehr als das, er war schier unnahbar. Vorn war die Klippenreihe, die selbst für uns Eingeweihte nicht leicht zu passiren war: dann kam eine Straße – ich muß sagen: eine Schlucht, die beinah eine Meile hinführte und zwar so eng, daß die Raaen mit knapper Noth an den Felswänden vorbeigingen, und die Wände ragten hoch über unsre Spieren empor und hingen über, so daß man von dort oben ein hindurchsegelndes Schiff mit Felsblöcken hätte in den Grund bohren können. Aber freilich war das Wasser drin ganz frei, so daß wir wie gesagt meistens zur Nacht die Straße passirten. Wenn es dann Morgen ward, rissen die Neulinge an Bord einmal ihre Augen auf! Denn wir lagen dann in einem prachtvollen, rings umschlossenen Becken, wie ich's nirgends schöner und lieblicher gesehn, und so sicher, daß weder Feind noch Wetter uns leicht was anhaben konnten. Und rings umher waren die steilen, nur hie und da grün durchwachsenen Felsen, und vor uns lag bis an die Bergkette, welche uns vom Innern der Insel schied, ein Stück Land, wo wir unsere Hütten und Magazine hatten, wo unsere Alten ihre müden Glieder ausruhten und unsere Weiber und Kinder hausten. Und das war ein Stück Land! –

»Ja, Knabe, ja,« fuhr er fort und stürzte sein Glas aus und reichte die leere Flasche dem Wirth zu, der längst ermuntert bei uns saß und mit zuhörte und für sein Theil auf die Lampe acht gab, daß sie hell brannte, – »ja, Knabe, das dort ist das Land, möchte man sagen, das ist die See, das der Himmel, und so denke ich mir, muß es gewesen sein dazumal, als der Herrgott alles fertig hatte und am sechsten Tage alles ansah, was er gemacht hatte und – »siehe da, es war sehr gut!« So, Knabe, so ist's! Ihr kennt das nicht, Ihr habt hier weder Land, noch Meer, noch Himmel! Wirthshaus, bist du da? Gib die Flasche her! Füll' dir auch ein Glas, sollst mit uns anstoßen auf das Land! Es ist's werth! Und was der Mensch auch verliert, und was ihm auch die Erinnerung trübt – wo er in solchem Sonnenlande lebte und unter solchem Himmelsblau, in solcher Glut, in solchem Glanz, in solchem Seelenjubel – das behält er sein Lebenlang und vergißt es nimmermehr. Stoßt an, Jungen, stoßt an! Westindien lebe! Dreimal drei – hurrah!« Er sprang auf, das Auge blitzte und die Stirne war glatt, die ganze Gestalt wie von Lust und Kraft erhoben und gestrafft, die eine Faust lag fest auf dem Tisch, die andere hielt uns das Glas entgegen. Und als sein kraftvolles Hurrah verklungen war, blieb er noch einen Augenblick so stehn und sagte: »ja, Jungen, Gott verdamme mich, dort ist's werth zu leben und zu sterben. Und wenn nicht dies wäre und das, so wär' kein Ort in der Welt, wo ich lieber meine Gebeine zur Ruh strecken möchte, als dort.

»Seht an,« fuhr er fort und setzte sich wieder, »ich bin kein Büchermacher und weiß nur zu reden nun dem, was von draußen an mich herantrat und mir passirte. Von dem, was ich dabei in diesem Brustkasten hier und in diesem alten wilden Kopf fühlte, kann ich keine Redensarten machen, – nicht von meiner Liebe zu dem Weibe, nicht von meinem Gefühl über das dortige Land; davon kann ich nur sprechen: es war so! – Aber ich sag' euch, wenn ich so manchmal auf dem Felsvorsprung stand, wo wir die Batterie angelegt, und von dort aus hier das Hafenbecken mit seiner blauen weichen Flut ansah, und dort das Land mit seinem glanzvollen Grün, das im Seewind mit leisen Wellen spielte, und über mir den Himmel in seinem tiefen Blau – und das alles so hold, so schön und sanft, so leuchtend und lieblich, wie das Lächeln auf dem Antlitz des Weibes, das ihr lieb habt – oder auch, wenn ich einmal so am Vordersteven stand und mein Schoner durch die See tanzte – seht, Jungen, da preßte sich mir oft das Herz zusammen, daß ich nach Luft schnappte. Denn die Lust drinnen, das Jauchzen war zu allmächtig, ich hatte es nicht auslassen können und hätt' ich aufgeschrieen mit tausend Stimmen.

»Das Land war gegen das Innere zu von einer Bergkette umgeben« sprach er nach einer Pause fort und verfiel wieder in seinen kühlen Erzählungston. »Sie war so schroff, daß an ein Ersteigen gar nicht zu denken war; den einzigen Paß, den wir nach dem längsten und genausten Umherspüren entdeckt, hatten wir so gesichert, daß es unmöglich schien, ihn zu forciren oder vor unsren Posten und Wachen vorbeizuschleichen. Sodann kam noch ein Bach aus den Bergen – aber ich habe sein Bett selbst zur heißesten Zeit nicht passirbar gefunden, und wo er in die stürzte, hatte er rings umher den Boden versumpft, so daß niemand hindurch konnte; es war mehr als nur Gefahr bei jedem Schritt. Und übrigens war das Rohrdickicht und das Gewirr der Manglen auch so dicht, und die Lianen zogen sich wie tausend Netze dazwischen, daß niemand da herauszufinden vermochte: es war, als ob alle Pflanzen und Ranken der Welt auf diesem einen Fleck zusammengehäuft waren. Und so sich jemand mit Beil und Messer hätte durcharbeiten wollen, hatten wir noch jetzt, nach so viel Wochen, seinen Pfad sehn müssen. Aber wir fanden keinen, – und der Verstand stand uns still.

»Am folgenden Tage erst legten wir die Schiffe an den Fels bei der Batterie und ließen die Leute am Lande ihre Glieder ausrecken und ihrem Belieben nachgehn. Den Conde brachte ich, da ich ihn in der Nähe umhersteigen sah, auch zu Teresa, die sich in ihrer Hängematte unter der Cocospalme vor unserer Hütte schaukeln ließ. Da die beiden sich sahen, war's mir, als führe ein eigenthümlich Leuchten durch des Burschen Augen, und mit der Geschwindigkeit des Gedankens wandte ich meinen Blick vorsichtig auf Teresa; allein sie schaute ebenso verdrießlich drein, wie schon den ganzen vergangenen Tag, und nach ein paar Worten wandte sie uns den Rücken zu.

»Als wir weiter schlenderten, bemerkte er: »Ihr habt ja auch Weiber hier, Kapitän. Was thut Ihr bei unsrem Leben mit solchem Ballast? Hätt' ich das gewußt, wär' ich davon geblieben.« – »Nun, nun,« versetzte ich lachend, »das ist stark, mein Bursch! Haßt Ihr sie denn gar so sehr?« – »Ich habe mit dem Gezücht nichts zu thun,« war seine Antwort. – »Wie kommt das?« – »Laßt's gut sein, Kapitän,« sagte er finster. »Es ist so und geht niemand weiter was an.« – Darin hatte der Bursch denn freilich recht und ich ließ es auch gut sein, nur daß ich ein bischen vor mich hin lachen mußte über solchen sogenannten Haß. Aber da warf er den Kopf auf und sprach mit seiner ganzen hochmüthigen, gräflichen Weise: »lacht nicht, Kapitän, lacht nicht! Glaubt mir, es ist Blut und Tod bei der Sache!« – Das war denn etwas, was er besser wissen mußte, als ich, und so ließ ich's mir gesagt sein.

»Indessen, er verkehrte auch mit keinem Weibsbild, und so tapfer er vor dem Feind gestanden, so furchtlos in Sturm und Wetter, und so lustig und wild er bei aller Ausgelassenheit bis auf den letzten Mann aushielt, – vor einem Weiberrock lief er davon, so weit es eben ging. Und als ihn eine Dirne, die sich an seinen blauen Augen versehn haben mochte, einmal gar zu sehr merken ließ, daß sie ihm gut sei, da sagt' er ihr so deutlich seine Herzensmeinung, daß Blinde und Taube es hätten begreifen müssen. Dafür nahm er aber die Herzen unserer Burschen ein bis in ihren tiefsten Grund: stürmisch verlangten sie seine Beförderung auf eine höhere Stelle – sie glaubten, unter ihm würden ihnen nicht mehr ordinäre Tauben, sondern lauter Paradiesvögel in den Mund fliegen. Was sollte ich thun? Gegen ihn hatte ich auch nichts, im Gegentheil schlug mein Herz nur für ihn; und als wir nach zwei weiteren Fahrten zurückkamen und Ursache hatten, mit dem bisherigen Befehlshaber der Teresa unzufrieden zu sein, gab ich dem Verlangen der Mannschaft nach einer neuen Wahl nach. Ihr Ausfall konnte nicht zweifelhaft sein, el Conde ward einstimmig gewählt. Es waren auch nur wenige, die damit nicht zufrieden gewesen. So liefen wir aus und lehrten zurück, wir schlugen uns, wir siegten, wir machten uns auch einmal davon. Das war eben alles, wie es längst gewesen. Und der Winter kam und der Winter verging und ganz Westindien war voll von unsern Streichen und unsrem Glück.

»Nur bei uns selbst sah es nicht mehr ganz so aus wie früher: der Teufel der Zwietracht hatte sich unter uns festgenistet – die vom Feuerstrahl und die von der Teresa standen neckend, höhnend, hadernd gegen einander, und die Letzteren machten nicht undeutlich Miene, sich meinen Befehlen zu widersetzen. Schon hatte ich mehr als einmal drohen müssen und einmal mußte ich einen frechen Burschen, der mir keck entgegensprang und die andern zur Folge aufrief, über den Haufen schießen. Hätten nicht el Conde, dem sie bis in den Tod gehorchten, und ein paar alte anhängliche Gesellen treu zu mir gehalten und sich und sie stets meinem Kommando untergeordnet, so wäre es schon damals zu ernsteren und blutigeren Vorfällen gekommen. Denn ich konnte mir eine solche Widersetzlichkeit nicht gefallen lassen und ich hätt's auch nicht gethan. Was uns so lange Glück gebracht und uns stets noch sicherte, war allein die eiserne Zucht und der stete, augenblickliche, wortlose Gehorsam, in denen ich sie hielt.

»Und nun kam das Zwischentragen, das Verlästern und Verhetzen, das Lügen und Argwöhnen, der offene, jähe Streit und der Weichende rachsüchtige Haß – Gott verdamme mich, es war schandmäßig, ekelhaft, sag' ich euch, und dies Leben ward mir immer mehr verleidet. Denn auch in meinem eigenen Hause hatte ich Noth und Quälerei.«

Er stürzte sein Glas aus, und als er es neu gefüllt, goß er auch dieses hinunter, dann stützte er den Arm auf den Tisch, die Braue war tief auf das Auge herabgepreßt, und dieses selbst schaute mit einem Blick darein, von dem ich nicht recht wußte, ob mehr düstere Trauer darin oder mehr Grimm und Trotz, so dunkel war er und so starr. »Seht, Junge,« sagte er nach einer langen Pause zu mir – den Wirth schien er zu ignoriren – »Teresa war anders geworden, – ich habe es Euch schon vorhin angedeutet; aber es ward immer mehr und sichtbarer, seitdem wir damals zurückkehrten! ich wußte das ganz genau, es war von dem Zeitpunkt an. Sie war nicht mehr wie sonst, sie brauste auf gegen ihre Bedienung und Umgebung in jähem Zorn, sie strafte grausam; und von mir zog sie sich zurück, ich möchte sagen, sie wehrte mich und meine Liebe ab, sie war kühl und gleichgültig, wenn ich da war; sie flog mir nicht mehr entgegen, sie jubelte nicht mehr in seliger Lust an meiner Brust auf, wenn ich von einem Zuge zurückkam. Zuweilen preßte sie noch Lustigkeit aus sich heraus, warf sich in eine wilde Ausgelassenheit, in ein trunkenes Glühen und Stürmen, aber es war ein künstlicher Rausch und keine Natur und kein Herz. Um das zu erkennen, hätt' ich ein gut Theil dummer sein können, als ich war. Ich fing an besser aufzumerken und zu lauschen – dies alles muhte doch einen Grund haben! – Ich spürte was von einer Eifersucht auf der Teufel weiß wen! Ich gab dem alten Bootsmann, von dem ich Euch vorhin schon gesagt – er nannte sich Lionel und war mir mit Leib und Seele ergeben – Aufträge für meine Abwesenheit. Es kam nichts zu Platz, was meinen Verdacht hätte rechtfertigen können. Sie war anders – und ich war elend, das war alles.

»Da kam ich wieder von einem Zuge zurück, und als ich Teresa guten Tag gesagt, und als ich sie kalt gefunden, daß es mir wie mit Dolchen in's Herz stach, da ging ich zum Alten und fragte ihn wie gewöhnlich. Er war finster und winkte mir abseits. »Sir,« sagte er dann, »die Sennora hat gestern die alte Cilli unbarmherzig peitschen lassen, weiß nicht weßhalb. Und das alte Weib hat mir dann in der Wuth gesagt, nun wolle sie reden. Sie wisse, der Nigger dazumal, den Jack erschoß, der sei aus Eurem Hause gekommen. Die Sennora habe vorher mit ihm geredet und ihn dann der Sicherheit wegen mir gezeigt, so daß er erschossen wurde und nicht mehr plaudern konnte.« –

»Und was hatte er gebracht?« rief ich ganz betäubt; »was sollte er nicht ausplaudern?« – »Cilli meint, er sei ein Bote gewesen von dem Conde,« gab er zur Antwort, »und habe der Sennora Nachricht gebracht, daß er unterwegs sei und sie entdeckt habe. Es sei ein alter Bekannter oder Liebhaber, meint Cilli. Sie habe ihn auch mit der Sennora zusammengesehn, droben an den »fünf Brüdern,« und sie habe sie belauscht, aber kein Wort verstanden.

»Wie er das so erzählte, der Alte, und mich dabei immer fest im Auge hatte, denn er mochte wohl einen Ausbruch fürchten, – da war mir zu Muth, als ob jemand meinen Schädel in eine Schraube preßte, daß er davon aufspringen müsse wie eine Mohnkapsel, und als er schwieg und ich aufstand, schwankt' ich wie ein Trunkner und fiel zurück auf meinen Sitz. Aber das war bald vorbei und dann fuhr ich auf wie ein Pulverfaß – ja bei allen Geistern in Himmel und Hölle, so war's! Denn es war auch alles in mir entzwei, zerrissen, zersprengt, zerschmettert – o Satan!« unterbrach er sich mit verzerrtem Gesicht und vor Grimm zitternder Stimme, und fuhr vom Stuhl in die Höh und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß Gläser und Flaschen tanzten, und preßte beide Fäuste vor's Gesicht. »Seht – Junge seht – es zerreißt mich noch. Ich kann nicht davon erzählen!« –

So stand er eine geraume Zeit regungslos, nur zuweilen hörten wir ihn einmal tief Luft holen oder auch seine Zähne an einander knirschen, und ich erschrack in mir förmlich vor diesem Abgrund der Leidenschaft, der mir aus dem Inneren des Mannes immer gewaltiger entgegengähnte. Sprechen mocht' ich nicht, und auch der Wirth war still, nur daß er hie und da höchst bedenklich den Kopf schüttelte, und die leeren Flaschen zu überzählen schien, die auf einem Nebentische standen, – bis endlich ein neuer Windstoß noch heftiger als die vorigen gegen die Laden fuhr, und den Alten zu den Worten bewegte: »das ist ein barbarisches Wetter!« Da ließ Vicent die Hände vom Gesicht sinken, schüttelte sich, setzte sich wieder und fuhr, nachdem er noch einige Augenblicke in's Licht gestarrt, dennoch fort! und ich möchte sagen, Ton und Weise waren noch kalter als früher. Es mochte auch wohl der Kontrast gegen den letzten Ausbruch sein, der es mir so erscheinen ließ.

»Hört nur weiter,« sprach er. »Als ich das also vernommen und aufgefahren, wollte ich fort zu ihr, die ich so rasend geliebt, die sich mir selbst an den Hals geworfen, die mich so rasend betrog – und ich war schon ein paar Schritte fort, bevor Lionel mir nachspringen, mich zurückhalten konnte. »Laßt mich los!« schrie ich und riß meinen Dolch heraus, »oder Ihr seid des Todes!« – Aber seine Faust lag wie ein Schraubstock um meinen Arm und seine Antwort war: »immerhin, Kapitän; so kühlt Euch mein Blut vielleicht ab, daß Ihr vernünftig werdet. Was wollt Ihr? Sie ermorden? Bedenkt, wer sie anschuldigt – ein rachsüchtiges altes Weib! Und der Conde flieht ja die Weiber, wie wir wissen. Und Ihr und ich – wir wissen nichts Unrechtes weder von ihm noch von der Sennora. Und wir müßten's doch gespürt haben, Sir. Sind wir denn allein blind und dumm? – Wenn jemand etwas weiß, so ist es Juno« – so hieß eine Mulattin, die Teresa zu ihrem Dienst um sich hatte – »sie folgt der Sennora wie ihr Schatten. Weiber müssen sich ausreden, Sir,« setzte er hinzu: »die Sennora hat sicher zu der Dirne geredet.« –

»Da preßte ich die Fäuste zusammen und gab ihm nach: mein Plan war gemacht. »Genug!« sprach ich und schüttelte seine Hand ab und steckte den Dolch in die Scheide. »Geht an Bord und laßt sie zur Ausfahrt parat sein, ich segle in einer halben Stunde.« – »Kapitän,« sagte er, »sie ist ein Weib!« – »Bin ich Euch als ein Bluthund bekannt?« fragte ich dagegen. »Fort, und wie ich befohlen. Ihr bleibt in der Nähe, daß ich Euch die Befehle für meine Abwesenheit geben kann.« Und damit wandte ich mich ab und schritt meinem Hause zu, um noch mit Teresa zusammen zu sein, wie ich es mir ausgesonnen. Es waren noch etwa zwei Stunden bis Sonnenuntergang, und wenn ich mich hastete, konnte ich am Abend noch mit der Ebbe und dem Landwinde durch den Hafen bis an die Klippen kommen, und in der Frühe des folgenden Morgens in See gehn.

»Knabe, es war das erstemal, daß ich gegen sie etwas heuchelte, was nicht in mir war. Ich war lustig und kosete mit ihr, nachdem ich von meiner neuen Fahrt gesagt, ich neckte und ich lachte, wie ein glückseliger Mensch, – und im Innern gab es doch nichts als Zorn und auf Rache sinnenden Grimm. O, die Liebe und der Haß machen den Menschen zu allem fähig, selbst zu dem, was sonst weit ab liegt von seiner Natur. Das hab' ich da gespürt, denn wie ich auch war und bin, heucheln und lügen hab' ich nie gekonnt als dies eine, dies einzige Mal in meinem ganzen Leben. – Teresa verstand davon nichts; ich weiß nicht ob ich zu gut spielte, oder ob sie was andres im Kopf hatte, daß sie nicht acht darauf gab. Sie war kalt, wie zuvor, sie ward weder durch meine Liebkosungen noch durch den Abschied berührt. Sie war ungeduldig – sie wollte mich los sein! Und der Zorn füllte meinen Kopf mit immer wilderer Glut, so daß ich eilen mußte davonzukommen.

»So lebe wohl, Herz meines Herzens!« sagte ich nach dem letzten Kuß, »laß mich dich in deiner Lieblichkeit wiederfinden bei meiner Rückkehr! Und nun – à la mano de Dios! – Juno soll mir gleich die Wäsche bringen.« Und damit ging ich unter den Palmen hin dem Hafen zu, und die Dirne folgte mir nach wenigen Sekunden mit dem Pack frischer Wäsche, wie sie es bei jeder Ausfahrt zu thun gewohnt war. Als ich an Bord kam und mit dem Steuermann sprach, kam, sie bereits mir nach. »Trag's in die Kajüte, Juno,« befahl ich. »Die Wache soll sie nicht wieder herauslassen. Werft das Brett ab, Leute an die Segel und hinaus mit uns.« Und zu Lionel, der am Lande meiner Befehle harrte, sagte ich, indem wir ablegten, er möge aufpassen und gute Ausschau halten lassen auf etwaige Signale, wenn ich wieder zurückkomme. Der Sennora solle er sagen, Juno sei von der Laufplanke gefallen und von den Haifischen zur Nachtkost verspeist worden. – Meine Leute waren verwundert, aber zu sagen wagten sie nichts; hatten auch zuviel zu thun, da die Segel mittlerweile in die Höhe gingen und sich füllten und wir durch das Hafenbecken hinausschössen. Da ging ich hinab und nahm mir das heulende Weibsbild vor.

»Es kostete nicht gerade besondere Künste, sie zum Reden zu bringen. Das erste drohende Wort: »nun, du gelbe Hexe, du willst mich also mit deiner Herrin betrügen?« – stürzte sie wie ein schlagender Blitz heulend zu meinen Füßen und als ich nur erst ihr Geschrei und Geheul gestillt hatte, erfuhr ich alles, was ich wollte. Lionel hatte Recht gehabt – Teresa hatte gegen die Sklavin ihr Herz ausgeschüttet! und nun hörte ich's: sie liebte mich längst nicht mehr. –

»Heinrich Paulsen nannte sich jener Bursch, weil er verborgen sein wollte, sein eigentlicher Name geht euch beide nichts an, aber er war der Vetter von Teresa's Mann in Cadiz, – daher die Aehnlichkeit! – durch die Verbindungen seiner Familie in der holländischen Kriegsmarine untergebracht und mehrere Jahre als Offizier in Dienst gewesen. Schon damals hatte er seine Cousine heiß genug, doch ohne Erfolg, geliebt; als er den Tod seines Vetters erfahren, hatte er Urlaub genommen und war nach Cadiz geeilt. Teresa war abgereist, zu ihrem Oheim nach Cuba. Er nimmt seinen Abschied, um frei zu sein, er eilt ihr nach: sie ist nicht da. Das ausgeraubte Schiff des Cristobal Lopez ist jedoch aufgefunden, das Schicksal der Mannschaft muh jedermann klar sein; theils zeugen davon die Spuren auf dem Deck, theils weiß man von uns im »Feuerstrahl« genug, um keinen Augenblick in Zweifel zu sein. Der tolldreiste Bursch setzt es sich in den Kopf uns aufzuspüren; darüber vergeht ein zweites und beinah ein drittes Jahr. Seine Nachforschungen bleiben umsonst, seine Spione kommen gar nicht wieder oder unverrichteter Dinge, – kurz er denkt zu verzweifeln – denn der Bursch ist halb verrückt vor Liebe zu dem verlorenen Weibe. –

»Da endlich versucht er es noch einmal mit einem Nigger, der von unsrem Hafen, der Teufel weiß wie Kunde erhalten hat. Ich kann mir noch heut keine andere Weise denken, als daß er mit einem andern Burschen zusammengerathen der uns vor einiger Zeit einmal in Puerto bello entlaufen war und den wir erst nach ein paar Tagen wieder griffen. Kurz, der Bursch findet einen Weg, – wie und wo, habe ich nie erfahren – er gelangt zu Teresa und bringt ihr Kunde. Sie will nichts davon hören, aber sie läßt ihn zurückgehn, ohne uns etwas zu entdecken. Mich liebte sie nicht mehr. Nach dem Tode des Kindes war, wie ich es ja auch gespürt, der Rausch vorbei. Am liebsten wäre sie jetzt fort gewesen. – Er kommt zum zweiten, zum drittenmal. Dabei verspätet er sich – vor den Augen Lionels, der ihn freilich bisher noch nicht erblickt, will er entschlüpfen. Das schlaue und doch besorgte Weib ergreift die Partie ihn selbst dem Alten zu zeigen um ihn so los zu werden, wie es ihr auch gelingt. – Als der Bote, der einen drängenden Brief des Conde gebracht, diesmal ganz ausbleibt, versucht der tollkühne Mann das letzte Mittel. Er breitet selbst die Abfahrt des Schiffes aus, um Spione von uns aufmerksam zu machen. Es gelingt, es wird von uns aufgebracht; er schleicht keck zu uns an Bord. Er sieht sie – sie will nichts von ihm; aber sie langweilt sich bei mir – sie will fort – sie hat ein sehnsüchtig Herz – die Liebe und die Verachtung jeder Gefahr rührt sie bei dem Mann – sie spricht mit ihm – sie gibt nach. – Schlau machen sie den Plan mich erst sicher werden zu lassen, dem Conde eine Autorität mir gegenüber zu verschaffen; dann wollen sie fliehen.

»Seht ihr,« schloß er diese gedrängte, erst zuletzt lebhafter vorgebrachte Mittheilung, »so erzählte mir nicht die Dirne, sondern so kombinirte ich's mir aus all ihrem Heulen und Schwatzen. Mir däucht, es war nicht schwer, das Richtige zu treffen; und wo ich mir selbst etwas zusammengereimt, was nicht richtig, – was Hat das? Die Hauptsache blieb richtig.

»Als ich das wußte, ließ ich sie liegen, wo sie lag, und ging auf Deck; wir waren bereits in der Schlucht, aber als wir hinauskamen, war es schon zu dunkel, als daß wir hätten wagen können, noch heute die Klippen zu passiren. Wie ich die Nacht zubrachte, kann ich nicht sagen; ich glühte in einem Fieber, in einer Wuth. Und die Mannschaft sah das, – es kam mir niemand in den Weg. Scheu wandten die Posten sich ab, wenn ich in jener Nacht an ihnen vorbeilief; denn ich rannte rastlos umher. – Ich weiß nicht, bin ich anders als andere – oder hat ein anderer nie so unmenschlich geliebt wie ich? – Dann konnte freilich auch niemand je einen solchen Haß, einen solchen Rachedurst in sich tragen.

»Der Morgen kam indessen, wir traten in die Klippen und kamen durch, und dann faßte uns der Südostpassat und jagte uns dahin, daß sich die Stengen bogen wie Peitschenstiele, und die Masten ächzten und das Schiff stöhnte vor dem Segeldruck. Aber es war, als ob der Schoner wisse, was es galt, als wolle er mir, der ich so lange sein Herr gewesen, gehorsam sein bis ans Ende. Es ging, es gab keinen Schaden; und die Mannschaft war rüstig von früh bis spät, niemand sagte ein Wort. Nur der Zimmermann sah zuweilen mit wahrer Herzensangst hinauf zu seinen Stengen und Raaen.

»Nach achtundvierzigstündiger Fahrt waren wir schon auf unsrem gewöhnlichen – Jagdgrunde, wo auch die Teresa jetzt zu finden sein sollte. Allein es verging ein Tag und noch einer und noch einer, ohne daß wir sie gefunden. Auf hundert Meilen hin schössen wir durch die See; es war keine Welle dort, sag' ich euch, die uns nicht gestreift; es trieb weder ein Kraut noch ein Stück Holz in der See, das wir nicht gesehn. Ich brauchte keinen Mann zum Spähen in die Höhe zu schicken: Nacht und Tag hingen ein paar freiwillig droben auf der Wacht und ließen sich kein Segel entgehn, und war's so klein gewesen, wie der Fittig einer Möve. Es mochte sich was von meinem Vorhaben, von dem Zweck unseres Fluges unter den Leuten verbreitet haben; hatte Juno geplaudert? Hatte ich selbst ein Wort ausgestoßen, das ihnen auf die Spur half? Wie kommt so etwas überhaupt aus? – Das kann niemand sagen. Aber es war heraus, und die Leute zeigten sich finster und entschlossen, denn der Zwist mit der Mannschaft der Teresa war immer offener geworden und in vollen guten, warmen Haß übergegangen.

»Und wie ich euch sage, die Tage vergingen und wir fanden nichts.

»Das ging so fort dreimalvierundzwanzig Stunden; mein Kopf wirbelte, ich war wie blind von dem ewigen Hinaussehn in die blendende Ferne; und wie man oft grade in der ärgsten Herzensnoth auf die allerdummsten Gedanken verfällt, so kam mir jetzt plötzlich zu Sinn, was ich einmal in einem alten Geschichtenbuch gelesen. Da sei, hieß es, ein betrübter Mensch drei Tage lang in seiner Stube auf- und abgelaufen, bis man die Spur seiner Schritte im Fußboden gesehn habe. Gott verdamm' mich, das ist justement mein Fall! dacht' ich damals und guckte auf meine Bahn um's Verdeck. Denn wenn ich nicht auch mit meinem Spähglase im Mars saß, that ich nichts als rastlos auf und niederlaufen, vom Steuerrade bis zum Vordersteven und retour, sei's Steuerbord, sei's auf Backbord. Doch die Planken blieben glatt und eben und es war nichts zu sehn, so viel ich auch guckte. So was denkt sich nur so ein einfältiger Büchermacher aus. – Endlich hielt ich's nicht länger aus. Meine Rachegedanken waren alle fort; es packte mich eine furchtbare Unruhe und mir war immer, als riefe mich was zurück in den Hafen. Und so ließ ich umlegen, und wir liefen so schnell wie möglich dahin zurück, woher wir gekommen.

»Es war ein glorreicher Morgen, als wir die Riffe wieder anliefen und – da wir niemand Fremdes an Bord und auch kein Segel in Sicht hatten, daß wir hätten vorsichtig sein müssen – die Straße auch sogleich betraten, genau neun Tage nach unsrem Auslaufen. Und Gott verdamme mich, wir wußten's alle, daß uns was Absonderliches bevorstände. Woher? – Ja, woher! – Es war einmal da und in uns, und – wißt ihr's beide, oder wißt ihr's nicht – so was täuscht den Menschen selten.

»Als wir in der Schlucht hinzogen, erscholl über uns plötzlich ein lautes: »Ahoi, Feuerstrahl!« – Die Stimme gemahnte uns an die Lionels, aber sehn konnten wir niemand vor den überhängenden Felsen und auch wieder kaum glauben, daß der alte Bursch dort oben sei. Denn was hatte er dort zu schaffen, wo wir höchstens im äußersten Fall ein paar Mann zur Verteidigung gegen feindliche Angriffe hinbeordern konnten? Der Weg dahin war selbst für den Jüngsten nicht ohne Gefahr. Und nun, du wir auf den Ruf antworteten und die Hälse nach oben drehten, wie die Hühner, wenn sie getrunken, da blieb alles still, – der Schoner ging nach vorn, wir traten um die letzte Ecke in den Hafen, und was an Gläsern an Bord war, richtete sich nach dem Lande. Da war's.

»Eigentlich,« sprach er nach einer Pause und ein finsteres Lächeln glitt über seine eben noch ruhigen Züge, – »eigentlich sollte ich sagen: es war da nichts! – Nichts denn Kohlen und Asche und Spuren der Zerstörung: ihr müßtet denn ein paar Leichen für ein Etwas halten wollen. – Ja, Bursche, es war uns, als ob wir träumten – wir sahen uns an, wir sahen zum Lande hinüber. Auf der Batterie stand kein Geschütz mehr, von den Hütten war nichts zu sehn. Verwüstung, sag' ich, Kohlen und Asche! Das war alles! Alles! – Und nein doch, – nein!« fuhr er fort, fieberhaft erregt, »ich sagte ja auch das schon! – Da vorn am Strand entdeckten unsere Gläser und beim Nähertreten bald auch unsre Augen ein paar hingestreckte Körper – Kameraden, wie wir's an der Kleidung sahen, auch ein Weib – o Gott verdamme mich! – Der Schoner stieß an die Batterie, und wir standen am Bord wie gelähmt und schauten das an und rührten uns nicht, und sprangen nicht an Land, und sagten kein Wort: – so hatte sogar uns der Anblick gelähmt.

»Was half es dann auch, als wir endlich aufschrieen vor Wuth und an's Land stürzten, als wir die Leichen untersuchten, und die Kohlen durchstöberten, die theilweise noch glühten und dampften, als wir die Fäuste zum Himmel warfen und Rache schwuren! Da ward nichts besser. – Alles, was wir gesammelt und aufgespeichert, war fort oder vernichtet: keine Hütte mehr übrig, keine lebendige Seele zu finden – selbst ein paar Hunde, die wir am Lande hatten, lagen dort mit durchschossenen, zerschmetterten Schädeln. Kurz, es war grausig, sag' ich euch, furchtbar! Und den Kühnsten unter uns bebte das Herz, und die Mutlosesten erhoben sich zu einem Hasse, der nur durch Blut zu stillen war und den sie auch in Blut gestillt haben,« Und als Vicent die letzten Worte sprach, zuckte es auch jetzt noch mit Wuth und Hohn durch sein Gesicht, und indem er sein Glas ergriff und leerte, setzte er hinzu: »ja, ihr Landkrabben, das alles macht euch blaß, ich weiß wohl! Das jagt euch vor Angst euer Blut aus dem Herzen! Aber es ist unter der Sonne dort nicht so zahm wie hier, und was unsre Heizen und Köpfe mit Glut und ehrlichem Haß füllte, davon wart ihr Wickelkinder ohnmächtig geworden. Das ist einmal nicht anders bei den Menschen.

»Als wir aus dem Schwören und Fluchen heraus waren, als ich genug mit dem Fuß in die Kohlen gestoßen, die an dem Platz lagen, wo vor zehn Tagen meine Hütte gestanden, wo ich drei Jahre lang mein Haupt zum Schlaf an Teresas Busen gelegt, – da war ich's dennoch zuerst, der sich faßte. Einige Leute schickte ich ins Land, um alles noch genauer zu durchsuchen. Unsern Schoner ließ ich fertig zum Kampf machen, die Enternetze aufziehn, die Karronaden bis an die Mündung laden, und beorderte ihn dann an den Eingang zur Schlucht, um gegen jeden Ueberfall gesichert zu sein. Und endlich brach ich selbst mit einem starken Trupp nach dem Felsgrath auf, der auf die Seitenwände der Schlucht fühlte. Wir hatten jene Stimme nicht vergessen, die uns begrüßte! Ein Leben war doch noch übrig! Einer konnte uns doch sagen, wie das alles geschehn! – Wer es gewesen, fragten wir nicht, denn darüber war kein Zweifel bei uns. Niemand als die Männer von der Teresa kannte den Hafen und den Weg zu ihm hinein. Niemand als die feigen Bursche allein wäre dann davongelaufen, ohne auf uns zu warten. Jeder andere Feind, der unser Lager entdeckt, wäre noch lüsterner nach uns selbst gewesen, als nach unsern Schätzen. So schlossen wir; und es war nicht falsch gewesen.

»Denn als wir den Grath passirt hatten und oben angelangt waren, in der Gegend, von wo wir nach unserer Meinung vorhin angerufen worden, und wo man einen guten Lugaus auf die Klippen und die See hatte und vernehmen konnte, was drunten in der Schlucht passirte, – da antwortete auf unser Rufen aus einem Gesträuch bald dieselbe Stimme, und wie wir hinzueilten, fanden wir Lionel. Es war Zeit, wie wir merkten, denn es zeigte sich mit ihm dicht vor dem Zupassen. So aber brachte ihn unsere Hülfe wieder zu Kräften, daß er erzählen konnte.

»Ich mag euch das alles nicht mehr ausführlich berichten, denn ich habe sonst noch genug zu sagen,« fuhr der Kapitän wieder fort, nachdem er sich eine neue Cigarre angezündet und die Arme dann über die Brust gekreuzt hatte. »Es war, wie wir vermuthet. Vor vierundzwanzig Stunden war die Teresa eingelaufen und gleich zum Anfang sei die Sennora auf des Conde Arm gelehnt an Bord gegangen. Dann hatte sich auf des Conde Befehl, vielleicht auch ohne denselben, die Mannschaft aller unserer gemeinsamen Vorräthe und Schätze bemächtigt. Als sie bei den alten Burschen am Lande Widerstand gefunden, seien diese im Kampf getödtet oder an Bord geschleppt worden. Das Blut hatte sich dabei immer mehr erhitzt, es war im wilden Treiben immer weiter gekommen; die Weiber seien mißhandelt, die Hütten angezündet, die Verwüstung in der Trunkenheit vollendet worden. Und so seien gegen Abend alle zu Schiff und davon gegangen. Als die Schlächterei im vollsten Gange gewesen, hatte Lionel sich mit einem Schuß im Bein salvirt und war so weit von hinnen geflüchtet, wie möglich, damit wenigstens Einer uns Kunde geben könne. Ueber den Grath war der alte Bursch auf dem Bauch gekrochen, um uns von droben, wenn wir ansegelten, ein Signal zu geben. Allein dazu hatten seine Kräfte nicht genügt: er hatte in stundenlanger Ohnmacht gelegen, und war eben erst wieder zu sich gekommen, als er auch schon die Stengen des Feuerstrahls in den Felspaß treten sah und uns anrief, so laut er's vermochte.

»Von den Plänen des Conde wußte er nur zu sagen, daß man, bevor das Plündern und der Kampf begonnen, die am Lande Gebliebenen zu verführen suchte, sich der Mannschaft der Teresa anzuschließen und mit ihnen nach irgend einem südamerikanischen Hafen zu gehn, wo man im Kampf gegen die Spanier sicher aufs beste willkommen war. Das brauchte ich freilich nicht mehr zu erfahren, da ich es wußte. Denn ich hatte früher gegen den Conde wohl hie und da einen Wink fallen lassen über meine eigenen, ähnlichen Absichten. Und wohin wollte auch die Bande? Darin war der Schlaukopf nicht schlau genug gewesen. Durch das Leben mit uns hatte er sich jeden ehrlichen Hafen verschlossen. Nur dort bei den Aufständischen konnte er noch Aufnahme, in einer der abgefallenen Städte vielleicht einen Wohnort finden. Aber er schien auch nichts weiter zu wollen. Teresa war ihm die Welt, wie sie's mir gewesen.

»Ich ließ den Alten hinunterschaffen! das Schiff ward zurückgerufen und wir gingen an Bord. Das war rasch geschehn, mitzunehmen hatten wir nichts – es war nichts da, als wir selbst. Und als wir aus der Bai gingen, blieb am Lande nichts zurück als die Bäume und Pflanzen, der Sonnenschein und der Seewind, der in den Palmenkronen spielte. Und wir nahmen Curs nach Südwesten.

»Es war still an meinem Bord und still war ich selbst. Aber dort sah ich die Stirnen finster und die Augen brennend in düsterer Glut! und in mir fühlte ich all mein Blut klopfen. – Hinunter kam ich nicht; Tag und Nacht saß ich wieder im Mars und guckte mir schier die Augen aus. Alle Hoffnung war noch nicht verloren, da wir ungefähr die Richtung der Teresa kannten und immerhin ein gut Theil rascher segelten, als sie, zumal bei schwächerem Winde. Und Tag und Nacht that ich nichts als darauf sinnen, wie ich dem »Feuerstrahl« schneller forthelfen könnte. Segel, Segel, Segel! Und ich sag' euch, wir schössen doch hin wie die Möven, wenn sie vor dem Sturm fliehen.

»Es ward Nacht und es ward Tag; mehr als ein Schiff, das uns sonst ein willkommener Fang gewesen, ging unbelästigt an uns vorüber: ein englischer Kreuzer hatte uns gewittert und saß uns ein paar Stunden auf den Fersen und übte seine Burschen an seinen langen Achtzehnpfündern gegen unsre Spieren und Stengen. Wir gingen ruhig weiter und sahen uns nicht um nach ihm, wir lachten nicht einmal über die Mühe, die er sich gab und die unsrem Flieger gegenüber so umsonst war. Gottes Tod! Damals hab' ich's gesehn, was ein Schiff leisten kann, wenn man's recht in die Hand nimmt; und hätte ich nicht Kopf und Herz voll Blut gehabt, ich hätte mich freuen können über mein wackeres Schiff. So flog's! Und wenn Ihr das einmal gesehn,« wandte er sich an mich mit blitzendem Auge und, ich möchte sagen – stolzer Stirn, »wenn Ihr das gesehn, dann würdet Ihr's wissen, was für ein Unterschied ist zwischen der faulen, dicken Bark von damals drunten am Werft und einem Baltimore-Schoner! Und Ihr würdet sie nie mit einander verwechseln!

»Ich weiß nicht, war es Himmel oder Hülle, was uns zu Hülfe kam – aber am vierten Tage, wie die Sonne aufstieg, sah ich recht vor uns auf etwa drei Meilen Entfernung die Teresa. – Was da in mir vorging, kann ich Euch nicht sagen, Knabe. Am liebsten hätt' ich aufgeschrieen im unmenschlichen Jubel; allein ich preßt' es zurück und stieg hinab, da ich nun droben nichts mehr verloren hatte. Jetzt braucht' ich weder Himmel noch Hölle mir zu Hülfe – ich hatte meine Beute, die mir bei dem flauen Winde nicht mehr entgehn konnte. Der Feuerstrahl segelte drei Knoten, während die Teresa es nur auf zwei brachte. – Meine Leute waren gleichfalls still; gesprochen ward nirgends; was zu thun war, geschah schweigend. So preßte uns der Zorn die Brust zusammen.

»Sie hatten uns von drüben gleichfalls langst gesehn und wußten es wie wir, daß von einem Entrinnen keine Rede war. Dennoch versuchten sie's zuerst, und das Schiff schoß umher wie ein Fisch im Netz, planlos und unklug, denn wir kamen ihm dadurch nur immer naher. Sodann aber legten sie bei und bereiteten sich augenscheinlich zum ernstesten Kampf vor. Sie wußten, daß wir nicht spaßen würden mit einander; es galt nur noch Sieg oder Tod zwischen uns.

»Und da kam ihre erste Kugel daher und fegte uns durch das Tauwerk, jedoch ohne Schaden zu thun, während unsere Antwort ihre Gaffel abschoß und ihren großen Mast noch tüchtig anstreifte. Hatten wir sie noch nicht gehabt, so waren sie jetzt unser, und es bedurfte nur noch den Kampf um das sie oder wir. – Und wir kamen hinan,« sprach er weiter, nicht mehr erregt, sondern mit einer gewissen Starrheit und mit finsterem Ernst in allen vorhin bald so verzerrten, bald so ruhig-gleichgültigen Zügen seines Gesichts. »Und wir kamen hinan, und die Lagen folgten sich rasch, und die Enterhaken fielen, und wir waren an einander geschmiegt, wie ein Liebespaar in seiner zärtlichsten Stunde.

»Daß wir siegen würden, wußten wir, aber ebenso gut auch, daß uns der Sieg nicht leicht sein würde. Denn die Burschen dort am Bord waren so gut wie wir durch eine ernste, derbe, blutige Schule gegangen; es war keiner darunter, der nicht seine richtigen Proben bestanden, und daß der Conde sie zu führen verstand, hatten wir mehr als einmal erfahren. Und so kam es denn auch. Es war das kein Kampf, wie am Bord eines armen Kauffahrers, der sich ein bischen widerspenstig zeigte, das Fell sich von uns über die Ohren ziehn zu lassen. Hier stand Mann gegen Mann, der Hieb traf auf einen Hieb, der Schuß auf einen Schuß, und das Blut floß aus gleichen Wunden.

»Und dennoch half es ihnen nicht. Wir fielen hinein in ihre Haufen wie ein Donnerkeil und trieben sie aus einander, vor uns her, hin über das Verdeck, hinein in die Luken, über Bord, und ich gelangte an den Conde, den heillosen Verräther. Sein Säbel schlug auf mich nieder und schnitt durch den Hut wie ein Messer in meinen Kopf, so daß ich taumelte. – Das war der Anfang der Narbe, die Ihr da über meinem Schädel seht, Knabe. – Aber das war nur ein Moment! Und dann fuhr ihm auch schon mein Dolch in die Brust, und ich stieß den Stürzenden mit dem Fuß zur Seite und schrie ihm nach: »geh hin, verrätherischer Hund!« – Und dann stürzte ich unter dem wilden Jubel meiner Gesellen fort, die Leiter hinab, in die Kajüte, wo ich sie suchte, die so lange das höchste Kleinod meiner Erdenschätze gewesen.

»Sie war auch da. Mit dem Kopf in die Kissen gedrückt lag sie auf dem Divan und sah nicht auf bei meinem Eintritt. Aber als ich ihr ihren Namen zurief, fuhr sie empor, pfeilgrade, hoch und schlank, und starrte mich an mit brennenden Augen, als sei ich ein Gespenst, und strich sich langsam die losen, langen schwarzen Haare aus dem Gesicht, die ihr wirr um die Schultern fielen, und dann stammelte sie etwas, was da klang wie: »so will mir die heilige Jungfrau nicht verzeihen!« – Und dann schlug sie die Hände vor ihre Augen und stürzte rücklings wieder auf die Polster.

»Was ich mit ihr gethan hatte – ich weiß es nicht; vielleicht hatte ich sie ermordet, vielleicht auch liegen lassen. Denn neben allem Haß hatte ich auch eine rasende Verachtung in mir gegen das Weib, das so sich von mir zu einem andern gewendet. Aber da stürzt mein Steuermann herein und schreit: »Kapitän, die Dido steht uns auf sechs Meilen nahe!« – Und dem Noten folgt ein zweiter, und er ruft: »salvirt Euch, Kapitän, das Schiff brennt lichterloh vom Raum auf!« – Und so vergeß ich alles, bis auf meine alte unmenschliche Liebe zu ihr: ich springe zu ihr, ich reiß sie in meine Arme; sie windet sich auf wie ein Wurm, und ringt und ruft: »laßt mich los, Sennor, laßt mich los, Don Jorge! – Ich will nichts von Euch, blutiger Mann! Barmherzigkeit!«

»Recht hatte sie,« unterbrach er sich, und ein höhnisch Lächeln zuckte über sein Gesicht; »blutig war ich; es lief mir das Blut über das ganze Gesicht von des Conde Hieb; und so vornehm sah ich sicher nicht aus wie sein blondlockiger, blauäugiger, heuchlerischer Figurenkopf, bevor ihm mein Dolchstoß das Blut aus den Wangen jagte Ich mag anzuschauen gewesen sein wie der Teufel! Glaub's schon! Und ein wenig fester hielt ich sie auch, als mit Liebesarmen, denn sie sträubte und wand sich wie eine Schlange, und Zeit zum Zartthun hatte ich nicht. Denn da ich die Leiter hinaufeilte, erstickte ich beinah schon im Rauch, und die Flammen leckten mir an den Fersen.

»Ich stürze aufs Verdeck, ich springe hinüber in den Feuerstrahl, ich rufe: »räumt das Schiff! Los mit den Enterhaken! Alle Mann an die Segel!« Und meine Leute drängen sich mir nach – ich sage Euch, Knabe, es ist kein Spaß mit einem lodernden Vulkan zur Seite, der, wer weiß wie viel Centner Pulver im Leibe hat, und wir hatten noch gar lein Verlangen nach solcher Himmelfahrt!

»Und wie die Enterhaken fallen und wir uns langsam abdrehen, wie ich die noch immer ringende Teresa eben hinab und in Sicherheit bringen will, – da hebt sich drüben am Steuerrade, wo er gestürzt, plötzlich aus dem Dampf und Rauch und den züngelnden Flammen lang und hoch die schwankende Gestalt des Conde und starrt zu uns herüber mit gläsernen Augen und streckt die Arme aus und ruft mit hohlem, bebendem Ton: »Teresa!«

»Und in demselben Augenblick reißt sich das Weib unwiderstehlich aus meinen Armen – ich kann sie nicht halten! – Sie ist schon los, wie ich nach ihr hasche – schon fort. Und sie stößt einen Schrei aus, einen Schrei, daß es uns wie ein Dolchstoß bis ins Herz schneidet, daß es wie Stahl durch Mark und Nein geht, daß wir leichenblaß stehn, denn es war übermenschlich, wie das klang und schnitt! Und mit einem einzigen Sprunge fährt sie über Bord und in die Wellen. –

»Als wir ihr nachstürzen, verschwindet ihr Gewand schon in der Tiefe. – Meine Leute hielten mich zurück, daß ich ihr nicht nachsprang; und ich bin dann sinnlos niedergeschlagen.« Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, sein Kopf sank auf die Brust, und er saß mehrere Minuten regungslos. Selbst sein Athem schien still zu stehn.

Endlich erhob er wieder den Kopf und schüttelte ihn leise, fuhr mit der Hand über Stirn und Auge und setzte dann plötzlich seine Erzählung fort. »Zeit zum Ohnmächtigsein hatte ich aber nicht, 's war auch nicht meine Art, schwach zu sein wie ein altes Weib, und so kam ich denn bald wieder zu mir, schüttelte meine Gedanken ab und brauchte meine fünf Sinne, wie es noch that. Die Dido – das war eine englische Fregatte, die uns seit einiger Zeit hetzte, – war uns verzweiflungsvoll nahe; noch näher brannte uns die Teresa auf den Leib und drohte alle Augenblicke mit ihrem Auffluge. Und hinter uns her kam eine steife Kühlte, die schon jetzt außer allem Spaß war und uns in ihren Folgen noch schlimmeres verhieß. Denn der Himmel sah da drunten aus wie Pech und Schwefel.

»Wir waren vielleicht eine halbe Meile leewärts, als die Teresa in die Luft ging; zugleich streifte auch schon eine Kugel von der Dido matt an unsrem Bug vorüber. Aber das alles kümmerte uns jetzt wenig; mit dem Schoner war's nach dem Knall zu Ende, und die Fregatte hätten wir selbst bei schönem Wetter nicht sehr gefürchtet, wie nahe sie uns auch gekommen. Jetzt hatte sie bald zu viel mit sich selbst zu thun, als daß sie noch an uns hätte denken können. Das Wetter dahinten kam herauf im Galopp, könnte ich sagen, und was es an Blitzen mit sich führte, waren keine Strahlen mehr, sondern richtige Flammenbüschel. Und wie es nun wirklich heraufbrauste und über uns hereinbrach mit wahrhaft höllischer Wuth, – so was habe selbst ich in meinem Leben nicht wiedergesehn; es war oft, als wolle es unsern Schoner bolzgrade mit Mann und Maus ins Meer hinab drücken, so fest lag es um und auf uns mit ungeheuerem Druck. Und als es damit endlich vorüber war, folgte ein schwerer Sturm aus Südwest und schüttelte uns und jagte uns, daß wir keine Zeit hatten, an die Begebenheiten des Morgens zu denken. Nur ich that das.

»Es war eine böse Nacht, rabenschwarz oder auch einmal taghell von den schweren Blitzen. Der Sturm brauste und die Wellen peitschten und stäubten, und der Regen goß dazwischen wie mit Eimern. Es war niemand droben, als wen der Dienst dazu zwang, die andern saßen drunten bei Gläsern und Karten und warteten eines Rufs, der auch sie hinaufzwingen würde. Und ich selbst wäre sonst auch lieber in der Kajüte gewesen, denn Pläsir war hier oben nicht, allein heut hatte ich's drunten nicht aushalten können, da mich das Wundfieber schüttelte und noch mehr meine bösen – bösen Gedanken – ich weiß nicht, ob mehr Zorn darin war oder mehr Wehmuth. Und dazu gellte mir noch immer ihr furchtbarer Schrei in den Ohren; er hatte mich getroffen, als hätt' er mich wirklich wund gemacht in meinem Leibe. Und zu allem andern ließ mich auch meine Pflicht nicht drunten, und ich stand bei den Männern am Rade und gab acht, so viel ich konnte.

»Seht –.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er sie abtrocknen: sie schien mir auch in der That plötzlich mit Schweiß bedeckt und war leichenblaß. – »Seht – da hob es sich hinter uns von der See her mit einem grellen, scharfen, langausholenden, langgezogenen Ton, und über unsre Häupter hin schnitt ein Schrei das Verdeck entlang bis zum Vordersteven, grade so, wie den das unselige Weib am Morgen ausgestoßen. Grade so! Und es war so laut, daß unsre Bursche aus den Luken stürzten wie gehetzt, und wir fühlten, wie uns die Haare sich sträubten und der Schweiß uns aus der Stirn brach. Und doch war nichts um uns her als Wind und Wellen. Und wir sahen uns verstört an und packten einander an, daß wir fühlten, ob wir träumten oder wachten. Aber indem wurden wir des Wachens schon inne; denn derselbe Schrei zog noch einmal über uns hin, – und dann noch einmal – und dann – dann war es vorbei, und niemand hat wieder den Ton vernommen.

»Ich zum wenigsten nicht,« setzte er nach einer kleinen Pause hinzu. »Denn als der dritte Ton vorüber war, warf der Sturm von droben eine Spiere herab und mir in die frische Wunde am Kopf, so daß ich sinnlos niederstürzte. Und ich habe auch nie verstanden, was das für ein Ton gewesen. War es ihre Seele? – Die habe doch nicht ich auf meinem Gewissen!

»Seht,« schloß er dann finster und bleich, »das ist's. Ich habe viel Schlimmes und Grausiges erlebt, Schiffbruch, Brand, Hungersnoth, kurz was die See an Schrecken hat. Aber ich bin ein Mann geblieben. Nur den Schrei des Weibes habe ich bis ins Herz gefühlt und jene Nacht werde ich nie vergessen. Und wenn ich jetzt daran erinnert werde, packt es mich noch mit bleicher Angst und meine Zähne klappern zusammen. – Das ist es, Knabe! Und nun spottet nie wieder des alten Kapitäns und glaubt nicht, daß er feig sei oder ein Weib. Es ist kein Spaß, was auf meine Schultern gelegt ward. – Genug für heute. Laßt mich allein.« Und er stand auf und setzte sich in die dunkle Ecke des Zimmers am Ofen, stützte den Kopf in die Hand und verharrte im Schweigen. –

Mir war zu Muth, als hätte ich geträumt. Allein so was träumt man nicht, das muß man hören und erleben.

*

Einige Tage darauf kam er zu mir, als sei nichts vorgefallen; sein Rock war sauber, sein Hut saß im Nacken, sein Auge war ruhig und sein Gesicht glatt und – human, möchte ich sagen, wie je. »Kommt Ihr mit zum Syrakuser?« fragte er mich munter. »Aber so viel wie neulich wollen wir nicht wieder trinken. Das gibt nichts als schwere Köpfe und dumme Gedanken. Ich habe Euch viel Unsinn vorgeschwatzt. Vergeßt es, Knabe.« –

 

[Die Erzählung »Das schwarze Schiff«, die an dieser Stelle folgt, mußte leider gelöscht werden, da im Buch 8 Seiten fehlten. Re]


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