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Einer von Hunderten.

(1894.)

Es ist wohl über zwanzig Jahre her, daß eine zufällige Begegnung mir zu seiner Bekanntschaft verhalf.

Eines schwülen Sommerabends, als ich von einem Spaziergang nach der Stadt zurückkehrte, holte ich auf der damals noch ziemlich einsamen Nymphenburgerstraße einen langsam Dahinwandelnden ein, dem ein kleines Hündchen auf dem Fuße folgte.

Als er mich herankommen hörte, wandte er sich nach mir um, griff höflich an den Hut und fragte, ob ich vielleicht Feuer für seine Cigarre hätte.

Ich war zufällig im Stande, seinen Wunsch zu erfüllen, und reichte ihm mein Feuerzeug. Während die Flamme des kleinen Hölzchens vor seinem Gesicht aufzuckte, hatte ich Muße, seine Züge zu betrachten. Nichts besonders Merkwürdiges fiel mir darin auf, als der ernste, ein wenig verschleierte Blick der dunkelbraunen Augen unter sehr starken schwarzen Brauen. Die blassen, hageren Wangen waren bis hoch herauf von einem ungepflegten Bartgestrüpp überwachsen, unter dem auch der Mund fast völlig verschwand. Nur wenn er sprach, blickten feste weiße Zähne daraus hervor. Auch die Hände, die sich weit aus den Aermeln eines abgetragenen Sommerrocks vorstreckten, waren ungewöhnlich weiß und zeigten, daß ich einen Mann aus den besseren Ständen vor mir hatte, so vernachlässigt sein äußerer Aufzug erschien.

Ich danke Ihnen, mein Herr, sagte er jetzt mit einer etwas eingerosteten Stimme, indem er mir das kleine Büchschen zurückgab. Ich habe sonst immer selbst alles Nöthige bei mir, da ich ohne Rauchen nicht leben kann. Aber in der Badehütte in Gern, von wo ich eben herkomme, muß ich meine Streichhölzer verloren haben und bemerkte es erst zu spät. Quid mundus? Fumus. Fumans obliviscere mundum! ist mein Wahlspruch – er lächelte bei diesem Citat, dessen Verstact er nachdrücklich betont hatte – und sehen Sie, diesmal hat mein altes Laster mir zu einer angenehmen Begegnung verholfen. Wenn ich nicht irre, habe ich die Ehre –

Er nannte meinen Namen. Ich verneigte mich.

Gestatten Sie, fuhr er fort, daß ich Sie ein paar Schritte begleite? Schnauzel! rief er dem Hündchen, das zutraulich seine schwarze Nase gegen mein Knie stupste, laß den Herrn in Ruh'! Er meint's nicht böse, Herr Doctor, im Gegentheil, er will Ihnen andeuten, daß Sie ihm sympathisch sind. Aber vielleicht lieben Sie die Hunde nicht? Oder doch, ich entsinne mich, Sie haben in manchen Ihrer Dichtungen von diesen einzigen wahren Menschenfreunden liebevoll gesprochen. Sehen Sie, das hat er Ihnen gleich angemerkt. Aber auch Zärtlichkeit kann lästig werden. Hieher, Schnauzel!

Das Hündchen, ein magerer Rattenfänger mit zerzaustem grauem Fell, schlich gehorsam zu seinem Herrn zurück, der ihm mit dem Finger drohte. Dann setzten wir, erst eine Weile schweigend, unsern Weg fort.

Es trifft sich seltsam, sagte endlich mein Begleiter, während er mit sichtbarem Behagen seine Cigarre rauchte, erst gestern habe ich Etwas von Ihnen gelesen, eine Geschichte im letzten Heft der »Deutschen Rundschau«, und wie ich damit zu Ende war, hätte ich gern mit Ihnen darüber gesprochen. Aber Sie lieben es vielleicht nicht, daß man Ihre Sachen kritisirt?

Je nachdem der Kritiker ist, sagte ich. Es ist auch mir nicht gleichgültig, zu erfahren, welchen Eindruck meine Arbeiten machen. Aber freilich, das Gerede der gedankenlosen Menge – Goethe hat sich schon darüber geäußert:

Sie sagen: das muthet mich nicht an,
Und meinen, sie hätten's abgethan.

Er lachte wieder; es war ein eigener Klang in seinem Lachen, der mich im Zweifel ließ, ob es höhnisch oder harmlos gemeint war.

Nein, wahrhaftig, sagte er, das Sprüchlein paßt nicht auf mich, obwohl ich mir sonst wohl auch die Freiheit nehme, einfach wegzuwerfen, was mir nicht schmecken will. Warum sollte man das nicht dürfen? Freilich, wer seine Kritik drucken läßt, sollte fein seine Gründe angeben. Aber ein simpler Leser –! Ihre Novelle übrigens hat mich sehr angemuthet, und was ich mit Ihnen gern besprochen hätte, betrifft nur eine Principienfrage,

Sie machen mich neugierig.

Ja, sehen Sie, Ihre Leutchen – besonders er benehmen sich so anständig, wie es in der Welt gewöhnlich nicht zu geschehen pflegt. Unter Hunderten wird höchstens Einer die moralische Kraft haben, aus einem sittlichen Conflict, wie Sie ihn da schildern, siegreich hervorzugehen. Die meisten Menschen, das werden Sie zugeben, sind feige und jämmerlich und reden sich bei ihren großen und kleinen Niederträchtigkeiten auf die Erbsünde aus. Oder denken Sie besser von unseren theuren Brüdern und Schwestern?

Im Allgemeinen verdienen sie's wohl nicht, aber das weiß man ja zur Genüge, und dafür brauchte man keine neuen Zeugnisse in der Dichtung heranzuziehen. Die Ausnahmen von der Regel sind schon eher der Mühe werth. Wenn von Hunderten, die ein brennendes Haus müßig gaffend umstehen, nur Einer das Herz hat, sich in die Flammen zu stürzen, um ein Kind aus einer Wiege zu retten, interessirt Sie der Charakter dieses Einen nicht mehr, als die neunundneunzig Durchschnittsmemmen?

Hm! machte er, Sie mögen wohl Recht haben, aber die Kunst soll doch das Leben schildern, wie es ist – der Zeit den Spiegel vorhalten, lautet ja wohl die Phrase. Das lesen auch die Leute gern. Ha, denken sie, der kennt uns, der weiß, daß wir im Durchschnitt Canaillen sind. Wenn Sie aber Menschen schildern, die über den Vorurtheilen ihrer Zeit stehen, oder honetter denken und sittlicher handeln, können Sie sich nicht wundern, wenn solche Bürger kommender Jahrhunderte im neunzehnten noch kein Bürgerrecht haben, will sagen populär werden.

Ich lachte. Wer sagt Ihnen denn, daß ich mich darüber wundere? Nur so viel weiß ich, daß Nichts irriger ist, als das bekannte Wort: »Wer den Besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten«. Auf ein längeres Leben, wenn auch selten »für alle Zeiten«, dürfen nur Werke hoffen, in denen auch die Besten ihrer Zeitgenossen sich nicht gleich zurechtzufinden wissen, in die sie erst langsam hineinwachsen müssen. Nur selten erscheinen künstlerische Leistungen von so ewigem Gehalt und zugleich von so überwältigender Macht der Form, daß die Mitwelt sofort ein Urtheil ausspricht, das alle kommenden Zeiten einfach zu bestätigen haben. Auch ein solches Werk ist dann »eins von Hunderten« – nein, von Tausenden, und darum wichtiger und interessanter als die Durchschnittswaare, die mit der kurzen Popularität ihren Lohn dahin hat.

Ja, sagte er, wenn Sie's so verstehen! Und wie sollten Sie's anders? Man schilt Sie ja einen Idealisten, womit die Meisten einen Ideologen meinen, von jener Sorte, die der größte Realist, Napoleon, so sehr geringschätzte. Ich bin nicht seiner Meinung. Ideen sind eine schöne Sache, wir haben nicht viel Anderes vor den Bestien voraus. Schlimm ist's nur, daß man sich damit so oft verrechnet. Zum Beispiel, was die Speculation auf die Nachwelt betrifft.

Inwiefern?

Nämlich zugegeben, daß die Mitwelt ein dummer Kerl ist, der gewöhnlich gerade am Besten keinen Spaß hat oder ihn sich selbst verdirbt, – sind aber nicht die Söhne und Enkel dieser Mitwelt, die kommenden Geschlechter, der erblichen Belastung ausgesetzt, also auch der Belastung mit der Dummheit? Wer bürgt Ihnen zum Beispiel, daß die Nachwelt, statt sich am eigenen Zopf aus dem ekelhaften Literatursumpf herauszuziehen, nicht noch tiefer hineinstapft? Und dann sind die Herren Idealisten von heutzutage um ihre posthume Ehrenrettung betrogen. Aber Sie werden dagegen sagen, das kümmere Sie nicht. Sie seien, was Sie seien, um der inneren Satisfaction willen, nicht pour les beaux yeux irgend einer Nachwelt. Dann mögen Sie freilich thun, was Sie nicht lassen können. – –

Ich muß hier einschalten, daß unser Gespräch zu einer Zeit stattfand, wo die heutigen brennenden ästhetischen Streitfragen kaum aufzuglimmen begannen. Von Zola war noch nicht die Rede, die modernen Schlag- und Stichworte noch nicht im Schwange.

Um so auffallender mußte mir's sein, von diesem unscheinbaren Menschen, den ich für einen kleinen Beamten gehalten hatte, Worte zu hören, die eine so scharfe Beobachtung der literarischen Lebensfragen verriethen.

Ich konnte die Vermuthung nicht zurückhalten, daß ich wohl einen Collegen vor mir hätte.

Er lachte wieder. Nein, verehrter Herr, sagte er. Der Himmel oder mein eigener klarer Verstand hat mich davor bewahrt, das Heer der schreibenden Pfuscher zu vermehren. Mein Ehrgeiz war von früh an, mich zum Leser auszubilden. An solchen wird's im Laufe der Zeit mehr und mehr mangeln, so daß die Schriftsteller zuletzt dazu kommen werden, hohe Honorare zu zahlen an die Wenigen, die dies Talent sorgfältig ausgebildet haben. Freilich erfordert das auch mehr Muße, als die Meisten in dem heutigen rasenden Wettlauf nach Geld und Genuß zu erschwingen vermögen, während ich, wenn ich mich Morgens gewaschen und gefrühstückt habe, sagen kann: der Tag ist mein.

Darf ich mir die Frage erlauben, mit wem ich das Vergnügen habe?

O, mein Name ist Ihnen völlig unbekannt. Ich habe nie das Geringste gethan, ihm Glanz zu verleihen, und so ist es mir gelungen, schon bei Lebzeiten ein verschollener Mann zu sein. Bene vixit, qui bene latuit. Ich kann Ihnen nicht einmal meine Visitenkarte überreichen, da ich seit sechs Jahren keine mehr führe, weil ich keine Besuche mehr mache. Uebrigens habe ich die Ehre, mich Ihnen als Hermann H***, Doctor der Philosophie, vorzustellen.

Den Namen hörte ich allerdings zum ersten Male. Aus meinem Schweigen schien er zu argwöhnen, daß ich ihn für einen sogenannten verbummelten Privatgelehrten hielt.

Sie müssen mir nun doch erlauben, sagte er, ein kurzes Curriculum vitae hinzuzufügen. Vor einem Dutzend Jahre hatte ich es zum Hülfslehrer in Mathematik und Geschichte an einem Münchener Gymnasium gebracht. Da ich es nicht über mich gewinnen konnte, den Jungens die officiellen Fables convenues ganz nach dem Lehrbuch beizubringen, sondern gewisse heikle Partieen der Vergangenheit selbst unseres geliebten blau-weißen Vaterlandes etwas unbefangen beleuchtete, gerieth ich in Zwiespalt mit dem obersten Schulrath und merkte, daß meine Aussichten auf Beförderung sehr gering waren. Zufällig machte ich damals unerwarteterweise eine Erbschaft – das hübsche Sümmchen von 6000 Mark – und sah dies als einen Wink des Himmels an, die pädagogische Carrière aufzugeben und zunächst an meiner eigenen Bildung weiterzuarbeiten. Ich nahm meinen Abschied und ging nach Paris. Sie wissen, wie weit man dort mit 6000 Mark langt, auch wenn man keine Tänzerin zur Geliebten hat und nicht in den ersten Restaurants speis't, sondern in kleinen Tavernen und den bouillons Duval. In vier Jahren war ich so ziemlich sans le sous, aber meine Bildung war vollendet, so daß mich das theure Lehrgeld nicht reut. Ich habe auch interessante Bekanntschaften gemacht, unter Anderm zweimal mit Turgenjew in einem Café geplaudert. Und merkwürdig, gleich in der ersten Stunde habe ich ihn, ähnlich wie heute Sie, interpellirt in Bezug auf seine Novellen, nur gerade im umgekehrten Sinne. Ich fragte ihn, warum er seinen Helden zu all den liebenswürdigen Eigenschaften, mit denen er sie ausstatte, nicht auch ein bischen sittliches Rückgrat gebe, das sie befähige, einer Versuchung zu widerstehen. Alle – in den Frühlingsfluten, Rauch, Alexei Petrowitsch in dem »Briefwechsel« und wie sie sonst heißen – Alle erliegen ohne auch nur den Versuch des Widerstandes. Wissen Sie, was er mir antwortete? Weil es nicht russisch sein würde, wenn sie keine Schwächlinge wären. Auch nicht Einer von Hunderten? wagte ich einzuwenden – genau wie heute. Er sah mich mit dem eigenthümlich bezaubernden Blick seiner hellen Augen an, zuckte die Achseln – und sprach von etwas Anderem. Ich merkte, daß ich einen wunden Punkt berührt hatte. Er liebte eben sein Volk leidenschaftlich, obwohl er den Muth hatte, seine Schwächen nicht zu verschleiern.

Damals las ich außer den Franzosen fast nur die Russen in deutschen Uebersetzungen und Turgenjew auf Französisch. Sie wissen, Merimée hat es nicht unter seiner Würde gehalten, Einiges von ihm zu dolmetschen. Ich ging auch viel mit jungen Russen um, an denen mich, wie auch an meinem verehrten Turgenjew, die ganz einzige Verbindung von Weltleuten und bäuerlichen Racemenschen anzog. Aber, wie gesagt, die Herrlichkeit ging zu Ende, ich besaß endlich gerade noch so viel, um mein Billet dritter Classe nach München bezahlen zu können.

Hier nun, in meiner theuren Vaterstadt, in der man damals, vor sechs Jahren, noch billiger lebte als heutzutage, mußte ich mich denn doch nach einem bescheidenen Nahrungszweige umschauen. An eine öffentliche Lehrerstelle war nach meinen Antecedentien nicht zu denken. Zum Glück aber giebt es junge Gehirne genug, die noch unmathematischer angelegt sind, als mein Schnauzel, der wenigstens praktisch, wenn rechts und links eine Gefahr droht, von der Diagonale der Kräfte eine Vorstellung hat, indem er mitten durch zu entwischen sucht. Ich beschloß also, mir mein bischen Brod als mathematischer Nachhülfslehrer bei jungen Gymnasiasten zu verdienen, 50 Pfennige die Stunde, nicht mehr als drei solcher Lectionen an Einem Tage, womit meine gröbste Lebensnothdurft gesichert war. Denn ich hatte gleich zu Anfang eine Kammer gefunden bei einem wackeren Schneidermeister, dessen Frau mir auch die Kost gab – Alles zu einem lächerlich geringen Preise. Da hab' ich mich denn vor der Welt verschlossen, ohne Haß, wie in Goethe's »Mondlied« steht, aber auch ohne einen »Freund am Busen«. Auch den kann ich entbehren, und in der menschlichen Komödie mitzuspielen, bloß als Statist – zu Heldenrollen fehlt mir das Talent – dazu hab' ich keine Neigung. Ich sehe mir die Posse lieber aus meinem dunklen Platz auf der Galerie an; wenn ich ihn einmal nicht mehr einnehme, vermißt mich Niemand, dabei ist mir übrigens ganz wohl, wohler als Manchem, den das liebe Publicum beklatscht und herausruft, und der seine Ruhe oft theuer bezahlen muß. Ich – was bliebe mir zu wünschen? Die drei großen W, die andere Menschen erst zu beglücken und dann bankerott zu machen pflegen: Wein, Weiber und Würfelspiel, mich verführen sie nicht mehr. Und als ich mich erst in die neue Lage gefunden hatte, bemerkte ich, daß ich Reichthümer besaß, um die mich mancher Millionär beneiden könnte: eine große Bibliothek und herrliche Kunstschätze.

Er bemerkte meine fragende Miene und lachte wieder.

Sie werden zugeben, sagte er, daß Der der wahre Besitzer einer Sache ist, der sie genießt, nicht Der, der sie bloß in Verwahrung hat. Es ist wie mit dem alten Dogen und der schönen jungen Dogaressa: Altri la gode e la mantien sangen ihm die Gassenbuben und Gondolieri. Zunächst ist da die königliche Hof- und Staatsbibliothek, die ich als mein specielles Eigenthum betrachten darf. Die Mühe, sie zu verwalten und zu vermehren, übernahmen Andere, die ich nicht einmal zu besolden brauche. Dann die Museen, die Glypto- und Pinakotheken nebst der Galerie des Grafen Schock. Gehört die letztere nicht weit eigentlicher mir, als ihrem halb blinden vermeintlichen Besitzer, dem die Künstler nachsagen, daß er kein Kenner sei, sondern nur nach dem Ruhme des Kunstmäcens trachte? Und wie gründliche Studien habe ich im Louvre und in Pariser Ateliers gemacht! Nur die Theater bleiben mir verschlossen, was ich weniger beklage. Ich höre schlecht auf dem einen Ohr, und Musik wird mir bald zu einem lästigen Geräusch. Zudem – wer die Franzosen hat spielen sehen, Sie kennen sie ja auch – nun, ich zweifle, ob unsere Münchener ihnen das Wasser reichen.

Da haben Sie nun meine Geschichte, und ich muß nur um Entschuldigung bitten, daß ich Sie so weitläufig von Jemand unterhalten habe, der eben nichts Besonderes erlebt hat, nicht Einer von Hunderten ist, also kein interessanter Gegenstand für einen Idealisten wäre, sondern nur so ein dunkler Ehrenmann. Aber ich spreche in der Regel die ganze Woche hindurch kaum sieben Worte. Da ist die lange zurückgedrängte Schwatzhaftigkeit einmal mit mir durchgegangen.

Sie sind sehr im Irrthum, sagt' ich scherzend, wenn Sie glauben, vor einer Verwerthung als Roman- oder Novellenfigur sicher zu sein. Mit Ihrer freiwilligen Weltflucht und Diogenes-Philosophie in so jungen Jahren sind Sie doch gewiß eine Ausnahme von der Regel, für die Unsereins ein besonderes Interesse haben muß.

Er zuckte die Achseln, und über sein Gesicht ging ein ironischer Zug.

Mag sein, sagte er, aber Sie vergessen: ein Mensch, der zur Menschenwelt keine Beziehung mehr hat, erlebt auch Nichts, was der Mühe werth wäre, erzählt zu werden. Unsereins hat eben keine Geschichte. Man wird bei lebendigem Leibe zum Schatten, der Niemand im Wege steht, an dem sich Niemand reibt. Ob man noch hier unten herumspukt, oder etwa in einem Luftballon sitzend aus der Vogelperspective das Leben und Treiben der Anderen beobachtet, ist im Grunde gleich. Ein Mensch, wie ich, taugt höchstens zum Chorführer in einer griechischen Tragödie. Aber der Chor ist ja abgeschafft, trotz der »Braut von Messina«.

Wir gingen eine Weile schweigend neben einander her, bis wieder ein Gespräch in Gang kam, an dessen Einzelheiten ich mich nicht mehr erinnere. Nur so viel ist mir noch gegenwärtig, daß es allerlei neuere literarische Erscheinungen betraf und seine Urtheile mich durch ihre treffende Schärfe überraschten. Als wir die Stadt erreicht hatten und unsere Wege sich trennten, lud ich ihn ein, mich doch einmal zu besuchen.

Sie sind sehr freundlich, sagte er, aber Sie müssen mich entschuldigen. Es würde all meinen Gewohnheiten zuwiderlaufen, und wer weiß, wen ich sonst noch bei Ihnen träfe. Nun bin ich aber, wie Sie sehen, nicht auf Visiten eingerichtet. Dies ist mein einziger Sommer-Anzug, und mein Winterrock ist noch weniger courfähig. Lassen Sie also Diogenes freundlichst in seinem Faß. Es war mir sehr angenehm –

Er lüftete den Hut, rief seinem Hündchen, und ich sah ihn langsam die belebte Straße nach dem Bahnhof hinuntergehen und im bunten Gewimmel verschwinden.

*

Ich konnte, wie die Sachen standen, nicht darauf rechnen, dem seltsamen Kauz so bald wieder zu begegnen. Doch schon eine Woche später sollte ein Zufall mich wieder mit ihm zusammenbringen.

Ein Geschäft hatte mich eines Nachmittags in die Gegend am Gärtnerplatz geführt, in die ich nur selten zu kommen pflege. In einer der stillen Seitenstraßen, die radienartig auf dem Platz in der Mitte zusammenlaufen, gelangte ich zu einem Café, an dem ich achtlos vorbeigehen wollte, als ich hinter der Spiegelscheibe vor einem Tischchen, auf dem ein Schachbrett stand, meinen Mann sitzen sah, in eine Zeitung vertieft, für deren Lectüre der Platz am Fenster das beste Licht bot. Ich wußte nicht gleich, ob ich mich bemerklich machen oder seine Zurückgezogenheit respectiren sollte; da sah er vom Lesen auf, erkannte mich und lächelte, mit einer grüßenden Geberde, die ich als eine Aufforderung deuten mußte, zu ihm hineinzukommen.

Ich trat also in das Café ein, und er kam mir mit der freundlichsten Miene entgegen. Niemand entgeht seinem Schicksal, sagte er. Ich dachte in diesem Philisterlocal außer den Stammgästen nie einem bekannten Gesichte zu begegnen, und jetzt – quel bon vent vous amène, verehrter Herr? Sie finden hier wenigstens ein gutes Getränk, seit sechs Jahren hab' ich dafür gesorgt, daß die freche Cichorie hier nicht geduldet wird. Auch die Luft ist erträglich. Darf ich Ihnen den Stuhl an meinem Tischchen anbieten, und wollen Sie mir die Ehre erweisen, mein Gast bei einer Tasse Kaffee zu sein?

Ich sehe, Sie sind Schachspieler. Wenn ich nicht fürchten muß, Ihren Partner zu verdrängen –

O, der ist schon gegangen, nachdem er sein verdientes Theil empfangen hat. Sie müssen wissen, ich spiele hier ein paar Mal in der Woche mit einem sonderbaren Herrn, einem alten Schotten, immer zwei Partieen, die er regelmäßig verliert, obwohl ich ihm einen Offizier und ein paar Bauern vorgebe. Es ist ein kleiner Nebenverdienst für mich, setzte er mit einem verlegenen Lächeln hinzu; der alte Knabe ist ein so schwacher Spieler, daß es weder Ehre noch Vergnügen wäre, ihn jedesmal zu besiegen. Das habe ich ihm auch nach der ersten Stunde erklärt. Er aber ist so darauf versessen, daß er mich beschworen hat, ihn nicht aufzugeben. Er wolle es als eine Unterrichtsstunde betrachten und jedesmal honoriren. Nun, volenti non fit iniuria. Ich erspiele mir auf die Art meine Cigarren, keine importirten, wie Sie sehen, nur kleine Hamburger, das Stück zu drei Pfennig. Rauchen aber, wie ich Ihnen schon gestanden habe, ist ein Lebensbedürfniß für mich, mehr als Essen und Trinken. Und nebenbei, während er sich über seine thörichten Züge den Kopf zerbricht, lese ich die Beilage der Allgemeinen Zeitung oder die Telegramme in irgend einer andern. Finden Sie nicht auch, daß man in der Politik hinlänglich orientirt bleibt, wenn man sich auf die Drahtnachrichten beschränkt? Sonst habe ich nur noch das Verlangen, den »Figaro« zu lesen – eine schlechte Pariser Gewohnheit. Der wird aber hier nicht gehalten, und ich muß deßhalb auf die Staatsbibliothek gehen.

Er hob das Schachbrett vom Tisch, um Platz für die Tasse zu machen, die mir die Kellnerin brachte. Das Hündchen folgte dem Mädchen auf dem Fuß, ohne mich wiederzuerkennen, und begleitete es auch wieder nach seinem Sitz nah bei dem Ladentisch, hinter welchem eine dicke alte Wirthin eifrig strickend saß und die nicht sehr zahlreichen Gäste im Auge hielt.

Die meisten derselben waren ehrsame Bürger in reifen Jahren, die hier täglich ihren Kaffee tranken, einen Tarok, vier Points zu einem Pfennig, spielten, bis es Zeit wurde, zu ihrem Abendtrunk aufzubrechen. Sie saßen in dem geräumigen, aber niederen Local an kleinen Tischen, die ziemlich weit von einander abstanden, und nur selten wurde ein hartes Auftrumpfen einer Karte auf den Tisch oder ein kleiner Zank über einen Spielfehler laut, der alsbald geschlichtet wurde. Denn es schienen Alle darüber einverstanden, daß der Gottesfrieden an diesem Ort nicht gebrochen werden dürfe.

Was mir aber auffiel, war die Abwesenheit aller jüngeren Leute, obwohl das aufwartende Mädchen wohl dazu angethan schien, einen Schwarm von Verehrern an seinem Schürzenbande nachzuziehen.

Sie mochte die Zwanzig bereits überschritten haben. Wenigstens zeigte ihre Gestalt schon eine gewisse Fülle, doch noch im schönsten Ebenmaß, das in der einfachen Kleidung – ein schwarzer Rock, bis an den weißen Hals geschlossen, und ein zierliches Kellnerinnenschürzchen – vortheilhaft hervortrat. Das reichste aschblonde Haar lag um den reizenden Kopf und tief in die Stirne hinein, unter der ein Paar dunkelbraune Augen, fast immer zu Boden gesenkt, mit einem Ausdruck müder Gleichgültigkeit nur so hinzuträumen schienen. Die runden Wangen waren wenig geröthet, das Schönste in ihrem Gesicht der weiche, zartgeschlossene Mund und das Grübchen in dem vollen Kinn. Wie sie so mit vorgeneigtem Kopf, die beiden großen Kannen von blankem Metall in den Händen, durch den helldunklen Raum ging, den Gästen ihre Tassen zu füllen, erinnerte sie wahrhaftig in ihrem gelassenen Schreiten an eine der Festjungfrauen des Parthenonfrieses, womit auch die seltsame Leblosigkeit ihrer Züge im Einklang stand.

Ich konnte nicht umhin, über das anmuthige Wesen gegen meinen Bekannten eine Bemerkung zu machen.

Nicht wahr, sagte er, einen flüchtigen Blick in den Winkel werfend, wohin das Mädchen sich eben wieder zurückgezogen hatte, die Nanni scheint Ihnen auch zu gut für dies Spießbürgerlocal. Könnte ganz andere Leute zu ihren Füßen sehen, als das Häuflein tarokirender Kaffeegäste – ist auch keine so gewöhnliche Kellnerin, sondern eine entfernte Verwandte der Wirthin, die sie vor sechs Monaten kommen ließ aus dem kleinen Nest, wo sie bisher gelebt hatte. Ihre Vorgängerin hier war plötzlich mit einem Handlungsreisenden durchgebrannt. Wir glaubten Alle, das Nichtchen würde es nicht lange hier aushalten, aber sie ist geblieben und macht keine Miene, als ob sie sich wegsehnte. Die Sache ist nämlich – sie ist dumm. Oder höflicher ausgedrückt, wie Catull von einer ähnlichen schönen Person sagt: Hegt ein Körnlein Salz dies appetitliche Fleisch? Anfangs war Alles in sie verliebt, die ältesten Biedermänner verdrehten die Augen nach ihr wie junge Böcklein, die Herren Mimen vom Gärtnertheater fanden auf einmal den Kaffee hier besser als irgendwo sonst, und es wimmelte von Malerjünglingen, die Alles aufboten, sie »zu Studienzwecken« in ihr Atelier zu locken. Aber das dauerte nicht lange. Man merkte, daß an diesem blanken Eiszapfen in Weiberkleidern alle Liebesmühe verloren war. Und da verlief sich wieder die Hospitantenflut. Man zuckte die Achseln und raunte sich zu: sie sei eben »ein Bild ohne Gnade«. Ob etwas Anderes dahintersteckt, ob sie in festen Händen ist oder einer verlorenen Hoffnung nachtrauert – es wäre eine Aufgabe für Sie, Herr Doctor, dies psychologische Räthsel zu lösen.

Die Lösung ist vielleicht sehr einfach: sie ist noch sehr jung, sie hat ihr Herz noch nicht entdeckt, und ihre Sinne schlafen noch.

Das Letztere mag der Fall sein, aber das Erstere widerlegt der Augenschein, Sehen Sie nur, wie sie da auf dem Stuhl neben dem Wirthstisch sitzt und meinen Schnauzel caressirt. Was sie an Herz besitzt, gehört dem vernunftlosen Geschöpf, das zeigt sie auf alle Weise. Ich habe ihm hier immer zu fressen geben lassen, aber erst seit die Nanni hier ist, wird er con amore gefüttert. Manchmal kann er die Portion, die sie ihm auftischt, nicht einmal bezwingen, und wenn es so fortgeht, ist mir bange um seine schlanke Taille. Dafür ist er auch seiner nahrhaften Freundin aufs Zärtlichste zugethan, denn für die Hunde wie für uns Andere gilt das Wort: il faut prendre les hommes par l'estomac. Sehen Sie nur, wie er seinen rauhen Kopf auf ihr schönes Knie gelegt hat und sie unverwandt mit sentimentaler Inbrunst anstarrt, während sie ihm mit ihrer weichen, weißen Hand die Stirn glättet. Romeo kann seine Julia nicht leidenschaftlicher angeschmachtet haben. – Aber Sie verzeihen, ich werde zu einer Lection erwartet. Nanni, zahlen!

Er stand auf, legte das Geld für seinen und meinen Kaffee, ohne auf meinen Einspruch zu achten, neben die Tasse und, wie ich bemerkte, ein größeres Trinkgeld dazu, als sonst üblich ist, und rief dann seinen Hund.

Das Mädchen war mit sichtbarer Beflissenheit herangetreten, hatte des Doctors Hut vom Haken genommen und dann erst das Geld eingestrichen. Ich glaubte zu bemerken, daß ihr Gesicht sich ein wenig belebte, als sie ihm guten Abend wünschte. Einen Augenblick war ich versucht, zu bleiben und ein kleines Verhör mit der stillen Schönheit anzustellen. Doch lag mir mehr daran, meinem Sonderling noch ein paar Straßen weit das Geleit zu geben. Und so verließen wir Drei – der Hund mit offenbarem Widerstreben – das Café.

*

Es war mir lieb, zu wissen, wo ich ihn auch ein anderes Mal treffen konnte, denn seine Unterhaltung zog mich an, und auch er schien mir ja nicht auszuweichen. Doch kam es in den nächsten Wochen nicht dazu, daß ich in dem Kaffeelocal wieder vorsprach.

Eines Vormittags aber, im Lesesaal der Staatsbibliothek, sah ich gleich beim Eintreten meinen Diogenes an einem der Tische sitzen, einen Haufen Bücher neben sich aufgeschichtet. Eines war vor ihm aufgeschlagen, er hatte aber den Kopf in die Hand gestützt und die Augen geschlossen. Ob er in Gedanken vertieft oder eingeschlummert war? Ich konnte mir's nicht versagen, hinter ihm vorbeigehend leise seine Schulter zu berühren und ihm einen guten Morgen zuzuflüstern.

Er fuhr mit einer hastigen Geberde auf und starrte mir finster ins Gesicht. Als er mich erkannte, erhob er sich.

Sie sind's!

Ich entschuldigte mich, ihn vielleicht in einer tiefsinnigen Meditation gestört zu haben.

Oh! machte er, und sein Gesicht nahm einen ingrimmigen Ausdruck an, ich bin Ihnen nur dankbar, daß Sie mich aus einem ganz desperaten Herumgrübeln herausgerissen haben. Ich möchte sogar – wenn Sie hier fertig sind – ein paar Schritte mit Ihnen gehen, vorausgesetzt, daß Sie überhaupt Lust haben, mit einer fatalen Geschichte, die Sie Nichts angeht, behelligt zu werden.

Ich versicherte ihn, daß ich für Alles, was ihn betreffe, das wärmste Interesse hegte. Auch sei mein Geschäft hier bereits erledigt.

So nahm er seinen verregneten grauen Filzhut – die Bücher ließ er liegen – und wir gingen aus dem Saal.

Die große Treppe hinab wurde Nichts zwischen uns gesprochen. Er hatte den Kopf tief auf die Brust gesenkt und schien nur tastend die Stufen unter seinen Füßen zu finden.

Erst als wir ins Freie traten, wo sein Hündchen, das auf ihn gewartet hatte, ihn freudewinselnd ansprang, lüftete ein tiefer Athemzug seine beklommene Brust. Doch fand er noch immer kein Wort.

Um nur Etwas zu sagen, sprach ich mein Bedauern aus, daß ich in all den Tagen nicht dazu gekommen sei, ihn, wie ich vorgehabt, an dem Schachtischchen wieder aufzusuchen.

Sparen Sie nur auch in Zukunft die Mühe, brach es aus ihm hervor. Sie würden mich dort nicht finden.

Ich sah ihn fragend an.

Ja, sagte er, das ist nun so! Ich muß mir nach so vielen Jahren jetzt einen anderen stillen Platz suchen, wo ich meine Zeitung lesen kann und Schnauzel sein bischen Nahrung findet. Es ist zu einfältig, was die unerforschlichen Mächte sich Alles ausdenken, um einem armen Sterblichen, der von ihrer besten Welt Nichts mehr will, als eine Tasse Kaffee und die Beilage der Allgemeinen Zeitung, das Leben sauer zu machen.

Wie ist denn das zugegangen? fragte ich höchlich erstaunt. Wer hat sich unterstehen dürfen, Sie von Ihrem Stammsitz zu verdrängen?

Verdrängen? – er lachte bitter auf. Im Gegentheil, daran festnageln hat man mich wollen, oder doch mir ein Halsband umlegen, das mich fester halten sollte, als meinen Schnauzel das seine. Stellen Sie sich vor: vor drei Tagen – ich hatte mich zufällig über einem interessanten Artikel in der Zeitung etwas verspätet – da kommt, als gerade das Local fast leer geworden war, die Nanni zu mir und fragt, ob ich so gut sein wolle, sie ein paar Augenblicke anzuhören, sie möchte mich in einer wichtigen Sache um meinen Rath bitten. Natürlich! sag' ich, und sie setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber, der Schnauzel immer an ihrem Knie. Da fing sie denn an, ein bischen stockend, und sah mir dabei nicht in die Augen: einer der Stammgäste, ein Wittwer in gesetzten Jahren, Charcutier seines Zeichens – zwei Kinder, Buben von acht und zehn Jahren – sie nannte mir seinen Namen, der mir ganz unbekannt war, aber als sie ihn mir beschrieb, erkannte ich ihn – soweit trotz seines anständigen Bäuchleins und einer großen Nase kein übler Mann – nun, der habe um sie angehalten.

Ich gratulire Ihnen, Nanni, sagt' ich, und vor Allem ihm, und bedaure nur, daß wir Sie verlieren werden.

So weit sei 's noch nicht. Sie habe mit der Tante gesprochen, die rede ihr zu. Aber sie könne sich noch nicht entschließen. Sie wolle erst hören, ob ich ihr dazu rathen könne.

Ja Kind, sagt' ich, wie komme ich dazu, Ihnen zu- oder abzurathen, zumal ich den Mann nicht näher kenne? Die Frage kann ja nur sein, ob Sie ihn gern haben und auch zu seinen Buben ein Herz fassen können.

Die habe er einmal mitgebracht, es seien ganz manierliche Jungen. Der Mann habe ein gutes Geschäft nah am Victualienmarkt; seine Frau, die vor zwei Jahren gestorben, habe er, wie Alle sagten, gut gehalten. Und doch – sie könne sich nicht entschließen.

Warum nicht? fragt' ich, denn ich merkte noch immer Nichts.

Da wurde sie dunkelroth, sah so unverwandt auf den Kopf des Hundes herab, als ob sie jedes Haar darauf zählen wollte, und erst nach einer Weile sagte sie, sie habe sich immer gewünscht, einen Mann »von Bildung« zu heirathen, einen Beamten oder – Lehrer oder so Jemand. Ihr Vater sei Veterinär-Arzt in ihrer kleinen Geburtsstadt gewesen, und die anständigsten Herren seien mit ihm umgegangen. Er habe auch immer gewollt, daß sie was Ordentliches lernen solle, sie sei aber, da sie keine Mutter mehr gehabt, mit dem Haushalt zu beschäftigt gewesen, und dann – sie wisse auch, sie sei nicht gescheidt genug, sie bringe nichts Schweres in ihren Kopf. Aber sie habe eine solche Verehrung für die Bildung, sie würde »sich hart thun«, in einem solchen Laden zu stehen und immer nur die Kunden zu bedienen.

Das ist allerdings Geschmackssache, versetzt' ich. Aber einen großen Unterschied könnt' ich doch auch nicht darin finden, ob sie Wurst und Schinken verkaufte oder hier im Café herumginge und fragte, ob die Gäste mehr Weiß oder mehr Schwarz wünschten.

Und sie darauf: Das sei freilich wahr, aber sie habe den Platz auch nur zur Aushülfe angenommen und sei dann so dageblieben, weil sich nicht gleich was Besseres fand, und auch – es kämen doch lauter anständige Herren hieher, und – sie habe sich so daran gewöhnt. Trotzdem möchte sie das Leben nicht länger so fortführen – es sei doch keine ordentliche Arbeit – und auch die Tante habe es satt, so gut sich's rentire. So habe sie – die Alte – der Mann ist vor Jahr und Tag gestorben – den Plan gefaßt, eine große Wohnung zu miethen und einzelne Herren in Pension zu nehmen. Da geb' es genug zu thun, und ihr eigenes kleines Vermögen – sie nannte mir die Summe, ein paar tausend Mark – wolle sie mit einschießen, dafür habe sie dann Antheil am Gewinn.

Sie sehen, das »Bild ohne Gnade« ist in Geschäftssachen gar nicht so dumm, wie es sonst ausschauen mag. Ich billigte denn auch den Plan eifrig und sagte scherzend: auf die Art werden Sie vielleicht in Kurzem eine sehr gute Partie werden, Nanni, und können auf ganz andere Bewerber rechnen, als diesen Wittwer.

Meinen Sie? sagte sie ganz schüchtern. Ja, aber es fragt sich noch, ob Sie einwilligen möchten, zu uns zu ziehen.

Ich sah sie betroffen an.

Ich? Was habe ich denn dabei zu thun? fragt' ich. Sie werden doch mehr Zimmer zu vermiethen haben, als eins, und ich – meine Hausleute würden sich gekränkt fühlen, wenn ich ihnen plötzlich kündigte, ohne jeden Grund. Wie kommen Sie nur darauf, Nanni?

Es ist nur, sagte sie immer beklommener – ich bin's jetzt so gewohnt, daß Sie jeden Tag kommen – und auch der Schnauzel – es würde mir so »anthun«, wenn ich für den nicht mehr sorgen dürfte, und dann – Sie sollten's gewiß bei der Tante besser haben, als bei den Schneidersleuten, und ich versteh' mich auf die Küche, und wenn ich erst wüßt', wie Sie's gern haben – und dann – wenn Sie einmal krank würden –

Nun fing ich doch an etwas zu merken, obwohl mir's im ersten Augenblick ganz abenteuerlich vorkam. Das gute Mädel – eine so bildsaubere junge Person – wie war sie nur darauf verfallen, gerade an mir einen Narren zu fressen? Ich bin doch weder jung noch hübsch, noch eine gute Partie, und was den Zauber der Bildung betrifft – nicht hundert Worte hatt' ich in den sechs Monaten mit ihr gewechselt, die über Schnauzel und meinen Kaffee hinausgingen. Es konnte nur eine verrückte Laune sein, wie die Natur ja manchmal wunderlich spielt und gerade den reinen Gegensatz anziehend macht. Vielleicht bloß, weil ich schwarz bin, wie ein Kaminfeger, hatte die blonde Schönheit ein Faible für mich gefaßt. Les extremes se touchent. Aber das war ja die helle Verrücktheit, zumal ich selbst nichts Aehnliches verspürte. Ich habe mich immer an die Brünetten gehalten.

Ich fand es daher für nöthig, den Stier lieber gleich bei den Hörnern zu fassen und ein für allemal einen Riegel vorzuschieben.

Es ist sehr freundlich von Ihnen, Nanni, daß Sie so für mich sorgen wollen, sagt' ich. Aber schlagen Sie sich den Gedanken aus dem Sinn. Es könnte schlimm ausgehen, wenn ich zu der Tante zöge. Sie sind ein sehr hübsches Mädchen, und ich bin trotz meiner Vierzig nicht von Stein. Wer steht mir dafür, daß ich mich nicht in Sie verliebte, und das wäre eine Thorheit und ein Unglück für mich, denn es könnte doch nie und nimmermehr was daraus werden.

Damit dacht' ich den entscheidenden Trumpf ausgespielt zu haben. Aber so wohlfeil sollte ich nicht davonkommen. Denn nach einer langen Pause, während deren sie den Schnauzel mit ihren caressirenden Händen fast erstickte, kam es kaum hörbar von ihren Lippen:

Warum nicht?

Ich gestehe, daß ich durch diese treuherzige Frage einen Augenblick vollständig auf den Mund geschlagen war. Ihr begreiflich zu machen, wie ich im Leben stand – oder vielmehr außerhalb des Lebens – und daß in einer Diogenes-Tonne kein Platz für eine Hausfrau sei, konnte ich nicht hoffen. Sie wollte mich ja gerade überreden, auszuziehen und ein menschenwürdigeres Quartier mir gefallen zu lassen. Auch daß ein anständiger Mensch, der ein armer Teufel ist, sich nicht auf etwas einläßt, das nur von fern nach einem Schürzen-Stipendium aussieht, wäre ihr nicht begreiflich zu machen gewesen. Freilich, wenn man verliebt ist, mag man sich über dergleichen hinwegsetzen, da spielt Arm und Reich keine Rolle. Aber ich liebte sie nicht, trotz ihrer weißen Haut und all ihrer sonstigen Reize.

Ich mußte mich also kurz fassen und ein- für allemal einen Strich darunter machen.

Ich stand auf und nahm meinen Hut. Sie sind ein gutes, treffliches Mädchen, Nanni, sagt' ich, und werden einmal Ihren Mann sehr glücklich machen. Ich aber, ich habe ein Gelübde gethan, nie zu heirathen, und daher muß ich mich vor allen guten und schönen Weibern in Acht nehmen. Wir können trotzdem auch fernerhin gute Freunde bleiben, und wenn Sie erst einmal in Ihrer neuen Wohnung eingerichtet sind, spreche ich von Zeit zu Zeit – so etwa Sonntag Nachmittags – bei Ihnen vor, Sie geben mir dann eine Tasse Kaffee und wir führen einen kleinen »gebildeten« Schwatz mit einander. Das wird hübsch werden, ich freue mich schon jetzt darauf. Und nun guten Abend, Nanni!

Damit reichte ich ihr die Hand. Die ihre war eiskalt, ihr Gesicht ganz blaß geworden. Seitdem habe ich sie nicht wiedergesehen.

*

Er blieb auf der Straße stehen, that einen tiefen Athemzug und nahm den Hut ab, um sich mit seinem Taschentuch die Stirn zu trocknen, auf der große Tropfen standen. Doch eh' ich noch etwas äußern konnte, setzte er den Weg fort und sagte: Ja, man lernt sie nicht aus, die Weiber, und auch an sich selbst, so gut man sich zu kennen meint, macht man immer noch neue Entdeckungen. Werden Sie's glauben? Es ist nun fünf Tage her, seit ich diesen verschämten Heirathsantrag bekommen habe – ich habe geglaubt, Wunder wie vernünftig ich handelte, das Kaffeehaus nicht wieder zu betreten, aber nun treibe ich mich herum, wie eine arme Seele im Fegefeuer. Nicht nur, daß ich in den vier Localen, wo ich's inzwischen probirt habe, keinen so gemüthlichen Winkel gefunden habe, daß das Getränk mir nirgends schmecken will und auch mein alter Schach-Eleve meine Spur verloren hat – das Alles würde sich mit der Zeit wieder zurechtfinden. Das Schlimmste aber ist: das Mädel selbst geht mir überall nach. Ich mag thun und treiben, was ich will, lesen oder Kunstwerke anschauen, wachen oder träumen – immer spukt mir der blonde Kopf dazwischen, ich sehe die schlanke Gestalt zwischen den Blättern des interessantesten Buches herumgaukeln, höre ihre leise, schüchterne Stimme und fühle den weichen Druck der kühlen Finger. Kurz gesagt, ich merke, daß ich bis über die Ohren in sie verliebt bin, jetzt auf einmal, nachdem ich ein halbes Jahr lang nicht das Geringste für sie gefühlt habe. Was sagen Sie dazu? Ist das nicht um aus der Haut zu fahren?

Nun, lieber Freund, sagt' ich, so gar verzweifelt scheint mir die Sache nicht. Da Sie ja selbst geäußert haben, wenn zwei Menschen sich wirklich sehr zugethan seien, könne das Geld keine Rolle spielen, so sehe ich nicht ein, warum Sie die Sache so tragisch nehmen. Sie haben sich bisher selbständig durchgebracht, die Nanni desgleichen – wenn Sie jetzt Ihre Tonne in die Chambre garni des guten Mädchens schaffen lassen, kann es ja ein ganz erfreuliches Leben werden, und Ihre Ehre und Manneswürde bleibt ohne Makel.

Er stand wieder still und sah mich durchdringend an

Sie meinen wirklich, ich soll sie heirathen? Eine Frau, die mich tödtlich langweilen wird, wenn der erste Rausch verflogen ist?

Warum nicht? sagte ich, ganz wie Nanni. Wissen Sie nicht, was Talleyrand erwiedert hat, als man es nicht begriff, daß er mit einer wegen ihrer Einfalt noch mehr als wegen ihrer Schönheit berühmten Amerikanerin zusammenlebte? Eine geistreiche Frau compromittirt manchmal ihren Mann, eine dumme Frau nur sich selbst. – Und dann, warum soll das gute Wesen nicht mit der Zeit sich noch bilden lassen, wenn die Liebe nachhilft?

Einen Augenblick schien das Eindruck auf ihn zu machen. Dann schüttelte er nur heftiger den Kopf.

Nein! nein! Es wäre Wahnsinn! Mein ganzes Leben wäre zerstört. Einen, der sich selbst lebendig begraben hat, soll man nicht wieder ans Tageslicht zurückziehen; er kann die Luft droben nicht vertragen und stirbt dann erst recht. Ich und eine Frau! Damit bin ich schon in Paris fertig geworden. Und wenn nun Kinder kämen, für die ich zu sorgen hätte? Mein Schotte könnte mir jede Schachlection mit einem Dollar bezahlen, es reichte nicht aus. Soll ich etwa zum Herrn Cultusminister gehen und darum petitioniren, daß man mich in Gnaden wieder irgendwo anstellte, wenn ich das sacrificio dell' intelletto zu bringen gelobte? Und das Alles, weil ich in meinen reifen Jahren einem Weibernetz nicht habe entrinnen können? Lieber in die Isar, wo sie am reißendsten ist!

Er hob den Arm mit einer beschwörenden Geberde, wie ein heiliger Antonius, der eine schöne Teufelin von sich abwehrt, lüftete, ohne weiteren Abschied zu nehmen, den Hut und bog seitwärts in die Arcaden des Hofgartens ein.

*

Wieder eine Woche verging, in der ich von dem wunderlichen Menschen Nichts weiter sah, noch hörte.

Es war gegen Ende August. Ich hatte einen Ausflug an die Riviera vor und hätte, ehe ich die Stadt verließ, noch gern erfahren, wie sich die Sache inzwischen weiter entwickelt hatte. Im Wohnungsanzeiger fand ich jedoch den Namen nicht. Als »Zimmerherr« hatte er keine Verpflichtung, sich dort mit aufführen zu lassen, und er wollte ja für die Welt nicht mehr vorhanden sein. Daß man in jenem Kaffeehause seine Wohnung wissen würde, war sehr unwahrscheinlich. So blieb mir nur die schwache Hoffnung, ihm wieder unter den Baumreihen der Nymphenburgerstraße zu begegnen, wo ich seine Bekanntschaft gemacht hatte. Wir hatten noch starke Sonnenglut, und er war ein Freund des Badens.

Doch war ich schon umgekehrt, da ich auf der ganzen Strecke vergebens nach ihm ausgeschaut und es bereits aufgegeben hatte, seiner noch einmal habhaft zu werden, als ich ihn nahe bei den großen Bräukellern vor der Stadt wirklich mir entgegenkommen sah, doch in tiefster Versunkenheit, den Hut schief über die Stirn gedrückt, mehr wie ein Nachtwandler als wie ein Spaziergänger, der sich darauf freut, des Tages Last und Hitze im Bade abzuspülen.

Hätte sein Hündchen mich nicht erkannt und mit munterem Gekläff begrüßt, so wäre er achtlos dicht an mir vorbeigegangen.

Nun aber stand er still, starrte mich, wie aus einem Traum aufgeschreckt, an, und ich erkannte an seinem eingefallenen Gesicht und den fieberhaft brennenden Augen, daß ich einen schwer Heimgesuchten vor mir hatte.

Auch sprach er kein Wort, nickte nur vor sich hin und sah dann wieder zu Boden.

Ich sagte ihm, daß unser Begegnen kein zufälliges sei. Ich hätte ihm aufgelauert, um ihm Adieu zu sagen, da ich am andern Morgen auf vier bis sechs Wochen verreisen wolle. Ich hätte gern vorher erfahren, ob er sich inzwischen zurechtgefunden habe.

Da seufzte er tief auf und suchte eine Weile nach einem Wort. Sie sehen mir wohl an, sagte er endlich mit heiserer Stimme, wie weit es mit mir gekommen ist. Ich bin ein verlorener Mann.

Sie sehen freilich nicht zum besten aus. Sie sollten einen Arzt befragen.

Er lachte bitter auf. Zwischen seinem schwarzen Bartgestrüpp blinkten die weißen Zähne wie bei einem großen Hunde, den man mit einem Stecken schlägt.

Ja, knurrte er, einen Arzt, der mir ein Tränkchen verschriebe, so einen Schlummersaft, der eilig trunken macht. Aber diese Pfuscher verkriechen sich hinter ihr sogenanntes Berufsgewissen, das ihnen zu helfen verbietet, wo Hülfe am nöthigsten wäre. Nun, man muß sich selbst in die Cur nehmen. Ich danke Ihnen für Ihre Theilnahme. Reisen Sie glücklich!

Sie haben mir so viel Vertrauen geschenkt, versetzt' ich, ich kann nicht so von Ihnen gehen, ohne zu wissen, wie es jetzt um Sie steht. Was Sie mir vor acht Tagen gesagt haben, ist mir beständig nachgegangen. Aber, ehrlich gesagt, ich kann den Fall nicht so verzweifelt finden.

Ja wohl, raunte er, weil Niemand in seines Nachbarn Haut steckt. Sie haben Recht: wenn ich ein Anderer wäre, ein Turgenjew'scher Russe zum Beispiel – Aber so –!

Und da ich schwieg und das Hündchen streichelte: Sie sollen nicht glauben, ich hätte nicht wie ein Mann dagegen angekämpft. O, ich hab' meinen Stolz, den hab' ich aufgeboten, um mich aus dem Fallstrick herauszuwinken, und es schien auch zu gelingen, von Tag zu Tag merkt' ich, daß die Verzauberung schwächer wurde. Ich konnte wieder lesen, ohne das Gesicht zwischen den Zeilen zu sehen, und im Rubenssaal der Pinakothek betrachtete ich die dicken, rosigen Weiber, ohne einer jeden den Kopf eines gewissen lebenden Mädels aufzusetzen. Zuletzt fand ich sogar wieder ein Café, in dem mir's nicht so ganz ungemüthlich war, und schrieb auch an meinen Schotten, ob er die Schachstunden dort wieder aufnehmen wolle. Darüber ging die Woche hin. Gestern aber, am Sonntag Vormittag – ich hatte mich eben angezogen, um einen Gang in die Stadt zu machen – stellen Sie sich vor, da kommt meine Wirthin zu mir herein, ein Fräulein sei da, das nach mir frage. So lange ich bei den Leuten wohne, hatte ich keinen Besuch bekommen, und nun gar Damenbesuch. Ich war zu Tode erschrocken, denn wer konnte es sein, als nur die Eine?

Richtig, sie war's. Ich hatte sie nie im Straßenanzug gesehen, schwarzes Strohhütchen mit einer kleinen rothen Feder, eine helle Sommerjacke, dazu vom Gehen und der Aufregung etwas geröthet im Gesicht – zum Tollwerden, sag' ich Ihnen! Und ihre Verwirrung, ihre leise Stimme, wie sie stammelte, ich möchte entschuldigen, daß sie mich störe, sie seien aber so in Sorgen gewesen wegen meines Ausbleibens, sie und die Tante, die hätte ihr endlich selbst zugeredet, nachzuschauen, ob ich auch nicht krank geworden sei und etwa Pflege bedürfe, und da sie grade am Sonntag Vormittag nach der Kirche noch eine Stunde frei gehabt habe – zu der Zeit kämen ja keine Gäste –

Ich unterbrach sie. Wie sie nur meine Wohnung erfahren habe? – nur um nicht wie ein Stock ihr gegenüber zu stehen. Den einzigen Stuhl, den ich neben meinem Tisch stehen hatte, bot ich ihr nicht einmal an.

Sie sei auf die Polizei gegangen, da wisse man ja, wo Jeder zu finden sei. Wie es mir denn gehe? Ob ich nichts brauchte?

Ich gab mir alle Mühe, sie nicht anzusehen, aber – c'etait plus fort que moi. Herrgott! dacht' ich bei mir, da steht nun das reizende Ding, das nichts Besseres sich wünscht, als von dir in die Arme genommen und geherzt und geküßt zu werden, und ihr Beide seid allein – in der Werkstatt nebenan wurde ja heute nicht gearbeitet, und der Meister war bei seinem Sonntagsfrühschoppen – ich aber – wie ein gemalter Türke, wie man hier sagt, stand ich ihr gegenüber und brachte Nichts hervor, als einen höflichen Dank, ich sei ganz gesund. Ein Freund, log ich, habe mich beredet, in ein anderes Café zu kommen, das ihm bequemer liege – wobei mir das Blut ins Gesicht stieg und ich mich abwenden mußte, damit sie mich nicht bei der dummen Lüge ertappte.

Ob ich denn immer wegbleiben würde? fragte sie.

O gewiß nicht, nächstens käm' ich wieder, wenn der Freund abgereist sei, und ich ließe die Tante grüßen und für ihre Theilnahme danken – ich sei aber, wie sie sehe, ganz gut hier aufgehoben –

Dabei schämte ich mich, daß sie sehen mußte, wie armselig ich eingerichtet war, nur das Nothwendigste an Mobiliar und eine Kammer, wie sie mancher Dienstbote zu schlecht finden würde. Das bemerkte sie auch gleich, denn sie fragte ordentlich mitleidig, ob ich schon lange hier gewohnt hätte, es wäre doch für einen solchen Herrn – und wo ich denn Platz zum Arbeiten hätte –

Wenn ich arbeiten will, sagt' ich, gehe ich in meinen großen schönen Saal, dicht bei meiner Bibliothek, da hab' ich Raum genug, und es ist da warm und hell. Zum Schlafen genügt mir dies Logis. Allerdings, in der letzten Zeit – –

Ich war wirklich drauf und dran, ihr zu sagen, daß ich die letzten Nächte spottschlecht geschlafen hatte und daß sie Schuld daran war. Aber ich bezwang mich noch zur rechten Zeit. Und so standen wir uns wohl fünf Minuten stumm gegenüber.

Sie athmete schwer. Das Herz brannte mir, und wäre sie noch eine Minute länger geblieben, ich hätte für Nichts gestanden. Da aber sagte sie: Ich muß nun wieder gehen. Nochmals, verzeihen Sie, daß ich so frei gewesen bin. Es wird die Tante freuen, daß wir uns umsonst geängstigt haben. Also Adieu, Herr Doctor!

Und so hab' ich sie fortgehen lassen.

*

Er stieß einen Ton aus wie ein Mensch, der unter einer Felsenlast zu ersticken droht.

Armer Freund! sagte ich. Was haben Sie ausgestanden!

Nicht wahr? brach es aus seinen knirschenden Zähnen hervor, der heilige Laurentius auf seinem Rost hatte es behaglich gegen mein Martyrium! Und ich wußt' es auch: noch ein solcher Sieg, und ich bin verloren. Denn wie ich gestern den Tag verbracht habe, und vollends die Nacht – meinem ärgsten Feinde wünschte ich nicht, das zu erleben. Es mag mir wohl auch anzusehen sein. Wenigstens merke ich, daß die Leute, die mir begegnen, mich angaffen, wie einen Menschen, der eben vom Galgen abgeschnitten und halb und halb wieder zu sich gekommen ist.

Sie sehen allerdings übel aus, sagte ich, aber erlauben Sie mir noch einmal zu fragen, ob es nicht das Gescheidteste wäre, Sie gäben den Kampf auf, der Sie endlich aufreiben wird, und erklärten sich für besiegt. Das Mädchen ist ja nicht nur zum Verlieben schön genug, sie wird auch gewiß eine exemplarische Hausfrau werden, und da Sie nicht genöthigt sind, ein Haus zu machen, was liegt daran, ob Ihre Frau etwas mehr oder weniger Geist und Bildung hat? Wie viele bedeutende und große Männer haben sich mit einer Lebensgefährtin vom Schlage der Goethe'schen ganz wohl befunden.

Mag sein! murrte er. Ich könnt' es nicht! Am wenigsten, wenn ich immer daran denken müßte, ich sei eigentlich geheirathet worden. Das ertrüg' ich nicht, zumal wenn die Sorge um mein Auskommen mir zu Kopfe stiege. Und der andere Ausweg, der nahe zu liegen scheint – denn so viel ist mir klar, sie ist wie ein reifer Apfel, der nur darauf wartet, daß man ihn anrührt, um einem in den Schooß zu fallen, ohne viel zu fragen, ob man auch ein Recht dazu hat – aber nein, ich will nicht Schuld daran sein, daß sie sich's verscherzt, noch einmal eine glückliche ehrbare Frau und Mutter zu werden. Es mag philisterhaft klingen, aber sie ist mir zu gut dazu. Vielleicht wär's die beste Art, sie loszuwerden, wenn sie merkte, daß sie sich doch getäuscht habe, daß ich nicht der Rechte sei, den sie sich geträumt. Wir taugen doch gar zu wenig für einander. Aber wenn sie dann sich von mir wendete, wäre es für mich ein Schlag, den ich kaum verwinden könnte. Ich hab' dergleichen schon einmal erlebt, im ersten Jahre meines Pariser Aufenthalts. Damals war's eine Grisette, die sich an mich hing, nicht entfernt mit der Nanni zu vergleichen, weder von außen noch von innen. Und ich habe drei Jahre mit ihr gelebt, und war todunglücklich, als sie mir eines Tages mit einem Andern durchging. Sie heißen's da drüben un collage. Das ist das Jämmerlichste, was einem armen Teufel passiren kann. Also sehen Sie wohl, mir ist nicht zu helfen.

Ich sehe das noch immer nicht, sagte ich. Freilich, wenn Sie hier in München bleiben –

Wohin sollt' ich flüchten? rief er heftig und fuhr sich durch das dichte Haar. In keiner größeren Stadt könnt' ich so wohlfeil leben, und in den kleinen Nestern – wo finde ich da meine Schätze wieder, meine Bibliothek und meine Galerieen? Das würde dann eben kein Leben mehr sein, selbst für einen freiwillig lebendig Begrabenen,

Gewiß! Auch meinte ich nicht, daß Sie auswandern sollen. Aber eine Luftveränderung auf einige Wochen würde Ihnen sicherlich heilsam sein. Wissen Sie was? Begleiten Sie mich auf meiner kleinen Herbstfahrt. Sie sehen da allerlei Neues, unter Anderem auch schöne Gesichter, die Ihnen vielleicht das eine verhängnißvolle verdrängen. Und – da er achselzuckend auf seine abgetragene Kleidung deutete – wegen der Kosten brauchten Sie nicht in Sorge zu sein. Ein Rundreisebillet auf 45 Tage kostet so wenig, es ist halb geschenkt, ich nehme das auf mich; wenn Sie mir die Freude nicht machen wollen, so betrachten Sie es als vorgestreckt. Eine Schachstunde mehr jede Woche, und übers Jahr haben Sie's zurückgezahlt.

Ich sah, daß ihm die Augen feucht wurden. Er haschte nach meiner Hand. Leben Sie wohl! sagte er. Sie sind – sehr gut – ich danke Ihnen von Herzen – aber glauben Sie mir, ob ich noch zu heilen bin oder nicht, ist für die Menschheit ganz gleichgültig. Nochmals – tausend Dank und glückliche Reise! Wenn Sie wiederkommen – vielleicht finden Sie dann, daß ich auf meine Manier gesund geworden bin. Jeder weiß am besten, was ihm taugt. Schnauzel, gieb dem Herrn eine Pfote. Es ist ein guter Herr. Und jetzt wollen wir weitergehen, uns in frischem Wasser ein bischen Kühlung zu verschaffen.

*

Ich sah ihm nach, wie er mit hastigen Schritten, als fürchtete er, aufgehalten zu werden, unter den Bäumen dahinschwankte; hinter ihm das Hündchen, das während der Trennung von seiner Gönnerin sichtlich abgemagert war. So sehr ich aber seinen Gemüthszustand bedauerte, er machte mir doch keine ernste Sorge, denn ich zweifelte nicht, daß er den aufreibenden Kampf endlich aufgeben würde.

Ein Thor ist immer willig,
Wenn eine Thörin will –

sagte ich vor mich hin, als ich mich zur Stadt zurückwendete. Und es fragt sich noch sehr, ob es nicht die größere Thorheit wäre, in diesem Falle Einer von Hunderten zu sein.

Ich glaubte meiner Sache so sicher zu sein, daß mich auch der Gedanke an diese letzte Begegnung unterwegs nicht weiter beunruhigte.

Erst als ich nach acht Wochen von meiner Reise zurückkehrte, hätte ich gern erfahren, was inzwischen aus der seltsamen Geschichte geworden sei. Doch kam ich nicht sogleich dazu, mich nach meinem Sonderling umzuthun, und der November ging zu Ende, ehe ich Zeit dazu fand.

Ich dachte am sichersten Kunde von ihm zu erhalten, wenn ich in dem Café, wo ich ihn damals getroffen, wieder vorspräche. Die Nanni oder jedenfalls die Tante mußte Auskunft geben können. Doch fand ich statt ihrer fremde Gesichter. Ein neuer Wirth saß hinter dem Buffet, der auf mein Befragen mir nur sagen konnte, die frühere Besitzerin des Geschäfts habe es an ihn verkauft und privatisire jetzt, ich möge in ihrer Wohnung nachforschen, in der und der Straße, Nummer so und so. Von der Nanni, deren er sich wohl erinnerte, wußte er nur, daß sie sich verheirathet habe, doch nicht an Wen. Auch das würde ich bei der Tante erfahren.

Also doch! Nun, so würde ich ja eines Tages meinen guten Freund als hoffentlich glücklichen Ehemann wiedersehen, womit es mir eben nicht eilte. Mit einer stillen Genugthuung über meine bewährte Menschenkenntniß verließ ich das Local.

Ich war aber noch nicht allzuweit gegangen in der Gegend um den Victualienmarkt, als mir ein Laden ins Auge fiel, in welchem frische und geräucherte Fleischwaaren hinter einer großen Spiegelscheibe kunstreich und zierlich zur Schau gestellt waren. Gedankenlos stand ich einen Augenblick still und betrachtete den symmetrisch aufgeführten Bau der Würste und Schinken, die mit rothen und blauen Bändern verziert waren. Es war noch so früh, daß nur wenige Käufer sich einfanden, da der Zudrang zu diesen Läden erst anwächst, wenn die Leute für ihr Nachtessen zu sorgen haben. Eben kam eine ältere Frau aus der Thür, und die Verkäuferin, die mit ihr näher bekannt sein mochte, begleitete sie bis an die Schwelle, blieb dann in der offenen Thüre stehen, um in der reinen Herbstluft ein paar Athemzüge zu thun und rechts und links die Straße hinabzuschauen. Wie erstaunte ich, als ich das runde, weiße Gesicht näher ansah und Nanni erkannte.

Sie war ganz unverändert, nur daß sie eine größere weiße Schürze vorgebunden hatte und in dem blonden Haar ein kleines schwarzes Spitzentüchlein trug. Die schönen braunen Augen aber blickten so gleichmüthig-müde vor sich hin, wie da sie noch die Schaar der Kaffee trinkenden Biedermänner musterten.

Grüß' Gott, Fräulein Nanni! rief ich. Oder muß ich jetzt Frau Nanni sagen? Sie kennen mich natürlich nicht wieder, Sie haben mich ja auch nur einmal gesehen, und auch damals hatten Sie nur Augen für meinen guten Freund und den braven Schnauzel. Wie geht es denn den Beiden?

Das Gesicht des jungen Weibes nahm plötzlich den Ausdruck eines tödtlichen Schreckens an. Jesus! sagte sie, wer sind Sie, und wie kommen Sie dazu –

Unwillkürlich war sie von der Schwelle zurückgetreten, die Augen ängstlich abwehrend auf mich gerichtet.

Verzeihen Sie, sagte ich, indem ich ihr über die Schwelle nachtrat, ich bedauere, Sie erschreckt zu haben, es liegt mir aber daran, von Dr. H. etwas zu hören. Ich war drei Monate abwesend. Als ich ihn zuletzt sah, ging es ihm nicht zum besten, und da ich seine Wohnung nicht weiß – ich war eben in Ihrem Café, mich zu erkundigen – aber was ist Ihnen? Sie sind ja ganz blaß geworden –

Sie war auf ein Bänkchen gesunken, das drinnen an der Wand stand, mit einer hastigen Bewegung richtete sie sich aber wieder auf und sagte: Wissen Sie denn nicht – haben Sie's denn nicht in der Zeitung gelesen – der Doctor –

Ist ihm ein Unglück zugestoßen? Ist er – todt?

Sie nickte leise vor sich hin, ihre Augen, die zu Boden starrten, füllten sich mit großen Tropfen.

Mein Gott, rief ich, ich erfahre davon das erste Wort. Wie ist denn das zugegangen? Wann und wie – das ist ja entsetzlich! Sagen Sie mir doch –

Er ist – verunglückt – beim Baden – vor drei Monaten. Wie's gekommen ist, hat man nicht so recht erfahren. Es hieß, er hab' einen Herzschlag bekommen, ist vielleicht zu früh ins Wasser gegangen, eh' er noch abgekühlt war. Sie haben ihn aber im Schwimmbassin gefunden; der Bademeister hat gesagt, er hab' sich sonst nie dahinein getraut, weil man da keinen Grund unter den Füßen hat, und der Doctor hab' nicht schwimmen können. Wie ich's gehört hab' – ich hab' gemeint, mich selbst trifft der Schlag – so ein feiner und gebildeter Herr – der immer so gut zu mir gewesen ist – und muß so ein unglückseliges Ende nehmen! Also Sie haben ihn auch gut gekannt? Er hat ja so einsam gelebt, es konnt' einen recht dauern, daß er's nicht so gut gehabt hat, wie man's ihm gegönnt hätt'. Noch jetzt, wenn ich an ihn denk' – ich hab's ja nicht schlecht getroffen mit meinem Mann – und auch die Kinder – er ist ein Wittwer gewesen, und hauptsächlich, weil mir die verwaisten Buben so leid gethan haben, hab' ich ihn geheirathet – erst vor vier Wochen – die Tante hat mir zugeredet, denn mir – mir war gar nicht nach Hochzeitmachen zu Muth – aber freilich, wenn ich noch gewartet hätt', ihn hätt's doch nimmer aufgeweckt – und meinem Mann hab' ich's auch gesagt, ich könnt' noch nicht gleich vergnügt sein. Ja, Herr, es geht einem nicht Alles aus, wie man's wünscht. Aber unser Herrgott wird ja wissen, wozu es gut ist.

Seh'n Sie, setzte sie hinzu und deutete nach einem Winkel des Ladens, wo ich jetzt in einem flachen Korbe auf weichem Kissen die wohlbekannte Gestalt des guten Schnauzel hingestreckt sah – den hab' ich mir ausgebeten, der wär' ja auch ohne mich verkommen, denn von den Schneidersleuten hat er keinen Bissen angenommen, aus Schwermuth. Jetzt denken wir Zwei allein noch manchmal an seinen Herrn. Gelt, Schnauzel?

Sie lockte ihn zu sich heran. Der Hund, der in ihrer liebevollen Pflege fett und träge geworden war, erhob sich schwerfällig, kroch zu ihr hin und schmiegte seinen struppigen Kopf wieder wie vor Zeiten an das Knie seiner Herrin.


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