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Eine Kriminalfrage.

Nachstehender Fall, dessen Bekanntwerden sich z. Z. nicht über das Weichbild des Ereignisses an dem er sich zugetragen erstreckt, danken wir der Güte eines juristischen Freundes. Rücksicht auf die noch lebende hochgeachtete Familie der in demselben vorkommenden Persönlichkeiten veranlassen uns die Namen zu ändern. Dieser kurz und tragisch verlaufene Prozeß bietet eine neue Gewähr, daß die Theorie des italienischen Altmeisters Lombroso vom »geborenen Verbrecher« durchaus keine unhaltbare ist und mehr und mehr dringt die Wissenschaft unserer Tage im Hinblick der neueren Forschungen im Gebiet der Psychiatrie bei gerichtlichen Vorkommnissen auf Berücksichtigung dieses Umstandes. Freilich können bei ernsten Fällen nur »mildernde Umstände« geltend gemacht werden, denn wo die Rechte eines Dritten gekränkt oder geschädigt werden, ist dem Gesetz nach auch der geistig minderwertige für den von ihm gestifteten Schaden verantwortlich, sobald nicht der gänzliche Mangel geistiger Fähigkeiten nachzuweisen ist.

In einer der ersten Handelsstädte Norddeutschlands lebte in der Mitte des verflossenen Jahrhunderts die Witwe des Kaufmanns Ebelung. Sowohl sie selber als auch ihr verstorbener Gatte waren von guter Herkunft und letzterer erfreute sich selbst zu jener Zeit noch achtbaren Rufes, da eine Handelskrisis auch seine ohnehin nie bedeutende Firma mit in ihre Strudel riß und zur Zahlungseinstellung nötigte. Bald daraus starb Ebelung gebrochenen Herzens; er ließ eine Witwe und zwei schulpflichtige Kinder zurück, ein Mädchen und einen um ein Jahr jüngeren Knaben. Mit Hilfe guter Freunde und bei größter Einschränkung gelang es der Gattin des Verstorbenen sich durchzuschlagen und ihre Kinder eine anständige Erziehung genießen zu lassen. Nun hatte sich Erna zu einem achtzehnjährigen anmutigen Mädchen entwickelt dessen Bescheidenheit und Lieblichkeit alle Herzen gewann; sie hatte der oft kränkelnden Mutter schon vor ihrer Einsegnung im Haushalt zur Seite gestanden, denn Frau Ebelung dankte einen Teil ihres Einkommens dem Vermieten von Zimmern an Leute besseren Standes und zwar nur an solche, die ihr von würdigen Personen empfohlen waren. Mit der Zeit hatte sie auch die Beköstigung derselben übernommen und sorgte so trefflich für ihre Pfleglinge, daß nur Notwendigkeit diese zur Veränderung veranlassen konnte.

Auch Hugo, der Sohn, durfte im ganzen als wohlgeraten erscheinen. Er hatte gute Kenntnisse gesammelt und sich zu einem hübschen, schlanken blonden Jüngling entwickelt, aber schon von Jugend auf einen gewissen Leichtsinn, einen Hang zum Wohlleben und eine auffallende Willensschwäche gezeigt, die leicht der Verführung unterlag. Doch niemals, trotz mancher naheliegenden Versuchung, hatte sich diese Schwäche bis zu einer unehrenhaften Handlung verstiegen. Auch war die Natur des Jünglings gut und das Band das ihn an Mutter und Schwester kettete das denkbar innigste. Der einzige Punkt, der sich über dieses freundliche Verhältnis wie eine Wolke legte war, daß der siebzehnjährige junge Mensch mehr Geld brauchte, als es für sein Alter und den häuslichen Umständen gemäß ziemte, – mehr als einen ernsten Auftritt hatte dieser Hang schon zwischen Mutter und Sohn herbeigeführt, ohne daß sich bei Hugo eine merkliche Besserung bemerkbar gemacht hätte.

Um so ungetrübtere Freude bereitete Erna ihrer Mutter. Fast zu derselben Zeit als der Bruder in das Geschäft des Herrn Berninger, eines der ersten Juweliere der Handelsstadt als junger Gehilfe eingetreten war, hatte ein junger hochgeachteter Mann mit nicht unbeträchtlichem Vermögen um die Jungfrau geworben und freudig das Jawort von Tochter und Mutter erhalten.

Doktor Wilhelm Burgmann, der einzige Sohn früh verstorbener, sehr wohlhabender Eltern, stand im 26. Lebensjahre. Er hatte Juri studiert, war tüchtig in seinem Fach und bereitete sich eben als Referendar zum Assessorexamen vor. – Er war ein wohlgebauter junger Mann, ein dunkles Bärtchen zierte das leicht gebräunte Antlitz und war überall gern gesehen, zumal in Damenkreisen, denn bereits als Student stand er bei seinen Kommilitonen in den Hintergrund, weil er sich von Rauch- und Trinkgelagen so weit es ohne Auffälligkeit geschehen konnte, gern zurückzog. Dennoch war Wilhelm nichts weniger als ein Mucker und konnte froh in heiterem Kreise sein, es gab aber, selbst schon in seinen jüngeren Jahren Perioden, wo es wie eine geheime Last auf ihm zu ruhen schien, ohne daß irgend ein äußerer Grund oder ein körperliches Leiden vorlag.

Ein Zufall hatte den jungen Referendar in das Haus der Witwe Ebelung geführt; er hatte dort seine Wohnung genommen und sich bald wie zur Familie gehörend betrachtet. Hugo fand an dem Hausgenossen einen älteren Freund und Erna wie ihre Mutter merkten bald genug die innige Neigung desselben zu der Schwester des Jünglings, die von der anmutigen Jungfrau erwidert, bald zur Verlobung der jungen Leute führte. Natürlich verließ Doktor Burgmann nun das bisherige Heim und richtete sich bis zum Bezug einer größeren Wohnung ein gemütliches Junggesellenquartier ein. – Er schien das vollste Glück gefunden zu haben, die seltsame Schwermut, die ihn zeitweilig befiel und selbst noch in der ersten Zeit seines Aufenthaltes im Ebelung'schen Hause heimgesucht hatte, schien völlig verschwunden.

Hell strahlte die Sonne eines schönen Julimorgens über Plätze und Straßen der mächtigen Stadt. In tausendfachen Strahlen brach sich leuchtend und glitzernd der Schein des Himmelslichts in der Fülle der Gold- und Silbergeräte, der brillant- und edelsteinbesetzten Schmucksachen, die hinter den mächtigen Spiegelscheiben des Juweliergeschäfts aufgestellt waren, dessen Firmenschild den Namen »Gottfried Berninger« in großen vergoldeten Lettern trug, eines des ersten und vornehmsten Hauses am Orte. – Der Besitzer selber war meistens in seinem Bureau, während zwei junge Leute den Verkauf im Laden zu besorgen hatten. Der eine, am Anfang der Zwanziger, war ein Verwandter des Herrn Berninger, ein zuverlässiger Mensch, – der andere der Sohn der Witwe Ebelung, – Hugo.

Trotz des Unterschiedes des Alters, ja der ganzen Beanlagung des Charakters hatte Gustav Walter, so nannte sich der ältere, dem jüngeren Kollegen seine Freundschaft zugewendet. Hugo besaß eine natürliche Liebenswürdigkeit und die Gabe, wenn er wollte, Herzen zu gewinnen, – Walter dagegen war ein stiller, vereinsamt gebliebener Mensch, der sich an der Lebensfreudigkeit und der blühenden Jugend des Genossen erfreute. Es war ihm freilich kein Geheimnis, daß der jüngere, wenn auch keine verrufene Lokale, aber doch Orte besuchte, wo man sich amüsiert und mehr als einmal hatte er selber, trotz seiner beschränkten Mittel mit kleinen Vorschüssen aushelfen müssen, von denen bis heute nur ein geringer Teil erledigt war.

Es war noch ziemlich früh am Tage, Käufer pflegten sich erst später einzustellen und die beiden jungen Leute waren im Laden allein, mit der Reinigung von Silbergefäßen beschäftigt die durch längeres Stehen etwas trüb geworden waren. Schon seit einiger Zeit hatte Gustav Walter seinen jungen Kollegen beobachtet. Der sonst stets wohl aufgelegte Hugo erschien bereits seit einigen Tagen dem Freunde sehr gedrückt und auffällig bleich; – an diesem Morgen trat aber diese Wahrnehmung so merklich hervor, daß Walter nicht umhin konnte, die Frage an seinen Genossen zu richten, ob er sich krank fühle.

Als ob es nur dieser Anregung bedurfte um sein beladenes Herz zu entlasten, faßte Hugo die Hand des Freundes und legte ihm unter Tränen ein Geständnis ab. Er hatte sich von älteren sogenannten Freunden vor einiger Zeit in ein Lokal schleppen lassen, in dem es hoch her zu gehen pflegte; erst hatte man ihn frei gehalten, später aber zu verstehen gegeben, daß nun an ihm selber die Reihe sei, sich der Gesellschaft gegenüber zu revangieren. Man hatte Sekt getrunken, er mußte sich gleichwertig zeigen. Seine geringe Barschaft reichte bei weitem nicht zur Begleichung der Zeche, ein späteres Kartenspiel das ihm statt erhofften Gewinn nur Verlust brachte, vollendete seine Verlegenheit, – er war genötigt sich Geld zu borgen, – einer der Gesellen, der ihn zum Mitgehen veranlaßt, zeigte sich sofort bereit, – die Schuld belief sich auf einige fünfzig Mark – ihm zu helfen.

Am nächsten Morgen als er mit schwerem Kopf und leerem Beutel aufwachte, kam das volle Bewußtsein seines Handelns am vergangenen Abend über ihn. Ihm ekelte vor dem wüsten Treiben an dem er teilgenommen, mehr einer Schwäche seines Charakters folgend, als aus eigenem Antrieb. Er zitterte wenn er daran dachte, daß er der Schuldner eines Menschen geworden, den er nur ganz oberflächlich kannte und der ihm bisher nichts weniger als sympathisch gewesen war. Und dabei sah er vorläufig keine Aussicht, diese Ehrenschuld zu begleichen, – er selber erst seit kurzer Zeit im Geschäft des Hauses Berninger verdiente natürlich kaum mehr als ein Taschengeld, – seine Mutter, die bereits mehr als einmal in kleinen Bedrängnissen ausgeholfen, durfte von jenem unseligen Abend nichts erfahren, sie wäre außer sich gewesen, und außerdem wußte der junge Mensch genau, daß Frau Ebelung durch eben nötig gewordene größere Ausgaben völlig außer Stande war dem Sohn zu helfen. – Auch an seinen zukünftigen Schwager sich zu wenden widerstrebte dem jungen Menschen als unwürdig. Der Doktor Burgmann stand ihm so hoch und er hatte eine so große Achtung vor den Grundsätzen des jungen Juristen, daß er sich scheute, demselben seinen Fehltritt zu gestehen und sich seine Hilfe zu erbitten. Andererseits hatte sich herausgestellt, daß die Handlung seines Gläubigers keineswegs eine uneigennützige gewesen. Wohl hatte er dem um Rückzahlung besorgten Jüngling erklärt, das Geld habe keine Eile, ja er sei bereit, ihm noch weit mehr vorzustrecken, zugleich aber hatte Hugo zu seinem Schrecken erkennen müssen, daß er mit seinem blinden Vertrauen sich an einen Burschen gekettet, der im Verein mit gleichgesinnten Genossen den jungen Menschen zu schlechten Handlungen zu verleiten beabsichtigte. Als er einsehen mußte, es sei vergebens, zog er andere Seiten auf und ward dringend und grob. – Vor einigen Tagen hatte der Sohn der Witwe Ebelung einen Brief erhalten in dem ihm gedroht ward, falls er nicht innerhalb einer bestimmten Frist bezahle, die Sache einem bekannten und berüchtigten Advokaten übergeben zu wollen, der schon Mittel und Wege finden werde, den Schuldner oder andere Personen für ihn zur Zahlung zu veranlassen. Mit diesen anderen konnte nur die Mutter oder vielleicht gar der Prinzipal Hugos, Herr Berninger gemeint sein und war dies bei letzterem der Fall, bedeutete das bei den ihm bekannten strengen Ansichten des Juweliers die Entlassung des jungen Menschen aus dessen Geschäft. Nun war die gegebene Frist bis auf einen Tag verstrichen und geschah kein Wunder, mußte sich das Unwetter über dem Haupte des jungen Mannes entladen.

Der treue Gustav Walter hatte mit tiefer Bewegung die Selbstanklage des Freundes vernommen, die mit dem Gelöbnis schloß, nie wieder der Regung seines leichten Sinnes nachgeben und aus dem peinlichen Erlebnis eine Lehre für das Leben ziehen zu wollen. Er machte Hugo keine Vorwürfe, – sie hatten ja keinen Zweck und um so weniger, da er selber, so sehr er sich den Kopf zermarterte, keinen Ausweg fand selber dem lieben Genossen aus seiner Lage zu helfen, obwohl er merkte, daß auf ihn Hugo seine letzte Hoffnung gesetzt. –

Ein Ruf des Herrn Berninger beschied Walter in das Bureau des Prinzipals, – Hugo Ebelung blieb im Laden allein, – über eine Viertelstunde verstrich ehe der Kommis sich dort wieder einfand. – Er brachte die Botschaft für den jüngeren, daß er sich im Namen des Herrn Berninger zur Gold- und Silberscheideanstalt mit der das Haus schon seit Jahren in Beziehung stand, begeben solle, um eine kleine Differenz bei einem Posten, die dem Chef eben aufgefallen und die er mit dem Gehilfen noch einmal verrechnet, nachsehen und berichtigen zu lassen. Ebelung solle sich Zeit lassen und falls dort die Durchsicht der Bücher zur Stunde nicht tunlich, nochmals vorsprechen und erst wieder in's Geschäft kommen, wenn die Sache völlig klar gestellt sei.

Der junge Mensch machte sich sofort zum Ausgang fertig. Er nahm die ihm vom Kollegen übergebenen Geschäftspapiere entgegen und verließ das Haus. Etwa eine Stunde später betrat ein elegant gekleideter junger Mann, der wohl in der Mitte der Zwanziger stehen mochte, den Laden des Juweliers. Gustav Walter kannte ihn von Ansehen, es war der Assessor Dr. Burgmann, der Verlobte der Schwester seines jüngeren Geschäftskollegen. Der Jurist schien in der heiteren Stimmung und der treue Gustav dachte daran, wie leicht es diesem Mann wäre, die drückende Schuld des zukünftigen Schwagers zu begleichen und alle Sorge von ihm zu nehmen. Wäre Hugo anwesend gewesen, hätte er ihm vielleicht durch eine kurze Abwesenheit Gelegenheit zu einem andeutenden Wort geben können, – es war ein Mißgeschick, daß der junge Mann gerade eben aus dem Hause war. – Der Assessor freilich schien gar nicht daran zu denken, daß er sich im Geschäft befand, in dem der Bruder seiner Verlobten tätig war; er fragte nicht einmal nach ihm.

Dr. Burgmann kam als Käufer; er erwarb nach langer Auswahl eine Silberschale von nicht unbeträchtlichem Wert, die zum bevorstehenden Geburtstag der Frau Ebelung bestimmt war. Aus wohlgefüllter Brieftasche erlegte er den Preis sofort, – dann aber schien ihm noch ein anderes einzufallen. Schon längst hatte er für die geliebte Braut einen Ring erwerben wollen, kostbarer und bedeutender als der aus die Bitte des jungen Mädchens nur schlichten und anspruchslosen Verlobungsrings, der das Gelöbnis des jungen Paares bis zur priesterlichen Weihe gefestigt. – Er konnte nun die Gelegenheit des einen Kaufs zum zweiten benutzen. In verschiedenen Kästchen, die der Gehilfe aus dem Schaufenster entnahm, fand der Assessor nicht was seinen Wünschen entsprechend erschien, aber das Haus Berninger hatte Vorrat. Aus einem Fach unter dem Ladentisch holte Walter einen Kasten hervor, aus dem es dem Kauflustigen in allen Farben des Regenbogens entgegen blitzte und funkelte. Des hohen, Wertes halber gelangten diese Ringe nicht zur öffentlichen Ausstellung, – aber daß sich doch dafür reichlich Liebhaber fanden, bewiesen die zahlreichen Lücken in der umfangreichen Lederhülle, die mit dunklem Sammt gefüttert die Kleinodien barg. In diesem Augenblick erschienen weitere Käufer. Es waren zwei alte Damen, einer der ersten Patrizierfamilien der Stadt angehörend, langjährige Kunden des Hauses. Sie wünschten einen Tafelaufsatz, – Gustav Walter ersuchte den Assessor seine Wahl zu treffen, während er die Damen bediente.

Es dauerte eine Weile, bis diese sich entschieden hatten; rascher schien es dieses Mal bei Dr. Burgmann der Fall gewesen zu sein. Er hatte den von ihm gewählten Ring von der kleinen Erhöhung im Innern des Kastens gezogen und ihn auf den Ladentisch gelegt. Dann war er zurückgetreten und schien mit sichtlichem Interesse den Kauf der Damen zu verfolgen. Sie gaben die Weisung, den Aufsatz in die Wohnung der Bestellerin zu senden und den Betrag dafür im Bureau des Hausherrn, eines der angesehensten Handelsherren der Stadt in Empfang zu nehmen und nun wandte sich Gustav Walter aufs neue zu dem Assessor mit der Bitte um Entschuldigung und der Frage, ob der Herr Dr. schon seine Wahl getroffen habe. Burgmann wies auf den von ihm zurückgelegten Ring und zog zugleich aufs neue seine Brieftasche hervor um zu bezahlen, er schien es plötzlich sehr eilig zu haben, denn er lehnte das Ersuchen des Gehilfen ihm noch einige weitere Vorlagen, oder ihn auf ein paar besondere der im Kasten befindlichen Ringe aufmerksam machen zu dürfen, kurzweg ab, fast schien es dem jungen Herrn zu lange zu dauern bis ihm der Gehilfe Quittung des Kaufs ausgefertigt und den gewählten Ring in ein Etui getan hatte, das der Bräutigam Erna Ebelungs in eine Seitentasche steckte. Dann verließ er den Laden in sichtlicher Eile, – vielleicht hatte er vergessen, daß man ihn am Gericht oder sonst wo erwarte und hastete, sich nun erinnernd, die versäumte Zeit nachzuholen. Und doch kehrte Dr. Burgmann nach ein paar Schritten wieder um und trat verstohlen, wie einer der nicht gerne gesehen sein will an das Schaufenster des Ladens mit seiner das Auge lockenden prachtvollen Auslage. Er konnte ungehindert das Innere des weiten Raumes überblicken, – der darinnen beschäftigte Gehilfe sah nicht hinaus, war es doch selten, daß nicht mindestens ein Passant der stets belebten Hauptstraße von der funkelnden Herrlichkeit angezogen, stehen blieb. Der draußen Beobachtende bemerkte, daß Walter den von den Käuferinnen gewählten Aufsatz beiseite und die übrigen denselben zur Ansicht angewiesenen Prachtstücke wieder an ihren Ort stellte, nun klappte er den Kasten mit den Ringen aus den der Assessor vorhin seine Wahl getroffen, zu und schob ihn wieder in das Fach unter dem Ladentisch woher er ihn entnommen, – es mochte vielleicht geraume Zeit dauern, ehe die Lederhülle mit ihrem kostbaren Inhalt wieder an das Tageslicht gelangte. Dann, nachdem er sich vergewissert, daß die Klingel der Tür in Ordnung und sofort jeden Eintretenden künde, verschwand der Kommis im angrenzenden Bureau des Herrn Berninger, wohl um dem Prinzipal die eben abgeschlossenen Verkäufe zu berichten; der Laden blieb leer und Dr. Burgmann entfernte sich.

Der Juwelier hatte eine Ahnung gehabt, daß sich die Revision der seinem jungen Gehilfen mitgegebenen Papiere an der zuständigen Stelle verzögern könne. Es war beinahe schon Mittag, als Hugo Ebelung wieder ins Geschäft kam und sich sofort zum Prinzipal begab, um Herrn Berninger Bericht abzustatten. Als er dann in den Laden kam, fiel es dem Kollegen auf, daß die trübe gedrückte Stimmung die der junge Mensch am Morgen zur Schau getragen und deren Ursache er dem Freunde nicht verhehlt hatte, völlig gewichen war; jede Spur von Trübsinn war aus Hugos Miene und Wesen verschwunden.

Und ohne weiteres teilte er dem älteren Genossen die Ursache mit. Er war der schweren Sorge ledig, die Schuld an den drängenden Gläubiger war bezahlt und er auf immer von ihm und Kumpanen seines Schlages befreit. –

Mit peinlichsten Gedanken hatte Hugo das Geschäft verlassen um den ihm vom Prinzipal überwiesenen Auftrag zu erfüllen. Er zermarterte sein Hirn um einen Ausweg zu finden, als ihm beim Vorübergehen an einem Hause ein Name mit der Bezeichnung Pfandleiher auffiel. Wie ein Lichtstrahl ging es ihm durch den Sinn, daß er eine nicht wertlose Uhr nebst Goldkette, ein Erbstück, besitze und darauf einen Vorschuß erhalten könne. Dann konnte er den Dränger bezahlen und hatte Zeit die Mittel zur Einlösung des Pfandes zu beschaffen. Er trat in das Haus, – der Pfandleiher war nicht anwesend und dessen Frau beschied den jungen Menschen, der unter diesen Umständen nur von einem Versatzstück sprach auf den Nachmittag. Neugierig aber erkundigte sich die Frau nach dem Namen des Geschäftsheischenden und Hugo, ein Neuling in solchen Dingen, glaubte ihn nicht verschweigen zu dürfen, zumal da er entschlossen war, wiederzukommen; dann ging er in die Scheideanstalt, wohin ihn der Dienst rief. Dort aber hatte man es sehr eilig; es dürfte über eine Stunde dauern ehe Herrn Berningers Bote die gewünschte Abrechnung erhalten konnte und Hugo benutzte diese Zwischenzeit, um in der ganz nah gelegenen Wohnung seiner Mutter vorzusprechen. Er traf Frau Ebelung nicht zu Hause, Erna seine Schwester war allein und benutzte die Gelegenheit um den Bruder über sein seit kurzer Zeit so ganz verändertes Wesen zu befragen, das auch der Mutter bereits aufgefallen war und geheime Sorge bereitete. Der liebenden Schwester gegenüber hielt Hugo nicht mit dem Geständnis zurück. Er berichtete Erna von seiner Schuld, aber auch von seiner Reue und seinem Gelöbnis der Besserung; auch daß er bei dem Pfandleiher vorgesprochen um des Gläubigers halber Uhr und Kette zu versetzen und auf den Nachmittag wieder bestellt sei, verschwieg er dem jungen Mädchen nicht. In großer Aufregung vernahm Erna sein Bekenntnis und pries es als ein Glück, daß der Mutter der Schmerz solcher Mitteilung erspart bleiben durfte. Sie selber konnte helfen. Von ihren Ersparnissen hatte sie eine kleine Summe zusammengebracht, für die sie dem Verlobten zu seinem bevorstehenden Geburtstag ein Geschenk von einigem Wert zu spenden gedachte, natürlich stand ihr das Wohl des Bruders und die Ruhe der Familie vor der Hand näher. Sie holte den Betrag, den Hugo brauchte um sich von seinem Dränger zu befreien, ohne die Hilfe des Pfandleihers beanspruchen zu müssen. Ueberglücklich verließ der junge Mensch das mütterliche Heim. An der Tür der Wohnung stieß er, wie er dem Kollegen weiter berichtete, auf Dr. Burgmann, seinen zukünftigen Schwager. Dem jungen Mann fiel auf, wie verstört der Jurist aussah, – er erschrak förmlich, als er Hugo ansichtig wurde. Die beiden wechselten nur ein paar Worte aus denen der Bruder Ernas entnahm, daß der Assessor eben im Geschäft des Herrn Berninger gewesen und dort einen größeren Einkauf gemacht habe.

Es blieb für Hugo noch Zeit genug, im Vorübergehen an der Wohnung seines Gläubigers demselben die eben nicht allzu ehrenhaft begründete Forderung zu entrichten und sich durch einen Revers vor jeder weiteren Unannehmlichkeit sicher zu stellen. Dann eilte er auf das Bureau, wo nun die für Herrn Berninger nötigen Dokumente zusammen gestellt waren, nach deren Empfang sich der Bote sofort in das Geschäft des Prinzipals zurück begab, freudig, aller Sorgen ledig, ein Anderer als er gegangen war und, wie er mit Tränen in den Augen dem treuen Freunde versicherte, – ein besserer. –

Es mochte etwa zehn Uhr morgens sein, als am nächsten Tage der Diener des Dr. Burgmann seinem Herrn meldete, daß Fräulein Ebelung draußen sei und den Herrn Assessor dringend zu sprechen wünsche. Burgmann weilte in seinem kleinen stylvoll ausgestatteten Speisezimmer; er war eben mit dem Frühstück fertig und schickte sich an, aufs Gericht zu gehen. Mit seinem Befinden schien es an jenem Morgen nicht zum besten zu stehen; er sah bleich aus und hatte das für ihn aufgetragene fast unberührt gelassen.

Wie von elektrischem Schlag berührt fuhr der Jurist bei der Meldung seines Dieners zusammen, dann aber öffnete er eilends selber die auf den Korridor führende Tür; die Hand seiner Braut ergreifend, führte er Erna ins Zimmer, indem er die Hoffnung äußerte, daß kein ernster Grund Veranlassung des frühen Besuchs sein möge.

Ein Blick auf das junge Mädchen hätte ihm hierüber schon von vornherein Gewißheit geben können; Erna Ebelung war totenbleich und zitterte an allen Gliedern. Mit Mühe hatte sie sich bis zum Heim des Verlobten geschleppt, die nächste und natürlichste Stütze und Hilfe in dem furchtbaren Unglück das über die kleine stille Familie hereingebrochen, – das furchtbarste für edelfühlende Naturen wie Burgmann selber eine war, – die Schande.

Mit zärtlichen Worten versuchte der Doktor das leidenschaftlich erregte Mädchen zu beruhigen, – allein er selber zitterte merklich, noch ehe er wußte um was es sich eigentlich handelte. – In abgebrochenen Worten erfuhr er nun von seiner Verlobten was sich ereignet. Am Morgen hatte ihr Bruder Hugo zu gewohnter Zeit das mütterliche Haus verlassen, um ins Geschäft zu gehen, etwa eine Stunde später traf ein Schreiben des jungen Menschen ein, – es war an die Mutter gerichtet, in herzzerreißenden Worten abgefaßt und aus dem – Gefängnis datiert. Sein Prinzipal Herr Berninger hatte seinen jungen Gehilfen unter dem dringenden Verdacht eines Ringdiebstahls verhaften lassen. Nun befand sich Hugo im Untersuchungsgefängnis.

Die Justizverhältnisse der Stadt in der unser Bericht sich als Tatsache ereignet, zugleich selbstständiger Staat, waren um die Mitte des hinter uns liegenden Jahrhunderts völlig anders als heute der Fall ist, wo im ganzen deutschen Vaterlande von kleinen Zugeständnissen an die Eigenart von Land und Leuten, doch bei ernsten Fällen eine einzige Rechtspflege herrscht. Eine Untersuchungshaft ward in einer gar nicht unwohnlichen Zelle einer der sog. Konstablerwachen abgemacht, die sich in jedem Bezirk der Stadt befanden. In Rechtsfragen ersterer Art entschied das »Niedergericht« in erster, das »Obergericht« in zweiter Instanz und in ganz schweren Fällen lag »Bestätigung oder Gnadenrecht« in den Händen des hochweisen Senats. Eine der nächsten Wachen war vorläufig das Gewahrsam des unglücklichen jungen Menschen geworden, der seine Unschuld beteuernd, nach Hilfe schrie.

Ein Trost in der furchtbaren Erregung des jungen Mädchens war Erna die Teilnahme die ihr Bericht bei dem Verlobten fand. In den zärtlichsten Ausdrücken wies der Assessor die Furcht seiner Braut zurück, daß er nun genötigt sei, sein Verhältnis zu einer Familie abzubrechen, von der eines der nächsten Mitglieder seinen Namen durch den Verdacht eines niederen Verbrechens entehrt habe. Er selber teilte die feste Meinung Ernas und der todkrank zu Hause darniederliegenden Mutter, daß Hugo wohl ein wenig leichten Sinnes, aber nie im Stande sein könne, sich einer Ehrlosigkeit schuldig zu machen. Er selber war es, der ganz entschieden, noch weit zuversichtlicher als die eigene Schwester für den Verdächtigten eintrat und seiner Braut das Wort gab, mit allen Kräften und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln für den Unglücklichen einzutreten. Sogleich wollte er ans Werk gehen, – er sandte den Diener zu einem befreundeten Kollegen mit der Bitte ihn bei einer belanglosen gerichtlichen Handlung zu der er sich eben begeben wollte, zu vertreten, – er selber eilte, nachdem er sich von seiner Braut getrennt und der armen Mutter den herzlichsten Trost und die beste Hoffnung gesendet, in das Geschäft des Herrn Berninger um sich vor allen Dingen den Sachverhalt des furchtbaren Ereignisses vom Prinzipal des Verdächtigen berichten zu lassen und darnach seine Maßregeln zu treffen; vor allem galt es den jungen Menschen, mußte es sein, selbst gegen höchste Kaution aus der Untersuchungshaft zu befreien.

Freilich war, um weitläufige Verhandlungen und Gerichtsentschließungen zu vermeiden, hierzu in erster Reihe die Einwilligung des angeblich Geschädigten zu erlangen und das war bei der bekannten Sittenstrenge des Herrn Berninger kein leichtes Stück Arbeit. – Der Assessor fand den Juwelier in der erbittertsten Stimmung gegen den jungen Menschen dem er Vertrauen geschenkt und der nicht allein an ihm zum Verbrecher geworden, sondern trotz überführender Beweise das Verbrechen noch dazu frech ableugnete.

Obwohl der Prinzipal Hugos erst jede außergerichtliche Verhandlung abzulehnen geneigt schien, ließ er sich auf das Drängen Dr. Burgmanns endlich zu einer Auskunft des Vorgefallenen bereit finden. – Es handelte sich um das Verschwinden eines Ringes der sich mit andern zugleich in einem Lederkästchen unterhalb des Ladentisches befand und nicht oft zur Vorzeigung an Käufer hervorgeholt ward. Durch Zufall hatte Berninger selber noch am Vorabend des Ereignisses nach Ladenschluß und Entfernung der beiden Gehilfen das Kästchen in Händen gehabt und wußte genau, daß der fragliche Ring sich darin befand. Es war dasselbe, das am folgenden Tage Gustav Walter dem Assessor zur Auswahl hinstellte und dem der Doktor den für seine Braut ausgesuchten Reif entnahm und bezahlte. Ob zu dieser Zeit der fragliche Ring noch vorhanden gewesen, vermochte Walter nicht anzugeben, – auch schloß er sofort nach dem Weggang des Käufers den Kasten und stellte ihn seiner Angabe zufolge wieder an seinen alten Platz. – Hugo Ebelung war während dieser ganzen Zeit nicht anwesend gewesen, sondern war im Auftrag des Prinzipals außerhalb des Geschäfts. – Wie es oft die Gepflogenheit Berningers war, blieb er auch am verflossenen Abend noch im Laden, verschiedenes zu ordnen und zu registrieren. Es fiel ihm ein, die Lücken im Ringkasten die sich durch den Kauf des Juristen noch vergrößert, durch einige gleichwertige Ringe zu ergänzen, bei dieser Gelegenheit bemerkte er sofort den Abgang eines durch seine Schlagerform leicht auffälligen, mit einem Brillant und einer Perle geschmückten Reifes, dessen er sich vom vorigen Abend her mit Sicherheit als vorhanden erinnerte. Das Verkaufsbuch wies nichts über den Verbleib des Wertstückes auf, jedenfalls mußten die jungen Leute darüber Aufschluß geben können. Am nächsten Morgen berief Berninger Hugo Ebelung und Gustav Walter in sein Privatkontor und richtete die Frage in bestimmtester Weise an beide. Nicht Hugo, – sondern der ältere war es der erschrocken schien und sich sofort einem gewissen Verdacht aussetzte, – wie es sich später herausstellte geschah dies in jähem Erschrecken über den Gedanken, daß den ihm bekannten Umständen nach kein anderer als sein von ihm als Freund geliebter Kollege sich des fehlenden Ringes bemächtigt haben könne. Ebelung selber blieb völlig unbewegt, ja begehrte sogar trotzig auf, als der Prinzipal drohte, augenblicklich beide junge Leute verhaften und eine Untersuchung einleiten zu lassen. Angesichts dieses Entschlusses beschwor denn Walter den Jüngeren, ein offenes Geständnis abzulegen und die Großmut des Herrn Berninger zu erflehen. Wollte er sich nicht selber des Verdachts des Diebstahls aussetzen, so mußte er nun dem Juwelier berichten, was Hugo ihm am verflossenen Tage von der Ursache seiner Geldverlegenheit mitgeteilt, – die durch die unerwartete schwesterliche Hilfe ein Ende gefunden, ohne daß der Bedrängte nötig hatte, abermals den Gang in das bereits am Morgen aufgesuchte Pfandleihhaus zu tun. Nach der Ansicht Gustav Walters müsse sein unglücklicher, mißleiteter Freund den Ring während jener Zeit heimlich aus dem Kasten entnommen haben, in der er sich selber im Kontor des Prinzipals zur Durchsicht der Abrechnung mit der Scheideanstalt befand und der jüngere Gehilfe allein im Laden geblieben war. Als er dann im Auftrage des Herrn Berninger das Geschäft verlassen und sogar ein paar Stunden unbeschränkt vor sich hatte, war es ihm wohl nicht schwer, sich des Kleinods zu entäußern. Aber die Bitten, selbst die Tränen des Freundes, wenn sie auch nicht ohne Wirkung zu bleiben schienen, vermochten dem Beschuldigten kein Geständnis, keinen Appell an die Großmut seines Prinzipals zu entlocken. Wohl gestand er zu, daß sich nach dem was er dem Kollegen berichtet ein gewisser Verdacht gegen ihn nicht ungerechtfertigt erscheine, aber er verwahrte sich hoch und teuer gegen jede Zumutung eines gemeinen Diebstahls und versicherte, daß einzig die Güte der Schwester ihn in Stand gesetzt, seinem Dränger die Schuld entrichten zu können. Hierauf habe Berninger ohne weiteres zur Polizei geschickt und Hugo Ebelung verhaften lassen, eine Sache, die bei den damaligen Justizverhältnissen, die noch keinen Staatsanwalt kannten, leicht ausführbar war. – Einer vorläufiger Freilassung, selbst gegen hohe Kaution widersetzte sich Berninger einstweilen entschieden. Hätte der junge Mensch reuevoll gestanden, wäre er wohl im Interesse der Familie gegen Ersatz des Verlustes zur Nachsicht bereit gewesen, aber die Hartnäckigkeit des sicheren Diebes entledigte ihn jeder Schonung. Als Doktor Wilhelm Burgmann das Geschäft des Herrn Berninger verließ, war er totenbleich; wie fassungslos stand er ein paar Augenblicke vor dem Hause, obwohl es nichts weniger als ein heißer Tag war, standen dem jungen Juristen dicke Schweißtropfen auf der Stirn. Ehe er sich zu Mutter und Schwester des jugendlichen Gefangenen begab, nahm der Assessor seinen Weg zu einem der ersten Rechtsanwälte der Stadt, mit dem ihn überdies noch persönliche Freundschaft verband.

Er traf den Vielbeanspruchten glücklicherweise auf seinem Bureau, trug ihm die Sache des zukünftigen Schwagers nach dem Bericht des Herrn Berninger vor und erbat sich die Hilfe des Anwalts um die nach seiner Meinung völlig zweifellose Unschuld Hugo Ebelungs gerichtlich zu vertreten, vor allem aber gegen Stellung einer Kaution und sei solche immer so hoch sie möge, die vorläufige Entlassung des jungen Menschen zu bewirken. Dr. Weisenbach hörte der Mitteilung seines Kollegen mit Aufmerksamkeit zu, versprach auch in diesem heiklen Fall alles zu Gunsten des Angeschuldigten aufzubieten was in seiner Kraft stand, verhehlte indessen dem Assessor keineswegs, daß dies unter den vorliegenden Umständen keine ganz leichte Sache gäbe, ja er wunderte sich, daß ein so tüchtiger Jurist wie der Kollege von vornherein bedingungslos die völlige Unschuld des Verdächtigten für zweifellos annahm. Wäre der junge Mann, meinte er, nicht eben der Bruder einer geliebten Braut, so dürfte das Urteil Dr. Burgmanns wohl anders lauten. Doch sollten schon in der nächsten Stunde die erforderlichen Schritte zur Haftentlassung getan werden.

Mit diesem Trost begab sich der Assessor zu den Verwandten Hugos, die er der Verzweiflung nahe fand und die ihn als Retter und guten Engel ihres Hauses begrüßten und dem jungen Mann beinahe zu Füßen fielen. Die Angelegenheit mußte schwer auf die Nerven des Verlobten Ernas gewirkt haben; eine Hast und eine Aufregung lag in dem ganzen Gebaren des Assessors, die weder Mutter noch Tochter je an ihm bemerkt hatten, – beinahe rauh, mit dem Bemerken, daß er nur seine Pflicht tue und doppelt, da sie mit seiner Ueberzeugung überein stimmte, wies er die heißen Dankesergüsse der Damen zurück. Die Bitte, den unglücklichen jungen. Menschen aufzusuchen und ihm in seiner Zelle Trost zuzusprechen, lehnte er unter Beruf aus seine erschütterten Nerven und den Hinweis, daß man seinen Besuch leicht mit einer Beeinflussung der Aussage in Beziehung bringen könne, gleichfalls ab. Am Abend desselben Tages gab in der Privatwohnung des Herrn Berninger ein, wie das Dienstmädchen konstatierte, Mann mit dunklem Vollbart und gleichem Haar, den Kopf mit einer riesigen Ballonmütze bedeckt, die von der Dämmerung unterstützt, das Gesicht völlig beschattet, ein Päckchen ab und verschwand im nächsten Augenblick, ehe die Magd eine Frage tun konnte. Sie trug den kleinen Gegenstand ins Wohnzimmer der Herrschaft, – es war eine in ein Stück Zeitungspapier gewickelte Streichholzschachtel, – als Herr Berninger sie öffnete funkelte ihm aus dem Innern der vermißte Ring entgegen.

Dieser Vorfall verbesserte die Lage des jungen Gefangenen keineswegs, obwohl Hugo nicht einen Augenblick aufhörte seine Unschuld an dem ihm zugetrauten Verbrechen zu beteuern. Es sprach zu vieles gegen die Behauptung desselben. – Man hatte herausgebracht, daß die jungen Leute in deren Gesellschaft Hugo geraten war, nicht nur perversen Neigungen fröhnten, sondern auch und nicht dieserhalb allein, mit der Justiz bereits in Konflikt geraten waren. Man glaubte ihm nicht als er betonte, daß er schon bei dem ersten längeren Zusammensein den sittlichen Wert seiner neuen Bekannten durchschaut und entschlossen gewesen sei sich von ihnen loszumachen. Im Gegenteil, man nahm an, daß dieselben vielleicht als Hehler bei der Sache beteiligt gewesen und als diese anfing ernst zu werden, den verschwundenen Ring wieder herbeigeschafft haben konnten. Der Bote mit dem Vollbart in der Wohnung des Juweliers war sicher eine Maske gewesen, – die öffentliche Aufforderung, der Polizei sich zu melden, blieb ohne Erfolg. Nachgewiesen war ferner, daß sich der Beschuldigte am fraglichen Tage zu einem Pfandleiher begeben habe in der ausdrücklich ausgesprochenen Absicht, dort etwas versetzen zu wollen. Wenn er später nicht wieder gekommen, so habe dies wohl seinen Grund, daß er sich den Kumpanen anvertraut und diese sich mit der Verwertung des Diebstahls befaßt haben mochten. Die Angabe der Erna Ebelung, daß sie es gewesen sei die dem Bruder ausgeholfen und ihm den zweiten Gang in das Leihhaus erspart habe, ward als fromme Täuschung der Schwesterliebe bezeichnet. Der Verteidiger des jungen Ebelung, Dr. Weisenbach, verhehlte seinem Freunde keineswegs die ungünstige Lage seines Klienten, ja er selber ließ durchblicken, daß ihm selber bei allem guten Willen der rechte Glaube an die Unschuld seines Schutzbefohlenen mangle. Von dieser schien der Assessor so fest überzeugt, daß er bei jeder gegenteiligen Andeutung in eine fast krankhafte Aufregung geriet.

Nach langem Schwanken hatte er sich entschlossen, Hugo in seinem Gewahrsam aufzusuchen. Es war dies keineswegs eine Kerkerzelle, sondern eine zur Bewegung hinreichend große Kammer, licht und luftig. Die Behandlung war eine gute und die Kost aus der Küche des Inspektors eine kräftige. –

Dr. Burgmann fand den jungen Menschen nicht niedergebeugt und gebrochen, sondern in einem gewissen starren Trotz, wie ihn die äußerste Verzweiflung und ein unwiderruflich gefaßter Entschluß aufweisen. In herzlichster Weise versicherte der Assessor seinem zukünftigen Schwager des festen Glaubens an Hugos Schuldlosigkeit, aber dennoch bereitete er ihn leise andeutend darauf vor, daß schon mehr als ein Justizirrtum vorgekommen und vielleicht auch hier die Wahrheit unseligen Zufällen als erdrückende Gegenbeweise erliegen könne. Für diesen Fall fügte er hinzu, könne es sich höchstens um eine kurze Freiheitsstrafe handeln. Sobald sie abgetan, mache der Gatte der Schwester Hugos es sich zur Ehrenpflicht, diesem eine ehrenvolle Stellung in England oder Frankreich zu verschaffen und sofort durch ein größeres Kapital die Zukunft des jungen Mannes zu sichern. Hugo dankte dem Schwager warm für seine Güte, bekannte ihm aber völlig ruhig, daß er im Fall einer Verurteilung keiner Sorge um die irdische Zukunft mehr bedürfe. Sein Entschluß seinem geschändeten Dasein ein Ende zu machen, stehe bei ihm unerschütterlich fest und kein Zureden, kein Argument könne ihn davon abbringen, um so weniger, da er noch einmal vor Gott und Menschen wiederhole, daß auch nicht das mindeste Bewußtsein einer Ehrlosigkeit sein Gewissen bedrücke.

Als Assessor Dr. Burgmann die Zelle des Gefangenen verließ, sah er so verändert aus, daß selbst ihm Nahestehende den eleganten Mann kaum erkannt hätten; er schwankte wie ein Trunkener und es bedurfte des Aufgebots seiner Willenskraft, seinen Zustand den Blicken der an ihm Vorübergehenden zu verbergen bis er endlich seine Wohnung erreicht hatte, – müde und gebrochen wie ein kraftloser Greis nach schwerer Anstrengung. Schon bald fand die Verhandlung vor dem Niedergericht in Sachen contra Hugo Ebelung statt. Im allgemeinen war der Fall im großen Publikum wenig bekannt geworden; die Gerichtsverhandlungen waren selten öffentlich, Revolver- und Skandalblätter, die vom Schmutz und Klatsch des Tages ihr Dasein fristen, gab es um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts nur ganz vereinzelt und nur bei sehr schweren Kriminalfällen brachten die Tagesblätter der Stadt den vollen Namen des Beschuldigten oder Verurteilten, der sonst meist nur mit dessen Anfangsbuchstaben bezeichnet ward. Am frühen Morgen jenes Tages da sich das Schicksal Hugo Ebelungs entscheiden sollte, durchlief eine Schreckenskunde die Stadt. Der bekannte und beliebte Assessor Dr. Burgmann ward in seiner Wohnung tot aufgefunden. Man fand ihn in seinem Schlafzimmer am Boden liegend eine abgeschossene Pistole zu seiner Seite, – die Kugel war sofort durchs Herz gedrungen. Ueber die Veranlassung des furchtbaren Ereignisses konnte keiner Auskunft geben, – der Diener Dr. Burgmanns schlief hoch oben in einer Mansarde; am Vorabend hatte er seinen Herrn verlassen, ohne daß ihm etwas besonderes in seinem Wesen aufgefallen war, außer einer gewissen Traurigkeit. Zu der Annahme einer Tat von fremder Hand lag nicht der mindeste Grund vor; alles im Zimmer befand sich in gewohnter Ordnung, Geld und Schmucksachen des Toten lagen unberührt, – es konnte sich hier nur um ein Ende durch eigne Hand handeln. Ein freiwilliger Selbstmord war bei den glänzenden Verhältnissen des Assessors kaum denkbar, – es mußte denn in einer augenblicklichen Geistesstörung geschehen sein, – oder der Verstorbene mußte mit der nachweislich schon seit längerer Zeit in seinem Besitz befindlichen Waffe in dem Glauben, daß sie ungeladen, hantiert haben.

Und zur Morgenstunde desselben Tages war es, wo dem Richter des Niedergerichts der in der Sache »contra Hugo Ebelung« den Vorsitz führte, ein versiegeltes Schreiben durch die Post zugestellt ward. Unmittelbar darauf wurde dem Gefangenen, dessen Anwalt und den Beisitzern des Gerichts bekannt gegeben, daß Umstände eingetreten, die Veranlassung gegeben, die Verhandlung auf eine kurze Frist zu vertagen. Und Dr. Arnfeld selber, eben der Vorsitzende, ein hochgeachteter und humaner Herr, war es, der sich ermächtigen ließ, die amtliche Untersuchung des geheimnisvollen Todes Dr. Wilhelm Burgmanns zu führen.

Sofort begab er sich in die Wohnung des Verstorbenen, wo er bereits den Doktor Weisenbach antraf, der einen ähnlichen Brief erhalten hatte und außerdem zum Testamentsvollstrecker seines Freundes eingesetzt war. – Die Leiche war auf Anordnung des inzwischen eingetroffenen Polizeiarztes auf das Bett gelegt und die Wohnung bis zum Eintreffen der Gerichtspersonen polizeilich überwacht worden. Nun machten die beiden amtlich berechtigten Herren und ein diesen zugesellter Aktuar, ein alter, ehrenhafter Beamter, sich daran den Schreibtisch des Toten zu öffnen. – In einem geheimen Fach, das ihnen aber nicht unbekannt sein mochte, fanden die Beauftragten einen falschen dunklen Bart und eine gleiche Perrücke, ferner eine Zeitung aus der genau so viele Buchstaben herausgeschnitten waren um den Namen des Juwelier Berninger zu bilden, denn aus gedruckten Lettern hatte die Aufschrift der Schachtel bestanden, die der geheimnisvolle bärbärtige Mann in der Dämmerung demselben in's Haus gebracht. Das Testament Dr. Wilhelm Burgmanns war kurz. Einige Legate abgerechnet teilte er in Worten der herzlichsten Liebe sein großes Vermögen zwischen Erna Ebelung, seiner teuren Braut und ihrem Bruder Hugo Ebelung. – Der letzte Wille des Assessors mußte nach Dr. Weisenbachs Aussage erst in den jüngsten Tagen ausgefertigt und vom Notar bestätigt sein; er hob eine frühere Bestimmung auf, die ausschließlich Erna Ebelung als Haupterbin seines Nachlasses einsetzte.

Am Tage vor der stillen doch anständigen Beerdigung Dr. Wilhelm Burgmanns fand die niedergerichtliche Verhandlung gegen Hugo Ebelung statt. Alle Beteiligten waren erschienen, auch die Witwe Ebelung und Erna ihre Tochter waren zugegen, beide in tiefster Trauer. Der angeschuldigte Jüngling betrat den Saal ungebeugt, festen Schrittes, der ihn begleitende Wächter blieb am Eingang stehen. Er selber mochte stutzen als der Vorsitzende des Gerichts den jungen Mann freundlich aufforderte vorzutreten, an den Tisch der Richter, – gehörte denn seinesgleichen nicht auf das Bänkelchen im abgesonderten Armesünderraum? Und nun erhob sich Doktor Arnfeld als Leiter der Verhandlung. Mit sichtlicher Bewegung, zuweilen vom Eindruck der eignen Worte übermannt, verkündete er, daß infolge eingetretener Umstände halber der Juwelier Berninger nicht allein die gegen seinen Gehilfen Hugo Ebelung erhobene Klage im Ausdruck des tiefsten Bedauerns zurücknehme, sondern der Gerichtshof selber nicht mehr die mindeste Veranlassung habe eine Klage gegen den Genannten zu erheben. Der wirkliche Entwender des Ringes im Geschäft der Firma Berninger sei durch sein eignes Bekenntnis, unterstützt von den unwiderleglichsten Beweisen seiner Tat durch Gottes Fügung ermittelt; kein Verbrecher sei es, sondern ein Unglücklicher, der sich der irdischen Verurteilung entziehend, vor den Thron der Ewigkeit geflüchtet. Keine Verteidigung bedürfe es wo keine Anklage vorhanden, – Herr Hugo Ebelung,« schloß der Präsident, –»der Jugend leichter unüberlegter Sinn hat Sie in unpassende Gesellschaft geführt, – möge Ihnen das Unheil das Ihnen aus dieser Bekanntschaft erwachsen, eine Lehre für das Leben sein. – Gehen Sie frei aus diesem Saal, junger Mann an der Seite würdiger liebender Verwandten, begleitet von der Teilnahme des Gerichtshofes ihrer Vaterstadt.«

Sprachlos, überwältigt von dem Eindruck des Vernommenen sank Hugo in die Arme von Mutter und Schwester, – mit ein paar aus dem Herzen kommenden Worten drückte Berninger seinem jungen Gehilfen die Hand. In des strengen aber gerechten Mannes Augen standen Tränen.

Die Aufzeichnungen Dr. Burgmanns bildeten das Endresultat der Folgen eines geistigen Defekts, der dem Sohne makelloser, gebildeter und vermögender Eltern angeboren sein mußte. Schon in seiner Jugend hatte er eine geheime Lust empfunden im Hause und den Kameraden Kleinigkeiten zu entwenden. Wie ein unbezwinglicher Drang überkam es ihn in solchen Momenten und war der blinde Rausch vorüber, packte ihn die Reue und das Gewissen. Mit den Jahren und bei gestärkter Willenskraft verringerte sich die krankhafte Neigung, die aber doch wohl noch hin und wieder Herrschaft über ihn gewonnen. Wenn es auch meist nur ganz unbedeutende Gegenstände waren, auf die sich das Verlangen des Unseligen richtete, so mußte er doch immer fürchten früher oder später bei Begehung solch einer heimlichen Tat ertappt zu werden und das war die Ursache die oft anscheinend grundlos das Gemüt des jungen Mannes verdüsterte. Eine lange Zeit war ohne jeden Anfall verstrichen, der Unselige hoffte, daß die Bekanntschaft und spätere Verlobung mit einem anmutigen und liebenswerten Mädchen wie Erna Ebelung jede böse Regung in seiner Seele gebannt habe. – Als er den Laden des Herrn Berninger betrat um den Ringkauf für seine Braut zu machen, dachte er im Augenblick nicht daran, daß er sich im Geschäft befand in dem sein zukünftiger junger Schwager tätig war, zumal da Hugo sich abwesend befand. Der Juwelenglanz der ihm aus dem geöffneten Kästchen entgegenstrahlte, das Gustav Walter ihm zur Auswahl hingestellt hatte, während der junge Gehilfe die beiden weiteren Käuferinnen bediente, blendete und verwirrte ihn. Ohne eigentlich zu wissen was er tat, von unwiderstehlichem Impuls getrieben, zog er wahllos einen der Ringe heraus und barg ihn ungesehen in seiner Westentasche. Aber schon in demselben Augenblick kam die Ernüchterung und das volle Gefühl seiner Handlung über ihn. Einen Augenblick lang dachte er daran sich Herrn Berninger zu entdecken, aber das harte strenge Wesen des Mannes der für Regungen seelischer Art kein Verständnis haben konnte, schreckte ihn zurück. Zu den furchtbaren Zweifeln die den Unseligen peinigten kam noch der Jammer in der seine Tat die ihm in der Welt nächststehenden und liebsten Personen versetzte. Der Gedanke, daß er nach der festen Erklärung Hugos in der Gefangenzelle, gar noch einen Unschuldigen in den Tod treiben könne, besiegelte den Entschluß des Assessors selber aus dem Leben zu scheiden und durch das eigene Selbstbekenntnis den Bruder seiner Verlobten vor jedem unwürdigen Verdacht zu bewahren. Nicht Geistesstörung, nicht Zufall war es die Wilhelm Burgmann die Todeswaffe gegen sich selber abdrücken ließ, es war bewußte Absicht, eine Sühne dessen was die Natur bei seiner Formung an Seele und Leib verschuldet, – eine Sühne der »Kleptomanie.«

Noch heute leben, bereits hochbejahrt, sowohl Erna als auch Hugo Ebelung, beide in glücklicher, kinderreicher Ehe, beide in glänzenden Verhältnissen, zu denen Wilhelm Burgmanns reiches Vermächtnis den Grundstein gelegt.

Nicht in bitterer Erinnerung, – in Mitleid und Dankbarkeit hegen die Geschwister das Andenken des Unglückseligen, der ohne seine mannhafte Selbstrichtung grenzenloses Elend über ihr Haus gebracht hätte, – wohlgepflegt ist die Grabstätte des Geschiedenen, um die sich sonst keiner kümmern würde und mit Blumen findet es seit Jahren der bedeutsame Tag seines jähen Todes geschmückt.


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