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Die Höchstbäuerin

Wieder war ein Jahr vergangen, ein schweres Jahr für Wally, denn als der einsame Sommer in der Wildnis vorüber war und Stromminger die Herde holen ließ, stieg Wally auf der andern Seite des Ferners hinab in das Schnalsertal, wo sie ganz fremd war, und suchte sich da einen Dienst. Zu den Rofenern wollte sie nicht wieder zurück, da sie ihr Werben abweisen mußte. Es wurde ihr hier ebenso schwer, mit dem Geier ein Unterkommen zu finden, wie drüben im Ötztal, und sie verzichtete endlich auf jeden Lohn, nur damit Hansel mit aufgenommen wurde. Natürlich war ihr Los ein trauriges; sie wurde um dieser »Narrheit« – wie sie's nannten – willen herumgestoßen und verächtlich behandelt von den Frauen und mußte sich oft mit Gewalt gegen die gemeine Zudringlichkeit der Männer wehren, die hier wie überall Gefallen an der schönen Dirne fanden. Dennoch ertrug sie das alles standhaft, denn sie war zu stolz, um unter einer Last zu ächzen und zu wehklagen, die sie freiwillig auf sich genommen hatte.

Aber sie wurde hart und immer härter dabei, gerade das, wovor der gute Kurat sie gewarnt. Die Geister aller gemordeten Freuden ihres jungen Lebens gingen in ihr um und schrien nach Rache. In dem kurzen Mai des Lebens sind drei verlorene Jahre viel. Andere junge Mädchen weinen und klagen um einen verlorenen Tanz! Wally trauerte nicht um alle die versäumten Tänze, um all die tausenderlei Vergnügungen ihres Alters, sie trauerte nur um die versäumte Liebe, und das Gemüt, das kein Sonnenstrahl des Glücks beschienen, wurde herb und hart wie die Frucht, die nur im Schatten gereift ist.

So stieg sie wieder zur Frühjahrszeit auf den Ferner. Es war ein rauhes Frühjahr und ein stürmischer Sommer, wo Regen, Schnee und Hagel miteinander abwechselten, daß Wallys Kleider oft tagelang nicht mehr trocken wurden und sie ganze Wochen hindurch in einem undurchdringlichen Chaos nasser Wolken atmete, in dem es nimmer Licht werden wollte, wie vor dem ersten Schöpfungstag.

In Wallys Brust malte sich das große Chaos im kleinen, grau in grau. Die ganze Welt war nur noch ein trüber, finsterer Traum, wie dies Nebeltreiben um sie her – und der Gott kam nicht, der da sprach: »Es werde Licht!«

Eines Tages aber, nach endlosen Wochen der Finsternis, sprach er dennoch sein mächtiges Schöpfungswort, und der erste Lichtstrahl schoß wieder durch die Wolken und zerteilte sie, und allmählich schied sich aus dem Chaos eine schöne geordnete Welt aus, mit Bergen und Tälern, Feldern, Wäldern und Seen, und das alles lag plötzlich fertig vor Wally da, und ihr war, als wäre auch sie erst neu zum Leben erweckt, wie einst die Stammutter der Menschheit, daß sie sich dieser Welt erfreue, die Gott so schön geschaffen, daß er sie sich nicht allein gönnte, sondern sich noch Wesen dazu schuf, sie mitzugenießen.

Sollte es denn wirklich auf dieser schönen Welt kein Glück geben? Und warum hatte Gott sie, die arme Eva, da heraufgesetzt in die Einöde, daß der, für den sie geboren war, sie nicht finden mochte? »Oh, hinunter, hinunter, 's is genug hier oben!« schrie es plötzlich in ihr auf, und wild brach mit einem Male die Lust zu leben, zu lieben, zu genießen in ihr hervor, daß sie die Arme sehnsüchtig ausbreitete nach der sonnigen, lachenden Welt da unten.

»Wally, du sollst abi kumme glei – der Vater is g'storben.« Der Hirtenbub stand vor ihr.

Wally starrte ihn wie träumend an.

War es ein Spuk ihres eigenen Herzens, das eben erst so aufrührerisch nach Glück geschrien? Sie faßte den Buben bei den Schultern, als wollte sie fühlen, ob es wirklich etwas Wirkliches, kein Trug sei.

Er wiederholte die Botschaft. »Das Übel an sei'm Fuaß is immer schlimmer wor'n. Der Brand is derzukomme, und heut morgen war er tot! Jetzt bist du Herr aufm Höchsthof, und der Klettenmaier läßt dich grüßen.«

So war es wahr, wirklich! Der Erlöser, der Friedens- und Freiheitsbringer stand leibhaftig vor ihr! Darum hatte Gott ihr die Welt so schön gezeigt, als wollte er ihr vorhersagen: »Sieh, das ist jetzt dein! Komm herab und nimm, was ich dir beschert!«

Und sie ging still nach ihrer Hütte und schloß sich ein. Dort kniete sie nieder, dankte und betete – betete seit langer Zeit zum erstenmal wieder inbrünstig aus tiefster Seele, und heiße Tränen um den Vater, der nun dahingegangen, ohne daß sie ihn je kindlich lieben gedurft und gekonnt, quollen aus dem erlösten, versöhnten Herzen hervor!

Dann stieg sie nieder in die Heimat, die ihr nun endlich wieder Heimat war, wo ihr Fuß wieder auf eignen Grund und Boden trat. Der Klettenmaier stand vor dem Tore und schwenkte jauchzend die Mütze, als sie ankam. Die Magd, die vor zwei Jahren so grob gegen Wally gewesen, brachte ihr heulend und unterwürfig die Schlüssel, und unter der Zimmertür empfing sie Vinzenz.

»Wally«, begann er, »du hast mich zwar schlecht behandelt, aber –«

Wally unterbrach ihn ruhig, aber streng: »Vinzenz, hab i dir Unrecht 'tan, so mag mich Gott dafür strafen, wie's ihm g'fallt. I kann's nit bereuen und nit gut machen, und i verlang auch nit von dir, daß du's mir verzeihst. Jetzt kennst mei Meinung, und jetzt bitt i, laß mich allein!«

Und ohne ihn weiter eines Blickes zu würdigen, ging sie zur Leiche ihres Vaters hinein und schloß die Tür. Tränenlos stand sie da. Sie hatte weinen gekonnt um den verklärten Vater, der die irdische Hülle abgestreift hatte; aber vor der irdischen Hülle, die mit plumper Faust sie selbst und ihr Leben verpfuscht, die sie geschlagen und getreten hatte, vergoß sie keine Träne, da war sie wie von Stein.

Sie betete ruhig ein Vaterunser, sie kniete nicht dabei nieder. Wie sie vor dem lebenden Vater gestanden, regungslos, in sich zusammengefaßt, so stand sie auch vor dem Toten, nur jetzt ohne Groll, versöhnt durch den Tod.

Dann ging sie in die Küche, um alles für den Imbiß zu rüsten, wenn »z'Nacht« die Nachbarn zum Beten und zur Totenwacht kamen. Da gab es alle Hände voll zu tun, und als es Mitternacht war, füllte sich die Stube so mit Betern, daß Wally kaum genug zu essen und zu trinken herbeischaffen konnte, denn je reicher ein Bauer ist, desto mehr Nachbarn finden sich zum Wachen ein.

Wally sah das alles mit stillem Widerwillen mit an. Da lag ein toter Mann – und sie aßen und tranken wie die Fliegen dabei. Das dumpfe Summen und Treiben um sie her war ihr so ungewohnt auf die erhabene Stille ihrer Berge und kam ihr so klein und elend vor, daß sie sich unwillkürlich wieder hinwegwünschte auf ihre Höhen.

Stumm und kalt schritt sie zwischen den heulenden, essenden und trinkenden Leuten hindurch, und man fand, sie sähe ihrem toten Vater recht ähnlich. Am dritten Tage war das Begräbnis. Von allen Ortschaften nah und fern kamen die Leute herbei, teils um dem gefürchteten und angesehenen Höchstbauern die letzte Ehre zu erweisen, teils um sich bei der bösen Geier-Wally, die nun doch Herrin der großen Strommingerschen Besitzungen geworden, »wohl dran zu machen«. Denn war sie auch bisher eine »Mordbrennerin« und ein »Tunitgut« gewesen – jetzt war sie die reichste Bäuerin im Gebirg, und das änderte alles.

Wally fühlte diesen Umschlag wohl und wußte auch, woher er kam. Als nach dem Begräbnis dieselben Leute, die sie vor einem Jahr, da sie hungernd und frierend um einen Dienst bat, mit Schimpf und Schande von der Tür gewiesen, jetzt mit krummem Buckel und grinsend vor ihr standen – da wandte sie sich mit Ekel ab, und von der Stunde an verachtete sie die Menschen.

Auch der Kurat von Heiligkreuz und die Rofener waren gekommen. Jetzt war der Augenblick da, wo sie ihnen wenigstens äußerlich vergelten konnte, was sie ihr Gutes getan, da sie arm und verlassen gewesen, und sie tat ihnen vor allen andern Ehre an und hielt sich allein mit ihnen.

Als der Leichenschmaus vorüber war und die Leute sich endlich zerstreut hatten, da blieb der Kurat von Heiligkreuz noch ein wenig bei ihr und sprach manches gute Wort. »Du bist jetzt eine Herrin über vieles Gesind«, sagte er, »aber bedenke, daß, wer sich nicht selbst zu beherrschen weiß, auch niemand andern beherrschen wird! Es ist ein uralt Wort: ›Wer nicht gehorchen kann, der kann nicht befehlen.‹ Lerne gehorchen, mein Kind, damit du befehlen kannst!«

»Aber, Hochwürdig Gnaden, wem soll i denn g'horchen, 's is ja niemand mehr da, der mir was z'sagen hätt?«

»Gott!« – Wally schwieg.

»Da«, sagte der Kurat, und zog etwas aus der Tasche seines weiten Rockes, »schau, das hab ich schon lang für dich bestimmt, seit du damals bei mir warst, aber auf deinen Wanderungen hättest du's doch nicht mit dir nehmen können.« Er nahm aus einer Schachtel ein sauber geschnitztes Heiligenfigürchen mit einem Postamentchen von Holz.

»Schau, das ist deine Schutzpatronin, die heilige Walburga. Weißt du noch, was ich dir sagte vom harten und weichen Holz, und vom lieben Gott, der aus einem knorrigen Stock eine Heilige schnitzen kann?«

»Ja, ja«, sagte Wally.

»Nun, siehst du, damit du's nicht vergissest, hab ich dir von Sölden so ein Figürchen kommen lassen, das häng über deinem Bette auf und bete fleißig davor, das wird dir gut tun.«

»I dank schön, Hochwürden«, sagte Wally sichtlich erfreut und nahm das zerbrechliche Dingelchen behutsam in die harten Hände. »I will g'wiß immer dran denken, wenn i's anschau, was Ös ihm für eine sinnvolle Auslegung 'geben habts! Also so hat die Walburga ausg'schaut: – Oh, das muß ein gar lieb's, schön's Mensch g'wesen sein! Ja, wer so fromm und brav wäre wie die!«

Und als der Klettenmaier über den Hof auf sie zukam, hielt sie ihm das Figürchen entgegen und rief: »Schau, Klettenmaier, was i kriegt hab: die heilige Walburga, mei Schutzpatronin! Dafür schick'n wir aber 'm Herrn Kurat das erste schöne Lamperl, das wir aufziehen, zum G'schenk.«

Der gute Pfarrer legte zwar lebhafte Verwahrung ein gegen diese Art von Gegengabe, aber Wally ließ es sich in ihrer Freude nicht nehmen.

Als der Kurat fort war, ging Wally in ihre Kammer und nagelte die Schnitzerei zu den Heiligenbildern über ihrem Bett auf und rings darumher, wie einen Kranz, die Kartenblättchen der alten Luckard. – Dann ging sie, zu sehen, was es in Haus und Hof etwa zu tun gäbe.

»Hansel«, rief sie im Vorbeigehen dem Geier zu, der auf dem Holzschuppen saß, »jetzt sind wir da Meister!« Und das Gefühl der Herrschaft durchdrang sie nach der langen Knechtung, wie berauschender Wein, in durstigen Zügen getrunken, dem Verschmachtenden die Adern schwellt.

Auf dem Hofe hatte sich das durch Vinzenz gedungene Gesind versammelt, und Vinzenz selbst war mitten darunter. Er war hager und gelblich-blaß geworden, und am Hinterkopf hatte er in dem dichten schwarzen Haar eine kahle Stelle wie eine Tonsur. Die funkelnden Augen lagen tief in ihren Höhlen, wie Wolfsaugen, die aus einem Felsspalt heraus auf Beute lauern.

»Was gibt's?« fragte Wally und blieb stehen.

Die einst so grobe Oberdirn näherte sich ihr in scheuer Unterwürfigkeit. »Wir hab'n dich nur frag'n woll'n, ob d' uns jetzt fortschickst – weil wir so bös gegen dich war'n, wie der Stromminger noch g'lebt hat? Weißt, wir hab'n halt tun müss'n, wie er's g'wollt hat.«

»Ös habt's euer Schuldigkeit 'tan«, sagte Wally ruhig. »I schick kein fort, eh vor i nit g'funden hab, daß er unehrlich oder im Dienst schlecht ist, und wenn ös kein so krummen Buckel vor mir machtet's – tätet 's mir besser g'fallen! Geht's an euer Arbeit, daß i siech, was ös schafft's – des is g'scheiter als die Faxen!«

Die Leute entfernten sich. Vinzenz blieb stehen, und seine Augen hafteten glühend an Wally. Sie drehte sich nach ihm um und streckte die Hand gegen ihn aus. – »Nur ein'n verbann i von mei'm Grund und Boden, dich, Vinzenz!« sagte sie.

»Wally!« schrie Vinzenz auf, »des – des für alles, was i für dein Vater 'tan hab?«

»Was du mei'm Vater als Verwalter g'holfen hast, solang er lahm war, sollst ersetzt kriegen – i schenk dir die Matten, die an dein'n Hof stoßen und dei Gut rund machen, i denk, damit is dei Müh und Zeit bezahlt – und wann's nit is, so sag's, i will dir nix schuldig bleiben – verlang, was d' magst – aber geh mir aus den Augen!«

»I will nix, i mag nix als dich, Wally, ohne dich is mir alles eins. Du hast mich beinah umbracht, du hast mich g'mißhandelt, so oft d' mich g'sehen hast – und – der Deifel soll's holen – i kann nit von dir lassen! Schau, für dich tät i alles. Für dich könnt i 'n Mord begehen – für dich verkaufet i meiner Seelen Seligkeit – und du willst mich mit a paar Matten abspeisen! Meinst, du wirst mich los? Biet mir alles, was d' hast, dei ganzes Eigentum und das ganze Ötztal derzu – i spuck dir drauf, wenn d' mir dich nit gibst – schau mich an: 's zehrt mir's Mark aus – i woaß nit, was des is, aber für'n einzigen Kuß von dir schenk i dir all mei Hab und Gut und will mei Lebtag hungern! Jetzt schick mir den Rechenmeister und laß mir noch a mal vorrechnen, mit wieviel Batzen und Graseln d' mich abfinden willst!« Und mit einem Blick wilden, bittersten Hohnes ließ er die erstaunte Wally stehen und verließ den Hof.

Ihr graute vor ihm. So hatte sie ihn nie gesehen – sie hatte einen Blick in die Tiefe einer unberechenbaren Leidenschaft getan, und sie schwankte zwischen Abscheu und Mitleid.

»Was hab i denn an mir«, dachte Wally, »daß die Buabn alle so närrisch mit mir sind?« Ach, und nur der eine kam nicht; – der einzige, den sie haben wollte, verschmähte sie. Und wie – wenn er sich gar am Ende verheiratete unter der Zeit? Der Atem stockte ihr bei dem Gedanken. Sie dachte wieder an jene Fremde, die er damals mit über das Hochjoch gebracht. Doch nein – das war ja eine Magd!

Aber es mußte bald etwas geschehen. Sie war jetzt reich und angesehen, sie durfte ihm jetzt schon eher einen Schritt entgegentun! Dennoch sträubte sich ihr jungfräulicher Stolz gegen den Gedanken, und »Zuwarten – immer Zuwarten!« war alles, was ihr übrigblieb.

Ruhelos trieb es sie in Haus und Feld um. Woche um Woche verstrich, und sie konnte sich nicht eingewöhnen. Es zeigte sich bald, daß sie für das Dorfleben verdorben war. Sie war und blieb ein Kind Murzolls, die wilde Wally. Sie verhöhnte unbarmherzig, was ihr kleinlich und albern erschien, sie band sich an keine Tagesordnung, an keinen Brauch, kein Herkommen. Sie scheute niemanden. Was Furcht sei, das hatte sie verlernt droben auf dem Ferner; die eiserne Stirn, die sie dort oben den Schrecken der Elemente geboten, trug sie auch dem kleinen Leben hier unten entgegen. Gewaltig an Leib und Seele stand sie da mitten unter den Dörflern, wie eine Gestalt aus einer andern Welt. Ein Fremdling geworden in dem bäuerlichen Treiben, wie alles Fremdartige feindselig angestaunt von den Bauern, die es aber doch nicht wagten, der großen Höchstbäuerin zu nahe zu treten. Aber das Mädchen fühlte die Feindseligkeit wohl heraus und auch die Feigheit, die sie hinterrücks anfeindete und ihr ins Gesicht freundlich tat. »I hab nach niemand nix z'fragen«, wurde ihr trotziger Wahlspruch, und so tat sie, wozu das wilde Herz sie trieb. War es ihr drum, so arbeitete sie tagelang wie ein Knecht, um das lässige Gesinde anzufeuern, kam einer mit etwas nicht zu Streich, so riß sie ihm es ungeduldig aus der Hand und machte es selbst. – Dann träumte sie tagelang melancholisch hin, oder sie streifte in den Bergen umher, daß die Leute meinten, es sei nicht recht geheuer mit ihr. Währenddessen taten die Knechte und Mägde, was sie wollten, und die Bauern raunten sich schon schadenfroh zu, sie werde auf diese Art das ganze Anwesen zugrunde gehen lassen.

Und während sie so gegen Brauch und Ordnung verstieß, war sie auf der andern Seite streng bis zur Härte in Dingen, mit denen es die Bauern gar nicht so genau nahmen. Erwischte sie einen Knecht auf Unehrlichkeit oder falschem Spiel, so zeigte sie ihn beim Landgericht in Imst an. Mißhandelte einer ein Tier, so packte sie ihn, außer sich vor Wut, am Kragen und schüttelte ihn. Kam einer abends betrunken nach Haus, so ließ sie ihn zu Schimpf und Schande vor die Tür sperren und die Nacht draußen zubringen, es mochte regnen oder schneien. Erwischte sie eine Dirn auf Liederlichkeit, so jagte sie sie noch in derselben Stunde aus dem Haus. Denn ihr Sinn war rein und keusch geblieben, wie der Gletscher, auf dem sie so lange einsam gehaust. All das Geliebel und Geflüster und Einandernachschleichen und »Fensterln« um sie her erfüllte sie mit Abscheu.

Das alles brachte sie in den Ruf schonungsloser Härte und machte sie so gefürchtet, wie es einst ihr Vater war.

Trotzdem war's, als habe gerade sie's den Buben angetan. Nicht nur ihren Reichtum, nein sie, sie selbst in ihrer ganzen Seltsamkeit begehrten die Burschen. Wenn sie so vor ihnen stand, so groß, als stünde sie auf einer Erhöhung, so schlank und doch so fest und stolz gebaut, daß die hochgewölbte Brust fast das knappe Mieder sprengte, wenn sie den nervigen Arm, so nervig wie der Arm eines Jünglings, drohend gegen sie aufhob und ein Blitz des Spottes herausfordernd aus den mächtigen schwarzen Augen flammte, dann ergriff die Burschen eine Liebes- und Kampfeswut, daß sie auf Leben und Tod mit ihr rangen, um einen einzigen Kuß zu erlangen. Dann aber, weh ihnen! Denn sie waren nicht stark genug, dies Weib zu zwingen, mit Spott und Schande zogen sie ab, und der mußte erst kommen, der es mit ihr aufnehmen konnte – ob er je kam? Genug, sie wartete auf ihn!

»Wer mir nachsagen kann, daß i ihm a Buß'l 'geben hab, den heirat i – wer aber nit amol so stark is, daß er mir das Buß'l mit G'walt abnimmt, für den is die Höchstbäuerin nit g'wachsen« – sagte sie eines Tages im Übermut, und bald war das Wort in der ganzen Gegend herum, und die Burschen von nah und fern zogen herbei, ihr Glück zu versuchen und sie beim Wort zu nehmen. Es wurde förmlich zur Ehrensache, um die wilde Wally zu werben, wie jedes Wagestück eine Ehrensache für den wehrhaften Mann ist.

Bald war kein heiratsfähiger Sohn im ganzen Ötz- und Gurgler- und Schnalsertal, der nicht versucht hätte, Wally zu erobern und ihr den Kuß abzuringen, den noch keiner gewonnen. Und sie freute sich des wilden Spiels und ihrer gewaltigen Kraft, sie wußte, daß von ihr gesprochen wurde weit und breit, und daß der Joseph immer von ihr hören würde, und sie meinte, nun müsse er es doch endlich der Mühe wert finden, zu kommen und den Preis davonzutragen, und wär's auch nur, um seine Macht zu erproben. Wenn er nur da war, dachte sie – warum sollte er sie nicht liebgewinnen, wie alle andern, wenn sie noch dazu recht gut und »g'schmach« mit ihm war? Aber er kam nicht. Statt seiner kam eines Tages der Söldener Bot herüber in den »Hirsch«, der dicht an den Strommingerschen Gemüsegarten stieß. Wally, die eben darin jätete, hörte Josephs Namen nennen und horchte hinter dem Zaun auf des Boten Erzählung.

Der Joseph Hagenbacher kehre, seit seine Mutter gestorben sei, öfters im »Lamm« in Zwieselstein ein, berichtete der Bote, und man munkle etwas von einer Liebschaft mit der hübschen Afra, der Schenkdirn im »Lamm«. Gestern sei er denn auch wieder dort gewesen und habe mit der Afra allein am Wirtstisch gesessen, während die Wirtin in der Küche war. Da sei plötzlich der Stier ausgebrochen und wie eine Windsbraut durchs Dorf gerast. Es habe sich ihm eine Hornis ins Ohr gesetzt gehabt. Alles flüchtet in die Häuser und schließt die Türen, auch der Lammwirt will eben zumachen, da sieht er, daß sein Jüngstes, ein fünfjähriges Dirndl, auf der Gasse liegt. Es kann nicht auf, denn die Kinder haben Post gespielt, und das Kleine war an einen schweren Schubkarren angespannt, als der Schreckensschrei vor dem Stier her ertönt; die andern Kinder laufen fort, aber das Lieserl kann nicht mit dem schweren Karren so schnell vom Fleck, es fällt und verwickelt sich in die Stricke – so liegt's mitten auf dem Weg, und das Untier schnaubt mit gesenkten Hörnern heran. Da ist keine Zeit mehr, das Kind loszumachen oder mitsam dem Karren wegzuschleppen, der Stier ist da – der Lammwirt und die Afra schreien, daß man's durchs ganze Dorf hört – aber da – da ist auch schon der Joseph und stößt der Bestie eine Heugabel in die Seite. Der Stier brüllt auf und wirft sich auf den Joseph – jetzt schreit alles zu den Fenstern hinaus um Hilfe – aber keiner hilft ihm. Joseph packt den Stier bei den Hörnern und drängt ihn mit Riesenkraft ein, zwei Schritte zurück. Der Stier ringt mit ihm. Indessen hat der Lammwirt Zeit gehabt, das Kind zu holen, aber nun handelt sich's um den Joseph, den alle im Stich lassen. Die Afra ringt die Hände und schreit um Hilfe, der Stier drückt den Joseph mit den Hörnern zu Boden und will ihn zermalmen, aber der stößt ihm von unten das Messer in den Hals, daß das Blut über ihn wegspritzt. Jetzt bäumt sich das Tier und hebt ihn mit auf, der Stier rast eine Strecke mit ihm fort, ihn halb in der Luft, halb auf der Erde mitschleifend. Joseph läßt nicht los, er will ihn wieder zum Stehen bringen. Der Stier blutet aus fünf Wunden, er wird allmählich schwächer; Joseph faßt ein paarmal Fuß, aber immer gewinnt der Stier wieder die Übermacht und reißt ihn in verzweifelten Sätzen mit sich fort. Jetzt haben sich auch die Bauern ermannt, Joseph zu helfen, und kommen nach, der Lammwirt voran, mit Heugabeln und Äxten. Aber wie der Stier den Lärm hinter sich hört, senkt er die Hörner wieder und wirft sich mit Joseph gegen ein geschlossenes Scheunentor, daß man meint, Joseph müsse zerquetscht sein; das Tor weicht und springt auf unter dem Stoß, der Stier stürzt in die Scheune und wühlt sich in der Todesangst zwischen Leitern, Wagen und Pflügen ein, daß alles übereinanderfällt. Aber Joseph hat sich am Gebälk darüber weg in die Höhe geschwungen und schlägt die Tür zu, damit das wütende Tier nicht noch einmal hinauskommt, man hört ihn von innen die Tür verrammeln. Er ist mit dem Untier eingeschlossen in dem engen Raum, und die draußen stehen da und können nicht helfen. Das ist ein Stampfen und Stürzen, ein Stöhnen und Brüllen da drin, daß es den Leuten graust beim Anhören. Endlich wird's still. Nach einer bangen Weile wird die Tür aufgemacht, und der Joseph kommt taumelnd heraus, ganz in Blut und Schweiß gebadet. Sie glauben, der Stier sei tot, aber der Joseph meint, es sei doch schad um das schöne Tier, die Wunden könnten wieder heilen, sie gingen nicht ins Leben.

In der Scheuer sieht es wüst aus, alles durcheinander, zertreten und zertrümmert, aber der Stier liegt an allen vieren geschnürt und gefesselt am Boden. Er liegt regungslos auf der Seite und schnauft und lechzt wie ein Kalb auf dem Metzgerwagen. Der Joseph hatte das Tier lebend gebändigt und noch dazu ganz allein! Das machte ihm keiner nach.

Als sie mit Joseph ins »Lamm« zurückkamen, da fiel ihm die Afra vor allen Leuten heulend und schreiend um den Hals, und die Lammwirtin brachte ihm das Lieserl auf dem Arm, und sie wollten ihn traktieren mit dem Besten, was das Haus vermag – aber dem Joseph war's nicht mehr ums Lustigmachen. Er trank einen Schoppen für den ärgsten Durst und ging heim. Das ganze Dorf war voll von dem Joseph, und es war eine große Sauferei ihm zu Ehren bis in die Nacht hinein.

So erzählte der Söldener Bot, und es war wieder ein Lobens und Aufhebens von dem Joseph Hagenbacher, und die Leute wunderten sich, daß er nie nach hier komme. Die Höchstbäuerin habe doch so viele Freier, nur der Joseph scheine nichts von ihr wissen zu wollen.

Wally verließ den Zaun, die Worte trieben ihr die Schamröte in die Stirn: also sogar die Leute sprachen schon davon, daß der Joseph sie verschmähte?! Und der Afra ging er nach? Das war dieselbe, die er voriges Jahr mit über den Ferner gebracht, um die er damals schon so besorgt war!

Sie setzte sich auf einen Stein nieder und verhüllte das Gesicht mit beiden Händen. Ein Sturm tobte in ihrem Innern. Liebe, Bewunderung, Eifersucht! Ihr Herz war wie zerrissen. Sie liebte ihn – liebte ihn wie noch nie, als habe der rasche Atemzug, mit dem sie die Erzählung seiner Tat begleitet, den glimmenden Brand zur hellen Lohe angefacht. Das, das hatte er wieder vollbracht – aber sie hatte kein Teil daran – für den Brotherrn der Afra hatte er's vollbracht – der Afra zuliebe! War es denn möglich? Mußte sie einer Magd weichen, sie, die Höchstbäuerin? War sie nicht die reichste und, wie ihr alle Buben sagten, die schönste Dirn im Land: War eine weit und breit, die's mit ihr an Kraft und Rüstigkeit aufnehmen konnte, war sie nicht die einzige seinesgleichen – und sie sollten nicht zusammenkommen? Es gab nur den einen Joseph auf der Welt, und er sollte nicht ihr gehören? An die Afra, an so eine armselige, hergelaufene Dirn sollte er sich wegwerfen? Nein, das konnte nicht sein, das war unmöglich! Warum sollt er auch nicht manchmal im »Lamm« einkehren, ohne daß es um der Afra willen sein mußte? Er streifte ja soviel auf der Jagd herum, und das »Lamm« liegt gerade am Zwieselstein, wo alle Wege sich kreuzen! »O Joseph, Joseph – komm!« stöhnte sie laut und warf sich mit dem Gesicht zur Erde, als wolle sie die Glut in den tauigen Krautblättern kühlen. Dann fiel ihr wieder ein, daß der Bot gesagt, die Afra sei Joseph um den Hals gefallen nach seiner Rückkehr. Es schüttelte sie bei dem Gedanken. Und da kam es ihr plötzlich in den Sinn, wie das wäre, wenn sie sein Weib wäre und ihn, wenn er müde, zerschunden und blutend von solch einer Tat nach Hause käme, in ihren Armen empfangen und erquicken dürfte mit jeder Labung. Wie sie ihm die heiße Stirn waschen und die Wunden verbinden und ihn an ihrem Herzen ausruhen lassen wollte, bis er einschliefe unter ihren Liebkosungen! Noch nie hatte sie so etwas gedacht, aber wie ihr das alles jetzt so einfiel, da erbebte sie unter einem nie gekannten Gefühl, wie die aufgebrochene Blume erzittert, wenn sie die Knospenhülle sprengt.

In diesem Augenblick war sie zum Weibe gereift; aber wild und ungestüm, wie alles in ihr war, so regte das, was sie zum Weibe machte, alle verborgen schlummernden feindlichen Kräfte in ihr zum Kampf gegen sich auf, und es erhob sich ein furchtbarer Aufruhr in ihrem Innern.

Der Abendwind strich kalt über sie hin, sie fühlte es nicht, es wurde Nacht, und die ewig ruhigen Sterne schauten mit verwunderten Blicken auf die zuckende Gestalt herab, die da im Nachttau auf dem Boden lag und sich das Haar zerwühlte.

»Die Bäuerin is heut nacht wieder amol nit z'Haus g'west«, raunte am andern Morgen die Oberdirn dem übrigen Gesinde zu. »Was die nur treibt in der Nacht?« Und sie steckten alle die Köpfe zusammen und flüsterten untereinander.

Aber wie Spreu im Winde stoben sie auseinander, denn Wally kam vom Gemüsegarten her auf den Hof zu. Sie war blaß und sah stolz und herrisch drein wie noch nie. Und so blieb es auch. Von dem Tag an war sie wie verwandelt, ungerecht, launenhaft, reizbar, daß keiner sich mehr mit ihr zu reden traute als der Klettenmaier, der noch immer mehr bei ihr galt als die andern. Und dabei schlug ihr die Hoffart überall zum Dach hinaus, denn ihr drittes Wort war: » die Höchstbäuerin!« Für die »Höchstbäuerin« war nichts gut genug – die »Höchstbäuerin« brauchte sich das und jenes nicht gefallen zu lassen, »die Höchstbäuerin« durfte sich erlauben, was kein anderer durfte – und dergleichen Ärgernis mehr! Es war, als räche sie sich dafür, daß der Joseph ihr solch eine hergelaufene Dirn vorzog, indem sie sich so recht als die große vornehme Bäuerin zeigte. Wenn er sie so sah in ihrer großen Pracht und Herrlichkeit – mußte ihm dann nicht die Afra recht armselig und gering dagegen vorkommen? Alle Tage zog sie sich an, als wär's Sonntag, und ließ sich neue Kleider machen, ja sogar ein ganzes silbernes »G'schnür« ließ sie sich von Imst kommen mit allerlei Gehäng in Filigranarbeit, so schwer und kostbar, wie noch keins im Ötztal gesehen worden. Und zu der Fronleichnamsprozession in Sölden legte sie die Trauer um den Vater ab und strotzte so von Silber und Samt und Seide, daß die Leute gar nicht beten konnten, sondern sie immer anschauen mußten. Es war das erstemal, daß sie eine Prozession mitmachte, denn was sie eigentlich für eine Christin sei, wußte überhaupt kein Mensch, und es war klar, daß sie nur mitging, um ihre neuen Kleider und ihr G'schnür zu zeigen, weil da die meisten Leute von den Ortschaften hinauf und hinunter zusammenkamen.

Das rauschte und klingelte, wenn sie niederkniete, vor lauter Steifigkeit und Falten und silbernem Gebimmel und prahlte: »Seht, das kann nur die Höchstbäuerin!«

Da, als das letzte Evangelium gelesen wurde, kam eine kleine Unordnung in den Zug, und es traf sich, daß Leute, die hinter ihr gewesen, nun vor ihr gingen. Es war die Lammwirtin von Zwieselstein und neben ihr die hübsche, schlanke Afra. Sie sah sich nach Wally um und nickte ihr zu. Dann blickte sie nach Joseph, der weiter hinten bei den Mannsen ging, so schien es wenigstens Wally. Die Afra sah lieblich aus in dem Augenblick, daß Wally vor Eifersucht ganz vergaß, ihren Gruß zu erwidern. Jetzt hörte sie, wie die Afra zu ihrer Nachbarin sagte: »Schaut's Lammwirtin, die da hinter uns, dös is die Geier-Wally, die den Joseph von ihrem Geier so verhacken hat lassen. Jetzt nimmt die mir nit amol d'Zeit ab – und i hab doch so viel Vaterunser für sie bet't!«

»Die Müh hätt'st dir sparen könne«, fiel jetzt Wally in das Gespräch ein, »für mich braucht niemand z' beten – des kann i scho selber!«

»Aber mir scheint – du tust's nit!« gab Afra zurück.

»I hab's au nit so nötig wie andre Leut! I hab mein Sach und brauch'n lieben Gott nit um so viel z'bitten wie a arme Magd, die um jeden Schuachbändel, den sie braucht, a Vaterunser beten muß.«

Jetzt stieg auch der Afra die Zornesröte ins Gesicht. »Oh, a Schuachbändel, um den ma bet't hat, kann ei'm mehr Glück bringe – als a silbern's G'schnür, das ma gottlos tragt!«

»Ja, ja«, mischte sich die Lammwirtin ins Gespräch – »da hat die Afra ganz recht!«

»Sticht Euch mei silbern's G'schnür in d' Augen, so geht's hinter mir, nachher braucht Ihr's nit zu sehen – s' schickt sich eh nit, daß die Höchstbäuerin hinter einer Magd herlauft.«

»'s könnt dir gar nix schaden, wenn du in der Afra ihre Fußstapfen treten tätst, daß du's nur weißt!« warf die Lammwirtin zurück.

»Schamts Euch, Lammwirtin, daß ihr Euch so g'mein macht mit Eurer Magd!« rief Wally mit blitzenden Augen, »wer nit auf sich halt – auf den halten andere au nix!«

»Oh, oh – a Magd ist doch au noch a Mensch!« sagte Afra, am ganzen Leibe zitternd. »Der seidene Rock wirds wohl vorm lieben Gott nit ausmachen, der siecht doch, was d'runter ist – a guats oder a schlecht's Herz!«

»Ja freili!« rief Wally mit ausbrechendem Haß, »so a guat's Herz, wie du, kann nit a jeder hab'n – b'sonders für die Buaben. Pfui Deifel!«

»Wally!« schrie Afra auf, und Tränen stürzten ihr aus den Augen. Aber sie mußte schweigen, denn in dem Augenblick war die Kirche wieder erreicht, der letzte Segen wurde erteilt, und der Zug löste sich auf. Da schoß Wally an der Afra vorbei wie eine Königin, daß die sich an der Lammwirtin halten mußte, sie hätte sie fast umgerannt, und alle sahen ihr nach. Die Mannsen meinten, ein schöneres Mensch geb's in Tirol nicht, aber die Weibsen vergingen vor Neid.

»Die schaut jetzt anders aus, als droben aufm Hochjoch, wo sie in 'nere Hundshütten g'haust hat, nit 'kammbelt und nit zöpft, wie a Wilde!« sagte der Joseph, der zu weit davon stand, um etwas zu verstehen – und sah ihr mit großen Augen nach. Dann winkte er der Afra Adjes zu und trat aus dem Zug aus: er mußte noch vor Mittag mit einem Fremden fort und ging heim, sich zu rüsten.

Die Afra aber eilte Wally nach. Ihre hübschen blauen Augen sprühten unter Tränen, wie wenn man Wasser ins Feuer schüttet, sie war ganz außer sich und die Lammwirtin mit ihr. Sie erreichten Wally am Wirtshaus. Auch Wally war in der furchtbarsten Aufregung. Sie hatte den liebevollen, vertraulichen Gruß gesehen, den Joseph der Afra zugenickt und ihr – ihr hatte er, wie sie glaubte, keinen Blick gegönnt – und jetzt war er fort, und alle ihre Hoffnungen, die sie auf den heutigen Tag gesetzt, betrogen. Diese Afra! Auf sie hatte sich ihr ganzer Zorn geworfen, sie hätte sie zertreten mögen. Und nun stand die Afra vor ihr und hemmte ihren Schritt und redete sie zornig herausfordernd an – sie – die niedere Dirn!

»Höchstbäuerin«, stieß Afra atemlos heraus, »du hast da was g'sagt, des kann i nit auf mir sitzen lassen, denn des geht mir an die Ehr – was soll des heißen von den guaten Herzen für die Buaben? Des will i wissen, was da dahintersteckt!«

»Willst mit der Höchstbäuerin anbinden?« rief Wally laut, und ihr funkelnder Blick traf das Mädchen so recht von oben herunter. »Moanst, i laß mich mit so einer auf Streit ein, wie du bist?«

»Mit so einer?« schrie das Mädchen, »was für eine bin i denn? I bin a arm's Madel und hab niemand g'habt, der für mich g'sorgt hat – aber i hab doch niemand nix z' Leid 'tan und niemand kei Haus anzünd't– i brauch mir von dir nix g'fallen z'lassen, weißt!«

Wally bäumte sich auf, wie von einer Schlange gestochen. »A Dirn bist – a schamlose Dirn, die sich die Buaben vor alle Leut an'n Hals wirft!« schrie sie, sich und alles vergessend, daß die Leute sich um sie versammelten.

»Was – wem – hätt i mich an'n Hals g'worfen?« stammelte das Mädchen erbleichend.

»Soll i dir's sagen? Soll i?«

»Ja, sag's nur, i hab mei guat's G'wissen, und die Lammwirtin kann bezeugen, daß's nit wahr is!«

»So! Is's nit wahr, daß du dich dem Joseph vor zwei Jahr, wo d' ihn kaum 'kennt hast, an Hals g'hängt hast, daß er dich hat übers Hochjoch mitschleppen und dich 'n halben Weg hat tragen g'müßt, weil d' dich g'stellt hast, als könnt'st nit weiter? Is's nit wahr, daß d' seitdem den Joseph nimmer loslaßt, daß er scho gar ins G'schrei mit dir kommen is? Is's nit wahr, daß du dem Joseph andere Dirndln willst wegnehme, die a besser's Recht auf ihn hätten und bessere Frauen für ihn wären, als so a herg'laufene Magd? Is's nit wahr, daß d' neulich bei der G'schicht mit dem Stier dem Joseph vorm ganzen Dorf um'n Hals g'fallen bist, als wärst sei verlobte Braut? Is's etwa nit wahr?«

Afra schlug die Hände vors Gesicht und weinte laut auf: »O Joseph, Joseph, daß i mer des g'fallen lassen muß!«

»Sei ruhig, Afra«, tröstete sie die gutmütige Lammwirtin; »sie hat sich selber verraten. Des is nur die Wut, daß der Joseph ihr nit nachlauft und sich nit bei ihr d' Finger verbrenne will, wie alle andern Mannsleut. Oh, wär nur der Joseph da – der tät's ihr anders sagen!«

»Ja, des glaub i scho, daß der sein liebe Schatz nit im Stich ließ« – und Wally lachte auf, so schneidend, so furchtbar grell, daß es von den Bergen widerhallte wie Wehgeschrei: »So a Schatz, der sich ei'm glei an 'n Hals wirft, is freili bequemer, als einer, den ma sich erst erobern muaß, und bei dem's ei'm passieren könnt, daß ma mit Schand und Spott abziehen müßt! Mit so einer bind't sogar der stolze Bärenjoseph lieber an, als mit der Geier-Wally!«

Jetzt trat der Lammwirt heran: »Hör du!« sagte er, »jetzt hab i's g'nua! Das Madel da is a brav's Madel, mei Frau und i, wir stehen für sie ein – und wir lassen ihr nix g'schehn. Du nimmst z'ruck, was d' da g'sagt hast, i befehl dir's, verstehst mich?«

Wieder lachte Wally auf. »Lammwirt – hast d' scho in dei'm Leben g'hört, daß der Geier sich vom Lamm kommandieren laßt?«

Alles lachte über das Wortspiel, denn der Lammwirt war sprichwörtlich ein »Lamperl«, weil er ein schwacher gutmütiger Mann war, der sich alles gefallen ieß.

»Ja, du verdienst dein Namen, du Geier-Wally – du!«

»Platz da«, rief jetzt Wally – »i hab's g'nua, mit euch das leere Stroh z'dreschen. Laßt mich 'nein!« Und sie wollte Afra unter der Tür zur Seite schieben.

Aber die Lammwirtin hielt Afra am Arm.

»Nein, du brauchst der kein Platz z'machen, geh du nur voran, du bist nit schlechter wie die!« Und sie wollte sich mit Afra vor Wally zur Tür hineindrängen.

Da faßte Wally das Mädchen beim Mieder, hob es auf und warf es vor die Tür, den Nächststehenden in die Arme: »Z'erst kommen die Bäuerinnen, nacher die Mägd!« Dann trat sie allen voran ins Zimmer und setzte sich zuoberst an den Tisch.

Alles wieherte und klatschte in die Hände vor Vergnügen über den prächtigen Spaß. Die Afra weinte und schämte sich so, daß sie nicht mehr hineinwollte, und Lammwirts gingen mit ihr nach Hause.

»Wart nur, Afra – i schick ihr den Joseph, der soll ihr derfür tun!« tröstete sie die Lammwirtin auf dem Heimweg; aber Afra schüttelte den Kopf und meinte, das könne ihr alles nichts helfen, beschimpft sei und bleibe sie doch.

»Ja, warum hast aber auch mit der bösen Strommingerin anbunden, der geht ja jeder aus'm Weg, wann er kann«, schalt gutmütig der Lammwirt.

Indessen saß Wally drinnen und schaute durch das Fenster zu, wie die Afra mit Lammwirts fortging. Das Herz schlug ihr so, daß das silberne Behäng an ihrem Busen leise klirrte.

Wally wurde aufgefordert zu essen, die Nudelsuppe werde kalt; aber sie fand die Suppe schlecht und die Hammelrippen so zäh wie Leder, warf einen Gulden auf den Tisch, ließ sich nicht herausgeben und rauschte an den erstaunten Bauern vorüber zur Tür hinaus.

Wie vor fünf Jahren nach der Firmelung riß sie sich, als sie heimkam, in ihrer Kammer die schönen Kleider vom Leibe und warf sie in die Truhe. Das silberne G'schnür mit der Filigranarbeit zertrat sie zu einem Klumpen. Was hatte ihr der Staat geholfen?! Dem hatte sie ja doch nicht darin gefallen, dem sie gefallen wollte! Dann warf sie sich wie damals auf ihr Bett und haderte mit allen Heiligen. Ein schneidendes Weh wühlte wie mit Messern in ihrem Innern. Da fiel ihr Auge auf die geschnitzte Walburga über ihr, und da dachte sie, daß der Schmerz, den sie empfand, wohl das Messer des lieben Gottes sein könne, der nun an ihr herumschnitze, um die Heilige aus ihr zu machen, von der der Kurat gesagt. Aber warum sollte sie denn eine Heilige werden? – Sie wäre lieber eine glückliche Frau gewesen! Und das wäre so leicht gegangen, und dazu hätte der liebe Gott auch gar nichts an ihr zu schnitzeln gebraucht – dazu wäre sie schon recht gewesen, wie sie war! So grollte sie und bäumte sich auf gegen das Messer Gottes.


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