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Neuntes Kapitel.

Von einer unerklärlichen Angst getrieben, eilte Anselmo über den weiten Wasen hin zum Leichenkutscher. Es war, als brenne ihn der Brief, den er auf der Brust trug, bis ins Herz hinein. Aber Walther war nirgend zu finden. Er ging in die Remise der Todtenwagen, sie war leer. Er suchte im Stall, die Rappen waren besorgt und standen allein an den gefüllten Krippen – kein Mensch war zu sehen. Anselmo ging ins Haus zu dem alten Principal Walther's.

»Er wird wohl auf dem Berg herumschweifen; seit gestern ist er wie verwandelt, es muß ihm ein Unglück geschehen sein, der verschlossene Mensch spricht ja nicht!« sagte der Alte. »Dort hinüber lief er« – und er deutete nach dem nächsten Berg.

Anselmo war in Verzweiflung: »In Gottes Namen, so muß ich ihn suchen!« Mit Windeseile erreichte er den Wald, der sich an der Bergwand emporzog, und stieg bis zum Gipfel. Der Schweiß rann ihm von der Stirn, sein Herz schlug hörbar, mit jeder Viertelstunde wuchs die Angst – es wurde immer später, immer dunkler und Maria wartete vergebens. Die Anhöhe war erreicht; Anselmo konnte von oben herabsehen auf das dämmernde Thal. Von allen Seiten umsauste der Wind den einsamen Vorsprung, auf dem er stand. Er rief Walther's Namen weithin, zurück in den Wald und in die Ebene – vergebens. Da drüben lagen sie, die trauten Stätten, wo sie zu weilen pflegte, der Gottesacker, und weiter drüben so friedlich im Grünen das Gärtnerhaus. Vielleicht schaute sie jetzt in Bangen nach ihm aus, ob er ihr nicht den Geliebten bringe, den sie erwartete – und er, der Unselige, er konnte sein Wort nicht erfüllen, weil er ihn nicht fand. –

Man vernahm ganz deutlich die Glocken von unten herauf. Es läutete den Feiertag aus und er hörte die Glocke der Todtenkapelle durch alle hindurch. Er strengte unwillkürlich seine Augen an, ob er Marien nicht aus dem Abendgottesdienst kommen sähe, – im Garten – oder am Fenster. Man konnte ganz gut die Leute unterscheiden, die da unten winzig klein vorüberglitten.

Jetzt – jetzt kamen ein paar Gestalten vom Kirchhof her – auf das Gärtnerhaus zu. Das war aber nicht Maria, das war, als obs die Magd sei, und neben ihr, die Hände auf der Brust übereinandergelegt, eine untersetzte schwarze Gestalt, würdevoll aber eilig dahin schreitend. – Barmherziger Gott, – das war der Pfarrer, er ist geholt worden – und Mariens Blässe ihr unverkennbares Kranksein? – Der Pfarrer ist ins Haus getreten, – oben in Maria's Mansardenfenster wird plötzlich Licht angezündet, es ist sicher – sie wird versehen!

»Maria, Maria!« schreit Anselmo laut hinaus und ohne Weg und Steg von Stein zu Stein, von Abhang zu Abhang, durch Geröll und Gestrüpp springt er den Berg hinunter, geradeaus von wo er stand! – Athemlos, hundertmal stürzend und sich wieder aufraffend mit blutenden Händen und zerrissenen Kleidern gelangt er zur Tiefe und weiter geht der rasende Lauf über die Felder, über die Hecken und Gräben, immer auf dem kürzesten Weg. Das Haus ist offen, niemand ist in dem untern Flur, er braucht nicht zu fragen, ohne anzuhalten fliegt er die Treppe hinauf, ohne zu klopfen reißt er die Thür auf – das Zimmer ist hell erleuchtet, auf dem Boden knien ein paar Gestalten, zwischen denen er sich durchwindet, der Geistliche steht über das Bett geneigt. Er hat soeben die heilige Handlung vollendet und macht das Zeichen des Kreuzes über sie – auf dem Bett liegt Maria – im vollen Lichtschimmer, still, bleich – mit gebrochenen Augen. Nur einzelne Athemzüge heben noch in langen Pausen ihre Brust. Das Sehvermögen ist noch vorhanden: wie der Bildhauer vor die geradeausgerichteten Augen tritt, fliegt ein Lächeln über ihr Gesicht und die erlahmte Hand macht eine leise Bewegung nach der seinen. Er faßt sie sanft. Eiseskälte zieht von ihr durch seinen ganzen Körper – er sinkt still an dem Bett nieder und trinkt mit fiebernden Lippen den feuchtkalten Hauch, den Niederschlag des Todes, von den zarten Fingern.

Die Athempausen werden immer länger – heiliges Schweigen ist im Zimmer, der Geistliche betet leise die Sterbegebete – die Hand der Todten ruht friedlich in der des Bildhauers, – schon zählt es nach Minuten, daß kein Athemzug mehr kam, Alles lauscht regungslos – nun kommt keiner mehr – es ist überstanden! Eine wundervolle Verklärung ergießt sich über die Leiche – das Lächeln, mit welchem sie den Bildhauer empfing, ist geblieben. – –

In stummem Gebet lag Anselmo auf seinen Knieen, die Stirn auf die Hand der Todten gedrückt. Er hörte nicht, was um ihn her vorging. Ihm war, als schaffe man einen schweren Körper fort, – es war der unglückliche Vater, der zusammengebrochen. Dann war es wieder, als käme ein fremder Schritt herein, als sänke etwas neben ihm auf die Knie und athmet schwer, fast auch wie ein Sterbender. Es kümmerte ihn nicht, er rückte nicht von der Stelle, die Todte hielt seine Hand – er hatte das erste Recht. Schwer rang der, welcher neben ihm kniete. – Anselmo fühlte, es war ein großer Schmerz, der da ein Menschenherz zerfleischte – er machte endlich aus Mitleid ein wenig Platz, daß der Andere auch heran konnte, aber er blickte nicht auf.

Leute gingen ab und zu, leises Schluchzen bald näher, bald ferner – Durcheinanderflüstern vieler Stimmen. Alles zog wie im Halbschlaf an den Beiden vorüber, die da knieten, als sei rings die Erde um sie hinuntergebrochen und sie klammerten sich nur an dieses eine Stück, das sie noch über dem Abgrund hielt.

Stunden mochten vergangen sein; da hörte Anselmo den Unbekannten sich erheben und leise mit einem Neueintretenden sprechen. Dann war ihm, als würde sein Name genannt.

Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er blickte auf. Ein hochgewachsener Mann stand neben ihm, Todesblässe bedeckte das edle Gesicht und die Augen waren geschwollen vom Weinen. – Anselmo fühlte instinctiv, es war der, welcher die ganze Zeit neben ihm gekniet, es war der Graf.

Anselmo erhob sich und gab ihm, keines Wortes mächtig, den Brief Mariens.

Der Graf drückte das Blatt an die Lippen – sein ganzer Körper erbebte.

Er reichte Anselmo einen Zettel, der auf dem Tisch gelegen. Es waren Mariens letzte Zeilen.

»Jetzt, Künstler, geh' an Deine Arbeit!« sagte der Graf feierlich und verließ das Zimmer.

»An die Arbeit – Künstler!« War es ein Mensch oder ein Gott, der ihm das zugerufen? Anselmo wischte sich Stirn und Augen.

Da lag das schönste Gebild, das die Natur je hervorgebracht, die schönste Offenbarung, die je ein Künstlerauge geschaut – und ihm ward die Aufgabe, dies göttliche Weib wieder zu schaffen – umzubilden aus dem vergänglichen Stoff in den unvergänglichen!

Da stand es, das furchtbare Wort – »meine Leiche zu modelliren« – sie hatte es erlaubt und der fremde, der gewaltige Mann, es befohlen! Aber darf er diesem Befehl folgen, darf er, der Schüler, sich solchen Werkes unterfangen, an das der Meister selbst mit ehrfurchtsvoller Scheu herantreten würde, sich fragend: » Kann ich das?«

Und wenn er es auch als Künstler vermöchte – wird er es als Liebender können? Wird er vor Thränen den Blick zu ihr erheben können, den kalt unterscheidenden, prüfenden Blick, der mit ruhiger Erwägung das göttliche Geheimniß der Schönheit erforscht und in seine Bestandtheile zerlegt? Wird er die sichere Hand haben, diese Bestandtheile wieder zusammenzufügen zu einem großen lebenathmenden Ganzen? Wird sie nicht zittern, diese blutende Hand, die sich auf dem pfadlosen Wege zu ihrem Sterbebett wund geritzt, jene heiligen Formen, auf denen so oft sein Auge mit andächtiger Bewunderung geruht, mit der haarscharfen Präcision des Geometers auszumessen? Denn kein Kunstwerk, sei's auch geglüht an der Flamme der brünstigsten Begeisterung, kann geschaffen werden, ohne die kalte Berechnung der Form?

Zitternd steht er vor der Leiche und vor der Aufgabe, die ihm geworden, im heiligsten Kampf mit sich selbst, mit dem tödtlichen Schmerz in der Seele und mit dem bangen Verzagen an seiner künstlerischen Kraft. Und dennoch – welch' erhabener Trost, das geliebte Bild, das wir der Erde zurückgeben müssen, der Vernichtung zu entreißen und es im Werke der Kunst zu erhalten für die Welt der ewigen Schönheit! –

Wie er es so betrachtete, das wundervolle verklärte Angesicht mit der marmorweißen Stirn, auf der die Majestät des Todes in ihrem ganzen klassischen Frieden thronte, da sagte er sich: »Und das soll vergehen? Nein, es kann – es darf nicht sein! Wag' es denn, Schüler, da kein Besserer zur Stelle. Und schafft der Meister sonst das Werk, so schafft hier vielleicht das Werk den Meister!«

»Muth, armer Verlassener! Diese Arbeit sei Deine Todtenfeier, und jeder Meißelschlag, den Du einst daran thun wirst, sei ein Herzschlag der Liebe!« Er neigte sich schluchzend über die Leiche und küßte sie noch einmal auf die Stirn. »Und nun schärfe Dein Auge und wische die Thräne hinweg! Dringe ein in die Wunder dieser Schönheit, und während Deine Seele um sie weint, wird die Todte wieder auferstehn unter der schaffenden Hand, und Du wirst sie jubelnd begrüßen, denn so ist sie Dein

Ein Strahl der Freude flog über das edle, bleiche Gesicht. – Er raffte sich auf und eilte von dannen, um das Handwerkszeug für die große Arbeit zu holen.

In kurzer Zeit kehrte er zurück. Er errichtete einen Schragen gegenüber der Leiche, darauf breitete er die Thonmasse aus, und nun begann das Werk. Von diesem Augenblick an war sein Auge trocken, sein Blick frei. Er fühlte nichts mehr als die Größe seiner Aufgabe, und Liebe und Schmerz, Hoffen und Zagen, Alles was sein Herz erfüllte, es drängte sich zurück ins Innerste seines Seins und sammelte da seine Kraft zu einer einzigen gewaltigen Anstrengung: Leben zu geben der seelenlosen Materie, süßes, wonniges – und höchstes Schmerzensleben, wie er es an ihr gekannt, da sie noch athmete, und wie es jetzt vor ihm lag, noch lieblich selbst in der Versteinerung des Todes. Was er je geahnt und träumend vorempfunden von Schöpferkraft und Schöpferlust, das war jetzt Wahrheit geworden; denn wo wäre der Künstler, den der Augenblick des Schaffens nicht hinaushöbe über alle Erdenzeit und ihn, im Zusammenhang mit dem Unvergänglichen, den Schmerz um das Vergängliche vergessen ließe?

Die Stunden flogen dahin. Mit jeder Minute erspähte das Auge ein neues Geheimniß der Schönheit und mit Sehergabe tastete sich der blinde Finger der Spur des raschen Blickes nach, und wo die Spur ging, da war ein lieblicher Zug in den weichen Thon gegraben und das Geheimniß mit sicherem Griff in die Form gebannt. Da lag es – als unwandelbares Gebild, das reine Antlitz mit dem nie ersterbenden Lächeln der alten, ewig jungen Götter auf den Lippen. – Es war gerettet, war der Vernichtung entrissen, der es in wenig Stunden verfallen sollte. –

Und immer kühner und sicherer wird er. Immer rascher lernen die Muskeln, der feinsten Formempfindung zu folgen. Unter seiner Hand rundet sich die jungfräulich schwellende Brust, formen sich die weichen Glieder. – Er weiß nicht mehr, ist sie es selbst, ist es das todte Material? Das schmiegt sich, das fügt sich anmuthig dem sanften Druck, – die ganze Arbeit wird zur Liebkosung, ein Wonneschauer durchrieselt ihn, der kalte Thon erwärmt unter der schmeichelnden Berührung, das Herz fängt an zu pochen, laut, daß er's hört, er denkt nicht daran, daß es sein eigenes ist. Er legt die Hand darauf, ja es klopft wahrhaftig, – er weiß nicht mehr, daß es die Pulse in seinen eigenen Fingern sind! Und jetzt – jetzt färbt sich der bleiche Thon rosig, die ganze Gestalt flammt auf in purpurner Gluth – sie lebt – sie athmet! Mit einem Freudenschrei stürzt der Künstler zu Boden, – – – das Morgenroth scheint herein und beleuchtet das vollendete Werk!


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