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Es war ums Jahr 1818.
Christoph Moor hatte soeben die Fähre über die Elbe geführt und sah nun beim Anlegen, wie sein Bube Heinz vor dem Fährhause stand und mit einer Jagdflinte rumhantierte.
»So ein Deubelsjunge, der Heinz! – 's wird noch ein Malheur geben!« –
Und richtig, jetzt nimmt der Junge die Flinte hoch – und bautz! – da prasselt's drüben in den Erlen und eine Schar von Krähen fliegt kreischend aus.
Der Junge springt ins Gebüsch.
»Ich hab sie, Vater! – Guck nur, zwei Biester!« –
Und da kommt er angesprungen, der junge Wildschütz, »Auf einen Schuß, Vater.«
»Du sollst doch die Flinte in Ruhe lassen, Jung,« brummt der Fährmann. Doch er sieht's ihm an, das wird er nicht können, alles andere, nur das nicht.
»Trag die Flinte ins Haus!«
»Noch einen Schuß.« –
»Trägst du sie gleich ins Haus!« –
So wuchs Heinz auf an der Elbfähre, die sein Vater als Eigentümer versah, und mit der er die Landleute über die Elbe setzte, die hinüber nach Lauenburg und den Umweg über die hölzerne Brücke bei Artlenburg sparen wollten. Sie hätten's nicht viel weiter gehabt, aber die paar Pfennige gaben sie gerne und mit dem Fährmann Christoph schwatzten sie noch viel lieber.
Er war ein närrischer Kauz, der Alte, ein ruheloser Geselle, ohne viel Sitzfleisch.
Zwar hatte er als junger Bursche Tischler gelernt, doch Befriedigung hatte er im Berufe nicht gefunden. Er hatte später in das Fährhaus hineingeheiratet und schließlich die Tischlerei ganz an den Nagel gehängt.
Er führte ein rechtes Banditenleben, der Christoph Moor. Der wenige Verkehr auf seiner Fähre ließen ihm viel Zeit, und die benutzte er denn, um mit dem benachbarten Förster im nahen Sachsenwalde anzubinden und herumzustreifen, oder um Schmuggler auf ihren gefährlichen Gängen als Spion zu begleiten oder den Fischern beim Auslegen und Einziehen der Stellnetze behilflich zu sein. Nebenher führte er selbst ein Gewehr, mit dem er auf die Krähen schoß, die am Ufer des Stromes nisteten. Junge Krähen und frische Kräheneier gaben manches schmackhafte Gericht, und auch Fischer und Schmuggler zeigten sich dankbar für die geleistete Hilfe. Ihn reizte neben dem steten Wechsel der Beschäftigung natürlich auch der Gewinn, und seine Begriffe von Recht und Unrecht waren nicht gar so gefestigt, als daß er nicht hätte als armes Luder vor sich selber bestehen können.
Da blieb es der wackeren Frau Martha, seiner treuen Lebensgefährtin, überlassen, dem bedrohten Hause als Stütze zu dienen. Dieser schweren Aufgabe unterzog sich denn auch das brave Weib mit einer Hingabe, einer Freudigkeit, wie sie nur die Liebe gibt. Sie war es auch gewesen, die ihrem Manne Haus, Garten und Fähre in die Ehe mitgebracht hatte. Sie war unermüdlich tätig im Haushalt. Sie vertrat auch ihren Mann in der Bedienung der Fähre, so oft denselben seine Liebhabereien von Hause fern hielten, von den unerlaubten Geschäften, welche er mit den Schmugglern hatte, hatte sie glücklicherweise keine Ahnung.
Ihr Bube war außerdem ihr ganzes Glück. – Vereinigte sich doch in ihm der Einfluß von Vater und Mutter, wie selten bei einem Jungen. Vom Vater hatte er den Hang zum freien Herumschweifen, von der Mutter das warme, menschenfreundliche Gemüt. Dabei war er ein überaus kräftiger und geweckter Bursche.
In der Schule war er stets obenan, obwohl es ihm an Sitzfleisch fehlte; in allen leiblichen Übungen seinen Altersgenossen weit überlegen. Dem Zehnjährigen bereits durften die Fahrgäste, welche übersetzten, Habe und Leben unbedenklich anvertrauen. In Heinz' zwölftem Jahre gewann sein Vater sogar durch ihn eine Wette, bei welcher es darauf ankam, in 6 aufeinanderfolgenden Schüssen die flüchtigen Krähen keinmal zu verfehlen. Mit 14 Jahren machte er seine erste selbständige Fahrt nach Hamburg zum Fischmarkt, und mit 16 Jahren lieferte er als Tischler ein Gesellenstück, das alle Meister, die es zu sehen bekamen, in Staunen versetzte. Man bedenke, daß er die Tischlerei nur nebenher bei seinem Vater und mit Unterbrechungen erlernt hatte.
Kurz: Heinz hatte alle Anlage, ein Tausendkünstler zu werden.
Nun geschah etwas, was seinem ganzen Leben eine neue Aufgabe zuwies.
Heinz hatte noch nicht sein 17. Lebensjahr zurückgelegt, als sein Vater beim Fischen ertrank. Schreck und Gram über den Verlust des geliebten Mannes warfen auch die Mutter aufs Krankenlager.
In ihrer Todesstunde beschwor sie den Sohn, seine Kraft nicht mit unnützen Dingen zu vergeuden. Er solle sich einen soliden Beruf erwählen und dann versuchen, denselben so auszufüllen, daß er seinen Arbeitsgenossen als leuchtendes Vorbild gelten könne.
Heinz versprach es. – Die Tischlerei wäre ein solcher Beruf gewesen, aber dafür hatte der ruhelose Bursche nicht die geringste Neigung. – Als die treue Mutter der Rasen deckte, ratschlagte er mit seinem Vormunde, er wolle gern Förster werden. Die Försterei erschien ihm von allen Berufen der freieste. Und da er ein ausgezeichneter Scharfschütze war, so glaubte er dafür erschaffen zu sein. Der Vormund willigte ein, und er ging als Forstlehrling nach Schwarzenbeck.
An dem Forstmeister Gregor zu Schwarzenbeck fand er einen strengen Lehrmeister, vor dessen Augen Heinz' Leistungen als Kunstschütze wenig oder nichts galten. Um so höheren Wert legte der alte Herr auf die Arbeit im Forst, auf Kulturen, auf Forstpflege und Fortwirtschaft.
Dafür konnte sich Heinz nicht begeistern. Der unruhige, heißblütige Jüngling fand sich nicht hinein, wie sehr er sich auch der unvergeßlichen Mutter zu Liebe bemühte, stetig und fleißig zu arbeiten.
Öfters kam ihm der Gedanke, davonzulaufen. Doch diese Schande wollte und durfte er der Mutter nicht noch im Grabe machen. So hielt er denn tapfer aus, bis er mündig geworden war. während dieser Zeit hatte er es bis zum Forst-Adjunkt gebracht. Dann aber erklärte er ganz entschieden, er wolle sein väterliches Grundstück nun selbst verwalten und die Försterei aufgeben. Dem Pächter des Fährhauses wurde gekündigt; Heinz kehrte zurück ins Vaterhaus.
Was aber nun? –
»Wenn du gewählt hast, so widme dem gewählten Beruf deine ganze Kraft.« – So hatte die Mutter ihn gelehrt. Aber er erinnerte sich auch, daß sie öfter geäußert hatte, sie halte die Jägerei an und für sich für keine Beschäftigung, welche das Leben eines rechten Mannes ausfüllen könne. Und doch war's gerade die Jagd, für die er ein leidenschaftliches Interesse hatte. Ihr ganz zu entsagen, war ihm reineweg unmöglich.
Als Fährmann machte er die Bekanntschaft zweier Brüder, die in behäbigem Wohlstande lebten, und die die Stromfischerei von Hohnsdorf bis Drennhausen gepachtet hatten. Sie besaßen zwei eigene Kähne und machten mit Hamburg gute Geschäfte. Obwohl mit Herkulesarmen versehen, galten sie doch als halbe Krüppel, denn der eine, der »lahme Johann«, hinkte und der andere, der »schiefe Eduard«, besaß eine hohe Schulter. Das hinderte sie jedoch wenig, ihr Geschäft zu versehen.
Sie hatten es ihm nahegelegt, mit ihnen Gemeinschaft zu machen. An einem solchen Genossen mochte ihnen freilich gelegen sein, denn Heinz besaß ebenso viel Kraft als Gewandtheit und brachte ihnen ein schuldenfreies Grundstück nebst einem sehr brauchbaren Boot mit in den Bund. – Der Vertrag ward abgeschlossen, indem Hans wie Ede ihren jungen Gefährten als leitendes Oberhaupt des neugebildeten Dreibundes anerkannten, weil er, wie sie sagten, besser rechnen könne.
Bald stellte sich jedoch heraus, daß sie noch ganz andere Gründe gehabt hatten, ihn für sich zu gewinnen.
Für Heinz Moor konnte es für die Dauer unmöglich ein Geheimnis bleiben, daß der Fischhandel nur den Deckmantel für ein anderes unerlaubtes Gewerbe abgeben mußte. Sie waren eigentlich Wilddiebe und benutzten die gefangenen Fische nur, um mit dem erlaubten Handel den unerlaubten Wildhandel zu verdecken.
Unerlaubt sagen wir mit vollem Recht. Allein die Leute umher, die Bauern und Tagelöhner hielten damals allgemein an dem Grundsatz fest, was ohne menschliche Zutat und Pflege wachse und gedeihe, sei Gemeingut aller, und die Gesetze, welche dieses gemeinschaftliche Eigentumsrecht beschränkten, seien zu unrecht gemacht.
So wurden denn von diesen Leuten Wilderer nicht nur begünstigt, sondern mitunter sogar als Helden betrachtet, da sie täglich bereit sein mußten, jeder Gefahr Trotz zu bieten.
Auch Moor war von diesem Gedanken so völlig eingenommen, daß er an dem geheimen Treiben seiner Genossen durchaus keinen Anstoß nahm. Das Gefahrvolle dieses Geschäftes gab ihm in seinen Augen nur einen besonderen Reiz und spornte seinen Ehrgeiz an. Nur ertappen durfte man sich nicht lassen.
Heinz Moor brachte, sobald er die Führung des Geschäftes übernommen hatte, erst Plan in die Sache. Zunächst sorgte er für einen versteckten Lagerraum, der im Notfall ihnen auch als Zufluchtsstätte dienen konnte. Zu diesem Zweck erweiterten die drei Verbündeten eine von der Natur angelegte Höhle mitten im Walde. Dort hatten die Gewässer in eine steile Lehmwand eine tiefe Rinne gespült. Was das Wasser begonnen, vollendeten in kurzer Zeit sechs eifrige Hände. Der Platz war günstig gewählt; denn in weitem Halbkreise schützte ihn ein undurchdringliches Dickicht, von Brombeergebüsch und Schwarzdorn-Gestrüpp gebildet, vor dem Entdecktwerden. Dagegen lag die Gefahr nahe, bei dem Wühlen im Lehmberg von nachstürzendem Erdreich verschüttet zu werden. Darum mußte mit großer Vorsicht gearbeitet werden. Decke und Seitenwände erhielten eine Verschalung von starken Bohlen und Stützen aus dicken Baumstämmen.
Nach vierzehntägiger, angestrengter Arbeit war die Räuberhöhle vollendet.
Sehr freundlich sah's übrigens in dem unterirdischen Raum gerade nicht aus. Nur spärliches Dämmerlicht fiel durch den von Gebüsch beschatteten Eingang und durch eine schlotartige Zugröhre. Den feuchten Boden bedeckten grobe Strohmatten. In die Bohlenwände hatte man starke Nägel getrieben, um notwendiges Gerät oder ausgeweidetes Wild daran aufhängen zu können. Im Hintergrunde war ein notdürftiges Lager aus Heu und Pferdedecken. In der Mitte standen drei Stühle und ein Tisch, von Heinz aus rohen Brettern gezimmert.
Die Höhle war sehr kühl, und das war die Hauptsache; denn sie sollte ja die erbeuteten Fleischwaren möglichst lange frisch erhalten.
Das Geschäft konnte beginnen. Moor kannte jeden Wildpfad, auf dem Hirsche und Rehe zur Tränke gingen, jeden »Wechsel«, wo regelmäßig die Tiere bei Beginn und Schluß des Tages ihren »Stand« änderten, auf eine Meile in der Runde. Nicht minder vertraut war er mit den Gewohnheiten der Förster und Waldhüter, denn er war ja früher selber einer gewesen. An einem Zusammentreffen mit diesen war ihm natürlich wenig gelegen, und er verstand es auch mit großer Schlauheit, ihnen aus dem Wege zu gehen. Er verlegte sein Jagdrevier täglich nach einem anderen Schauplatz, wo man ihn am wenigsten vermutete. Und es glückte ihm somit jeder Raubzug. Da die Wilderer sich grundsätzlich nie an einem auffallend starken Tier, einem Zwölf- oder Mehrender also vergriffen, so konnten sie das Geschäft wochenlang treiben, bevor bei dem reichen Wildstande und dem gewaltigen Umfange der Waldungen eine Abnahme des Wildes bemerkt wurde.
Der Kahn, mit welchem Johann regelmäßig die gefangenen Fische nach Hamburg brachte, besaß, wie dergleichen Fischerboote stets, einen doppelten Boden. Im unteren durchlöcherten Raum schwammen in zwei Abteilungen munter die Fische. Das wußte jedermann. Aber nicht jedermann wußte, daß zwischen diesen beiden Abteilungen sich ein wasser- und luftdichter Kasten mit geheimem Verschluß befand, welcher das erlegte Wild barg. Eine amtliche Bescheinigung über die Gewerbeberechtigung des Verkäufers wurde damals noch nicht verlangt, und da die Firma »Moor u. Komp.« stets gute Ware lieferte und auf feste, aber billige Preise hielt, fand sie bei den Wildhändlern stets willigen Absatz, worüber Johann und Ede ihrem Chef regelmäßig Rechnung ablegten. Von den eingenommenen Geldern wurde die Hälfte alsbald in die gemeinsame Kasse gelegt, die andere Hälfte aber in drei gleichen Teilen unter die Bundesbrüder verteilt.
Moor hielt darauf, daß seine Genossen im Verkehr mit anderen stets ein anständiges, solides Betragen beobachteten.
Bei ihrem allmählich wachsenden Wohlstande hatten sie zwar nicht nötig zu knausern oder Entbehrungen sich aufzuerlegen; aber gerade für sie, auf denen der Verdacht sämtlicher Forstbeamten ruhte, schien es geboten, jede Verschwendung, jede Äußerung von Trotz oder Übermut sorgfältig zu vermeiden. Dennoch lebten sie, wie es fleißigen, ordentlichen Leuten zukommt, schlicht und einfach, ohne viel Wesen von sich zu machen.
Viele, die sie oftmals bei Tage beim emsigen Fischfang beobachtet hatten, besaßen gar keine Ahnung von dem geheimen Gewerbe, welches sie nächtens betrieben. Diejenigen aber, welche darum wußten, standen völlig auf ihrer Seite und wünschten ihnen Glück, wenn sie's auch nicht öffentlich aussprachen. Ihre besten Freunde aber waren die kleinen Grundbesitzer, die alljährlich schwere Klagen über Wildschaden zu erheben hatten. Wenn am Festtage in einer Dorfkneipe nach der Scheibe geschossen wurde, waren die drei von der Fähre stets hochwillkommene Gäste, obwohl man sicher wußte, daß sie stets den ersten Preis davontragen würden. Man gönnte ihn aber den bescheidenen und stets lustigen Gesellen. Daß so mit der Zeit auch Hans und Ede in guten Ruf kamen, verdankten sie allein den rastlosen und energischen Bemühungen ihres Führers. Sie hatten endlich einsehen lernen, daß ein gemütlicher Verkehr mit den Landleuten ihrem Geschäfte nur zuträglich sein konnte. Ehe Moor sie dahingebracht hatte, war viel Zeit und viel Mühe nötig gewesen; denn die Beiden waren von Haus aus rohe und gewalttätige Naturen.
Eines Tages war Ede von Heinz Moor dabei ertappt worden, wie er im Begriffe stand, einem jungen, eingeschüchterten Burschen, welcher mit einem Schubkarren arglos durch den Wald fuhr, seine silberne Uhr abzunehmen.
Zornig fuhr Wilhelm ihn an: »Was machst du da? Sind wir etwa Räuber und Wegelagerer?«
»Ich habe meine Uhr im Kartenspiel verloren,« versetzte mürrisch der Geselle.
»So kauf dir eine neue! hast du aber wieder einmal kein Geld, so weißt du, wo ich zu finden bin. Richte dich danach, wenn du nicht willst, daß ich dich aus unserm Bunde ausstoße. Und das geschieht ohnehin, wenn du das verdammte Kartenspiel nicht lassen kannst. Im übrigen merke dir ein für allemal: wir pirschen auf Hirsch, Reh und Hasen, aber nicht auf Menschen.«
Das wirkte! – Murrend gab der Gescholtene die Uhr zurück; Moor aber drückte dem geängstigten Burschen noch ein Schmerzensgeld für die ausgestandene Angst in die Hand.
Ähnliche Szenen trugen nur dazu bei, den Ruhm des großmütigen Wilderers im Volke immer weiter zu verbreiten.
Kannte Heinz doch weder Hochmut noch Furcht, und darum mischte er sich gern unter die Burschen und Mädchen, wenn sie gesellig zusammenkamen, wenn's frohe oder ernste Feste zu feiern gab. Nie fiel dabei eine Anspielung auf sein nächtliches Treiben. Sein schlagender Witz, seine muntere Laune belebte und erheiterte jede Gesellschaft. Vor allem aber gewann er alle Herzen durch seine ehrliche Teilnahme an ihrem Geschick. Wo es was zu helfen gab, da half er mit Rat und Tat, und niemand ging ungehört aus dem Fährhause.
Diejenigen Teile des erlegten wildes, welche in Hamburg keinen Käufer fanden, wie Kopf, Hals, Rippen- und Laufstücke, schenkte Moor den Armen. Er kannte jede Familie in seiner Nachbarschaft. Gerade, wenn die Not aufs höchste gestiegen war, pflegten die Darbenden am frühen Morgen auf der Schwelle ihrer Hütte ein wohlverschnürtes Bündel oder einen Korb mit Lebensmitteln zu finden, denen mitunter auch ein kleiner Geldbetrag beigefügt war. Besondere Freude schien es ihm zu machen, wenn er bedürftigen Hochzeits- und Kindtaufvätern einen saftigen Festbraten bescheren konnte.
Doch wie leutselig und gefühlvoll er sich auch dem kleinen Manne gegenüber erwies, ebenso streng und energisch hielt er die bösen Leidenschaften seiner Genossen im Zügel. Das tat aber auch not, wenn die rohen Gesellen nicht ganz und gar verwildern sollten.
Auch der barbarischen Art, alles niederzuknallen, was ihnen vor die Flinte kam, mußten sie völlig entsagen. Die alten Flinten wurden verkauft und durch gute Kugelbüchsen ersetzt. Aber auch diese durften sie zur Jagd nicht früher verwenden, bis sie durch anhaltende Übungen ihres Schusses sicher geworden waren. Schließlich hatten auch sie es so weit gebracht, daß selten noch ein Tier des Fangschusses bedurfte. In der Regel stürzte es, durch Blatt und Herz getroffen, im Feuer tot nieder.
Ihrem Lehrmeister freilich vermochten die Gesellen es nicht gleich zu machen. Der Schnepfe, die doch nur während der Abenddämmerung am Waldrande daherstreicht, trennte seine Kugel den Kopf vom Rumpfe, und den beutegierigen Raubvogel holte er aus höchster Höhe herunter.
Kurz: Heinz, wie man ihn gewöhnlich nannte, war bald der Held des Volkes geworden.
In Liedern, nach bekannten Melodien zu singen, pries man seine Heldentaten und seinen Großmut. Namentlich schwärmte die Jugend, die gar zu gern für einen großmütigen Räuber Partei nimmt, für den kühnen Heinz.
Bald wurden von Bänkelsängern zu Hamburg und Lübeck, sowie auf den Jahrmärkten der kleineren Stabte, zum Leierkasten mit grellen Bildern die Heldentaten des großen Wildschützen gepriesen. Und die Menschen standen wie die Mauern und hörten die Moritat.
»Hier kann man sehen, was man noch nie gesehen hat: Die kühnen Taten des weltberühmten Wildschützen Heinz Moor! – Nur immer heran, meine Herrschaften, einen Groschen nur kost't die ganze Geschichte.« Und dann ging es los:
»In dem düstern Sachsenwalde
lauert Heinz, der wilde Schütz,
ob es warm ist oder kalte,
in der Hand trägt er den Blitz.
Piff, paff, puff und horidoh,
Moor, der Wildschütz macht es so!«
Und dann folgte eine lange Reihe freierfundener Schand- und Schauertaten.
Und schließlich hieß es:
»Strafe folgt der Missetat,
die man einst begangen hat.
Und so wird auch dieser Held
einst durch Rächers Arm gefällt.
Doch bevor man ihn nicht faßt,
bleibt Heinz Moor des Waldes Last.«
Das ganze Heer der königlich-dänischen Forstbeamten – Lauenburg stand damals noch unter dänischer Herrschaft – urteilte ähnlich über den also Besungenen. Sie waren wild auf ihn, die Grünröcke, wild auch auf seine Genossen Hans und Ede, die mit beispielloser Frechheit die besten Stücke des Wildbestandes abschossen.
Das Treiben der kühnen Wildschützen war ihnen schon lange kein Geheimnis mehr. Die blutigen Spuren ihrer Tätigkeit ließen sich nicht immer so völlig verwischen, als daß sie den geübten Augen bewährter Forstbeamten entgangen wären.
Der Amtmann zu Schwarzenbeck hielt es für seine Pflicht, dem Unwesen zu steuern. So oft neue Klagen über Wildfrevel bei ihm einliefen, so oft bot er die streitbare Macht seines Bezirkes zum Kampfe gegen die Frevler auf.
Von Zeit zu Zeit wurden vollständige Treibjagden auf die Übeltäter veranstaltet. Ein ganzes Heer von Förstern, Waldläufern, Gendarmen und Polizisten wurde aufgeboten. Tag und Nacht lagen die kühnsten Jäger, die besten Schützen auf der Lauer. – Umsonst! – Wohin man kam, fand man die Stelle leer. Die Wilddiebe waren längst auf und davon. Ihre Freunde hatten sie stets beizeiten gewarnt. Wurden sie gar mal in die Enge getrieben, so setzten sie über die Elbe und befanden sich im Lüneburgischen, wo den Lauenburgern kein Verfolgungsrecht zustand.
Dennoch war es einmal zwischen Weihnachten und Neujahr den Häschern gelungen, den schlauen Patron, den Moor, vom Flusse abzuschneiden und vollständig einzukreisen. Nun glaubten sie ihn ganz sicher zu haben. Im frisch gefallenen Schnee führten seine Fußspuren bis zu einem mit alten Eichen und Buchen dicht bestandenen Hügel, und keine einzige Spur verriet, daß der Flüchtling den Platz wieder verlassen hatte. Endlich, endlich hatte man ihn erwischt!
Zwar hatte das dichte Gezweig die spärlichen Schneeflocken aufgefangen, und nur dürres Laub deckte den Boden, allein der schneefreie Platz umfaßte kaum einen Morgen und ließ sich ohne große Schwierigkeiten in kurzer Zeit gründlich durchforschen.
Das geschah denn auch mit großer Vorsicht und Genauigkeit, als suche man nach einer verlorenen Stecknadel.
Doch je länger man suchte, um so länger wurden die Gesichter der Suchenden und als man endlich auf der Höhe zusammentraf, hatte niemand ihn gesehen oder eine weitere Spur von ihm entdeckt.
Das konnte unmöglich mit rechten Dingen zugehen. Ein alter Holzknecht scheute sich denn auch nicht, die Behauptung aufzustellen: »Der verflixte Kerl steht mit dem Teufel im Bunde. Der hat ihm aus der Not geholfen und ihn durch die Luft entführt.«
Darüber spottete dann ein junger Gehilfe: »Wir haben's verfehlt, weil wir die Augen auf den Boden gerichtet hielten. Soweit ich den Moor kenne, klettert er wie eine Eichkatze. Der sitzt gewiß oben in einer Baumkrone, im dichten Gezweig und lacht sich eins ins Fäustchen.«
Diese Vermutung ließ sich eher hören. Man beschloß nun nochmals, den schneefreien Fleck mit gerecktem Halse und schußbereitem Gewehr zu durchspähen.
So oft in den Baumgipfeln ein dunkler Fleck sich zeigte, der nur entfernte Ähnlichkeit mit einer menschlichen Gestalt hatte, wurde er dreimal angerufen und dann, wenn keine Antwort erfolgte, beschossen. Immer aber zeigte es sich, daß nur eine Täuschung die Schützen genarrt hatte.
Schließlich erkannte man das Törichte dieser Versuche, Heinz zu fangen, und gab die Verfolgung auf.
Wo war denn in aller Welt der Teufelskerl geblieben?
Er kannte in den ausgedehnten Forsten alle Schlupfwinkel, die so leicht kein Spürhund witterte.
Zu diesen gehörte auch auf des Hügels Höhe eine alte hohle Eiche, welche in einer Höhe von etwa 30 Fuß einen Eingang hatte. Den kannte der Wildschütz und nun saß er wohlgemut bis zum Kinn in der Höhlung des Baumes und konnte ruhig den Abzug seiner Belagerer beobachten und abwarten.
An schönen Sommer- und Herbsttagen liebte es Heinz Moor, in mannigfachen Verkleidungen den grünen, duftigen Wald zu durchwandern. Bei solcher Gelegenheit ließ er sich gerne mit Bauersleuten oder Spaziergängern in ein Gespräch ein. Viele, die ihn kannten, taten, als wäre er ihnen fremd. Andere dagegen schimpften weidlich auf den Wildschaden, welchen der kleine Ackerwirt durch das elende Wild auszustehen habe, ohne seiner Haut sich wehren zu dürfen.
Einmal stieß Heinz auf einen neueingestellten Förster, der ihn für einen Stadtherrn hielt. Von ihm ließ er sich erzählen, daß auf Moors Festnahme ein hoher Preis gesetzt sei, den er sich gar zu gern verdienen möchte.
Lächelnd schaute Heinz auf den Mann, dann sprach er gelassen: »Nun, dazu könnte ich euch verhelfen. Ich bin, den ihr sucht, ich bin Moor! Wenn ihr Mut habt, so verdient euch das Geld. – Hier meine Hand!«
Wie angedonnert stand der verblüffte Forstmann da. Er hatte sich von dem schrecklichen Wildschützen ein ganz anderes Bild gemacht. – Bevor er sich von seiner Überraschung erholt hatte, war der Fremde im Dickicht verschwunden.
Einmal hätten sie ihn aber doch bei einer ähnlichen Tollkühnheit beinahe erwischt.
Von drei Seiten umzingelt, vom Walde abgeschnitten, sah er sich zu einem tollkühnen Sprunge in die Elbe genötigt. Seine Verfolger lösten schleunigst Kähne vom Ufer und setzten die wilde Jagd bis in die Mitte des Stromes fort. Doch unverrichteter Sache mußten sie umkehren, da sie Lüneburger Gebiet nicht zu verletzen wagten. Wohlbehalten, wenn auch mit Verlust seines Gewehres, langte der kühne Schwimmer am jenseitigen Ufer an. Er winkte von dort den Verfolgern höhnisch zu und verschwand im Gebüsch.
Bei alledem war es kein Wunder, daß der Ruf der drei Wildschützen auch nach Dänemark drang. Die im Wildstande des deutschen Herzogtums Lauenburg angerichteten Verwüstungen vermochten die königlichen Beamten weder zu verheimlichen noch abzuleugnen.
Die deutsche Kanzlei zu Kopenhagen erließ den Befehl, solch Unwesen sei nicht länger zu dulden. Die Bande müsse sofort aufgehoben und unschädlich gemacht werden.
Das war leicht gesagt, aber schwer ausgeführt. – Ja, wenn man auf sie wie auf gehetztes Wild hätte schießen dürfen, längst würde man die Frevler zur Strecke gebracht haben. Allein die Gesetze gestatteten den Gebrauch der Schußwaffe nur im Falle der Notwehr, und Moor hütete sich wohl, jemals von seiner Büchse Gebrauch zu machen. Auch seine Leute hielt er zu strammer Zucht an, und sie folgten ihm unbedingt.
Der unglückliche Amtmann zu Schwarzenbeck wollte schier verzweifeln. Alle seine Anstrengungen, die trotzigen Verächter der bestehenden Jagdgesetze in seine Hände zu bringen, waren erfolglos geblieben, und nun, um das Maß seiner Verlegenheiten voll zu machen, wurde ihm ein Besuch des Königs in seinen Forsten angekündigt. Es war zum Auswachsen!
Während man nun in fieberhafter Hast Vorbereitungen zum Empfange des hohen Gastes machte, ritt Kunz, ein braver, dänischer Gendarm, gemütlich sein Pfeifchen rauchend, durch den Sachsenwald. Auf einer Waldblöße sieht er einen jungen Jäger nachlässig auf seine Büchse gestützt stehen, als erwarte er ihn.
Kunze sieht den Mann an – und stutzt. Doch nur einen Augenblick. – Er hat Moor erkannt.
Endlich bekommt er den Langgesuchten in seine Hand! Der Fang muß ihm gelingen und ihm Gewinn und Ehre einbringen.
Schon berechnet er, was er den Seinen für die gewonnene Prämie zugute tun will. Tapfer zieht Kunz seinen Säbel und drückt dem Rosse die Sporen in die Seite.
Da tönts herüber – laut und bestimmt: »Halt! halt! Freund Kunz! Meine Kugel ist schneller als dein Gaul.«
Kunz reißt sein Pferd zurück. Moor steht ruhig da, das Gewehr an der Wange. Kunz denkt an Weib und Kind daheim.
»Steck dein Messer ein!« tönt's von drüben. »Ich möchte in aller Ruhe ein paar Worte mit dir sprechen. – So ist's recht! Aber hübsch Distanz behalten!«
»Nur, wenn du mir willig folgst!«
»Spaßvogel!«
»Nein Moor.« – Der Wildschütz war herangetreten, kaum zwei Schritte trennten die beiden – »es ist mein voller Ernst! Du darfst nicht vergessen, welch reiches Geschenk der zu erwarten hat, welcher dich einfängt, und daß ich Weib und Kinder habe. Drum sei vernünftig, Heinz, und ergib dich!«
»Wenn ich wirklich so dumm wäre, dir den Gefallen zu tun, was dann?«
»Ich würde dich natürlich nach Schwarzenbeck ins Amtsgefängnis bringen.«
»Jetzt in dieser köstlichen Jahreszeit! Jetzt willst du mich ins dunkle Loch sperren? Das würdest du sicher nicht über dein wackeres Herz bringen!«
»Nun, zum Teufel! Warum drücktest du dich denn nicht, als du mich kommen sahst?«
»Kannst du dir das nicht erklären, du alter, dänischer Einfaltspinsel! Weil ich mit dir sprechen wollte.«
»Zuerst sollst du mir Rede stehen! Wo sind deine Kameraden?«
»Mit einer Ladung Wild auf dem Wege nach Hamburg. – Nun aber antworte auch du mir ebenso aufrichtig. Ist es wahr, daß der König sich seit gestern in Altona aufhält?«
»Das ist richtig! Es werden dort große Festlichkeiten zu Ehren Sr. Majestät veranstaltet.«
»Ob er wohl auch nach Lauenburg und in den Sachsenwald kommen wird?«
»Sehr wahrscheinlich! – Welch schöne Gelegenheit für dich, an meiner Hand von ihm Pardon zu erbitten!«
»An deiner Hand? Nicht übel! Nein, mein alter Freund, so ist es nicht gemeint! Doch freuen würde es mich, und als eine große Ehre würde ich es betrachten, wenn König Friedrich VI. mich hier in meinem Hauptquartier besuchen wollte.«
Der treuherzige Kunz lachte dem spaßigen Gesellen ins Gesicht. –
Der aber fuhr im Tone eines wohlwollenden Gönners fort: »Da ich nun weiß, was ich wissen wollte, magst du ungefährdet deinen Weg fortsetzen. Nur hüte dich, rückwärts zu schauen. Du weißt: meine Kugel verfehlt ihr Ziel nie. Ein paar Finger könnt's dir immerhin kosten.«
»Meinetwegen! Ich will dir diesmal den Willen tun. Aber ich vertraue dir auch, daß du nicht hinterrücks mir eins auf den Pelz brennst. Hab' daheim Weib und Kind.«
»Vier Kinder und eine Schwiegermutter – weiß ich alles! Doch du kennst mich schlecht, wenn du mich solcher Niedertracht für fähig hältst. Mein Wort habe ich noch nie gebrochen. Und hiermit gebe ich dir mein Wort. Tust du, wie ich dich geheißen, so soll dir von mir an Leib und Leben kein Schaden zugefügt werden. Meine Kugel ist für das Wild des Waldes bestimmt, nicht für treusorgende Familienväter.«
Sie drückten sich wie gute Kameraden die Hand und schieden.
In langsamem Trab war der Gendarm etwa 100 Schritte fortgeritten; er wollte offenbar zeigen, daß er sich nicht fürchte. Als er bemerkte, daß über dem Geplauder die Pfeife ihm ausgegangen war, zog er die Zügel an, langte den Tabaksbeutel aus der Tasche und – da – ein Ruck, ein Knall! Eine unsichtbare Gewalt hatte ihm das Mundstück aus den Zähnen geschleudert.
Betroffen schaute er sich um. Da stand er noch, der Wildschütz, das rauchende Gewehr eben absetzend.
Drohend hob Kunz die geballte Faust, dem Treulosen zurufend: »Hältst du so dein Wort? Du hast auf mich geschossen!«
»Auf dich? Niemals! Davor soll mich Gott bewahren! Nur deinem alten verrotteten Pfeifenkopf galt meine Kugel, Wer wird so geizig sein! Der alte Markus, der ihn geschnitzt hat, ist ein armer Mann; ich gönn' ihm den Verdienst. Er wird dich nicht überteuern, wenn er hört, wie du um den ausgedienten Veteran gekommen bist!«
Und damit schlug sich der Freischütz seitwärts in die Büsche.
* * *
Einige Tage später traf König Friedrich VI. von Dänemark als Gast in Schwarzenbeck ein.
An einem schönen Maimorgen wandelte ihn die Lust an, durch den Sachsenwald eine Spazierfahrt zu machen. Voran ritt ein königlicher Hofjägermeister als Führer. Ihm folgte auf dem Fuße ein vierspänniger, offener Wagen, in welchem der König saß, neben ihm der Amtmann von Schwarzenbeck. Dahinter kamen noch zwei Kaleschen mit den Herren des Gefolges.
König Friedrich war auch in seinen deutschen Landen, die ihm erst im Wiener Kongreß zugesprochen waren, wegen seiner Leutseligkeit, Milde und Gerechtigkeit beliebt.
Gemütlich lächelnd wandte er sich jetzt an den Amtmann. »In diesen großen Wäldern treibt ja wohl ein berüchtigter Wilddieb sein Wesen? In Altona singen die Kinder sein Lob auf den Straßen.«
»Leider ist es so,« erwiderte kleinlaut der Amtmann.
»Und es ist noch nicht gelungen, ihn zu fassen?«
»Leider nicht, Majestät! Wir haben alles versucht und haben es an allen erdenklichen Mitteln nicht fehlen lassen. Der Bursche ist ein geriebener Fuchs; ein Überall und Nirgends. Er ruiniert den Wildstand und bringt Gendarmen wie Forstbeamte in Verzweiflung. Das schlimmste aber ist, er hat Anhang beim Volke. Nicht allein daß man ihn in Volksliedern verherrlicht; es gibt im Lauenburgischen kaum eine ländliche Hütte, in welcher man ihm ein Nachtquartier und nötigenfalls auch ein sicheres Versteck verweigern würde. Er besitzt zwar ein Erbhaus im Lauenburgischen, in dem er sich eine kleine Wohnung vorbehalten hat. Dort ist er jedoch nur dann zu finden, wenn er sich gerade an einem Fischzug beteiligt oder wenn wir ihm hier den Boden zu heiß gemacht haben. Da er drüben aber nichts Ungesetzliches unternimmt, vielmehr allen seinen bürgerlichen Pflichten gewissenhaft nachkommt, dürfen wir auf eine Unterstützung von jener Seite nicht rechnen.«
»Mein lieber Amtmann,« entgegnete der König mit freundlichem Ernst, »das kann und darf nicht so fortgehen. Es muß doch möglich sein, dem Unwesen auf irgend eine Art zu steuern.« –
Der Amtmann schwieg verlegen.
Der Waldweg führte soeben durch einen Hohlweg. – Rechts streckten hohe, finstere Tannen ihre Wipfel stolz empor, während links der Hang mit Wacholderbüschen und anderem Gestrüpp überwuchert war. Aus diesem trat jetzt ein schlanker, wohlgebauter Jägersmann, in der kleidsamen Uniform eines Forstassistenten. Dicht am Rande des Abhanges machte er Halt, entblößte sein Haupt und rief, während er den Hut lustig schwenkte: »Willkommen im Sachsenwalde! Es lebe unser geliebter König, Se. Majestät Friedrich VI. Hurra, hoch!« Dann verbeugte er sich respektvoll und verschwand im Dickicht.
Der Monarch blickte ihm wohlgefällig nach und nickte befriedigt mit dem Kopfe.
Der entsetzte Amtmann aber stöhnte: »Majestät! Verzeihung! Aber das war ja eben der verfluchte Kerl, der Moor! Diese Frechheit!«
Der König war erst recht erstaunt. Dann lachte er hell heraus.
»Nun, mein lieber Amtmann, er ist ein bildhübscher, sauberer Bursche und hat recht anständige Manieren. Scheint auch ein guter Patriot zu sein«
»Und dabei ist er nicht einmal ein Untertan Ew. Majestät. – Bei uns wildert er nur, und zwar ohne Paß und Legitimation. Seine Steuern zahlt er nach drüben.«
»So müssen wir sehen, wie wir ihn los werden.«
»Es ist ihm nicht beizukommen, weder mit Gewalt noch mit List.«
»Vielleicht glückt's mit Güte. Wenn mich der Schein nicht trügt, kann aus ihm noch ein anständiger und tüchtiger Mensch werden.«
»Majestät wollen verzeihen. Ich verstehe nicht ganz.« –
»Man müßte ihn nach Amerika schicken, wo er in dem großen, freien Lande nach Herzenslust jagen darf, ohne sich zu versündigen. Dort gibt's keine Jagdgesetze. Man müßte für ihn die Überfahrt bezahlen und ihm eine kleine Mitgift zur ersten Ausstattung verabreichen. Ich denke, er wird geneigt sein, einen solchen Vorschlag anzunehmen.«
»Euer Majestät meinen es gar zu gut mit dem Hallunken! Ein Preis auf seinen Kopf gesetzt, dürfte wirksamer sein. hätten unsere Leute nur schießen dürfen, so wäre er längst unschädlich gemacht.«
»Mein lieber Amtmann, bedenken Sie, daß eine verirrte Seele wiedergewinnen, mehr wert ist, als zehn zur Hölle geschickte Teufel. Der Mann hat sich mir eben auf eine recht originelle Weise vorgestellt. Es scheint mir, daß in dem Burschen etwas steckt, woraus sich noch etwas Rechtschaffenes machen ließe. Wie denken Sie darüber, lieber Amtmann?«
Da der Angesprochene nur mit einem bedenklichen »Hm, Hm!« antwortete, fuhr der Monarch eifrig fort. »Wäre es wohl möglich, sich mit ihm in geeigneter Weise in Verbindung zu setzen, um ihn von unserer Absicht zu unterrichten?«
»Hm! Ich dächte, es müßte sich machen lassen.«
»Nun, so tun Sie das Erforderliche und erstatten Sie mir von Zeit zu Zeit Bericht. Meine Vollmacht haben Sie!«
Der Amtmann verneigte sich zustimmend.
Kaum war der König wieder abgereist, so beeilte sich der pflichtgetreue Beamte, den königlichen Willen auszuführen. Aber wie das anfangen? Lange blieb er ratlos, bis man ihm hinterbrachte, daß ein junger Kuhhirte für den Wilderer mitunter Botengänge besorge. Diesen ließ der gestrenge Herr zu sich kommen. Es gelang ihm, den treuen Burschen zu überzeugen, daß man gegen seinen Gönner nichts Böses im Schilde führe, vielmehr sein Glück wolle. Dann erst verstand sich die ehrliche Haut dazu, die Vermittlerrolle zu übernehmen.
Am Nachmittage eines herrlichen Junitages lagerte Moor mit seinen beiden Kumpanen an einer klaren Quelle im tiefsten Waldesdickicht. Da tönte aus der Ferne ein heiserer Eulenruf.
»Hört, hört!« rief Wilhelm, »unser getreuer David. Er kommt gerade recht, um mit uns zu frühstücken. Hat ihn einer von euch herbestellt?«
Da die Beiden kopfschüttelten, fuhr Moor bedenklich fort: »Nun, es wird doch nicht eine Falle unsrer Feinde sein, in der man uns zu fangen hofft? Sieh' einmal nach, Eduard, was es gibt.«
Der Angerufene ergriff sofort seine Waffe und verschwand im Gebüsch. Bald darauf knackten die Zweige und auf dem Platze erschienen drei Personen, Eduard mit dem Kuhjungen und dem alten Amtsdiener Martin, der, um seine friedlichen Absichten zu bezeugen, die Uniform mit einem grauen Kittel vertauscht hatte.
Der Wildschütz sah sich den ungebetenen Gast zuerst etwas verwundert an, doch rührte er sich nicht aus seiner bequemen Stellung. Auch seine Stimme verriet durchaus keine Unruhe, als er den Diener des Gesetzes begrüßte: »Guten Tag und Willkommen im Grünen, alter Martin!«
»Guten Tag auch, Herr Moor!« entgegnete der Bewillkommnete und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn.
»Kommt, Alterchen!« fuhr dann der Wildschütz gemütlich fort. »Setzt euch zu uns ins Moos. Unser Sofa ist weich und mollig und hat Raum für uns alle.«
»Schön'n Dank auch!« antwortete der so freundlich Eingeladene, »ich bin heiß und müde und mache darum von eurer Erlaubnis gern Gebrauch.«
»Was verschafft mir die Ehre eures Besuchs? Doch bevor ihr sprecht, greift zu. Ihr habt gewiß Hunger und Durst vom weiten Wege. Wir haben hier Brot und Fleisch und ganz vortreffliches Ratzeburger Doppelbier auf Flaschen. Prosit Alterchen!«
»Wird mit Dank angenommen,« schmunzelte der greise Amtsdiener.
»Johann!« befahl Moor, »hole noch etliche Flaschen aus dem Keller.«
Der Gerufene brachte alsbald mehrere Flaschen, die sich im kalten Quellwasser hübsch kühl gehalten hatten.
Nachdem alle getrunken hatten, begann Moor von neuem: »Und nun zur Sache, meine Herren! Was verschafft mir das Vergnügen, Sie bei mir zu bewirten?«
»Ja, das ist eine kuriorische Sache,« hub der alte Knaster, sich den Schnurrbart trocknend, an: »Ich bringe eine höfliche Einladung vom gestrengen Herrn Amtmann.«
Die Wildschützen sahen sich überrascht an. »Vom Amtmann?«
»Nun, das wird heiter. Vielleicht zu einem Kneipabend?«
»Dieses wohl nun eigentlich nicht, aber –«
»Na, was gibt es denn? Nur heraus mit der Sprache! Trink erst noch mal, Alterchen! – So!«
Nachdem sie angestoßen hatten, fing der alte Graubart an:
»Neulich habt ihr hier im Walde Sr. Majestät dem Könige zu Ehren ein Hoch ausgebracht.«
»Soll ich deshalb vielleicht gehenkt werden?«
»Im Gegenteil! Se. Majestät hat geruht, Wohlgefallen an eurer Person zu finden und gedenkt euch eine Gnade zu erweisen.«
Neues Erstaunen!
»Will er mich etwa zu seinem Oberforstmeister machen?« lachte Heinz, »oder treibt er seine Großmut so weit, daß er mir die Jagdpacht im Sachsenwald zu überlassen gedenkt?«
»Spottet nicht, Moor! Wenn er auch nicht so Großartiges mit euch im Sinne hat, so dürft ihr dem Könige doch immerhin dankbar sein für das, was er euch bietet. So hört denn, wie wohlwollend Majestät euch gesonnen ist. Alle eure Freveltaten sollen vergeben und vergessen sein! Mehr noch, ihr sollt auf seine Kosten nach Amerika geschickt werden und überdies ein ansehnliches Stück Geld zur Ausstattung mit auf den Weg bekommen.«
»Oho! Ist das aber auch wahr?«
»So wahr, als ich hier bei Euch im Moose sitze und Ratzeburger Doppelbier trinke.«
»Und was soll in diesem Falle aus meinen beiden Gefährten werden?«
»Das möchte ich auch wissen!« brummte Ede.
»Darüber habe ich keine Instruktion. Doch könnt ihr euch die Antwort ja selbst holen; denn freies Geleit, hin und zurück, sichert euch der Amtmann zu.«
»Habt ihr darüber etwas Schriftliches, Alter?«
»Ei, freilich!« beeilte sich der Unterhändler zu erwidern. »Hier ein eigenhändiges Schreiben des gestrengen Herrn.«
Aufmerksam prüfte Moor das Schriftstück, steckte es in seine Brusttasche, nickte befriedigt und bemerkte: »Es ist alles in Ordnung! Geht nun heim, alter Freund und grüßt einstweilen den Herrn Amtmann vor mir und meldet ihm, daß ich bereit bin, sein Anerbieten anzunehmen, wenn er seine Gnade auch auf meine beiden Freunde Hans und Ede ausdehnen will, indem er ihnen gleiche Begünstigung gewährt; denn sie, die mir in Not und Gefahr treu zur Seite gestanden, will und werde ich auch im Glück nicht verlassen. Ohne sie gehe ich nicht vom Fleck.«
»Bravo!« rief Johann und klatschte in die Hände. »Daran erkenne ich unsern Herrn und Meister.«
Man verabredete nun, daß sich Moor am nächsten Morgen in Schwarzenbeck einfinden sollte, um die Sache ins Reine zu bringen.
Als die Gäste sich entfernt hatten, sprang Wilhelm Moor erregt auf: »Hurra! Freunde! das soll ein herrliches Leben werden in Amerika, wo die unabsehbaren Urwälder wimmeln von allerlei Getier, das da fleucht und kreucht; wo jedermann frisch, frei und froh jagen darf, wo und wie's ihm beliebt und wo die Menschen noch in dem guten, alten Glauben leben: Was der Herrgott ernährt, das allen gehört! Daran, daß der König auch euch begnadigt, zweifle ich keinen Augenblick. Er wird froh sein, uns alle drei los zu werden.«
Wilhelms Erwartungen sollten ihn nicht täuschen.
Das Überfahrtsgeld für alle drei wurde bei einem Hamburger Auswanderungsagenten niedergelegt, und jeder von ihnen erhielt überdies 50 blanke Taler ausgezahlt zur ersten Ausrüstung.
Damit hätten sie freilich in dem teuren Amerika nicht weit gelangt. Jetzt aber zeigte es sich, wie wohl sie daran getan, ein ordentliches, sparsames Leben zu führen. In ihren Sparkassen befand sich bereits ein hübsches Sümmchen, mit dem sich schon etwas anfangen ließ.
Niemand empfand an Moors Entschluß lebhaftere Freude als der Amtmann von Schwarzenbeck. Hätte es damals telegraphische Verbindung mit Kopenhagen gegeben, so würde er unverzüglich die frohe Botschaft seinem Herrn per Draht übermittelt haben. Da ihm aber der Eilpost Eile nicht eilig genug schien, entsandte er einen expressen Kurier an den König mit einem Schreiben, das die Abreise Wilhelm Moors meldete und seine Verdienste um die glückliche Lösung des mißlichen Handels gehörig beleuchtete.
König Friedrich fühlte sich durch den schnellen Erfolg seines Vorschlages so angenehm überrascht, daß er seinem Stellvertreter im Lauenburgischen Ländchen eigenhändig schrieb:
»Gratuliere! – Werden den Auswanderern hoffentlich einen guten Abschied geben. – In Gnaden gewogen.
Friedrich VI.«
Das schmeichelte.
Einen ganzen Tag und eine halbe Nacht sann der ehrgeizige Amtmann darüber nach, auf welche Weise er dem wohl nur halb im Scherze ausgesprochenen Wunsche seines Königs nachkommen könnte, ohne sich vor der Ratzeburger Bürgerschaft lächerlich zu machen.
Endlich glaubte er das Richtige gefunden zu haben. –
Moor wie seine Genossen hatten sich von der Stunde an, in welcher er den Vergleich mit der Lauenburger Forstbehörde unterzeichnet hatte, gewissenhaft jedes Wald- und Wildfrevels enthalten. –
Mehr noch! Ohne sich dazu verpflichtet zu haben, gab er das Geheimnis seiner zahlreichen Verstecke und Schlupfwinkel preis, um zu verhüten, daß weniger rücksichtsvolle Wilddiebe nach ihm den hochherzigen König um die Früchte seiner Hochherzigkeit betrügen möchten.
Diese Tatsache mußte das Ratzeburger Wochenblatt veröffentlichen, und damit war die Ehrenhaftigkeit der Auswanderer selbst in den Augen der strengsten Sittenrichter wieder hergestellt.
Nun erst konnte sie der Amtmanndiener einer Gesellschaft von anständigen Leuten vorstellen.
Es wurde eine große Treibjagd veranstaltet. Diese sollte als Abschiedsfeier für Heinz Moor und Genossen gelten. Alle höheren Forstbeamten, angesehene Bürger und sogar ein königlicher Kammerherr sollten daran teilnehmen.
Wilhelm Moor, Hans und Ede sollten an diesem Tage gleichsam unter die Zahl der ehrlichen Leute wieder aufgenommen werden.
Sie erschienen zum Feste – auf ausdrücklichen Wunsch des Amtmanns in Uniform, Heinz als Forstadjunkt, seine Kameraden als Hilfsjäger.
Es war ein prächtiger Tag, dieser 1. September, den man für den amtlichen Abschluß der kummervollsten Periode im Leben des alten Sachsenwaldes gewählt hatte.
Der Erfolg der Jagd bewies, daß die Scheidenden nicht sinnlos in dem reichen Wildstande gewüstet hatten.
Ja das Treiben brachte immer noch eine respektable Anzahl von Hirschen, Rehen und Hasen vor die Gewehre der Jäger. Von früh bis spät hörte das Knallen und Knattern nicht auf. Eine stattliche Strecke wurde zusammengebracht.
Mit diesem Ergebnis waren die Schützen um so mehr zufrieden, als sich herausstellte, daß die drei Amerikareisenden durchaus nicht zu den glücklichsten Schützen des Tages zählten.
Im Amtshof gab's nach der Jagd noch ein fröhliches Gelage bis spät in die Nacht.
* * *
Beim ersten Tagesschimmer begann für die drei Auswanderer das Verladen ihres Gepäckes.
Forstmeister Osterwald, der nie einen fröhlicheren Abschiedsfestschmaus mitgemacht hatte, glaubte im Sinne seines königlichen Herrn zu handeln, wenn er den Scheidenden ein Andenken an die Heimat verehrte. Es bestand in einem wahren Ungeheuer von Hund. Von wahrhaft riesigem Wuchs und herkulischem Knochenbau, mit einem mächtigen Kopf, einem furchtbaren Gebiß, langen flockhaarigen Behängen und großen, funkelnden Augen, war er der Schrecken aller Schwarzenbecker Gassenbuben gewesen; obwohl er ungereizt keinem Kinde ein Leid zufügte. – Man hatte ihm schon früh eine strenge Dressur angedeihen lassen, und daher gehorchte er wie ein guter Jagdhund. Jedem Fremden, der mit ihm anbinden wollte, wies er grimmig die Zähne, nur – mit einer einzigen Ausnahme: Heinz' Moor. An ihn hatte er sich vom ersten Tage ihrer Bekanntschaft an gewöhnt, als wittere er in ihm verwandte Neigungen und einen Freund.
Dieser auffallende Zug des Tieres entschied sein Schicksal.
Zur Jagd auf Hühner, Enten, Hasen, Rehe und Hirsche war er nicht verwendbar. Die Bären und Wölfe aber hatte man im Revier des Sachsenwaldes längst ausgerottet. Dagegen mochte das Tier in den Wildnissen Amerikas seinem Herrn gute Dienste leisten.
Am 3. September bestiegen die vier Auswanderer, Barry zählte als Passagier nun mit, Moor's Boot, das ihnen die letzten Dienste leisten sollte, bevor es in die Hand des neuen Besitzers überging. –
Haus und Hof, Acker und Gärten mit sämtlichem Feld- und Fischereigerät hatten sie zu Geld gemacht, so daß sie ein hübsches Sümmchen von mehr als 3000 Talern mit auf den Weg nehmen konnten.
Am Ufer der Elbe stand der Amtmann mit einigen höheren Forstbeamten, freudigen Blickes die Zurüstungen zur Abreise verfolgend. – Hinter diesen eine dicht gedrängte Menge von armen Kätnern und Tagelöhnern aus der Gegend ringsumher, die gekommen waren, um ihrem Freunde und Wohltäter ein letztes Lebewohl zuzuwinken. Niemand wagte jedoch einen lauten Zuruf, um sich nicht selber zu verraten.
Um jene Zeit vermittelten erst wenige Dampfschiffe den Personenverkehr zwischen Europa und Amerika. Moor war jedoch durch seine Hamburger Freunde benachrichtigt worden, daß bis zum 5. September der Dampfer »Kleist« vor Kuxhafen liegen werde, um seine Ladung zu vervollständigen. – pünktlich trafen unsere Auswanderer dort ein und mieteten sofort 3 Plätze in der zweiten Kajüte. Barry erhielt einen Freiplatz auf Deck, wo er sich bald auf unbenutztem Segeltuch ein molliges Lager zurecht machte.
Am 6. September, früh 9 Uhr, lichtete das Schiff die Anker.
Da die große Mehrzahl der Auswanderer die viel billigere Fahrt auf Segelschiffen vorzog, ohne den Zeitverlust dabei in Rechnung zu bringen, so fand sich auf dem Dampfer genügender Raum zu freier Bewegung, und das war den drei Wildschützen ganz besonders lieb; denn sie waren es nicht gewöhnt, auf einem engen Raume zusammenzuhocken und geduldig auszuharren.
In der Nacht vom 6. zum 7. September kam man Helgoland so nahe, daß die Feuersignale des englischen Wachtschiffes sichtbar wurden. – Nunmehr durfte der »Kleist« auch seine Segel gebrauchen. Eine frische Südostbrise trieb das Schiff westwärts.
Die Nordsee steht bei den Seefahrern in keinem guten Ruf. Ihre kurzen Wellen können bei stürmischem Wetter gefährlicher werden als die lang gestreckten Wogen des atlantischen Ozeans. – Dennoch blieben unsere Freunde von der bösen Seekrankheit, welche die meisten Passagiere oft elend bis zum Lebensüberdruß macht, verschont. Vielleicht hatten sie's auch dem Umstande zu verdanken, daß sie sich auf dem Wasser der Elbe als Fischer hinlänglich an das Schaukeln gewöhnt hatten.
Am 9. September ging das Schiff Southampton (spr. »ßauthämptn«) gegenüber vor Anker, um im Schutze der hohen Klippen der Insel Wight (spr.: Weit) Passagiere und Frachtstücke an Land zu setzen und andere dafür einzunehmen.
Am 10. setzte der Dampfer dann bei standhaftem West seine Meerfahrt fort. – Der nach Abenteuern dürstende Johannes schaute sich vergebens nach Dingen um, mit welchen seine Einbildungskraft das Meer ausgestattet hatte. Keine Seeschlange, an deren Existenz er noch fest glaubte, kein schwimmender Eisberg, kein spritzender Wal wollte sich blicken lassen. Sogar das Vergnügen, auf Deck fallende fliegende Fische aufsammeln zu können, blieb ihm versagt. Da gab's Stunden und Tage, von denen es ihm schien, als wollten sie gar kein Ende nehmen. – Über der Verschanzung, dem Rail (spr.: Rehl) zu liegen, Tabak zu kauen und den Saft kunstgerecht durch die Zähne über Bord zu spritzen, blieb für die Dauer doch eine ungenügende Unterhaltung.
Unter diesen Umständen legte er sein rauhes, abstoßendes Wesen völlig ab, ja er freundete sich sogar mit einem älteren Landsmanne an, welcher bereits vor Jahren ausgewandert war, im Westen der Union eine Farm besaß und jetzt aus der Heimat Weib und Kinder nachholte.
Der Mann hieß Lietz und zeigte sich mit amerikanischen Zuständen bereits so vertraut, daß Johannes es für geraten hielt, ihn auch mit Heinz Moor und Eduard bekannt zu machen. – Erster erkannte bald, wie nützlich ihnen die Erfahrungen des Ansiedlers werden könnten, und saßen so die vier Männer nunmehr immer beisammen und redeten von den wirtschaftlichen Dingen der alten und der neuen Heimat.
Auf diese Weise verlief die Reise angenehm und zweckdienlich, und ehe man es gedacht hatte, tauchten die dunklen Umrisse des amerikanischen Festlandes vor den Reisenden auf.
Am 25. September bereits lief der Dampfer in den Hafen von Newyork ein.
Landsmann Lietz bewährte sich nunmehr als alter Praktikus, indem er seinen Landsleuten bei der peinlichen Revision des Gepäckes durch amerikanische Steuerbeamte beistand und sie vor der Zudringlichkeit der Gepäckträger zu schützen wußte. – Sein musternder Blick hatte schon vom Schiffsbord aus der Menge heraus den geeigneten Mann gefunden. Ein Pfiff über den Finger, und ein Gepäckträger kam heran. Dem übergab er das Verzeichnis von seinem und seiner Freunde Gepäck mit der kurzen Weisung: »Hier Fred! Nach Hansins Lodging-House!« –
Er selbst stellte sich dann an die Spitze der Gesellschaft, mit den Ellbogen sich einen Weg durch den dichtesten Volkshaufen bahnend, während der Hund treulich hinterhertrottete.
Hansens Logierhaus, einfach und nach deutscher Art erbaut, heimelte die Auswanderer an. Die Logierzimmer befanden sich im Oberstock; die unteren Räume dienten als Restauration. Alles war schlicht bürgerlich, aber äußerst sauber.
Lietz, der hier ein alter Bekannter zu sein schien, hatte für die Drei und für seine Familie zwei aneinanderstoßende Zimmer bestellt, und bald fühlten sich alle im Hause des freundlichen Landsmannes wohl aufgehoben. – Doch die Ungeduld, mit welcher sie dem Ziel ihrer Reise zustrebten, trieb sie bald weiter. » Time is money« – Zeit ist Geld – sagt der Amerikaner, und damit hat er recht. »Noch haben wir's weit bis zum Ziel«, meinte Lietz, »also los!«
Nur eine Frist von zwei Tagen gönnten sie sich, um das Sehenswürdigste der größten und reichsten Stadt Amerikas kennen zu lernen. – Dann zog es sie fort aus dem lärmenden Treiben und Drängen der Menge hin nach dem wilden Westen.
Da Lietz' Besitzung im Nordwesten des Staates Missouri lag und Moors Sehnsucht auf die Urwälder und Prärien des Westens gerichtet war, konnten sie den größten Teil des Weges gemeinschaftlich zurücklegen. –
Sie wählten die Nordbahn, welche sie fast in gerader Linie nach Buffalo brachte. Hier wurde Station gemacht, um Amerikas größte landschaftliche Sehenswürdigkeit, den Niagara-Fall, besuchen und bewundern zu können. Drei Tage verweilten sie in der Nähe der Fälle und nahmen dann auf der Westbahn, unterhalb der großen Seen, ihren Weg bis Chikago, welches damals bereits im Aufblühen begriffen war.
Eine weitere Eisenbahnverbindung gab's damals noch nicht. Allein der Farmer hatte auch diesen Umstand vorher in Erwägung gezogen. Dem wackeren Manne waren die drei Landsleute bereits so ans Herz gewachsen, daß er beschloß, ihre Pläne zu fördern, so weit es ihm möglich war. – Zunächst mußten sie während der ganzen Reise seine Gäste sein. Er sorgte für alles, was sie nötig hatten, und führte sie in die amerikanischen Verhältnisse mit großem Geschick ein.
Ihr sämtliches Gepäck bestand glücklicherweise nur aus Betten, Leinenzeug, Kleidern und dem nötigen Schießzeug. Unter letzterem galten Moors Gewehre als besondere Wertstücke, besonders seine lange, gezogene Büchse, mit der er daheim manchen Meisterschuß getan hatte.
Das ließ sich ohne große Schwierigkeit auf dem kleinen Dampfer unterbringen, welcher nur den Kanal befuhr, der Chikago mit dem Illinois, einem Nebenflusse des Mississippi, verband. Auf ihm mietete Lietz 7 Plätze für sich, seine Familie und seine Gäste, Barry natürlich mit eingeschlossen. Der verhielt sich so fromm und bescheiden, daß er bereits der Liebling aller geworden war. Die bescheidenen Räume gestatteten zwar keine freie Bewegung wie die Kajüten des »Kleist«, doch währte der ungewohnte Zwang, den man sich auf dem Dampfer antun mußte, nur kurze Zeit.
Vor einbrechender Dunkelheit langte man an der Endstation am Illinois an und übernachtete in einem Gasthause. Der gefällige Wirt, ein Schweizer, ließ ihr Gepäck nach dem größeren Dampfer bringen, der sie am nächsten Morgen auf dem Illinois weiter befördern sollte. – Es tat ihnen gut, wieder mal ordentlich ausschlafen zu können; denn in dem geräuschvollen Chikago hatten sie kaum ein Auge zugetan. Während der folgenden Nächte, das konnten sie sich denken, würde man sie weniger bequem betten. – So war es denn auch. Die Fahrt auf dem Illinois währte zwei Tage und eine Nacht. Während dieser Zeit legte das Schiff nur einmal für etwa 20 Minuten an, um Holz zur Feuerung der Maschine einzuladen.
Gegen Abend liefen sie in den Mississippi ein und erreichten bald darauf Alton, wo sich der Mississippi mit dem Missouri vereint. – Hier fragte Herr Lietz seine Gäste, ob sie Lust hätten, einen Abstecher nach dem benachbarten St. Louis zu machen, das man in zwei Stunden erreichen könne, allein seine Gattin meinte: »Ein andermal, bitte! Ich möchte so schnell als möglich in mein neues Heim.« – Das entschied. –
Anstatt noch einige Meilen weiter nach Silben zu gehen, bestieg man am nächsten Morgen den mächtigen Dampfer »New Orleans«, der sie nun stromauf nach Norden trug.
Während dieser Tage kamen sich die Reisenden fast wie Gefangene vor; denn an Land zu gehn, während Holz eingenommen oder Passagiere aufgenommen oder abgesetzt wurden, gestattete man ihnen nicht. Auf der Strecke, die sie durchfuhren, macht der Missouri außerdem so merkwürdige Krümmungen, daß man nur mit halber Dampfkraft fahren durfte. Die im Strome schwimmenden, entwurzelten, riesigen Baumstämme gefährdeten die Schiffahrt und machten Vorsicht nötig.
So vergingen denn 3 Tage und 3 Nächte, bevor man am Mittag des vierten Tages vor Central City anlangte, wo der Sioux-River sich in den Missouri ergießt.
Hier mietete Lietz ein Boot, um sich und seine Gesellschaft mit sämtlichem Gepäck den River hinaufrudern zu lassen. Da die 4 Männer sich ein Vergnügen daraus machten, die Bootsleute kräftig zu unterstützen, so kam man schnell vorwärts, und in 2 Stunden schon landete man kaum 100 Schritte von der Lietzschen Farm. – Abermals ertönte der schrille Pfiff über den Finger, und sogleich, als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet, brachen zwei dunkle Gestalten durch das Gebüsch, welches die Aussicht auf die Farm noch verdeckte.
Es waren zwei stämmige Neger, die ihre Herrschaft mit freudigem Grinsen begrüßten. Ohne einen Wink abzuwarten, brachten sie das Gepäck ans Ufer und lohnten die Ruderknechte ab. Als sie Barry erblickten, stutzten sie. So ein Ungeheuer von Hund hatten sie noch nicht zu sehen bekommen. Moor, der das bemerkte, führte das Tier am Halsbande und sagte: »Nix schlimm; sehr braves Tier!«
Bald standen sie vor den mit bunten Kränzen geschmückten Toren des Wohnhauses. – Es war ein Blockhaus, aus behauenen Baumstämmen fest zusammengefügt. Es erhob sich zu einer Höhe von zwei Stockwerken, mit einer Front von je 6 großen, helleuchtenden Fenstern.
Dieser ganz unerwartete Anblick überraschte Frau Anna Lietz ebenso wie die drei vom Sachsenwalde. Emil hatte ihr immer nur von einem geräumigen Blockhaus gesprochen, wovon sie sich das allerärmlichste Bild gemacht hatte, entsprechend den Schilderungen und Abbildungen, die sie daheim gehört, gelesen und gesehen hatte. – Dieses allgemeine Staunen war aber auch vollständig gerechtfertigt, denn vergeblich hätte man zehn Meilen in der Runde nach einem ähnlichen stattlichen Landhause suchen können.
Lietz führte sein Weib und seine Gäste befriedigt lächelnd durch die geschmückte Pforte in die weite Halle, aus der man links in die Wohn- und Schlafräume des Gesindes gelangte, während die rechte Seite die Arbeits- und Wohnzimmer der Familie enthielt.
Im oberen Stockwerk, zu dem man auf einer bequemen breiten Treppe gelangte, befanden sich weitere Wohnräume, wie Kinderstube, Speisesaal und einige Fremdenzimmer. Von hier aus gelangte man auch auf die Veranda, die nicht nur während der heißen Tageszeit Schatten gewährte, sondern auch einen anmutigen Fernblick auf die Berge und Täler des Landes ermöglichte.
Die innere Einrichtung des Hauses war dem Äußeren entsprechend einfach, aber gediegen. Sowohl Fußboden als Decke bedurften weder der Politur noch eines Anstrichs. Sie prangten in der natürlichen Schönheit ihres Holzes, bald in dunklen, bald in hellen Farben.
Zum Haushalt, fast durfte man sagen, zur Familie zählten noch die vier Schwarzen Cato, Cäsar, Mara und Lulu. Lietz, der im Danziger Werder einen wertvollen Hof besessen hatte, war der steten Überschwemmungsgefahr wegen ausgewandert.
Seine Leute nannten ihn »Vater«, aßen an einem Tische mit ihm und betrachteten ihn nicht allein als ihren Herrn, sondern auch als ihren Freund und Berater. Deshalb war auch alle Arbeit, die sie für ihn taten, ihnen selbst eine Lust, und das um so mehr, da sie wußten, daß von jedem Gewinne, den sie durch Fleiß und Umsicht dem Herrn einbrachten, auch ihnen ein entsprechender Anteil zugute kam.
Übrigens behauptete Emil Lietz, daß auch bei seinen Nachbarn, soweit er sie kennen gelernt habe, die Sklaverei in ähnlicher Weise aufgefaßt und ausgeübt werde wie von ihm. Sollte es aber hier und da auch in diesem gesegneten Lande noch unverbesserliche Tyrannen geben, welche anders handelten, dann würden sie sicherlich von keinem Deutschen geachtet. Unmenschliche Behandlung unglücklicher Negersklaven sei vorzugsweise ein Schandfleck der Südstaaten, wo auf großen Plantagen Hunderte dieser armen Schwarzen unter der Peitsche erbarmungsloser Aufseher seufzten.
Dagegen äußerte Moor lächelnd: »Eine solche Sklaverei, wie ich sie hier bei euch gefunden habe, möchte ich daheim den Dienstboten Pommerns und Mecklenburgs gönnen, deren Herren sich einbilden, es gar wunderweit in der Kultur gebracht zu haben!«
Gerechtfertigt wurde eine so humane Behandlung des Gesindes durch das Benehmen der Schwarzen. Cato, ein Mann mit eisernen Muskeln und weichem Gemüt, galt als tüchtiger Ackersmann und Landwirt, vertraut mit dem Boden und seiner Tragfähigkeit wie mit allen ländlichen Arbeiten, leistete er seinem Herrn gleichzeitig die Dienste eines Verwalters und Vorarbeiters.
Cäsar, einige Jahre jünger, spielte die Rolle eines Handwerkers für alles. Es verging fast keine Stunde, in welcher er nicht Gelegenheit gehabt hätte, sich nützlich zu machen, bald als Maurer, Zimmermann oder Tischler, bald als Sattler, Töpfer und Holzschnitzer. Unter den Wirtschaftsgebäuden, die den weiten Hofraum umgaben, gab's auch für ihn mannigfache Werkstätten mit allem erforderlichen Handwerkszeug.
Mara hatte bisher das Doppelamt als Köchin und Magd bekleidet und Lulu, obwohl sie noch ganz jung war, diente als sauberes Stubenmädchen.
Wohl besaß jeder dieser vier Dienstboten seine eigentümlichen Vorzüge und Schwächen, allen gemein aber war die Liebe, das Vertrauen und die Ehrerbietung, welche sie ihrem Herrn widmeten. – Im Dienst pflegten sie ihn »Master« (sprich Master = d. i. Meister), im vertraulichen Gespräch »Vater« zu nennen.
Diese Arbeitskräfte waren im Verhältnis zu der Größe der Besitzung nur sehr gering.
Zur Lietz-Farm gehörten nämlich 500 Acker ebenes und entholztes Ackerland und ebensoviel Busch oder Wald, also eine riesige Fläche.
Lietz hatte billig gekauft, da die alten Gebäude durch eine Feuersbrunst zerstört worden waren. Der Neubau hatte ihm dagegen fast ebensoviel gekostet, wie die ganze Besitzung.
Unter diesen Verhältnissen konnte an eine Bewirtschaftung nach deutscher Art gar nicht gedacht werden. Man mußte nach amerikanischer Art verfahren.
Die zu bestellenden Ländereien wurden eingefenzt, d. h. mit einem einfachen Zaun umgeben; dann oberflächlich durch Ochsen gepflügt, besät und eingeeggt. Sommerweizen und Gerste mähte man teils mit der Sense, teils schnitt man ersteren, wo er zu üppig stand, mit der Sichel. Die an der Sonne abgedörrten Garben wurden im Felde auf fest gestampftem Boden ausgebreitet, worauf man die Körner durch hin- und hergetriebene Ochsen austreten ließ. Da blieb denn natürlich ein großer Teil der Körner in den Ähren zurück, gerade genügend, um das auf der Häckselmaschine geschnittene Stroh für Pferde und Rinder fett zu machen. Auf den Speicher gelangte nur das gereinigte Getreide, während man das Stroh zu hohen Mieten (Schobern) auftürmte, um es mit Beginn des Winters, wenn das Vieh eingestellt war, nach und nach zu verbrauchen.
Den größten Teil des Jahres waren nämlich Pferde und Rinder im Freien, daher auch das Einzäunen der Äcker.
Hafer und Roggen wurden nicht gebaut, teils, weil sie entbehrlich schienen, teils wegen ihren geringen Wertes auf dem Getreidemarkt in St. Louis.
Dafür war der Mais eine Hauptfrucht. Auch ihn enthülste man nach völliger Reife im Felde auf einer Maschine.
Eine gute Ernte füllte mit ihrem goldnen Segen zwei Stockwerke des großen Speichers. Die größere Hälfte wurde nach St. Louis verschifft, die kleinere kam in Cäsars Mühle und wurde dort zu Mehl gemahlen. Aus dem Mehl bereitete Mara täglich mehrere Male große runde Klöße, die in Schweineschmalz gebacken – von den Hausgenossen bald mit, bald ohne Fleisch genossen wurden. Auch Dauerkuchen wurden aus steifem, gesalznem Teige auf der Herdplatte gebacken als Wegekost auf Reisen und Jagden.
Ein Backofen fehlte. Frau Unna aber nahm sich sofort vor, so bald als möglich für die Herstellung eines solchen Sorge zu tragen, damit man auch deutsches Schwarzbrot backen konnte. Für die Herbeischaffung der Steine und des Mörtels sollte ihr Mann sorgen, für den Bauplan aber wußte sie Cäsar zu gewinnen.
Herrn Lietz hatte seinerzeit die veränderte Lebeweise in jeder Beziehung wohlgetan.
Um Verdauungsbeschwerden infolge des täglichen Genusses von Schmalzklößen und fettem Schweinefleisch zu begegnen, bewegte er sich von früh bis spät in seiner Wirtschaft. Was er daheim im Danziger Werder nie getan hatte, daß er selbst tüchtig mitarbeitete, galt in Amerika als Ehrensache.
Und er hatte von seiner Tätigkeit doppelten Gewinn. Bald war ihm die schwere, immerwährende Arbeit zum Lebensbedürfnis geworden, was er dabei an Körpergewicht verlor, gewann er täglich mehr und mehr an Muskelkraft und Wohlbehagen.
Mit dem Schweinernen, das täglich auf den Tisch kam, hatte es seine eigene Bewandtnis. Zwar waren auf dem Hof Hühner in Fülle und in den Ställen Ochsen und Kühe. Allein die Hühner sollten fleißig Eier legen und die Rinder brauchte er notwendig zur Landwirtschaft, von Schweinen aber trieb sich in den Wäldern eine ungezählte Menge rum. Sie kamen das ganze Jahr nicht nach Hause und waren selbst gegen die stärkste Kälte unempfindlich. Sie nährten sich vorzugsweise von den Nüssen, welche die Bäume des Landes in überreicher Menge zu jeder Jahreszeit abwarfen.
Herr Lietz schätzte seinen Besitz an Schweinen ungefähr auf 800 Stück.
Eingefangen wurden nur die ganz jungen Ferkel, um mit dem Merkmal des Besitzers gezeichnet (gebrannt) zu werden. Den täglichen Bedarf schoß man ab.
Wollte man eine volle Ladung Schweinefleisch nach St. Louis zu Markte schicken, so wurde ein ordentliches Treibjagen angestellt, bei dem sich wohl auch die Nachbarn beteiligten.
Mitunter kam es auch vor, daß einzelne Tiere ins Nachbargebiet ausrissen und als Überläufer aus Versehen vom Nachbar weggeschossen wurden. Dann beeilte dieser sich, sobald er seinen Irrtum erkannt hatte, den rechtmäßigen Besitzer wissen zu lassen: »habe heute eins von Ihren Schweinen geschossen, bitte, sich gelegentlich Revanche zu nehmen.« Einige Pfund mehr oder weniger spielten dabei keine Rolle.
Auch Pferde und Rinder pflegte man bis in den November hinein im Freien zu lassen, die Pferde in eingezäunten Goßgärten, die Rinder freiweidend durch Busch und Prärie, doch zusammengehalten durch den Klang der ihnen umgehängten Glocken. Nur Milchkühe, deren Kälber man entwöhnen wollte, wurden als Milchlieferanten eingestellt.
Einige Abwechselung auf dem täglichen Speisezettel brachte Cato durch das von ihm erlegte Wildbret. Lietz hielt von seiner Liebhaberei für die Jagd zwar wenig, da er selbst ihr abgeneigt war. Dennoch ließ er sich des Schwarzen Wildbraten für den Mittagstisch wohl gefallen.
Bei den Gästen der Lietz-Farm regte sich natürlich die kaum unterdrückte Jagdlust gewaltig und sie hatten ihre guten Gewehre längst in Stand gesetzt.
Lietz hatte das sehr wohl bemerkt und hatte sich eins gelacht.
Eines Tages sagte er: »Ich möchte euch bei der Wahl eures neuen Wohnsitzes sehr gerne nützlich werden. Für die nächste Woche aber habe ich noch dringende Arbeiten im Hause. Freuen sollte es mich darum, wenn ihr euch während dieser Zeit mit der niederen Jagd begnügen wolltet. Viel ist in der nächsten Umgebung freilich nicht los, doch an Feld- und Truthühnern wird's, denk' ich, nicht fehlen, vielleicht kommt euch auch ein Bär oder ein Häschen vors Gewehr. Also auf – und Weidmannsheil!«
Das ließen sich die Sachsenwäldler nicht zweimal sagen.
Gleich am nächsten Morgen sollte es losgehen, von Lietz über die Beschaffenheit des nächsten Jagdgebietes unterrichtet, trennten sie die Jäger alsbald, um die Richtung nach West, Nord und Ost einzuschlagen. Zur Mittagsstunde wollten sie sich unter dem Dache ihres Gastfreundes wieder zusammenfinden.
Und richtig! – Zwischen 12 und 1 Uhr stellten sich alle drei pünktlich und glücklich wieder ein.
Heinz Moor brachte 2 Feldhühner, einen großen Brachvogel und 3 wilde Tauben mit, Johann ein schwarzes Eichhörnchen und 5 Hühner, Ede aber, der unter der Last seines vollen Quersackes keuchte, sah geringschätzig auf die Jagdbeute seiner Kameraden.
»Was zum Kuckuck! bringst denn du?«
»Habt ihr schon wilde Truthühner gesehen? – Nicht? – Nun, so sollt ihr jetzt welche zu sehen bekommen.« –
Und dann, während er noch an dem Zacke rumschnürte, fuhr er prahlerisch fort: »Kirre sind die Dinger, wie unsre Haushühner. – Ihrer 6 saßen auf einem dürren Aste dicht aneinander, wie Perlen an der Schnur. Bis auf 50 Schritte pirschte ich mich an, ehe ich Feuer gab. Die Kugel ging durch die beiden nächsten Vögel. Die übrigen flogen davon, um mit schwerem Flügelschlag auf einem der nächsten Bäume sich wieder niederzulassen. So wenig scheu sind sie. Davon schoß ich noch zwei und hatte nun, wie ihr seht, eine volle Ladung. – Schade, daß ich keine Schrotflinte zur Hand hatte. Mit Nr. 3 könnte man leicht ein halbes Dutzend auf einen Schuß herunterknallen. – Das ist schon mehr ein Schlachten, als ein Jagen!« –
Endlich war der viermal verschnürte Sack geöffnet und stolz zog Ede an den gelblichen Ständern einen schwarzen Vogel fast von der Größe einer Gans hervor.
Heinz und Johann sahen staunend auf den glücklichen Jäger, auf Lietz und die neugierig herumstehenden Schwarzen.
Moor hatte auf den ersten Blick an Zehen, Hals und Schnabel erkannt, daß er hier keine Truthühner vor sich habe. Als nun aber Lietz hell heraus loslachte, da lachten die Umstehenden alle kräftig mit.
»Was ist da zu lachen?« meinte Eduard. – »Aus euch spricht bloß der Neid!« –
»Nichts für ungut! – lieber Landsmann!« sagte endlich Lietz. – »Aber das sind ja gar keine Truthühner. Das sind ja schwarze Geier, bei uns im Lande so gemein wie in Deutschland die Dohlen und Krähen.«
Das gab neuen Spaß und neues Gelächter.
Master Lietz aber bemerkte begütigend: »So etwas kann jedem Neuling passieren und vor ähnlichen Mißgriffen ist keiner von euch sicher.« – Das war lindes Öl auf Edes wundes Herz. – völlig beruhigt aber war der Geierschütze erst, als er an einem der nächsten Tage mit leeren Händen von seinem Ausfluge zurückkehrte und kurz bemerkte: »Draußen im Busch liegt ein Zwölfender. – Laßt ihn mit der Karre holen.«
Es war in der Tat so. Ein prächtiger Hirsch, von einem Meisterschuß mitten durchs Blatt getroffen, wurde herbeigeschafft und gab tagelang den köstlichsten Braten.
Nach Verlauf einer weiteren Woche kam Lietz seinem gegebenen Versprechen nach.
Schon am 29. September beim Morgenkaffee, den Frau Anna jetzt stets eigenhändig zu bereiten pflegte, verkündete der Wirt seinen Gästen ihre Erlösung: »Hab' längst bemerkt, mit welcher Ungeduld ihr eure Haft auf der Lietz-Farm ertragen habt. Kann mir's denken, daß ihr so bald als möglich selbständig werden möchtet. – wenn ihr wollt, können wir morgen aufbrechen.«
Die Freude war groß. Es handelte sich zunächst nur um eine Erforschungsreise ohne bestimmtes Ziel. – So mußten sie sich denn auf die notwendigsten Ausrüstungsgegenstände beschränken. Dicke Beinkleider aus Hirschleder, ebensolche Gamaschen und Jagdhemd, starke Schuhe nebst einer wollenen Decke und das unentbehrlichste Kochgerät aus Blech sollte es ihnen möglich machen, selbst durch Dorngestrüpp zu dringen und im Freien zu übernachten. In den Quersack kamen – außer Pfannen und Becher noch Feuerzeug, Pulverhorn, Kugelbeutel und einige hartgebackene Maiskuchen nebst Arrak und Kakaotafeln. Barry wurde einstweilen im Holzschuppen an die Kette gelegt. Er konnte auf der Reise nur unbequem werden.
Das Gewehr auf dem Rücken, einen tüchtigen Hyckoristock in der Hand, wanderte man am 30. September los.
Dem wackeren Farmer lag daran, seine neuen Freunde nicht zu fern von seiner Besitzung seßhaft zu machen.
Während sie sich auf der linken Uferseite des Missouri hielten, hatten sie zahlreiche Nebenflüsse desselben zu kreuzen.
Anfänglich nächtigten sie bei befreundeten Farmern, höher hinaus nahmen sie die Gastfreundschaft fremder Ansiedler englischer oder französischer Nationalität in Anspruch. Überall wurden sie freundlichst ausgenommen. Schenken und Gasthäuser gab es in der Wildnis nicht. Den Deutschen kam die Sprachkenntnis ihres Führers natürlich sehr zu statten.
Moor zog überall Erkundigungen nach geeigneten verkäuflichen Plätzen ein. Verkäuflichen Grund und Boden gab's überall, teils Staatsländereien, teils Privateigentum. Stets jedoch war irgend etwas auszusetzen. Bald fehlte Wasser und Wald, bald war der Flächenraum zu umfangreich und deshalb der Preis zu hoch oder die Urbarmachung überstieg ihre Kräfte.
So setzten sie denn ihren Marsch in nordwestlicher Richtung fort, bis sie endlich gegen Abend zu einem einsamen Blockhaus gelangten, das einem Deutschen gehörte. Auffälligerweise wurden sie grade hier etwas kühl aufgenommen. Sobald jedoch ihr Wirt Kenntnis erhalten von dem Zweck ihrer Reise, heiterte sich sein sorgenvolles Gesicht plötzlich aus. Schnell schleppte er herbei, was sein ärmlicher Speisevorrat bot, stellte eine Flasche Apfelwein auf den Tisch, setzte sich zu ihnen und nötigte zum Zulangen.
Dann hub er an: »Wißt ihr, Fremde, nein, Landsleute wollte ich sagen, was mir grad einfällt, da ich euch so vor mir sehe? Ein altes Sprichwort meines seligen Vaters, das heißt: Gott verläßt keinen Deutschen! – wie's mir scheint, paßt das auch auf uns miteinander. Ich habe zwei halbwüchsige Töchter und einen zehnjährigen Sohn. Meine Alte kränkelt und kann nur wenig leisten. Augenblicklich ist sie mit den Kindern im Busch, um Brennholz zu holen. Leider geht meine Wirtschaft rückwärts. Ich allein bin nicht imstande, den Verfall aufzuhalten. Und doch ist's so'n schönes Stück Erde! – Schon meinen Kindern bin ich's schuldig, daß ich sie von hier fortbringe. Mit Müh' und Not hat mein Weib ihnen ein Bissel Lesen und Schreiben beigebracht. Das ist alles. – Sollen sie nun wie die wilden aufwachsen? – In besseren Zeiten, als mein Ältester noch lebte, haben wir wohl etwas zurückgelegt, daß ich mir dafür schon ein paar Schwarze leisten könnte. Doch was nutzt das meinen Kindern? Ein Vetter, der in St. Josef ein Haus mit einem kaufmännischen Geschäft besitzt, bot mir einen Tausch an, weil ihm die Stadtluft nicht zusagt. Er kennt meine Farm und ist völlig in sie vernarrt. Schon hoffte ich, daß wir beide ein gut Geschäft miteinander machen würden. In diesen Tagen wollte er herauskommen, um mit mir abzuschließen. Da erhalte ich heute ein Schreiben von ihm. Es ist nix! – Seine Frau will nicht in die Wildnis. – Und nun schickt der liebe Herrgott euch.«
Ehe es ganz finster wurde, kehrte die Hausfrau mit den Kindern aus dem Busch heim. Auch ihr trübseliges Gesicht erheiterte sich, nachdem sie von dem Gegenstand der Unterhaltung gehört hatte.
»Das trifft zu!« sagte sie. »Unser Platz ist für euch wie geschaffen. Wir haben früher manchen schönen Dollar aus die hohe Kante legen können, so lange unser Anton ein rüstiger Jäger war und die Pelzhändler bei uns aus- und eingingen. Aber seitdem er tot ist, will's durchaus nicht mehr vorwärts gehen. Dazu wachsen die Kinder heran. Es ist ein Elend!«
»Freilich!« fiel der Mann ihr in die Rede, »einen schlauen Yankee findet ihr in mir nicht. Der würde nicht klagen, sondern den Mund recht voll nehmen. Aber ich hoffe, ich hab's mit ehrlichen deutschen Landsleuten zu tun, denen man nichts vorzuflunkern braucht.«
Die müden Reisenden begaben sich alsbald zur Ruhe auf ein weiches, aus Bärenfellen und wollenen Decken hergerichtetes Lager.
Am nächsten Tage besichtigte man sorgfältigst die Besitzung.
Zunächst das Haus. – Wie unansehnlich auch die Umfassungswände mit rohbehauenen, mit Moos verdichteten Baumstämmen erschienen, der ganze Bau war trotzdem gesund und widerstandsfähig gegen Wind und Wetter. In seinem Innern war er auch geräumig und wohnlich. Die Nebengebäude, welche früher wohl zur Aufnahme von Getreide, Vieh und Ackergerät gedient hatten, standen leer bis auf einen Stall, in dem eine Kuh und zwei Ziegen friedlich nebeneinander hausten. Kein fröhlich gackerndes Hühnervolk belebte den Hof. Alles sah aus wie Stillstand und Bankrott. Auch die nächste Umgebung des Blockhauses ließ kaum noch eine Spur von einstigen Bemühungen erkennen. Überall wucherte das Gras. von dem früheren Blumengarten war nichts übrig geblieben als ein vertrockneter Rosenstock und einige Malvenstauden.
Nicht viel besser sah's auf den Feldern aus.
Nur die zunächst liegenden Ackerstücke waren eingezäunt und bebaut, zum größten Teil mit Mais, welcher der Familie zur täglichen Nahrung diente. Endlich noch einige Beete, auf denen europäische Gemüse üppig gediehen. Sonst nur Gras und Unkraut.
Um den Kauflustigen einen Begriff von dem Umfange der Besitzung beizubringen, schritt Herr Schulze, so hieß der Farmer, die durch einzelne große Steine bezeichneten Grenzen derselben ab. Diese stießen gegen Westen und Norden an die Prärie, die bis in das Gebiet von Iowa und Nebraska reichten. Im Osten und Süden zeigten sich ansehnliche Reste von Urwald. –
Das Ganze ein treffliches Arbeitsfeld für junge, kräftige Hände, welche den mühsamen Transport ihrer Produkte auf dem Wasserwege bis St. Louis nicht scheuten. Erfahrene Ackerbauer waren die drei Einwanderer zwar nicht. Aber dennoch fanden sie Wohlgefallen an der Besitzung, die nicht allzu fern von den Jagdgründen des roten Mannes und doch auch in der Nähe des gesitteten Ostens der Union lag. Da überdies der Preis billig und die Zahlungsbedingungen günstig waren, so zögerten sie nicht lange und gingen auf den Handel ein. Weil ihr Schatzmeister Moor aber in der Sage war, ? des Kaufpreises sofort in blanken Goldstücken zu erlegen, so ermäßigte der ehrliche Schulze seine Forderung noch um einige hundert Mark.
Lietz erbot sich, die Habseligkeiten der Familie Schulze bis St. Souis, wo sie fortan ihren Wohnsitz nehmen wollte, unentgeltlich schaffen zu wollen.
Während der nächsten Woche wurde die Übersiedelung mit Hilfe von zweiräderigen, roh gearbeiteten Karren ausgeführt.
Anfänglich kam es den 3 Neulingen in den öden Bäumen allerdings recht ungemütlich vor. Allein sie waren ja von Haus aus nicht verwöhnt und außerdem konnte ja Heinz Moor etwas tischlern und viele Geräte für die Wohnräume selbst herstellen.
Mit freudigem Eifer griff er die Sache an. Freund Lietz hatte ihn mit dem nötigsten Handwerkszeug versehen, und es fehlte nur an trocknem Material. Doch Moor half sich, so gut es eben ging. Im Busch gab's ja manchen dürren, vom Wind gefällten Stamm.
Ede und Hans, die vor Begierde brannten, jagend durch die Wälder streifen zu können, mußten sich Gewalt antun, um beim Fällen, Behauen und Sägen der Bäume die Geduld nicht zu verlieren. Dann wurde in den öden Räumen des Hauses frisch und munter mit Beil, Hammer, Säge und Hobel gearbeitet, bis das unentbehrlichste Hausgerät, wie Tische, Bänke, Stühle, Schränke, Rasten, Bettstelle usw. fertig gestellt waren. Alles, was Schulzes von beweglicher Habe zurückgelassen hatten, bestand in den beiden Ziegen, der Kuh, etwas Maismehl, Salz, einigem Kochgeschirr und einem Topf mit Schweineschmalz. Daraus mußte Eduard, der sich rühmte, von der Kochkunst etwas zu verstehen, die täglichen Mahlzeiten herstellen. Mitunter fanden sie auch noch ein paar Rüben oder eine verlassene Kohlstaude auf den von Unkraut überwucherten Gemüsebeeten. Sein Schwarzvieh hatte Schulze an die Nachbarn verkauft, da Moor mit der Schweinezucht nichts zu tun haben wollte.
Nach einigen Wochen jedoch waren die übelsten Notstände überwunden. Das saubere, mit allem Notwendigen versehene Haus sah recht wohnlich aus. – Da es nun im Innern weder an Raum noch am erforderlichen Hausrat fehlte, konnten die Insassen es sich bequem machen. Jeder von ihnen erhielt eine eigne Schlafstube. Ein viertes Gemach sollte als gemeinschaftliches Wohn- und Speisezimmer benutzt werden. Es mußte aber gleichzeitig als Küche dienen. Von den beiden Stübchen im Giebel wurde das eine für Nachtgäste bestimmt, während das andere als Vorratskammer dienen sollte. Der kleine Keller stand zurzeit noch leer. –
Um diese Zeit langte ein Karren, schwer beladen mit mancherlei brauchbaren Dingen für die Feldarbeit und auch mit Vorräten für die Speisekammer unter Catos Führung an. Die Kosten, ließ Herr Lietz sagen, wolle er sich schon gelegentlich mit ihnen berechnen.
Nun durften sie sich endlich wieder ihrem Lieblingsberuf zuwenden und an Erwerb denken. Der Winter stand vor der Tür. In Garten und Feld gab's für sie nichts mehr zu tun. Dafür aber war jetzt die beste Jagdzeit. Sie sollte nicht unbenutzt bleiben.
Während in den östlichen Staaten der Union beschränkte Jagdfreiheit bereits durch Ausnahmegesetze geregelt war, blühte im Westen für Trapper und Fallensteller volle Jagdfreiheit.
Zwar durften unsere Ansiedler noch nicht daran denken, ihre Beute sofort in Bargeld umzusetzen. Um so nötiger aber war es, Wintervorräte zu sammeln.
Um das zu erreichen, bedurfte es nicht erst weiter Reisen. Es genügten zwei- bis dreitägige Ausflüge in die angrenzenden Gebiete von Kansas, Nebraska und Iowa. Auch hierbei hatten Johannes und Eduard aus freien Stücken die Führerschaft ihrem einstigen Hauptmann übertragen, denn sie wußten, er verstand's wie keiner.
So bestimmte denn Moor, daß einer von ihnen stets als Wächter des Hauses zurückbleiben mußte, wenn die andern ausrückten.
Der Hauswächter war meist Eduard. Er hatte dann meist alle Hände voll zu tun. Holz war zu holen und zu spalten, das Vieh zu füttern, Maiskuchen zu backen, Butter und Käse zuzubereiten. – Später kam noch das Aufspannen und Abtrocknen der erbeuteten Tierhäute hinzu. In dem Bach, welcher 50 Schritte vom Blockhause vorüberfloß, fing er Forellen. Doch entfernte er sich dabei stets nur so weit, daß er die Farm im Auge hatte.
Der Jagdertrag, welchen die Kameraden am zweiten oder dritten Tage heimbrachten, bestand gewöhnlich aus Hasen, Truthühnern, Waschbären, Eichhörnchen und Präriehühnern. Nur einmal hatten sie einen Hirsch erwischt. Die Heimkehr traten sie an, sobald sie eine volle Ladung zusammengeschossen hatten. Kleineres Wild packten sie in starke Netze, die sie schon in Chikago erhandelt hatten, den Hirsch mußten sie natürlich zerlegen. Auch so ergab er zwei schwere Traglasten. –
Wenn sie mehrere Nächte im Schutze eines Dickichts oder einer Höhle, auf einem Lager von Laub unter ihren wollenen Decken im Freien verbracht und von dürrem Maiskuchen sich genährt hatten, wie schmeckten dann daheim ein saftiges, am Spieß gebratenes Stück Wildbret oder ein Forellchen gar prächtig.
Was fingen die Ansiedler aber mit dem vielen Fleisch an?
Man trocknete es, und zwar wählte man dazu das magere Dickfleisch von größeren jungen Tieren und schnitt es in dünne Scheiben, welche eingesalzen und an der Sonne so lange im Freien getrocknet wurden, bis sie hart wie ein Brett waren und dann mit Axt und Säge zerstückt werden mußten.
Wollte man sich davon eine Mahlzeit bereiten, so mußte man die Stücke vorher mindestens 24 Stunden in Wasser aufweichen, bevor man sie kochte. Aber auch dann noch gehörten gesunde Zähne und kräftige Kinnbacken dazu, es hinunter zu bringen. Einem verwöhnten Gaumen mundete die Kost nicht. Jäger und Trapper dagegen zehren oft Monate lang davon.
Das Fett, namentlich das der Schweine, welches sich weder zum Einsalzen, noch zum Räuchern eignete, wurde mit Salz und Zwiebeln eingeschmolzen als Ersatz für Butter, die zu jener Zeit noch knapp und teuer war.
Wertvoller als das Fleisch war die Haut des Wildes, welche, von allen Fleischteilen befreit, mit Asche bestreut und aufgespannt und getrocknet wurde. Die Vorräte von zubereiteten Häuten, welche die drei Genossen während des ersten Winters zusammenbrachten, waren allerdings nicht bedeutend.
Wichtiger war, daß sie sich mit ihren nächsten Nachbarn bekannt machten und sich allmählich mehr und mehr hineinlebten in die Sitten und Eigentümlichkeiten des amerikanischen Jägerlebens.
Anfangs Januar fiel Schnee, was in Missouri nicht oft vorkommt.
Da wurden sie an einem heiteren Morgen durch einen unerwarteten Besuch überrascht. Cato hielt vor der Tür.
Er war zu Pferde gekommen und die mondhelle Nacht hindurch geritten, weil sein Herr ihm Eile anbefohlen hatte. Cato brachte eine Einladung zur Jagd auf ein Raubtier, das seinen Landsleuten wohl noch nicht vor die Flinte gekommen war. In den Waldungen der Lietzfarm hatten zwei Luchse sich festgesetzt, welche dem Wildbestande nicht allein großen Schaden zufügten, sondern in jüngster Zeit auch mehrere Sauen gewürgt hatten.
Da dem Farmer daran lag, den Räuber schleunigst unschädlich zu machen, hatte er seinem Cato ein gesattelter Handpferd für Master Moor mitgegeben.
Eduard und Johann waren also nicht mit eingeladen. Für sie gab's ohnehin zu Hause genug zu tun.
Heinz war schnell gerüstet. Sobald Roß und Reiter sich genügend erholt hatten, saß man auf und gelangte nach einem tüchtigen Ritt am nächsten Tage vor einbrechender Dunkelheit auf der Lietzfarm an. Es genügte für Heinz die Ruhe einer einzigen Nacht, um schon in der Frühe des nächsten Morgens wohlauf zu sein. Er griff zur Büchse und wollte sogleich aufbrechen.
Lietz nahm ihn lächelnd beim Arm und führte ihn zum Frühstücktisch, wo die kupferne Kaffeemaschine bereits dampfte, drückte ihn in einen Stuhl und sagte: »Diesmal sind wir in der Lage, unserm großen Nimrod eine Lehre zu geben. Erstlich wird nichts so heiß gegessen wie gekocht, und zweitens liegen Luchse zur Tageszeit in irgend einem Schlupfwinkel versteckt. Die Jagdzeit beginnt also erst mit einbrechender Dunkelheit nach echter Banditenart. Doch werden wir nicht nötig haben, stundenlang nach ihnen zu suchen. Cato kennt ihre Zufluchtsstätte.«
Heinz konnte natürlich nichts anders tun als zu warten, obwohl es ihm schwer wurde, seine Ungeduld zu unterdrücken.
Erst am späten Nachmittage brachen sie wohl gerüstet auf. Cato entdeckte zuerst im frisch gefallenen Schnee die Spuren der Räuber, welche in ein Dickicht führten, das an den Hochwald stieß.
In letzterem stellten sie sich auf, gedeckt von starken Stämmen, mit der Aussicht auf einen Wildpfad, auf dem die Tiere zum Flusse zu gehen pflegen, um zu saufen.
Der Mond war aufgegangen und beleuchtete hell die Lichtung. Kaum standen sie eine Weile auf ihrem Posten, als sich ein leise klapperndes Geräusch hören ließ. Es war der Hufschlag eines starken, geweihten Hirsches. Ihm folgte alsbald eine stattliche Hirschkuh. Beide schritten mit majestätischer Ruhe in der Richtung nach dem Flußufer. Schon waren sie dem Blick entschwunden, als in eiligem Tritt ein Schmaltier herankam.
Da – plötzlich rauschte es über ihm. Zwei funkelnde Augen blitzten auf. Ein dumpfer Fall, und ängstliche Klagerufe drangen an das Ohr der Jäger. Der Luchs hatte das Schmaltier zu Boden geworfen.
Im Nu hatte das gierige Raubtier seine Krallen tief ins Fleisch seines Opfers geschlagen und mit seinem Gebiß die Pulsader am Halse aufgerissen.
Da knallte Catos Büchse.
In der Aufregung war seine Kugel fehlgegangen. Das verriet ein grimmiges Knurren des Luchses.
Nun schoß Heinz Moor, fast gleichzeitig stürzte der Luchs über seinem Opfer zusammen. Die herbeieilenden Jäger fanden den Luchs mitten durch die Stirn geschossen. Seine funkelnden Augen hatten ihm den Tod gebracht, denn sie hatten dem Wildschützen als Ziel gedient.
Man schleppte das Tier ins helle Mondlicht und konnte es nun genau betrachten. Es maß über 1 Meter. Dabei war sein Bau kräftiger und gedrungener als bei der Wildkatze. Die stahlharten, nadelspitzen Krallen hatte es im Todeskampf weit aus den Scheiden gestreckt. Es war ein ausgewachsenes Männchen und mochte über 50 Pfund wiegen.
Als Moor den Versuch machte, das Tier an den Haarbüscheln der kurzen Ohren aufzuheben, hielt Cato ihn zurück. »Was machen! – Cato bleibt auf Posten, bis Weib kommen und suchen Mann. – Herr nach Hause gehn, schlafen legen, Cato besser treffen.«
Augenscheinlich wollte der brave Bursche die Scharte wieder auswetzen.
Lietz winkte zustimmend seinem Gaste, und lächelnd tat dieser dem Neger den Willen.
Die beiden Herren kehrten mit leeren Händen heim und zögerten nicht, ihr warmes Federbett aufzusuchen.
Schon war's heller Tag, als Heinz erwachte. verschlafen rieb er sich die Augen. Doch kaum hatte er sich besonnen, wo er war, als er auch schon mit beiden Beinen aus dem Bette sprang.
Bei dem gemeinschaftlichen Frühstück fiel ihm Catos strahlendes Gesicht auf und erinnerte ihn an das gestrige Abenteuer.
»Glück gehabt, Cato?«
»Master gleich sehen, wenn gegessen und getrunken haben. – Weib nach Mann suchen und tot finden, beriechen und Klagen wie Katz. Cato schießen und treffen mitten durch Leib. – Tier greulich fauchen und nicht sterben wollen. Schleppen sich auf Vorderbeinen fort, so schnell, daß Cato nicht Zeit haben zu laden. Aber immer hinterher, bis in Schlucht alten Fuchsbau finden. Da wollte Weib hinein, konnte nicht mehr, erschlugs mit großem Stein, nicht mit Kolben. Cato Jäger!«
Nach diesem Bericht zeigte er triumphierend die beiden Katzen, die er lange nach Mitternacht heimgebracht hatte. Ihre Beine hatte er zusammengebunden und sich um den Hals gehängt, für seinen Stiernacken keine zu schwere Last.
Herr Lietz glaubte an dem Gebiß der Luchsin zu erkennen, daß sie noch unerwachsene Junge haben müsse und bestätigte damit Catos Vermutung, daß der Fuchsbau nicht leer sei, denn der Luchs pflege verlassene Baue nur als Kinderstube für seine Nachkommenschaft zu benutzen.
Man beschloß also, mit der Fuchshöhle nähere Bekanntschaft zu machen.
Mit den nötigen Werkzeugen versehen, zogen die drei Schützen aus. Zur Vorsicht wurde auch Bergmann, Lieschens Teckel, mitgenommen. Der Erfolg lohnte die Mühe. Bergmann fuhr eifrig in die Röhre des Baues und gab bald Standlaut. Dadurch gab er den Jägern das Zeichen, wo der Feind sich zur Wehre setzte. An dieser Stelle grub man ein Loch und zog mit einer Fuchszange die jungen Räuber ans Tageslicht.
Es waren hübsche Kerle, die grimmig fauchten und ein ganz anständiges Gebiß zeigten. In wenig Tagen schon wären sie der Kinderstube entwachsen gewesen, und die Jäger hätten das Nachsehen gehabt. Um das Fell zu schonen und ihnen den Tod zu erleichtern, machte man ihrem Leben mit der Axt ein Ende.
Das Fleisch dieses Raubtieres wird zwar selbst von den Indianern verabscheut und auch sein Fell hat nur einen geringen Wert, dennoch legt man auf seine Vertilgung hohes Gewicht, weil Luchse als gefährliche Feinde des Wildstandes gelten.
Der glückliche Ausgang der Luchsjagd hatte sogar in dem friedfertigen Master Lietz die schlummernde Jagdlust erweckt. – »Mit einem solchen Schützen zu jagen, muß allerdings ein Vergnügen sein«, äußerte er zu Moor. »Und wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich euch wohl auf eurem nächsten Jagdzuge in die Berge begleiten.«
»Das kann bald geschehen,« entgegnete Heinz. »Auf eurer Farm ruht zur Zeit die Arbeit. Also los! Wenn man 10 Monate vom Jahre treu als Ackersmann gewirtschaftet hat, dann darf man die andern 2 Monate schon mal bummeln gehen. Für uns Jäger vom Fach freilich muß es umgekehrt sein.«
Frau Lietz drohte mit dem Finger: »Ei, ei, ihr werdet mir noch meinen soliden Emil verführen!« – Im Grunde aber freute sie sich, daß ihrem Emil eine kleine Abwechselung zuteil werden sollte. Von den Gefahren einer Jagd in den Bergen oder der Prärie besaß sie allerdings keine Ahnung.
So wünschte sie denn den Abziehenden, zu denen sich auch Cato gesellt hatte, Weidmanns heil und bat nur, nicht gar zu lange auszubleiben.
Lietz wollte, nachdem er 5 Jahre in Amerika gelebt hatte, endlich einmal einen Büffel zu sehen bekommen, und so schlug man denn die Richtung nach der Prärie ein.
Unter Catos Führung überschritt man den Missouri und wandte sich dann nach Süden. Beschlossen war, während dieses Ausfluges von niederem Wild nur so viel zu erlegen, als man zum Leben nötig hatte.
Von Lietz war der Vorschlag gemacht worden, die Partie zu Pferde zu unternehmen. Doch hatte man den Plan wieder aufgegeben, weil zu befürchten stand, daß unterwegs Futtermangel eintreten könnte.
Die Ebene, welche sich bald vor ihnen ausbreitete, schien, so weit das Auge reichte, mit dürrem, meterhohem Gras bedeckt zu sein. Nur hier und da erhob sich ein sanft gewölbter Hügel aus dem Halmenmeer. Auf einem derselben schien es sich zu regen, und als sie sich ihm näherten, klang ein heiseres Bellen zu ihnen herüber.
»Was ist das?« fragte Heinz.
»Das Präriehunde sein«, meinte Cato. »Hunde heißen, aber nicht beißen. Sie sehen aus wie ein Hamster und nicht wie Hunde.«
»Sommer gut, Winter mager, viel Hunger!« lautete die kurze Antwort. Noch während sie so sprachen, waren die Tiere in ihre Löcher geschlüpft.
Da Heinz Moor kurz zuvor einen Hasen geschossen hatte, meinte er, man möchte auf dem Hügel rasten und das Wild nach echter Weidmannsart am Ladestock braten. Dagegen protestierte aber Cato sehr eifrig: »Feuer nicht! Kein Holz aber Klapperschlangen viel!«
Jetzt erinnerte sich auch Lietz, gehört zu haben, daß dieses giftige Ungeziefer friedlich neben den Präriehunden zu finden sei.
In der jetzigen Jahreszeit pflegten sie freilich erstarrt in ihren Schlupfwinkeln zu liegen. Ein über ihnen entzündetes Feuer jedoch hätte sie leicht wecken können. Das schien wenigstens Catos Ansicht zu sein. So mußte man sich denn mit den mitgenommenen Maiskuchen und dem geräucherten Speck begnügen.
Ohne weiter auf ein jagdbares Wild zu stoßen, erreichten sie gegen Abend einen bewaldeten Höhenzug, der sich weit in die Prärie erstreckte.
Von dieser Hügelkette zog sich ein Streifen quer über ihren Weg. Das dunkle Grün seiner Nadelhölzer stach vorteilhaft ab gegen das Braun der Prärie. Es begrenzte die Ufer eines Baches, der dem Missouri zueilte. Sie wanderten ein Stück an ihm hin und entdeckten oberhalb eine geschützte Stelle, wo die Duelle des Baches einen rauschenden Wasserfall bildete. Dort wählten sie ihren Lagerplatz.
Cato hatte dürres Laub zusammengetragen und entzündet, während Heinz und Lietz zur Unterhaltung des Feuers trocknes Reisig sammelten. Dann enthäutete er den Hasen, trieb zwei gabelförmige Schößlinge in den Boden, schnitzte aus einem schlanken Stämmchen einen Spieß, dessen Hauptwurzel als Handhabe diente, und legte ihn in die Gabeln. Bevor er jedoch sein Wildbret an den Spieß steckte, hatte er die leere Bauchöffnung in Ermangelung von Butter mit stark gesalzenem Schweineschmalz gefüllt und mit Dornen so fest wieder geschlossen, als wäre sie zugenäht. Den Weißen überließ er es dann, den Spieß über der Flamme zu drehen. Das austräufelnde Schmalz wurde in einer Blechschüssel aufgefangen und der Braten vermittels eines Henkelbechers damit begossen.
Unterdessen bereitete der treue Schwarze für seine Herren das Nachtlager, bestehend aus einem Unterbette von Moos und Laub, warme Decken wurden als Oberdecken darüber gebreitet.
Der Hunger gönnte zwar den Weidmännern nicht die nötige Zeit, das frisch geschossene Wild ordentlich mürbe durchzubraten, aber dennoch schmeckte der Braten zu dem trocknen Maiskuchen vortrefflich. Das Häschen wurde bis auf die Knochen verzehrt.
Nicht lange nach der Mahlzeit ging's zur Ruhe. Der Verabredung gemäß übernahm Cato die erste Nachtwache.
Um munter zu bleiben, hatte er sich seine kurze Pfeife angesteckt und schaute wohlgemut den Wölkchen zu, welche er in die stille, sternenhelle Nacht hineinblies.
Mitternacht mochte vorüber sein, als der getreue Wächter von seinem Sitze jäh auffuhr, um den Blick scharf aus den südlichen Horizont zu richten.
Was war das?
Was bedeutete der rötliche Streif am südlichen Himmel?
Er hatte bereits manche Nacht im Freien durchlebt, so etwas hatte er noch niemals beobachtet. In der Zeit konnte er sich unmöglich irren, dafür bürgte ihm der Stand der Gestirne. Da war ein Irrtum nicht möglich.
Lange stand er und überlegte, ohne eine Erklärung für diese auffallende Naturerscheinung gefunden zu haben, bis er sich plötzlich besann und entsetzt den Schreckensruf ausstieß: »Präriebrand! Auf, auf! Die Prärie brennt!« hastig weckte er seine Gefährten, die schnell aufsprangen.
»Was gibt es denn?« »Schnell, schnell davon! Feuer, Feuer, alles, alles Feuer!«
In wenig Augenblicken war man fluchtbereit.
»Hätten wir Pferde, so würde uns noch Zeit bleiben, auf demselben Wege, den wir gekommen sind, unsere Haut in Sicherheit zu bringen. Zu Fuß dürfen wir das nicht wagen. Wir wären verloren. Wir müssen unsern Weg am Bache entlang nehmen. Der Streifen Wald, so schmal er ist, schützt uns zunächst vor der Gefahr, zur Kohle verbrannt zu werden, aber nicht vor dem Tode des Erstickens. Darum bleibt uns nichts weiter übrig, als die Feuersbrunst durch Feuer zu bekämpfen. Auf, Masters, helfen Sie!«
Zum Glück regte sich bis jetzt kein Lüftchen. »Wenn wir das dürre Gras am südlichen Waldrande in Brand stecken, so wird sich das Feuer, weil es nördlich keine Nahrung findet, bei der noch herrschenden Windstille weiter nach Süden verbreiten, bis die beiden Flammenmeere zusammenstoßen, um dann zu erlöschen. Unterdessen können wir in Sicherheit sein, wenn wir keinen Augenblick versäumen.«
Während sie am Südrande der Hügelkette in östlicher Richtung rüstig fortschritten, warfen sie ab und zu Feuerbrände in das trockne Gras. Der Erfolg war, wie man erwartet hatte. Nur langsam wälzten sich die, Flammen in südlicher Richtung fort, dem am fernen Horizont bereits sichtbaren, übermächtigen Feinde entgegen, ohne die Fliehenden wesentlich zu belästigen. Die Temperatur und der fast senkrecht aufsteigende Rauch blieben noch erträglich.
Doch Cato ließ sich durch diese scheinbare Sicherheit nicht täuschen. »Weiter, weiter, Masters, nicht stehen bleiben und zusehen. Schlimm, sehr schlimm!«'
Schon färbte sich der südliche Himmel blutig rot. Düstere Wolken verhüllten die Sterne, und ferner Donner grollte drohend.
Und nun begann es auf der Prärie lebendig zu werden.
Wie der germanische Glaube das gespenstige »wilde Heer« schildert, so kam es herangestürmt. Ganze Rudel geängstigter Tiere kreuzten ihren Weg, so daß sie nur noch im Schutze des Waldes ihre Flucht fortzusetzen wagten. Hirsche führten die Spitze, auf dem Fuße folgten ihnen Rehe, Wölfe, Hasen, wilde Pferde, eine versprengte Büffelherde. Sogar Klapperschlangen hatten ihre Lager verlassen und flüchteten. Alles, was sonst feindlich einander zu begegnen pflegte, dachte in der allgemeinen Not und Todesangst nicht an Feindschaft. Der Fuchs kümmerte sich nicht um die über ihn wegspringenden Hasen. An der Seite des schüchternen Rehes jagte der Wolf. Der blutgierige Puma übersah das ermattet zusammensinkende Hirschkalb. Jedes war nur bemüht, dem anderen zuvorzukommen, um sich vor dem grausigen Feuermeer zu retten. – Tausende von ihnen entkamen, doch Abertausende brachen zusammen und fanden den Tod in den Flammen.
Das unermeßliche Heer des flüchtendes Wildes durchkreuzte den schmalen Waldstreifen, um aus seiner Nordseite in Hast die Flucht fortzusetzen. Nur einige alte Hirsche traten ins Wasser des Flüßchens, kühlten sich und folgten in seinem Bette der Strömung, was Cato zu der Behauptung veranlaßte: »Die Burschen haben schon einen Präriebrand durchgemacht.« –
Längst war das Verteidigungsfeuer den Schritten der Jagdgenossen vorangeeilt. Nun aber stieg auch die Hitze der Luft zu einer kaum erträglichen Höhe, so daß unsere Flüchtlinge sich genötigt sahen, den schmalen Waldstreifen zu durchkreuzen, um ihn als Schirm vor den zum Himmel auflodernden Flammen zu benutzen. In diesem Augenblicke war wohl die Gefahr für sie aufs höchste gestiegen.
Die scheinbar bis zu den Wolken auflodernden, bald heulenden, bald donnernden Flammen mochten sich ihnen bis auf Meilen genähert haben, als sie zu der Stelle kamen, wo das Gegenfeuer ihnen die Nahrung weggefressen hatte.
Von diesem Augenblicke an begann die furchtbare Hitze etwas nachzulassen. Dafür hüllten aber dichte Rauchwolken die Flüchtlinge in ein fast undurchdringliches Dunkel. Der Waldessaum und das rauschende Bächlein dienten ihnen als Führer.
Jetzt begann auch die niedrige Hügelkette, welche bisher des Flüßchens Ufer gebildet hatte, zu steigen. Keuchend und mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte arbeiteten sich die Vier empor und erreichten mit Mühe und Not den Rücken des Höhenzuges. Ermattet brachen sie im weichen Moos zusammen.
Immer stiller würde es um sie her. Unter ihnen deckten düstre Rauchwolken die Ebene, durch welche dann und wann matte Blitzfunken zuckten. Immer ferner und schwächer grollte der Donner, bis zuletzt völlige Ruhe eintrat.
Von den Flüchtlingen wich allmählich die Todesangst, auch sie beruhigten sich.
Lietz war der erste, welcher Sprache und Humor wieder fand. »Ist mir schon ganz recht!« seufzte er. »So muß es dem Neugierigen ergehen! – was deines Amtes nicht ist, da laß deinen Vorwitz! – hab' ich nun Büffel gesehen oder nicht. Waren es etwa die greulichen gehörnten Ungeheuer mit den glühenden Augen, die an uns vorüber sausten, als wären sie der Hölle entsprungen? Nun, so viel weiß ich, ich bin kuriert! Mich bekommt ihr nicht weiter mit!«
Noch lag über der weiten Ebene ein dunkler Brodem, aus dem hin und wieder Lichtblitze zuckten. Der Heimweg wurde angetreten. Kleinlaut und erschöpft kamen sie auf der Lietzfarm an.
Selbst auf Moors eiserne Natur hatten die Ereignisse der letzten Tage so mächtig eingewirkt, daß er den Vorstellungen seiner Gastfreunde gern nachgab und sich noch einen Ruhetag unter ihrem Dache gönnte. Als er dann heimkehren wollte, gab ihm Lietz einen sogenannten Doppel-Ponni mit, welcher zur Zeit überzählig in seinem Stalle stand. Es war ein kleines, aber starkknochiges, ausdauerndes Tier, zum Jagd- und Lastpferd wie geschaffen.
Als Moor nach dem Preise fragte, meinte Freund Lietz: »werd's zu dem andern auf eure Rechnung setzen, die wir später bei Gelegenheit austauschen werden.«
Man trennte sich in herzlichster Weise.
Es fand sich, daß Johann und Eduard daheim bessere Geschäfte gemacht hatten als Heinz Moor bei seinen gefährlichen Unternehmungen. Sie hatten einen aus Kanada versprengten Elk (Elentier) erlegt, zerstückt, eingesalzen und in den Rauch gehängt. An Lebensmitteln fehlte es ihnen also vorläufig nicht.
So konnten sie sich denn bei dem frostfreien Wetter ganz der Landwirtschaft widmen.
Mit Hilfe seiner Gesellen stellte Moor in kurzer Zeit einen recht urwüchsigen Pflug her, ohne ein Lot Eisen dabei verwendet zu haben.
Der Ponni, den sie Puck nannten, ließ sich gutwillig einspannen, um den fetten Moorboden für die Maisaussaat damit aufzureißen. Auf die Gemüsebeete brachten sie den vorhandenen Dünger, und gruben sie dann mit dem Spaten tief um.
Als die Auswanderer seinerzeit Deutschland verließen, machte die neue Lehre von der »Fruchtfolge« viel Aufsehen unter den Landleuten. Moor hatte dafür eine eigene Erklärung gefunden, welche er jetzt auch seinen Genossen annehmbar zu machen suchte. – »Es läßt sich ganz gut denken«, meinte er, »daß nicht alle Pflanzen denselben Nährstoff zu ihrem Gedeihen nötig haben. Was die einen notwendig brauchen, lassen die andern unbenutzt im Boden. So ist denn Fruchtwechsel ein großer Vorteil für den Landwirt, besonders, wenn es ihm an genügender Düngung fehlt, und der Acker lange nicht geruht hat. Wir unsererseits sind jedoch noch nicht genötigt, Versuche darüber anzustellen, welche Fruchtfolge die zweckmäßigste ist, denn wir haben urkräftigen unverbrauchten Waldboden zur Verfügung. – Aber umackern müssen wir ihn doch so bald als möglich, damit die Luft die Scholle zu durchdringen vermag. Schließlich können wir dann hineinpflanzen oder säen, was uns paßt.« –
Noch waren sie mit den Vorbereitungen zur Frühjahrssaat nicht fertig, als eines Tages ganz unerwartet Cäsar mit einem Karren ankam, in welchem verschiedene Sämereien, frisch aus Europa angekommen, verpackt waren. Darunter befand sich auch ein Sack mit deutschem Sommerroggen, sowie einige Metzen Kartoffeln, mehrere Obstbäume, Blumenzwiebeln und 3 Rosenstöcke.
»Einen schönen Gruß von Master Lietz.«
»Das können wir ja nie wieder gut machen.«
»Der Master wird sich schon mit ihnen berechnen«, meinte der Neger.
»Wenn jeder Auswanderer einen solchen Freund zur Seite hätte! – Aber freilich, dann blieben wohl wenige zu Hause. – Mächte nur wissen, womit wir's verdient haben, daß der liebe Herrgott uns so begnadigt vor den vielen Tausenden unserer Landsleute, die ohne Hilfe jämmerlich zu Grunde gehen.«
Da schon in der zweiten Hälfte des Februar trockne, milde Witterung eintrat, wurde das Ackern, Säen und Pflanzen fleißig fortgesetzt. Auch ein Zaun wurde hergestellt aus Reisiggeflecht nach deutscher Art zum Schutz gegen das Wild. Um alle diese Arbeiten ordentlich und gründlich zu bewältigen, mußten sie von früh bis spät fleißig sein, wenn sie im März die Zuckerernte nicht versäumen wollten.
Der Zucker der Nordstaaten der Union wird allerdings nicht aus Zuckerrohr gewonnen. Das gedeiht nur im Süden. Dagegen wächst hier der Zuckerahorn wild. Dieser wird gewöhnlich im März angezapft. Das geschieht so. Man bohrt in die kräftigsten Stämme 2 bis 4 Löcher bis auf den Splint. In die Löcher steckt man Röhren. Der reichlich herausfließende süße Saft wird in Wannen, Fässern und Schüsseln aufgefangen, gesiebt und eingekocht, bis er dickflüssig geworden ist. Dann gießt man ihn in Pfannen, wo er erkaltet und kristallisiert. Ein einziger Baum kann 5 bis 20 Pfund Zucker liefern. Dieser ist zwar an Gehalt und Farbe unserm raffinierten Zucker nicht gleich, doch genügt er den amerikanischen Farmern zum Süßmachen ihrer Speisen. Wichtig ist, daß man die Bohrlöcher, sobald der Fluß nachläßt, durch Keile aus weichem Holz wieder schließt, damit der Baum sich nicht verblutet.
Im Waldgebiet von Moors Farm fanden sich nur einige Dutzend dieser Süßigkeitsspender, deren Ertrag grade genügte, um den Hausbedarf zu decken und noch einen vollen Karren an die Lietz-Farm abzugeben. Da die 3 Deutschen mit dieser Art der Zuckergewinnung durchaus unbekannt waren, hatte Frau Lietz ihnen auf 14 Tage ihre Mara abgetreten, die in allen Zweigen der Haushaltung erfahren war. Sie hatte den Cäsar bei einem neuen Warentransport begleitet und ließ sich nun auch die Pflege und Ordnung von Küche und Keller angelegen sein. Was sie hier in wenig Stunden schuf, gefiel den dreien so wohl, daß sie die treue Negerin ungern scheiden sahen.
Von da ab fingen die drei Wildschützen an, ihrem Hauswesen mehr Sorgfalt zu widmen. Sie hatten empfunden, wie gut es tut, wenn die Wirtschaft gut versorgt ist.
Um die Mitte des März waren alle Feld- und Gartenarbeiten so weit vorgeschritten, daß sie wieder an einen ausgedehnten Jagdzug denken konnten.
Durch den Besitz des braven Puck wurde es ihnen möglich, die Jagd zu einem Geschäft zu machen, denn was sie auf ihren Schultern aus weiter Ferne heimzutragen vermocht hatten, das diente höchstens zu ihrem Lebensunterhalt. Sie aber wollten nicht nur leben, sie wollten sich emporarbeiten, um einst dazustehen wie Master Lietz, ihr Freund und Gönner.
Weil sie mit voller Ladung heimzukehren hofften, nahmen sie als Gepäck nur das Notwendigste mit, ihre Waffen; Decken und Kochgefäße, sowie etwas Lebensmittel.
In Chikago hatte Heinz Moor sich eine für kostbare Pelztiere berechnete Biberbüchse gekauft, von der er sich viel versprach. Die Öffnung des Laufes war so enge, daß nur Kugeln von der Größe eines Kirschkernes hineinpaßten, weshalb der Waffenhändler auch eine entsprechende Kugelform mit in den Kauf gegeben hatte. Gewöhnliche Büchsenkugeln pflegen große Löcher in den Pelz zu reißen und dadurch den Wert von kleinen, zarten Fellen zu beeinträchtigen.
Am Morgen des 20. März brachen sie auf, Moor mit Johannes und Puck, Eduard sollte das Haus hüten.
Diesmal schlugen sie eine nördliche Richtung ein, denn ihr Ziel war das Quellengebiet des Mississippi.
Ohne Führer, ohne gebahnte Wege und Stege die Wildnis zu durchdringen, war immerhin ein gewagtes Unternehmen. Doch wer wagt nicht gern! Und Angsthasen waren die Wildschützen wahrlich nicht.
Tollkühn und unbesonnen war schließlich ihr Unternehmen auch nicht zu nennen, denn Moor besaß außer seinem Kompaß noch eine genaue Karte des Landes, auf welcher jedes Gebäude, jeder betretene Pfad verzeichnet stand. Mit Hilfe dieser beiden Ratgeber hofften sie durchzukommen.
Am 12. Tage ihres Marsches überschritten sie auf einer festen Brücke bei St. Paul den Mississippi. Hier gönnten sie sich einige Ruhetage im Gasthof »Zum Deutschen Hause«, dessen Wirt sich ihnen als Landsmann zu erkennen gab.
Während dieser Zeit machten sie die Bekanntschaft eines schottischen Pelzhändlers, Namens Mac Donald, welcher mit mehreren Pferden und Knechten kurz vor ihnen eingetroffen war, um im Westen mit Trappern und Fallenstellern Geschäfte zu machen. Dieser hatte, um Zeit und Mühe zu sparen, mit dem Wirt des »Deutschen Hauses« das Übereinkommen getroffen, bei ihm eine Sammelstelle für frische Rauchwaren einrichten zu können.
In der Tat fand er bereits ganz ansehnliche Vorräte vor. Doch erwartete er noch die Ankunft weiterer Kunden. Lag doch manchem armen Trapper daran, mit ihm zu verhandeln, um ohne Zwischenhändler höhere Preise zu erzielen.
Beim gemeinschaftlichen Frühstück äußerte Moor seine Verwunderung darüber, daß er in den 10 Monaten im Westen der vereinigten Staaten Nordamerikas noch keinen Indianer zu Gesicht bekommen habe.
»Da habt ihr ein merkwürdiges Glück gehabt«, antwortete der Schotte, »denn viel Gutes werdet ihr von den Rothäuten nicht zu erwarten haben. Wenn euch aber darum zu tun ist, ihre Bekanntschaft zu machen, so werdet ihr bald Gelegenheit dazu finden. Einer von meinen besten Lieferanten, ein Tschippewä-Indianer steht noch aus und dürfte wohl heute oder morgen eintreffen. Doch schließt nicht von diesem einen auf alle. Die Tschippewä, welche sich aus Kanada zu uns herübergezogen haben, sind mir fast noch lieber als die Pahnis und selbst die Delawaren. Schade, daß sie sich gar so leidenschaftlich dem Genusse des Feuerwassers ergeben haben. – Mein Mann, den ich erwarte, freilich macht eine rühmliche Ausnahme. – Aber da haben wir's«, fuhr er, durchs Fenster schauend, fort, »wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit.«
Unmittelbar darauf erblickte man eine hohe Gestalt, die sich dem Blockhause nähert. Der Mann war schwer beladen und führte am Halfter einen Mustang, der ebenfalls voll bepackt war.
Schnell waren Donalds Knechte bei der Hand, um die Lastträger ihrer Bürde zu entledigen. Auch der Schotte eilte auf den Hof, verfügte die Unterbringung der angekommenen Felle und führte schließlich den Indianer ins Gastzimmer, wo er ihn Moor vorstellte. »Da seht ihr nun einen echten Vollblut-Indianer, Lupetü, den Wolfstöter. Er verdankt seinen Namen einem Isegrim, welchen er in seinem fünfzehnten Lebensjahr mit bloßen Händen erwürgt hat. – Er ist ein treuer Freund der Weißen und der glücklichste Trapper unseres Gebietes.«
Die beiden Fremden sahen einander offen und fest in die Augen, bevor sie sich die Hände zum Gruße reichten. –
Der Tschippewä war mittelgroß, dabei aber sehr schlank und sehnig, mit einem ovalen, edlen Gesicht. Die Hautfarbe war kupferrot. Sein langes, weiches Schwarzhaar war zu einem Büschel zusammengebunden. Anstatt des Federschmuckes hing ein Wolfschwanz daran bis in den Nacken. Seine Kleidung war die der nordamerikanischen Indianer, lange, an der Außenseite befranste, bis auf die Mokassins reichende Beinkleider und eine um Schultern und Brust geschlagne wollne Decke. Im Gürtel steckten Beil und Messer; in der Linken trug er die Flinte.
Da die Staaten an den großen Seen der Union vorzugsweise von deutschen Kolonisten bevölkert waren, so herrschte dort auf dem Lande die deutsche Sprache vor, und auch diejenigen Indianerstämme, welche mit ihnen in Verbindung standen, sprachen mehr oder weniger gut deutsch, so auch der Wolfstöter.
»Mein weißer Bruder«, hob er an, »ist über das große Wasser gekommen, um auf unsern Jagdgründen zu jagen. Lupetü Heißt ihn willkommen und erbietet sich ihm als Führer, wenn er seine Dienste annehmen will.«
Heinz Moor hatte sofort Vertrauen zu dem ehrlichen Indianer, und er antwortete: »Ich sage dem Wolfstöter Dank und reiche ihm die Hand als Freund.«
Um die neue Bekanntschaft zu pflegen, verlängerte Moor den Aufenthalt im »Deutschen Haus« noch um einen Tag.
Während dieser Zeit lernte er auch die Art und Weise kennen, in welcher der Pelzhandel im fernen Westen betrieben wurde. Der Käufer zahlte den größten Teil des Kaufgeldes in Naturalien, Pulver, Blei, Tabak, Feuerwasser, wollenen Decken, Messern, Nägeln und dergl., den Rest in Dollar und Igel (10 Dollarstück).
Als Moor Bedenken äußerte, ihm würde ein solcher Tauschhandel nicht passen, lachte der Schotte ihm ins Gesicht. »Das gilt natürlich nur von Gegenden, wo den Trappern und Jägern jede Gelegenheit, Einkäufe zu machen, fehlt. Ich ziehe es stets vor, meinen Kunden ihre Felle gegen blankes Geld abzunehmen, da der Warentransport auf ungebahnten Wegen ebenso kostspielig als beschwerlich ist.«
Die gebotenen Preise fand Moor sehr annehmbar, und so durfte er denn darauf rechnen, in Herrn Mac Donald einen sicheren Abnehmer für seine Jagdbeute gewonnen zu haben.
»Acht Tage bleibe ich noch hier«, sagte der Pelzhändler, »könnt ihr mir unterdessen eine Ladung tadelloser Felle liefern, so will ich sie euch extra gut bezahlen, um euch Mut zu machen.«
Ehe sie aufbrachen, wurde Heinz durch den Wirt von den Schicksalen des Wolftöters unterrichtet.
»Von Natur sind unsre Indianer schweigsam. Auch mit Lupetü habe ich lange verkehrt, bevor er mir das anvertraute, was ich euch kurz mitteilen möchte, damit ihr wißt, mit wem ihr es zu tun habt. Er ist der Sohn eines Häuptlings und zeichnete sich gleich seinem Vater schon früh durch Kraft, Mut und Gewandtheit aus. Von einem Kriegszuge gegen die feindlichen Siwerer kehrte er mit 7 Skalpen zurück. Obwohl noch nicht mal 20 Jahre alt, wurde er für diese Heldentat unter die Krieger seines Stammes aufgenommen.
Trotzdem wurde er nach dem Tode seines Vaters nicht zum Oberhaupts der Tschippewä gewählt. Das verdroß den ehrgeizigen Jüngling in dem Maße, daß er die Seinen verließ und sich als Einsiedler in das Waldgebirge zurückzog, welches die Ufer des oberen Minnesota bildet. Dort schuf er sich in einer Felsenhöhle eine vorläufige Wohnung und nährte sich vom Ertrage seiner Jagd. Auf einem seiner Streifzüge rettete er ein weißes Mädchen aus den Flammen einer Farm, welche die Mingos ausgeplündert und dann angesteckt hatten. – Die junge Deutsche wußte keine andere Zuflucht als die Höhle ihres Beschützers und willigte ein, seine Skau, d. i. seine Gattin zu werden. Das ist vor 20 Jahren geschehen. – Zeit der Zeit hat sich der Wolftöter ein hübsches Häuschen, halb nach europäischer, halb nach indianischer Art erbaut, in welchem er mit seiner zahlreichen Familie hinreichend Platz hat. Mit seiner Büchse, die er meisterhaft zu gebrauchen weiß, vorzugsweise aber durch seine Geschicklichkeit im Fallenstellen erwirbt er genug, um mit den Seinen gut leben zu können. Überdies versteht er den Lasso zu gebrauchen, wie kein zweiter im Lande und weiß die eingefangenen Mustangs zu zähmen, daß es eine Lust ist, seinen Marstall zu sehen. Von weit und breit kaufen die Farmer von Lupetü ihre Pferde. Im übrigen ist sein Charakter ehrenhaft, daß ihr ihm vertrauen könnt wie eurem leiblichen Bruder.«
Das genügte Moor, um sich der Führung des Indianers bedingungslos anzuvertrauen.
Bevor die kleine Gesellschaft aufbrach, hatte Lupetü die kurze, aus rotem Marmor geschnitzte Pfeife aus dem Munde genommen, sie Heinz gereicht und dabei gesagt: »Ihr seid die Landsleute meines Weibes und darum meine Brüder.« Auch Johannes mußte einige Züge aus der Friedenspfeife tun.
Der Wolftöter hatte am nächsten Morgen das Gepäck der Deutschen kunstgerecht hinter dem Sattelsitz beider Pferde befestigt und dann Johannes bedeutet, seinen Mustang zu besteigen. Alle Gegenreden der Weißen schlug er nieder mit der Behauptung, »Lupetüs Füße schneller als beladenes Roß.«
So lief er denn bald zwischen den beiden Pferden, bald ihnen voraus, um einen gangbaren Pfad für die Reiter zu erspähen.
Es lag nämlich in seiner Absicht, den Jagdeifer seiner Freunde bald zu befriedigen. Darum führte er sie zunächst ohne Weg und Steg in grader Linie nach den nördlichen Seen, welche ihre Wasser dem Mississippi zuführen.
Schon am Abend des nächsten Tages erreichten sie ihr Ziel, das Quellengebiet des Mississippi.
Durch düstre Waldungen mit dichtem Unterholz rieselten, murmelten und brausten die Quellwasser. wilde Bäche, reißende Wasserschnellen überall.
Da es in Lupetüs Absicht lag, hier länger zu verweilen, erbauten die Jäger eine Jagdhütte. In wenigen Stunden war sie vollendet und bot, obwohl sie nur aus Zweigen und Ästen errichtet war, genügenden Schutz gegen die rauhe Witterung.
Schon am nächsten Morgen begann der Indianer mit seinen Anweisungen. Es galt den Bibern des Quellgebietes.
Zunächst machte er seine Gefährten auf die »Burgen« dieser Pelztiere aufmerksam. Diese ähneln in ihrer Form afrikanischen Negerhütten und werden von alten Tieren hart am Uferrande aus Ästen, jungen Stämmen, Steinen und feuchter Erde erbaut, haben meist eine Höhe von 2½ m und einen Durchmesser von 10 m.
Oft hausen mehrere Familien in einer solchen Hütte. Darnach richtet sich denn auch die Größe des Gebäudes.
Gegen Mittag gelang es dem Indianer, seinen Freunden einen alten Biber zu zeigen, der am Ufer lag und sich sonnte. Er war etwas über 1 m lang. Sein kastanienbraunes Haar glänzte. Bisweilen bewegte er sich und putzte sich mit einer Vorderpfote die Schnauze. Lupetü stieß Heinz mit dem Ellbogen an und gab ihm mit den Augen ein Zeichen, seinen Probeschuß zu tun. Zögernd erhob dieser die kleine Büchse, zielte gegen seine Gewohnheit sorgfältig und drückte ab. Alsbald kollerte der durch beide Augen Geschossene ins Wasser.
»Guter Schutz – Meisterschuß!« rief überrascht der Indianer. »Das Fell ist so mindestens zwei Schilling mehr wert.«
»Und man erspart dem armen Geschöpf eine lange Todesqual. Daß ihm das Ernst sei, erkannte Lupetü bald, denn er sah, daß der deutsche Wildschütz einen Biber lieber entschlüpfen ließ, ehe er sich entschloß, ihm ein Loch in den Pelz zu brennen.
Nun begann die Jagd. Lupetü hatte den Fremdlingen die Grenzen ihres Jagdgebietes genau bezeichnet. Er selbst stellte seine Fallen, die er in hohlen Bäumen versteckt gehalten hatte, außerhalb dieser Grenzen auf.
Die Jahreszeit war für ihr Unternehmen günstig; denn der noch nicht beendete Eisgang des Flusses verleidete den Bibern den Aufenthalt im Wasser. Häufiger als je hielten sie sich am Lande auf, emsig beschäftigt, mit ihren scharfen Nagezähnen die Ringe junger Schößlinge abzuschälen oder Baumstämme bis zur Stärke eines Mannes für ihren Dammbau zu fällen. Das geschah mit bewunderungswerter Überlegung. Sie fällten nur Bäume, die am äußersten Rande des Ufers standen und zwar so, daß sie unmittelbar in den Fluß stürzen mußten. Mit Rücksicht auf den Eisgang und den hohen Wasserstand hüteten sie sich, die Stämme schon jetzt zu Fall zu bringen. Nur etwa bis zur Hälfte kerbten sie sie ein, um sie bei niedrigstem Wasserstand völlig zu fällen. »Dann«, erzählte der Tschippewä-Indianer, »pflegen sie sich rittlings auf die Stämme zu setzen, und mit den Beinen rudernd das Holz nach der erwählten Baustelle zu flößen.«
Während nun die beiden Jäger innerhalb des ihnen angewiesenen Raumes vorzugsweise ihr Augenmerk auf die im Flusse schiffenden und am Ufer arbeitenden Biber richteten, stellte der Indianer seine Fallen vor dem Wassertor der bewohnten Baue auf. Um zu erkennen, ob ein Bau bewohnt ist oder nicht, dazu gehört viel Erfahrung und ein lang geübter Scharfblick, den sich selbst Moor erst nach Jahren erwarb.
Vorläufig hatte er jedoch alle Ursache, mit dem Erfolge seiner Jagd zufrieden zu sein. Nur bedauerte er, daß er nicht auch für Johannes eine Biberflinte gekauft hatte. Dieser hing mit eigensinniger Hartnäckigkeit an seiner mitgebrachten großkalibrigen Büchse und zerstörte damit viele von den kostbaren Biberfellen. Das Fleisch der erlegten und entbalgten Tiere überließen sie den Geiern, Wölfen und Füchsen, da es einen tranigen Geschmack hatte, und sie außerdem genug Wild für ihren Lebensunterhalt erlegten.
In den fünf Jagdtagen hatte der Indianer 28 Biberfelle erbeutet, während die Jäger 42 Biberbälge und drei Waschbärenfelle erjagt hatten. Die Zubereitung der Felle für den Transport lernten sie von Lupetü.
Zeitig genug langten sie in der Herberge zu St. Paul an. Herr Mac Donald hielt sein Versprechen, indem er für die saubere Ware den höchsten Preis zahlte. Das war für die Deutschen ein schönes Handgeld, und sie deuteten den Erfolg als eine günstige Vorbedeutung für ihre weitere Zukunft.
Froh über den Erfolg gönnten sie sich einen Ruhetag im »Deutschen Hause«. Sie benutzten ihn, um mit Herrn Mac Donald weitere Verabredungen zu treffen.
Dann brachen sie wieder auf. Man wollte diesmal in der Gegend von Lupetüs Wigwam jagen und zunächst diesem einen Besuch abstatten.
Der Wolftöter führte seine Freunde abermals durch düstere Wälder, diesmal allerdings in südwestlicher Richtung. Am zweiten Reisetage erlegte Johannes einen starkgeweihten Elk mit einem glatten Schuß auf das Blatt. Das mächtige Tier wurde zerlegt und jede Hälfte einem der Pferde aufgepackt. Da nun auch die beiden Deutschen den Sattel räumen mußten, gelangte die Gesellschaft erst am Abend des dritten Tages im Heim des roten Mannes an.
Der herzliche Empfang, der nicht allein dem Herrn des Hauses, sondern auch den mitgebrachten Gästen zuteil wurde, war rührend und ein Beweis von dem gemütvollen Familienleben des indianischen Hauses.
Der Hausfrau konnte man die Freude über den Besuch von dem lieben, ehrlichen Gesicht ablesen. In der Fremde wirkt das Bewußtsein der Landsmannschaft mächtiger als daheim, wieviel gab's da zu fragen und zu erzählen! Und nun vollends die Kinder! Obwohl sie nur selten fremde Gesichter zu sehen bekamen, zeigten sie sich keineswegs scheu. Die Männer redeten die Sprache ihrer Mutter und schienen ihnen alte, vertraute Bekannte zu sein. Es waren ihrer fünf, 3 Knaben und 2 Mädchen. Die älteste bereits 16, das jüngste etwa 5 Jahre alt.
Die Jungen hatten in Gestalt und Tracht etwas Indianisches an sich, die Mädchen hingegen schienen der Mutter Ebenbild zu werden.
Ada, die Erstgeborene, durfte bereits mit der Mutter die Bewirtung der Gäste besorgen. Man sah's ihr an den Augen an, wie glücklich sie das machte.
Erstaunlich war, welcher Luxus im Hause, das doch mitten in der Wildnis lag, zu finden war. In der guten Stube der Frau Edith waren Tapeten an den Wänden. Über den Fußboden waren Matten gebreitet. In der Ecke stand ein deutscher Kachelofen. Tische und Stühle aus poliertem Schwarzwalnußholz standen ringsum, ja sogar Porzellangeschirr gab's zum Kaffee. Auf dem Tische lag ein blendend weißes Tafeltuch.
Auch die Gerichte waren echt deutsch. Es gab Milchsuppe, Erbsen, Bratwurst mit Sauerkraut, Backobst mit Klößen, ja sogar Schwarzbrot aus Roggenmehl, ganz richtig im Backofen gebacken. –
Der Zauberer, welcher das alles aus dem Ärmel geschüttelt hatte, war Mac Donald, der Pelzhändler. Er war ein Tausendsassa! – Für seltenes und tadelloses Pelzwerk schaffte er alles Mögliche herbei.
Lupetü hatte sich in diese Umgebung gar sehr bald hineingefunden, wie Donald später einmal erzählte. Er wußte die Annehmlichkeiten seiner Häuslichkeit und ihren Schmuck wohl zu schätzen.
In den alltäglichen Wohn- und Schlafräumen des Hauses sah es dagegen noch recht indianisch aus. Anstatt der Betten gab's Felle von Wolf und Bär nebst wollenen Decken, an Stelle blinkender Möbel selbstgefertigte Geräte aus Tannenholz, an den nackten Holzwänden Pflöcke und Regale zum Anhängen und Aufbewahren von Kleidungsstücken, Geräten und Waffen. Nur die Küche besaß außer blankgeputztem Kupfergeschirr einen Koch- und Bratofen, den Lupetü eigenhändig aufgebaut hatte.
Das Interessanteste der ganzen Besitzung waren jedoch die Ställe des Indianers. Sie umgaben den weiten sauberen Hofraum und boten Raum für 30-40 Pferde, 4 Kühe mit ihren Kälbern, für Schweine, Ziegen, Tauben und Hühner.
Die Deutschen hatten hier viel zu bewundern und zu lernen, doch vor allem zog sie die Pferdezucht ihres roten Freundes an. Da standen sie in stattlicher Zahl: Rappen, Braune, Füchse, Schimmel und selbst Schecken, alles prächtige, wohlgenährte Tiere. In der Freiheit waren sie abgehärtet und erstarkt, aber auch verwildert, und dann waren sie eingefangen und gezähmt.
Heinz Moor hatte als Knabe von allen Kraftübungen der Jugend das Reiten am begehrenswertesten gefunden. Auf dem Rücken eines ungesattelten Bauerngaules über die Elbwiesen jagen zu dürfen, galt ihm als höchste Lust. – Bei dem Anblick der prächtigen Präriepferde erwachte in ihm die Lust der Knabenjahre.
Sein Wirt sah es mit Wohlgefallen und sprach: »Findet mein weißer Bruder Vergnügen an dem Anblick der Mustangs und verlangt sein Herz nach ihrem Besitz, so will ich ihm zeigen, wo sie zu finden sind, wie sie zu fangen und brauchbar zu machen sind für den Dienst des Menschen«.
Moor sah ihn verwundert an. Der Tschippewä aber fuhr fort: »Ich weiß eine kleine, versteckte Waldwiese, rings von Felsen umschlossen. Zu ihr führen nur zwei gangbare Pässe, und im April und Mai ziehen sich dahin ganze Herden wilder Pferde. Der Platz liegt deiner Wohnung näher, als der meinen. – Will mein Bruder mich dorthin begleiten?«
Heinz war sofort begeistert. – Das war etwas für ihn! Etwas nie Erlebtes. – Freudig sagte er zu. – Man verabredete nun sofort einen gemeinschaftlichen Ausflug; für Ende April. Der Indianer wollte um diese Zeit seinen weißen Bruder zur Jagd auf die Mustang abholen.
Während der wenigen Tage ihres Zusammenlebens hatte sich inzwischen den beiden Männern trotz der Verschiedenheit ihres Alters eine auf gegenseitige Wertschätzung gegründete Freundschaft entsponnen, und Moor wurde der Abschied von dem treuen, offenen Menschen nicht leicht.
Auf dem Heimwege übereilten sie sich nicht sonderlich, gönnten sich sogar kleine Abschweifungen von der geraden Linie, in welcher sie gekommen waren, um den Pony nicht ganz leer gehen zu lassen. Sie waren so glücklich, reiche Beute zu machen, gleichsam als Belohnung für die getreuen Wächter des Hauses. Schwerbeladen mit allerlei Geflügel, einem Rehbock und mehrere Präriehasen kehrten sie heim. Puck hatte sein Futter verdient.
Eduard fanden sie wider Erwarten bei guter Laune. Er hatte die Farm nicht verlassen und trotzdem die Bekanntschaft eines deutschen Farmers gemacht, dessen Besitzung kaum 4 deutsche Meilen von ihrer Farm entfernt war, der also ihr Nachbar war. Auf einem Ausfluge nach dem Felsengebirge hatte er mit einem halberwachsenen Sohne bei ihm übernachtet. Da man ihn für den Hausherrn gehalten und seine Bewirtung gelobt hatte, so fühlte sich Herr Ede sehr geschmeichelt. Moor gönnte ihm die Freude, und das um so mehr, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Eduard fleißig gewesen war.
Moor sah ein, daß seine Gefährten und namentlich Eduard vom Ackerbau mehr verstanden als er. Und da es ihnen augenscheinlich Vergnügen machte, praktisch das auszuführen, was sie auf der Lietz-Farm gesehen hatten, überließ er ihnen gerne die Feldarbeit.
Er selbst streifte unterdessen bald allein, bald von Barry begleitet, in den benachbarten Wäldern umher. – Früh vor Sonnenaufgang zog er aus, spät am Abend kehrte er schwer beladen mit den Häuten erlegter Pelztiere heim.
Die Gegend zeigte sich besonders reich an wilden Katzen, Waschbären und grauen Eichhörnchen, deren Pelz zur Zeit in Europa teuer bezahlt wurde. Um Wildbret für die Küche kümmerte er sich weniger. Mochte Johannes sich ein Vergnügen daraus machen, ein Dutzend Tauben, die scharenweise die Saatfelder beflogen, zusammenzuschießen! – wenn Moor dann zum Abendbrot eine warme Suppe oder einen frischen Braten vorfand, behagte ihm das außerordentlich. Hatte er sich doch den ganzen Tag über mit kalter Küche behelfen müssen. Seiner unermüdlichen Tätigkeit gelang es denn auch wirklich, noch im Laufe des Monats April eine volle Ladung von Fellen zusammenzubringen. Ihr Transport nach St. Paul wollte er diesmal seinen Kameraden anvertrauen, um seinerseits die Ankunft des angemeldeten Gastes nicht zu verpassen.
Johannes getraute sich mit Hilfe des Kompasses die Führung zu übernehmen. Puck sollte als Packpferd dienen.
So begaben sich denn die drei, Puck als Hauptperson eingerechnet, auf die Reise mit der Weisung, unterwegs sich nicht länger aufzuhalten, als durchaus nötig wäre. – wollte während ihrer Abwesenheit Master Heinz, wie Ede und Hans ihren Chef immer nannten, die Farm nicht unbeaufsichtigt lassen, so mußte er schon für einige Zeit seine Leidenschaft für die Jagd bezähmen.
Vollständig müßig zu gehen, war Moor aber unmöglich. Darum simulierte und kalkulierte er, wie die Deutschamerikaner zu sagen pflegen, so lange, bis er zu dem Schluß kam, daß für ihn als Hinterwäldler eine Taube keinen Schuß Pulver wert sei. Eine Schrotflinte sich extra kommen zu lassen und mit Schrot unter den Schwarm zu knallen, hätte zu schmählich gegen seine Jägerehre verstoßen. Und doch schien es ihm höchst wünschenswert, diese Bettler- und Räuberbande, deren Gefräßigkeit die ganze Ernte schon im Keim zu vernichten drohte, in Schrecken und Schranken zu halten. – Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. – Besaß er nicht unter seinen Vorräten ungebrauchte Netze? – Richtig! – Eine Handarbeit Lulus, die ihm Freund Lietz zum Forellenfang neulich mitgesandt hatte. Sollte er denn das Tischlerhandwerk umsonst erlernt haben? – An Holzvorräten fehlte es nicht, eben so wenig an dem nötigen Werkzeug, also! flugs machte er sich ans Werk. – Fallnetze sollten es werden und wurden es auch, Fallnetze, mit denen man einige Dutzend der unverschämten Näscher auf einen Schlag fangen konnte. – Als Hans und Ede mit einem von Dollars strotzenden Beutel aus St. Paul zurückkehrten, da bereitete ihnen die vollendete Arbeit ihres Meisters eine angenehme Überraschung.
Wenig Tage später traf der erwartete Besuch ein. Der Wolftöter kam mit seinem ältesten Sohne Wulf und einem gezäumten und gesattelten Handpferde.
Der kaum 15-jährige Knabe tummelte seinen Fuchs so geschickt und sicher wie ein Alter. Er trug wie sein Vater ein hirschledernes Jagdhemd und die weiten, mit Fransen besetzten Beinkleider nebst kunstvoll gearbeiteten Mokassin. Es war nicht das erste Mal, daß Lupetü es seinem Sohne gestattete, an einem Jagdzuge teilzunehmen.
Die Gäste gönnten sich aus Rücksicht für ihre Rosse einen Ruhetag, den sie dazu benutzten, Haus und Hof zu besichtigen und die Grenzen von der Besitzung zu umschreiten. Dann aber drängte Lupetü zum Aufbruch.
Das mitgebrachte Handpferd war für Johannes bestimmt und deshalb auch nach deutscher Art aufgezäumt. Dem guten Ede fiel also wiederum das Amt eines Haushüters zu.
Mit allem Nötigen versehen, ritten die vier nun, ohne fürs erste von ihren Flinten Gebrauch zu machen, gemächlich in westlicher Richtung davon, zwei Tage lang durch das Gebiet von Nebraska. – Das letzte Nachtlager hatten sie auf dem Gipfel eines bewaldeten Hügels aufgeschlagen. Lupetü war mit der Gegend vertraut. Das merkte man an jeder Anordnung, die er gab. Früh weckte er seine Gefährten, als eben die Sonne am östlichen Horizont aufstieg. Prachtvoll erglänzte unter ihren Strahlen die Welt. Die Reisenden standen und sahen, wie die Nebel wogten und wallten und endlich zerstoben. Der Indianer sah lächelnd die Überraschung der Deutschen. Dann sprach er zu Moor:
»Schau hin! – was siehst du unter uns?« Sie standen am Randes eines waldumschlossenen Talkessels.
Heinz blickte scharf hinab. »Dunkle Punkte siehe ich, die sich hin und her bewegen.«
»Nimm dein Rohr zur Hand.«
Moor zog sein kurzes Fernglas aus der Tasche und sah hinab, plötzlich rief er jubelnd: »Pferde! – Zehn, fünfzehn, zwanzig Stück! – wenn nicht mehr!« –
Auch die andern sahen es mit Staunen.
»Und nun sollen meine Brüder hören und befolgen, was der Wolftöter ihnen sagen wird. – vorläufig müßt ihr drei euch damit begnügen, mir die kleine Herde zuzutreiben. Zuvor will ich im Schutze des Unterholzes am Saum des Kessels mich heranschleichen bis zu der düstern Schlucht, die ihr drüben seht. Dort werde ich Aufstellung nehmen. Sobald von dort ein Eulenruf zu euch herüber tönt, beginnt ihr den mühsamen, aber nicht gefährlichen Abstieg und treibt mir mit Ho – Hallo! – die aufgescheuchten Tiere zu. Was dann geschieht, werdet ihr sehen. Wulf bleibt bei euch.« – Alle fügten sich ohne Widerrede seiner Anordnung.
Lupetü führte sein Roß am Zügel durch das Gestrüpp. Die Andern ließen ihre gefesselten Gäule weiter grasen.
So verging wohl eine halbe Stunde, bevor der verabredete Ruf ertönte.
Darauf brachen sie geräuschvoll durchs Dickicht und stürzten sich in ausgebreiteter Linie auf die friedlich weidenden Tiere. – Diese hoben erstaunt die Köpfe, äugten, machten Kehrt und galoppierten mit hochgetragenem Schweif in entgegengesetzter Richtung davon. Die Führung hatte ein prächtiger, schneeweißer Hengst genommen. In wenigen Augenblicken war er am Eingang zur Schlucht.
Dann aber stutzte er plötzlich und stürmte, seitwärts abliegend davon. Doch auf der Ferse folgte ihm Lupetü auf »Windsbraut«, dem besten Renner seines Stalles. – Hoch in der Rechten hielt er den locker zusammengerafften Lasso, dessen Kugel seinen Kopf umkreiste. – Immer näher rückte er dem flüchtigen Schimmel, bis er mit sicherem Auge und fester Hand den Lasso schleuderte, der im Fluge des Rosses Hinterbeine umschlang. In demselben Augenblicke stemmte Windsbraut, dem Zügel ihres Herrn gehorsam, beide Vorderbeine fest in den Boden. Roß und Reiter erbebten von dem furchtbaren Stoß, der nun folgte. Dem Reiter wäre der Lasso unfehlbar aus der Hand gerissen worden, wenn nicht sein Ende fest um den Sattelknopf geknotet gewesen wäre. Windsbraut aber war kein Neuling in dieser Art wilder Jagd. Standhaft behauptete sie ihren Platz, während der Flüchtling dröhnend niederstürzte. – Nun sprang der Indianer ab, um sich dem Gefangenen zu nähern, die Leine fortwährend stramm anziehend. Der Hengst lag auf der Seite und schlug mit den freien Vorder- und den gefesselten Hinterbeinen wütend um sich, wodurch er den Riemen nur noch fester zog.
Unterdessen hatten sich Johannes und Wulf dem Schauplatze genähert.
»Tretet nicht zu dicht heran!« – rief Lupetü ihnen zu. »Dich werde ich bald brauchen, Wulf! Doch warte meinen Ruf ab.«
Sobald sich der Tschippewä überzeugt hatte, daß der Lasso festsitze, trieb er einen starken Pflock in den Roden und befestigte an ihm den Riemen. Dann bemühte er sich, die Vorderfüße in der Schlinge eines weichen Baststrickes zu fangen. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang auch das. Dennoch schien das unbändige Tier durchaus nicht geneigt zu sein, sich in sein Schicksal zu ergeben. – Sobald Wulf sich auf den Wink seines Vaters ihm näherte, schnellte es mit den gebundenen Beinen hoch, hob den Kopf und schnappte nach seinen Feinden.
»Laß ihn nur sich müde zappeln! Er wird schon kirre werden«, meinte gelassen Lupetü.
Unterdessen hatte sich im Tale die ihres Führers beraubte Herde zerstreut. Einzelne suchten und fanden Auswege zwischen den Bergen und Felsen. Andere kletterten wie die Gemsen an dem zerklüfteten Gestein empor. Den bequemen Paß zu betreten, durch welchen sie hineingelangt waren, scheuten sie sich augenscheinlich, wohl aus Furcht vor neuer Gefahr. Bald war die Wiese bis auf eine schwarze Mutterstute mit ihrem Füllen leer.
Auch sie hatte es mehrmals versucht, die Höhe zu gewinnen. Da sie aber stets sah, daß das Füllen ihr nicht zu folgen vermochte, trotz ihres wiehernden Lockrufs, kehrte sie immer wieder ins Tal zurück. Endlich schien die Stute zum Äußersten entschlossen, sie näherte sich dem Paß, von welchem der erste Angriff auf die Herde ausgegangen war. Hier hatte bereits Heinz Moor den Platz des Indianers eingenommen.
Mit Spannung hatte er auf das wilde Schauspiel geblickt. Von den prächtigen Tieren waren bereits einige an ihm vorüber gesaust. Jetzt kam die Rappstute angaloppiert. Mit der Lust sie zu besitzen durchzuckte ihn gleichzeitig die Erinnerung an ein Jägerkunststück, von dem er einst gelesen hatte.
Er riß das Gewehr an die Backe. – Ein Schuß blitzte auf – ein vielfaches Echo klang wie Donner von den Bergen zurück. – Fast gleichzeitig stürzte das edle Roß zusammen. – Das alles geschah, während seine Jagdgenossen auf das Kirrewerden des gefällten Hengstes warteten. –
Heinz näherte sich klopfenden Herzens dem scheinbar völlig leblosen Muttertier, um die Wirkung seines Schusses zu untersuchen. – Sie entsprach ganz seinem Wunsche. Das Tier hatte eine blutende Hautwunde im Nacken, dicht hinter den Ohren. Die Kugel hatte das Fell nur gestreift und dabei doch auf das Gehirn lähmend gewirkt. Kaum hatte Moor sich davon überzeugt, als er sich auch beeilte, weiche, hirschlederne Riemen aus seiner Jagdtasche zu ziehen, um damit die Beine der regungslos daliegenden Stute zu fesseln. – Alsdann wusch er die Hautwunde mit Branntwein aus und bestrich sie, sobald die Blutung nachgelassen hatte, mit Hirschtalg,
Das Füllen hatte, scheu geworden durch den Schuß wie durch das plötzliche Erscheinen eines Menschen, einen Fluchtversuch gemacht, kehrte jedoch zur Mutter zurück, sobald der Schütze sich zurückzog.
Die Stute erwachte bald aus ihrer Betäubung und machte sofort den Versuch sich zu erheben. Noch stand der Wildschütz diesen verzweifelten Anstrengungen des Tieres gegenüber ratlos da, unentschlossen über das, was nun weiter zu tun wäre, als Lupetü zu ihm trat.
»Ich sehe, daß mein weißer Bruder getan hat, was ich zu tun niemals gewagt hätte, weil ich meiner Kugel nicht so sicher bin wie er. Wohl gibt's auch unter den Tschippewärs und Delawaren Jäger, die sich rühmen dürfen, es dir gleich zu tun. Mein weißer Bruder darf stolz sein!« Die Hände beider Freunde schlugen zusammen, »wir müssen nun abwarten, bis die ungebändigten Tiere ihre Kraft erschöpft haben. Ermattet der Widerstand deiner Stute, so laß es mich wissen.«
Damit kehrte er zu seinem Hengste zurück und nahm mit Befriedigung wahr, daß die Bewegungen des Wildlings weniger heftig geworden waren. Nun vermochte er dem Wildfang keinen Kappzaum, eine Art Maulkorb, anzulegen, der ihm das Beißen unmöglich machte. – Dann wurden mit Wulfs Hilfe die Fußfesseln allmählich gelöst und durch neue ersetzt, welche das Schreiten der Beine ermöglichten. – Schließlich mußte das völlig erschöpfte Roß mit menschlicher Hilfe aufgerichtet werden. Dasselbe tat Moor unter Johannes Beistand mit seinem Rappen. Beide Rosse wurden dann einige Minuten auf- und abgeführt. Indessen warnte der Indianer davor, der augenblicklichen Sanftmut der Tiere zu viel zu trauen. »Es wird noch manchen harten Kampf kosten, bevor sie uns dienstbar werden. – Dir will ich denselben bei deiner Unerfahrenheit nicht zumuten. Darum erbiete ich mich, beide Tiere in meine Zucht zu nehmen. In 6 Wochen etwa kannst du dir dann deine Stute mit dem Füllen bei mir abholen. – Allein es wird für den Transport zweier solcher Wildlinge auch zweier kräftiger Männer bedürfen. Darum soll mich Johannes begleiten, während du mit Wulf heimreitest.«
So trennte sich denn die Jagdgesellschaft, wie es Lupetü wünschte.
Längst waren Heinz und Wulf auf der Dreimänner-Farm angelangt, während Lupetü und Johannes noch auf halbem Wege mit den widerstrebenden Tieren sich abmühten. Letzterem war schon jetzt die Pferdejagd dermaßen verleidet, daß er in seiner derben Weise meinte: »Lieber will ich doch mein Leben lang zu Fuß gehen, als mich mit solchen widerspenstigen Biestern abzuquälen.« Dennoch konnte er sich schließlich von den herrlichen Rossen nur schwer trennen. – Die Zeit, welche er in der Wolfsschlucht, so nannte Lupetü scherzweise sein Heim, verlebte, suchte er aufs beste auszunützen, um so viel als möglich von den Künsten zu erlernen, welche die Indianer anwenden, um die Zähmung der wilden Pferde zu vollbringen.
Eduard empfand die Rückkehr des jungen Mestizen Wulf als ein freudiges Ereignis. Sie brachte doch etwas Abwechslung in sein einförmiges und einsames Leben. Obwohl er die Jagd bisher nur wie ein broterwerbendes Handwerk ausgeübt hatte, obwohl er den Haus- und Küchenmädchendienst freiwillig übernommen hatte, so konnte er doch die Lust nach Abenteuern, zu denen ihm der Verkehr mit Indianern verhelfen sollte, nicht völlig unterdrücken. Wie ganz anders hatte er sich das Leben unter den wilden Rothäuten gedacht! – Als ihre Vertreter hatte er bisher den bereits halb verdeutschten Lupetü nebst Sohn kennen gelernt. Das waren seiner Meinung nach gar keine richtigen Wildwester.
Aber zu erlernen gab's von ihnen auch sehr viel, denn sie lebten ja in und von der Wildnis. Jetzt wollte er Wulfs Gegenwart ausnutzen und sich alle Künste aneignen, die dieser verstand im Fallenlegen, Pferdefangen und Aufsuchen von seltenen Pelztieren.
Zunächst erlernte er von dem jungen Mestizen die Anfertigung von Biberfallen, eine Fertigkeit, von der er hoffte, daß sie ihn Meister Moor auf seinen Jagdzügen nach dem Quellengebiet des Mississippi unentbehrlich machen würde. – In zweiter Reihe reizte ihn der Pferdefang. Konnte er sich selbst beritten machen, so gab's keinen Grund mehr, ihn zu Hause zu lassen, wenn die Andern in der Wildnis umherschweiften.
Wulfs Geschicklichkeit in der Handhabung des Lasso schien ihm bewunderungswürdig. Überhaupt fühlte er eine Art von Ehrfurcht von den ritterlichen Künsten des jungen Menschen. – Mit nie fehlender Sicherheit spießte er das flüchtige Eichhörnchen durch einen Wurf seines Messers an den Stamm. Aus weiter Entfernung bohrte die winzige Kugel seiner kleinen Büchse ein Loch mitten durch einen daumendicken Zweig, und auf ungesatteltem Pferde saß er wie eine Klette.
Sobald es ihm nach vielen vergeblichen Versuchen gelungen war, den Lasso nach einem bestimmten Ziele zu schleudern, wurden auf der großen Wiese zwei armdicke Pfähle in die Erde gerammt, etwa so weit auseinander als die Hinterbeine eines galoppierenden Pferdes. Dann warf Wulf im Vorüberjagen seinen Lasso so geschickt, daß die Leine mehrmals die hölzernen Füße umwickelte und er ihn loslassen mußte, um nicht vom Pferde gerissen zu werden. Letzteres passierte Eduard mehrmals, bevor es ihm gelang, den richtigen Augenblick des Nachgebens zu begreifen. Wie aber wäre es geworden, wenn es die Beine eines lebenden Büffels oder Mustangs gewesen wären!? An solchen sich zu versuchen, fehlte ihm der Mut und glücklicherweise einstweilen auch die Gelegenheit.
Schlimmer noch erging es ihm bei den Versuchen, seines jungen Freundes Reiterkünste nachzumachen, und so kam er schließlich zu der Überzeugung: »Was Hänschen versäumt hat, holt Hans nicht mehr nach.
Er tröstete sich mit dem Gedanken: »Für einen echten Jägersmann bleibt das richtige Element der Wald, und der duldet nicht die Anwendung solcher Kunststücke.«
Heinz Moor hatte das alles vorausgesehen. Er wollte ihm aber den Willen lassen, da er wußte, daß Selbsterfahrung besser und gründlicher zu belehren pflegt als Worte. – Ihm selbst kam es nicht in den Sinn, es den Indianern in ihrer Weise gleich tun zu wollen. Er durfte sich auf seine lange Flinte verlassen, die ihm Lasso, Messer und Tomahawk zu ersetzen vermochte. Dennoch war ihm der vertrauliche Verkehr zwischen Eduard und Wulf lieb, schon um Eden für die Entbehrungen zu entschädigen, welche das Amt eines Hausmeisters erforderte. Gerne ließ er deshalb auch die beiden in den benachbarten Wäldern umherstreifen und das Haus mit den nötigen Fleischvorräten versorgen, während er selbst daheim die Felle für den Verkauf vorbereitete, das Vieh versorgte, Futter schnitt und sich in der ungewohnten Kochkunst übte.
Den vereinten Kräften aller gelang es endlich auch, einen Backofen nach deutschem Muster herzustellen, wobei freilich der junge Wulf den Meister spielen mußte, da er bereits daheim bei einem ähnlichen Bau unter der Anleitung seiner Mutter tätig gewesen war. Als das große Werk vollendet war, mußte man ihm notwendig Zeit zum Austrocknen lassen bis zur Ernte.
Unterdessen waren auch die verabredeten 6 Wochen abgelaufen. Selbstverständlich trat Ede wieder in sein Amt als Hausvogt ein. Die Andern hingegen rüsteten zu einem längeren Jagdausfluge.
Da sie gut beritten waren und kein schweres Gepäck mit sich führten, gelang es ihnen, schon am zweiten Tage die Wolfschlucht zu erreichen, wo sie bereits sehnlich erwartet und freudig empfangen wurden. – Rappe und Schimmel hatten wohl den schlimmsten Teil ihrer Lehrzeit hinter sich. Doch getraute sich ihr Herr und Meister noch nicht, sie zu der Jagdpartie zuzulassen. Man wollte ja diesmal besonders weit schweifen – bis in die »Schwarzen Berge« und da wäre es mehr als gewagt gewesen, die halbgebändigten Rosse auf dieser Fahrt zu besteigen.
Lupetü wählte also aus seinem Stalle die vier tüchtigsten und zuverlässigsten Rosse aus, für sich und seine Gefährten, edle Vollbluttiere mit festen Sehnen. Puck sollte als fünftes Pferd am Leitseil mitgenommen werden, denn er war wohl ein tüchtiger Packgaul, aber kein Renner. Wulfs Augen flammten vor Stolz, da er zum ersten Male sich als vollberechtigter Jagdgenoß anerkannt sah. Viel zu lange währten seiner Ungeduld die Vorbereitungen zur Reise. Am liebsten hätte er sich augenblicklich auf sein Roß geschwungen und wäre davon gejagt ohne Proviant und ohne Gerätschaften.
Endlich war man so weit. Man hatte alles beisammen und sorgfältig verpackt. Man nahm Abschied von dem freundlichen Hause und ritt frohgemut davon. Lupetü wollte seine Gäste auf möglichst geradem Wege ihrem Ziele zuführen. Deshalb gingen sie oberhalb der Mündung des Nebraska-Stromes über den Missouri, durchkreuzten das Gebiet von Nebraska ohne Aufenthalt und gelangten am vierten Tage an das Ufer des Rapid River, der seine Wasser in rasendem Lauf dem Missouri zuführt. So oft sie auf Niederlassungen von Indianern stießen, wurden sie gastlich aufgenommen, denn es herrschte zur Zeit Friede sowohl zwischen den Stämmen der Rothäute untereinander als mit den Blaßgesichtern. Selbst die den Weißen feindlich gesinnten Mingos taten wie Freunde und sprachen von dem »Großen Vater« in Washington, dem Präsidenten der vereinigten Staaten, mit scheinbarer Ehrfurcht.
Mitunter stießen sie auch auf einen Trupp von Pahnis oder Delawaren. Doch ließen sie sich auch durch ein solches Zusammentreffen mit diesen den Weißen wohlgesinnten Rothäuten weder aufhalten noch von ihrem Ziele ablenken.
Um Menschen und Tiere über den Rapid River zu bringen, mußte man die Hilfe der Indianer in Anspruch nehmen. Es waren unberittene Pahnis, welche wie es schien, von einem mißglückten Zuge zurückkehrten. Sie hatten die Spuren räuberischer Sioux verfolgt, die ihnen in der Nacht die Pferde von der Weide gestohlen hatten. Leider vergeblich! Sie hatten die Spuren der Räuber im Bette des Flusses verloren. –
Die Strömung des Flusses war viel zu stark für Menschen und Tiere, um sie freischwimmend zu durchkreuzen. Um das ohne sichtliche Lebensgefahr zu wagen, mußte man ein geborner Sohn der Wildnis sein. Selbst Lupetü fühlte sich einer solchen Aufgabe kaum gewachsen. Dagegen erbot sich der Pahni-Häuptling unbedenklich, die kleine Gesellschaft der Jagdgenossen hinüberzubringen. – Zu diesem Zwecke wählten sie die schmalste Stelle des Flusses oberhalb eines Wasserfalles. – Dann wurden alle Stricke, welche sie mit sich führten, zu einer Leine zusammengeknüpft, die wohl dreimal von Ufer zu Ufer gereicht hätte. Ein Ende derselben schlang sich ein Pahni um den Leib und sprang damit ins Wasser, während Lupetü von dem Seil immer nur soviel nachgab, als nötig, um des Schwimmenden Bewegungen nicht zu hemmen. Sobald der Indianer am jenseitigen Ufer angelangt war, befestigte er das Ende der Leine an einem Baume. Ein Zeichen genügte für Lupetü, um ihn zu unterrichten von dem, was er zu tun habe. Nachdem dieser die Strangrolle in Moors Hände gelegt hatte, wandte er sich zu Johannes und Wulf: »Paßt genau auf, wie ich es mache und folgt mir, sobald ich drüben bin, in gleicher Weise.« – Dann führte er sein Roß in das am Ufer flache Wasser und befestigte mittelst eines weichen Baststrickes die Halfter an dem Tau. – Auf seinen Wink zog der drübenstehende Pahni an und Moor gab allmählich nach, so daß die Leine möglichst straff blieb. Schließlich sprang Lupetü ins Wasser, erfaßte mit einer Hand das Tau und ruderte mit der andern durch den Strom.
Roß und Reiter kamen ungefährdet drüben an, worauf Moor sich beeilte, die Leine wieder einzuholen. Nun folgten in gleicher Weise Wulf, Johannes und Moor mit Hilfe der Indianer. Letztere verschmähten es, das Leitseil zu benutzen, vom steilen User sprangen sie hinab in die brausende Flut. – Nur auf wenige Augenblicke tauchten sie unter, um dann, die Wogen zerteilend, das Ufer zu gewinnen.
Noch eine kurze Strecke gaben die Pahnis den Jagdgenossen das Geleit. Dann mußten sie sich trennen. Aber auch dieses kurze Zusammensein hatte hingereicht, um zwischen »Pfeilspitze«, dem jugendlichen Sohne des Häuptlings, und Wulf ein Freundschaftsbündnis herzustellen. Auf die vereinten Bitten beider gaben ihre Väter die Erlaubnis, daß »Pfeilspitze« die Weißen auf ihrem Jagdzuge begleiten sollte. Moor, der sich von den Kenntnissen des jungen Indianers Vorteile für den Jagdzug versprach, bot ihm einen Platz auf Pucks Rücken an.
Nach einem gemeinsamen Mahle am Lagerfeuer trennte man sich in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehn. Die einen wanderten nach Nordwest, die Andern nach Südosten.
Nachdem die Jagdfreunde die Grenzen Dakotas überschritten hatten, warnte der Indianer vor den tückischen Sioux, welche hier hausten. Obgleich sie mit den weißen Kolonisten zur Zeit nicht auf dem Kriegsfuß lebten, waren sie ihnen doch im Herzen todfeind, und sie benutzten jede Gelegenheit, die Blaßgesichter zu berauben und zu töten. Von ihren finstern Taten zeugten die Skalpe in ihren Wigwams.
Bei ihrem weiteren Vordringen in nördlicher Richtung ließen sich zwar keine Indianer blicken. Dafür aber legten die reißenden Sturzbäche, welche aus den Schluchten des Felsengebirges hervorbrechen und dem Mississippi zustreben, ihnen mannigfache Hindernisse in den Weg. Zu ihrer Überwindung trug nicht wenig die Hilfe des indianischen Jünglings bei. Er zeigte sich in allen Lagen und Verhältnissen der Wildnis sehr gewandt und erfahren.
Längst hatte die kleine Gesellschaft am mitternächtlichen Horizont die dunklen Kuppen der »Schwarzen Berge« erblickt, bevor sie die Hügelketten erreichten, die ihnen vorlagerten. Die anmutende Kühle des Frühlings war plötzlich der Glut eines Kanadischen Sommers gewichen.
An einem der heißesten Tage ruhten unsre Freunde behaglich im Schatten einer bewaldeten Höhe, scheinbar in tiefem Schlaf versenkt. Allein es bewährte sich, was man von den Indianern – und vorzugsweise von den Pahnis sagt, sie schlafen nur mit einem Auge und einem Ohr. Pfeilspitze mußte wohl auf dem wachen Ohr gelegen haben, denn plötzlich sprang er mit dem Ausruf: »Hugh!« empor. Lupetü und Wulf waren sofort erwacht. – Auch sie horchten mit angehaltnem Atem. – Kein Zweifel! – von Osten her zog ein Gewitter herauf, über dessen Anzeichen sich die Eingebornen des Landes keinen Augenblick täuschten. Nach kurzer Beratung entschlossen sie sich, ihre Gefährten zu wecken. – Auch diese überzeugten sich mit, daß aus der östlichen Richtung ein donnerähnliches Getöse sich nahe. –
»Was ist das?« – fragte verwundert Moor. – »Bis zum Horizont klarer Himmel, und doch wächst das Getöse ununterbrochen. Eher möchte ich an ein Erdbeben glauben, denn es scheint mir, als erzittere der Boden unter mir.« –
»Mein weißer Bruder ist auf der richtigen Fährte,« sagte Lupetü. – »Es ist eine aufgescheuchte und hart verfolgte Büffelherde, was die Erde erbeben macht. – Bald werden wir sie zu sehen bekommen.« –
Und in der Tat; es war so. Nach wenigen Minuten schon erzitterte der Boden unter den Füßen von tausend und abertausend gehetzten Tieren. von ihrem Standpunkte aus übersahen sie nach Westen ein langgezogenes Tal, auf welches unzählige Rinnen und Schluchten mündeten. In dieses Tal wälzten sich von Osten her dunkle, wogende Massen. Tausende von Büffeln drängten sich in hastiger Flucht zusammen. Schon füllte sich der ganze Raum zwischen den hohen mit den fliehenden Tieren, hart bedrängt von berittenen Verfolgern. – Schon hatten diese den Nachtrab der Herde erreicht, da krachten auch schon die ersten Schüsse der wilden Reiter. Dumpfes Gebrüll durchdröhnte die Luft. Lauter Jubel, schrilles Geschrei, ohrenzerreißendes Geheul! – Die Zuschauer vermochten von ihrem Stande aus jede Einzelheit der schauerlichen Jagd zu ihren Füßen wahrzunehmen, ohne selbst von unten gesehen zu werden.
»Jetzt Sioux blind und taub, wie wenn sie Feuerwasser getrunken«, sagte spöttisch Pfeilspitze, »jetzt nix zu fürchten!«
Jetzt jagten die Büffel, an ihrer Spitze die ältesten und stärksten Bullen, in wilder Jagd nach Süden. Einige von den jungen Kriegern der Sioux kamen dadurch ins Gedränge, wo ihre Waffen ihnen wenig nützten, wurden erdrückt und unter den Hufen der wütenden Tiere zerstampft.
Die älteren und erfahrenen Krieger dagegen hatten ihre Rosse zur rechten Zeit gezügelt und folgten dem flüchtigen Büffelhaufen mit Schießen und Schreien südwärts. Nach Verlauf einer Stunde herrschte im Tale wieder friedliche Stille. In der Ferne verklang allmählich die wilde Jagd.
Lupetü mahnte zum Aufbruch. – »Die Sioux werden ihre Beute nicht im Stiche lassen. Sobald sie eine genügende Anzahl der Büffel erlegt haben, kehren sie zurück, um die Haut und die Hörner der getöteten Tiere als Beute mitzunehmen. Das Fleisch lassen sie den Wölfen und Geiern. Für sie ist es wertlos. Kaum vermögen sie die blutigen Felle auf ihren Pferden fortzuschaffen, wenn sie selbst auch zu Fuß nebenher laufen, wehe ihnen, wenn sie dann auf Krieger eines Stammes stoßen, der gegen sie den Kriegspfad beschritten hat.«
Der Pahni setzte hinzu: »Traut den Sioux nicht! Sie sind verräterische Hunde und lüstern nach Skalpen, sobald sie die Übermacht haben. Wenn sie auch die Friedenspfeife mit euch geraucht haben, traut ihnen nicht! Die Sioux sind Hunde! Laßt uns unsere Spur sorgfältigst verwischen. Sie werden uns bald auf den Hacken sitzen!« Schnell führte man die Rosse hinab, nur flüchtig die Menge der von den Kugeln oder Pfeilen tödlich getroffenen Tiere überblickend, nun dann in einer der nördlichen Schluchten zu verschwinden.
Lupetü konnte seinen Zorn nicht länger verhalten. Er hob die Rechte drohend gen Himmel und sprach: »Die Schuld an diesem unsinnigen Morden tragt ihr, ihr Blaßgesichter! – Erst seit ihr uns gelehrt habt, wie man die Häute der unglücklichen Geschöpfe in Feuerwasser oder in Pulver und Blei umtauschen kann, da ist die Gier in den Rothäuten erwacht. Nun gibt's ein Wüten und Wüsten unter den armen Tieren, daß es einen Stein erbarmen möchte. Unsre jungen Leute werden's noch erleben, daß dieses »Brot der Prärie« von unsern Jagdgründen ganz verschwunden ist, das der große Geist seinen roten Kindern erschaffen hat, sie zu ernähren.«
Moor mußte ihm recht geben. »Dein Vorwurf trifft uns schwer, Lupetü. – Die Weißen sind unsinnig in ihrer Gewinnsucht. Nichts ist ihnen heilig, wenn es Geld einbringt«.
Schweigend ritten sie nebeneinander her, bis sie am Fuße des Gebirges anlangten.
Nach Pfeilspitzes Urteil war vorläufig von den Sioux nichts zu fürchten, da dieselben nach Stillung ihrer Jagdgier sicherlich nach dem Lager ihres Stammes zurückkehren würden.
Sie waren jetzt in unmittelbarer Nähe der »Schwarzen Berge«. Eine kühle Schneeluft wehte herüber, die sie nötigte, von ihren wollenen Decken Gebrauch zu machen. Im Schutze eines vorspringenden Felsens zündeten sie ein Feuer an und erwärmten die steifen Glieder. An kaltem Wildbret fehlte es nicht; doch hatten sie das Bedürfnis nach etwas Warmen. Dazu verhalf ihnen eine nahe Quelle, die ein kristallhelles Wasser spendete. Sie nahmen einen Topf und brauten sich über dem Feuer einen heißen Grog. Für die Dauer der Nacht übernahmen sie abwechselnd die Wache, denn Vorsicht war geboten, und das Feuer mußte der zunehmenden Kälte wegen ebenfalls erhalten werden.
Sie schliefen ungestört bis zum hellen Morgen und fühlten sich nun neu gestärkt für die Anstrengungen des kommenden Tages. Anstatt Kaffee oder Tee frühstückten sie Kakao. Dann rüstete man sich zum Beginn der Jagd. Die Rosse wurden an den Vorderbeinen gefesselt, worauf es ihnen überlassen blieb, aus dem grünen Rasen der nächsten Umgebung sich ihr Futter zu suchen.
Für die Jäger begann alsbald das Steigen und Klettern, für die Weißen eine ungewohnte und darum doppelt anstrengende Arbeit. Glücklicherweise war Pfeilspitze kein Fremdling in dieser Felsenwüste. Dennoch unterließ er es nicht, den Weg durch eingeknickte Zweige zu bezeichnen. Hinauf gings über Felsen und durch düstere Fichtenbestände. Man folgte zunächst einem Wildpfad und gelangte zu einer Hochebene, aus welcher unter einer Gruppe von Platanen ein Rudel Hirsche äste. – Es waren starke Tiere dabei mit majestätischem Geweih. Keiner von den Schützen dachte daran, eins derselben zu töten, da sie hofften, wertvollere Ladung zu gewinnen. Dagegen schoß Pfeilspitze einen Spießer, dessen Gehörn die ersten Zacken zeigte. Sein sicherer Pfeil war hinter dem Ohre eingedrungen und hatte dem Tiere die Pulsader durchschnitten. Lautlos war es auf der Stelle hingestürzt.
Sobald der Schütze aus dem Dickicht heraustrat, zerstob das Rudel nach allen Richtungen. Das erlegte Wild wurde auf der Stelle ausgeweidet, enthäutet, in 5 Teile zerstückt und in die Rucksäcke getan. –
Im weiteren Verlauf des Tages bot sich ihnen noch mannigfache Gelegenheit, Wildbret zu schießen, denn der Wald wimmelte von jagdbaren Vögeln, von Rehen, Hirschen, Berghasen und selbst das Elen erschien hier weniger scheu, doch hielten sie an sich und erlegten nur einige Dutzend grauer Eichhörnchen, die hier in großer Menge vorkamen. Auch diese wurden ihres Felles wegen abgestreift, während man das Fleisch den Raubvögeln überließ.
Schwitzend unter der Last ihrer Beute kehrten sie gegen Abend zu ihrem Lagerplatz zurück und fanden ihre Rosse gesättigt und munter im Grase ausgestreckt. Sie selbst hatten sich im Jagdeifer nicht Zeit gelassen zu einem ordentlichen Mittagsmahl. Jetzt holten sie das Versäumte nach.
Dann reinigten sie die gewonnenen Bälge, spannten sie auf, bestreuten sie mit Asche und hingen sie zum Trocknen an die Zweige der nächsten Büsche. Dann legten sie sich zur Ruhe.
Am folgenden Tage wollten sie tiefer ins Hochgebirge eindringen, um Blaufüchse zu schießen, deren kostbarer Pelz in den höher gelegenen Regionen bis in den Juni hinein haarreich und darum wertvoll zu sein pflegt. Die reiche Nahrung, welche diese Tiere hier finden, sowie das kältere Gebirgsklima, das ihnen sehr zusagt, war wohl die Ursache, daß sie in ungewöhnlicher Menge angetroffen wurden.
Heinz Moor, der natürlich seine Biberbüchse bei sich hatte, hätte wohl noch eine größere Anzahl derselben erbeuten können, wenn er einen Teckel besessen hätte. Der war für die Zukunft unbedingt nötig, um die Tiere in ihren Höhlen aufstöbern und herausjagen zu lassen, vorläufig mußte er sich mit seinem alten Hunde behelfen. Auch das war für die Jagd von Vorteil. Barrys feine Nase verhalf ihm zu manchem Pelztier und einmal sogar zu einer sehr wichtigen Entdeckung. Moor, der ihn plötzlich an seiner Seite vermißte, bemerkte ihn vor der Höhlung eines alten Baumes wie angewurzelt. (Er stand dort und gab Standlaut. Durch dieses Gebahren aufmerksam gemacht, untersuchte Moor die Öffnung des Baumes und entdeckte, daß sie die Wohnung eines Tieres sein mußte.
Er hatte noch nie einen lebenden Zobel gesehen. Über von dessen Bau und Lebensweise wußte er genug, um zu erkennen, daß er sich hier vor der Höhle eines dieser kostbaren Pelztiere befinde.
Sofort rief er Johannes zur Stelle und ließ ihn ein Feuer in der weiten Öffnung des morschen Stammes anzünden. Er stellte sich mit der Büchse im Anschlag auf und schoß, als der Ausgeräucherte aus einem höher gelegenen Schlupfloche entwischen wollte, ihn mitten durch den Kopf.
Später entdeckte man noch Stammgenossen dieses Einsiedlers, welche sich im Gestrüpp warm gefütterte Nester erbaut hatten, mit halb ausgewachsenen Jungen. Zwölf Zobel betrug an diesem Tage die Jagdbeute.
Gegen Mittag gelangten die Jäger in eine langgestreckte, düstere Schlucht. Himmelhohe Felsenwände erhoben sich rechts und links, terrassenförmig ansteigend. In den Spalten wurzelten hundertjährige Fichten. Unten rauschte ein Sturzbach. Auf den Stufen der Felsenterrasse hatte das zur Tränke kommende wild ordentliche Fußpfade ausgetreten, auf welchen die Jagdgenossen emporzuklimmen vermochten. Heinz und Lupetü suchten das rechte, die andern das linke Ufer ab. Natürlich waren sie so viel als möglich darauf bedacht, auf gleicher Höhe zu bleiben und einander im Auge zu behalten. Plötzlich blieb Pfeilspitze, der den Zug führte, stehen und lauschte … In demselben Augenblicke rief Johann, der ihm auf dem Fuße folgte: »was ist denn das?« – Ein eigentümlicher dumpfer Ton drang an ihr Ohr. Alle drei blieben mit offenem Munde stehen und Hans wiederholte die Frage: »Was ist denn das?« Die Antwort auf seine Frage erhielt er gar bald, wenn auch nicht von einem der beiden Indianer.
Hinter einem vorspringenden Felsblock tauchte ein grimmiger Kopf auf, zottig und wild. – Ihm folgte die plumpe Gestalt eines greulichen Ungeheuers.
»Ein Griselbär!« – riefen fast gleichzeitig Pfeilspitze und Wulf.
Beide hatten einen Griselbär, den Schrecken des Waldgebirges, mit leiblichen Augen noch nicht gesehen, viel weniger erlegt, und darum brannte in Beiden der Ehrgeiz, durch einen glänzenden Sieg im Kampfe mit diesem Unhold sich unsterblichen Ruhm zu erwerben.
Langsam und brummend trottete Meister Petz heran.
In einer Entfernung von etwa 100 Schritten gab Johannes Feuer. – Seine Kugel streifte des Riesen Schädel, prallte jedoch ab und schlug sich platt an der Steinwand. Unwillig schüttelte der Bär den zottigen Kopf und richtete sich knurrend auf.
Eine Wendung des riesigen Körpers benutzte Pfeilspitze, um ihm einen seiner Pfeile in den Hals zu jagen. Der Knabe traf zwischen Hals und Schulter, daß das Blut herausschoß.
Einen Augenblick stutzte der Bär, dann wandte er den Kopf, erfaßte den Schaft des Pfeiles und zermalmte ihn mit seinem furchtbaren Gebiß. – Dann sprang er auf und stürzte sich in furchtbarer Wut auf die Jäger. Wulf zielte kaltblütig, bevor er abdrückte und siehe da, seine Kugel saß. Das Untier stürzte zusammen. Im nächsten Augenblicke mußte es über den Rand des Felsens hinabrollen. – Doch nein! Nochmals rafft es sich auf und stürzt sich auf seine Feinde blutig und fauchend.
Johannes war keine Zeit geblieben, aufs neue zu laden. Dagegen hatte er den Hornstiel seines Jagdmessers wie ein Bajonett in den Lauf seiner Büchse gezwängt und gedachte, dem Unhold damit das Herz zu durchbohren. Der Bär aber packte mit seinen beiden Vorderpranken den Büchsenlauf, biß ins Gewehr und riß es zur Seite.
Schutzlos stand Hans dem Tiere gegenüber. Schon spürte er seinen glutheißen Atem, schon bespritzte das ausquellende Blut den Ringenden – da dröhnte ein Schuß durch die Kluft, und wie vom Blitz getroffen stürzte der Bär zusammen.
Hans war gerettet. Die rettende Kugel war von drüben gekommen. Dort stand Heinz Moor mit der rauchenden Büchse.
Moor und Lupetü beeilten sich, in die Tiefe hinabzuklimmen, den Bach zu durchwaten und jenseits zur Höhe emporzuklettern. – Da lag das riesige Untier in seinem Blute, durch beide Augen geschossen, während Johann blaß wie eine Leiche an der Felswand lehnte. Auch er blutete. Das Schloß seiner Flinte, die er gutwillig nicht hergeben wollte, hatte ihm große Hautlappen aus den Handflächen gerissen. Die Indianer sahen mit Staunen auf den Bären und auf den Schützen und nannten Moor von nun ab nur »Die rettende Büchse«.
»Der große Geist hat Freude an der Büchse des weißen Mannes. Der große Geist hat seine Kugel gelenkt, daß sie den Schrecken der Berge umwarf wie sein Blitz den Eichbaum.«
Bald gab's wieder frohe Laune. »Wir können froh sein, daß Hans den alten Schießprügel los ist. Wir lassen uns dafür zwei neue Büchsen aus Chikago kommen, eine für Biber und Mardertiere, die andere für Griselbären und ähnliches Grobzeug.« – Johannes biß die Zähne zusammen und lächelte. Die verbundenen Hände schmerzten furchtbar.
An eine Fortsetzung der Jagd durfte unter solchen Umständen freilich nicht mehr gedacht werden. Sowohl der tote Bär als der verwundete Freund beanspruchten Arbeit und Zeit.
Das erlegte Untier maß von der Schnauze bis zum Stummelschwanz 2½ Meter und hatte ein Gewicht von mindestens 5 Zentnern. Vier Männer vermochten es nicht vom Boden zu erheben. Man sah sich also genötigt, den Koloß auszuweiden, zu enthäuten und in Stücke zu zerlegen. Mitgenommen wurden außer dem Felle nur die Schinken und die Tatzen, welche ein leckeres Mahl werden sollten. Das übrige Fleisch stürzte man in den Fluß. Trotzdem hatten drei Träger genügende Last. Lupetü bürdete man die Häute der kleineren Pelztiere auf, die man erbeutet hatte.
Auf ihrem Lagerplatz angekommen, fanden sie die Pferde in großer Unruhe. Lupetü vermutete sofort die Nähe von Wölfen, und auf seine Veranlassung mußten Wulf und Pfeilspitze auf Kundschaft ausgehen.
Nach etwa einer Stunde kehrten sie mit der Nachricht zurück, daß sie zahlreiche Fährten von Wölfen, die über den Fluß gekommen und wieder zurückgegangen waren, entdeckt hätten. Daraufhin wurde beschlossen, während der Nacht ein lebhaftes Feuer zu erhalten, auch sollten ab und zu Schreckschüsse abgegeben werden. In diesem Dienst wollten sie einander ablösen. Gleichzeitig wurde dem jedesmaligen Wachtposten die Pflege des Verwundeten zur Pflicht gemacht.
Da die Jäger an Lebensmitteln noch keinen Mangel hatten, versenkte man die Bärenschinken einstweilen in die Quelle und belastete sie mit Steinen. Für die unersättlichen Wölfe genügte, sobald ihr Geheul sich hören ließ, ein blinder Schuß, um sie sich vom Leibe fernzuhalten. – Der amerikanische Wolf ist schwächer und feiger als der sibirische. Selten wagt es ein Rudel derselben, sich aus einer Büffel- oder Mustang-Herde ein Stück zu holen. Ihr Pelz war um diese Jahreszeit nichts wert, und darum unterließ man die Jagd auf diese Tiere. Um jedoch keine Vorsichtsmaßregel zu unterlassen, beschloß man die Rosse Tag und Nacht unter Aufsicht zu lassen. Zu ihrem Hüter wurde Johannes ernannt, dessen wunde Hände ihm ohnehin nicht erlaubten, sich an den Jagdzügen seiner Gefährten zu beteiligen. Als treuen Gesellen sollte er Barry bei sich behalten. Man wollte den treuen Hund auch deshalb zurücklassen, weil man einen Zusammenstoß des Hundes mit der Griselbärin fürchtete. Diese hoffte man sehr bald aufzufinden und zu erlegen. Der Ausgang eines Kampfes zwischen den beiden Tieren wäre wohl unmöglich günstig für den braven Hund ausgefallen, und leichtfertig hinschlachten wollte man ihn auf keinen Fall.
Heinz war durch den Zwischenfall mit den Wölfen doch bedenklich geworden. Er meinte: »Wenn uns auch von diesen feigen Bestien keine ernste Gefahr droht, so befürchte ich doch, daß wir unsern Lagerplatz nicht versteckt genug gewählt haben. Wie leicht könnten ihn jagende Sioux entdecken und ausrauben oder uns bei Nacht überfallen.«
»Weißgesichter nichts fürchten!« erwiderte Pfeilspitze, »Sioux nicht kommen hierher! – Machen Hu – hu!« – Darauf erfuhr Moor durch Lupetü, daß die Sioux vor den Schwarzen Bergen eine abergläubische Scheu besäßen, weil sie glaubten, daß dieselben von bösen Geistern bewohnt würden. – So ließ man es also beim Alten.
Der dritte Jagdtag begann, und die Jäger brachen früh auf. Während sie dem Laufe des Baches folgten, sollte ihnen das Fehlen eines guten Spür- und Wasserhundes bald fühlbar werden. Man stöberte Fischottern auf, die sich nicht so scheu wie die europäischen erwiesen, da sie sonst in ihrem Treiben nicht gestört wurden. In der Zeit von 2 Stunden wurden 5 Stück erlegt. Sie verfolgten darum den Lauf des brausenden Gießbaches weiter, bis sich derselbe zwischen schroffen Felswänden in eine unheimlich düstere Kluft stürzte und die Jäger nötigte, das steile Ufer zu erklimmen. Von diesem höheren Standpunkte aus erkannten sie, daß der Fluß talwärts die Heftigkeit seines Laufes mäßigte. Nun hieß es, soll die unterbrochene Otterjagd nochmals aufgenommen werden, oder soll man heute noch dem Stammsitz der Bären einen Besuch abstatten.
Die bereits vorgerückte Tageszeit entschied für den ersten Vorschlag. So galt es denn, wieder in den Talkessel hinabzusteigen. Es war das auf dem zerklüfteten Felsboden ein mühseliges Stück Arbeit. Schon hatten sie den schlimmsten Teil derselben glücklich überwunden, als Pfeilspitze, der als Pfadfinder die Führung übernommen hatte, plötzlich stehen blieb und durch ein Zeichen den Nachfolgenden zu verstehen gab, daß sie sich ruhig verhalten möchten.
Alle horchten gespannt. – Da schlug aus der Ferne das Wiehern eines Pferdes an ihr Ohr. – Was sollte das bedeuten? – Unmöglich kam dieser Ton aus ihrem Lager, von dem sie sich selbst in der Luftlinie mindestens vier Meilen entfernt hatten. Vielleicht hatte sich eines ihrer Tiere der Fußfesseln entledigt und war dem Hirten Johannes durchgegangen. Man wollte sich überzeugen. – Nach einigen hundert Schritten gewahrten sie, daß der eingeengte Fluß sich plötzlich nach Osten wandte, um in einem sonnigen Tale sich auszubreiten.
Dort weidete im üppigen Grase friedlich ein Rappe, dann und wann den Kopf zu einem lockenden Gewieher erhebend, als wolle er seinen Kameraden verkünden: »Kommt hierher, hier ist's gut sein!« Pfeilspitze starrte das Tier an, als wollte er es mit den Augen verschlingen. Dann rief er jauchzend: »Bläkbörd!« Das Roß zuckte wie elektrisiert zusammen, richtete sich hoch auf und antwortete mit einem freudigen Gewieher. Dann trabte es im Kreise umher, sich nach allen Richtungen umschauend. – Nun gab's für den Indianer kein Halten mehr. – Wie der Blitz raste er an den schroffen Felswänden hinab, daß die Weißen fürchteten, er werde Arme und Beine brechen. – »Bläkbörd! Bläkbörd!« schrie er dabei wie ein vor Freude jauchzendes Kind. Bald war er unten im Tale.
Sobald das Roß ihn sah, hob es den Schweif, stieß Töne durch die Nase, die fast wie Lachen klangen und galoppierte ihm entgegen. – war das ein Begrüßen und Schöntun! Pfeilspitze hatte den Hals des Tieres umschlungen und das Gesicht an seine Nüstern gedrückt. – So verweilten sie lange wie zwei Verliebte.
Unterdessen kam den Zurückgebliebenen ein Verständnis für diesen seltsamen Vorgang. Der Rappe trug einen Halfter, an welchem noch ein kurzer Strick hing. – Zweifellos war dies eins von den Pferden, die die Sioux gestohlen hatten.
Das bestätigte sich denn auch, nachdem sie mit Not und Mühe das Tal erreicht hatten.
Lupetü machte sich alsbald daran, den Zustand des Pferdes genau zu untersuchen. Da stellte sich denn heraus, daß es auf dem rechten Vorderfuß noch ein wenig hinke. Bei näherer Prüfung ergab sich, daß eine leichte Verletzung am Huf bereits im Verheilen begriffen war.
»Bläkbörd« war des jungen Indianers liebster Besitz gewesen, mit dem er aufgewachsen war, den er geliebt und gepflegt hatte wie einen Bruder. Daher die Freude des Wiedersehens.
Lupetü glaubte auch bald eine Erklärung für das seltsame Zusammentreffen gefunden zu haben. Bei der übereilten Flucht der Sioux mit den ihnen widerwillig folgenden Gefangnen hatte der Rappe auf einen scharfen Steinsplitter getreten. Der Transport des lahmen Tieres mußte eine gefährliche Verzögerung zur Folge haben. Ein Schuß hätte den Verfolgern ihre Nähe verraten, und so überließen sie es denn einfach seinem Schicksal.
Was nun aber mit dem Tiere beginnen? – wie wollte man es über Berge und Abgründe bis zum Lagerplatz bringen? –
Auf diese schwierige Frage wußte Pfeilspitze die rechte Antwort. Er erinnerte sich jetzt, einst mit seinem Vater von der Ebene aus durch diese Talwiese hinaufgeritten zu sein bis zu der Wasserschnelle, wo der Fluß durch das Felsentor stürzt. Er getraute sich nun den Rückweg zu finden. Damit hatte er nicht zu viel versprochen! – Zwar auf Umwegen und mit nicht geringem Zeitverlust, doch glücklich und wohlgemut, erreichten die Jagdgenossen spät am Abend das Lager.
Dort fanden sie den kranken Hans in viel besserer Laune, als sie ihn verlassen hatten. Es war nicht nur die Freude über die glückliche Rückkehr der Gefährten, die ihn so fröhlich stimmte. Nachdem er ihre Erlebnisse gehört hatte, sprach er: »So ganz ohne Abenteuer sind wir hier auch nicht geblieben. – Kurz vor Aufgang des Mondes, es dämmerte noch ein wenig, bemerkte ich, daß die Rosse anfingen, unruhig zu werden. Sie drängten sich auf einen Haufen zusammen und taten ganz närrisch. Ich löste Barry von der Kette, an der er bereits ungestüm zerrte und ließ ihn suchen. Mit mächtigen Sätzen verschwand er im Dunkel der Schatten. – Wenig Augenblicke darauf stieg der Mond über den Wald. – Ich hörte ein klägliches Geheul und erblickte unsern Hund, wie er im Galopp ein lebendes, zappelndes Wesen apportierte. Zehn Schritte vor mir machte er halt, schlug sich seine Beute ein paarmal um die Ohren, um sie mir dann leblos vor die Füße zu legen. – was war's? – Ein kanadischer Wolf mit gebrochenem Kreuz. Das Blut strömte aus dem stinkenden Rachen. – Die Gier nach Pferdefleisch mußte die Bestie verführt haben, sich in unsere Nähe zu wagen. Die Pferde beruhigten sich bald und fingen wieder an zu grasen. – So hatte ich nicht einmal nötig, einen Schutz zu tun. – Mir hat die Sache viel Spaß gemacht und unserm Hunde noch mehr. Was, Barry?« Nachdem man den Wolf von allen Seiten besichtigt hatte, wurde er, seinen Brüdern zur Warnung, abseits vom Lager an einen Baum gehängt. –
Johannes hatte seine wunden Hände bald soweit in Ordnung, daß er die Hoffnung aussprach: »In einigen Tagen mache ich wieder mit! Dann mag ein Andrer sich hersetzen und Pferde hüten.« –
Die Jäger lachten. »Wem die Wölfe so ins Garn laufen wie dir, der soll sich nicht beklagen.« – Die Jagd wurde fleißig fortgesetzt. Die Frau Griselbär, nach der man fortwährend forschte, war nicht aufzufinden. Der Erlegte hatte vielleicht ein Einsiedlerleben geführt. Sonst hätte man sie längst entdecken müssen.
Bald war Hans ganz gesund. Man beschloß, die »Schwarzen Berge« zu verlassen und ein andres Jagdgebiet aufzusuchen. Am nächsten Morgen wurde gepackt und aufgebrochen. Man hatte beschlossen, zunächst die Niederlassung der Pawnees zu besuchen, um dem Vater den Sohn wieder zu bringen. Die Deutschen hatten dafür gestimmt, weil sie begierig waren, endlich ein wirkliches Indianerdorf zu sehen und wohl auch, um neue Menschen kennen zu lernen. Die Rückreise konnte nur in kleinen Tagesmärschen erfolgen, da die Pferde schwer zu tragen hatten.
Von den Pawnees wurden sie mit Jubel begrüßt, denn diese fühlten sich glücklich, Weiße bewirten zu können. Überdies mochte man das Wiederfinden des Pferdes als eine glückliche Vorbedeutung ansehen. Nun noch die andern! hieß es. Man wollte sie den Räubern keinesfalls lassen. Vielmehr hatten die kampflustigen jungen Krieger des Stammes beschlossen, ihr geraubtes Eigentum zurück zu erobern. Auch dem Rat der Alten hatten sie unter der Bedingung zugestimmt, daß man sich damit begnüge, erlittenes Unrecht zu sühnen, ohne neues zu begehen. Nun hofften die jungen Brauseköpfe, die Weißen würden sich an dem Zuge gegen die Sioux beteiligen. Dann wäre ihnen der Erfolg sicher. Allein die Gäste verweigerten ihre Teilnahme. Ihr Handelsgeschäft gestattete ihnen keinen unnötigen Aufenthalt.
Von Dingen, die man nicht gesehen hat und die man nur aus Schilderungen anderer kennt, macht man sich oft eine ganz falsche Vorstellung. So war es auch den beiden Deutschen ergangen, als sie nun im Indianerdorf weilten und das Leben und Treiben der Rothäute beobachteten.
Wie hartnäckig auch die kupferfarbenen Söhne der Wildnis ihre ererbten Sitten verteidigten, so hatten sie doch der von Osten her vordringenden germanischen Gesittung sich nicht verschließen können. Je mehr das Gebiet, auf dem sie sich frei bewegen konnten, durch die überlegenen Waffen der Europäer beschränkt wurde, um so erfolgreicher drängte sich ihnen der Glaube auf, nicht offene Feindschaft, sondern nur ein ehrliches Bündnis mit den Fremdlingen könne sie vor völligem Untergange bewahren. Nur die wildesten und rohesten Stämme westlich vom Felsengebirge, wie die Krähen- und Schwarzfuß-Indianer, beharrten in trotzigem Widerstande, teils aus Unkenntnis der Macht, teils in untilgbarem Haß gegen die Räuber ihres Landes.
Andere Indianer erkannten das Übergewicht europäischer Waffen und unterwarfen sich scheinbar den Siegern, während sie schlau und heimtückisch mit List zu erreichen suchten, was mit offener Gewalt zu erzwingen ihnen nicht möglich war. Noch andere gelangten zu der richtigen Erkenntnis, daß es am klügsten sei, die gebotenen Vorteile nicht von der Hand zu weisen und mit den Blaßgesichtern Geschäfte zu machen. Zu diesen zählten auch die Pawnees.
Unter ihnen hatten die meisten bereits die Überzeugung gewonnen, daß eine wachsende Bevölkerung für die Dauer unmöglich vom Ertrage der Jagd sich ernähren könne. Bisher hatte der männermordende Bruderkrieg, der bei ihnen nur selten ganz ruhte, die Wildnis vor Übervölkerung bewahrt. Als sie aber die erdrückende Übermacht der Europäer anerkennen und Ruhe halten mußten, da blieb ihnen nichts weiter übrig, als anderweitig für ihre Weiber und Kinder zu sorgen. Sie bequemten sich zur Arbeit, die bisher als Schande galt und die nur den Weibern zukam. Ein Stilleben als Viehzüchter widersprach zu sehr ihrem unruhigen Wesen. Beim Ackerbau konnten sie dagegen die überschüssige Kraft verbrauchen.
Auch das Dorf, in welchem Pfeilspitzes Vater die Würde eines Häuptlings bekleidete, gab Zeugnis von dieser Erkenntnis. Schon der Bau und die innere Einrichtung der Hütten verrieten die Neigung zu europäischen Sitten. Die meisten waren aus Balken, Sparren und Brettern dauerhaft aufgeführt. Den inneren Raum hatte man durch leichte Wandungen in getrennte Räume geteilt, in denen europäisches Hausgerät Eingang gefunden hatte, hinter den zerstreut am Bergeshange liegenden Häuschen erblickte man Stallungen für allerlei Vieh und Geflügel, während die Pferde des Dorfes auf einem weiten eingezäunten Wiesenplan sich frei bewegten. Unter offenen Schuppen verriet allerlei Ackergerät den Ackerbau, nicht minder die Obst- und Gemüsegärten und die mit Mais und Weizen bestellten Felder.
Andere Pawnees dagegen schienen dem Reiz eines unabhängigen Jägerlebens noch nicht entsagt zu haben, wie die zum Trocknen aufgespannten Tierhäute bekundeten.
Die Säuglinge der Indianer wurden in früheren Zeiten von ihren Müttern nackt auf ein Brett mit dürftiger Moosunterlage gebunden und dann in einen Winkel der Wohnung gestellt. Bei ihren Wanderungen trug man sie so auf dem Rücken, und bei der Feldarbeit hing man sie mit einem Strick an einen Baum, wobei das Wiegen den Winden überlassen blieb. Sobald die kleinen Wesen das Laufen erlernt hatten, überließ man sie sich selbst, damit durch Verweichlichung auch nicht der kleinste Teil von der wilden Kraft ihres Stammes verloren gehe, was bei einer solchen Behandlung zu Grunde ging, wurde als untauglich nicht weiter bedauert. Solche Zustände herrschten damals noch in den meisten Ansiedlungen der nordamerikanischen Indianer.
In dem Pawneedorfe machte sich jedoch bereits der Einfluß germanischer Gesittung geltend, hier ließ man die Kleinen nicht mehr bis ins 8. oder 9. Jahr wie die wilden Tiere aufwachsen, sondern zog sie auf, wie man es in Deutschland und den andern europäischen Ländern tut, man hegte und pflegte sie mit Sorgfalt und Liebe.
In allen Hütten aber fanden sich Waffen mannigfacher Art, die von dem immer noch vorhandenen kriegerischen Sinne des Volkes zeugten. Teilweise bewahrte man sie allerdings nur noch als Erinnerungszeichen an die Heldentaten vorangegangener Geschlechter auf.
Zwei Rasttage gönnte sich die Jagdgesellschaft in dem gastlichen Hause des Häuptlings, um dessen Herdfeuer sich an jedem Abende die Ältesten des Dorfes zum Palaver, zu einem gemütlichen Plauderstündchen versammelten. Dieses wurde von den Deutschen dazu benutzt, um über das, was sie tagüber gesehen hatten, sich nähere Auskunft geben zu lassen. Als Gegenleistung gaben sie dann ihre Jagdabenteuer im Sachsenlande zum Besten. In den Gesichtszügen der alten Männer lag etwas Ehrwürdiges. Dagegen erschien die Mehrzahl der alten Weiber unschön und garstig. Unter den jungen Leuten gab es wahrhaft edle Gestalten und schöne Gesichter, deren Ausdruck an die Gebilde altgriechischer Künstler erinnerte.
Aus Rücksicht auf das Pelzgeschäft konnten sie die eben so dringende wie herzliche Einladung zu längerem Verweilen nicht annehmen. Sie brachen am Morgen des dritten Tages auf. Pfeilspitze geleitete sie bis zu einem Punkte, von dem aus Lupetü das Führeramt übernahm. Die nunmehr auf vier Personen beschränkte Gesellschaft erreichte nach zweitägigem Marsche glücklich Wolftöters Farm, wo sie unter dem umsichtigen Regiment der Frau alles wohlgeordnet vorfanden. Die zurückgebliebenen Kinder hatten der Mutter treu beigestanden. Jedes hatte sein Amt, und jedes, selbst das kleinste, hatte es mit Lust und mit Stolz verwaltet. Das gab fröhliche Stunden und angenehme Rast.
Am andern Morgen beim Frühstück erklärte der Indianer, er sei nunmehr zu dem Entschluß gekommen, sich ganz dem Fange und der Zähmung und Züchtung wilder Mustangs zu widmen. Mit einer weiteren Ausdehnung des Geschäftes vertrage sich der Pelzhandel nicht mehr. Dagegen wolle er junge Indianer aus befreundeten Stämmen zu Pferdefängern ausbilden. Einen Anfang damit gedenke er zunächst mit Pfeilspitze zu machen, den Wulf angeworben hatte. Zwischen den Vätern sei bereits ein Übereinkommen getroffen. – Wenn er die Freunde nochmals nach St. Paul begleite, so solle dies die letzte Fracht sein, die er zum deutschen Hause bringe. Er hoffte jedoch dadurch die Verbindung mit den deutschen Jägern nicht zu verlieren, sondern noch fester zu gestalten, da er sie zu Erben seiner Erfahrungen und Geheimnisse machen wolle. Was die schwarze Stute mit dem Füllen angehe, so schlage er seinem weißen Bruder einen Tausch vor. Er möge sich dafür aus seinem Stalle zwei der tüchtigsten Reit- oder Packpferde auswählen, auf deren Dienst er sich verlassen könne.
Moor nahm dieses Anerbieten mit Dank an. Seine Wahl fiel aus zwei kräftige lammfromme Füchse, welchen er sofort die Namen Max und Moritz beilegte. Dadurch wurde auch dem armen Puck die schwere Last erleichtert.
Ohne Fährlichkeiten gelangten die drei Reiter mit ihren sechs Gäulen nach St. Paul, wo sie ihre Ware an den Zwischenhändler absetzten. Nur einen Ruhetag gönnte der Indianer sich und seinen Tieren. Dann zog er weiter. Die Deutschen brachen ebenfalls bald auf und kamen wohlbehalten daheim an. Dort fanden sie alles wohlauf.
Ede wurde für seine wackere Verwaltung des gemeinsamen Besitzes durch ein Geschenk belohnt, das ihn, in die freudigste Aufregung versetzte. Er bekam das schönste Pferd unter den dreien als Eigentum.
»Nun«, meinte Ede übermütig, »müssen wir für unsere Rosse schon einen ordentlichen Pferdestall nach europäischer Art bauen.« – »Das versteht sich!« nickte Moor.
Die durch die Jagd erworbenen Geldmittel sollten zunächst benutzt werden, etwas von ihren Schulden abzuzahlen. So wollte es Moor, und er drängte darum zu einem Besuch auf der Lietzfarm. Diesmal aber sollte ihn Ede begleiten. – Wie glücklich und stolz ritt er an der Seite Moors auf eigenem Pferde einher.
Von der Familie ihres Gönners wurden sie mit Freuden begrüßt. Doch beeilten sie sich, zunächst den geschäftlichen Teil ihres Besuches zu erledigen. Der wackere Mann weigerte sich auch weiter nicht, eine Entschädigung für seine Lieferungen anzunehmen. Doch stellte er ihnen so überaus günstige Bedingungen, daß Heinz Moor sein Befremden darüber nicht verbergen konnte. Lietz, der das wohl bemerkte, meinte lachend: »Das lasse ich mir gefallen, so eine Jagdbeute! Da werdet ihr bald reiche Leute werden. Dann nehme ich andere Preise. Ja, guckt nur, ich will schon auf meine Rechnung kommen.«
Die Angeredeten lachten und meinten: »Wir denken, daß wir das nächste Mal den Rest zahlen können.« – »Oho, nicht gleich so üppig. Ich plage mich als Landwirt um ein paar Dollar, und ihr bringt sie sackweise von der fröhlichsten Jagd heim.«
Stoff zur weiteren Unterhaltung gab's genug, während Heinz Moor mit seinen Wirtsleuten in Erinnerungen an sein trautes Heim, an das unvergeßliche deutsche Land schwelgte, plauderte Ede mit den Schwarzen über die Fortschritte seiner Wirtschaft. Mit großer Freude nahm er Cäsars Anerbieten entgegen: »Wenn Pferdestall gebaut wird, helfe ich, wenn Master Lietz es erlaubt.«
Auch kleine Streifzüge durch die Wälder wurden unternommen, doch nur, um die Küche mit Wildbret zu versorgen, denn von Luchsen, Wildkatzen und ähnlichem Raubgesindel zeigte sich zur Zeit keine Spur, auch hätten die Sommerpelze für sie wenig Wert gehabt.
Ein besonders schöner Junimorgen reizte sie jedoch zu einem weiteren Ausfluge bis an die äußersten Grenzen des Lietzschen Gebietes. Auf einem Hügel, welcher eine Fernsicht über Wälder und Fluren gestattete, rasteten sie im Schatten eines mächtigen Schwarzwalnußbaumes. Über weichem Moos wurde der Tisch gedeckt für das leckere Mahl, mit welchem Frau Anna die beiden Neger beladen hatte. Heinz Moor gedachte unwillkürlich an das Mahl im Sachsenwalde – bei Brot und Wurst und Ratzeburger Doppelbier, an dem auch der Amtsdiener teilgenommen hatte. Ach ja, das waren Zeiten – damals und heute! – Soeben hatte er ein Stück Braten abgenagt und wollte den Knochen seinem Hunde geben. »Barry! wo steckt denn der Hund!« – Moor pfiff. Da kam er zwar angesprungen, beroch wohlgefällig den hingeworfenen Leckerbissen, ließ ihn aber sofort wieder fallen. »Nanu, was hast du denn?« Barry blickte zu seinem Herrn auf, drehte sich um und lief in der Richtung, von welcher er gekommen war, davon.
»Was nur der Hund hat?« fragte verwundert Lietz. – Heinz war aufgesprungen: »Wir müssen ihm folgen« rief er. »Er wittert etwas Absonderliches. Sonst täte er nicht so wichtig.« Die Gesellschaft griff zu den Gewehren und brach auf.
Als man kaum 200 Schritt vom Ruheplatz entfernt, ein dichtes Gestrüpp durchbrochen hatte, gewahrten die Jäger ihren vorangeeilten Führer in einer Lichtung vor einem alten Ahornbaum stehen und wütend bellen.
»Aha!« sagte Moor, »da haben wir den Salat!«
Er rief den Hund ab und hielt ihn am Halsbande fest. In demselben Augenblicke kniete auch schon Cäsar vor dem Loche und wollte mit der Hand hineinfahren. Cato jedoch, welcher neben ihm stand, riß ihn zurück.
»Nimma wirst richtiger Jäger du, Cäsar! – Heiß Blut nimma gut for Klapperschlange.« – Dabei zog er seinen eisernen Ladestock aus der Flinte und begann vorsichtig mit dem Eisen die Höhlung zu durchwühlen. – Plötzlich aber zog er den Stock hastig zurück und sprang auf. – Aus der weiten Öffnung kugelte ein rotgelber Knäuel und entrollte sich alsbald als ein Katzentier.
»Puma – Junges!« schrie der Neger und nahm es auf den Arm, streichelte es und sprach zu ihm wie ein Kind zu seinem Kätzchen. »Ei, ein schmuckes Kätzchen du!«
Der kleine Bursche schien jedoch an dergleichen Liebkosungen nicht gewöhnt zu sein. Er fing an kläglich zu mauzen, wie ein geängstigtes Kätzchen, das nach der Mutter schreit. Der andere Neger tanzte um beide herum wie besessen. plötzlich aber stürzte er wie vom Blitz erschlagen auf den Rücken, Arme und Beine von sich streckend, vom Baum herab war ein grauenhaftes Ungeheuer gestürzt mit rot glühenden Augen und einem furchtbaren, weit aufgesperrten Rachen. Es war die Mutter des schreienden Puma. Sie hatte, vom dichten Laub des Baumes verborgen, auf einem Aste geruht und war nun mit einem gewaltigen Sprunge aus der Höhe heruntergesaust. Fauchend stand das Tier da, die funkelnden Augen starr auf den Räuber ihres Lieblings geheftet. Dann zog es sich krampfhaft zusammen, um mit einem Sprunge sich auf den Räuber zu stürzen. Das alles geschah blitzschnell.
Heinz Moor hatte unwillkürlich des Hundes Halsband los gelassen, und Barry stürzte sich sofort aus das Katzentier.
Der Puma wandte sich sofort gegen den Hund. Ein wilder Kampf begann. Barry faßte die Bestie schließlich beim Genick und riß sie nieder. – Ein Ruck – und der Puma reckte sich mit gebrochener Wirbelsäule im Todeskrampfe. Die Umstehenden hatten den Kampf mit Grausen gesehen. »Brav, mein Hündchen! Brav gemacht!« Ein jeder streichelte den blutenden Sieger. Der Puma war ein stattlicher Gegner. Er gab dem riesigen Hunde nur wenig an Größe und Stärke nach. Um so mehr war es anzuerkennen, daß er das Raubtier, das doch mit einem furchtbaren Gebiß und nadelscharfen Krallen ausgerüstet war, so glatt geworfen hatte.
Während Cato mit der Enthäutung des Puma beschäftigt war, stöberte Cäsar mit dem Eisen in der Höhlung des Baumes herum und richtig, seine Voraussetzung sollte ihn diesmal nicht täuschen, es fand sich zu dem ersten Puma-Kinde noch ein zweites, scheuer noch und ängstlicher als sein Brüderchen.
Die beiden Schwarzen erbaten sich die jungen Raubgesellen als Beuteanteil. Sie wollten sie aufziehen und zur Jagd abrichten. Sie hatten nämlich von Jagdleoparden gehört und hofften auf einen ähnlichen Erfolg. Die beiden Schelme zeigten, als sie herangewachsen waren, zwar Jagdlust, doch nur für die eigenen Zähne. Daheim erregten die reizenden kleinen Geschöpfe große Freude. Jeder nahm sie auf den Arm und hätschelte sie. Man gab ihnen Milch und setzte sie in einen Gitterkäfig. Einstweilen sollte sie Lieschen und Lulu als Spielzeug dienen.
Noch eine ganze Woche verweilten die Gäste bei den liebenswürdigen biederen Menschen. Bis sie schieden, nahmen sie das Versprechen mit, daß ihr Besuch nach der Ernte in gebührender Weise erwidert werden sollte.
Zu Hause fanden sie alle Hände voll zu tun. Freund Lietz hatte ihnen seinen Cäsar mitgegeben, der ihnen bei den nunmehr notwendigen Neubauten als Werkführer dienen sollte. Das Notwendigste war ein neuer Stall mit zwei Abteilungen für die Rosse und für das Rindvieh, welches sich durch Ankauf bereits um zwei Stück vermehrt hatte. Dann fehlte ein Schuppen, um die zu erwartende Ernte zu bergen und auszudreschen. Endlich brauchten sie einen Backofen, wie ihn die Lietzfarm besaß. Da man vorläufig auf Schönheit der Gebäude verzichten und nur die Zweckmäßigkeit im Auge behielt, war man, als das Korn sich gelb zu färben begann, mit der Bauarbeit fast fertig. Nun mußte auch Cäsar an die Heimkehr denken, denn man brauchte ihn nötig zur Ernte.
Auf den Feldern der Junggesellen-Farm war die Aussaat europäischer Getreide und Gemüse prächtig gediehen. An Roggen bauten sie bereits so viel, daß sie hoffen durften, schon im nächsten Jahr das liebe deutsche Schwarzbrot als tägliche Speise auf ihrem Tische zu sehen. Alle Früchte des Feldes und der Gärten überragte an Üppigkeit und Fülle jedoch der Mais. Jung, grün und saftvoll gab er, kurz geschnitten, ein prachtvolles Futter für Pferde und Rinder. Man brauchte damit nicht zu knausern, denn es blieb auch bei reichlichem Verbrauch immer noch genug übrig, was man zu völliger Reife gelangen lassen konnte.
Die Ernte nahm nun für längere Zeit alle Kräfte der Kolonisten in Anspruch. Die Gewehre mußten ruhen. Man war mit der Arbeit eben fertig, als auch schon der erste Nachtfrost eintrat und daran mahnte, daß es Zeit sei, das Vieh aus den offenen Gehegen in die warmen Ställe zu bringen. Gleichzeitig erwachte auch in Moor die Jagdlust. Er hatte längst eingesehen, daß das Handelsgeschäft über St. Paul für die Zukunft zu zeitraubend und darum zu kostspielig sei. Bisher hatte man fast den 10. Teil des Jahres auf Reisen zugebracht und dadurch wurde der Jagdertrag natürlich bedeutend verringert; denn Reisen kosten selbst im wilden Westen Zeit und Geld.
Um rentabler zu verfahren, war zwischen ihm und Herrn Mac Donald bei ihrem letzten Zusammentreffen verabredet worden, daß Donald zweimal jährlich einen zuverlässigen Knecht mit einem starken Packpferde schicken sollte, um die vorrätige Ware abzuholen. Außerdem aber wollte man sich noch einmal jährlich in St. Paul treffen, wo der Händler die im Quellengebiet des Missouri erbeuteten Biberfelle in Empfang nehmen und Zahlung leisten wollte. So durfte denn Moor als Hausverwalter auf eine regelmäßige Jahreseinnahme rechnen; wenn das Jagdglück günstig war, sogar auf eine ganz ansehnliche.
Für den Verkehr zwischen der Farm Moor & Co. und der Familie Lietz wurde die Entdeckung einer Zwischenstation sehr wertvoll. Es war dies das Blockhaus eines Deutschen, namens Günter, welcher auf seiner etwas abseits gelegenen Farm als Witwer mit drei erwachsenen Kindern ein stilles und arbeitsames Leben führte. Dort trafen sich von nun ab die Bewohner der befreundeten Häuser häufiger. Die Gastfreundschaft des biedern Wirtes lohnte sie durch reichliche Versorgung von Küche und Keller.
Da es damals in den westlichen Landschaften noch keine fahrbaren Landstraßen von einem Gehöft zum anderen gab, mußten auch die Frauen, wenn sie nicht auf allen Umgang mit ihren entfernt wohnenden Nachbarinnen verzichten wollten, sich aufs Pferd setzen. Edit, das Weib Lupetüs, hatte schon als Kind die Reitkunst erlernt. Die beiden Mädchen von Günter desgleichen, und endlich bequemte sich auch Frau Anna Lietz, ein Pferd zu besteigen. Sie fand bald, daß es ihrer Gesundheit zuträglich sei, und so wurde sie noch auf ihre alten Tage, wie sie sich ausdrückte, eine passionierte Reiterin.
Die beiden Frauen, Edit und Anna, hatten, bevor sie sich von Angesicht zu Angesicht sahen, durch ihre Männer so viel Gutes voneinander gehört, daß der Wunsch, sich persönlich kennen lernen zu wollen, ganz natürlich war. Und darum entschloß sich Herr Lietz zu einem Besuch des Wolftöters mit Weib und Kind. Heinz Moor übernahm das Amt eines Führers, nachdem Johannes zuvor die Gäste in Lupetüs Haus angemeldet hatte.
Ohne nennenswerte Abenteuer, unbelästigt von herumschweifenden Indianern, gelangte die kleine Karawane am Ziel ihrer Reise an. Sie wurden alle auf das herzlichste von der Familie des Wolftöters empfangen. Von seiner schwarzen Dienerschaft hatte Lietz keinen mitgenommen, teils, weil sie auf der Farm nicht gut abkömmlich waren, teils aber auch, weil er die Abneigung der Indianer gegen die schwarze Rasse kannte. Ohnehin wurden die geräumigen Gastzimmer der Villa Lupetü zum ersten Male vollständig besetzt. Man hatte sich vorgenommen, den Besuch auf längere Zeit auszudehnen; denn die Reise war mühselig genug gewesen, und außerdem wollte man sich ordentlich kennen lernen, wie die Frauen sagten. Dringende Arbeiten lagen außerdem nicht vor und so kam es denn, daß die Abreise von einer Woche auf die andere verschoben wurde, bis das Weihnachtsfest heranrückte.
Schon bei dem ersten Rundgange durch das Gehöft hatte es genug zu staunen, zu bewundern und zu fragen gegeben. Was hatten die unermüdlich fleißigen Menschen in kaum 20 Jahren aus der »Wolfsschlucht« und dann aus der dürftigen Indianerhütte herausgearbeitet! In den Pferdeställen standen 24 gezähmte und zu jedem Dienst taugliche Pferde, und fast eben so viele waren noch in der Lehre begriffen, halbwilde Mustangs. Sechs Kühe und vier Ziegen lieferten den Hausbedarf an Milch, Butter und Käse. Das Hühnerhaus bevölkerte ein hundertköpfiger Schwarm von allem landesüblichen Geflügel. Die kleine Scheune zeigte sich vollgepfropft von Mais und Weizen, die Schuppen von Heu und Klee. Auf dem als Speicher benutzten Bodenraum lagerte das Brotgetreide nebst mannigfachen Sämereien. In den Wagenschuppen fand man Vorräte verschiedener Art, wie Brennholz für die Kachelöfen, trockne Häute, Bretter, Zaunpfähle, Acker- und Wirtschaftsgeräte. Überall herrschte die größte Ordnung und Sauberkeit. Jedes Kind hatte, wie schon gesagt, sein bestimmtes Amt, und das war möglich, weil sie nichts weiter zu denken hatten. Die Schule machte keine Ansprüche an die Zeit und Kraft des heranwachsenden Geschlechtes, denn es gab keine. Die Eltern mußten, so gut es eben ging, ihren Kindern die Schule ersetzen. Die letzten Tagesstunden, wenn Feierabend gemacht und das Abendbrot eingenommen war, benutzten sie dazu, ihre Kinder zu unterrichten. Während der liebe Besuch im Hause weilte, waren freilich auch für die Farmschule Ferien eingetreten. Jetzt gab es andere Freuden. Das waren die Erzählungen ihrer neuen Freundin Lisbeth Lietz, die auch den besten Teil ihres Wissens dem elterlichen Unterricht verdankte und überdies einen köstlichen Schatz von deutschen Märchen besaß, welcher die Kinder des Westens völlig bezauberte.
Herr Lietz hatte nach der Besichtigung der Farm besorgt den Kopf geschüttelt und geäußert: »Das ist alles ganz wundervoll! Aber ich bewundere euren Mut, mit welchem ihr euch hier inmitten der feindlichen Mingos und Sioux angesiedelt habt. – Ich sehe nirgends eine Schutzwehr, keine Mauer, keinen Wall, keine Palisaden. Haus und Hof stehen mit offenen Hallen und Veranden da, als lebtet ihr in einer Berliner Villenkolonie, bewohnt von lauter tugendhaften Geschöpfen. – Dabei macht der Hausherr weite Ausflüge in die Prärien und Urwälder und läßt sein Anwesen sorglos in der Obhut von Frau und Kindern.«
Mit einem ganz besonderen Lächeln erwiderte der Indianer: »Gerade diese offenkundige Sicherheit ist es, was uns besser schützt als Wall und Graben. – Sie stärkt und fördert den Aberglauben der törichten Sioux. – Ihr müßt nämlich wissen, Freund Lietz, daß schon der Vater meiner Frau den Sioux als feindlicher Medizinmann galt. Nicht aus Raubsucht, sondern aus Rachedurst plünderten und verbrannten sie damals sein Haus. Daß seine Tochter auf eine unerklärliche Weise unverletzt entkam, war für sie ein Beweis, daß Edit eine noch mächtigere Zauberin sei als ihr Vater. Dieser Aberglaube fand seine Bestätigung in dem Umstande, daß die Räuber auf ihrem Rückzüge von einem Trupp berittener und bewaffneter Farmer, die das Feuersignal zu Hilfe gerufen hatte, angegriffen, zersprengt und fast völlig aufgerieben wurden. Die wenigen, welche sich durch die Flucht retteten, machten, um ihre Feigheit zu verdecken, von dem Blutbade eine grausig märchenhafte Schilderung, die sich von Mund zu Mund vergrößerte wie eine Schneelawine, die von den Bergen stürzt. So lange Edit in meinem Hause weilt, ist es vor diesen Unholden gefeit. – Sie fürchten ihren Zauber. Könnten sie mich allein einmal aus einem Pirschgange erwischen, sie würden mich gewiß nicht verschonen, vorausgesetzt, daß sie mich in großer Übermacht überraschten.«
Mit Stolz blickte Edit auf ihren Gatten. Eine solche Rede hatte sie von ihm noch nicht gehört. Emil dagegen lachte hell auf. »Da schützt euch also die Dummheit der Kerle.«
In den letzten sonnigen Spätherbsttagen machten die Männer mit ihren Frauen kurze Besuche bei den nächsten Nachbarn, oder die Männer unternahmen kleine Jagdpartien in die nächste Umgebung. Den glücklichen Menschen waren die Stunden, Lage und Wochen so schnell verflogen, daß sie fast erschrocken waren, als Emil mahnte: »Jetzt aber wird's Zeit, daß wir aufbrechen! Das Bummeln hat ein Ende.«
Von dieser Zeit ab hörte der freundschaftliche Verkehr zwischen den Familien nicht mehr auf. Namentlich war es die Zeit, in welcher die Feldarbeit ruhte, welche man zu herzlichen Zusammenkünften benutzte. Neue Anregung erhielt das gesellige Leben im Verlauf der nächsten Jahre durch fortgesetzte Besiedelung der Landschaft durch deutsche Auswanderer.
Während dieser Zeit wuchs auch der Wohlstand der Wildschützen und ihrer Freunde. Durch mannigfache Liebesdienste, die sie einander zu erweisen oft Gelegenheit hatten, ward das Band, welches sie vereinte, immer mehr befestigt, vor allen aber war es Moor vergönnt, seinem »roten Bruder« die Opfer zu vergelten, welche dieser ihm seither ohne Aussicht auf Gewinn gebracht hatte.
Lupetü kannte einen Platz, wenige Meilen von der Moor-Farm entfernt, doch weit ab von den Wohnsitzen der Indianer, wo im März und April der Mustang mit Vorliebe weidete. Seine Schatzkammer hatte er diesen Platz genannt. Es war das eine weite kesselförmige, stets feuchte Wiese, rings von Bergen und wild durcheinandergeworfenen Felstrümmern umschlossen. Nur zwei enge, schlangenförmig sich windende Pässe führten durch das steinerne Labyrinth zu ihr hin, so wenig zugänglich und in die Augen fallend, daß der Wolfstöter ihre Entdeckung einem Zufalle verdankte und der feinen Witterung seines weißen Hengstes »Schneeflocke«. Schon oft hatte er die versteckte Bergwiese aufgesucht und niemals die Spur eines menschlichen Wesens entdeckt. Sein Fuß war also scheinbar der erste, der in diese Einöde eingedrungen war. Selbst die Mustangherde, welche er hier anzutreffen pflegte, bestand gewöhnlich nur aus wenig Tieren, etwa einem Dutzend Stuten mit einigen Füllen, geführt von einem Hengste. –
Mit der Zeit fühlte sich Lupetü in diesem geheimen Schlupfwinkel so sicher, als befände er sich unter dem schützenden Banne seines Weibes Edit. Dennoch verabsäumte er nie, die ihm zur Gewohnheit gewordenen Vorsichtsmaßregeln zu beachten. Bevor er eintritt, spürte er sorgfältig beide Pässe ab nach frischen Hofspuren, die etwa ins Tal oder hinausführen könnten. Nur wenn er seiner Sache ganz sicher war, drang er weiter vor. – So lange dann die Jagd auch währen mochte, hütete er sich wohl, ein Feuer anzuzünden, denn dessen Rauch hätte seine Anwesenheit leicht verraten können.
Die große Wiese vertiefte sich muldenförmig nach der Mitte zu, wo sie den Charakter eines Sumpfes annahm. – Aus diesem Moor erhob sich eine kleine Insel mit hohen, uralten Hyckori-Bäumen bestanden. Moor hatte mehrmals versucht, dieses Eiland zu erforschen, aber stets vergeblich. – wenn auch hier und da eine feste Landzunge in den Sumpf sich verirrte, verlief sie doch nur zu bald, um jedes weitere Vordringen unmöglich zu machen. – Ein Unerfahrener, der durch die trügerische grüne Oberfläche sich hätte täuschen lassen, wäre unfehlbar in der Tiefe versunken.
Eines Tages war Lupetü wieder auf der Mustanghetze. AIs er den einen Paß durchschritten hatte und die Wiese vor sich sah, entdeckte er, daß eine Herde Mustangs das Tal auf der andern Seite verließ. Da nun der Tag bereits zu weit vorgeschritten war, beschloß der enttäuschte Indianer, an Ort und Stelle zu übernachten.
Während sein Hengst gefesselt graste, nahm er sein bescheidenes Mahl ein, hüllte sich in seine Decke und versuchte, aufs Moos gebettet, zu schlafen.
Unterdessen war der Mond aufgegangen und beleuchtete das Tal, die Wiese und die Felsen ringsum mit weißem, hellem Licht.
Schon schlief Lupetü den ersten Schlaf, als ihn ein leises Geräusch aufschreckte. – Er hob den Kopf ein wenig in die Höhe und sah ein seltsames überraschendes Schauspiel.
Von der Insel her betrat ein starkgeweihter Elk Elk = Elenhirsch, sehr starker Hirsch. einen durch den Sumpf führenden Steg. Ihm folgten weibliche Tiere mit Kälbern. Ohne einen Augenblick zu zaudern oder sich umzuschauen, führte der Elk seine Herde, bald rechts, bald links abliegend, im Zickzack durch das Moor bis auf die trockene Wiese. hier ästen sie im Gefühle ihrer Sicherheit, stiegen ohne Scheu an den Hängen der Berge empor und verschwanden schließlich im Walde.
Lupetü vermutete, daß dies Rudel Elke zu seiner Sicherheit tagsüber Aufenthalt auf der Insel nehme. Dort gab es jedoch für sie nicht genügende Nahrung, und deshalb suchten sie nächtens die Weideplätze auf den Bergen auf.
Die Elke lieben morastigen Boden. Wer aber hatte sie den verschlungenen gehbaren Weg durch den unergründlichen Sumpf erkennen gelehrt?
Der Wolfstöter sprang auf. Es galt, den Weg, den die Tiere soeben zurückgelegt hatten, wiederzufinden. Doch wie? Im Dämmerlichte des Mondes war das rein unmöglich. Man mußte den Morgen erwarten und die Rückkehr der Tiere. – Der Indianer hüllte sich also in seine Decke und war auch bald eingeschlafen. Eine große Entdeckung stand ihm bevor.
Als das Morgenrot am östlichen Himmel aufleuchtete, war Lupetü bereits auf den Beinen. Am Abende vorher hatte ihn die Überraschung verhindert, die mannigfachen Windungen des Weges, den der Elk genommen hatte, sich genau zu merken. Jetzt wollte er ihn genauer beobachten.
In derselben Ordnung, in welcher sie gekommen waren, traten die Tiere den Rückmarsch an. – Kaum waren sie drüben im dichten Gehölz verschwunden, so schlich Lupetü wie ein Luchs ihnen nach. Er glaubte sich auf seinen Spürsinn verlassen zu können. Das Gewehr über der Schulter, ausgerüstet mit einer langen Stange, wagte er sich in den Sumpf. Es folgte genau den Spuren des Wildes und erreichte auf einem wildverschlungenen Pfade das Eiland. Seinen Hengst Schneeflocke hatte er auf der Wiese zurückgelassen.
Das überquellende Wasser hatte seine Fußtapfen sofort wieder verwischt. Selbst die langen Halme, welche unter seinem Tritt sich geneigt hatten, richteten sich wieder auf. Er war überrascht von der Waldinsel. Er hatte da ein Versteck ausgekundschaftet, das ihm im Notfalle als Zufluchtsstätte dienen konnte gegen ein ganzes Heer von Huronen und Sioux. Nur die austretenden Elke konnten den Weg verraten. Sonst war es unmöglich, auf die Insel mitten im Moore zu gelangen. Doch wie ihm, so konnte durch die Elke einem verirrten Jäger oder einem aus Abenteuer ausgehenden Mingo das Geheimnis ebenfalls verraten werden. Um das zu verhüten, gedachte er dem Rudel den Aufenthalt auf der Insel zu verleiden.
In dichtem Gebüsch versteckt, schoß er sein Gewehr ab. Der Erfolg entsprach seinen Erwartungen. – verschüchtert trat das Wild aus dem Holze und flüchtete auf dem geheimnisvollen Wege. Doch kaum hatte der Führer des Rudels den festen Wiesenrand unter den Füßen, so knallte es abermals. Der Elk fiel aufs Knie, raffte sich jedoch augenblicklich wieder auf und lief davon. Es war ja nur ein Schreckschuß gewesen, der ihm ein rundes Loch durchs Ohr gebohrt hatte. Dem Falkenauge Lupetüs war das nicht entgangen. »Du bist gezeichnet, mein Bürschchen! Du kommst nicht wieder!«
Die beiden Schüsse waren die ersten, welche Lupetü in diesem versteckten Tale abgegeben hatte. Er hatte bisher jedes unnütze Geräusch vermieden, um die Krieger streifender Huronen oder Sioux nicht hierherzulocken. Sonst jagte er nur mit dem Lasso. Das flüchtige Wild war unterdessen im Walde verschwunden. Allmählich verhallte auch das Echo, welches der Schuß weithin durch die Klüfte getragen hatte.
Lupetü entschloß sich, die Insel zu durchforsten, so weit das dichte Unterholz dies gestattete. Er fand einen überaus üppigen Pflanzenwuchs vor, an Tieren nur Vögel und Eichhörnchen aller Art. Kein menschlicher Fuß schien das geheimnisvolle Stückchen Erde je betreten zu haben.
Plötzlich schreckte ihn das laute Wiehern seines Rosses auf. – Was war das? – Er horchte und glaubte in weiter Entfernung eine Erwiderung auf den Gruß seines Hengstes zu hören. Mehrmals wiederholte sich das Wiehern der Rosse.
Was hatte das zu bedeuten? – Waren das wiederkehrende Mustangs oder indianische Reiter?
Für Lupetü bedurfte es nur eines Augenblickes, um zu überlegen. Was ist besser, schleuniger Rückzug oder Abwarten? Er entschied sich für das letztere. Im Dickicht geborgen, doch so, daß er das schimmernde Fell seines Rosses im Auge hatte, verharrte er in Deckung, die Büchse im Arm.
Bald konnte er den Hufschlag von Pferden hören. Es war nicht das wilde Durcheinander einer tobenden und drängenden Mustangherde, sondern der Gang gezügelter Rosse.
Sollte sein Liebling, seine Schneeflocke, an ihm zum Verräter geworden sein?
Noch einige Minuten gespannter Erwartung. – Dann tauchte ein bemaltes Rotgesicht aus dem Grün des Laubes auf, durchforschte mit Späherblicken das Tal und stieß, da der Hengst ihn wiehernd begrüßte, ein freudiges »Hugh!« aus. – Dem Reiter folgten fünf andere, alle grellrot bemalt und im vollen Waffenschmuck.
Es waren Krieger der Sioux, die, des langen Friedens wieder einmal überdrüssig, das Kriegsbeil ausgegraben hatten.
Sofort bemächtigten sie sich des gefesselten Hengstes. Sie kannten ihn wohl, den um seine Schnelligkeit willen berühmten Renner. Sie kannten auch den glücklichen Besitzer des Tieres, ihren Todfeind Lupetü, der mehr als einmal durch die Schnelligkeit desselben ihren Händen entronnen war. – Diesmal aber sollte er, seines Rosses beraubt, ihnen nicht wieder entgehen. Sein Skalp war ihnen nicht minder wertvoll als der erbeutete Schimmel. Sie schwangen ihre Waffen und gebärdeten sich wie toll. Unmöglich konnte der Tschippewä weit sein, denn freiwillig läßt kein Indianer sein Roß im Stich. – Nachdem sie Kriegsrat gehalten hatten, verblieben zwei von ihnen, versteckt im dichten Gebüsch, als Wächter bei den Pferden. Zwei spähten am Saume des Waldes nach den Eindrücken der Mokassins des verhaßten Feindes, während die andern beiden Rothäute den Sumpf in der Erwartung untersuchten, daß die Insel vom festen Lande aus von irgend einer Stelle zugänglich sein werde.
Wohl fand man die Fährte des Wolftöters wie des zur Tränke gekommenen Wildes, nirgends jedoch Beweise dafür, daß der Tschippewä das Waldgebirge betreten oder in den Moor eingedrungen sei. So oft sie sich auf einer festen Landzunge in den Sumpf wagten, so oft sahen sie sich zur Umkehr genötigt. – Wie sollten sich nun die Sioux das Verschwinden des Reiters und das Zurücklassen seines Rosses erklären? Hatte auch er in der Schule seines Weibes das Zaubern erlernt und war durch die Luft entflogen? Oder sollte der kühne Jäger bei einem gewagten Versuch, die Insel zu gewinnen, im Sumpfe versunken und verdorben sein? – Über den Verlust seines Skalpes hätte man sich gern getröstet, da er ihnen ja seinen schnellen Hengst als Entschädigung zurückgelassen hatte.
Schon glaubten die Sioux, das Richtige gefunden zu haben, und sie erklärten sich die beiden vorhin gehörten Schüsse als Notsignale. Da stieß Sperberauge, ein junger, ehrgeiziger Krieger, das bedeutungsvolle »Hugh!« aus und zeigte hinüber nach dem Eilande.
Seine Gefährten folgten der Dichtung und gewahrten wie hinter einem niedrigen Gebüsche leichte Rauchwölkchen aufstiegen. Was hatte das zu bedeuten? – Sollte Lupetü ohne Ahnung von der ihm drohenden Gefahr sich in aller Gemächlichkeit ein Eichhörnchen am Spieß braten? – Nimmermehr konnten sie dem erfahrenen Jäger eine solche Sorglosigkeit zutrauen, viel eher durfte man dies Zeichen für eine höhnende Herausforderung halten, denn gründlicher konnte er seine Verachtung der Feinde nicht kund tun, als wenn er so tat, als wäre ihm ihre Nähe ganz gleichgültig.
Der Gedanke schoß dem heißblütigen Sperberauge so wild und aufreizend durch den Kopf, daß er die gewöhnte Selbstbeherrschung vergaß, einen Schritt vortrat und sein Gewehr an die Backe riß. – Schon berührte der Zeigefinger den Abzug, da – ein Knall, ein Krach und der junge Krieger taumelte betäubt zu Boden. Was war denn das? – War er erschossen? Doch nein, er richtete sich ja wieder auf. – Er hatte vom Kolben seiner eignen Büchse eine furchtbare Ohrfeige erhalten, so furchtbar, daß sie ihn niedergeworfen hatte. – Und wie das zuging? – Hatte der Wolftöter geschossen? – Dort oben auf dem Felsen hatte es aufgeblitzt. Wer war der kühne Schütze?
Heinz Moor hatte mit Hans und einem Handpferde einen Streifzug auf Luchs und Wildkatz unternommen und im Jagdeifer sich bis in die Berge verirrt. Sie kamen in die Kreuz und Quer und schließlich auch in das versteckte Tal, wo die Mustangs zu finden waren. Ein glücklicher Zufall! Eben war Moor auf der Spitze einer Felskuppe angekommen, welche einen freien Blick auf Wiese und Insel gestattete, als der erste Schuß des Wolftöters fiel. Am Knall der Büchse erkannte er sofort den Schützen. Wie eine Ahnung von der dem Freunde drohenden Gefahr durchbebte es ihn. Er ließ Johann mit den Pferden zurück und hastete über Steingeröll und durch die gähnende Gründe bis zu einer vorspringenden Klippe, wo er Zeuge der letzten Vorgänge geworden war.
Der gefesselte Schimmel, der von der Insel aufsteigende Rauch und das Gebahren der Sioux genügten ihm, um die Lage der Dinge klar zu erfassen. Fest entschlossen, dem Freunde zu helfen, wollte er die Gegner nur warnen und vor weiteren Gewalttätigkeiten abschrecken. Darum galt sein Schuß nicht dem Haupte, sondern dem Büchsenschaft des jungen Indianers.
Der alte Häuptling der Sioux warf nur einen Blick auf die zertrümmerte Büchse, einen zweiten auf die Höhe, von der die Kugel gekommen war, dann rief er: »Hugh! – Die lange Flinte!« – machte einen gewaltigen Sprung rückwärts, erreichte in zwei, drei Sätzen den Baum, an dem sein Gaul angebunden, schwang sich mit jugendlicher Behendigkeit auf des Tieres Rücken und jagte davon. Seine jungen Gefährten folgten ihm, ohne zu zögern, denn der Schreckensruf ihres Häuptlings! »Die lange Flinte!« war auch ihnen in die Glieder gefahren.
Heinz war befriedigt. – Er gab seinem getreuen Hans das verabredete Zeichen und stieg gemächlich ins Tal hinab, wo er bereits Freund Lupetü vorfand. Es zeigte sich, daß die Lage des Tschippewä noch gar nicht so hoffnungslos gewesen war, als Moor und die Sioux angenommen hatten. Das Feuer, dessen Rauch die Gegenwart eines Insulaners verraten hatte, rührte von dem angesengten Pfropfen aus Lupetüs Büchse her, an dem sich dürres Laub entzündet hatte. Bis Sperberauge dadurch sich zu einer Unbesonnenheit verleiten ließ, und die Büchse erhob, befand sich Lupetü bereits an einem ganz anderen Teile der Insel. An die Rauchstelle hätten alle 6 Sioux also immerhin ihre Büchsen richten können, ohne unsern Freund zu gefährden.
Lupetü hatte auf der Insel bereits einen festen Platz ausfindig gemacht, wo er einem ganzen Heer der Sioux trotzen konnte. Es waren dies zwei zusammengewachsene starke Nußbäume, welche in halber Manneshöhe einen Zwiesel Zwiesel = Gabelzweig. bildeten, der vor feindlichen Kugeln schützte und doch gestattete, das Gewehr hindurch zu zwängen und zu zielen. Während jemand von diesem Standorte aus den Sumpf und den östlichen Teil der Wiese zu überschauen vermochte, schützte ihn gegen Norden, Westen und Süden der dichte Wald. Bei einer längeren Belagerung wäre es nur darauf angekommen, die nötige Munition und einen genügenden Eßvorrat zur Hand zu haben.
Das alles jedoch soll Moors Verdienst um die Rettung seines roten Freundes nicht herabsetzen, denn er hatte ohne Zögern für ihn sein Leben aufs Spiel gesetzt. Auch ließ sich aus der vorhandenen Lage der Dinge gar nicht schließen, was ohne sein Eingreifen weiter geschehen wäre. Lupetü war denn auch von ganzem Herzen dankbar, zumal er ja auch seinen Renner Schneeflocke gerettet hatte, den die Sioux sicher als gute Beute mitgenommen hätten, wenn ihr Rückzug nicht gar so eilig gewesen wäre.
Feige Wölfe sind die Sioux, die vor dem Schatten einer Gefahr in ein Mauseloch kriechen möchten!« – So rief er entrüstet und spie ihnen nach.
Nicht immer war Moor so glücklich im Kampfe mit feindlichen Indianerhorden. Auf freiem Felde ihn anzugreifen, wagten sie zwar nicht, mochte ihre Übermacht auch noch so groß sein, denn seine Kugel verfehlte nie ihr Ziel. Dagegen mußte er sich vor düsteren Kluften und dichtem Gestrüpp hüten, wo nicht selten versteckte Gefahr drohte. Mehr als einmal wurde er aus tückischem Hinterhalt angeschossen, doch, Gott sei Dank, nicht lebensgefährlich verwundet. – Da er sich wohl hütete zu verraten, daß auch seine Haut nicht kugelfest sei und sich nie früher sehen ließ, bis seine Wunden völlig geheilt waren, so neigten die abergläubischen Rothäute immer mehr dem Glauben zu, daß auch er ein Medizinmann geworden und unverwundbar sei. In dieser Voraussetzung stellten sie fernere Versuche, ihn aus dem Wege zu räumen, ein. Viele waren auch zu der Einsicht gekommen, daß er ihnen eigentlich gar nicht im Wege sei, und daß er ihre heimtückischen Angriffe nur mit Verachtung strafe. Dagegen lernten die den Weißen befreundeten Stämme mit der Zeit ihn als einen Verbündeten betrachten, auf dessen Hilfe und Bruderschaft sie stolz waren.
Viel trug dazu bei, daß die drei Deutschen sich befleißigten, die Dakota- wie die Huronen-Sprache zu erlernen. Selbst von der Kleidung und den Sitten der Indianer nahmen sie vieles an. Auf die Indianer wirkte das sehr versöhnend. Es schmeichelte ihnen, daß die Fremdlinge ihre Sitten und Gebräuche zum Teil annahmen. Sie erwarben sich dadurch gewissermaßen das Bürgerrecht der Prärie.
Aus Europa ging den Deutschen nur selten Nachricht zu. Was sie erfuhren, geschah meistens durch Vermittlung Lietz', welcher noch immer eifrig deutsche Zeitungen las, wenn sie auch alt geworden waren, ehe sie in seine Hände kamen. So erfuhren sie denn auch, daß Friedrich VI. von Dänemark, am 3. Dezember 1839 gestorben sei. Tiefbewegt gedachten sie des wohlwollenden Fürsten und Menschenfreundes, dem sie die Rettung aus gefährlicher Lebenslage und ihr neues Leben verdankten.
Ihre äußeren Verhältnisse nahmen unterdessen einen erfreulichen Aufschwung. Zur Erweiterung ihres Pelzgeschäftes sowohl als der Landwirtschaft brauchten sie größere Räumlichkeiten. Auch ihre Arbeitskraft reichte weder für den Handel nach den fernen Marktplätzen noch für die Arbeiten des wachsenden Ackerbaues aus. Darum suchten und fanden sie denn auch Gehilfen, die einen für Feld, Garten und Haus, die andern für die Jagden und Reisen als Geschirrführer und Packknechte.
Manche von diesen hatten in Europa eine glänzende Rolle gespielt. Sie waren aber durch Leichtsinn und Genußsucht so herabgekommen, daß sie, sobald ihr Vermögen vergeudet war, verfolgt von ihren Gläubigern, nach Amerika flüchteten, wo sie anstatt des erwarteten Goldlandes ein Land der Arbeit vorfanden und gezwungen wurden, sich den niedrigsten Verrichtungen zu unterziehen, wenn sie überhaupt weiter leben wollten. Mittellose, leichtfertige Auswanderer durften es noch als ein Glück betrachten, daß in Amerika Arbeit ehrt und Müßiggang schändet. – Die Schätze, welche Amerika damals in reicher Fülle und auch heute noch in ausreichendem Maße bietet, bestehen in lohnender Arbeit, doch einer so anstrengenden und tüchtigen Arbeit, wie sie Auswanderer genannter Art in den allerseltensten Fällen zu leisten gewohnt sind, wer sich derselben nicht unterziehen will oder kann, mag verhungern! Auf Mitleid von seiten der Amerikaner darf er nicht rechnen.
Moor scheute keine Mühe, um Unglücklichen dieser Art behilflich zu sein, die verlorne Selbstachtung wieder zu gewinnen und ihnen die Möglichkeit zu gewähren, ausgesöhnt mit Gott und Menschen, schließlich nach der alten, trauten Heimat zurückzukehren.
Um diese Zeit trat an die Genossenschaft der 3 Junggesellen immer dringender das Bedürfnis heran, die kaufmännischen Geschäfte, den Pelzhandel also, von der Landwirtschaft vollständig zu trennen.
Eduard, in dem sich eine besondere Vorliebe für die hier so dankbare Ausnutzung des urkräftigen Bodens entwickelt hatte, wurde zum Ökonomie-Inspektor ernannt und erhielt eine besondere Wohnung inmitten der nötigen Wirtschaftsgebäude.
Die verkäuflichen Erzeugnisse des Bodens wurden teils auf zweiräderigen Karren, teils zu Wasser nach den nächstgelegenen Marktplätzen gebracht. Dabei wurden die Junggesellen von ihren Freunden in jeder Weise unterstützt. Lietz besorgte die Verschiffung des Getreides nach St. Louis und Lupetü trug Sorge für die Beschaffung der nötigen Pferde und Arbeiter. Aus seinem Marstall konnte er jederzeit die Tiere stellen und aus Chikago zuverlässige Mannschaft beschaffen.
Auch der Tschippewä sah sich genötigt, seinen Hausstand zu vergrößern. – Seine hohe Schule für Mustang-Fang, Dressur und Zucht gewann unter allen befreundeten Indianerstämmen einen solchen Ruf, daß er unmöglich allen wünschen um Aufnahme von Lernbegierigen genügen konnte und stets die Wahl unter den tüchtigsten Jünglingen hatte. Diesen Bevorzugten machte er es dann aber zur Pflicht, als Entgelt ihm bei Bestellung seiner Ländereien behilflich zu sein. Die Kenntnisse, welche sich die jungen Leute dabei erwarben, kamen ihnen später, sobald sie selbst Grundbesitz erlangten, zu gute.
Als nach dem Bürgerkriege die Südstaaten Nordamerikas gezwungen wurden, ihre Sklaven frei zu geben, traten auch die Schwarzen auf der Lietz-Farm als freie Bürger in den Dienst ihres gütigen Herrn. Dieses Ereignis brachte zwei Hochzeiten zustande. Cato heiratete die Mara und Cäsar die Lulu. Jedes der beiden Paare bezog ein neues, extra für sie erbautes Häuschen in der Nähe der Farm und vermochte durch Fleiß und Sparsamkeit mit der Zeit ein kleines Kapital zu erwerben. »Für die alten Tage,« meinten sie, »wenn uns die Kraft zum Arbeiten versagt.« Lietz hatte seine Freude an den prächtigen Menschen.
Ihr Beispiel schien ansteckend auch aus die weißen Einwanderer zu wirken. Zuerst gestand Johannes seinem Chef, daß er in den Stand der heiligen Ehe zu treten beabsichtige. Seine Auserwählte war Ada, Lupetüs Älteste. Das junge Mädchen schien ihm herzlich zugetan zu sein, und auch die Einwilligung der Eltern war ihm sicher. Heinz Moor glaubte eben so wenig Einwendungen machen zu dürfen, da Johannes in dem neuen Lande auch einen ganz neuen Menschen angezogen hatte. Redlich, nüchtern, zuverlässig, arbeitsam, anstellig zu jeder Arbeit, hatte er sich um das Gedeihen der 3 Männer-Kompagnie bereits große Verdienste erworben. Überdies dachte er gar nicht daran, sich von dieser loszusagen. Sein höchster Ehrgeiz, sein sehnlichster Wunsch bestand in dem Besitz eines eigenen Hauses. Dem sollte genügt werden. Der Junggesellen-Farm gegenüber wurde unter Cäsars Leitung zwei neue Gebäude für den Kompagnon Johannes und den Inspektor Eduard aufgeführt.
Eduard verharrte eigensinnig im Junggesellenstande, indem er behauptete, keine Zeit zu Tändeleien mit einer Skau Skau (indianisch) = Weib. zu haben. Anfänglich besorgte eine alte Negerin sein Hauswesen, während er sich für verpflichtet hielt, das liebe, tägliche Brot für die »ganze Gesellschaft« seinem dankbaren Boden abzugewinnen. Dann aber war Nachricht aus Lauenburg gekommen. Seine hochbetagte Mutter, den Vater hatte er bereits in frühester Jugend verloren, der er während der letzten Jahre reichliche Unterstützung hatte zukommen lassen, sei gestorben. Da entschloß er sich, seine jüngere Schwester Marie zu sich zu nehmen.
Nachdem er ihr das Reisegeld für die zweite Kajüte hinübergeschickt hatte, holte er sie selbst von New York ab. – Sein Haus hatten die Freunde sauber herausgeputzt, daß es dem schüchternen, vergrämten Mädchen vorkam, als führe man sie in ein Hochzeitshaus. Gewöhnt an Sparsamkeit und Entbehrungen aller Art, schien ihr das einfache Leben auf der Farm großartig und verschwenderisch. Eduard mußte ihr oft wehren, daß sie ihm die Feldarbeiter nicht zu knapp in der Kost hielt.
Johannes und Eduard waren gut aufgehoben. Heinz Moor stand allein da. Was sollte aus ihm werden? wollte er allein als Wildschütz weiter hausen?
Fiel ihm nicht ein. Er hatte schon lange daran gedacht, sich eine Frau ins Haus zu nehmen, um endlich dem elenden Junggesellenleben, ohne Pflege und Sorgfalt, ein Ende zu machen.
Lietzens Älteste, die Käthe, das wäre so ein Weib für ihn. Sie war rührig und mutig, man möchte sagen kühn. Sie führte die Büchse wie ein Mann und fürchtete sich vor den Bären nicht. Heinz Moors Wesen war ihr überaus angenehm. Er war in ihren Rügen ein ganzer Mann. Zuneigung war also auf beiden Seiten vorhanden. Vater Lietz segnete das Brautpaar, und die Hochzeit wurde mit Freunden und Nachbarn drei Tage lang gefeiert.
Hatte doch der gute König Friedrich sehen können, wie gut er damals gehandelt hatte, als er Heinz Moor, den gefürchteten Wilddieb, auf seine Kosten nach Amerika expedieren ließ. Er hätte sein Königsamt mit doppelter Freude und doppelter Sorgfalt verwaltet.
Und was weiter geschah?
Jahre und Jahrzehnte vergingen. Der wackere Lietz war längst tot, und auch Johannes und Eduard waren ins Jenseits übersiedelt. Heinz Moor war ein reifer Mann, umringt von einer lebensfrohen Familie und hochgeachtet bei allen Farmern weit herum im Lande.
In seinen Söhnen sah er sich selber wieder. Heinz, sein ältester, war wie er als Junge nicht von der Büchse loszubringen. Und die andern Buben hatten mehr oder weniger ähnliche Neigungen zum Fallenstellen und Jagen. Ihre besten Freunde waren die Söhne von Pfeilspitze und die Enkel Lupetüs, des Tschippewä. wenn sie mit denen zusammen kamen und jagen gingen, dann konnte der Vater auf eine reiche Beute an Fellen und Wildbret rechnen.
Die von Heinz Moor nach und nach angekauften Ländereien stießen sämtlich an sein Besitztum. Sie waren teils Kongreßland, teils Privateigentum, das die Vorbesitzer los zu werden wünschten, von denen die Jüngeren ihr Glück im weiteren Westen versuchen wollten, wo noch Land für den halben Preis zu haben war. Vielfach wollten auch diejenigen, welche ihr Schäflein bereits im Trocknen hatten, den Nest ihrer Tage in der Stadt verleben. So war nach deutschen Begriffen unser Freund schließlich Großgrundbesitzer geworden.
Selbst als er alle seine Söhne mit einem ansehnlichen Gute bedacht und den Mädchen als Ausstattung einen gleichwertigen Anteil in die Ehe mitgegeben hatte, blieb ihm immer noch ein anständiger Rest als Altenteil, der ihm die Unabhängigkeit von seinen Kindern wahrte.
Sein Rat gilt für seine Sippe als Gesetz, sein Wunsch als Befehl. Des 88-jährigen Greises Seelenkräfte sind noch ungetrübt, seine Sinne ungeschwächt.
Die »Lange Flinte« steht bei den umwohnenden Indianern noch in derselben Achtung wie vor 30 Jahren, und der alte Recke würde heute noch eine Umarmung des grauen Bären so wenig fürchten wie damals. Viele der Unglücklichen und Verblendeten, welche ihre unsinnigen Erwartungen von dem Schlaraffenlande Amerika getäuscht sahen und entblößt von allen Hilfsmitteln der Verzweiflung anheim fielen, hat er gerettet, indem er sie durch Wort und Beispiel lehrte, in ehrlicher, ernster Arbeit Genugtuung zu suchen.
Fürwahr, König Friedrich hatte seine Großmut an keinen Unwürdigen verschwendet!
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Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker,
Langensalza.