Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Prozeß Timm Thode.

Im Jahre 1866 bewirtschaftete der Landmann Johann Thode einen großen ihm eigentümlich gehörenden Bauernhof, der in der Grund- und Bodenrolle der Provinz Holstein dem adligen Gut Groß Kämpen zugeteilt, aber von dessen Herrschaft völlig unabhängig war. Seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatten die Thode bereits auf ihrem Heim gesessen und seit mehr als 30 Jahren nannte sich der alte Thode, zu jener Zeit ein kräftiger stattlicher Mann in den Fünfzigern, der Herr des ausgedehnten Besitzes und das Haupt seiner Familie. Außer seiner braven, arbeitsfrohen Frau mit der er in glücklicher Ehe lebte, zählte sein Haus fünf Söhne von denen der jüngste 14, der älteste 24 Jahre alt war und eine Tochter, ein frisches, blühendes Mädchen, die im August 1866 ihren achtzehnten Geburtstag feierte und weil mit diesem Ereignis eine kleine Feier verbunden werden sollte sich schon lange vorher auf die bevorstehende Zeit freute. Denn Feste, oder überhaupt Lustbarkeiten kannte man nur wenig im Thodeschen Kreise obgleich es innerhalb desselben durchaus nicht knauserig zuging. Das Haupt des Hauses war seiner Familie gegenüber eine Art Despot; er hielt strenge Zucht und forderte unbedingten Gehorsam. Die Arbeit hieß bei ihm oberstes Gesetz und wie er selber mit gutem Beispiel voranging, so verlangte er auch von den Seinen die volle Ausnutzung ihrer Kräfte zum immer weiter wachsenden Wohlstand und dauerndem Gedeihen des Hauses und Hofes, – ihres einstigen Erbes. Und dieses Erbe war kein geringes zu nennen. Stellte doch schon der schuldenfreie Hof einen Wert von etwa 200 000 Mark vor und außerdem lagen auf Kassen und Hypotheken hohe Summen von mehr als 150 000 Mk. im Gesamtbetrag als Schutz gegen alle bösen Zufälle gesichert. Die ganze Bedienung des Hauses bestand in einer achtzehnjährigen Magd, denn Mutter und Tochter schafften rüstig mit, – die Arbeiten auf dem Hof aber wurden einzig von den männlichen Gliedern der Familie Thode bewirkt, wobei sogar der jüngste Sproß, dessen Konfirmation bevorstand, nicht müßig gehen durfte.

Zwischen Eltern und Kinder herrschte ein nicht eben allzuherzliches, – denn der holsteinische Bauer ist weichen Gefühlen wenig zugänglich – aber doch ein ganz annehmbares Verhältnis, zumal ward – wie man zu jener Zeit noch annehmen durfte, von allen Kindern die Mutter als das gute, für alles Wohl besorgte, stets bemüht, Frieden zu stiftende Element im Hause verehrt. Der Vater hingegen ward gefürchtet, selbst von den ältesten, völlig erwachsenen Söhnen und oft gab es böse Worte zwischen dem Alten und den jungen Leuten. Sie genossen nur einen kargen Lohn, ihre überflüssigen Bedürfnisse mußten sie sich durch Aufzucht und Verkauf von Schafen erwerben. Aber auch untereinander gab es bei den Brüdern Thode wenig Sonnenschein. Streitigkeiten, selbst Schlägereien waren im Hofe nichts seltenes, desto seltener dagegen ein gemütliches Familienleben, – eine Aeußerung Timm's, des zweiten Sohnes vom Hause lautete später: »Vergnügt waren wir nur auf Geheiß des Vaters, wenn einer unserer Ochsen aus der Tierschau die Prämie bekommen hatte.«

Timm Thode hatte 1866 das 22. Jahr vollendet. Es war ein kräftiger, stämmiger Bauernbursche mit plumpen Händen und Füßen. Aber auf der niederen Stirn unter dem braunen, kurz geschnittenen Haar, aus den kleinen, verschmitzt blickenden Augen im vollen roten bartlosen Gesicht leuchtete dem Menschenkenner die Ueberzeugung entgegen, daß sich in der Seele dieses Menschen düstere, verderbenbringende Elemente verbergen, die nur der Gelegenheit harrten, um mehr oder weniger schädigend hervorzubrechen.

Schon seit seiner Knabenzeit war Timm seines störrischen absonderlichen Wesens halber von den männlichen Gliedern des Hauses zurückgesetzt worden. Nur die Mutter und später die heranwachsende Schwester boten ihm Stütze und vertuschten so weit es ging vorkommende Nachlässigkeiten, selbst manche böse Streiche, denn schon in den Jahren der Schule machte das Wesen und die Aufführung des Zweitgeborenen dem Vater viel zu schaffen. Einer der trägsten Schüler des Dorflehrers, erstreckten sich die ihm mit Mühe beigebrachten Kenntnisse kaum weiter als auf notdürftiges Lesen und Schreiben. Dagegen äußerten sich schon früh sinnliche Gelüste und der Hang sich durch List, selbst durch Gewalt Vorteil zu verschaffen, – letzteres nur wenn er sich schwächeren Persönlichkeiten als er selber war gegenüberwußte, denn im Grunde war seine Natur feig und dem der ihm brutal entgegen trat war er unterwürfig, wenn er demselben auch später durch ihn erlittenes in boshafter Weise unbeargwohnt heimzahlte. Kaum 12 Jahre alt begegnete er einem Bäckerjungen, der eine große Rosinenstolle zu einem Kunden seines Meisters trug; Timm machte sich an den Knaben heran, nahm das Gebäck unter dem Vorwand es ansehen zu wollen ohne weiteres aus dem Korb und lief damit fort; weinend blieb der Bursche, der den jungen Missetäter nicht kannte, zurück; erst später kam es heraus, wer der Urheber des Streiches gewesen, den zu vertuschen wie schon so oft die gute Mutter sich bemühte. Es krümmt sich bei Zeiten, was ein Häckchen werden will. – Auch seinen Brüdern spielte er böse Streiche und kleine, an ihnen verübte Diebereien, waren stets mit Sicherheit auf Timms Konto zu setzen, wenn er auch mit raffinierter Schlauheit sich vor der tatsächlichen Ueberführung seiner Missetaten in den meisten Fällen zu schützen verstand. Im Jahre 1860 ward Timm, der der evangelischen Konfession angehörte, konfirmiert. Sein Wunsch war Seemann zu werden, allein der Vater widersetzte sich dieser Neigung. Timm sollte gleich seinen Brüdern aus dem väterlichen Hof bleiben, wo sein Schaffen einen Knecht ersparte. Und Timm blieb gezwungen, vorläufig wenigstens; »hätten sie mich doch gehen lassen,« äußerte er später, – es wäre dann ja alles anders geworden.«

Aber die Abneigung des Burschen gegen ernste anhaltende Arbeit und die Ungeschicklichkeit die er, vielleicht nicht ohne Absicht dabei zeigte, gaben täglich Anlaß zu neuem Hader im Hause und auf dem Hofe. Die Familie kam zu der Ueberzeugung, daß es doch geratener sei, den »zweiten« sich bei andern Leuten sein Brod verdienen zu lassen, wie er es selber wünschte, – aber nur in der Nähe des väterlichen Wohnsitzes, – der alte Thode wollte ihn unter Augen haben. Von nun an fand von Seiten des Burschen ein stetes Kommen und Gehen zwischen seinen verschiedenen Arbeitsstellen und dem elterlichen Hause statt, das sich auf mehr oder weniger lange Dauer in demselben erstreckte. Man wurde zuletzt dagegen abgestumpft, fing an, den Timm als einen zu behandeln, bei dem es im Kopf nicht ganz richtig sei, – selbst der strenge Vater kam am Ende so weit mit den Achseln zu zucken, wenn es hieß: »der Timm ist wieder da.« In diesem Falle freilich mußte er schaffen, war er draußen, ward seine Arbeit auf die Schultern der andern verteilt, – ein Knecht kam nicht auf den Hof.

Seine erste Stelle fand der nun sechzehnjährige robuste Bursche bei einem Kaufmann Winter in Ottensen bei Hamburg. Ein mit seinem Kornfahrzeug elbabwärts fahrenden Bekannter des Thode'schen Hauses nahm Timm auf sein Schiff zu seinem Bestimmungsort. Kaum acht Tage später besuchte der Schiffer, er hieß Normann, den Altonaer Fischmarkt und gewahrte zu seinem Erstaunen seinen Schutzbefohlenen gemütlich umherschlendern. Auf seine Frage, wie er dahin komme, erhielt er die Antwort, daß Timm am verflossenen Tag den Dienst bei Winter verlassen habe, weil man ihm zuviel Arbeit aufgebürdet habe und ihm die Kost im Winter'schen Hause nicht schmackhaft erscheine. Er habe sich vorläufig in Logis begeben bis er eine neue passende Stellung gefunden.

Davon wollte der alte Schiffer nichts wissen; – da er doch heimwärts fuhr, nahm er den Passagier abermals an Bord und brachte ihn ins Elternhaus zurück. Da Timm ihm gegenüber Furcht vor dem Vater geäußert, sprach Normann eindringlich mit dem alten Thode und wirklich fand der Heimkehrende eine ganz annehmbare Aufnahme. Dafür hatte er aber dem Hausfreund versprechen müssen, ein guter Sohn und fleißiger Arbeiter zu sein.

Zwei Jahre blieb Timm nun im Elternheim, – aber unter welchen Verhältnissen. Die alten Streitigkeiten und gegenseitigen Chicanen zwischen den Brüdern begannen auf's neue, meist aber war Timm die Zielscheibe der Verwandten. Er galt allgemein während dieser Zeit als Dieb, – und es ist auch später erwiesen, daß er schon während dieser Periode seinem Vater viermal Geld aus der Kasse entwendete, – sogar unter Zuhilfenahme falscher Schlüssel.

Es drängte ihn wieder fort und die Seinen widersetzten sich nicht. Im nahen Weselsfleth suchte eine Witwe Laakmann einen zweiten Knecht und Timm Thode bewarb sich um die Stelle mit Erfolg. – Hier klagte er über das Elend das er zu Hanse erdulden müsse, über die Härte des Vaters, der ihn vom Hause jage und weiteres mehr, während es durch Zeugen bewiesen ist, daß der alte Thode für notwendige Bedürfnisse des Sohnes selbst in dessen Abwesenheit vom Hofe aufkam und sich wiederholt aussprach, – daß wenn sein Timm ordentlich sei und zu Hause bleiben wolle, – er stets eine Stätte im Elternheim finde.

Auch bei der Witwe Laakmann ging es nicht nach seinem Sinn; dem Erstknecht sich unterzuordnen fiel ihm nicht ein; überall wollte er befehlen, wobei natürlich alles verkehrt ging – und selber zu schaffen, war seine Sache nicht. Dabei war er roh und grob, selbst gegen seine Dienstherrin in deren Schlafzimmer er sogar eines Morgens eindrang und sie unter lauten Beschwerden mit »Du« titulierte. Bekam er nicht Recht, so rächte er sich am Eigentum der Frau. Auf einer Wiese die abzuheuen Timm beauftragt war, lagen Wäschestücke. Natürlich fing der Bursche aber dort seine Arbeit an und hatte bereits verschiedene Sachen durchschnitten, als eine herzueilende Frau rettete was noch zu retten war. Auf Vorhalt gab er zur Antwort, er brauche sich nicht vorschreiben zu lassen wo er anfangen solle. – Eines Tages nachdem er sich voll und satt gegessen, kündigte er ohne weiteres der Witwe den Dienst. Da er doch entlassen worden wäre sobald die abgemachte Frist zu Ende, war die Frau natürlich mit Freuden einverstanden. Timm ging ab und zu einem Hofbesitzer Heesch. Bei der ersten schweren Arbeit meldete er sich krank und legte sich zu Bett, die argwöhnische Köchin aber schlug vor, dem angeblichen Patienten eine große Kumme voll dicke Grütze zu bringen, – und sieh, der Bettlägerige verzehrte die aber nicht leicht zu verdauende Speise mit großem Appetit. Als man ihn nun nach seiner Krankheit fragte, stand er auf und sagte einfach: »Ich gah to Hus!« Man ließ ihn ruhig ziehen.

Im Frühjahr 1864 vermietete sich Timm bei dem Müller Lembcke im Orte Krummendiek, – er wollte Müller werden. Vom Hause holte er seine Lade mit Kleidern. Er traf dort die alte Frau Thode allein in der Wohnung; die übrigen waren im Feld beschäftigt. Unter einem Vorwand entfernte der Sohn die Mutter aus dem Zimmer und benutzte das Alleinsein aus dem unverschlossenen Sekretär eine Handvoll Taler einem im Schränkchen des Möbels stehenden Sack zu entnehmen. Erst später ward der Diebstahl offenbar. –

Auf seiner Mühle konnte sich Timm nicht beklagen. Die Kost war gut, die Behandlung freundlich, die Arbeit nicht zu schwer, – aber es stäubte dort so sehr und die in der Mühle eigentümliche Luft machte ihn beklommen und »dösig« wie er sagte. Da kam es ihm natürlich gelegen, daß ein plötzlich ausbrechender Brand die Mühle zu Krummendiek verzehrte und der Tätigkeit des Mühlburschen ein jähes Ende bereitete.

Der Müller Lembke, der keine weitere Familie besaß, war eines Morgens früh mit seiner Frau nach dem nahen Flecken Itzehoe gefahren, als er Mittags heimkehrte lag sein Besitz völlig zerstört in Asche. Nur ungenügend versichert, sah er mit einem Schlage seine ganze Zukunft vernichtet, – Timm Thode aber war es gelungen, rechtzeitig seine Lade mit ihrem Inhalt aus der Kammer in's Freie zu retten, eine Handlung, mit der er sich nicht wenig rühmte; die geringere Habe der Mitburschen aber waren ein Raub der Flammen geworden.

Der aber diese Flammen entzündet, war kein anderer als Timm Thode. Er selber war es, der bei späterer, noch weit bedeutsameren Verhandlung das Geständnis auch dieser Missetat ablegte. Da der Wind nur schwach ging und in der Mühle keine Arbeit war, hatte Lembke vor der Abfahrt den Timm und dessen Mitburschen Nezer angewiesen Mahlsteine zu behauen. Unter dem Vorwand einer Notdurft entfernte sich bald der erstere und lief auf den mit der Mühle in Verbindung stehenden Boden des Hauses zu einem Hinterboden der mit Heu und Stroh angefüllt war; er lockerte eine Schichte und entzündete sie mittels zu diesem Zweck mitgenommenen Streichhölzer, – dann ging er ruhig zu Nezer zurück und schaffte an seiner Arbeit weiter, bis die herüberfallenden Funken den Brand verrieten. Ohne weiteres lief Timm in seine Kammer und schleppte seine Lade heraus, die er bereits vorher mit seinen Sachen und wahrscheinlich auch dem Dienstherrn gehörenden Sachen gefüllt. Ehe bei der Entfernung des Lembke'schen Gehöfts vom nächsten Ort Hilfe zur Stelle war, lagen Haus und Mühle in Asche. Als der Müller heimkehrte weinte er wie ein Kind; in herzlichen Worten entließ er die Knechte, für die es jetzt ja nichts mehr bei ihm zu tun gab. – Timm Thode aber hatte sich wieder einmal frei gemacht und ging wie gewöhnlich nach Hause. Ein Bedauern mit dem Unglück seines Brotherrn äußerte er nie, es tat ihm nur um die guten Pfannkuchen leid, die Frau Lembke so knusperig zu backen verstand.

Auf den Brandstifter fiel kein Verdacht. Niemand hatte seine Tat gesehen und seine kurze Entfernung vom Mitburschen war so natürlich begründet, daß es dem Nezer nicht einmal einfiel, bei der gerichtlichen Untersuchung über die Ursache des Feuers derselben zu erwähnen. Man nahm eine Selbstentzündung an und damit war der Fall geschlossen.

Kurz nach seiner Heimkehr ins Elternhaus erkrankte Timm erst an einem Fieber, dann an einem Beinleiden. Nach eigner Aussage ward er gut verpflegt, – freilich wurde dem Genesenen zugemutet, sich an Feldarbeiten zu beteiligen. – Daraufhin entfernte sich der brave Sohn des Hauses und vermietete sich als Bursche bei dem Rechtsanwalt Wiede in Pinneberg. An jenem Ort lauerte das Verhängnis, das die vielleicht noch in des Unseligen Innern schlummernden Keime des Guten völlig ersticken sollte. Noch am Tage seines Dienstantritts lernte Timm einen jungen Cigarrendreher Namens Aug. Flint kennen, einen in Grund und Boden verdorbenen Menschen, der den ohnehin sinnlich veranlagten Burschen zu namenlosen Ausschweifungen verleitete. Die beiden machten gemeinschaftliche Ausflüge nach dem nahen Hamburg, wo sie die verrufensten Gassen aufsuchten und wilde Orgien begingen. Das enge unsaubere Freundschaftsband ward noch durch gegenseitige Geschenke befestigt, – denn Timm stahl seinem Dienstherrn Eßwaaren und Kleinigkeiten zum Gebrauch für seinen August und August lohnte seinem Timm mit Cigarren, die er dem Fabrikanten für den er arbeitete entwendete.

Aber »baar Geld lacht doch am meisten.« Der neben dem Rechtsanwalt wohnende Metzger hatte einen sechzehnjährigen Lehrling, einen braven treuen, aber etwas einfältigen Burschen. An diesen machte sich Timm, suchte den Jungen zu bösen Dingen zu verführen und es gelang ihm. Vertrauensvoll erzählte ihm der junge Metzger eines Abends, daß er für seinen Herrn einen größeren Posten Geld einkassiert habe und am andern Tag Rechnung darüber ablegen müsse. In derselben Nacht schlich sich Timm in die Kammer des Jungen, die ihm aus gewissen Gründen offen stand und entnahm aus dem auf dem Tisch neben dem Festschlafenden stehenden Kasten einen großen Teil des Betrags mit dem er unbemerkt wieder davonschlich um sich mit dem August über den »dummen Jungen« lustig zu machen. Der Jammer des Armen, der am nächsten Morgen dem älteren Freunde weinend den an ihm in der Nacht verübten Diebstahl erzählte, den er natürlich von seinem Lohn und aus seinen kleinen Sparpfennigen zu ersetzen habe, ließ den Täter völlig ungerührt.

Dies holde Freundschaftsband zwischen Timm und August fand bei Eintritt des Winters ein Ende, – der Rechtsanwalt Wiede kündigte seinem Burschen, den er als faul und unzuverlässig bezeichnete, den Dienst. Er kam damit dessen Absicht nur zuvor, denn Timm beklagte sich an allen Orten, daß er viel arbeiten müsse und dafür nicht einmal genügende Kost erhalte. Nach einer weiteren Stelle, die er um in August's Nähe zu bleiben in einem nahen Dorfe annahm, aber bald wieder verließ, weil seine Lieblingsbeschäftigung, das Dreschen schon vorüber war, ließ er Herrschaft und August im Stich und kehrte wieder einmal ins Elternhaus zurück, – der Vater schüttelte den Kopf und hatte schon aufgehört Bemerkungen zu machen, – er war eben nicht wie andere.

Und doch hatte der alte Mann wohl eine Ahnung wie es mit seinem »Zweiten« bestellt sein mochte. Einige Wochen nach Timms letzter Wiederkunft kam ein Neffe des alten Thode, Cornils Thode, um Schafe abzuliefern auf den Hof des Oheims. Aber seine Frage an diesen, wie sich Timm jetzt mache, erwiderte der Alte in seinem plattdeutschen Idiom: »Wär er doch wieder weg, – das geht nicht gut aus, das kann nicht gut enden, – der Junge ist nichts wert und er ist doch Johann Thodes Jung.« Und dabei standen dem sonst so harten Haupt der Familie die Tränen in den Augen.

Kurze Zeit später besuchte die Schwester der Frau Thode, eine Frau Lafrentz, die ziemlich weit entfernt wohnte, ihre Verwandte. Sie fand Mutter und Tochter sehr niedergeschlagen und als sie sich nach der Ursache erkundigte, faßte die alte Thode die Hand der Schwester und sagte weinend, – »ach wenn Du wüßtest, – unser Timm –« und das Mädchen fügte den Worten der Mutter hinzu, – »ach es ist furchtbar!« Das dazukommen der Magd verhinderte eine weitere Aussprache und was eigentlich geschehen, hat Frau Lafrentz nie erfahren, – Mutter und Tochter nahmen es mit in's Grab; denn schon breitete der Tod seine düsteren Schwingen über Hof und Haus der Thode aus – unbewußt, ungeahnt von allen – bis auf einen!

Und dieser eine bestrebte sich eben zu derselben Zeit da seine Seele über den schwärzesten Plan brütete, äußerlich ein leidliches Verhältnis mit seinen bereits erkorenen Opfern zu unterhalten. Mehr als einmal drückten die Brüder bekannten Personen gegenüber ihre Freude aus, daß es doch jetzt mit dem Timm zusammen zu leben ganz gut gehe. So kam ein junger Mann, namens Johann Schwarzkopf am Tage des 7. August 1866 aus den Thodeschen Hof und fand die vier Brüder ganz einträchtig auf der Diele beim Dreschen beschäftigt, – sie lachten und scherzten untereinander und mit dem Gast. Auch die Eltern und die Tochter des Hauses, die er später in der Wohnstube aufsuchte, waren heiter und sprachen von manchem Zukünftigen. Schwarzkopf entfernte sich gegen Nachmittag und der anbrechende Abend fand wie immer die Familie Thode bis auf die Hausmagd, die aber fast zu derselben gehörend gerechnet ward, allein. Und dann kam die dunkle, verschwiegene Nacht.

*

Ein heftiger Sturm tobte schon lange vor Mitternacht durch die Natur, – der Wind fuhr heulend und ächzend durch die Krone der Bäume und rüttelte so die Läden der wohl verwahrten Räume. Die Insassen der dem Thode'schen Besitz benachbarten Höfe, – der nächste lag etwa 400 Schritt entfernt, hatten sich zur Ruhe begeben, – deutlich tönten durch das Sturmgebraus die Schläge der Mitternachtsstunde vom Kirchturm des Dorfes Groß Kampen.

Kaum war der letzte Schlag verklungen als die Ehefrau des nächsten Nachbarn der Thode'schen Familie durch ein lautes Stöhnen unter dem Fenster des zu ebener Erde liegenden Schlafzimmers aus dem Schlaf geweckt ward. Nachdem sie sich von der Wirklichkeit ihrer Wahrnehmung überzeugt, ermunterte sie ihren Mann, der nun auch dem erwachsenen Sohn rief. Die Frau zündete eine Laterne an und nun traten die Drei in's Freie. Dicht vor ihnen stand ein Mensch, nur mit einem Hemde und Hosen bekleidet, diese aber wurden von Hosenträgern gehalten, – die Füße steckten in Pantoffeln. Neben dem unheimlichen Gast stand eine kleine Truhe und um ihn herum lagen verschiedene Kleidungsstücke und Wertgegenstände. Kaum, daß er die Familie auf der Schwelle erblickte, rief er mit erstickter Stimme: Helft, helft, – es brennt bei uns, – dann sank er anscheinend bewußtlos zusammen. Die Herzuspringenden gewahrten nun in dem völlig Fassungslosen den zweiten Sohn ihres Nachbars Thode, – den ihnen wohl bekannten Timm. Die Familie brachte den Unglücklichen in's Zimmer, und während die Frau mit Hilfe des Mädchens sich um den Leblosen mit allen ihn zugänglichen Mitteln bemühte, eilte der Knecht zum nächsten, aber doch in ziemlicher Entfernung wohnenden Arzt, Vater und Sohn begaben sich aber sofort zur Brandstätte. Sie fanden die Scheune rettungslos verloren in lichten Flammen stehen, – auch das Wohnhaus hätte längst ergriffen sein müssen, wäre nicht der herrschende Sturm plötzlich in anderer Richtung gegangen. – Andere Nachbarn durch die umherfliegenden Funken aufmerksam gemacht kamen ebenfalls zur Stelle; man trat in das Thode'sche Haus in dem ein unheimliches Schweigen herrschte, – aus einem Zimmer schlug ihnen erstickender Rauch entgegen, – mutig trotzten sie der Gefahr und traten über die Schwelle, – es war ein Schlafzimmer, – vier Personen lagen regungslos in den Betten, – man schleppte sie in's Freie, – dann mußten die Helfer selber flüchten, – die Betten brannten und der Luftzug bei Oeffnung der Tür hatte das Glimmen des Feuers zu lodernden Flammen entfacht, – nun brannte auch das Haus.

Vier Tote hatte man geborgen, längst hatten sie aufgehört zu atmen, – aber nur ihre entseelten Körper waren von den Flammen angesengt, – sie waren lebend die Opfer eines ruchlosen Mordes gewesen, – und diese vier waren das Elternpaar Thode, die Tochter und der jüngste Sohn. Vom ältesten, dritten und vierten, wie von der Dienstmagd fehlte jede Spur, waren sie, resp. auch ihre Leichen in dem brennenden Hause?

Als mit dem Morgengrauen das Gericht zur Untersuchung auf der Brandstelle eintraf, fand es nichts als Aschen- und Trümmerhaufen – das war alles, was von dem blühenden Gehöft übrig geblieben war.

Im ehemaligen Pferdestall lagen die Leichen des ältesten und dritten Sohnes, – die erstere beinahe völlig verkohlt, doch war bei der Obduktion deutlich erkennbar, daß der Schädel an der linken Seite mittels eines schweren Gegenstandes gesprengt war, – eine ähnliche, entschieden tödliche Verletzung fand sich bei dem zweiten besser erhaltenen Leichnam vor. Die Ueberreste des noch fehlenden Sohnes und der Dienstmagd wurden schließlich unter den Trümmern gefunden, aber in einem so hohen Grade verkohlt, daß eine Untersuchung auf gewaltsamen Tod den Aerzten unmöglich war. Dagegen erkannte man deutlich die furchtbaren Verletzungen des Ehepaars; Johann Thode hatte am Kopf eine breite, sichtlich von einem Beil stammende Wunde und unter derselben eine Schädelspaltung, die das Haupt des sicher im Schlaf überraschten Mannes der keinen Widerstand leisten konnte, in zwei Hälften geteilt hatte. Die Ehefrau wies ebenfalls Schädelbrüche und völlige Zertrümmerung der Gesichtsknochen auf; noch ärger war das blühende Mädchen zugerichtet, während der Jüngste nur einen schweren Schädelbruch aufwies, der aber unbedingt tödlich gewesen sein mußte. – Die Meinung der Aerzte ging dahin, daß die Gemordeten nicht im Schlaf überfallen worden seien, sondern außerhalb ihren Betten das furchtbare Ende gefunden haben mußten. Das spätere Ergebnis bestätigte die Annahme der Männer der Wissenschaft, auch daß dies Ende mittels eines schweren Beils bereitet war. Bei Wegräumung des Schuttes ward eine mit Blut befleckte Axt entdeckt, – sie hatte dem ältesten Sohn des Hauses gehört, dem nun mit seinem eigenen Werkzeug der Tod gegeben war. Außerdem aber fand sich an geschützter Stelle inmitten eines dichten Gesträuchs ein vollständiges Bett und in demselben verschiedene männliche Kleidungsstücke besserer Art, sowie eine goldene Kette, – nachweislich Eigentum der Thodes.

Wie diese Sachen dorthin gekommen, wer einer ganzen Familie bis auf ein einziges Glied den Mördertod bereitet, wer ihren Besitz in Flammen gesetzt, zweifellos um die Spuren seiner Tat unter der Asche zu vergraben, – das war vorläufig noch ein Rätsel, – denn der einzige der als Zeuge und Ueberlebender Auskunft zu geben vermochte, lag an Geist und Körper gelähmt, anscheinend völlig verständnislos für alles was um ihn herging im Nachbarhause unter sorgsamer Pflege, – zwei Aerzte hatten die Behandlung Timm Thodes übernommen, – Timm Thodes des Erben alles Besitzes, ein Mann der unter Brüdern seine halbe Million wert sein mochte.

Und auch im Mund des Volkes ging dieser Name um mit seltsamem Laut und seltsamer Deutung, – die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes. Und dennoch – das furchtbare, daß die namenlos schwere Bluttat nur von einer einzigen Hand vollzogen sein, daß es überhaupt möglich sein könne, daß eine einzige Hand dem Dasein von acht Personen, durch die nächsten Bande des Blutes verbunden, darunter fünf kräftige Männer, ein jähes Ende bereitet, daß eines Sohnes eigne Hand den Schädel der stets um ihn sorgenden treuen Mutter gespaltet, erschien so ungeheuerlich, so außer allem Bereich menschlicher Verworfenheit, daß keiner daran nur denken mochte. Mehr Glauben fand die Annahme, Timm Thode habe – um in den Alleinbesitz des elterlichen Erbes zu gelangen, einer von ihm gedungenen Mordbande der er reichen Lohn zugesichert, den Einlaß auf den Hof in jener wohl gewählten Sturmnacht vermittelt.

Eine Periode der Angst trat für die ganze Umgegend des Thodeschen Hofes ein. Was sich heute hier ereignet, konnte morgen an einer anderen Stelle geschehen. Allnächtlich durchstreifte eine Schaar bewaffneter Landleute die Gegend, ja zur Beruhigung der erregten Gemüter sandte das Oberkommando zu Altona eine Kompagnie Landwehrsoldaten in das dem Thode'schen Gehöft nächstgelegene Dorf. – Eine ganze Anzahl Personen, bei denen die Möglichkeit angenommen werden konnte, daß sie zu der Bluttat in irgend einer Beziehung stehen mochten, wurden eingezogen und verhört, – selbst die Schiffe auf dem nahe gelegenen Störfluß bis in den kleinsten Winkel durchsucht, – es ergab sich nirgends der mindeste Anhalt eines Verdachts, geschweige denn einer Schuld. Auch die vierhundert Taler, die der Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein für die Ermittlung des Täters oder der Täter ausgesetzt, schienen unverdient bleiben zu wollen.

Indessen kam doch endlich die Stunde, wo der Ueberlebende des Morddramas, wo Timm Thode, der Sohn und Erbe des Hauses zu reden vermochte.

Noch in derselben Nacht da der junge Mensch besinnungslos an der Schwelle des Nachbarhauses niedergesunken und von den Bewohnern in das Zimmer gebracht war, erschien der aus der nächsten Ortschaft herbeigeholte Arzt. Er fand Timm noch bewußtlos, anscheinend nicht ohnmächtig, aber in lethargischem Schlaf mit fieberhaft jagenden Pulsen. Blutegel und andere Mittel blieben ohne Wirkung. Bei der Entkleidung des Patienten entdeckte man am Beinkleid einen dunklen Fleck, auf den nicht weiter geachtet ward. – erst später sollte diese Wahrnehmung eine Rolle spielen. – Am Mittag des folgenden Tages erschien der Doktor wieder, diesmal in Begleitung des Kreisphysikus, – sie fanden den Zustand Timms wenig verändert, – nur daß sich einige Armbewegungen und hin und wieder ein Zucken der Gesichtsmuskeln kundgaben. Die Aerzte empfahlen die größte Ruhe im Krankenzimmer, vor allem aber die Entfernung der Nachbarn beiderlei Geschlechts, die das Krankenzimmer füllten und ganz ungeniert die Vorgänge der letzten Nacht verhandelten.

Dreißig Stunden lang dauerte diese Schlafsucht. Am Morgen des 9. August schlug Thode zum erstenmal die Augen auf und sprach ein paar Worte mit tonloser Stimme, – er klagte über Brennen und Schmerzen im Kopf und großer Schwäche, – dann schlief er wieder ein um gegen Nachmittag wieder aufzuwachen, diesmal sichtlich in bedeutender Besserung; sein Blick war frei und seine Sprache verständlich und zusammenhängend. Verwundert fragte er, wo er sich denn eigentlich befinde und wo seine Eltern und Geschwistern seien? Als man ihm mitteilte, daß er augenblicklich leidend, alles erfahren solle, sobald er wieder völlig hergestellt, beruhigte er sich augenblicklich und sprach von anderen gleichgültigen Dingen.

Natürlich hatte man sogleich die beiden Kasten mit denen in der verhängnisvollen Sturmnacht sich Timm Thode bis an das Haus des Nachbarn geschleppt, amtlich geöffnet; sie enthielten Silbersachen aus dem Thode'schen Hause, ein paar gefüllte Portemonnaies, einen Beutel mit 300 Talern und Wertpapiere im Betrag von etwa Sechzigtausend Mark.

Am 12. August war nach ärztlicher Erklärung der Patient so weit hergestellt, daß im Hause in dem er Gastfreundschaft gefunden, ein kurzes Verhör durch die vom Oberpräsidium für diesen Fall bestimmten richterlichen Beamten stattfinden konnte.

Wir geben die Mitteilung Timms direkt nach den vorhandenen Akten wieder:

Es mochte 1 Uhr in der Nacht sein, als ich durch das Toben des Sturmes aufgeweckt auf dem freien Platz zwischen dem Wohnhause und der Scheuer einen Lärm von Männerstimmen vernahm und zugleich hellen Feuerschein gewahrte. Ich sprang aus dem Bette, fuhr in die Pantoffeln, warf das Beinkleid über das ich mit den Hosenträgern befestigte und trug die Bettstücke zum Fenster, ebenso die beiden Kasten die in einem Schrank meines Zimmers aufbewahrt wurden und deren wertvoller Inhalt ich kannte. Dann öffnete ich vorsichtig die Fenster und stieg hinaus. Ich gewahrte unsere Scheune in hellen Flammen. Aus Furcht, das Feuer könne auch zum Hause getrieben werden, zog ich die Bettstücke und verschiedene Kleider durch die geöffneten Flügel und barg die Sachen im Obstgarten, dann nahm ich die beiden Kasten und noch etwas Zeug zu mir und verliest das Haus um Hilfe zu holen. In diesem Augenblick krachte ein Schuß und eine Ladung Schrot sauste dicht an meinem Kopf vorüber. Ich gewahrte plötzlich fünf bis sechs Männer die vor der Scheune standen, alle waren in dunklen, sackartigen Kleidern und trugen wie ich glaube, schwarze Masken. Halb tot vor Schrecken lief ich ohne mich um weiteres zu kümmern davon, wie ich an das Nachbarhaus gekommen und was geschehen, davon habe ich nicht die mindeste Erinnerung mehr.

Man mußte für's erste mit dem Ergebnis in Anbetracht des noch immer schonungsbedürftigen Zustands des Genesenden zufrieden sein, doch verfehlte man nicht den Eindruck zu beobachten, den die Mitteilung des Kriminalkommissars auf den einzig Ueberlebenden ausübte, daß seine ganze Familie die Opfer ruchloser Mordgesellen geworden und seines Vaters Haus und Hof in Schutt und Asche liege. Timm begann heftig zu weinen und in einen fieberhaften Zustand zu geraten, war aber schon nach einer halben Stunde wieder völlig im Gleichgewicht.

Nun aber häuften sich, die Fragen der Gerichtsherren und für alle hatte Timm eine annehmbare Antwort. Infolge eines Blitzschlags, der freilich ohne zu zünden das Thodesche Haus getroffen, sei die Familie sehr ängstlich geworden und habe meist angekleidet in den Betten gelegen. – Die mitgebrachten Papiere und Wertsachen habe der Vater noch kurz vor der verhängnisvollen Nacht verpackt und ihm befohlen, die Kasten sofort an sich zu nehmen, wenn etwas passieren solle. Nach seiner Meinung sei eine Raub- und Mordbande in das Gehöft gedrungen, habe die Familie bis auf ihn, den abseits Geschlafenen getötet und versucht durch Brandstiftung die Spuren ihrer Untat zu verbergen. Die furchtbaren Verletzungen, die der Körper des jungen Mädchens aufwies, deutete er als Grausamkeit der Mörder, deren Schändungsversuche sich wohl die Jungfrau aus Leibeskräften widersetzt habe.

Bei diesen Aussagen blieb Timm Thode hartnäckig und das Gericht nahm sie vorläufig als einleuchtend an, wenn auch noch sehr vieles in den Vorgängen der geheimnisvollen Nacht dunkel blieb. – In einem Wagen führte man den nun völlig Genesenen endlich an die Stätte wo sein Heim gestanden, wo sein Elternpaar, seine Schwester, seine Brüder gelebt hatten, schaffensfroh, die jungen Leute blühend und gesund – Timm tat sehr gerührt, aber er wich nicht um eine Jota von seinen Aussagen ab. – Was war zu tun? – Vorderhand nichts! Timm Thode ward förmlich als Erbe des ganzen Familienbesitzes erklärt; er nahm eine Wohnung in einem Dorf nahe bei Itzehoe, – doch stand er unter ihm bewußter Kontrolle der Behörde und vorläufig ward das ihm gehörende Vermögen vom Gericht verwaltet; von den Zinsen durfte er sich so viel er brauchte vom Administrator holen. Er bedurfte nicht viel – das gehörte zu seiner Rolle, die er sich selber aufgegeben und trefflich durchführte. Daß er nichts mehr zu arbeiten brauchte war ihm vorläufig genug und anderes konnte er ja nachholen, wenn über die »Geschichte« Gras gewachsen war. – Daß aber seine Lüste nicht erstickt, beweist die Tatsache, daß er bei dem ersten Besuch, den er den hilfreichen Nachbarsleuten die sich in der furchtbaren Nacht des an ihrem Hause Zusammenbrechenden angenommen, das Alleinsein mit der blutjungen Dienstmagd benutzte, um mit dem halben Kinde unziemliche Handlungen vorzunehmen. Einen guten Eindruck machte es unter der Bevölkerung der Provinz, als Timm Thode der amtlich ausgesetzten Belohnung für eine Spur die zur Aufklärung des Verbrechens dienen konnte, aus eignen Mitteln eine Prämie von 4500 Mk. (1500 Taler Pr. Courant) hinzufügte. Er hätte eben so gut das sechsfache versprechen können, denn nur zu gut wußte er, daß es keinen gab der aufzuklären vermochte, als er selber.

Für Eltern und Geschwister ließ er einen schönen Denkstein aufstellen; »gefallen durch ruchlose Mörderhand« lautete seine eigene Angabe und ebenso sind die frommen Sprüche des Steines von ihm selber der heiligen Schrift entnommen.

Mehr als ein halbes Jahr verging und die eingesetzte Untersuchungskommission hatte nicht das geringste erreicht. Der Verdacht, daß die Bewußtlosigkeit Timms, die ihn auf der Schwelle des Nachbarhofs heimgesucht, nur Verstellungen gewesen sei, ward durch das Zeugnis der Aerzte widerlegt, – wenn auch ein erfahrener Laie die stichhaltige Bemerkung aufwarf, daß eine gute Dosis Opium ähnliche Wirkungen hervorbringe wie man an dem Geflüchteten wahrgenommen. – So sah sich die eingesetzte Kommission im März 1867 genötigt die Akten an das Oberkriminalgericht mit dem Bemerken einzusenden, daß weiteres Bemühen in der traurigen Sache wohl nutzlos, – der von einigen Seiten bezichtigte Timm Thode aber schuldlos und weiterer gerichtlicher Querelation zu entheben sei. – In letztem Punkt indessen war die höhere Instanz doch anderer Meinung. Als Belastungspunkte der Täterschaft des zweiten Sohnes des ermordeten Ehepaars fallen in's Gewicht: Die Rachsucht für die häufige Zurücksetzung im elterlichen Hause und die Begierde, das Gesamtvermögen, das natürlich nach dem Ableben der Eltern in sechs Teile zu gehen hatte, – an sich allein zu bringen.

Nach den ausgedehntesten Ermittelungen sei ein Ueberfall von Seiten einer Anzahl bewaffneter Männer in jener Augustnacht kaum denkbar. Außerdem lauteten Timms Aussagen widersprechend. Nicht vom Sturm, an den er doch bei der ungedeckten Lage des Hauses gewohnt sein mußte, sondern vom Lärm bei der Ermordung seiner Angehörigen deren Schlafräume sich in der Nähe der eignen Kammer befanden, hätte er geweckt werden müssen. Auch sei es unwahrscheinlich, daß er so völlig den Kopf verloren, daß er davon gelaufen, ohne sich um das Schicksal der Seinen zu kümmern, aber doch dabei mit weiser Ueberlegung Bett, Kleider, Geld und Wertsachen nicht allein in Sicherheit gebracht, sondern auch mit sich geschleppt habe und zwar so weit als er wissen konnte, daß sie von zuverlässigen Personen zugleich mit ihm selber gefunden werden konnten. Auch daß der Vater Thode eben Timm mit der Hut der Wertkasten betraut haben sollte, der Sohn der seinem Herzen und seinem Vertrauen vor allen Familienmitgliedern am fernsten stand, war kaum zu glauben, eben so wenig, daß die Mordbrenner auch nur den geringsten Versuch zur Verfolgung des aus dem Hof Flüchtenden gemacht, der leicht an ihnen zum Verräter werden konnte. In Erwägung dieser Verhältnisse ward eine neue Untersuchungskommission eingesetzt, die sich behufs Aufnahme ihrer Tätigkeit im Mai 1867 nach dem Flecken Itzehoe begab, wo Timm Thode als Privatmann lebend, sich eine kleine Wohnung gemietet hatte. – In höflicher Weise wurde »Herr Thode« zu einer kurzen »Besprechung« auf das Amt geladen – und nach Schluß dieser »Besprechung als schwer verdächtig,« sofort in Haft genommen. Beinahe mit denselben Worten berichtete Timm der neuen Kommission dieselben Tatsachen. Allein diesmal ward er einer weit schärferen Fragestellung unterworfen, die ihn in Widersprüche verwickelte und befangen machte. Es waren freilich ganz unwesentliche Punkte die er zugab irrtümlich vorgebracht zu haben, aber im großen und ganzen hielt er seine Aussagen aufrecht und schloß mit den poetischen Worten: »ich kann ruhig schlafen, denn ich habe ein gutes Gewissen.«

Ersteres war wirklich der Fall; der Gefangene der übrigens jede mögliche Erleichterung genoß, schlief einen gesunden Schlaf und erfreute sich eines nicht minder guten Appetits. – Aber am Tage später fand man den Inkulpaten bewußtlos mit verdrehten Augen auf seinem Lager, schwatzte verrücktes Zeug und schien keinen zu kennen, – als aber der herbeigeholte Arzt sich anschickte dem anscheinend für alles um ihn herum Unempfindlichen etwas brennendes Siegellack auf den Arm zu tropfen, wirkte schon die Absicht dieses Heilmittels so wunderbar, daß der Besinnungslose plötzlich wieder klar ward und nur noch über furchtbare Kopfschmerzen klagte. – Am Tage später fand ihn die eintretende Untersuchungskommission abermals regungslos vor seinem Bett, – hier wirkte schon ein derber Fußtritt des Gefangenwärters dasselbe Wunder, das am vorigen Morgen das drohende Siegellack vollbracht. Timm stand auf und bekannte, daß er die Zustände nur simuliert, um eine bessere Zelle zu erhalten. Und weiter brachte man aus ihm heraus, daß er sich in der Mordnacht absichtlich vor dem Nachbarhause niedergeworfen habe um Mitleid zu erwecken, dann aber wirklich die Besinnung verloren habe. – Aber die alte Zähigkeit des Beschuldigten war gebrochen, – er schauerte zusammen wenn seiner unglücklichen Familie erwähnt ward und wiederholte immer auf's neue: »Ich habe es nicht getan!« »Wer dann?« fragte der die Untersuchung leitende Kommissar mit scharfem Ton. Da nannte Timm die Namen zweier bisher völlig unbescholtener Familienväter aus der Nachbarschaft und verband damit folgende Erzählung: Der Bedrückung im elterlichen Hause müde, habe er die beiden Männer bestimmt, gegen eine Belohnung von 1000 Talern seine sämtlichen Angehörigen zu ermorden und um die Tat zu verdecken Hof und Haus in Flammen zu setzen. Die Sturmnacht des 7.-8. August sei dem Vorhaben besonders günstig gewesen. Gegen 11 Uhr seien die Mörder leise, unbemerkt von Timm durch den Pferdestall in's Haus gebracht. Im Stall hätte einer der Brüder, zwei weitere in ihrer Kammer im Schlaf durch Knittelhiebe einen raschen Tod gefunden; dann seien die beiden Kerle in das Schlafzimmer der Eltern gegangen um ihnen und zugleich dem jüngsten Bruder den Garaus zu machen, und endlich sei die Schwester in ihrer Kammer und nachher die nebenan schlafende Magd daran gekommen, es sei wohl möglich, daß die beiden Mädchen vor ihrem Ende von den Männern erst mißbraucht worden seien.

Mit gerechter Entrüstung wiesen Vorsteher und sämtliche Bewohner der Ortschaft in der die zwei so furchtbaren Verbrechen bezichtigten Einwohner heimisch waren, die Verdächtigung zurück, – die beiden hatten nachweislich in jener verhängnisvollen Nacht ihr Haus mit keinem Schritt verlassen und sich mit den Ihren wohl gegen den Sturm der draußen tobte verwahrt. Und Timm selber hielt schon bei dem folgenden Verhör die Beschuldigung gar nicht mehr aufrecht; ganz überraschend ries er plötzlich laut und in einem trotzigen Ton: »Ich hab es getan, – alles, – und ganz allein hab ich's vollbracht, ohne jede Hilfe!«

Und nun legte er einen wahrheitsgetreuen Bericht vom Hergang des Verbrechens ab.

Aber auch die Gründe die den von Kind auf in seiner Seele schlummernden Keim des Bösen mehr und mehr ausgebildet, bis er zur Giftsaat emporgeschossen und zu dem furchtbarsten Verbrechen gereift, das die menschliche Moral kennt: zum Mord der nächsten Blutsverwandten, – zum achtfachen Mord – legte er dar.

Timm Thode schilderte die Verhältnisse im elterlichen Hause wie wir sie zu Eingang unserer Darstellung eines der seltensten Kriminalfällen mitgeteilt, – der Despotismus des Vaters, die Uneinigkeit der Brüder, die Zurücksetzung die man den »Zweiten« sozusagen als »Minderwertigen« fühlen ließ. Dazu kam der Gedanke, daß nach dem Tode der Eltern unser Hof und das schöne Geld geteilt werden müsse, während es nur eines Entschlusses, nur einer einzigen Stunde bedurfte mich zum Alleinbesitzer des ganzen Wohlstandes zu machen. Freilich schoß mir der Gedanke an die Mutter und die Schwester und den »Jüngsten« durch den Kopf, – allein es ließ sich nicht ändern, – entweder durfte keiner daran oder sie mußten alle, sollte mein Plan glücken.

»Am 8. August beabsichtigten die Alten auf einen Besuch in die Nachbarschaft zu fahren. Nach dem Mittagessen fuhr der Wagen unseres Hausfreundes vor, die Gäste zu holen.

Einer der mittleren Söhne ward vom Vater beauftragt für einen in der Nähe wohnenden Tierarzt von diesem bestellte Steine zu fahren, die andern Brüder hatten auf der Diele Getreide zu dreschen.

Die Eltern fuhren ab, der Bruder entfernte sich um seine Fuhre zu übernehmen: Schwester und Magd waren im Hause beschäftigt und wir vier übrigen machten uns an die Arbeit. Gegen sechs Uhr waren die Auswärtigen noch nicht heimgelehrt, wir aber waren mit dem Schaffen fertig, es war nur noch übrig, das zu Bündeln befestigte Stroh von der Diele in die Scheune zu tragen. Mit einer starken Tracht auf dem Rücken machten wir zu verschiedenen Malen den Weg,« lautete die Mitteilung des Täters aus eigenem Munde. »Als nur noch ein paar Bündel zu holen waren, eilte ich vor den andern in's Haus, warf die Last ab, ergriff eine schwere hölzerne Rolle und stellte mich hinter die Tür. Als der Aelteste mit seinem Gebund herein kam, versetzte ich ihm einen mächtigen Schlag auf den Kopf, der ihn sofort zusammenbrechen ließ. Ich fügte noch ein paar weitere hinzu und warf rasch eine Schütte Stroh auf den Körper, denn schon hörte ich einen weiteren der Träger kommen. Das war unser »Jüngster«; – zum zweiten mal fiel die Rolle und ohne Laut stürzte der Junge mit gespaltenem Schädel zur Erde. – Der dritte hatte etwas gesäumt, ich rief ihm zu sich zu beeilen und als er mit dem letzten Bund über die Scheunenschwelle trat, hatte er das gleiche Schicksal wie die übrigen; bei diesem hatte ich eben mehr Arbeit als bei den andern,« fügte der Erzähler ausdrücklich hinzu. »Als nun alles still war in der Scheune und keiner der Körper mehr zuckte,« fuhr der Mörder fort, »ging ich in's Haus und in meine Kammer, ich zog altes Zeug an, um meine besseren Kleider die ich an hatte, nicht schmutzig zu machen. Dann ging ich wieder in die Scheune, verschloß die Tür und durchsuchte die Taschen der toten Brüder, – sie gaben einen ganz schönen Ertrag, – dann machte ich mich daran und zog die Leichen eine nach dem andern mittels einer Leiter auf den Heuboden hinauf, – das war ein saures Stück Arbeit und kostete viel Schweiß Aber ich brachte sie doch fertig und ging nun wieder nach vorn in meine Kammer zurück. Dort zog ich über meine Hose eine zweite weitere von leichtem Stoff, um die Blutflecken zu verbergen, die an dem unteren Beinkleid hafteten, zog Stiefeln an, setzte meine Mütze auf und ging mit einem Spaten versehen an einen abgelegenen Ort, die meinen Brüdern abgenommenen Sachen heimlich zu vergraben. Auf dem Flur stieß ich auf meine Schwester, die nach den übrigen fragte; ich gab ihr den Bescheid, daß sie fortgegangen seien. Gegen sieben Uhr war ich wieder zu Hause, – die Eltern und der auswärtige Bruder waren noch nicht eingetroffen, – ich aß allein mit der Schwester und der Dienstmagd zu Abend, wobei die erstere bemerkte, der Vater werde über die Verspätung der Brüder sicher böse sein. – Das Mädchen ging in die Küche und ich saß noch mit der Schwester zusammen, nachdenkend, was nun zu vollführen sei. Vorher hatte ich mich völlig umgekleidet, denn ein sauberer Anzug war notwendig wenn mein im Allgemeinen schon vorher beschlossener Plan gelingen sollte. – Zwei Wagen kamen hinter einander; dem ersten, der gleich wieder umkehrte, dem Fuhrwerk der Gastfreunde, entstiegen die Eltern und gingen sofort in's Haus; das zweite Gefährt war der leere Lastwagen mit dem mein Bruder nach vollbrachter Arbeit heimkehrte. Er schirrte eben die Pferde aus, als ich an ihn herantrat und ihn bat, sofort in die Scheuer zu kommen, – es sei dort etwas sonderbares passiert; – aber ich war noch vor ihm dort, hatte abermals das Todeswerkzeug der übrigen ergriffen und versetzte damit dem Eintretenden ein paar gewaltige Schläge bis er stöhnend zusammenbrach. Die Leiter stand noch zurecht, auf den Sprossen zog ich auch diesen Körper aus den Boden – ich glaube es war noch Leben darin, – aber ich konnte mich nicht darum kümmern, denn es gab noch mehr zu tun und ich mußte eilen. Statt seiner schirrte ich nun draußen die Pferde ab und führte sie in den Stall. Hierauf rief ich dem Vater vom Hof aus zu, – er möge doch mal rasch in den Stall kommen, – es sei etwas an dem Schimmel nicht richtig. – Es war mein Plan, den Alten, sobald er herein kam ebenfalls zu erschlagen, aber meine Absicht war vereitelt, denn mit dem Vater kam auch die Schwester, die mir erzählte, daß der Vater sehr erzürnt über das lange Ausbleiben der Jungen sei. – Seine Stimmung ward nicht verbessert als er erkannte, daß ich ihn ohne Grund in den Stall gerufen. Er ging mit dem Mädchen in das Haus zurück und wollte sich ermüdet zur Ruhe begeben. Etwa zehn Minuten später stand ich am Fenster des Schlafzimmers; Mutter und Schwester waren schon im Bett, der Vater eben beschäftigt sich zu entkleiden. Ich pochte leise an die Scheiben und bat ihn mit halblauter Stimme, einen Augenblick herauszukommen da ich ihm etwas von den Brüdern sagen müsse. Ahnungslos kam er heraus und fragte was es denn mit ihnen gäbe und wo die Jungen seien, worauf ich antwortete, er solle nur ein paar Schritt mitkommen, dann werde er sich wundern. Gespannt folgte er mir, daß ich die Handrolle im Arm hatte schien er nicht zu bemerken. Als wir über den Rasen gingen blieb ich ein paar Schritte zurück und ließ mein erhobenes Werkzeug mit voller Wucht auf des Alten Kopf niedersausen, – auch er sank mit ein paar dumpfen Lauten sofort nieder. – Ganz in der Nähe stand ein Karren, den holte ich und legte den Leichnam darauf, der Vorsicht halber stach ich den Grasboden ringsherum aus, – sie konnten Blutspuren aufweisen, – ich legte sie auf den Toten und fuhr die Ladung vorerst in den Pferdestall; dann ging ich wieder ins Haus und in das Schlafzimmer der Eltern.

Die Mutter mußte den Weggang ihres Mannes bemerkt haben, sie war aufgestanden und stand in sichtlicher Unruhe am Fenster. – Ich hatte diesmal mein Mordinstrument gewechselt, berichtete Timm weiter; auf dem Flur war mir das scharfe Beil aufgefallen mit dem wir nach dem Schlachten die Fleischstücke zerkleinerten, – damit versehen trat ich über die Schwelle.« »Timm was ist denn los?« fragte meine Mutter, die sich nur flüchtig umgesehen und sich entfernt hatte, sich dann aber wieder dem Fenster zuwendete. »Nix!« lautete meine Antwort und zugleich erhielt die Frau einen gewaltigen Hieb mit der scharfen Axt. Sie schrie laut auf, wollte davon stürzen, fiel indessen nieder, – ich selber aber fühlte mich plötzlich von hinten um den Leib gepackt und eine Mädchenstimme schrie um Hilfe – es war meine Schwester Anna, die eben aus ihrer, dicht an das Zimmer der Eltern stoßenden Schlafkammer getreten war und meine Tat gesehen hatte. Ich rang mit ihr und stieß sie endlich so weit zurück, daß ich den Arm der das Beil hielt frei bekam, damit hieb ich auf sie ein, aber ich kriegte sie nicht zu Boden. Da blinkte mir vom Tisch ein großes Brodmesser entgegen, das riß ich an mich und stach blindlings auf alle Teile des Körpers ein und endlich hatte ich sie unter mir. Jetzt stöhnte Anna nur noch und bat: »Laß mich leben Timm, – ich will alles tun was Du willst –« und dazwischen wimmerte es von dem Fleck her wo die Mutter lag: »Min goldne Timm hef doch Erbarmen!« Aber ich durfte weder auf die eine noch auf die andere hören, – noch ein paar Hiebe mit der Axt, – dann war alles still.

Die Magd hatte von allen Vorgängen nichts gemerkt,« fuhr Thode in seinem Bekenntnis fort, »ihre Kammer war entfernt und sie hatte immer einen festen Schlaf. Die mußte auch noch stumm gemacht werden und dann war ich Herr im Hause und von Haus und Hof. Leise schlich ich mich herein, die Tür war nie verschlossen, ich kam bis zu ihrem Bett, – es war stockdunkel, ich mußte erst tasten wo der Kopf lag, dann schlug ich zu; – ich wollte das hübsche Ding nicht gleich tot machen, –ich hatte meine Gründe, – aber als ich genug hatte, machte ich durch ein paar Hiebe bald ein Ende.« –

Bis soweit war dem Mörder sein blutiger Plan gelungen, – und nun kam es darauf an, dem Auge der Welt die Beweise seiner Schuld zu verbergen und zugleich sich der erreichbaren Beute des Lohnes seiner Bluttat zu bemächtigen. Das erste Geschäft war das dringendste. Timm begab sich abermals in die Scheune, stieg mittels der Leiter auf den Heuboden, wo er vorhin ganz nutzlos die Leichname der gemordeten Brüder geborgen und warf sie wieder kopfüber in die Tiefe. Dann zog er die toten Körper einer nach dem andern heraus, indem er sie um den Leib faßte und die Beine nachschleppen ließ. Zwei derselben legte er übereinander in den Pferdestall, den ältesten in eine Kammer im Hause und den jüngsten 14jährigen auf ein Sopha im Wohnzimmer. Als er merkte, daß der junge Körper noch zuckte, holte er einen Hammer und hieb noch ein paar mal auf die Stirn des Jungen. Mit ihm mußte die herbeigeholte Schwester, die der Mörder über ihn warf, das Totenlager teilen. Auch der Leichnam des Vaters ward geholt und in's Bett geschleppt, wo ihm die entseelte Gattin von dem entmenschten Buben als Gesellschaft gegeben ward. Die geplünderten Taschen des Alten hatten einen hübschen Geldbetrag gespendet.

Nachdem sich Timm ein wenig von seiner anstrengenden Arbeit auf seinem Bett erholt, nahm er eine gründliche Reinigung seines Körpers vor und ergänzte seine Kleidung durch einige frische Stücke. Die abgelegten warf er in den Stall und warf Stroh darüber, – sie sollten mit allem andern was das Haus und der Hof barg in Flammen aufgehen. Ehe er aber zum letzten Werk schritt galt es das wertvollste des in den verödeten Räumen Befindlichen wohl zu bergen. Silbersachen, Wertpapiere, die Sparbüchsen der Geschwister, die besten Kleider wurden teils in's Freie geschafft, wo man sie wie oben bemerkt auch unversehrt vorfand, teils an einen Platz gestellt, wo der Verbrecher sie leicht zum Mitnehmen erreichen konnte, wenn er die brennende Heimstätte verließ.

Und daß sie brennen würde dafür sorgte Timm nun. Im Stall wie in der Scheune türmte er große Bündel Heu und Stroh und zündete mit einem Streichholz das leicht flammende Material an. Weitere Bündel schleppte er von der Diele in's Haus und verteilte sie neben den Betten und dem Sopha auf dem die Gemordeten lagerten; – dann nachdem er dies letzte Gebund in Brand gesetzt, entfernte sich der Täter eiligst, schloß die Türen und wartete im Freien bis der zunehmende Feuerschein das Gelingen seiner Tat verkündete. Seiner Sache sicher, schlich der letzte seines Hauses langsam, um Zeit zu gewinnen dem Gehöft des Nachbarn zu um sich hier als vor Angst und Schrecken bewußtlos von den hilfreichen Leuten aufheben zu lassen. Daß der nachfolgende krankhafte Zustand nicht völlig simuliert, sondern doch infolge der inneren Aufregung entstanden war, ist nach der Ueberzeugung der Aerzte anzunehmen.

Wir möchten hier eine persönliche Bemerkung einschalten. Wenn ein Schriftsteller in einem frei erfundenen Roman Vorkommnisse erzählte, wie wir sie in vorliegenden Blättern geschildert, so würde man – und nicht mit Unrecht – sein Werk überspannt und unglaubwürdig nennen. Wir aber haben getreu wiedergegeben was die amtlichen Akten berichten. Freilich ist es ein ganz unseliger Zufall, daß dem Schlächter der Seinen sein Werk in achtfacher Wiederholung gelingen konnte. Wenn z. B. zwei der Brüder, nachdem der erste erschlagen am Boden lag, zugleich die Scheune betreten hätten oder der Vater keine Neigung fühlte, auf des Sohnes Ruf das Haus zu verlassen, wäre dem Mörder inmitten seiner Blutarbeit ein Hindernis bereitet, das wohl die Rettung der Uebriggebliebenen zur Folge gehabt haben würde. Timm selber äußerte selbstzufrieden auf eine dahinzielende Bemerkung des Untersuchungsrichters: »Ja, ich hab viel Glück dabei gehabt!«

Nachdem nun einmal dies Geständnis sich der Brust des so furchtbar Belasteten entwunden, machte es ihm fast Spaß, sich seiner Taten als Heldenstücke zu rühmen. Nur geringer Anregung bedurfte es, Timm zu veranlassen, daß er bekannte zur Zeit des Dienstes bei Müller Lembke zu Krummendiek Mühle und Haus des Brodherrn angezündet zu haben, – auch des Raubes an dem armen Metzgerlehrling und allen weiteren vorhin geschilderte Missetaten erklärte er sich schuldig, – wußte er doch, es ging alles in einem hin.

Nach der Aussage des Inkulpaten hatte er verschiedene Gegenstände aus dem elterlichen Hause vergraben, – indessen erwiesen sich Nachforschungen an dem von ihm bezeichnten Ort als ergebnislos, – Timm erklärte nun, er habe sich in der Bezeichnung geirrt, – eine zweite Forschung hatte kein besseres Resultat. Zu einer dritten von ihm schließlich bezeichnten Stelle brachte man unter sicherer Bedeckung den Gefangenen persönlich, – es war ein unfruchtbares Bemühen, das Lächeln des Verbrechers kündete, daß er es vorher gewußt. Nie ist das Vergrabene wissentlich an das Tageslicht gekommen, vielleicht barg es zugleich die Frucht weiterer unbekannt gebliebener Verbrechen.

Nur acht Wochen dauerte die zweite Untersuchung der Thode'schen Kriminalsache, dann ließ man absichtlich eine Pause eintreten.

Nur noch zwei Monate dauerte es und das preußische Gerichtsverfahren ward in den durch die Siege von 1866 neu erworbenen Provinzen des Königreichs Preußen, also auch in Holstein eingeführt. Hierzu gehörte die Institution des Schwurgerichts. Die erste Sitzung dieses aus bürgerlichen Kreisen gebildeten Gerichtshofes sollte den Fall Timm Thode behandeln. Sie fand im Saale des Gerichtsgebäudes zu Itzehoe am 25. Januar 1868 statt.

Der Andrang um Einlaßkarten zu erhalten war so stark, daß schon am Tag vorher das Amt und der vorliegende Platz durch Militär gesperrt werden mußte, – am bedeutungsvollen Morgen selbst fürchtete man, daß die Stiegen und Fußböden unter der Schaar der anstürmenden Zuhörer der Verhandlung brechen müßten. Nicht allein im großen Saal standen die Schaaren zusammengepreßt, sie füllten auch die Treppen bis auf den Flur hinaus, – Kopf an Kopf stand die Menge trotz der winterlichen Kälte auf dem Platz vor dem Justizgebäude.

Der Gerichtshof nahm unter ehrerbietigem Schweigen seinen Sitz ein, – ein unwillkürliches Murmeln des Grimmes ging durch die Versammlung als von zwei Wärtern eskortiert, Timm Thode durch eine Seitentür den Raum betrat und zur Bank der Angeklagten geführt ward. Er sah rot im Gesicht aus und vermied sichtlich den Blicken des Auditoriums zu begegnen, zu gut wußte er, welche Stimmung aus ihnen sprach. Der Gefangene trug schwarze Tuchkleidung und war ungefesselt. Aufmerksam hörte er der Vorlesung der Anklageschrift zu und nickte ein paar mal bestätigend mit dem Haupte. Auf an ihn gestellte Fragen antwortete er kurz aber mit Ueberlegung, bejahend lautete seine Auskunft, daß ihn vor allem Habgier zu dem Mord seiner Familie getrieben. Mutter, Schwester und der Junge hätten ihm wohl leid getan, – aber es ließ sich eben nicht anders machen. Mehr als einmal drohte sich die Empörung des hinter den Schranken drängenden Publikums in Rufen der Erbitterung Lust machen zu wollen – selbst die Richter zeigten sich erschüttert von der Verhandlung in der sie über eine so furchtbare Blutschuld Recht zu sprechen hatten, Timm Thode selber blieb gefaßt und ruhig, – ruhig selbst als der Spruch des Gerichtshofs unter atemloser Stille des ganzen Saals durch den Obmann der Geschworenen verkündigt ward: Schuldig des achtfachen Mordes, Raubes, Diebstahls sowie wiederholter Brandstiftung. – Der nach der Vorschrift des Gesetzes dem Verbrecher beigegebene Anwalt hatte seiner Pflicht nur mit ein paar kurzen Worten Genüge geleistet, in denen er auf den doch sicher nicht ganz normalen Geisteszustand des Beklagten hinwies, – sie fanden bei Geschworenen und Richtern keinen Widerhall; die ersteren hatten jeden Milderungsgrund ausgeschlossen, – der das Urteil fällende juristische Gerichtshof entschied: Todesstrafe mittels des Beils. – Durch die Seitenpforte durch die man ihn gebracht, ward Timm Thode in seine Gefängniszelle zurückgeführt: »das war eine böse Tour,« bemerkte er zu den Wächtern.

Schon wenige Tage später ging die Bestätigung des Todesurteils durch den König von Preußen ein, – die Wut des Volkes hätte den elenden Mörder seines Hauses gern doppelt sterben lassen. Nun ward der Delinquent aus dem Itzehoeer Gefängnis in das Zuchthaus nach Glückstadt überführt, im Hofe desselben sollte ihm die Sühne seiner Taten bereitet werden.

Den Tröstungen der Religion hatte sich der Untersuchungsgefangene bisher wenig entgegenkommend bewiesen, der Verurteilte erwies sich dem Zuspruch des Zuchthausgeistlichen weit empfänglicher, ja richtete sogar von selber Fragen religiöser Art an den geistlichen Herrn, die denselben bei einem Menschen von beschränkter Bildung erstaunten. Je näher der Todestag heranrückte um so eifriger suchte Timm Stärkung im Glauben, – er beschäftigte sich ausschließlich mit Bibellesen. Dabei aber war sein Schlaf gesund und sein Appetit nicht minder, hatte er sich doch, wie er behauptete mit Gott ausgesöhnt und jede Schuld mit seinem Tode gebüßt.

Der verhängnisvolle Tag brach an, – ein wunderbarer Frühlingstag, der 13. Mai 1868. Timm hatte einige Stunden geschlafen, dann seinen Morgenkaffee getrunken und ein Kapitel in der Bibel gelesen. Nach einem Besuch des Geistlichen klang ein schrilles Glöckchen vom Turm des Gebäudes bis in des Verurteilten Zelle, – es war das Signal zum letzten Gang. Nur mit Hemd, Beinkleid, Strümpfen und Stiefel angetan betrat Timm den Hof, in dem hart an der hinteren Mauer das Gerüst sich erhob, auf dem neben einem mächtigen Block das Beil der Sühne irdischer Gerechtigkeit im Glanz des jungen Morgens blutrot schimmerte. Am Fuß desselben harrte der in schwarz gekleidete Nachrichter mit zwei Knechten des Delinquenten, in der Mitte des Hofes hatten die Herren vom Gericht, der Staatsanwalt und eine Deputation von Bürgern der Provinz als Zeugen Aufstellung genommen. Die Zahl der Anwohner der Hinrichtung war eine streng beschränkte.

Unter dem Gebimmel des Armensünderglöckchens ward Timm Thode sichtbar, zu jeder Seite schritt ein Geistlicher, er selber schien bis dahin ziemlich gleichmütig. Nachdem ein Aktuar ihm noch einmal das durch die kgl. Bestätigung vollziehbare Todesurteil vorgelesen, erwiderte der Verurteilte auf die Frage ob er sich veranlaßt fühle, noch etwas zu bemerken: »ich habe alles gesagt so viel ich weiß, – Gott hat mir vergeben.« Nach diesen Worten kniete er nieder, während einer der Geistlichen laut ein Sterbegebet sprach. Nun aber flog durch den ganzen Körper des Verurteilten ein krampfhaftes Zittern, – der Staatsanwalt übergab den Missetäter dem vortretenden Henker; widerstandslos betrat Timm inmitten der Knechte das Schafott, – der Scharfrichter folgte, – er hatte wenig Arbeit, – der Totgeweihte half selber seinen Körper festschnallen und sein Haupt auf den verhängnisvollen Block in die rechte Lage zu bringen, – nun trat der Scharfrichter hinter ihn, – er schwang den muskulösen hoch erhobenen Arm – abermals brach sich blutrot die Sonne im Stahl, – mit mächtigem Schlag sauste er nieder – die irdische Sühne eine der schwersten Bluttaten die in der Geschichte der Verbrechen verzeichnet stehen, war vollzogen. Haupt und Leichnam des Gerichteten wurden der Anatomie zu Kiel überliefert, – das Thode'sche Vermögen an die erbberechtigten nächsten Verwandten Johann Thodes und seiner Ehefrau verteilt. Ein eigentümliches Verhängnis waltete bei der Hinrichtungsart des Familienmörders. In vielen Gegenden der preußischen Monarchie findet keine Exekution durch die Guillotine, sondern noch in alter Weise durch das Richtbeil des Scharfrichters statt. So war es auch bei dem Ende Timm Thodes. Mit dem Beil hatte er die Seinen erschlagen – durch das Beil fand seine Bluttat die irdische Sühne.


 << zurück weiter >>