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Die rothen Nelken

1859.

Es ist eine so lange Zeit her, daß ich oft meine, so weit reiche kein menschlich Gedächtniß zurück, und das alles sei nur ein Traum gewesen. Für gewöhnlich mache ich mir aber überhaupt nicht viele Gedanken darüber, da ich Andres zu thun habe. Allein, wenn die Zeit wieder da ist, wenn die rothen Nelken in meinem Garten blühen, wenn der Duft aufsteigt und die Sonnenstrahlen durch das Laub dort fein und blank zu mir herabschlüpfen – da steht mir alles wieder leibhaftig vor Augen. Ich sehe Haus und Straße, wo Meister Wehringer wohnte, ich sehe ihn selbst, den Alten, den Felix, die Fides, die Beatrix, – alle und alles, wie es gewesen. Und dann weiß ich, daß ich nicht geträumt, sondern erlebt habe, was ich mittheilen will, wie lange es auch immer her sein mag. Ich war dazumal noch ein Wandergesell, und nun bin ich schon seit fast fünfzig Jahren Meister und Bürger in dieser guten, alten Stadt.

Mir ist aber, als hätten die Nelken noch nie so schön und voll geblüht, wie in diesem Jahr, und niemals ist meine Erinnerung so lebhaft gewesen. Das heißt vielleicht, daß der Felix mich zum Abmarsch ruft. Und darum will ich die Mittheilung des Geschehenen nicht länger aufschieben. Es ist eine geheimnißvolle, wissenswürdige Geschichte, und sie soll durch meine Schuld nicht verloren gehen.

Es war ein Abend wie der heutige, so still und schön, da zog ich spähenden Blick's durch die enge Straße, in der Meister Wehringer wohnte. Und plötzlich sah ich das Zeichen des Hauses, den Drachenkopf über der Thür, und in dieser lehnte ein junger Mensch, der mich beim Herantreten neugierig musterte und endlich mit lustigem Ton zu mir sprach: »Nun, Gesell, was gibt's? 's ist noch nicht Essenszeit.« Das sagte er, weil ich bei seinem Anblick Augen und Mund aufriß – hatte ich doch noch nie ein so prachtvoll Mannsbild gesehen, wie der da vor mir war. Sein Spott aber brachte mich zur Besinnung, und ich entdeckte ihm nun frischweg, daß ich von meinem Frankfurter Meister einen Empfehlbrief an den berühmten Goldschmied Hans Wehringer in der Tasche habe und für mein Leben gern in dieser Werkstatt arbeiten möchte.

Da verschwand der Spott aus seinem Gesicht, und er meinte: »Bist du denn ein Goldschmied, und willst bei uns arbeiten? Daran thust du recht, denn es ist bei uns etwas zu lernen. Allein der Alte ist eigen und nicht schnell bei der Hand mit Annahme neuer Gesellen. Doch – komm' herein; er ist jetzt im Garten.«

So folgte ich ihm ins Haus und zum Meister, der bei seinen Blumen war – er hatte die holdseligen Geschöpfe so lieb wie ich – und mich nicht gerade freundlich empfing. Ich habe aber nicht zu erzählen, was nun alles kam; genug, daß ich endlich durchdrang und nach einem mehrtägigen, scharfen Examen, nach allerlei kitzligen Probestücken mich als Geselle in die Werkstatt aufgenommen sah. Da hab' ich viel gelernt und ein Unendliches profitirt. Denn Meister Hans war, wie bemerkt, dazumal weit berühmt, und sein Sohn, der Felix, – es war der bildschöne Mensch in der Hausthür – gab dem Vater kaum nach. An Geschmack in der Zeichnung und an reicher Erfindung übertraf er ihn sogar; nur in der Ausführung hapert' es, da er keine Ruhe und Ausdauer hatte.

Wir führten eigentlich ein stilles Leben im Hause. Außer dem Felix waren wir unser drei Gesellen, von denen der Eine, Gotthard, schon an die fünfzig Jahre zählte und lange im Hause war. Dazu kamen zwei Lehrburschen, eine alte Magd wirthschaftete in der Küche, und dem Hauswesen stand die Fides vor, eine Schwestertochter des Meisters, seit früher Jugend verwaist und hier erzogen. Die Meisterin war vor ein paar Jahren gestorben.

Die Fides vertrat aber die Stelle der Hausfrau auf das beste; alle Welt, sogar Meister Hans, war mit dem wackern Mägdlein zufrieden und ehrte und liebte sie. Sie war überhaupt das ächte und rechte, ehrbare, schmucke Bürgerkind, wie man's zwischen den geputzten Puppen unserer Tage kaum noch finden möchte, – und in ihre sanften und fröhlichen, blauen Augen hatte mehr als Einer zu tief hineingeschaut. Zu tief sag' ich auch nur deßhalb, weil Keiner dort einen Blick für sich fand. Denn die Fides selber sah nur nach Einem, und das war der Felix. Sie that's auch in allen Ehren, da sie, wie Gotthard mir bald erzählte, ein Paar werden sollten. Meister Wehringer wollte sie verheirathen, sobald die Fides ihr zwanzigstes Jahr erreicht. – »Was er davon hat,« setzte Gotthard hinzu, »das weiß ich nicht. Es fehlt der Fides noch fast ein Jahr – und wenn ich an des Meisters Stelle wäre, schöb' ich das Ding nicht so lange mehr hinaus. Aber Meister Hans hat seinen eigenen Kopf.«

»Nun,« meinte ich nachdenklich, »sie sind noch jung genug, und haben wohl Zeit. Aber was Ihr mir da sagt, Gotthard,« fuhr ich kopfschüttelnd fort, »kommt mir eigentlich kurios vor. Bei der Jungfer Fides mag man so etwas schon ahnen, allein beim Felix find' ich nichts davon. Er läßt es um die Welt nicht merken, daß er's so mit ihr im Sinne hat.« – Der Alte schüttelte gleichfalls den Kopf. »Das ist es eben,« murmelte er, indem er sich von mir abwandte und seiner Wege ging.

Ich stand und guckte ihm schweigend nach, denn es war etwas in seinen Worten und seiner Weise, was mich zum Nachdenken aufforderte, ohne daß ich jedoch recht wußte, wohin ich meine Gedanken richten sollte. Daß der Felix die Fides vielleicht nicht genug liebte, um sie zu heiraten, – das wäre am Ende nichts besonderes gewesen. Daß er sein Herz wo anders hin verschenkt – es konnte möglich sein, denn auch das ist nichts Neues. Aber so oder so – das Ding mußte noch einen Haken haben, sei es, daß er sich erst neuerdings von der Fides abgewandt, sei es, daß er seinen Sinn auf eine Dirne gerichtet, die unter ihm stand und sich nicht für seine Verhältnisse schickte. Da dachte ich dann umher, allein ich fand niemand, und mußte mir überdies sagen, daß der junge Mensch gar nicht that, wie ein heimlich Verliebter. Er war fröhlich und leichtherzig, rührig und rastlos, immer voll von Einfällen und zu nichts mehr aufgelegt, als zu einem lustigen Spaß. Daß er daneben was in sich verbergen könnte, war gar nicht zu glauben. Und da mich das alles überhaupt auch nichts anging, so schlug ich mir alsbald derartige Gedanken aus dem Kopf und lebte meiner Kunst und meiner Jugend.

Ich hab's schon gesagt, daß ich in der Werkstatt nur schwer fest geworden, ja ich war, um's so zu nennen, überkomplet, und da die beiden andern Gesellen und die Lehrbursche den Schlafraum im Hintergebäude ausfüllten, so bekam ich eine Kammer im Haupthause unter dem Dach und neben der kleinen Stube, in welcher Felix hauste. Da brauch' ich's wohl nicht erst zu sagen, daß wir in Morgen- und Abend-Freistunden zuweilen bei einander saßen und plauderten und lachten und Tollheiten ausheckten. Und zwar geschah das immerdar in meiner Kammer, weil es in seiner Stube wenig Raum gab und überdies so unordentlich aussah, daß es ein Graus war. Das war eigentlich schade, denn es war ein freundlich Gemach, die Morgensonne spielte so anmuthig hinein, und aus dem Fenster schaute man über eine Ecke des väterlichen Gartens hinüber auf den eines großen Hauses in einer andern Straße, der prächtig anzusehen war mit seinen hohen schönen Bäumen, mit all den einheimischen und ausländischen Blüthen. Ich hätte stundenlang aus Felix' Fenster hinausspähen können auf diese Herrlichkeit, – aber er machte sich nichts daraus und sah's nicht einmal gern, daß ich nur einen Blick hinaus that.

»Die Nachbarn da drüben sind hochmüthige Menschen und haben sich schon bei Pontius und Pilatus über dies Fenster hier beschwert,« sagte er einmal bei solcher Gelegenheit in einem ganz ungewohnten, verdrießlichen Ton. »Genützt hat es ihnen nichts, allein wir wollen gern jeden Zank vermeiden. Es sind von unsern besten Kunden.« – Und Gotthard erzählte mir, daß dort seit einiger Zeit eine verwittwete Freifrau von Eudingen hause, die auf hohem Fuß lebe und besonders für Geschmeide und Silbersachen ein großes Geld ausgebe. Im Uebrigen wußte er wenig oder nichts von ihr und ihrem Treiben.

Wie's in des Felix Zimmer aussah, habe ich schon gesagt, es lag dort alles drunter und drüber, wie man's kaum für möglich halten möchte, und von dem, was man Schmuck und Zierlichkeit zu nennen pflegt, gab es dort so gut wie nichts zu sehn. Felix bekümmerte sich um so etwas nicht. Daher mußte es mir wohl um so mehr auffallen, daß ich dort auf einem Tischlein neben dem Fenster stets ein prächtig geschliffenes, alterthümliches Glas mit einem kleinen Strauß blutrother Nelken sah, welche das ganze Gemach mit einem wunderbaren Duft erfüllten. Das hatte ich schon gesehn, als ich zum erstenmal hineinkam – im Anfang Juni, wo solche Blumen noch sehr selten und nur durch die Cultur zu treiben sind; und das fand ich den Juli durch, wo sie überall blühen, und tief in den August hinein, da man sie doch sonst wieder nur selten findet.

Sie waren stets frisch, und stets von der einen Art, wie sie nun da in meinem Garten vor mir blühen; bis dahin hatte ich aber noch niemals diese Farbe gesehn, dies tiefe, satte Roth, so innerlich glühend, daß ich es nur mit einem wahren Herzblut vergleichen konnte. Das hatte ich beim ersten Anblick auch gegen Felix ausgesprochen. Er hatte darauf genickt, und heiter geantwortet: »Du hast recht, Hans, sie sind wie ein Herzblut, und mir auch so lieb. Ich weiß mir nichts besseres als diese Blume, diese Farbe, diesen Duft.« Und er schaute sie fast zärtlich an, mit einem Blick, den ich gar nicht in seinem Auge gesucht, und dann neigte er sein Gesicht auf die Blumen nieder, als wolle er sie küssen, so nahe.

Ein andermal fragte ich ihn, woher er sie denn erhalte und stets frisch habe, und er theilte mir mit, daß ein Gärtner vor dem Thor, der sein guter Freund, sie ihm ziehe, und morgens, wenn er in aller Frühe sich Motion mache – das that er zu jeder Jahreszeit – da bringe er sich den Strauß mit. Das redete er halb gleichgültig, halb munter, wie er gemeinhin war, aber ich merkte dennoch, daß ihn mein Fragen langweile, und ließ es damit gut sein. Wunderbares war an der Sache ja auch eigentlich nichts, und wäre ich nicht ein solcher Blumennarr gewesen, so hätte ich vermuthlich gar nie darauf geachtet.

Indessen würde ich das auch jetzt nicht weiter gethan haben, wäre nicht plötzlich dies und jenes passirt, was mich über die Maßen bestürzte, und mir ein schier unheimliches Licht aufgehen ließ. Eines guten Morgens nämlich mußte ich aus der Werkstatt einmal in meine Kammer hinauf und sollte zugleich auch aus Felix' Stube eine Zeichnung mitbringen, die er in den letzten Tagen von einem prachtvollen Pokal entworfen hatte. Derselbe war von der Dame von Eudingen bei uns bestellt. Und als ich in das Gemach trat, mich nach dem Papier umschaute und dabei auch zufällig gegen das offenstehende Fenster sah, bemerkte ich – Gott weiß, wie sich das so machte! – daß in dem großen Hause drüben eine dunkelgekleidete, weibliche Gestalt sich so eben weit aus einem Fenster herauslehnte und einen Strauß Blumen vor das Gesicht hielt. Es war nicht nahe, aber mein Auge sehr scharf. Ich konnte nicht zweifeln – der Blick von drüben war auf Felix' Fenster, vielleicht auf mich gerichtet, der ich verwundert mitten im Zimmer stand, – und die Blumen mußten dieselben Nelken sein, die auch hier im Glase blühten. Welche andere Blüthe zeigte dies tiefe, leuchtende Roth?

Ich zog mich schleunig zurück. Mir war seltsam zu Muthe, ohne daß ich anzugeben wüßte, wie und weßhalb; es gemuthete mich fast, als habe ich etwas sehr unrechtes und trauriges gesehen, was noch dazu gar kein Mensch, als nur Einer habe sehen sollen. Man muß meinem Gesicht die Bewegung angemerkt haben, denn als ich in die Werkstatt trat, guckte mich der Felix groß an, und meinte verwundert: »Behüt uns Gott, Hans, hast du einen Spuk gesehen? Du bist ja blaß!« –

Ich schüttelte nur lachend den Kopf und sagte nichts, und erst, als ich ein paar Tage darauf wieder einmal in seinem Zimmer und vor den Nelken stand, bemerkte ich, daß die Blumen doch nicht gar so selten sein müßten, wie ich bisher gedacht. Und damit redete ich von jener Frau drüben und von ihrem Strauß; und ich sprach ernst und beobachtete ihn. – Er saß am Tisch und zeichnete, und nachdem er bei meinen ersten Worten einmal flüchtig aufgeschaut, hob er das Gesicht nicht mehr von der Arbeit, auch nicht, da ich schwieg, und er antwortete: »also richtig, du hast einen Spuk gesehen, Hans, oder du mußt es geträumt haben. Ich wenigstens habe dort so etwas noch nie bemerkt. Und meine Nelken? Bah, mein Gärtner gibt davon keinem Andern als mir.« Gleich darauf stand er auf, schob die Papiere zusammen, und verließ mit mir das Zimmer.

Seitdem war die Thür, wenn er nicht drinnen, zwar verschlossen, aber ein paar Tage darauf hatte ich doch wieder einen überraschenden Anblick. Denn als mich Meister Wehringer mit einer halbfertigen Arbeit zu der Freifrau von Eudingen schickte – er selber hatte keine Zeit und Felix war nicht daheim – ward ich in ihr Kabinet geführt. Sie kam aus einem Nebenzimmer hereingetreten, eine schlanke und doch stolze Gestalt, in schwarzem Gewande mit einem wunderbar schönen Gesicht und großen, dunkeln Augen, und sie ging schnell und leicht, wie man sich etwa einem lieben Freunde naht, der uns eben überrascht. Aber da sie mich sah, blieb sie jäh stehen und schaute mich nicht heiter, sondern mit einem hochmüthigen Blicke an, und ihre Stimme klang kurz genug bei den Worten: »Was will Er? Wer ist Er? Weßhalb kommt der Meister nicht selber?« Zwar ward ihr Ton während unserer Verhandlung über den Schmuck dann wieder milder, doch noch lange nicht freundlich, und so empfahl ich mich baldmöglichst. Da, beim Hinausgehn warf ich noch einen Blick durch das kleine prächtige Gemach, und da sah ich am Fenster ein Tischlein, ein alterthümlich geschliffenes Glas darauf, und in dem letztern einen Strauß blutrother Nelken. – Es war gerade so, wie in Felix' Stube!

Und zum dritten. – Da sah ich die Dame an einem Sonntagmorgen in die Messe gehn, ihre Hand hielt das Gebetbuch und einen Strauß rother Nelken. An der Thür der katholischen Kirche stand Felix, der Protestant, und auch er hatte eine Nelke im Knopfloch. Und wie die Dame an ihm vorüberging, da sah ich's, daß sie ihn mit einem seltsamen, tiefen Blicke maß; und dann fiel aus ihrem Strauß eine Blume, die der Bursche hastig aufhob. Wie er mir bald darauf begegnete, hatte er sie zu der andern in's Knopfloch gesteckt, und ging den Tag über umher mit einem Gesicht, das strahlte, wie der Frühlingshimmel! – Dazu kann ich nun nichts mehr hinzusetzen, wie ich damals auch kaum etwas hinzudachte. Ich verstand's eben nicht, wenn ich es auch nicht unnatürlich finden konnte, daß die Beiden Wohlgefallen an einander hatten. Denn ein paar schönere Menschen habe ich nie gesehen, ich muß das stets von neuem sagen.

Die Fides freilich konnte sich dessenungeachtet noch immer neben der Dame sehen lassen, wenn ihre Schönheit auch von einem ganz andern Schnitt war. Mir, für meine Person wäre sie lieber gewesen, denn sie hatte Herz in den Augen, und Sanftmuth, Ehrlichkeit und Treue sprachen aus jedem Zuge ihres lieben Gesichts, ihres freundlichen Wesens, während aus den dunkeln Augen der Dame, und aus den Bewegungen ihrer feinen, schlanken Glieder, neben aller Freiheit stets ein hohes Selbstbewußtsein und ein großer Stolz hervorleuchtete. Ihre Freundlichkeit war Herablassung, und für solche Leute hatte ich damals, wie noch jetzt, allen schicklichen Respekt, aber keine Liebe.

Der Fides half ihre Schönheit und Lieblichkeit aber nicht; Felix bekümmerte sich in Wahrheit um sie verzweifelt wenig, und wenn er mit ihr verkehrte, wie das in einem so engen Hauswesen und bei so langjähriger Bekanntschaft gar nicht zu vermeiden war, so hätte man damals daraus am allerwenigsten abnehmen können, daß die Beiden eigentlich Brautleute. Es war vielmehr, wie zwischen Bruder und Schwester, und wer von der richtigen Sachlage wußte, mußte sich darüber wundern. Selbst Meister Wehringer, der sonst für solche häusliche und menschliche Dinge selten ein Auge hatte, sah diesen Verkehr der jungen Leute zuweilen kopfschüttelnd an, und meinte einmal Abends nach Tisch: »von wem der Felix wohl eigentlich das Fischblut geerbt hat?« – Aber das änderte nichts, und im Uebrigen schien die Hauptperson, die Fides, ganz und gar nicht unzufrieden zu sein. Sie war immer freundlich und immer sanft, hatte für jedermann die schickliche Theilnahme so gut, wie ein passendes, munteres Wort, und wich vor keinem Scherz zurück. Ausgelassen und lustig, wie sie vordem gewesen sein sollte, habe ich sie freilich nie gekannt. Doch schien es mir, als werde sie nach und nach immer ein wenig stiller und gehaltener, als verlören die Bewegungen ein bischen von der regen, gesunden, kräftigen Elasticität, die ich zuerst noch bemerkt. Und dazu kam's mir vor, als ob auch ihr Auge nicht mehr so klar, und ihre Wange nicht mehr so voll sei, wie ich's anfangs gesehn.

Felix hatte dafür, wie schon bemerkt, kein Auge, und mir stand es natürlich nicht zu, darüber zu reden. Aber dem Meister war's aufgefallen, sei es, daß er von selber darauf gekommen oder daß es ihm ein Anderer gesteckt, und da kam es zu allerlei Fragen, zu scharfen Blicken und finsterem Stirnrunzeln. Meister Wehringer war ein strenger Mann und verstand in manchen Dingen nichts weniger als Spaß. Und daneben hatte er einen scharfen, durchdringenden Verstand, und wenn er einmal einer Sache auf die Spur gekommen, gab's für ihn bald kein Geheimniß mehr darin. Das zeigte sich auch hier, denn schon nach wenigen Tagen war er sicher über alles klarer als irgend ein Anderer, und hatte die Zügel fest in seine Hand genommen.

Es kamen noch ein paar Andeutungen, aber sie waren kürzer, schärfer und herber als bisher; die Blicke wurden finsterer von Tag zu Tag, jäh und doch bohrend trafen sie auf den Einen und die Andere. Und eines Morgens, da ich durch's Haus ging, um in meine Kammer hinaufzusteigen, da hörte ich aus der Wohnstube die angsthaft betonten Worte der Fides hervorschallen: »Um Gottes Barmherzigkeit willen, Vater, thut das nicht! Was kann er denn dafür, wenn er doch kein Herz für mich hat?« – »Was Herz,« hörte ich die grollende Stimme des Meisters antworten. »Ehrlichkeit und Ehrbarkeit soll er« – – Das Weitere konnte ich nicht mehr vernehmen, denn ich bin niemals ein Horcher gewesen, und eilte jetzt davon, so schnell ich's vermochte.

Was sie vorgehabt, war nicht schwer zu errathen, und daß der Alte nicht nachgegeben, zeigte sich schon, da ich wieder herunterkam und in die Werkstatt trat. Mit mir zugleich nämlich, aber durch die Thür, die aus dem Hause und den Wohngemächern direkt herführte, kam der Meister herein, warf, wie immer, einen scharfen Blick über seine Arbeiter, rief dann: »Felix, komm' einmal mit!« und wandte sich kurz ab und wieder aus der Thür hinaus. Der Sohn machte ein paar verwunderte Augen, da sein Vater ihn seit manchen Jahren vielleicht nicht so zu sich gerufen; allein er stand doch sogleich auf und folgte mit den Worten: »Nun, da bin ich doch kurios!« – Ich war das gar nicht.

Es blieb still im Hause. Nach einiger Zeit kam der Meister zurück und setzte sich mit finsterer Stirn an seine Arbeit: der Sohn folgte jedoch nicht und zeigte sich auch Mittags nicht am Tisch. Die Fides war, wie immer, an ihrem Platz und legte vor. Sie hatte verweinte Augen und redete nur, was nöthig war.

Gleich nach Mittag, da die Andern noch auf ihren Kammern oder wo immer sonst waren, ich aber schon wieder an der Arbeit saß – ich hatte ein Stück, das mir viel Freude machte und mich schier gar nicht von sich ließ – da trat der Felix in die Werkstatt und schaute sich um, und kam, als er mich allein fand, schnell auf mich zu. Er sah finster aus. – »Hör', Hans,« sagte er rasch und leise, »ich halte dich für meinen rechten und getreuen Freund. Der Vater schickt mich nach Amsterdam, um Edelsteine zu kaufen, und –« er lachte bitter – »um mich zu besinnen während der drei Wochen. Es ist mir über den Hals gekommen, ich konnte nichts mehr besorgen. In einer Stunde reit' ich fort. Dann geh' hinauf und nimm weg, was ich aus meinem Fenster gehängt, und schließe das letztere. Sorge dafür, daß niemand was von deinem Thun merkt. Willst du das, Hans?« – »Das will ich wohl,« versetzt' ich. Behaglich war mir die Sache nicht, aber was konnt' ich thun?

»Und,« sagt er wieder, und über das bisher ziemlich bleiche Gesicht lief ein heller, rother Schimmer, und er stockte hie und da auch ein wenig, – »und, Hans, wenn der Schmuck für die Frau von Eudingen fertig ist, so schau' zu, daß du ihn hinüberträgst. Und dann bring's an, daß ich fort und auf wie lange. Man wird's dir nicht schwer machen, denn da ich fast immer selber komme, wird man wohl nach mir fragen. Und ich –« er stockte noch häufiger – »habe dort im Hause jemand, der mir am Herzen liegt. Ich kann keine Botschaft schicken, aber durch die Dame wird man's schon erfahren. – Sei treu!« setzte er rasch hinzu, da wir die Andern auf der Treppe hörten. »Adieu!« Und er war aus dem Gemach.

Ich war still bei meiner Arbeit, und still ging ich, nachdem ich ihn fort reiten gehört, auf sein Zimmer, nahm sein altes Wandelkleid und den Ranzen, die er aus dem Fenster gehängt, herein, und brachte sie auf die gewöhnliche Stelle im Schrank. Aber seinen andern Auftrag konnte ich nicht ausführen, da der Meister nicht mich, sondern Gotthard hinüberschickte. Es war fast, als ob der Alte mir nicht traute oder sonst etwas gegen mich hätte, und das gab mir ein gar unbehaglich Gefühl. Allein lange braucht' ich mich nicht damit zu tragen, denn schon nach wenig Tagen kam er damit heraus.

»Hör' Er, mein Sohn,« sprach er, als er mich aus der Werkstatt zu sich in den Garten gerufen. »Er hat es gut bei mir, aber ich bin auch mit Ihm zufrieden. Doch bin ich Herr im Hause, und was da bei den Meinen und meinen Leuten passirt, geht niemand mehr an als mich, und ich muß davon wissen. Nun hat Er wohl von dem erfahren, was es hier neulich gab, daß der Felix nicht gut thut und verstockt ist. Mit Ihm ist er ja ein Herz und eine Seele, drum soll Er mir von des Burschen Heimlichkeiten sagen, was Er weiß. Also, was treibt der Junge, und was und wen hat er im Kopf?« – »Er hat mir nie eine Silbe von dergleichen geredet,« versetzte ich gefaßt, und ich log mit den Worten auch nicht, da ich die Mittheilung in den letzten Augenblicken wohl kaum rechnen durfte, selbst wenn ich davon hätte sprechen wollen. – Meister Hans sah mich scharf an. »Sei Er ehrlich,« sagte er. »Wenn der Bursche auch nicht mit Ihm gesprochen – Er wird sich schon was denken oder was wissen, und das will ich auch hören. Sei Er ehrlich!«

Da konnt' ich mich nicht halten und berichtete das, was ich vorhin erzählt, von den Nelken, der Frau am Fenster, der Begegnung an der Kirchthür. Aber von Felix' letztem Auftrage sagt' ich nichts, da mir das als ein schlechter Verrath erschienen wäre. Der Meister hörte mich mit gerunzelter Stirn, aber schweigend an, und bemerkte nur, da ich fertig war, mit verächtlichem Lächeln: »'s ist gut. Das hab' ich mir schon selber gedacht und ihm auch davon gesagt.« Damit nickte er mir zu und ließ mich in die Werkstatt zurückkehren.

Die Zeit verging, ich hörte nichts mehr von der Sache, und endlich kam Felix wieder nach Hause. Hatte ihn die Reise aufgeheitert, oder war er durch das wohlvollbrachte Geschäft erfreut, – das hätte ich nicht zu entscheiden gewußt, allein ich sah wohl, daß er wild und lustig war, wie lange nicht mehr, und alles mit einer Lebhaftigkeit erfaßte und mit einer Ausdauer betrieb, wie ich's in dieser Weise noch gar nicht an ihm gekannt hatte. Und dann – war Vernunft und Ueberlegung in ihm wach geworden, hatte er sich mit einem seltsamen Umschlag plötzlich zur Fides gezogen gefühlt, war ihm irgend sonst etwas durch den Kopf geflogen – ich muß wieder sagen: das hätte ich nicht zu entscheiden gewußt, aber ich sah auch hier die Veränderung klar vor mir. Vom ersten Tage an wandte er sich der Fides zu, wie nie bisher; von Herzlichkeit ward in seinem Wesen gegen sie freilich nicht viel bemerkbar, desto mehr aber von Lust, Scherz und Neckerei. Und bereits nach wenigen Tagen sprach er davon, daß er über's Jahr schon ein alter Ehemann sein werde.

Von dem, was ihn früher bewegt, war anscheinend keine Rede mehr. Das Glas war aus seinem Zimmer fort, – die Nelken blühten auch längst nicht mehr – an den Fenstern zeigten sich Vorhänge, die ich ihn nie zurückschlagen sah, und er weilte in dem Gemach jetzt auch fast niemals anders, als zur Nacht. – Neugierig, wie das alles gekommen, war ich freilich auch, allein vor allem schlug mein Herz leicht und froh, daß es mit dem braven Menschen sich so zum Guten gewandt. Und dieselbe Stimmung schien bei Alt und Jung im Hause zu herrschen. Nur der Gotthard war still, aber aus dem ließ sich nichts herausbringen, wo er nicht von selber sprach. Und das that er nicht.

Eines Tags saßen wir in der Werkstatt bei der Arbeit – es war so gegen Ende des Februar – und der Felix plauderte bald mit diesem, bald mit dem über dies und jenes, über Nähe und Ferne, und zuletzt kam er auf den Frühling und den Sonnenglanz, der den letzten Schnee fortnahm, die Knospen sich regen und schon ein paar Schneeglöckchen aus dem Boden steigen ließ. Denn es war wunderbar schön in dem Jahre. Dazu war das Gevögel im Garten rührig und lustig, und Felix sang ihm hin und wider einen Liedervers entgegen, hell aus der Brust heraus, und der Fides, die hereinguckte, nickte er zu und wußte auch für sie einen schelmischen Liedergruß. So ging das hin und her. Die Werkstatt war voll Licht und Lust, denn wir alle mußten seiner Laune folgen. Der Meister selber aber war nicht zugegen.

Da that sich die Thür auf, eine Zofe, wie es schien, kam hereingesprungen, ein hübsches, keckes Ding, warf das Köpflein hin und her, brachte einen Gruß von ihrer Herrschaft und ob die bestellte Arbeit noch nicht fertig sei. Der Felix guckte sie an und lachte, wie wir alle,– es war ein lustig Geschöpflein – und dann fragte er, wer denn ihre Herrschaft sei? – »Der Herr Schöff Rothenstein,« sagte sie mit einem Knix. »Ist Er der Meister Wehringer?« – »Nein Vater ist nicht da, Kind,« erwiderte er lächelnd; »aber auch ich kann dir sagen, daß da ein Irrthum stecken muß. Wir haben von dem Herrn Schöffen keine Arbeit bestellt erhalten.« – »Ei,« sprach sie, und sah bestürzt aus, »ich bin doch zum Meister Wehringer geschickt. Wie –.« – »Es ist da am Markt noch ein Meister Wehringer,« sagte Felix belustigt, »aber der ist ein Schreiner.«

»Ja von der Arbeit hat man mir nichts gesagt,« meinte sie – sie stand nahe bei Felix – »so mag's wohl dort sein. Nichts für ungut!« Und damit war sie aus der Thür. Aber ich konnte ihr nicht nachschauen, wie die Andern, sondern mußte auf die Stelle blicken, wo sie hinter Felix gestanden. Dort auf dem Estrich lag – eine blutrothe Nelke, und ich hatte doch nicht gesehen, daß die Dirne eine solche oder eine andere Blume in der Hand gehabt, noch daß sie etwas hatte fallen lassen. Und doch konnte die Blume von niemand sonst sein, da kein anderer fremder Mensch bei uns und an jener Stelle gewesen. – es überrieselte mich heiß und kalt, ohne daß ich recht wußte weßhalb. Endlich faßt' ich mich jedoch und fragte so gleichgültig wie möglich: »Sieh' dich um, Felix, was hast du da Rares hinter dir liegen!«

Er drehte sich auf seinem Sitz halb um und sah hinab; und wie sich sein Gesicht bei dem Anblick der Blume veränderte, das vergess' ich in meinem Leben nicht. Daß ein lebendiger Mensch so leichenbleich werden könne, so wie eine weißgetünchte Wand oder wie eine gebleichte Leinwand, das hatt' ich nie für möglich gehalten, und hab's auch nie wieder gesehn, als an ihm. Und kurz, so ward er, und dann warf er mir einen jähen Blick zu, und dann bückte er sich, nahm die Nelke auf und verbarg sie rasch auf der Brust. Das war alles das Werk eines Augenblicks, – die Andern mögen davon kaum etwas gesehen haben. Gleich darauf aber erhob er sich und ging hinaus, indem er dabei etwas vor sich hinmurmelte, als wolle er dies Fortgehn entschuldigen. Aber er kam nicht wieder, und als nach einiger Zeit der zurückgekehrte Meister nach ihm rief, zeigte sich's, daß er ausgegangen sein mußte, denn im Hause war er nicht zu finden. –

Und der Abend kam – und ich fand ihn nicht auf seinem Zimmer; und es wurde Morgen – und er war nicht dagewesen. Und es verging Tag auf Tag – und Woche auf Woche – der Felix blieb fort, und niemand wußte von ihm, noch wohin er sich gewendet haben könnte.

Schon am zweiten Tage hatte ich dem Meister von dem Vorfall mit der Blume gesagt, und darauf wurden alle möglichen Erkundigungen angestellt, die jedoch zu keinem andern Ziele führten, als die Sache nur immer dunkler zu machen. Der Schöff Rothenstein hatte nicht zu uns geschickt, und kein Mädchen im Dienst, das jener Dirne glich. Nach dieser Letztern streiften Gotthard und ich – die Andern erfuhren nichts von alle dem – die ganze Stadt und Umgegend, alle Kirchen, Märkte und Tanzplätze ab, ohne sie wieder finden zu können. Die Dame von Eudingen war, wie wir erfuhren, schon Ende Januar fort und auf eins ihrer Güter in Franken gegangen; und als Wehringer ihr trotzdem einen vertrauten Menschen nachsendete, der im Geheim nach dem Felix forschen sollte, so war das wieder umsonst. Denn der Bote hatte keine Spur von dem Flüchtling entdeckt.

Es war eine schwere, ernste Zeit. Der Meister und Gotthard redeten fast gar nicht mehr, die Fides verging wie die Tage – man konnt' es ordentlich voraussehn, wann es mit der zu Ende sein müßte. Das habe ich aber nicht mehr erlebt, denn im Juni starb der Meister plötzlich, und da die Werkstatt geschlossen worden, nahm auch ich meinen Abschied und wanderte von neuem in's Land hinein. Ich wollte mich allgemach zu meiner Heimat zurückwenden, um mich selber als Meister niederzulassen. Davon ist weiter nichts zu sagen, als daß ich für's Erste auf meiner Wanderschaft keine Arbeit fand, die mich festgehalten hätte.

So waren einige Wochen herumgegangen, und in den letzten Augusttagen marschirte ich von Stuttgart aus und wanderte Eßlingen zu, das dazumal noch eine freie Reichsstadt war. Ich war erst Nachmittags aufgebrochen und hastete mich in dem schönen Gelände, das ich durchzog, keineswegs, so daß ich auf dem nicht weiten Wege bis gegen Abend zubrachte, und als ich mich der alten Stadt näherte, die Sonne nur noch an den Spitzen der Thürme glänzen sah. Wie ich auf die Brücke trat, die über den Graben zum Thor führte, kam aus diesem letztern ein Mann hervor, und indem ich ihn erblickte, fiel mir der Stock aus der Hand und ich rief laut hinaus: »Herrgott meines Lebens, der Felix!« – Der war's.– »Wer ruft mich?« sagte er und blieb vor mir stehn und sah mich an; doch im nächsten Augenblicke rief auch er: »Bei Gott, der Hans Hauber!« Und dabei ward sein Gesicht milde und sein Aug' freundlich. Denn sonst sah er finster aus und nicht gut, es war etwas fahles in seiner Farbe und die sonst so schönen Züge schienen jetzt von wildem Leben zu erzählen. Er war in den wenigen Monaten um Jahre gealtert.

»Wo kommst du her?« fragte er, und sein Auge blickte finster, und sein Ton war kalt, so daß es mich fast zornig machte. Ich dachte daran, wie sündhaft er gegen die Seinen gehandelt, wie schwer sie um ihn bekümmert gewesen. Und nun schien er gar nicht an sie, an die Heimat, an sein Unrecht zu denken. Das hatte ihm doch bei meinem Anblick wie ein Blitz ins Herz schlagen sollen! – »Von Stuttgart,« versetzte ich also justement so kurz und kühl wie er. – »Von Stuttgart? Und weßhalb bist du von uns daheim fortgegangen?« fragte er wieder. – Ich guckte ihn ernsthaft an und sagte erst nach einer Pause: »der Meister starb, der Sohn war fort, – da hat der Gotthard die Werkstatt bis auf bessere Zeiten zugeschlossen.«

»Daran that er wohl,« antwortete er finster. »Und die Fides?« – »Die mag auch schon todt sein. Viel Leben hatte sie nicht mehr.« – Er sah mich eine Weile schweigend an, bevor er sich abwendend sprach: »laß uns denn nach Hause gehen, Hans, ich wohne hier ganz nahe.« – »Immerhin – aber was geht das mich an?« – entgegnete ich herb, denn ich fühlte mich noch zorniger werden und hatte Mühe, mich gefaßt zu halten. »Laß du mich nur gehn. An einem Unterkommen wird's mir auch ohne dich nicht fehlen.« – »Trutz' nicht,« sagte er mit finsterm Blick und faßte mich dabei am Arm, daß ich's noch am andern Tage spürte. »Bist du auch Einer von denen, die nur nach dem Sehn urtheilen und verdammen? Meinst du, daß ich nur plaisirshalber davongegangen und Vater und Braut, Haus und Geschäft, Heimat und guten Namen im Stich gelassen? Du bist der einzige Mensch gewesen, dem ich in dem letzten Jahre vertraut –«

»So laß uns gehn,« unterbrach ich ihn, denn es war in den Worten und seinem Ton etwas, was mich milder stimmte. Und da wandte er sich kurz ab, ging mir voran, durch's Thor, in eine Gasse und ein Haus. Dort hatte er hoch oben ein schmuckes Zimmer, aus dessen Fenster man weit in's Freie sah. Auf dem Fensterbrett aber blühte in einer Scherbe ein großer Nelkenstock mit zehn oder zwölf prachtvollen blutrothen Blumen.

»Da mach' es dir bequem,« sagte er, indem er zum Fenster trat. »Leg' ab, und hinterdrein – es ist ein Weinschank im Hause, wo du auch was zu essen haben kannst. Ich will's dir heraufholen.« Dann schwieg er wieder und ließ mich hantieren wie ich mochte; nur als ich meinte, daß ich doch zur Nacht fort müsse, – gab er mir ein: »Dummes Zeug! Du bleibst da!« zur Antwort. Da packte ich denn ab und brachte mich zur Ruh und Behaglichkeit, so gut es eben gehn wollte, und endlich saßen wir an dem kleinen Tisch bei der Lampe und sprachen dem Weinkruge zu, den er heraufgeholt. Dann mußte ich ihm denn auch von daheim erzählen; er war weicher geworden, und als ich ihm von der Sorge und dem sichtbaren Gram des Vaters und dem Tode desselben berichtete, schlug er die Augen nieder. Aber ich sah's doch, daß er eine Thräne drin hatte.

Ich hatte zuletzt, da ich von all' dem Elend und Jammer, von dem Gram des Alten und der Fides Hinkranken redete, wieder härter und herber gesprochen und es ihm nicht verborgen, daß ich übel genug von ihm dächte. Er hatte mich dann wohl einmal angesehen, allein ohne dabei zu antworten, und nur erst, da ich fertig war, stand er auf und murmelte, indem er zum Fenster und dem Nelkenstock trat: »Hin ist hin! Mögen sie im Frieden ruh'n!« – »Nachdem du ihnen den Frieden gestohlen!« versetzte ich bitter. »Der Wunsch ist wohlfeil.«

Er wandte sich langsam zu mir um, kam zurück und setzte sich mir gegenüber, ohne den Blick von mir zu verwenden, der mit einem seltsamen, halb nachdenklichen, halb auch wieder – ich möchte sagen: abwesenden Ausdruck auf mir ruhte. »Du redest, wie du's verstehst,« sagte er ruhig nach einer Weile, »und deine Worte würden andere sein, säßest du so tief in all' dem Kram, wie ich. Aber ich kann's dir nicht verdenken. Würde ich von einem Dritten doch selber vielleicht ähnlich urtheilen oder vordem geurtheilt haben.

»Ich kann jetzt immerhin davon reden,« fuhr er nach einer neuen Pause fort, »es ist kein Geheimniß mehr da und alles gleichgültig. – Wie es zugeht, weiß ich nicht, aber ich habe von meiner frühsten Jugendzeit an eine wahre Leidenschaft gehabt für die blutrothen Nelken – nur für diese Blume und diese Farbe – und ich hab' schon dazumal immerdar eine solche Blüthe in meiner Nähe gehabt, so lang sie zu finden war, und nie ist mir wohler gewesen, als wenn ich den Duft mich umwehen fühlte. Bei einem andern Menschen hatt' ich nie was Aehnliches gefunden und verbarg daher auch meine – Liebe, die mir mehr als einmal nicht wenig Spott eingetragen, und die mir im Grunde selber kurios genug erscheinen wollte. Du kennst mich wohl, daß ich kein Kopfhänger und Träumer bin. Aber es half alles nichts und ich konnte mich dieses Gefühls niemals entschlagen. Nun mußt' ich vor etwa zwei Jahren zum erstenmal zu der Beatrix – du weißt doch, daß die Baronin Eudingen so heißt? – ins Haus, um mit ihr über das zu reden, was sie beim Vater bestellt. Und das erste, was ich im Zimmer spürte, war der Nelkenduft, und das erste, was ich außer der Dame selber sah, war ein Glas mit den rothen Blumen – denselben, die ich daheim hatte und liebte. – Was war das? – Wissen konnte sie weder von mir, noch meinen Nelken. Sie wohnte damals erst seit wenigen Wochen in der Stadt. Sag's dir also selber, daß ich bestürzt war.

»Sie merkte mir wohl so etwas an, denn sie fragte freundlich: »nun, was hat Er?« – »Die Nelken da,« versetzt' ich verwirrt, – »sie sind wie aus meinem Zimmer. Ich hab' sie bisher kaum anderswo gesehn. Es ist die einzige Blume, die ich lieb habe – diese Nelke, diese Farbe – von Jugend auf.« – »Ei,« entgegnete sie lächelnd, »das ist seltsam! Mir geht es ja gradeso. – Nun, lieber Freund, das heißt doch wohl, daß wir recht für einander passen. Unsere Gefühle sind ja Eins. Das freut mich für Ihn und mich – wir werden hoffentlich stets mit einander zufrieden sein.«

»Von der Zeit an,« fuhr Felix finster fort, »verlor ich die Fides ganz aus dem Herzen. Die Beatrix ließ für kein anderes Wesen Platz darin. Wie das geschehn, wie das wuchs und überhand nahm – wie es mich beherrschte – davon weiß ich nichts zu sagen, denn das ist in ein paar Worten abgemacht, oder man muß darüber reden, wie man daran denkt, d. h. sein Lebenlang. Ich habe sie geliebt über die Maßen, Hans, über alles hinaus, was es auf der Erde gibt und im Himmel. Und sie – nun ich meine wohl, daß sie mich lieb gehabt, obgleich ich, im menschlichen und gewöhnlichen Sinn, kürzer von ihr gehalten wurde, als du es für möglich halten wirst. Ich bin keck und kein Kopfhänger, kein Träumer; ich liebe das Leben und seinen vollen Genuß, – allein ihr gegenüber hieß es sich menagiren. Sagen durfte ich, was ich wollte, thun nur, was sie erlaubte, und das war wenig genug. Wollte ich einmal weiter, als sie die Grenze bestimmt, so bannte mich ein einziger Blick ihrer mächtigen, geheimnißvollen Augen unwiderstehlich in meinen Gehorsam zurück. Lache mich aus, wenn du willst – ich hab's in düstern Momenten und nun hinterdrein oft genug selber gethan – meine Lippen haben niemals die ihren, kaum ihre Hand berührt. Sie selbst blieb stets zurückhaltend; ein Lächeln, ein leiser Händedruck, noch seltner ein freundlich, ermunternd Wort war alles, von dem mein Herz leben mußte. Und ich wußte nicht, ob es je anders, besser werden möchte. Sie sagte mir, daß sie es gut und lieb mit mir im Sinne habe – allein was sie darunter verstand, erfuhr ich nicht. Sie war und ist zwar von mancherlei Verhältnissen abhängig, doch im Ganzen weniger, als hundert andere Menschen, die sich frei ihren Neigungen überlassen. Und ich? Nun, mich band nichts, denn daß ich die Fides heirathen sollte, war bisher wohl der Gedanke meines Vaters, aber eigentlich nicht der meine gewesen.

So lebten wir über ein Jahr. Ich zerrte wohl einmal ungeduldig an meinen Fesseln – los aber kam ich nicht, und los ließ sie mich nicht. Ich empfand zuweilen tief das Alberne und Armselige meiner Stellung zu ihr – sie sah mich an, tief und still, sanft und stolz, und ich dachte an nichts mehr, sondern liebte sie nur. Sie hatte von meiner Liebe und Treue nichts, aber verlieren wollte sie dieselben nicht, im Gegentheil band sie mich durch die wundersamsten Drohungen für die Ewigkeit. Sie redete zu mir in jener Stunde: »Harre aus, und du wirst alles haben, wie du es ersehnst. Ich will dein Leben reich machen, ich will auch äußerlich dein sein, wie ich es jetzt schon innerlich bin. Wir sind Eins im ganzen Sein und Wesen, in unserem ganzen Geschick. Suche dich nie von mir zu lösen – es wäre dein und mein Tod. Ich werde dir dann eine Mahnung an heute senden – du sollst eine rothe Nelke erhalten – ein Zeichen, daß unser Herzblut verbunden. Dann eile zu mir, auf daß wir wieder Eins werden. Säumst du aber, widerstehst du, so ist es mit uns beiden aus, wir sterben aneinander. Erhältst du zu solcher Zeit drei Nelken von mir, so ist das ein Todeszeichen. Du stirbst dann und zur gegenwärtigen Stunde.«

»So sprach sie, phantastisch und geheimnißvoll, und doch überzeugend. Ich glaubte das, was sie sagte. Und als sie so gesprochen, zeigte sie auf die Uhr, welche soeben die elfte Stunde des Vormittags schlug. Das ist meine Todesstunde.

»Du weißt,« fuhr er nach einer Weile fort, »daß der Vater meine Abneigung gegen die Fides spürte, und mit mir redete. Neben den Vorwürfen und Drohungen, die mich kalt ließen, hörte ich von ihm aber auch über Beatrix einiges andeuten, was mich ins Herz traf. Ich hatte sie für das gehalten, was sie gegen mich war – die Reinste der Sterblichen; nun sollte ich sie in anderem Lichte sehn. Ich glaubte das nicht, allein unterwegs, auf meiner Reise nach Amsterdam, fand ich Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, daß mein Vater die Wahrheit geredet, und daß die Dame mir gegenüber – ich weiß noch heute nicht, weßhalb – maskirt geblieben. Das war genug – ich meinte mit ihr fertig zu sein.

»Als ich in Amsterdam zu unserem Geschäftsfreund ins Comptoir trat, lag auf dem Pult neben ihm eine rothe Nelke. Es erklärte sich bald, daß er sie aus seinem eigenen Treibhause mitgebracht; sein Gärtner liebte es, Pflanzen zu ungewöhnlicher Zeit zum Blühen zu bringen. Aber es durchfuhr mich bei dem Anblick, und noch mehr, da er die Blume mir lachend ins Knopfloch steckte. Ich war Beatrix ja eben ferne getreten, und nun mahnte sie mich! – Aber ich bestärkte mich in meinem Entschluß; was ich erfahren, wie ich bisher gelebt, mein Ehr- und mein Selbstgefühl – alles trieb mich, die Vergangenheit als abgethan zu betrachten und mich fortan für frei zu halten. Und so kehrte ich zurück, so wandte ich mich der Fides zu, mit dem ehrlichsten Willen, – so wich ich der Baronin aus, und zwang mich, so wenig als möglich an sie zu denken. Es half nur nicht.

Sie ging gegen Ende des Januar fort, und von dem Augenblick war es mit jedem Zwange vorbei, meine Gedanken gingen nur zu ihr. Umsonst klammerte ich mich an mein nunmehriges Leben, an meine Aussichten, an die Fides und meine Verbindung mit ihr. Umsonst suchte ich alle Lust, allen Uebermuth, die tollsten Einfälle hervor, um mir über die Erinnerung an Beatrix fortzuhelfen, um sie, wenn auch nur auf Momente, zu vergessen. Glaube nicht, daß ich sie liebte – o nein! Ich haßte sie, denn in mir stand und steht es fest, daß sie mit finsterer, geheimnißvoller Kraft über mich herrscht und mich ins Verderben zwingt, fort von der Heimat, von euch allen, von allem, was mir wahrhaft werth und lieb war. Und dennoch war ich auch innerlich nicht von ihr frei, denn als sie mir damals die Blume schickte, fühlte ich's nur zu deutlich, daß es mich wie an Ketten zu ihr riß. Da rafft' ich mich auf und floh in die Welt hinaus, dort ein Versteck zu suchen. Daheim konnte ich mich ihrer nicht erwehren, fühlte ich, und neben der Fides würde ich stets die Andere in mir gehabt haben. Das sollte nicht sein, denn die Fides ist eines ganzen Herzens werth. Es ist genug, wenn ich allein zu Grunde gehe.

»Seitdem bin ich hier gewesen und da, habe gelebt und gearbeitet, habe alles gethan zu vergessen und verborgen zu bleiben. Ich habe nichts mehr von ihr gehört. Sie aber – er schüttelte finster den Kopf – sie weiß von mir. Als ich etwa acht Tage hier war, und Abends von einem Ausgange zurückkehre, – steht dort der Nelkenstock mit einer aufgeblühten Blume. Am folgenden Morgen sagte mir meine Wirthin, die eine gar brave Frau ist, lächelnd, daß sie den Stock für mich gekauft, da sie ja von mir wisse, wie ich grade diese Blume und Farbe liebe. – Das klingt ganz natürlich, aber in meinem Sinn ist es das nicht. Denn ich, Hans, habe ihr nichts von dieser Vorliebe gesagt, und – wie kommt's, daß hier Blumenstöcke zum Verkauf umher, und grade in dies Haus, zu dieser Frau, zu mir getragen werden? – Doch gleichviel! Sei es wie es sei. Ich erwarte nun auch die letzte Botschaft, und sie soll mir willkommen sein. Ich habe das Leben satt.«

So sprach er zu mir an jenem Abend. Ich wußte nicht, sollte ich lachen, zürnen, mich fürchten oder weinen, es wäre zu allem Grund gewesen. Aber am liebsten hätt' ich geweint über den Menschen, dessen Schönheit, Leben, Kraft und Tüchtigkeit an einem – Phantom zu Grunde ging. So glaubte ich dazumal noch und redete auch so auf ihn ein, allein das nützte nichts, und zwar um so weniger, da ich ja in manchen Punkten gar nicht klar sah. Er wich fortan auch jedem Gespräch darüber aus.

Von ihm ging ich nicht mehr. In der Werkstatt, wo er arbeitete, fand sich auch für mich ein Platz, und so blieb ich da, achtete auf ihn und hütete ihn, so viel ich vermochte. Das war freilich wenig, denn er war starr und trotzig geworden und folgte seinem eigenen Kopf. Er trank und spielte und lebte wild auf seine Jugend ein. Für die Fides war der nicht mehr, sah ich wohl, und unterließ daher auch, was ich zuerst beabsichtigt, – jede Meldung über meine Begegnung mit ihm.

Die Zeit verging; wir hatten Ende September. Der Nelkenstock im Fenster war abgeblüht, und der Felix stand zuweilen vor dem Strauch, schaute ihn halb finster, halb wehmuthsvoll an, und einmal sagte er, indem er sich abwendete: »Mit dem ist's auch zu Ende, Hans. – Blumen und Leben – es ist alles aus.« – »Fühlst du dich krank?« fragte ich, und schaute ihn besorgt an. Er sah bleich aus. – »Nicht doch,« versetzt' er, »nur marode und übersatt von all' den Thorheiten. Komm, wir wollen zum Wein gehn, das Denken taugt nicht.«

Am nächsten Sonntag holte er mich ganz früh aus dem Bett; wir wollten einen weiten Spaziergang machen nach einem Dörflein, das liegt in den Bergen und heißt Rothenberg; auf der Höh' darüber sind die Reste von dem alten Stammschloß des Württemberger Fürstenhauses. Es war ein frischer, sonniger Herbsttag, so schön, wie ich ihn nicht oft erlebt. Die Sonne lächelte uns Lust ins Herz hinein, und lustig wanderten wir auch hinaus durch's Thor, über die Brücken in die Berge.

Als wir zwischen die ersten Weinbergsmauern kamen, und steil bergan stiegen, prallten wir beide zugleich zurück – vor uns auf der steinigen Straße lag eine dunkelrothe Nelke. Der Felix sah mich an, nahm dann die Blume auf und steckte sie ins Knopfloch. – »Wer die verloren haben mag?« sagte ich. – Er lächelte und ging weiter. Und nach zwanzig Schritten – da lag eine zweite Blume, und nach zwanzig weiteren eine dritte. Felix nahm sie alle beide auf, steckte sie zur ersten, und bei der letzten sagte er mit einem seltsamen Lächeln: »Es ist richtig!« Und dann fügte er hinzu: »Das Zeichen ist gut – ich habe nie etwas schöner gefunden und nie etwas lieber gehabt als die Blumen hier.« –

Wir sind nicht weiter gegangen, sondern umgekehrt und nach Hause. Da hat er frei und heiter mit mir über das gesprochen, was nach seinem Tode zu thun; denn daß er nun sterben müsse, ließ er sich nicht ausreden, und auch ich habe heimlich gleich daran geglaubt, wie heftig ich anscheinend auch gegen solche Gedanken auftrat.

Am folgenden Morgen ist er nicht mehr aufgestanden. »Sie ruft mich,« sagt' er. Der Arzt, den ich holte, hat ihm nicht zu helfen gewußt, und um elf Uhr, mit dem Schlage, ist er gestorben. – Erklären kann ich das alles nicht. –

Den Nelkenstock hab' ich ihm auf's Grab gepflanzt und bin dann fort gegangen. Von der Dame von Eudingen habe ich nie etwas gehört – was geht mich die an? – Zu des Felix Gedächtnis aber pflege ich noch heute die rothen Nelken.

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