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Achtes Kapitel.

Der Tag neigte sich zu Ende. Maria war nicht mehr zum Vorschein gekommen. Sie hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen – »um zu packen«. – Gegen Abend öffnete sie und trat hinaus in den Garten.

Es war die Zeit, wo sonst Walther mit dem Todtenwagen vorbei kam.

Der Vater war in der Stadt, denn er hatte für den Lebenswechsel und die Abreise der Tochter bei den Behörden Vieles zu besorgen, da der Graf noch heute die Adoptirung gerichtlich vollziehen wollte. Der Alte zweifelte nicht, daß sie bis in ein paar Monaten doch Mann und Frau würden. So war es still in Haus und Garten und Maria wandelte ungestört die Wege hinab bis zum Gartenzaun.

Ringsum wimmelte buntes Feiertagsleben. Auf dem Wege zum Friedhof und auf den Gräbern war's wie eine Völkerwanderung. Nur hier auf dieser Seite des Gartens, nach dem Anger und der Leichenkutscherei zu, war es öde und leer.

Eine strenge Herbstluft rauschte in den Zweigen der mächtigen Pappeln, die noch aus alter Zeit vereinzelt hier standen, riesenhafte Bäume, wie Ueberreste einer vergangenen gewaltigeren Pflanzenwelt. – Sie neigten ihre schlanken Häupter im Abendwind hin und her, als schüttelten sie die Köpfe da oben in ihrer Höhe über das kleine bleiche Menschenbild in der Tiefe, das sich an den Fuß ihres Stammes schmiegte. Sie sahen dort oben weithin über die Felder und sahen schon längst den schwarzen Punkt am Horizont auftauchen, bevor ihn das Mädchen da unten entdecken konnte. Die Vögel oben in den Zweigen riefen es herunter: »Er kommt,« – aber sie verstand ihre Sprache nicht. –

Da endlich rasselte es heran, kam näher und näher – – – und fuhr vorbei! Maria riß ihr weißes Halstuch ab, sie winkte, sie rief. Vergebens, der bleiche Kutscher, dem sonst Alles zuruft: »Geh' vorüber!« hielt nicht bei ihr an.

Umsonst wehte das Tuch in den Lüften – umsonst winkten zwei glänzend weiße Arme über den Zaun. Der Leichenkutscher fuhr seine Straße weiter und schaute nicht um.

»Er zürnt noch, – morgen wird er nicht mehr zürnen,« sagte Maria und ein geisterhaftes Lächeln verklärte das thränenfeuchte Gesicht, wie wenn die Sonne in den Regen scheint. Dann kehrte sie sich ab und ging langsam dem Hause zu.

In der untern Stube hatte der Vater ein Wandschränkchen, das er immer verschlossen hielt. Es waren Pflanzensalze, seltene Samenarten und allerlei Chemikalien darin, wie sie die Gärtner brauchen. Sie ging in des Vaters Schlafstube, wo der Schlüssel über dem Bett hing, holte diesen und kramte lange in dem Schränkchen. Dann schloß sie es wieder zu, trug den Schlüssel an Ort und Stelle zurück und ging auf ihr Zimmer.

Das Mädchen kam und fand sie schreibend: »Wollt Ihr nicht vespern?« fragte es.

»Nein – aber bring mir ein Glas Wasser – ich habe Durst!« bat Maria.

Das Mädchen brachte das Wasser und wollte warten bis Maria getrunken.

»Stell es nur dahin – ich nehme das Glas nachher selbst mit hinunter. Geh!« sagte Maria.

Nach einer halben Stunde fiel etwas aus dem Mansardenfenster in den Hof herab und zerbrach klirrend in Stücke.

»Jetzt hat sie das Glas zum Fenster hinausfallen lassen,« schalt unten die Magd.

Gleich darauf kam Maria herunter und hatte zwei versiegelte Briefe in der Hand.

Sie trat unter die Küchenthür und suchte das Mädchen. »Geh' schnell hinüber zum Bildhauer und sieh nach, ob der Geselle, der Anselmo, noch nicht wieder da ist? Und wenn er da ist, so soll er gleich zu mir herüber kommen!« Sie sprach in einem eigenthümlich kurzen Ton, den das Mädchen nicht an ihr kannte. Es schaute sie verwundert an:

»Jesus! wie seht Ihr aus – ist Euch nicht gut?«

»Mir ist gut! Geh' nur, geh'!« die Magd eilte fort, – es war ihr nicht geheuer.

Maria ging in den Hof, sammelte die Scherben des Glases und vergrub sie in die Erde. Dann kam sie wieder herein, setzte sich in die Stube und wartete. Es war so still und heimlich in dem einsamen Haus. Die Abendsonne schien durch die kleinen Vorhänge herein, die Fliegen summten auf dem Tisch um die Brosamen, die Wanduhr tickte unablässig, aber der Zeiger ging langsamer als die Zeit.

Endlich glitt ein Schatten am Fenster vorbei und gleich darauf trat Anselmo ins Zimmer: »Maria, Du hast mich rufen lassen. Das Mädchen traf mich gerade auf dem Weg zu Dir – ich bin soeben zurückgekommen – – – heiliger Gott, Maria, wie bleich bist Du? Ein Marmorbild!«

»Es ist nichts, lieber Anselmo, das geht vorüber bis morgen! Anselmo, ich wollte Abschied von Dir nehmen, ich verreise morgen,« – sagte sie lächelnd.

»Ich hörte so was auf dem Herweg – – das ganze Todtenviertel ist voll davon – aber – Maria – ich glaub's nicht!«

»Warum nicht?«

»Das thust Du Walther nicht an – ich kenne Dich besser!«

»Und wenn ich es Dir nun selbst sage!«

»So glaub' ichs nicht. Und wenn ich Dich mit meinen eigenen Augen zu dem vornehmen Herrn in den Wagen steigen sähe – ich glaubte es doch nicht – Du bist keiner Treulosigkeit fähig!«

»O, so kann Der an mich glauben, der mich nicht liebt, und Der, welcher mich liebt« – sie vollendete nicht; Anselmo war schmerzlich zusammengezuckt bei diesen Worten. Er preßte die Hände aufs Herz, als wolle er etwas sagen, dann bezwang er sich und an der gesenkten Wimper perlte eine einzige stumme Thräne. Die Strahlen der Abendsonne brachen sich funkelnd darin und es war, als fiele ihr Glanz auf etwas, das Marien bisher im Dunkel verborgen war und ihr nun plötzlich hell wurde. Sie betrachtete den stillen, bescheidenen Freund mit tiefer Wehmuth und legte sanft die Hände auf seine Schulter: »Treue, reine Seele! Sag' mir, hast Du einen Wunsch, den ich Dir erfüllen kann?«

»Warum frägst Du mich das?«

»Ich möchte Dir gern eine Freude machen – jetzt in diesem Augenblick!« –

Anselmo faltete die Hände und kämpfte einen Augenblick mit sich selbst; dann sagte er leise und schüchtern mit erglühenden Wangen: »Ich hab' nur einen Wunsch auf der Welt und den wirst Du mir nie erfüllen!«

»Warum nicht! Was Du wünschest, kann ich immer gewähren; denn Du kannst nichts Unrechtes begehren! Sag' es, Anselmo!«

»Wenn – wenn ich Dich einmal modelliren dürfte! Aber, Maria, das müßte Nachts geschehen, heimlich in Deinem Zimmer, denn Du weißt, bei Tage hab' ich keine Zeit. Ich gehöre meinem Principal wie ein Leibeigener. Wenn die Magd es ausplauderte oder er es irgendwie merkte, er würde mir das Modell wegnehmen und es für sich ausführen. Du siehst also, es geht nicht – Du kannst mich nicht Nachts in Dein Zimmer lassen, das würde sich nicht schicken und anders ist es nicht zu machen!«

»Es ist zu machen! Heute Nacht sollst Du mich modelliren und das Werk soll Dir Glück bringen. Gott sei Dank, daß ich doch einem Menschen etwas Gutes thun kann!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in Thränen aus. Anselmo zog ihr die Hände herab und hielt sie zitternd in den seinen: »Ich habe keine Worte – ich weiß nicht wie Dir danken! – das Glück kommt so unverhofft – Maria! was ist mit Dir?«

Maria schwankte und mußte sich setzen, kalter Schweiß bedeckte ihre Hände und ihr Gesicht. –

»Maria! Du bist krank – ich will den Arzt holen!«

»Um Gotteswillen nicht!« – Sie lächelte, es war ein seltsames, gezwungenes Lächeln. »Ich versichere Dich, es geht vorüber – es ist nichts! Aber die Zeit drängt, ich habe eine große Bitte an Dich: Lieber Anselmo, suche Walther auf und bring ihm diesen Brief. Es hat, während Du fort warst, ein Mißverständniß zwischen uns stattgefunden – o wärst Du dagewesen – mit Dir verließ mich mein guter Geist« – sie stockte, eine zitternde Unruhe befiel sie, ihre Rede wurde immer hastiger: »Wenn Du ihn findest vor Nacht, so bring ihn noch her – wo nicht – so erwarte ich Dich allein!«

Sie gab ihm den Brief: »Und diesen« – sie zog den zweiten hervor – »den bewahre treu bis morgen, dann gieb ihn dem Grafen. Lebewohl – und habe Dank – für Alles – Du Bester der Besten!«

»O Gott! was soll das – was ist denn zwischen Euch geschehen? Du machst mir bange!«

» Morgen wird uns Allen wohler sein. Frage nicht – eile Anselmo, es ist dringend!«

»Verlaß Dich darauf – ich verliere keinen Augenblick – auf Wiedersehen!« Und hinaus eilte der treue Mensch wie auf Flügeln.

Maria schleppte sich die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Dort schrieb sie mit zitternder Hand auf ein Blatt Papier, das auf dem Tisch lag, die Worte:

»Ich bitte, daß Niemand den Bildhauer Anselmo hindert, meine Leiche zu modelliren!

Maria.«

Dann warf sie sich auf ihr Bett und vergrub das Gesicht in die Kissen, als wolle sie selbst vor den Unsichtbaren ihre Schmerzen verbergen. –


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