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Vorwort.

Die Geschichte der deutschen Literatur ist seit den ersten Versuchen auf diesem Gebiet bis auf den heutigen Tag ein Lieblingsstoff unserer Schriftsteller geblieben, und, allerdings gemäß der unausgesetzt wachsenden Neigung und Theilnahme des Publikums, fast häufiger als irgend eine andere Materie behandelt worden – im Großen und Ganzen so gut wie in den Unterabtheilungen, in ausführlichen Werken und kurzen Uebersichten, für jede Bildungsstufe endlich, für Erwachsene und für die Jugend. Auch unter unseren gründlichsten Forschern und Kennern dürfte es nicht viele geben, welche noch im Stande sind, diese Literatur der Literaturgeschichte zu übersehen, und wer alles hieher Gehörende zu sammeln vermöchte, würde sich im Besitz einer ansehnlichen Bibliothek finden. Es ist in ihr, um mich so auszudrücken, für alles und jedes gesorgt, jede Frage behandelt und allen denkbaren Ansprüchen nach Kräften genügt. Die Flut des Mittelmäßigen, des Schwachen und sogar des Leichtfertigen ist begreiflicherweise freilich groß, aber es ist auch kein Mangel am Guten, ja am Besten. Wer sich heutzutage mit einem weitern Werk dieser Art hervorwagt, muß es stets schwieriger finden, dem Publikum etwas Neues oder auch nur Selbständiges zu bieten und für seine Arbeit in dieser Literatur einen ehrenwerthen Platz zu gewinnen.

Des allen bin ich mir wohl bewußt gewesen und habe es mir oft und ernst genug wiederholt, als die Aufgabe an mich herantrat, eine kurzgefaßte und dennoch möglichst vollständige und übersichtliche Geschichte unserer schönen Literatur, hauptsächlich für die deutschen Frauen zu schreiben. Unvorbereitet ging ich an diese Arbeit nicht. Ich habe mich mit dieser Literatur und ihrer Geschichte schon seit mancher Zeit ernstlich beschäftigt und von jeher danach gestrebt, in der ersteren ein selbständiges und unbefangenes Urtheil und in der letzteren eine möglichst klare Uebersicht zu erlangen. Endlich bot mir auch eine vieljährige kritische Thätigkeit Gelegenheit, mit einer großen Zahl von nicht bloß modernen Schriftstellern und Schriften bekannter zu werden, als es auch der aufmerksamste – sage ich einmal: Vergnügensleser zu erreichen pflegt, und zwang mich zu einem vorsichtigeren und ernsteren Urtheil, als man es für sich oder in seinem Kreise zu fällen gewohnt ist. Aber freilich, als ich nun an die Ausführung ging, wurde es mir nur allzubald und auf das empfindlichste klar, wie viel mir zur Bewältigung der Aufgabe fehlte, wie beschränkt noch die Uebersicht, wie schwankend oft mein Urtheil, wie lückenhaft selbst meine Kenntnisse waren. Wer sich mit diesem Stoffe nur als Liebhaber oder immerhin auch als wirklicher Bildungslustiger beschäftigt, gelangt nur ausnahmsweise über, gleichviel wie zahlreiche, Einzelheiten hinaus und erfährt nur selten etwas von dem richtigen Zusammenhange, von der Ausdehnung, der Mannichfaltigkeit, dem Reichthum, von all den Schwierigkeiten und Hindernissen, mit denen der Darsteller aus diesem Gebiete allerwärts und stets von neuem zu kämpfen hat. Ich habe mich im Fortgange meiner Arbeit häufig nicht wenig gedemüthigt, ja zuweilen fast muthlos gefühlt und bin vor allem unendlich viel milder und nachsichtiger in meinem Urtheil über die Arbeiten und Versuche selbst derjenigen von meinen Vorgängern geworden, denen man, Gott weiß was alles für Schwächen und Fehler nachzusagen pflegt. Weiß und fühle ich doch gut gering, wie sehr mein eigenes Buch einer solchen Nachsicht bedarf.

Wie ich meine Aufgabe erfaßte, handelte es sich um eine Schrift, welche etwa die Mitte hielt zwischen Werken, wie zum Beispiel dem bekannten und beliebten Vilmar's, und den nicht allzu trockenen und dürftigen, besseren Leitfäden, die in höheren Unterrichtsanstalten gebraucht werden, aber auch noch zum Selbststudium dienen können. Es sollte den Lesern und vorzüglich den Leserinnen ermöglicht werden, über die dürftigen, halbvergessenen Schulkentnisse hinaus, ein einigermaßen vollständiges und anschauliches Bild unserer schönen Literatur zu gewinnen. Und zwar nicht im Spiel, denn es ist mir wahrhaftig am wenigsten darum zu thun, das verderbliche Halbwissen zu befördern und zu unterstützen, – aber doch auch ohne allzu große Mühe, ohne aufgehalten zu werden durch breite und genaue Ausführungen, wie sie in ausführlichen Werken nicht vermieden werden können. Es mußte mir im Gegentheil darauf ankommen, so einfach wie möglich und ohne lange historische, philosophische und ästhetische Deductionen, die einzelnen Perioden zu charakterisiren, die Uebergänge zu verdeutlichen, die fortschreitende Entwickelung darzulegen, und endlich von den rasch einander folgenden Einzelerscheinungen die bedeutenderen so weit zu fixiren, daß sie den Lesern anschaulich und diese sich ihrer Bedeutung, ihres Einflusses, ihres Werthes oder Unwerthes klar würden. Die Leser und Leserinnen sollten in Stand gesetzt werden, ihre Neigung und Theilnahme mit Gerechtigkeit und Unparteilichkeit dem Einen noch herzlicher, dem Anderen von neuem zuzuwenden oder dem Dritten zu entziehen.

Daß ich hauptsächlich für unsere Frauen schreiben sollte, ist, wenn ich diese Seite meiner Aufgabe auch nie aus den Augen verlor, doch im Ganzen auf meine Arbeit ohne besonderen Einfluß geblieben. Der Stand der allgemeinen Bildung und das Gebiet der geistigen Beschäftigungen sind oder wollen doch, abgesehen von den eigentlichen Wissenschaften und einzelnen, kurz gesagt mehr praktischen Fächern, wenigstens in den, für mich in Betracht kommenden Ständen, gegenwärtig bei beiden Geschlechtern so ziemlich die gleichen sein. Wenn hier, zumal in der Behandlung und Darstellung der Literaturgeschichte, ein Unterschied zu machen ist, so konnte und kann ich denselben nur darin erkennen, daß für unsere Frauen allenfalls das Milde, Innige und Reine noch ein wenig mehr hervorzuheben und das Unreine, ein feineres Gefühl Verletzende noch bestimmter abzuweisen ist, als es den Männern gegenüber uns nöthig zu scheinen pflegt. Beides habe ich allerwärts so viel wie möglich im Auge behalten.

Eine andere, ernstere Beschränkung legte mir allerdings der annähernd bestimmte Umfang des Buches auf. Da ich meine Darstellung in einen Band zu fassen hatte, blieb mir nur die Wahl zwischen einer, obendarein gedrängten Uebersicht über das Ganze oder einer eingehenderen Behandlung des Haupttheils. Die erstere hätte mich gezwungen, von allen bedeutenderen Erscheinungen nur die allerwichtigsten klarer hervortreten zu lassen und den Leserinnen im Uebrigen kaum etwas Anderes als Verzeichnisse von Namen und Büchertiteln vorzulegen. Eine solche Behandlungsweise würde dem eigentlichen Zweck meiner Arbeit aber doch gar zu wenig entsprochen haben. Ich zog es daher auch ohne viel Zögern vor, die gesammte älteste und ältere Zeit bis zum Anfange des 18. Jahrhunderts, gewissermaßen als Einleitung zu geben, in welcher nur das Allernothwendigste anzudeuten war, und ich verstand mich um so leichter hierzu, als die gesammte hier in Frage kommende Literatur mit wenig Ausnahmen nur für die Literaturgeschichte oder für diejenigen von höherem Werthe ist, welche aus der letzteren ein wirkliches Studium machen. Von den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts, d. h. vom Beginne der Blüthezeit an, nimmt die Literatur aber mehr und mehr das Interesse und die Theilnahme aller Gebildeten in Anspruch und haben wir nicht nur alle Veranlassung, sondern auch die Pflicht uns immer genauer mit ihr bekannt zu machen. Somit begann hier auch für mich erst die Nöthigung zur eingehenderen Behandlung und diese erstreckte sich bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts. Denn wie unendlich hoch ich auch Goethe stelle, so bin ich doch weit entfernt von der engherzigen Ansicht mancher Literarhistoriker, daß mit seinem Scheiden – alles zu Ende, und fortan höchstens nur noch Einzelnes überhaupt einer Berücksichtigung werth sei. Im Gegentheil, grade die Literatur der dreißiger und vierziger Jahre steht an Reichthum, an Reiz und Frische, an Werth und Eigenartigkeit weit über dem größten Theil derjenigen, welcher wir während der letzten zwanzig oder gar dreißig Lebensjahre des Altmeisters begegnen. Mit dem Anfang der fünfziger Jahre aber brach ich ab und beschränkte mich wieder auf wenige einzelne, besonders hervorragende Erscheinungen, welche bereits wirklich erfaßbar und voraussichtlich fertig vor uns stehen. Das Literaturleben der Gegenwart ist ein allzu unfertiges und verworrenes, als daß ich mir eine Darstellung und Würdigung desselben hätte erlauben können. Alles, was ich sonst noch über die Eintheilung und Anordnung des Stoffes zu sagen hätte, wird der Leser nebst den mich bestimmenden Gründen am leichtesten und besten aus dem Buche selber ersehen können.

Wenn ich zum Schlusse hier auf das dankbarste des großen Koberstein'schen Werkes gedenke, das mir bei dem größten Theil meiner Arbeit ein sicherer und kaum jemals vergeblich in Anspruch genommener Führer gewesen ist, so wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß ich auch anderen meiner Vorgänger oft genug zum Dank verpflichtet worden bin. Ohne die Hülfe solcher Vorarbeiten, und angewiesen auf meine alleinige Einsicht und meine alleinigen Kenntnisse, wäre ich schwerlich im Stande gewesen, auch nur das zu leisten, was ich überhaupt etwa geleistet habe.

Da die erste Hälfte des Buches während meiner Abwesenheit zum Druck gelangte, haben sich zu meinem Bedauern einige Irrthümer eingeschlichen, welche ich die Leser zu entschuldigen bitte. Sie werden die hauptsächlichsten im »Nachtrage« berichtigt finden.

Stuttgart im October 1875.

Edmund Hoefer.


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