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Moralische Unmöglichkeiten

(1901)

 

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Es war zu Anfang der neunziger Jahre.

An einem nachsommerlich warmen Oktoberabend rollte ein etwas klappriger alter Jagdwagen, von zwei derben Braunen gezogen, auf der gut gehaltenen Chaussee dahin, die vom Bahnhof der kleinen Station nach dem märkischen Landstädtchen führte. Der schwere Hufschlag der Pferde, denen man es ansah, daß sie häufiger vorm Pfluge durch zähe Schollen stampften, als zu Spazierfahrten sich brauchen ließen, schreckte die Krähen auf, die zwischen den rothen Fruchtbüscheln der Ebereschen rechts und links von der Fahrstraße saßen. Sie flogen kreischend hoch in die Luft und steuerten in dunklem Schwarm dem schwarzen Kirchthurm zu, der über den niedrigen Ziegeldächern des kleinen Ortes fast an den tief herabhängenden grauen Himmel zu reichen schien.

Eine müde, trübe Stimmung lagerte über der weiten Gegend, jenes verdrossene, weinerliche Zucken unter der Wolkenwimper, das dem Regen voranzugehen pflegt. Wirklich fielen auch einzelne dicke Tropfen, aber ein frischer Windhauch fegte die Luft wieder rein, und der alte Bediente in der verschossenen grauen Livree, der hinten im Wagen saß neben einem eleganten Lederkoffer und einer großen flachen Kiste, die ein Bild zu enthalten schien, klappte den großen Regenschirm, den er schon aufgespannt hatte, brummend wieder zusammen.

Die beiden Herren, die vorn auf dem Bock saßen, schienen mit ihren Gedanken zu sehr beschäftigt zu sein, um auf das Wetter zu achten. Der ältere, der die Zügel führte, ein hoher blonder Mann, dessen gewaltige Gliedmaßen in einer altmodischen Kleidung steckten, einer gelben, mit Schnüren versehenen und mit Pelz verbrämten Pekesche, hatte eine verregnete, gelbe Mütze auf dem schon angegrauten kurzen Haar, an den Füßen hohe Stiefel, die auf einen Landwirth deuteten. Aus dem luftgerötheten, gutmüthigen Gesicht, das ein kleiner Backenbart einrahmte, blickten helle graue Äugelchen vergnügt und wohlwollend in die Welt, und wenn der derbe Mund lächelte, kamen zwei Reihen breiter, tadelloser Zähne zum Vorschein, die den sechzigjährigen Mann jünger als seine Jahre erscheinen ließen.

Der junge Herr zu seiner Linken war von sehr anderem Schlage. Nichts an ihm verrieth, daß auch er das Blut eines märkischen Junkers in den Adern hatte. Er war sehr brünett, von einer zarten, bleichen Gesichtsfarbe, die Züge nicht regelmäßig, aber sehr gewinnend durch den Ausdruck geistigen Adels und einer stillen Heiterkeit, die ihm besonders aus den schönen braunen Augen leuchtete. Er trug einen Anzug nach dem neuesten Schnitt, doch ohne allen geckenhaften Anstrich, einen leichten Mantel um die Schultern geschlagen, auf der hohen Stirn einen weichen Filzhut. Mit einem seltsamen Ausdruck von sinniger Versunkenheit saß er da, die Augen still in die Ferne gerichtet, zuweilen leicht die Stirn runzelnd, wenn die Pferde ihm allzu träge vorwärts trotteten, während sein behaglicher Nebenmann, um das phlegmatische Zweigespann aufzumuntern, kaum einmal die Peitsche durch die Luft klatschen ließ.

Nun wandte sich der Alte zu seinem jungen Gefährten und sagte mit einem herzlichen Ton: Jetzt laß dich aber erst noch einmal willkommen heißen, lieber Sohn. Auf dem Bahnhof, da der Zug nur eine Minute hielt, hatte man ja nur eben Zeit, dich selbst und dein Gepäck auszuladen. Es ist noch eine besondere Gnade, daß der Personenzug überhaupt hier anhält. Schnellzüge erweisen unserm Nest überhaupt nicht diese Ehre, na, und warum auch? Daß unsereins sich aufrafft, in Berlin nachzusehen, ob der Große Kurfürst noch fest im Sattel sitzt, geschieht alle Jubeljahre einmal. Wir machen da auch keine sonderliche Figur, verbauert, wie wir sind. Du mußt es auch gemerkt haben, als du im März uns kennen lerntest. Für Luitgarde hatte die Mama ja eine Schneiderin aus Berlin kommen lassen, um ihr ein halb Dutzend Ball- und Dinerkleider zaubern zu lassen, na, das glückte ja denn auch, sollt' ich denken. Aber ich, mit meinem vierundzwanzig Jahre alten Hochzeitsfrack – Er lachte gutmüthig mit feinem dröhnenden Baß.

Sein junger Nachbar schien all diese Worte kaum gehört zu haben. Wie geht es Mama? fragte er plötzlich, immer wie abwesend vor sich hinblickend. Und was macht Luitgarde?

Luitgarde? Die hätte dich natürlich am liebsten mit mir von der Bahn abgeholt. Aber die Mama erlaubte es nicht, obwohl das Mädel sie sogar mit Thränen darum bestürmte. Eure Verlobung ist ja noch nicht proclamirt, und die Mama – mein kleiner Napoleon, wie ich sie nenne –, du weißt ja, daß sie immer ihren Willen durchsetzt, damals in Berlin, als sie sich durch nichts bewegen ließ, noch einen Tag zuzugeben, und jetzt wieder – na, es hat ja was für sich. So ein Liebespaar, das sich angesichts aller Commis Voyageurs auf einem Bahnhof um den Hals fällt – oder sich's verkneifen muß – in einer halben Stunde habt ihr's ja gemüthlicher! – Aber, was ich sagen wollte: so hübsch es ist, daß wir dem Herrn Regierungsassessor einen Tag früher zu seiner Würde gratuliren können – eigentlich haben wir dich nach deinem Telegramm erst morgen Abend erwartet. Nun findest du uns heute nicht allein. Unsern alten Pastor mit seinem Sohn, dem Candidaten, hatten wir schon eingeladen und konnten's, als du dich früher anmeldetest, nicht auf morgen verschieben. Morgen ist Sonnabend, der junge Mann soll am nächsten Sonntag seine Probepredigt halten, er wird dem Alten im Dienst folgen, da es mit dem Siebziger nachgerade wacklig steht. Nun ist der Sohn ein bischen sehr streng in seinen Grundsätzen und behauptet, den Abend, bevor er die Kanzel besteigen soll, dürfe er sich keine gesellige Zerstreuung erlauben. Sein Vater war darin anders. Wenn der seine Predigt studiert hatte, konnte man ihn zu einem Robber Whist und einem Glas Punsch ohne Schwierigkeit herüberholen. Na, sie werden sich ja bei Zeiten empfehlen. Dann kannst du dich von deinem Schätzchen noch lange genug ins Gebet nehmen lassen, ob du ihr auch in dem heißen Sommer immer treu geblieben bist, hahaha!

Er lachte wieder sein behagliches Lachen und trieb dann die Pferde zum ersten Mal mit einem sausenden Peitschenschlag an. Denn jetzt hatten sie das Städtchen erreicht, fuhren aber nicht hindurch, sondern bogen seitwärts in eine Vicinalstraße ein, die nach dem Gute führte. Hier rollte der Wagen nicht so glatt dahin wie bisher, der Fahrdamm war an vielen Stellen höckerig und mit scharfen Steinen durchsetzt, in den Löchern dazwischen stand das Wasser vom Regen der letzten Nacht in breiten Lachen, der Wagen wurde unsanft hin und her gerüttelt, und die Pferde kamen mühsamer vorwärts.

Hier siehst du, lieber Achim, sagte der alte Herr mit einem verlegenen Auflachen, daß die Regierungsweisheit meines kleinen Napoleon nicht unfehlbar ist. Diese Straße hätte längst einer gründlichen Reparatur bedurft, deren Kosten die Gutsherrschaft und die Dorfgemeinde zu gleichen Theilen zu tragen verpflichtet waren. Meine Bauern aber, obwohl sie die meisten Fuhren nach der Station machen, haben sich in den Kopf gesetzt, die Straße wäre herrschaftlich, und wollen keinen Pfennig dazu geben. Napoleon aber besteht auf seinem Schein. Du mußt nicht glauben, lieber Sohn, die Mama thue es aus Geiz. Wenn die Gemeinde beherzigte, was die Gutsherrin an Wohlthaten ihr alles erwiesen hat, das Krankenhaus, die neue Schule, die Restauration der Kirche, würde sie sich schämen, gegen den Stachel zu löcken und das Recht zu bestreiten, das offenbar auf unserer Seite ist. Ich, als Napoleons erster Minister – haha! Du hast wohl schon gemerkt, daß ich unterm Pantoffel stehe? Na, er drückt mich nicht, und da die gute Mama sonst so viel entbehren muß durch ihr Gebrechen, kann man's ihr ja gönnen, daß sie von ihrem Fauteuil aus ihr ganzes Reich stramm regiert – aber, wie gesagt, ich hätte die Kosten des Straßenbaues gern aus eigener Tasche getragen – 's ist kein Plaisir, sich so die Seele aus dem Leib schütteln zu lassen – indessen: ce que femme veut – vielleicht hast du einmal mehr Einfluß, als dein alter Schwiegerpapa.

*

Der Schwiegersohn erwiderte nichts hierauf. Er hatte auch diese lange Rede nur mit halbem Ohr angehört, ganz in seine ungeduldige Sehnsucht versunken. Vielleicht trug er Bedenken, dem treuherzigen alten Herrn zu gestehen, daß er nicht die geringste Hoffnung hege, bei der gestrengen Schwiegermama jemals etwas zu erreichen, was ihr gegen den Sinn ging.

Er war als der Sohn eines Gutsnachbarn, des Herrn Joachim von Blankenhagen, auf dem väterlichen Gut, anderthalb Stunden von Klein-Malchow, das seiner künftigen Schwiegermutter gehörte, aufgewachsen, bis in sein neuntes Jahr. Doch hatten seine Eltern mit den Benkendorfs keinen nachbarlichen Verkehr unterhalten. Eine alte Feindschaft schien dazwischen zu liegen. Dann, als Achim's schöne Mutter, eine westphälische Baronin, in der Blüte ihrer Jahre gestorben war, hatte der Vater den verwaisten Knaben nach Berlin in eine Pension gethan, zu einem Gymnasiallehrer und seiner guten, verständigen Frau, wo noch einige Kameraden des jungen Schülers neben ihm erzogen wurden. Nach einigen Jahren war auch Herr Joachim zu feinen Vätern und der geliebten, ihm vorangegangenen Frau versammelt worden. Ein Oheim hatte die Vormundschaft über den Knaben geführt, das Gut war verpachtet worden. Doch hatte Achim, dessen Herz heimlich mit großer Treue an den Stätten hing, die seine Kindheitserinnerungen bevölkerten, nur selten Erlaubniß erhalten, einen Ferienausflug »nach Hause«, wie er es nannte, zu machen. Die fremden Gesichter, denen er dort begegnete, und diejenigen, die er nicht mehr sah, trübten ihm die Freude an den heimathlichen Feldern und Wäldern, so daß er, da er auf die Universität gekommen war, überhaupt nicht mehr in die Heimath zurückverlangte, die ihm nicht mehr heimlich war.

Bei jenen seltenen Besuchen war es nie dazu gekommen, daß er die Bewohner von Klein-Malchow kennen lernte. Der Pächter hatte keine Veranlassung, mit ihnen zu verkehren. Wurde je einmal der Name genannt, so erfuhr Achim weiter nichts, als daß der Gutsherr ein freundlicher Herr, seine Gemahlin eine gerechte, aber strenge Dame sei. Von den beiden Kindern, die dieser Ehe entsprossen, war das ältere, ein Knabe, durch einen Unfall früh aus dem Leben geschieden; die kleine Schwester werde einmal eine gute Partie sein.

Dies konnte freilich kein Beweggrund für den jungen Secundaner sein, die Bekanntschaft Fräulein Luitgarde von Benkendorf's zu suchen. Ein einziges Mal hatte ihn sein Herumstreifen auf der Hasenjagd ganz nah an den Park des Nachbargutes geführt, dem sein Vater beharrlich fern geblieben war. Er hatte mit einer etwas beklommenen Neugier sich eine Strecke weit hineingewagt und zuletzt durch die dünnen Erlen- und Weidenstämmchen ein weißes Kleid schimmern sehen und ein kindlich helles Lachen erklingen hören, dazwischen eine ältere Frauenstimme in einer fremden Sprache. Gleich darauf hatte sich das Paar zum Rückweg nach dem »Schlößchen« gewendet, wie das Herrenhaus von Klein-Malchow in der ganzen Gegend genannt wurde, und dem jungen Nachbarn war von der Erscheinung nur ein zarter Eindruck geblieben, ein blonder Lockenkopf, eine silberne Mädchenstimme, zu traumhaft, um lange in seinem Gedächtniß zu haften.

Dann hatte er, halb widerwillig, da seine angeborene Neigung dahin ging, Landwirth zu werden, sein juristisches Studium auf verschiedenen Universitäten absolvirt, zuletzt in Berlin, wo er denn auch blieb, um seine Examina zu bestehen.

Er war einer jener seltenen Menschen, die das zweifelhafte Glück, keinen Feind zu haben, nicht durch Unbedeutendheit oder schwächliche sogenannte Liebenswürdigkeit gegen Jedermann erkaufen. Schon seine Schulkameraden hatten das dunkle Gefühl, daß er von einem eigenen, still auf sich beruhenden Charakter war, dem sie weder mit Schmeicheln noch mit Feindseligkeit etwas abgewinnen konnten. Nicht daß er sich spröde von ihnen fern hielt oder sie seine Überlegenheit fühlen ließ. Doch obwohl er an all ihrem übermüthigen und zuweilen selbst possenhaften Treiben theilnahm, war es doch immer, als bliebe um ihn her ein leerer Raum, der ihn von den Gefährten trennte.

Das wurde auch nicht anders, als er auf die Universität gekommen war. Er fand bald unter den Commilitonen, die sich gleich ihm von den studentischen Verbindungen fern hielten, Gesellen, die ihn hochachteten und von der eigenthümlichen Mischung seiner Natur, einer fast weiblichen Zartheit der Empfindung und stählernen Energie des Geistes und Charakters, angezogen wurden, ohne sich über den Grund seines Einflusses so recht klar zu werden. Doch eigentliche Herzensfreunde fand er auch hier nicht, obwohl er von Jedem, der ihn suchte oder seine Hülfe in Anspruch nahm, zu finden war und mit seinem reichen Wechsel in aller Stille Viele sich verpflichtete. Trotzdem galt er für eine kühle Natur, und man verdachte ihm seinen Hang zur Einsamkeit, so viel er sich Mühe gab, ihn zu verbergen.

Er selbst erkannte, daß seine Schwerblütigkeit ihm die Kunst, das Leben unbedenklich zu genießen, unmöglich mache. Anderen gegenüber hütete er sich sorgfältig, den Pedanten zu spielen und ihnen die Gesinnungsstrenge, die ihn selbst beseelte, aufzudrängen. In seinem eigenen Thun und Treiben war er unerbittlich bemüht, auch das Geringste zu meiden, was den Einklang seiner Empfindung gestört, ihn vor seinem innern Gefühl beschämt hätte. Da er aber wußte, daß ein junger Mensch, der über gewisse sittliche Verirrungen nicht ein oder beide Augen zudrücken kann, für einen sonderbaren Heiligen gehalten wird, so blieb er der jungen Gesellschaft gewöhnlich fern und verkehrte lieber in einigen Häusern, wo er ältere Männer und Frauen fand, die den feinen, ernsten, geistvollen Studenten gern als einen stets willkommenen Hausfreund begrüßten.

Auch die jungen Mädchen ließen ihn merken, daß es nur an ihm gelegen hätte, sehr in Gunst bei ihnen zu kommen, da die ritterliche Art, mit der er sie behandelte, ihnen schmeichelhafter erschien, als das landübliche Courmachen der studierenden Jugend. Da es aber bei dieser zartsinnigen Huldigung blieb, hielten sie ihn am Ende auch für einen kalten Fisch, der vor lauter Andacht nicht zu einer richtigen Liebe kommen könne, und nur die Klügeren unter ihnen machten sich seine ernsthafte Haltung zu Nutze, indem sie ihn zum Vertrauten ihrer kleinen Herzensangelegenheiten wählten und gelegentlich seine Vermittlung in schwierigen Fällen in Anspruch nahmen.

Eine oder die Andere, die ein wärmeres Interesse an ihm nahm, faßte sich auch wohl ein Herz, ihn geradezu zu fragen, woher der Schatten von Schwermuth komme, der über seiner Stirn lag. Sie hofften, ihm damit das Geständnis; eines heimlichen Liebeskummers abzulocken, von dem aber seine Seele nichts wußte. Nur daß er ein Studium erwählt hatte, an dem sein Geist kein Genüge fand, gestand er ein. Daß er nicht sein Leben lang Jurist bleiben würde, wußte er bestimmt. Zwar lief der Pachtcontract, den der Oheim über sein väterliches Gut abgeschlossen, nach dem Gesetz nur bis zu seiner Mündigkeit. Mit einundzwanzig Jahren hätte er den Staub der Pandekten von seiner Seele schütteln und Landwirth werden können. Aber er glaubte im Sinne seines Vaters zu handeln, der ihn zum Juristen bestimmt hatte, wenn er wenigstens der Welt zeigte, daß keine Furcht vor dem Examen ihn dem Studium der Rechte mittendrin abtrünnig machte, zumal er auf der Universität und in den Städten, wo er sich Studierens halber aufhielt, allerlei andere Bildungsbedürfnisse befriedigen konnte.

Vor allem trieb er mit Leidenschaft Musik. Doch auch diese edle Passion gab ihm einen melancholischen Zug, da er sich klar darüber war, daß er zu spät damit angefangen habe, um es über den Dilettantismus hinauszubringen.

*

Gegen Ende des zweiten Semesters, das er in Heidelberg zubrachte, sollte er nun auch den Beweis liefern, daß man sehr mit Unrecht ihn verdächtigte, Fischblut in den Adern zu haben.

Eine heftige Leidenschaft erfaßte ihn zu einer schönen Frau, die mit ihrem kränklichen Gatten nach der Universitätsstadt übergesiedelt war, um hier den Rath eines berühmten Arztes einzuholen.

Die Dame war von jener für junge Leute gefährlichsten Art, die mit kaltblütigen koketten Künsten unerfahrene Anbeter in ihre Netze zieht, sie eine Weile darin zappeln läßt und dann erbarmungslos auf den trockenen Strand aussetzt.

Achim hatte sich durch den Schein unanfechtbarer edler Weiblichkeit fangen lassen und sich in diese Leidenschaft, die er in seinem Innersten selbst verdammte, so tief verstrickt, daß er einen guten Freund, der ihm die Augen zu öffnen suchte, forderte und mit einer ziemlich schweren Wunde für seinen guten Willen belohnte.

Bald darauf waren ihm selbst, da er von einer älteren Freundin hörte, wie seine Angebetete sich über ihn geäußert hatte, die Schuppen von den Augen gefallen, und in tiefer Reue und Beschämung hatte er die Stadt verlassen, noch ehe das Semester zu Ende gegangen war.

Er hatte sich nach Berlin gewendet, da man sich in der großen Stadt am sichersten vor der Welt verbergen und eine Wunde ausheilen lassen kann. Hier lebte er die nächsten Jahre ganz still und suchte der Wissenschaft, die er bisher nur aus äußeren Zwecken getrieben, einen geistigen Reiz abzugewinnen.

Von der Gesellschaft, die ihm seine Familienverbindungen geöffnet hätten, blieb er so beharrlich fern, daß er allgemein in den Ruf eines Sonderlings kam. Nur die Musik brachte das Wunder zu Stande, daß er hin und wieder in ein paar Häusern sich blicken ließ, wo einige ausgezeichnete Künstler verkehrten und die Hausfrau selbst oder eine ihrer Töchter am Flügel oder als Sängerin sich hören lassen durfte.

So war er eines Abends der Einladung zu einem Bildhauer gefolgt, der selbst trefflich die Geige spielte und ein paar Virtuosen des Hoforchesters zuweilen zum Quartett zu sich lud.

Es war im Februar des Jahres, in welchem Achim sich zu seinem letzten Examen vorbereitete. Monate lang hatte er sein Arbeitszimmer kaum einmal verlassen, um ein Theater oder Concert zu besuchen. Die Frau des Bildhauers hatte ihn aber in Person in seiner »Höhle« aufgesucht, um ihm freundschaftliche Vorwürfe zu machen über seine Bärenhaftigkeit und ihm das Versprechen abzunehmen, am Abend bei ihnen nicht zu fehlen.

An diesem Abend hatte sich sein Schicksal entschieden. Er war etwas spät gekommen, als das Trio drinnen schon begonnen hatte. Behutsam öffnete er die Thür des Musikzimmers und glitt hinein, nur von der Frau des Hauses bemerkt und mit einem dankbaren Lächeln, daß er Wort gehalten, begrüßt. Er blieb aber nah an der Thür stehen und überblickte den kleinen Kreis, lauter Gesichter, die ihm wohlbekannt waren, bis auf zwei. In der vordersten Reihe saß ein alter Herr mit dünnem blondem Haar und einer altmodischen weißen Cravatte, neben ihm ein junges Mädchen in einer einfachen, aber sehr geschmackvollen Toilette, das reiche aschblonde Haar schlicht gescheitelt und im Nacken durch ein blauseidenes Band in einen Knoten zusammengefaßt. Aus diesem stahl sich eine weiche Locke den weißen Hals hinab über den zarten Nacken, den ein bescheidener Ausschnitt des wasserblauen Kleides frei ließ.

Von dem Gesicht des Fräuleins sah er nur das verlorene Profil, einen reizend zarten und doch kräftigen Umriß, ein rosenrothes Öhrchen, ein Streifchen der dunklen Braue und die feinen Wimperhaare, die sich langsam wie die Flügel eines kleinen Schmetterlings auf und nieder bewegten. Als sie jetzt, da der erste Satz zu Ende gegangen war, sich zu dem Papa neben ihr umwandte, schlug es aus dem leuchtenden grauen Auge wie ein Blitz in ihn ein. Er meinte nie ähnliche Augen gesehen zu haben, so kindlich hell und doch räthselhaft zugleich, und vollends bezaubernd schien ihm das gerade, unten etwas abgestumpfte Näschen über dem rothen, nicht allzu kleinen Munde, der die schönsten jungen Zähne sehen ließ.

Als das Spiel zu Ende war, verharrte er noch regungslos unter dem ersten Eindruck dieser lieblichen Erscheinung, bis die Hausfrau an ihn herantrat und ihn fragte, ob sie ihn nicht den beiden fremden Gästen vorstellen solle, dem Herrn Hans Georg von Benkendorf, dessen Frau eine Jugendbekannte von ihr sei, und seiner Tochter Luitgarde, die mit ihrem Papa vor etlichen Wochen nach Berlin gekommen sei, um jetzt, da sie achtzehn Jahre alt geworden, in die Gesellschaft eingeführt zu werden.

Er hatte sich stumm verneigt und war ein wenig roth geworden, als die gute Frau ihm lächelnd zuflüsterte, er möge nur sein Herz festhalten, da das junge Landfräulein vielleicht gefährlicher sei als manche gefeierte Schönheit, an der er kühl vorübergegangen. Doch eher fürchtete er, der Zauber möchte verschwinden, wenn der frische rothe Mund sich öffnete, um so alltägliche leere Worte zu sprechen, wie er sie von den meisten ländlich erzogenen Gutsfräulein zu hören gewohnt war.

Er wurde aber aufs Lieblichste enttäuscht.

Nur eine gewisse Befangenheit, ein schüchterner Aufblick, als der ernste junge Mann sie anredete, verrieth, daß sie erst seit Kurzem in die große Welt eingetreten war. Alles aber, was sie sagte, klang so rein, aus einem unverbildeten, heiteren und selbstgewissen Gemüth entsprungen, daß die Mischung von Naivetät und Nachdenklichkeit, von Bescheidenheit und Unmittelbarkeit des Urtheils überaus reizend erschien.

Er hatte von der Musik angefangen, die sie eben gehört hatten, ihr gesagt, daß er an ihrem hingerissenen Zuhören zu errathen geglaubt, sie liebe die Musik und spiele oder singe selbst.

Das hatte sie eingestanden. Ein altes schottisches Fräulein, das seit zehn Jahren bei ihnen wohne und ihren Unterricht leite, habe sie auch in die Musik eingeführt. Doch spiele sie nur schlecht Klavier, ein wenig besser die Orgel, das Lieblingsinstrument der Miß Ruth, und singen thue sie den ganzen Tag, fügte sie lachend hinzu, aber nicht viel anders als der Vogel auf dem Zweig. Sie würde gern Unterricht nehmen, auf dem Lande aber sei keine Gelegenheit dazu, der Lehrer, der zugleich Cantor sei, verstehe nicht mehr davon, als für das Choralsingen der Dorfkinder nöthig sei. Auch habe sie zu viel mit der Wirthschaft zu thun, die Mama sei durch ihr Gebrechen – sie habe als Mädchen bei einem Sturz mit dem Pferde das Bein gebrochen und hinke nun, da es schlecht geheilt worden sei – nicht im Stande, im Hause überall nach dem Rechten zu sehen, und die »Mamsell« habe mit der Milchwirthschaft und dem Kochen für die Dienstleute genug zu thun. Vielleicht erlaube es die Mama, daß sie sich einmal längere Zeit in der Stadt aufhalte, dann wolle sie ernstlich studieren, und außerdem – es gebe so viel hier zu lernen, die schönen Bilder im Museum, die Theater, wo sie endlich ein Schiller'sches Stück habe aufführen sehn – sie habe die ganze Nacht nicht darüber schlafen können. Und freilich, vieles sei ihr unverständlich in der großen Stadt, sie habe gemerkt, was für ein dummer »Dorfdeubel« sie doch eigentlich sei, obwohl ihre Eltern und »Mißchen« so viel für ihre Erziehung gethan hätten. Aber nun sei sie ja »erwachsen« – sagte sie mit einem reizenden Lächeln – und werde sich Bücher kaufen und anfangen, sich selbst ein bischen zu bilden.

Er hörte sie reden in einem wunderlichen Zustande zwischen Rührung und Andacht, wie wenn von den Lippen dieses jungen Wesens ihm tiefsinnige Geheimnisse mitgetheilt würden. Eigentlich waren es auch nicht die Worte, die ihm diesen Eindruck machten, sondern das holde, muntere Mienenspiel, das sie begleitete, bald ernsthaft, als wenn es sich um Entschlüsse über Leben und Tod handelte, bald mit einem schalkhaften Zuge, wenn sie von ihrer dörflichen Umgebung sprach. Dabei schien es ihm vollends bezaubernd, wie sie zuweilen, wenn sie es besonders nachdrücklich meinte, die Augen halb zudrückte, da sie ein wenig kurzsichtig war.

Er erfuhr, daß sie noch ein paar Monate in der Stadt bleiben würde, bei einer alten unverheiratheten Schwester ihres Vaters, Fräulein Leopoldine von Benkendorf, die für den Bruder in ihrer Wohnung keinen Platz mehr gehabt habe. Doch wohne der Papa nur hundert Schritte weit in einem Hotel garni, wo er auch volle Freiheit habe, alte Bekannte aufzusuchen und bei sich zu empfangen, Über Tag sehe sie ihn wenig. In die Museen habe er sie noch nicht einmal begleitet, da er für Kunstwerke wenig Sinn habe; da sei sie auf die Tante angewiesen, die freilich – fügte sie schalkhaft hinzu – auch einen vollen Erntewagen der schönsten gemalten Landschaft vorziehe.

Sogleich erbot sich Achim, den Damen zum Cicerone zu dienen, ein Wort, nach dessen Bedeutung Luitgarde unbefangen fragte. Sie dankte dann aber sehr für das freundliche Anerbieten und sagte es gleich dem Papa, der jetzt zu ihnen trat und dem jungen »Nachbarssohn« treuherzig die Hand schüttelte. Die Tochter wurde von einem der Musiker in Beschlag genommen, und auch ein paar andere junge Leute bemühten sich, ihr den Hof zu machen. Achim, den das Gespräch des alten Herrn nur mäßig interessirte, horchte beständig nach der Gruppe hin, aus der die klare Stimme und das unschuldige Lachen des jungen Mädchens zu ihm herüberklang. Dann wurde wieder Musik gemacht, zuletzt soupirt. An alle dem nahm der Verzauberte nur Theil wie im Traum.

*

Er wurde sich in den langen schlaflosen Stunden der Nacht bald klar darüber, daß sein Herz für immer gefesselt war. In dieser Erkenntniß bestärkte er sich, als er am andern Tage und den folgenden durchaus unfähig war, in seinen Studien zum Examen fortzufahren. Was daraus werden sollte, wenn sie aufs Land zurückkehrte und er mit diesem übermächtigen Gefühl zurückblieb, wie er dann im Herbst die Prüfung bestehen sollte, war ihm ein Räthsel.

Immer noch hoffte er, die Gewalt, die ihm angethan war, zu bezwingen. Denn wenn er auch seines eigenen Gefühls sicher war, schien es ihm doch eine Thorheit, auf Erwiderung zu hoffen. Er hatte oft genug erlebt, daß er den jungen Damen sehr ungefährlich und nur zum Freunde und Vertrauten gut genug war. So viel glänzendere Bewerber, sagte er sich, flotte Tänzer und sporenklirrende Leutnants würden ihm gerade hier den Rang streitig machen und er dann mit einer Niederlage zurückbleiben, die er vielleicht lebenslang nicht verwinden würde.

Der Reiz aber, sich an dem reinen Feuer dieser Augen zu wärmen, war zu unwiderstehlich, als daß er nicht jede Gelegenheit, sie wiederzusehen, ergriffen hätte.

Er nahm sogar Einladungen zu Bällen an, die er sonst beharrlich abgelehnt hatte. Freilich tanzte er nicht, und es erregte ihm eine peinliche Empfindung, sie am Arm eines Andern vorüberschweben zu sehn. Aber ein rascher, leuchtender Blick, den sie ihm zuweilen dabei zuwarf, beglückte ihn doch, obwohl diese unschuldige Vertraulichkeit seine alte Erfahrung bestätigen mußte, daß er nicht eigentlich zur Jugend gerechnet wurde, trotz der eben erst vollendeten sechsundzwanzig Jahre.

Desto mehr genoß er den Vorzug, den sie ihm offenbar erwies, wenn er ihren Führer durch die Kunstsammlungen machte. Die Tante, eine gutartige, etwas beschränkte Dame, störte das junge Paar nur wenig, da sie sich in jedem neuen Saal sofort auf das Sopha in der Mitte niederließ und mit einer langgestielten Lorgnette gelangweilt an den Wänden herumsah.

Achim dagegen, der hier gründlich zu Hause war, hatte sich vorgenommen, seine holde Schülerin einen kleinen Cursus der Kunstgeschichte in raschem Überblick durchmachen zu lassen. Er war erstaunt, mit wie sicherem Instinct, so sehr sie jeder Vorbildung entbehrte, sie das Entscheidende, Hohe, Persönliche in den Werken der Großen herausfand, obwohl sie sich jedes Mitredens enthielt und nur durch Naturlaute ihrer Empfindung Luft machte.

Er wurde durch diesen neuen Einblick in das Innere dieses jungen Wesens so bestärkt in der Erkenntniß, hier oder niemals gerade die Gefährtin seines Lebens, deren er bedurfte, gefunden zu haben, daß er sich in einem unbewachten Augenblick zu einem stammelnden Ausdruck seines Gefühls fortreißen ließ, nur so wie Jemand, der sich erlaubt, laut zu denken. Im nächsten Augenblick erschrak er über seine Unbedachtheit und stammelte eine verworrene Entschuldigung, indem er sich in tödtlicher Bestürzung abwandte.

Als er aber nach einer beklommenen Pause seine Begleiterin wieder anzublicken wagte, sah er sie von einer tiefen Glut übergossen, die Augen fest auf das Bild gerichtet, das ihm durch irgend etwas Verwandtes in der dargestellten Scene jenes Bekenntniß entlockt hatte, und hörte sie mit zitternder Stimme erwidern: Ich bitte, scherzen Sie doch nicht mit mir in einer so ernsten Sache. Sie wissen nicht – es würde mir zu wehthun, wenn Jemand, den ich so sehr verehre, sich ein Spiel mit mir erlaubte. Sie warf einen raschen Blick nach der Tante zurück, die auf ihrem Plüschsopha eingenickt war. Dann hielt sie Achim, der noch immer in seinen Zweifeln verstummte, ihre kleine Hand hin und sagte ganz leise: Aber nein, Sie können es nicht anders meinen, als Sie es sagen. O Gott, und ich – wenn ich daran glauben dürfte –

Da hatte er sie an sich gezogen und in einem Taumel von Wonne, der ihn blind gegen die ganze Welt um sich her machte, mit seinen Lippen ihre Wange berührt. Zum Glück war außer ihnen Niemand im Saal.

Die Tante wachte eben erst auf, schüttelte den Kopf mit dem großen Federhut und sagte: Ich glaube wirklich, ich habe fünf Minuten lang geschlafen. Die Kunst fällt mir immer auf die Nerven. Nun aber kommt, Kinder! Wir dürfen die Suppe nicht anbrennen lassen.

*

Es fiel der guten Seele, während sie die breite Museumstreppe hinabgingen, nicht auf, daß die beiden jungen Leute kein Wort von sich gaben, sondern höchstens durch ein zerstreutes Ja oder ein stummes Kopfnicken sich den Anschein gaben, als achteten sie auf das lebhafte Geplauder ihrer alten »Ehrendame«.

Als aber auch in der geschlossenen Droschke, in die sie am Lustgarten stiegen, die seltsame Stummheit anhielt, wandte sich die Tante geradezu an das Nichtchen und fragte, ob sie unter all den langweiligen stummen Bildern auch ihre Sprache verloren hätte.

Statt aller Antwort schlang das tief erröthende schöne Mädchen den Arm um den Hals der Alten, drückte die Augen, die von plötzlichen Thränen überflossen, gegen ihre Schulter und haschte mit der anderen Hand die ihres stillen Gegenübers, als wollte sie die Pflicht, das Räthsel zu erklären, ihm übertragen, der doch »der Nächste dazu« sei.

Nun bedurfte es freilich keiner weiteren Verständigung in Worten.

Die Tante hatte längst gemerkt, wie es um die Gefühle des ritterlichen jungen Mannes stand, und da sie ihn in den häufigen langen Begegnungen höchlich schätzen gelernt hatte, schien es ihr, als ob ihre junge Nichte bei Niemand besser aufgehoben sein könnte als bei ihm. Die unerwartet rasche Entwickelung der Sache verwirrte sie aber so freudig, daß sie sich nicht damit begnügte, Luitgarde's Umarmung zu erwidern, sondern auch den schüchternen Verlobten, der ihr ehrerbietig die Hand küßte, an ihr altes Herz zog und herzlich auf beide Wangen küßte.

Zu Hause fanden sie den Papa, schon ungeduldig ihrer wartend. Er pflegte bei der Schwester zu Mittag zu essen, wenn ihn nicht einer seiner alten Freunde oder Kriegskameraden in ein elegantes Restaurant lockte. Als das glückliche junge Paar vor ihn hintrat und Achim in möglichst correcten Worten ihn um die Hand seiner Tochter bat, war ihm die Sache freilich überraschender als der Tante, doch nicht minder erfreulich. Ja, er äußerte seine Freude noch tumultuarischer, indem er den Bräutigam immer von Neuem umarmte, ihn auf die Schulter klopfte und sogleich ihn zu duzen anfing.

Nur bei Tisch, als die Tante Champagner kommen ließ, um die Verlobung in aller Form zu feiern, wurde er plötzlich nachdenklich. Gegen den Champagner habe er nichts einzuwenden. Die Verlobung aber könne erst als geschlossen betrachtet werden, wenn die Mama ihre Einwilligung gegeben habe. Denn sie würde es mit Recht sehr übel vermerken, wenn man, wo es das Loos des Kindes betraf, das sie geboren, ihr nicht die entscheidende Stimme überließe.

Nun verfaßte er sofort ein ausführliches Telegramm, theilte die Thatsache mit und bat um eine Äußerung darüber, ob der mütterliche Segen telegraphisch ertheilt werden oder das junge Paar zu ihr hinüberkommen solle, sich ihn in Person zu holen.

Der Telegraph brachte umgehend die Antwort, die sehr überraschend klang: die Mama werde am folgenden Tage selbst kommen.

Tante Leopoldine zog die Schultern in die Höhe und machte eine geheimnißvolle, vielsagende Miene. Luitgarde wurde still und schien Unheil zu ahnen. Der Papa erklärte, sich keinen Vers darauf machen zu können, da seine liebe Frau seit vielen Jahren die Beschwerden einer Reise gescheut habe und Alles so viel einfacher auf dem Gut zu machen gewesen wäre.

Achim war Alles gleichgültig. Das Glück, das geliebte Mädchen gewonnen zu haben, füllte all seine Gedanken.

*

So kam denn wirklich die Mama am anderen Tage.

Als der Zug in den Bahnhof einfuhr und das Gesicht der Erwarteten am Fenster des Coupes erschien, glaubte Achim, seltsam betroffen, eine Doppelgängerin seiner Geliebten zu sehen. Dann erkannte er freilich, als er ihr beim Aussteigen half, die Verschiedenheit der beiden Gestalten, die sich nicht bloß auf den grauen Schimmer des noch immer reichen Haares der Mama beschränkte. Die Figur war kleiner und durch die geringe Fähigkeit der Bewegung zu einer Fülle gediehen, die fast schon beängstigend erschien. Auch die Gesichtszüge, so sehr sie einander glichen, zeigten doch bei näherer Betrachtung wesentliche Unterschiede. Die Mama mußte in jungen Jahren noch zierlicher, rosiger und feiner ausgesehen haben, ein Puppenkopf von einer fast unwahrscheinlichen Holdseligkeit mit zwei Grübchen in den Wangen, während die Tochter nur eines hatte. Auch das Näschen der Mutter war spitzer als das der Tochter, wie diese denn überhaupt durch ihre kräftige Bildung mehr an den Vater erinnerte.

Es fiel Achim sofort auf, daß die Begrüßung der Mama durch die Ihrigen – nur Tante Leopoldine war zu Hause geblieben – bei aller Herzlichkeit doch eine gewisse Zurückhaltung hatte, wie wenn eine Prinzessin von ihrem Hofstaat empfangen würde. Ihm selbst, da er ihr die Hand geküßt hatte und sie an seinem Arm zu dem ihrer harrenden Wagen geleitete – mit der anderen Hand stützte sie sich auf einen gelben Stock mit goldener Krücke –, wurde nur ein flüchtiger, nicht allzu freundlicher Blick zu Theil, während sie das Wort hauptsächlich an ihren Gatten richtete, der mit der unterwürfigen Miene eines Hofmarschalls ihr das leichte Handgepäck nachtrug.

Bei der Schwägerin angelangt, die sie mit einer kühlen Umarmung begrüßte, verlangte sie zunächst, in Luitgarde's Zimmer ein paar Augenblicke allein zu bleiben. Es dauerte aber fast eine halbe Stunde, ehe sie wieder erschien, jetzt freilich ein so ausgesucht sauberes und fast kokettes Frauenbildchen, daß Achim wohl begriff, wie sie in ihrer Jugend, ehe der Unfall sie traf, überall als Ballkönigin geglänzt haben mußte.

Es war die Theestunde, und die kleine Gesellschaft setzte sich um den runden Tisch in dem etwas altmodig eingerichteten Wohnzimmer der Tante. Nach den ersten gleichgültigen Reden ergriff die Mama das Wort zu einer kleinen Standrede, die sie sich auf der Fahrt sorgfältig zurechtgelegt zu haben schien. Sie sei sehr überrascht worden durch die Nachricht, daß ihre Luitgarde ihr Herz, das sie noch kaum Zeit gehabt habe, kennen zu lernen, so rasch an einen ihr gleichfalls nur erst flüchtig bekannten Mann verschenkt habe. Doch sie wisse, daß der Leichtsinn junger Menschen mit einem ebenso großen Eigensinn Hand in Hand zu gehen pflege, und da sie überdies sich des Wortes getröste, daß Ehen im Himmel geschlossen würden, wolle sie sich jedes Einspruchs enthalten.

Hier umarmte die Tochter sie mit überquellenden Augen, und Achim küßte ihr dankbar ehrerbietig die Hand. Sie ließ das über sich ergehen, ohne es freundlich zu erwidern, und fuhr sogleich fort: ein paar Bedingungen indeß habe sie noch zu machen.

Zunächst, daß der Bräutigam sich feierlich verpflichte, seine Ehe nirgend anders als auf dem schwiegerelterlichen Gut zu führen. Bei dem frühen Tode ihres erstgeborenen Sohnes habe sie sich gelobt, wenigstens ihre Tochter bis an ihr eigenes Lebensende nicht von ihrer Seite zu lassen. Der ganze obere Stock des »Schlößchens« solle dem jungen Paar eingeräumt werden, sie werde schon ihres Gebrechens wegen nicht oft hinaufsteigen können, um die verrufene Schwiegermutter zu spielen, die sich beständig unliebsam einmische. An eine Fortsetzung der begonnenen Beamtencarriere sei dabei freilich nicht zu denken, denn nie werde sie einwilligen, ihre Luitgarde nach Berlin ziehen zu lassen.

Auf diese Eröffnung folgte eine kleine bängliche Pause, der aber der Bräutigam ein Ende machte durch die, wie es schien, gern abgegebene Erklärung, er willige in diese Bedingung mit Freuden ein. Sehr gegen seinen Willen habe er das juristische Studium ergriffen, jedenfalls nie sein Herz an die Aussicht gehängt, als Beamter seinem Lande zu dienen. Nun freilich sei er es sich schuldig, das letzte Examen zu bestehen, um nicht dem Verdacht ausgesetzt zu sein, er habe sich aus Feigheit dem Staatsdienst entzogen. Seine geheime Neigung habe stets der Landwirthschaft gehört. Mit Freuden werde er dem Papa an die Hand gehen und sich so einarbeiten, daß er im Stande sei, ihm einen Inspector oder Verwalter zu ersparen.

Der alte Herr war durch diese Erklärung sichtlich erfreut und drückte dem künftigen Schwiegersohn treuherzig die Hand. Die Mama aber fuhr mit derselben kühlen Miene fort: Da auch sie es billige, daß Herr von Blankenhagen erst Assessor werde – schon um später sich dadurch zum Landrath zu qualificiren –, so wünsche sie, daß die Verlobung bis zur Absolvirung des Examens noch geheim bleibe. Deßhalb habe sie es auch vorgezogen, selbst nach der Stadt zu kommen, da ein Besuch Achim's mit Papa und Tochter auf dem Lande Anlaß zu allerlei Gerede und Gerücht gegeben hätte. Aus dem gleichen Grunde könne auch von Besuchen des Bräutigams während des Sommers keine Rede sein, und für seine Vorbereitungen zur Prüfung sei es unbedingt nothwendig, auch den Briefwechsel auf ein vernünftiges Maß zu beschränken. Mehr als einmal alle vierzehn Tage dürfe Luitgarde einen Brief weder schreiben noch empfangen.

*

Diese harten Bedingungen hatte die kleine gnädige Frau mit so unwiderruflicher Bestimmtheit dictirt, daß jede Regung des Widerspruchs entwaffnet wurde. Nur Tante Leopoldine hatte sich dazu ermannt, den Kopf zu schütteln und mit gerunzelter Stirn »Aber Karoline!« zu sagen. Ein Blick auf die kühlen, scharfen blauen Augen der Schwägerin machte auch sie verstummen. Doch da sie fühlte, daß sie, so hoffnungslos jede Auflehnung gegen das Machtgebot des kleinen Napoleon sein würde, ihre innere Empörung nicht bemeistern könnte, verließ sie unter einem häuslichen Vorwande das Zimmer und zog die Thür hinter sich klirrend ins Schloß.

Die Zurückgebliebenen verharrten in tiefem Schweigen, jeder in seine unerquicklichen Gedanken versunken. Denn selbst der glückliche Bräutigam, so sehr er geneigt war, noch schwerere Bedingungen ohne Murren hinzunehmen, da ihm wenigstens der Besitz des geliebten Mädchens zugestanden war, empfand es doch schmerzlich, daß die Mutter seiner Braut ihm kein freundliches Herz zeigte, während das seine von Dankbarkeit für sie überfloß, daß sie diesem reizenden Wesen eigens für ihn das Leben gegeben hatte.

Der Papa hatte sich ans Fenster gestellt und trommelte an den Scheiben. Luitgarde saß mit niedergeschlagenen Augen neben ihrem Verlobten und legte zuweilen verstohlen ihre weiche Hand auf die seine. Nur Frau Karoline Erdmuthe schien mit der Lage der Dinge und der Art, wie sie nun geordnet waren, leidlich zufrieden zu sein, wenn auch nicht sonderlich davon entzückt. Wie um von einem unliebsamen Ereigniß, das nun aber einmal nicht zu ändern ist, die Gedanken der Betheiligten abzulenken, fing sie an, ihrem Gatten von Gutsangelegenheiten zu reden und äußerst unwichtige Dinge, die sich inzwischen in Klein-Malchow zugetragen, ausführlich zu berichten. Herr Hans Georg verhehlte nur schlecht, daß er im Augenblick sich mehr als Brautvater denn als Landwirth fühlte, und Achim wagte sogar, seiner Liebsten allerlei zärtliche Worte zuzuflüstern, was das verschüchterte schöne Kind immer wieder durch einen warnenden Blick nach der Mutter hin unterbrach.

Die Tante ließ sich erst wieder sehen, als sie zum Abendessen einlud. Auch hierbei ging es durchaus nicht froh und festlich zu. Von Champagner war keine Rede. Aber so ganz ohne Sang und Klang den Verlobungstag zu Ende gehen zu lassen, brachte Tante Leopoldine doch nicht übers Herz. Sie erhob ihr Glas, das sie mit einem säuerlichen Moselwein halb voll geschenkt hatte, und brachte mit ein paar halb humoristischen, halb anzüglichen Worten die Gesundheit des Brautpaars aus, worauf Alle, wie von einem Bann erlös't, laut und lustig mit einander anstießen. Nur die Mama entschuldigte sich, daß sie es nur in Gedanken thun könne, da sie niemals Wein trinke.

Sie beeilte sich auch, der freieren und heitreren Stimmung, die der Wein erzeugte, so bald als möglich ein Ende zu machen. Sie erklärte, morgen mit dem Frühzuge die Heimreise antreten zu wollen und natürlich Luitgarde mitzunehmen, da man eine Braut doch nicht einer fremden Obhut anvertrauen könne. Ihr Gemahl möge ihretwegen, wenn ihm darum zu thun sei, noch in Berlin bleiben, um die Freuden der Hauptstadt, an denen sein Herz hänge, bis zur Neige auszukosten.

Luitgarde's Augen hatten sich mit Thränen gefüllt, Achim öffnete eben den Mund, um wenigstens einen Aufschub von etlichen Tagen zu erbitten, Tante Leopoldine aber schnitt ihm das Wort ab, indem sie mit fester Stimme erklärte: Da sie von der Schwägerin als eine Fremde betrachtet werde, stimme sie der hastigen Abreise und Trennung der jungen Leute bei und bitte nachträglich um Verzeihung, daß sie ihre Pflicht als Gardedame so schlecht erfüllt und es zugelassen habe, daß ihre liebe Nichte einen so trefflichen Bräutigam gefunden, dem sie selbst mit Freuden eine eigene Tochter gegeben haben würde.

Das ging denn doch aber dem Papa gegen das Gemüth. Er konnte die Schwester, die ihm so theuer war, nicht beleidigen lassen, ohne sich ihrer anzunehmen, und suchte seine Frau, die nur stumm die Achseln zuckte, damit zu entschuldigen, daß sie ihre Worte natürlich nicht so gemeint habe. Leopoldine wisse ja, die Luft in der Stadt sei ihrer Schwägerin stets nachtheilig, über Migräne habe sie ja schon bei der Ankunft geklagt, daher könne er ihr auch nicht zumuthen, den Aufenthalt in Berlin zu verlängern, und er selbst werde natürlich die Damen begleiten, da auf dem Gute in seiner Abwesenheit allerlei Dummheiten vorgekommen seien.

So trennte man sich früh, weil Luitgarde noch ihre Koffer zu packen hatte, in schlecht versöhnter Stimmung. Achim konnte nur die fünf Minuten, während seine Liebste ihn hinaus begleitete, sie an sein Herz drücken und ihr die hervorstürzenden Thränen von den Wangen küssen. Daß sie nicht allein aus Kummer über die jähe Trennung weinte, sondern auch ihn und sich beklagte, da sie beide an der eigenen Mutter keine liebevolle Theilnehmerin an ihrem Glück gefunden, verstand er gut, ohne daß ein Wort darüber fiel.

So war auch am anderen Morgen, als er sich mit einem großen Rosenstrauß für die Mama und Veilchen für die Tochter am Bahnhof einstellte, der Abschied beklommen und einsilbig. Er durfte nicht einmal die Braut umarmen, damit die Reisegefährten nicht sähen, daß sie verlobt waren. Nur in einem unbewachten Augenblick konnte er Luitgarden die Hand drücken und ihr zuflüstern: Halte dich tapfer, geliebtes Herz, und glaube an mich! Eine kurze Prüfungszeit und dann eine Ewigkeit von Glück!

Dann mahnte der Schaffner ans Einsteigen. Achim stand, den Blick in die feuchten jungen Augen seiner Geliebten geheftet, bis der Zug sich in Bewegung setzte. Sie aber zog ein paar Veilchen aus ihrem Strauß, drückte sie an die Lippen und ließ sie zum Fenster hinaus auf den Bahnsteig fallen, wo er sie hastig aufhob, entzückt ihr zuwinkend. Er wußte wohl, die Mutter würde sie über diesen Mangel an Vorsicht und Gehorsam gescholten haben. Aber er ging mit dem triumphirenden Bewußtsein hinweg, daß ihre Liebe über alles kalte Mißwollen den Sieg davontragen würde.

*

Einen innigen Gruß und noch tausend Dank an Tante Leopoldine hatte ihm Luitgarde zuletzt aufgetragen. Das sollte er »gelegentlich« bestellen. Sein Herz trieb ihn aber vom Bahnhof weg zu der einzigen Person, mit der er von seiner Liebe sprechen konnte.

Es war noch keine schickliche Besuchszeit. Die alte Dame empfing ihn aber doch, ohne erst ihren Schlafrock mit einem reputirlichen Kleide zu vertauschen und ihre grauen Haare von den Lockenwickeln zu befreien. Auch ihr war es ein brennendes Bedürfniß, ihr Herz gegen den neuen Neffen auszuschütten.

Lieber Achim, sagte sie, indem sie ihn auf das Sopha neben sich zog, Sie glauben nicht, wie ich Sie und meine liebe Luitgarde beklagt und mich in die Seele meiner Schlafmütze von Bruder hinein geschämt habe, daß er sich das alles wie ein gutes, geduldiges Schaf von diesem – diesem – Drachen gefallen ließ. Gott in dem hohen Himmel! Ich habe gar nicht geahnt, daß es so weit mit ihm gekommen ist; in Klein-Malchow hab' ich keinen Fuß mehr hineingesetzt seit meinem ersten und letzten Besuch vor siebzehn Jahren, und er natürlich – mein großer, dummer Hans Jörg –, wenn er 'mal nach Berlin kam, that er immer ganz zufrieden und vergnügt, war's ja auch, weil er einmal wieder seine Freiheit hatte. Sie müssen nämlich wissen, lieber Achim, vor zweiundzwanzig Jahren hat mein armer Bruder sich das Unglück zugezogen, ich meine, sich in seine jetzige Frau verliebt. Na, es war ihm ja nicht zu verdenken, er war ja nicht der Einzige, der an dem Porzellangesicht und den himmelblauen Augen zum Narren wurde, obwohl – mein Geschmack ist sie nie gewesen, und schon damals sagte ich ihm: Hans Jörg, paß auf! In dieser Rose lauert ein Wurm. Er lachte mich aber aus.

Und ich hatte doch so Recht! Ein richtiger Wurm war's, und das konnte man ihr auch nicht verdenken. Denn sie war als die einzige Tochter ihres Vaters, der das große Rittergut und noch ein anderes in der Nachbarschaft besaß, auf dreißig Meilen ringsum die beste Partie gewesen, dazu galt sie für eine Schönheit, und als die Eltern sie nach Berlin brachten, wo sie einen Tanzwinter voller Triumphe erlebte, konnte sie sich in ihrem hochmüthigen Blondkopf wohl einbilden, es mit jeder Prinzessin aufzunehmen. Da that sie bei einem Spazierritt mit einem Vetter einen bösen Sturz mit dem Pferde, brach das Bein, der Schaden wurde schlecht reparirt, und nach so vielen Siegen kehrte sie von ihrer Niederlage als ein armes humpelndes Klümpchen Unglück aufs Land zurück, wo sie sich ein ganzes Jahr lang gegen Gott und die Welt verschloß, da es ihr unerträglich war, daß man die noch vor Kurzem gefeierte Ballkönigin als einen armen Krüppel wiedersehen sollte.

Und da wollte der unselige Zufall, daß mein guter Bruder nach Klein-Malchow kam. Er wollte ein Pferd kaufen, da der alte Schlieben, der Vater Karoline Erdmuthe's, eine berühmte Pferdezucht betrieb. Da sah er die Tochter, und gerade wegen ihres Gebrechens – denn Hans Jörg ist stets eine Seele von einem Menschen gewesen – verliebt er sich in den Hinkefuß.

Sie hätte ihrem Schöpfer ein Hallelujah singen sollen, daß sie so gut ankam. Denn wenn mein Bruder auch als der zweite Sohn unserer Eltern nichts hatte als den Zuschuß zu seiner Rittmeistergage – er war ein schöner, stattlicher, allgemein beliebter Mensch, hatte sich in Frankreich das Eiserne Kreuz geholt und konnte auf ein rasches Avancement rechnen.

Das alles gab er auf, um sich unter das Ehejoch zu ducken. Und sie – wenn sie's ihm noch gedankt hätte! Aber nein, sie betrug sich, als hätte er ihr lebenslang auf den Knieen zu danken, daß sie sich zu ihm herabgelassen. Sie haben selbst gesehen, lieber Achim, wie er ein ganz anderer Mensch wurde, sobald sie herkam. Da wagte er nicht mehr zu mucksen, obgleich er es so wie ich für eine abscheuliche Barbarei halten mußte, ein Liebespaar, das sich am Tage vorher gefunden hatte, auf solche Hungerrationen zu setzen. Und wäre es bloß das! Ein paar Sommermonate sind am Ende zu überstehen, wenn man den Honigmond in der Perspective hat. Aber nachher – sein Leben unter Einem Dache mit einer solchen Schwiegermutter zuzubringen –! Ich bin gewiß empört über die dummen Leute, die sich jede Schwiegermutter wie einen Basilisken vorstellen. Ich habe Ehen gekannt, wo die Schwiegersöhne den Müttern ihrer Frauen fast noch zärtlicher zugethan waren als ihren Eheliebsten. Aber diese Frau, dieser verkörperte Egoismus, voll Neid und Eifersucht auf die eigene Tochter, ihrem Schwiegersohn bloß darum spinnefeind, weil er ihr Kind glücklich machen will –

Aber nein, man muß gerecht sein: nicht bloß darum!

Etwas muß ich zu ihrer Entschuldigung anführen, wenn die Sache darum auch nicht besser wird. Sie müssen wissen, lieber Achim, in den Augen Ihrer künftigen Schwiegermutter haben Sie einen großen Fehler, Sie sehen Ihrem seligen Vater so ähnlich, als wären Sie ihm aus dem Gesicht geschnitten.

Nun, und Ihr Vater – ich habe ihn noch selbst gekannt, und sein Gesicht, sein ganzes Wesen steht so deutlich vor mir, als wären wir uns gestern zuletzt begegnet – der war ihre erste Liebe, ich glaube, er ist auch ihre einzige und ewige geblieben, obwohl sie ihn hernach gehaßt hat. Das fing schon an, als sie noch ein Backfisch war – die Güter sind ja benachbart – Herr Joachim von Blankenhagen stand sehr in Gunst bei dem alten Schlieben – er machte dem jungen Ding so im Spaß die Cour – aus dem Spaß wurde dann Ernst, als Karoline Erdmuthe in Berlin ausgeführt und bei Hof vorgestellt wurde. Auf allen Bällen war er ihr Tänzer, es war kein Wunder, daß das eitle Ding sich was in den Kopf setzte, zumal alle Leute sie schon heimlich verlobt sagten.

Dann kam das westphälische Freifräulein, da war's plötzlich aus mit dem Courschneiden. Ihr Papa – man konnt's ihm nicht verdenken – verliebte sich ganz im Ernst in das schöne, ernsthafte Mädchen, das in allem der Widerpart der gefeierten Blondine war, dunkelhaarig, mit braunen, etwas schwermüthigen Augen, sehr gebildet, obwohl sie in einem Kloster erzogen worden war, denn sie war katholisch. Na, und das schien der Heirath im Wege zu stehen, aber nein, sie wurden ein Paar noch in demselben Sommer, und ein sehr glückliches. Sie werden's ja bezeugen können.

Achim nickte. Hätte das Glück nur länger gedauert! sagte er mit einem Seufzer.

Jawohl, bloß neun oder zehn Jahre. Aber diese ganze Zeit fraß der Neid und Haß an dem Herzen der armen Verschmähten. Zuerst wollte sie sich betäuben, wie man sagt, tanzte und kokettirte nur ausgelassener, man erzählte sich, daß sie's auf einen Prinzen abgesehen hatte, der ihr auch auffallend den Hof machte. Aber dann kam das Unglück mit dem Sturz vom Pferde, da war Spiel und Tanz vorbei. Und dann nahm sie ohne Liebe, bloß als pis-aller, meinen guten Bruder, der ihretwegen seine militärische Carriere aufgeben und sich auf dem Lande vergraben mußte, als ihr »Großknecht«, wie ich in meinem Ärger ihn immer nannte; na und da können Sie denken, lieber Achim, daß es mit dem häuslichen Glück windig aussieht und es auch für Sie eine rechte Frohne sein wird, unter Einem Dache mit dieser angenehmen Schwiegermama zu hausen.

Achim hatte das alles still und traurig mit angehört. Es fiel ihm schwer aufs Herz, daß er eine Schuld seines Vaters zu büßen haben sollte, unter der auch seine Liebste mitleiden würde. Unverwandt starrte er eine ziemlich große Photographie Luitgarde's an, die dem Sopha gegenüber unter dem Ölbilde eines jungen Offiziers hing. Er hatte erfahren, daß es den Bräutigam der guten Tante vorstellte, der im französischen Kriege gefallen war.

Liebe Tante, sagte er jetzt, indem er aufstand, ich danke Ihnen, daß Sie mir dies Alles mitgetheilt haben. Es ist freilich eine schwere Aufgabe, die ich habe, den alten, gerechten Groll von Luitgarde's Mutter zu versöhnen. Aber ich werde alles aufbieten, was ich vermag, schon um meiner Liebsten willen, und ich hoffe, es soll mir gelingen. Wenn die Mutter sieht, daß das Glück ihrer Tochter davon abhängt, über das Vergangene Gras wachsen zu lassen – Sie sagen ja selbst, daß sie ihr Kind liebt –, und da sie darauf besteht, uns bei sich zu behalten – wenn ich sie wirklich so bitter an meinen todten Vater erinnerte, würde sie mich ja nicht täglich um sich haben wollen. Ich will Sie nun verlassen. Nur noch eine große Bitte hätt' ich. Luitgarde hat mir ihre Photographie versprochen. Bis die aber kommt – könnten Sie mir wohl die dort an der Wand –

Aber natürlich, rief die gute Alte und lief gleich hin, das Bildchen abzunehmen. Während sie es dann in ein Papier wickelte, sagte sie: Unter einer Bedingung: daß Sie zu der alten Tante Leopoldine kommen, so oft Ihr Herz Sie treibt und Ihre Zeit es erlaubt. Und nun müssen wir auch Du zu einander sagen. Ich habe dich von Anfang an lieb gewonnen, mein guter Achim, und wenn dir späterhin in deiner neuen Familie nicht Alles nach Wunsch geht – auf eine liebevolle und verstehende Seele sollst du immer rechnen können.

Damit umfing sie den jungen Mann, küßte ihn herzhaft und schob ihm das Bild unter den Arm, ihm an der Treppe noch nachrufend, daß sie jeden Abend von sieben Uhr an für ihn zu Hause sei.

*

Er machte sich diese Aufforderung auch redlich zu Nutze, da er von allen anderen Gesellschaften fern blieb. Die Abendstunden in dem altmodischen Altjungfernstübchen waren seine besten. Hier konnte er von dem sprechen, was sein ganzes Sinnen und Denken erfüllte, und Tante Leopoldine wetteiferte mit ihm in der Liebe zu seiner Liebsten.

Nur an den Tagen, wo er einen Brief Luitgarde's empfing, zwei Mal im Monat, fühlte er sich noch beglückter und schloß sich den ganzen Tag ein, diese Liebesepisteln, die viele Seiten füllten, wieder und wieder zu lesen und mit seinen eigenen Herzensergießungen zu erwidern. Sie hatte eine Art sich auszudrücken, die ihn völlig entzückte, genau wie sie sprach, daß alles ohne jede stilistische Verbrämung unmittelbar aus ihrer Seele zu quellen schien, die Berichte über ihr tägliches Thun und Treiben sowohl, wie die zarten, warmen Worte, die sie für ihre Liebe fand. Auch allerlei drollige kleine Vorfälle erzählte sie mit munterer Laune, schilderte die Hausgenossen, »Mißchen«, den Lehrer, der mit dem alten Pastor zuweilen Abends zum Whist ins »Schlößchen« kam, und einen blonden Vetter, Bernd von Schlieben, der nach einer etwas stürmischen und kostspieligen Leutnantszeit den Abschied genommen hatte, um ein heruntergekommenes Familiengut zu bewirthschaften. Viel war auch von Nero die Rede, einer großen dänischen Dogge, die im Herzen des Schloßfräuleins den ersten Platz nächst dem Bräutigam einnahm.

Die Eltern wurden selten erwähnt, außer in den obligaten Grüßen am Schluß.

In Achim's Antworten spielten seine Gefühle eine größere Rolle als die Notizen über seine Erlebnisse, die sich ja fast ausschließlich auf seine Arbeit und die Besuche bei Tante Leopoldine beschränkten. So wenig er aber jemals sich zum Dichter berufen gefühlt hatte, gab ihm das volle Herz doch jetzt so überschwängliche Worte ein, daß seine Liebste ihm mehr als ein Mal erwiderte, sie wisse, daß sie ein viel zu unbedeutendes Landkind sei, als daß sie glauben könne, diese wundervollen Worte seien im Ernst auf sie passend. Er müsse sich darauf gefaßt machen, bei näherer Bekanntschaft mehr als die Hälfte von allem zurückzunehmen.

Dann kam endlich das Examen, das er glänzend bestand. Am Tage darauf – obwohl er, wie erwähnt, erst den Sonnabend hatte abwarten wollen – ließ es ihm keine Ruhe, noch gewisse Geschäfte zu erledigen; er brach alles übers Knie, holte sich nur noch Tante Leopoldine's Segen und Abschiedskuß und verging fast vor Ungeduld, da der Zug, der ihn von Berlin wegführte, bei jeder kleinen Station anhielt.

Auch nachdem er endlich auf der letzten von dem alten Herrn empfangen worden war, den Jagdwagen bestiegen hatte und auf der verwahrlos'ten Landstraße seinem Glück entgegenfuhr, verwünschte er im Stillen den Schneckenschritt der Pferde und die Langmuth des Papas neben ihm, der die Peitsche nicht ein einziges Mal gebrauchte. Das Land zu beiden Seiten war trostlos öde. Unabsehlich breitete das Luch sich aus, das Klein-Malchow von dem Städtchen trennte. In der schwarzen Fläche lagen hin und wieder breite Sumpflachen, in denen sich der rothe Streifen der Abendsonne fern am Horizont spiegelte. Dazwischen standen die schwarzen Kegel, in denen der Torf aufgeschichtet war, und neben den niederen Hütten der Torfmacher glommen schwache Feuerscheine auf, von denen ein bleicher Rauch schwerfällig emporstieg und als eine graue Decke über den Dachfirsten schweben blieb. Die kümmerlichen Pappeln und Ebereschen neben der Straße waren schon halb entlaubt, selbst die Krähen schienen es zu verschmähen, hier zu nisten, so daß in der Todtenstille nur das Rollen und Hufgeklapper des Gefährts vernehmlich blieb, da die Menschen auf dem Wagen kein Wort mehr wechselten.

Das Luch aber hörte endlich auf, Ackergründe zeigten sich rechts und links, mit ihnen schien auch von dem alten Herrn ein Druck zu weichen, der ihn stumm gemacht hatte.

Hier beginnt Klein-Malchow, sagte er. Es ist noch schlechter Boden, aber mit sorgfältiger Drainage werden wir ihn endlich doch melioriren. Drüben, jenseits des Dorfes, haben wir desto besseren Boden, da spürt man die Nähe des Luchs nicht im Geringsten; vorm Jahr habe ich sogar den höchsten Ertrag gehabt, dessen ich und meine Vorgänger sich entsinnen konnten. Dies Jahr war leider desto schlechter, und vor allem meine Bauern, die querköpfig sind und von rationellem Wirthschaften nichts wissen wollen, haben kaum eine Viertelsernte gehabt. Das giebt einen Rückschlag auch auf unseren Zustand. Du wirst überall unfreundliche Gesichter sehen, und 's ist ihnen auch nicht zu verdenken. Unsereins kann ein paar Nothjahre ja überstehen. Aber so ein armer Käthner mit ein paar Morgen Land, wo er kaum für den Hunger genug erntet – Hüh! Die Braunen wittern den Stall! Sie kriegen plötzlich Quecksilber in die Knochen.

Er zog die Zügel schärfer an, da die Pferde in einen muthwilligen Galopp fielen, zumal die Straße glatter und fester wurde. Denn sie hatten die ersten Hütten des Dorfes erreicht und fuhren nun die breite gepflasterte Straße hinunter zwischen zwei Reihen unregelmäßig aufgebauter, einstöckiger Häuser, deren kleine Fenster unter tief herabhängenden Strohdächern wie niedriggestirnte Gesichter unter schwerem Haarwuchs vorsahen. Auch die neueren mit Ziegeln gedeckten Häuser sahen ärmlich und vernachlässigt aus, durch schwarze Zäune von einander getrennt, über die niedrige Holunderbüsche und noch vom Regen triefende Sonnenblumen herüberhingen. Einen stattlicheren Eindruck machte nur das ganz neue Schulhaus und daneben ein langgestrecktes Gebäude, das Krankenhaus, das, wie der alte Herr erzählte, erst im vorigen Jahr fertig geworden war. Die Kirche stammte aus weit älterer Zeit. Es war aber schon zu dunkel, um mehr von ihr zu sehen als ein hohes Schindeldach, aus dem sich ein ebenfalls mit Schindeln gedeckter achtkantiger Thurm erhob.

Das Rollen des Wagens hatte die Dorfleute an die kleinen erleuchteten Fenster gelockt oder vor die Thüren. Als sie den Gutsherrn erkannten, grüßten sie mit Kopfnicken, die Männer lüfteten ein wenig die Mützen ohne sonderliche Beflissenheit. Das alles, das armselige Dorf, die Verdrossenheit seiner Bewohner, die dunkle Wolkenmasse droben, die keinen Stern durchschimmern ließ, hätte Achim's Gemüth trübselig gestimmt, da er von seinem väterlichen Gut andere Erinnerungen bewahrte, wenn nicht all seine Gedanken bei dem bevorstehenden Wiedersehen geweilt hätten. Und das Dorf schien kein Ende nehmen zu wollen.

Jetzt aber hatten sie den Friedhof umfahren und waren in die Straße eingelenkt, die zwischen ihm und dem Gutshof hinlief. Auf ein lautes Knallen mit der Peitsche wurde ein breites Thor geöffnet, der Wagen lenkte in den geräumigen Hof, der im Kreise von den Wirtschaftsgebäuden umgeben war, dann über eine kurze Balkenbrücke, unter der ein versumpfter Schloßgraben modrig herausduftete, darauf in den inneren Hof, der zu den Seiten von zwei mächtigen Linden beschattet war, und hielt nun vor der steinernen Rampe, die zu dem Erdgeschoß des herrschaftlichen Hauses hinaufführte.

Oben in der geöffneten Thür, von einem Windlicht beleuchtet, einen großen gelben Hund neben sich, stand die helle schlanke Gestalt des jungen Schloßfräuleins.

Guten Abend, Maus! rief der alte Herr zu ihr hinauf, indem er die Zügel einem Knecht zuwarf und etwas schwerfällig vom Wagen stieg.

Mit einem Sprung aber hatte sich sein junger Begleiter hinabgeschwungen und, im Fluge die Stufen hinaufstürmend, das geliebte Mädchen an sein Herz gezogen, während der Hund ein wüthendes Gebell ausstieß und durch eine alte Dienerin, die hinter Luitgarde stand, nur mit Mühe beschwichtigt wurde.

*

Sie hatte ihn rasch ins Haus hineingezogen und überließ sich nun erst mit zärtlicher Hingebung seinen Küssen. Die Halle, in der sie standen, weit und hoch, da sie bis in das obere Stockwerk hinaufreichte, war nur schwach erleuchtet durch vier Flurlampen, die zu den Seiten der Hausthür und neben einer zweiten Thür hingen, die gegenüber ins Innere führte. Eine breite, geräumige Treppe mit einem vom Alter fast schwarz gewordenen schweren Eichengeländer führte stattlich geschwungen im Hintergrunde hinauf. Der Boden war mit Ziegeln gepflastert und mit einer Matte belegt, die Wände ohne jeden Schmuck.

Die Alte trat jetzt auch über die Schwelle zurück, den Hund am Halsband festhaltend, der immer noch unheimlich knurrte.

Komm, Nero, lockte ihn das Fräulein mit der schmeichelndsten Stimme, siehst du, das ist Achim, mein Schatz, mit dem du gut Freund werden mußt, denn auch er wird dich lieb haben. Streichle ihm nur den Kopf, Achim, er sieht dich schon ganz freundlich an, nur noch ein bischen verlegen. Und da ist Dörthe, meine zweite Mutter, die mich, als ich noch nicht laufen konnte, in Pflege nahm und seitdem mir alles Liebe und Gute, was sie nur wußte, angethan hat. Nicht wahr, fügte sie plattdeutsch hinzu, ich habe mir einen hübschen Schatz ausgesucht, meine alte Dörthe. Gieb ihm die Hand und wünsche uns Beiden Glück. Denn wenn du uns nicht deinen Segen giebst, kann es mir nicht gut gehen.

Die Alte, eine große, magere Person mit regungslosen Zügen, das noch nicht ergraute hellblonde Haar von einer schneeweißen Haube eingefaßt, sah den Bräutigam mit ihren guten, klugen Augen prüfend an. Als er aber, nachdem er Nero getätschelt hatte, ihr treuherzig die Hand hinstreckte und, ebenfalls auf plattdeutsch, ihr dankte, daß sie seine Luitgarde so treu gehegt und gepflegt hatte, wurde ihr festgeschlossener Mund von einem weichen Zuge belebt, die Augen bekamen einen rührenden Glanz, und indem sie ein paar unverständliche Worte stammelte, bückte sie sich, die dargebotene Hand zu küssen. Achim aber zog sie rasch zurück, umfaßte die alte Getreue und drückte ihr einen Kuß auf die runzlige braune Wange.

Nun, das gesteh' ich, hörten sie den Papa sagen, der eben in die Halle trat, du machst schöne Streiche, Sohn Achim, umarmst fremde Dirnen angesichts deiner Braut, ei, ei! Na, wenn die nichts dagegen hat, der Schwiegerpapa drückt gern ein Auge zu. Aber nun lass' dich von der Dörthe hinaufführen und dir dein Zimmer zeigen. Mehr als zehn Minuten geb' ich dir nicht, um Toilette zu machen. Dann kommst du herunter, die Mama zu begrüßen.

Nur noch einen Augenblick, Papa! Ich will nur noch sagen, daß die Kiste ausgepackt wird. Er eilte hinaus, wo er den alten Bedienten eben beschäftigt fand, die Kiste vom Wagen zu heben. Nachdem er ihm eingeschärft hatte, den Deckel behutsam loszumachen, kehrte er zurück, nickte Luitgarde zu und folgte der Alten die Treppe hinauf.

Sie öffnete oben die Thür, die in ein großes, saalartiges Zimmer führte, nur durch einen silbernen Armleuchter auf einem großen Tisch in der Mitte helldunkel erleuchtet. Drei hohe Fenster gingen nach dem dahinter liegenden Garten; unter dem grauen Nachthimmel standen hochwipflige Bäume, schon halb entlaubt. Rings an den Wänden Sessel und Sophas, mit gestreiften Houssen überzogen, kleine Pfeilertische zwischen den Fenstern, allerlei Jagdstücke und etliche Pastellportraits sahen von der verschossenen grünseidenen Tapete herab. Dazu eine dumpfe Kellerluft, da das Zimmer offenbar lange nicht bewohnt worden war.

Das kleinere nebenan machte einen freundlicheren Eindruck, nur daß der Ofen so stark geheizt war, daß Achim sogleich ein Fenster öffnete. Er fand hier Alles, was einem Gast das Bleiben behaglich machen kann, und auch ohne die Versicherung der Alten, ihr Fräulein habe selbst alles angeordnet, hätte er nicht daran gezweifelt. Auf dem Nachttischchen neben dem altmodischen Himmelbett stand eine zierliche Porzellanvase mit einem duftenden Resedastrauß, aus dem eine einzige prachtvolle rothe Rose hervorsah, dazwischen ein Kärtchen mit den Worten in Luitgarde's etwas ungelenker Schrift: »Gute Träume, liebster Schatz!« Das Herz ging ihm auf, als hörte er sich zum ersten Mal mit diesem Namen nennen.

Dann verließ ihn die Alte, und nachdem er beim Schein zweier Wachskerzen in schweren silbernen Leuchtern sich ein wenig vom Reisestaub gesäubert hatte, löschte er die Lichter und eilte hinunter.

*

Das große Zimmer, in das er eintrat, lag unter dem Saal des oberen Stockes; eine hohe Glasthür, neben ihr zwei rundbogige Fenster, mit schweren, lichtblauen Gardinen verhangen, gingen nach dem Garten; an den Fensterpfeilern schmale Spiegel, die schon hier und da schwärzliche Altersflecken zeigten. Doch was der Raum an blanker Pracht seiner ursprünglichen Einrichtung verloren, hatte er an Behaglichkeit gewonnen. Alle diese Plüschmöbel, Tischchen mit eingelegter Holzmosaik, Blumenständer und alte Schränkchen hatten offenbar eine lange Geschichte zu erzählen, die jedem Gast das Gemach traulicher erscheinen ließ, als ein prahlerischer Luxus neuesten Datums. Und obwohl an Beleuchtung das Mögliche geschehen war, eine dreiarmige Lampe, die von der Decke herabhing, Armleuchter mit dicken Wachskerzen an allen Ecken, webte doch auch hier ein falbes Zwielicht, das den Sinnen wohler that als der gemüthlose Glanz eines zwölfarmigen Gaslüsters.

Ein Künstlerauge freilich hätte an der Ausschmückung des Raumes Manches auszusetzen gehabt; die Familienbilder an den Wänden waren keine Meisterwerke, bis auf ein treffliches Porträt des alten Zieten und ein noch anziehenderes seiner ersten Frau, Leopoldine Judith von Jürgaß, deren Urgroßnichte von der Mutter Seite her zu sein die Schloßherrin von Klein-Malchow zu ihren vornehmsten Adelstiteln rechnete.

Diese stolze kleine Dame saß, als Achim eintrat, in einem weich gepolsterten Lehnstuhl am Kamin, in dem ein lebhaftes Holzfeuer brannte. Sie war in ein dunkelgeblümtes bequemes Hausgewand gekleidet, um das hellgraue Lockenhaar schlang sich ein schwarzer Spitzenschleier, der das Milch- und Blutgesicht noch rosiger erscheinen ließ, und in der Hand hielt sie den Stock mit dem goldenen Griff, den sie, wie eine regierende Königin das Scepter, zuweilen ein wenig erhob, wenn sie einem ihrer Worte besonderen Nachdruck verleihen wollte.

Im Halbkreis zu beiden Seiten neben ihr saßen drei Männer, außer ihrem Gatten ein schöner, priesterlich-würdiger alter Herr mit milden, etwas verschleierten Augen, neben ihm ein jüngerer Mann, der gleichfalls in seinem Anzug und Gebühren den Geistlichen erkennen ließ, eine gedrungene Gestalt von mittlerem Wuchs, auf den breiten Schultern ein runder Kopf, über der hohen Stirn dichtes, buschiges Haar. Das Gesicht war fahl, die Augen unter starken schwarzen Brauen von unstetem, leidenschaftlich funkelndem Glanz, die Wangen glatt rasirt, aber bläulich von dem starken Bartwuchs. Wenn die vollen Lippen sich öffneten, selten einmal, zu einem unholden Lächeln, sah man die breiten weißen Zähne schimmern. Alles in allem keine erfreuliche Erscheinung.

Etwas hinter der Hausfrau saß eine blasse ältliche Dame, um deren Schultern Luitgarde, auf einem Tabourett sitzend, den Arm geschlungen hatte.

Guten Abend, lieber Achim, rief die Hausfrau dem Eintretenden entgegen. Seien Sie uns willkommen und lassen Sie sich zu dem überstandenen Examen Glück wünschen. Sie sehen ein wenig angegriffen aus. Freilich, nach dem Siege hat man es nöthig, sich von seinem Blutverlust zu erholen. Das können Sie nun hier auf dem Lande in aller Ruhe thun. Erlauben Sie, daß ich Sie mit unseren Gästen bekannt mache: unser verehrter alter Freund, Pastor Warncke, und hier sein Sohn Gotthold, Candidat der Theologie, der dem Vater im Amte beistehen wird. Und dann – last not least – unsere theure Hausgenossin, Miß Ruth McLean, der unsere Luitgarde es verdankt, daß sie nicht ganz wild aufgewachsen ist, obwohl ich mich nicht entschließen konnte, sie in ein Institut zu geben. Sie spricht übrigens Deutsch und sogar Plattdeutsch, wenn sie in high spirits ist und uns lachen machen will.

Achim verneigte sich stumm gegen die beiden Männer, die sich bei seinem Eintritt erhoben hatten, und näherte sich dann dem schottischen Fräulein, bot ihr die Hand und redete sie im besten Englisch an, indem er ihr dankte, daß sie seiner Braut die conventionelle Institutsweisheit erspart habe. »Mißchen« war sichtlich erfreut über seine herzliche Annäherung, und Luitgarde sah ihn mit einem strahlenden Blick an, als ob sie sage: Du gewinnst alle Herzen, aber es ist kein Wunder.

Schien er doch sogar das Eis um das schwiegermütterliche Herz zum Schmelzen gebracht zu haben. Denn mit einer Holdseligkeit, die von ihrem Betragen in der Stadt auffallend abstach, nahm sie ihn jetzt in Beschlag, ließ ihn neben sich sitzen und fragte ihn nach hundert gleichgültigen Dingen mit der Miene des lebhaftesten Interesses an Allem, was ihn persönlich anging.

Indem öffnete sich die Thür, und der alte Bediente kam herein, auf beiden Armen ein großes Bild tragend, die Photographie der Sixtinischen Madonna mit dem Jesuskind als Kniestück, doch in größtem Format. Auf einen Wink Achim's stellte er es auf einen Stuhl neben dem Kamin, so daß die Flamme ohne falsche Lichter das herrliche Werk beleuchtete.

Alle hatten die Augen danach hingewendet, verharrten aber in tiefem Schweigen. Nur Miß Ruth ließ ein halblautes » Oh, how beautiful!« hören, und Luitgarde hatte sich neben Achim geschlichen und heimlich seine Hand gedrückt.

Liebe Mama, sagte dieser, ich habe mir erlaubt, dieses Bild, das ich neulich in einer Kunsthandlung sah, hieher mitzubringen, in der Hoffnung, daß es Ihnen ein wenig Freude machen werde. Ich weiß nicht, ob Sie das Original kennen, das ja freilich durch den Zauber der Farbe noch wunderbarer wirkt. Immerhin aber ist der Geist, den der Künstler diesen Gestalten eingehaucht hat, in der Nachbildung nicht im Geringsten verloren gegangen, und so denke ich, es wird sich in Ihrem Zimmer vielleicht ein Platz dafür finden, wenn Sie die Güte haben wollen, es von mir anzunehmen.

Er schwieg und erwartete eine freundliche Antwort. Aber die kleine Frau öffnete so wenig die Lippen wie irgend einer der Anderen. Sie sah unverwandt auf das erhabene Antlitz der Jungfrau und die fast drohend tiefsinnigen Augen des Knaben, doch ihre eigenen Züge wurden nur strenger und kälter.

Endlich sagte sie mit einem gezwungen freundlichen Ton, dem ihre Miene widersprach: Sie haben es gewiß gut gemeint, lieber Achim, und ich danke Ihnen für die Absicht, mir eine Freude zu machen. Aber, ehrlich gestanden, dies Bild, so berühmt es ist, kann mich nicht erfreuen, gerade weil, wie Sie sagen, der Maler seinen Geist hineingelegt hat. Denn sagen Sie doch selbst: dieser Geist war ein katholischer, er malte die Mutter des Heilands, wie man sie in seiner Kirche verehrt, als Königin des Himmels, während wir Lutheraner in ihr nur die demüthige Magd sehen, die sich der Ehre unwürdig fühlte, das Heil der Welt in ihrem Schooße zu tragen. Sehen Sie nur diese stolzen, weit aufgerissenen Augen, mit denen sie uns entgegenschwebt, als wollte sie sagen: Kniet nieder und betet mich an, ich bin eine Göttin, der unfehlbare Papst hat mich dafür erklärt! Und auch das Kind mit den mystischen Feueraugen – ist das der Jesusknabe, den unser Dürer auf dem Schooß seiner guten Mutter sitzen und die Hirten segnen ließ? Das ist der streitbare Christus des Papstthums, der alle Andersgläubigen vor sein Ketzergericht fordert. Ich weiß nicht, ob meine Empfindung das Richtige trifft. Aber unser würdiger Freund und Seelsorger möchte wohl etwas Ähnliches auf dem Herzen haben.

Der alte Geistliche schien seine Augen nur mühsam von dem Bilde abwenden zu können. Ich kann nur nach meinem eigenen Gefühl urtheilen, sagte er mit einer weichen zitternden Stimme. Danach hat unsere verehrte gnädige Frau allerdings Recht, über dem Altar einer protestantischen Kirche würde diese Muttergottes nicht an ihrem Platze sein. Und doch, auch wenn dies Bild aus einem Geiste geboren ist, der uns fremd berührt, es war jedenfalls ein tief religiöser Geist, und der Maler hat aus seinem innersten Herzen geschaffen. Nun, verehrte Freundin, da wir einen verirrten Bruder nicht verdammen dürfen, wenn er nur guten Willens ist –

Du vergissest, Vater, fiel ihm der Sohn ins Wort, daß auch ein guter Wille, wenn er sich auf Irrwegen befindet, Unheil stiften und schwache Seelen auf die Bahn des Verderbens locken kann. Wie verhängnißvoll der verführerische Reiz der Kunst auf die Gemüther wirkt, wie er sie durch Sinnenzauber verblenden kann über das Eine, was Noth thut, sehen wir es nicht in dem prunkvollen und so gemüthsleeren Cultus der katholischen Kirchen? Wir sind nicht berufen, über diese Verirrungen zu richten. Dafür aber sollen wir sorgen, daß unsere eigene keusche heilige Kirche und vor allem auch das edle christliche Haus von dem schwülen Hauch dieser welschen Kunst nicht angesteckt und vergiftet werde.

*

Auf diese Worte folgte eine peinliche Stille in dem kleinen Kreise.

Man hörte nur das Knistern der brennenden Scheite im Kamin, der Papa räusperte sich und stand auf, um sich irgend etwas am Fenster zu thun zu machen, der alte Pastor wiegte bedenklich den weißhaarigen Kopf, Luitgarde schmiegte sich dichter an ihren Verlobten, wie um ihn zu bitten, daß er um ihretwillen jedes herbe Wort zurückhalten möchte.

Doch dessen bedurfte es kaum. Es war mehr das Erstaunen des jungen Mannes über die maßlose Heftigkeit, in der die Absicht, ihn zu verletzen, unverkennbar hervortrat, als diese Feindseligkeit selbst, was ihn empörte. Tante Leopoldine hatte ihm freilich erzählt, daß die Mama sich einer strengen lutherischen Frömmigkeit befleißige; sie habe darin Trost gesucht in den schweren Heimsuchungen ihres weltentrückten Lebens. Auch hatte sie, als er ihr von seiner Absicht erzählte, das herrliche raffaelische Bild der Schwiegermutter zu schenken, die Augenbrauen hoch gezogen und war sich mit der Stricknadel in das graue Haar gefahren, was sie stets that, wenn ihr eine Sache bedenklich vorkam.

Du weißt, lieber Achim, hatte sie gesagt, ich bin ein Kunstbarbar, aber diese Madonna nehm' ich aus und würde sie mir gern ins Zimmer hängen. Meine theure Schwägerin dagegen haßt geradezu alle schönen Bilder, und wenn diese herrliche Himmelskönigin auch als solche eines gewissen Respects bei frommen Seelen sicher sein kann, als eine schöne Frau wird sie Karoline's Eifersucht erregen, denn die Eitelkeit ist mit den Jahren gewachsen, und sie wünscht nicht andere Göttinnen neben sich zu haben.

Achim hatte gelacht und erklärt, daraufhin wolle er es denn doch wagen. Er wisse sonst nicht, was er der Mama verehren solle. Für Luitgarde hatte er ein Armband gekauft, einen biegsamen goldenen Reif mit einem Schlößchen, in dessen Mitte ein großer Rubin, von kleinen Diamanten eingefaßt, funkelte; für den Papa eine kostbare Jagdflinte. Nun mußte er sich sagen, daß es weiser gewesen wäre, die Warnung seiner alten Freundin nicht in den Wind zu schlagen.

Auch wie er jetzt das Bild betrachtete, das auf dem Sessel neben dem Kamin von dem Feuerschein geisterhaft beleuchtet wurde, mußte er sich selbst gestehen, daß die erhabenen Gestalten, wie verirrte Gäste aus einer anderen Welt, in diesem Kreise nicht an ihrem Platze seien. Die Augen der Maria schienen ihn zu fragen, warum er sie hieher gebracht, wo man ihrer unschuldigen Hoheit fremd gegenüberstehe, und der göttliche Knabe schien die Mutter gegen jeden feindseligen Unverstand in Schutz nehmen zu wollen.

Doch war's nicht die gereizte Abwehr der Frau, gleichviel welches persönliche Gefühl ihr zu Grunde lag, sondern die fanatische Anklage des Candidaten, die es ihm schwer machte, kaltes Blut zu behalten. Wie der junge künftige Seelsorger die harten schwarzen Augen fest in die Flammen des Kamins richtete, die sein bleiches, gelbliches Gesicht nur leicht rötheten, da selbst sein leidenschaftlicher Ausbruch die regungslosen Züge nicht verändert hatte, sah er wie ein erbarmungsloser Ketzerrichter aus, der das Werk des »welschen« Malers am liebsten zum Feuer verdammt hätte. Doch ein Gefühl von Mitleid beschwichtigte in Achim's Seele den aufkochenden Zorn. Wie arm war das Gemüth dieses jungen Menschen, für das alle Schätze der edelsten Kunst nicht vorhanden waren, wenn sie nicht nur zum Geist, sondern auch zu den Sinnen sprachen!

Ich bedaure, liebe Mama, sagte er jetzt mit völlig gelassener Stimme, daß ich es so schlecht getroffen habe. Sie haben ganz Recht: es ist Gefühlssache, mit welchen Bildern man sich umgeben will, und wenn dieses Bild Sie beunruhigt und zum Widerspruch aufregt, wär' es sehr vom Übel, es Ihnen täglich und stündlich vor Augen zu stellen. Nun, ich packe es eben wieder ein, und um Jemand, dem ich damit eine Freude machen kann, bin ich nicht verlegen. (Er dachte natürlich sofort an Tante Leopoldine.) Nur die Äußerung des Herrn Candidaten scheint mir sehr irrig und einseitig zu sein. Ich bin nicht Theologe und kann nicht beurtheilen, ob eine Dorfgemeinde durch den Anblick dieses Bildes wirklich ihrem protestantischen Glauben abtrünnig gemacht werden könnte. Daß ich aber unter meinen wahrhaft gebildeten Bekannten viele nennen könnte, die zugleich gute lutherische Christen sind und Raffael nicht für einen Giftmischer halten, bitte ich mir aufs Wort zu glauben. Haben Sie die Güte, lieber Krischan, das Bild fortzunehmen und, sobald Sie Zeit haben, es wieder in der Kiste unterzubringen. – Hiermit hatte er sich an den alten Bedienten gewandt, der eben die Thür zum Nebenzimmer geöffnet hatte, mit stummer Geberde andeutend, das Abendessen sei aufgetragen.

Achim war sofort zu der Mama getreten, ihr den Arm zu bieten. Sie lehnte aber mit einem gezwungenen Lächeln sein Geleit ab, richtete sich mit Hülfe ihres Stockes vom Sessel auf und ging, sich auf den Arm ihres Mannes stützend, mühsam über den weichen Teppich nach dem Eßzimmer. Der alte Pastor führte Miß Ruth; Achim deutete durch eine Handbewegung an, daß dem Candidaten der Vortritt gebühre, und da dieser mit einer kalten Verbeugung zurückblieb, führte er seine Liebste den alten Herrschaften nach.

Ein achter Gast hatte sich fast unbeachtet noch hinzugefunden, der Lehrer des Dorfes, der Luitgarde bis in ihr fünfzehntes Jahr unterrichtet hatte. Er selbst war weit über seine dörflichen Pflichten hinaus dazu vorgebildet, da er durch eine langwierige Krankheit zu einem frühen Abgang aus dem Seminar genöthigt worden war und dann drei Jahre lang in der Stille sich weitergebildet hatte. Ein bescheiden blickender, blasser Mensch von einigen dreißig Jahren, der Achim sofort für sich einnahm und mit einem kräftigen Händedruck von ihm begrüßt wurde.

In der Mitte des Eßzimmers stand eine längliche Tafel, durch eine große alte Lampe und zwei Armleuchter erhellt, letztere wie alles Eßgeräth von schwerem Silber. Auch gehörte es zu dem anderen altmodischen Luxus dieses Schlößchens, daß in den Lampen Öl gebrannt wurde und auf den Leuchtern nur Wachskerzen steckten. Hohe, mit Leder gepolsterte Stühle, zwölf an der Zahl, standen um den Tisch, von denen vier leer blieben. Am oberen Ende ließ sich die Herrin des Hauses nieder, zur Linken neben ihr ihr Gatte, neben diesem Luitgarde, dann Achim. Auf der anderen Seite der Mama saß der alte Pastor, neben ihm die Schottin, dann der Kandidat und Herr Fritz Kuse, der Schullehrer.

Der alte Krischan in seiner verschossenen Livree stand hinter dem Stuhl der Hausfrau, die er fast allein bediente. Denn im Übrigen ging es zwanglos zu. Jeder nahm von den einfachen ländlichen Schüsseln, wonach ihn verlangte, und reichte sie seinem Nachbarn.

Vor jedem Gedeck stand eine Flasche Bier, nur dem Pastor, der eine besondere Diät halten mußte, seit ihn neulich auf der Kanzel eine Ohnmacht befallen, hatte die aufmerksame Hausfrau eine Flasche Bordeaux hinstellen lassen, aus der er aber nur ein kleines Glas sich einschenkte. Er bot auch den anderen Herren davon an, die aber sämmtlich dankten. Nach der patriarchalischen Sitte des Hauses wurde Wein nur an Sonn- und Festtagen getrunken.

Alles, was der alte Pastor that und sagte, gefiel Achim, und er fühlte sich ebenso zu ihm hingezogen, wie von seinem Sohne mehr und mehr abgestoßen. Dieser hob auch bei Tische zu Niemand den Blick, sondern sah wie in tiefe Betrachtung versunken starr auf seinen Teller. Dabei aß er rasch und gierig und bekümmerte sich nicht einen Augenblick um seine Nachbarn. Doch schien es nicht sowohl Unweltläufigkeit zu sein, was ihn ungezogen und in sich gekehrt machte, sondern ein kalter Hochmuth, der es unter seiner Würde hielt, mit der guten Miß oder dem Lehrer zu seiner Seite über gleichgültige Dinge zu plaudern.

Die Kosten des Gesprächs, das überhaupt mühsam in Gang kam, trug fast ausschließlich der Hausherr. Als er bemerkte, daß Achim sich an den Wänden umsah, die mit einer Anzahl stattlicher Hirschgeweihe und vielen Rehgewichteln decorirt waren, erzählte er von den Jagden, bei denen er sie erbeutet hatte, natürlich nicht in diesen märkischen Nachbarrevieren, wo man nur auf Hasen und Hühner pürschen kann, sondern bei guten Freunden weiter nach Osten, in deren Forsten man sogar noch Elenthiere antraf und auch auf Sauen jagte. Die Mama sprach indessen leise mit ihrem geistlichen Nachbar, Luitgarde warf Miß Ruth betrübte Blicke zu, daß sie so ganz um das Gespräch mit ihrem Liebsten kam, und der Candidat sah höchstens einmal flüchtig von seinem Teller auf, um einen feindseligen Blick auf den Bräutigam zu werfen.

Endlich hob die Hausfrau die Tafel auf und hinkte, wieder von ihrem stattlichen Gemahl gestützt, in das Wohnzimmer zurück. Der Gutsherr aber hatte dem Pastor und dem Lehrer einen Wink gegeben, daß die Ankunft des Bräutigams sie nicht hindern sollte, ihre gewohnte Partie zu machen. Die drei Herren ließen sich also an einem Spieltisch ganz hinten im Eßzimmer nieder, wo Krischan zwei Leuchter anzündete. Die übrigen nahmen ihre Plätze am Kamin wieder ein. Ihr seliger Papa, erklärte Frau Karoline ihrem Schwiegersohn, habe mehrere Jahre in England gelebt und es dann ohne offenes Feuer nicht aushalten können, so daß er den Kamin hier in der Wand habe ausbrechen lassen.

Auch jetzt sollte das Brautpaar nicht dazu kommen, sich selbst ein wenig ungestörter anzugehören.

Die Mama bestand darauf, daß Luitgarde und Miß Ruth an der Altardecke weiter arbeiteten, die sie in die Dorfkirche zu stiften versprochen hatte, eine große Arbeit, da außer den Arabesken am Saum in der Mitte mit Goldfäden ein Lamm, das eine Kreuzesfahne trug, gestickt werden sollte. Die beiden Gehülfinnen hatten sich in die Arbeit getheilt und konnten, da sie das große seidene Tuch über ein Gestell zwischen sich legten, zu gleicher Zeit an dem Muster des Saumes weitersticken. Daß es auch heute geschehen mußte, wo das Mädchen nach so langer Entbehrung seinen Geliebten wiedersah, war eine grausame pädagogische Tücke, die Luitgarde Thränen in die Augen trieb. Doch als gehorsame Tochter wagte sie nicht, gegen den Willen der Mutter sich aufzulehnen.

Achim aber wurde in seinem Innern immer unseliger, da er sich die scheinbare Freundlichkeit beim Empfang und das spätere ausgesucht unholde Bemühen, ihn zu quälen, nicht zu reimen wußte. Nur ein Blick auf die lieblich flehenden Augen seiner Liebsten hielt seine innere Empörung von einem Ausbruch zurück, der die Lage ja nur verschlimmert haben würde.

Auf die Frage der Mama, ob er nicht rauchen wolle, erklärte er, nicht dazu aufgelegt zu sein. Am liebsten freilich hätte er sich zu den Spielern nebenan gesellt, die lustig dampften und auch sonst guter Dinge schienen, um der leidigen Gesellschaft des steinernen Gastes, seines heimlichen Feindes, wofür er nach allem den Candidaten halten mußte, zu entgehen. Wie anders hatte er sich den ersten Abend im Hause seiner Braut vorgestellt!

Der Mama aber schien zu ihrem Behagen nichts zu fehlen. Sie saß, an einem weitmaschigen Gestrick mit großen hölzernen Nadeln arbeitend, in ihrem Lehnstuhl und ließ die Hände zuweilen in den Schooß sinken, um in das jetzt verglimmende Feuer zu blicken.

Genieren Sie sich nicht, Ihre Cigarre anzustecken, lieber Gotthold, wandte sie sich jetzt an den Candidaten. Ich weiß ja, daß Rauchen Ihre einzige Leidenschaft ist, und wenn ich es mir auch verbeten habe, daß mein Mann und Ihr Vater aus ihren plumpen Pfeifen mir hier das Zimmer vollqualmen, eine oder zwei bescheidene Cigarren sind mir sogar angenehm.

Ich rauche nicht mehr, erwiderte der Candidat, immer still und scharf vor sich hinsehend. Sie haben Recht, gnädige Frau, es war meine einzige Leidenschaft. Nun habe ich sie zum Opfer gebracht, schon seit Jahr und Tag.

Ist das Rauchen Ihnen nicht bekommen? fragte Achim im gleichgültigsten Ton. Haben Sie die geliebte Cigarre Ihrer Gesundheit zum Opfer gebracht?

Ich habe nie den geringsten Nachtheil davon gespürt. Doch ist es mir natürlich nicht leicht geworden.

Ja, warum haben Sie's dann aber gethan? Wenn dies Vergnügen weder Ihnen noch irgend einem Menschen Schaden verursacht hat – oder haben Sie über dem Rauchen heiligere Pflichten versäumt, etwa ein Colleg geschwänzt, weil Sie die Cigarre in den Hörsaal nicht mitbringen durften?

Sie verstehen mich nicht, Herr Assessor, versetzte der Andere, indem er ihm einen fast verächtlichen Blick zuwarf. Wenn es kein unschuldiges Vergnügen gewesen wäre, könnte man es kein Opfer nennen, das Gott wohlgefällig gewesen wäre.

Achim sah ihn mit einem feinen Lächeln an. Das verstehe ich allerdings nicht, sagte er. Kann Gott Freude daran haben, daß ein Mensch sich »ein unschuldiges Vergnügen« versagt? Ist er nicht der liebevolle Vater, der seinen Kindern alle guten und erquickenden Gaben gönnt, die er auf Erden wachsen läßt? Und er sollte ihnen das Bischen narkotischen Rauch mißgönnen, das die Nerven beruhigt und über manche unfrohe Stunde hinweghilft?

Sie vergessen, daß wir unser Herz nicht an die Güter dieser Erde hängen und dem nachtrachten sollen, was unseren Sinnen schmeichelt, sagte der Candidat achselzuckend. Wenn ich mir daher das Rauchen versagt habe, so war's eine heilsame Gymnastik des Willens, die ihn für schwerere Opfer stärken kann.

Und dies wäre der alleinige Zweck? versetzte Achim. Sie haben vorhin gegen die katholische Kirche sehr heftige Anklagen erhoben. Wie nun, Herr Candidat? Thun die Mönche und Einsiedler etwas Anderes, als sich alle »unschuldigen« Genüsse versagen, wie sie meinen, zur größeren Ehre Gottes? Unsere protestantische Kirche wenigstens kennt diese Kasteiungen nicht, dies Fasten und selbst auferlegte Entziehen kleiner behaglicher Gewohnheiten. Wir haben, denk' ich, eine höhere, geistigere Vorstellung von unserem Gott, dem Schöpfer der Welt, als daß wir glaubten uns bei ihm beliebt zu machen, wenn wir unser Fleisch geißeln und kreuzigen. Verzeihen Sie diesen theologischen Excurs eines Laien, Herr Candidat. Sie wissen das wohl selbst und besser als ich. Aber eben darum konnte ich meine sehr unzulängliche Weisheit nicht zurückhalten, um vielleicht eines Besseren belehrt zu werden.

In das fahle Gesicht des Candidaten schoß eine dunkle Glut. Er fühlte den stillen Hohn in Achim's ruhigen Worten, hätte ihm am liebsten schneidend und von oben herab geantwortet und schäumte innerlich, daß er sich vor den Damen zusammennehmen mußte. Sie scheinen den Unterschied zu vergessen, Herr von Blankenhagen, sagte er, zwischen der äußerlichen, sozusagen geschäftsmäßigen Abstinenz der Klosterbrüder, die vor der Welt damit prunken, und der Abkehr von irdischen Genüssen, die ein einzelner Mensch sich auferlegt, um zwischen seinem Gott und sich keine weltliche Versuchung zu lassen. Hier ist kein eitler Nebengedanke im Spiel, sondern der reine Wille, unserem Erlöser, der um unsertwillen in Armuth und Niedrigkeit auf Erden wandelte, wenigstens im Verzicht auf sinnliche Genüsse nachzueifern. Oder können auch Sie, wie die meisten Weltkinder, sich nicht vorstellen, daß gläubige Gemüther diesen Dornenweg ohne alle Heuchelei betreten?

Gewiß kann ich das, Herr Candidat, erwiderte Achim ruhig, und ich bin völlig überzeugt, daß Sie mit Ihrem Verzicht auf das, was Ihnen früher Genuß gewährte, es ganz ehrlich meinten und nicht damit zu glänzen suchten. Nun, wir haben ja doch davon erfahren, ganz zufällig, und ich denke, es wird unter uns bleiben. Den Mönchen aber thun Sie Unrecht, wenn Sie sie der Heuchelei bezichtigen, als ob sie ihre strenge Regel nur auf sich nähmen, um sich den Schein einer besonderen Heiligkeit zu geben. Ich habe viele Klöster in Italien besucht und erkannt, daß ganz andere, viel tiefere Bedürfnisse die meisten Menschen bewegt, die sich »vor der Welt ohne Haß verschließen«. Aber lassen wir das! Nur daß auch bei Ihnen von dem, was Sie ein Opfer genannt haben, von einem beständigen Gefühl, etwas Schweres zu üben, nicht die Rede ist. Was Sie thaten, haben Sie gern gethan, wie ja überhaupt jeder Mensch in jedem Augenblick immer das thut, was ihm das Liebste ist.

Die Mutter ließ das Gestrick in ihren Schooß sinken und sah Achim mit großen Augen an. Was Sie da sagen, lieber Achim, kann doch nicht Ihr Ernst sein, nur ein paradoxer Scherz. Wollen Sie wirklich behaupten, daß es keine Pflichten giebt, die zu erfüllen uns sauer wird, die dennoch nicht unerfüllt zu lassen wir uns von unserem Gewissen zwingen lassen, so ungern wir es thun?

Gewiß, liebe Mama, sagte Achim mit einem freundlichen Lächeln. So thöricht bin ich nicht, zu leugnen, daß Vieles im Leben uns Überwindung kostet. Aber Jeder untersucht bei sich selbst, was ihm lieber ist: sich zu überwinden, um nicht mit seinem Gewissen in Conflict zu gerathen, oder eine Pflichterfüllung, die ihm sauer wird, auf die leichte Achsel zu nehmen. Unser verehrter Herr Candidat hätte gern seiner Leidenschaft für das Rauchen weiter gefröhnt. Noch lieber aber war es ihm, zu denken, Gott werde es ihm als ein Verdienst anrechnen, wenn er der Cigarre entsagte. Denn es ist nun einmal nicht anders: wir wählen immer von zwei angenehmen Dingen das angenehmere und von zwei Übeln das kleinere. Das ist ein Gesetz unserer Natur, von dem es keine Ausnahme giebt.

In der Stille, die hierauf entstand, hörte man jetzt die Stimme des schottischen Fräuleins, die mit schüchternem Ton einwandte: So glauben Sie auch nicht, daß die ersten Christen und Märtyrer, die sich den wilden Thieren vorwerfen ließen, ein Gott wohlgefälliges Opfer gebracht haben, indem sie sich zwingen ließen, in die Arena hinunter zu steigen?

Achim wandte sich zu ihr und sah die alten Augen und die jungen seiner Geliebten mit gespannter Erwartung auf sich gerichtet. Wie könnte ich bestreiten, verehrte Miß Ruth, sagte er, daß es Gott wohlgefällt, wenn Menschen für das, was sie als wahr erkannt haben, selbst einen martervollen Tod erleiden! Nur wenn Sie von Zwang dabei sprechen, so ist dieser Zwang kein äußerer. Ihr eigenes Herz zwingt sie ja, das zu wählen, was ihnen das Liebere ist, auch wenn es ihnen Qualen bereitet. Die himmlischen Freuden, die ihnen winken, wenn sie als Blutzeugen für ihren Glauben zu Gott eingehen, wiegen ihnen diese Qualen tausendfach auf. Und auch Diejenigen, die nicht auf überirdischen Lohn rechneten, die um ihres eigenen Bewußtseins wegen tapfer und entschlossen in den Tod gingen, wurden durch die innere Stimme belohnt, die ihnen zurief, daß sie recht gehandelt.

So leugnen Sie, daß es überhaupt ein sittliches Verdienst giebt? warf der Candidat achselzuckend ein.

Was nennen Sie Verdienst? erwiderte Achim. Nur der Lohnarbeiter lebt von dem, was er verdient. Wir Anderen, die wir froh sein können, als schwache Menschen überhaupt nur unsere Schuldigkeit zu thun, fühlen zu deutlich, daß wir mit dem besten Willen, wie es in der Schrift heißt, doch nur faule Knechte sind und des Ruhmes mangeln, den wir vor Gott haben sollen. Darum ist es besser, uns nicht darum Sorgen, zu machen, ob man uns unser Handeln als besonders verdienstlich anrechnen möchte, sondern stets zu thun, was wir nicht lassen können. Und wohl uns, wenn das, was wir in jedem Augenblick wählen, nicht nur für uns das Liebere ist, sondern auch an und für sich das Bessere.

*

Er hatte sich zuletzt so in Eifer geredet, daß ihm Stirn und Wangen brannten. Nun stand er auf und ging langsam das Zimmer auf und nieder. Luitgarde hatte sich auch von der Stickerei erhoben und leise zu ihm gesellt. So gingen sie, während sie sanft den Arm um seine Schulter legte, ohne mit einander zu sprechen, durch das weite Gemach, in einer gehobenen, fast andächtigen Stimmung, die nur die beiden beim Kamin Zurückgebliebenen, die Mama und Gotthold, nicht theilten. Miß Ruth hatte sich an das kleine Harmonium gesetzt, das an der Wand neben dem Eßzimmer stand, und strömte die Gefühle, die Achim's Laienpredigt in ihr geweckt, in einem Händel'schen Psalm feierlich aus.

Dann kamen auch die drei Herren von ihrem Spiel herein, die etwas beklommene Stimmung durch ihre munteren Reden verscheuchend. Eine alte Wanduhr that zehn sonore Schläge, der Pastor entschuldigte sich, daß sie die Damen so lange allein gelassen und die Polizeistunde fast überschritten hatten. Nun empfahl er sich, indem er der Herrin des Hauses zutraulich wie einem jungen Mädchen die Hand tätschelte, während sein Sohn sich mit einer stummen Verbeugung verabschiedete.

Auch ich werde mich zurückziehen, liebe Mama, sagte Achim. Ich muß mich noch entschuldigen, daß ich mit meiner Philosophie mich so herausgewagt habe, die Ihnen nicht so ganz einzuleuchten schien. Aber der Herr Candidat hat mich allzu geflissentlich herausgefordert.

Der Papa fragte, um was es sich gehandelt habe. Frau Karoline gab ihm aber einen Wink, daß er die Sache nicht weiter berühren solle, und reichte dem Schwiegersohn zwei Fingerspitzen ihrer kühlen, kleinen Hand, die Achim ehrerbietigst an seine Lippen führte. Dann verließ er mit seiner Liebsten das Zimmer.

Draußen aber in dem Zwielicht der weiten Halle hatte er kaum Zeit gehabt, sie ans Herz zu drücken und den holden Mund, der ihm so lange versagt gewesen war, mit leidenschaftlicher Inbrunst zu küssen, als die Thür hinter ihnen sich öffnete und Miß Ruth heraustrat mit der Meldung, die Mama wolle sich gleich zur Ruhe begeben und wünsche vorher mit Luitgarde noch etwas zu besprechen.

Mit einem schmerzlichen Seufzer wand das gehorsame Kind sich aus den Armen ihres Liebsten, die sie nur zögernd freigaben. Auch in Achim's Brust regte sich ein bitteres Gefühl, daß er der neidischen Strenge dieser Mutter so wehrlos preisgegeben war. Langsam stieg er die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, alle Eindrücke dieses Abends zogen ihm noch einmal durch den Sinn, am lebhaftesten das fahle Gesicht und die harten Augen seines jungen Widersachers, die er nur los wurde, als er das kleine Bild auf seinem Nachttischchen wieder erblickte und das Gesicht in den Resedastrauß vergrub.

Doch konnte er sich lange nicht entschließen, zu Bett zu gehen. Vor den Fenstern rauschte jetzt ein starker Herbstregen herab, der die Wipfel der Bäume schüttelte und an den Scheiben niedertroff. Achim schloß die Vorhänge, um das Geräusch des Nachtsturms weniger zudringlich zu vernehmen. Er ging dann mit der Lampe an den Wänden seines Zimmers entlang, die Lithographieen betrachtend, die in ihren fleckigen, verblichenen Goldrahmen offenbar aus sehr früher Zeit stammten und ausschließlich religiöse Gegenstände darstellten. Auf einem kleinen Empiretischchen lag eine Bibel, an der Wand darüber hing eine eingerahmte Stickerei. Aus Perlen und Seidenfäden war ein Palmbaum gestickt, darüber ein großer Stern, unten auf dem grünen Rasen ein Anker. Eine Unterschrift in goldenen Buchstaben enthielt zuerst ein Datum aus dem Jahre 1876, dann die Angabe eines Bibelspruchs nach Kapitel und Vers des Marcus-Evangeliums, dessen hiernach sich zu entsinnen Achim nicht bibelfest genug war. Ihn in dem Buche nachzuschlagen, fühlte er sich nicht gestimmt. Bei aller Ehrfurcht vor den christlichen Traditionen, die er schon als Knabe auf dem Gut seiner Eltern eingesogen hatte, konnte er heute Alles, was daran erinnerte, nur unter den widerwärtigen Zügen Gotthold Warncke's sich vorstellen.

*

Er war spät zu Bett gegangen, wachte aber beim ersten Hahnenschrei wieder auf.

Der Schlaf hatte sein Blut beruhigt, der Himmel draußen sah, als er die Vorhänge öffnete, so klar schon vor Thau und Tage herein, als ob es die Nacht nicht feindselig gestürmt hätte. Eine Weile betrachtete Achim die Photographie, deren Anblick ihm vollends das Herz mit Wonne erfüllte, da er sich sagte, er werde in wenig Stunden das geliebte Urbild umarmen können. Zunächst freilich mußte er sich noch gedulden. Es litt ihn aber nicht in dem kalt gewordenen Zimmer. Er warf sich rasch in die Kleider, steckte ein Resedazweiglein ins Knopfloch und schritt behutsam durch den großen Saal die Treppe hinab und unten durch die Hausthür ins Freie.

Oben auf der Rampe, wo er gestern von Luitgarde und Nero empfangen worden war, blieb er stehen und blickte umher.

Im Hofe drüben war's schon lebendig. Knechte und Mägde gingen an die Arbeit, Pflüge und Ackerwagen wurden bespannt; aus dem einstöckigen Nebengebäude, das neu gebaut oder frisch getüncht schien, trat ein Mann in mittleren Jahren, der der Inspector sein mußte. Er wies die Dienstleute an, aus einer kurzen Pfeife rauchend, die er aus dem Munde nahm, als er den jungen Herrn auf der Treppe bemerkte, um die Mütze abzuziehen und ihn mit einem scharfen, prüfenden Blick zu grüßen. Das that auch eine schwarzhaarige junge Dirne mit ein paar feurigen Augen, die aus demselben Hause kam, die bis an die Ellenbogen nackten weißen Arme reckend, wie wenn ihr der Schlaf noch in den Gliedern läge. Sie stand einen Augenblick still, sah Achim mit ihren kleinen, funkelnden Augen halb neugierig, halb herausfordernd an und ging dann langsam, die schlanken Hüften wiegend, in einen der Ställe.

Nun betrachtete Achim erst das Schlößchen aufmerksamer, dessen Hinterseite nach Westen lag und durch die Regengüsse langer Jahre stark mitgenommen schien. Der Bewurf war hie und da abgefallen, der Stein, aus dem das große Wappen über der Thür gemeißelt war, so sehr verwittert, daß Achim, auch wenn er in der Heraldik mehr zu Hause gewesen wäre, nicht erkannt haben würde, welcher Familie, der Schlieben'schen oder einer älteren, es angehörte. Aber die breiten Zweige der beiden Linden neben der Treppe verdeckten die Schäden, so daß die Besitzer nicht daran gedacht hatten, diese Fassade ausbessern zu lassen.

Eine herbe, feuchte Morgenluft wehte ihn an, als er die Stufen hinunterstieg. Er schritt aber nicht über die Brücke in den Hof hinein, sondern links durch ein Gitter zwischen zwei steinernen Pfeilern, die mit zwei Wappen haltenden heraldischen Löwen bekrönt waren, so wetterzerfressen wie das Wappen über der Thür. So verwahrlos't dies Alles war, so wohlgepflegt erschien der Obstgarten, der sich an der Südseite des Schlößchens hinzog. An niederen Spalieren hingen hier die edelsten Apfel und Birnen und lachten ihn mit ihren geröteten Backen verlockend an, als er auf den sauber geharkten Beeten hindurchschritt. Ein alter Gärtner, der schon an der Arbeit war, zog höflich die Mütze, antwortete aber auf eine freundliche Anrede nur mit einem Kopfschütteln und deutete, auf seine Ohren zeigend, an, daß er schwerhörig sei. An dies gutgehaltene Revier grenzte der Gemüsegarten, der auch sorgsam gepflegt schien; Achim aber wandte sich nach links, wo ein kleines eisernes Pförtchen in den Blumengarten führte, auf den die Fenster der Hauptfassade hinabsahen.

Von Blumen war hier nichts mehr zu finden als die Spätlinge des Jahres, Georginen, Astern und Malven. Nur die Reseden dufteten noch auf den Rabatten, wenn die Sonne sie erwärmte, standen aber in dieser Morgenfrühe unscheinbar und grau, von Spinnweben und den Schleiern des Altweibersommers übersponnen, in denen noch die Tropfen des nächtlichen Regens hingen. Der Wiesengrund in der Mitte des nicht großen Gebiets war lange nicht rasirt worden, in dem Becken des eingetrockneten Springbrünnchens lag der welke Blätterabfall, der von den Bäumen, die den Garten umstanden, herabgeweht war und auch die verwahrlos'ten Wege zwischen den kahlen Blumenbeeten bedeckte. Das verstimmte Achim, obwohl er wußte, daß auf dem Lande das Nützliche dem Schönen vorgeht. Er wunderte sich, daß nicht wenigstens seine Liebste dies kleine Reich in ihre Pflege nahm, wenn der Gärtner an Anderes zu denken hatte.

Dann schritt er durch das Gitterthürchen in dem Staketenzaun, der den Garten rings umgab und ihn gegen ein Wäldchen von Erlen und Birken abgrenzte. Ein schmaler Pfad führte in dies gänzlich verwilderte Revier, das nur einer lichtenden Hand bedurft hätte, um in der Sommersonne eine anmuthige Zuflucht zu gewähren. Früher schien man auch darauf bedacht gewesen zu sein, diesen Miniaturpark so ansehnlich zu machen, wie der magere Boden irgend erlaubte. In der Mitte des Gehölzes war ein Pavillon aufgerichtet worden, ein paar Bänke darin, alles jetzt morsch und verwittert, so daß Achim sich nicht versucht fühlte, hier sich niederzulassen.

Er kehrte um, sobald er die Grenze des Wäldchens erreicht hatte, wo die Felder begannen, unabsehlich sich nach Osten erstreckend und am Horizont durch einen schwarzen Streif von Nadelwäldern abgeschlossen. Doch über der trüben, öden Fläche röthete sich jetzt der Himmel, und als Achim, aus dem Wäldchen zurückkehrend, den Blumengarten wieder betrat, blitzten ihm die beiden Fensterreihen des Hauses in der strahlend aufgehenden Sonne blendend entgegen, so daß er im ersten Augenblick nicht sah, wer unter dem hohen Malvenstrauch stand und mit leuchtenden Augen ihn anlachte.

Erst das Gebell des Hundes, der ihm entgegensprang, sagte ihm, wie lieblich er hier empfangen wurde. Er faßte die beiden Hände, die sich ihm entgegenstreckten, und zog die liebe junge Gestalt an sein Herz. Dann ließ er sie los und betrachtete sie, wie wenn er sie zum ersten Male sähe.

Sie trug ein ländliches Kleid mit einer weißen Schürze, um den Kopf ein rothes Tuch, dessen Zipfel unterm Kinn zusammengeknüpft waren, wie die Bäuerinnen es machten, die im Felde arbeiteten. Das feine, rosige Gesicht schien ihm in dieser Vermummung reizender, als in der ausgesuchtesten Ballfrisur.

Ich muß mich schämen, Liebster, sagte sie, leicht erröthend, während er, den Arm um ihre Schultern legend, mit ihr durch die raschelnden Wege ging, du, der Städter, warst früher auf, als ich faules Dorfmädchen. Aber ich bin auch erst so spät eingeschlafen, so viele Gedanken hielten mich wach. Alles, was du der Mama und Gotthold gesagt hattest, und dann – du warst nicht so froh gewesen an diesem ersten Abend, wie ich es gehofft hatte, darüber grämte ich mich – ach, ich konnte ja nichts dafür, und auch die Anderen, du mußt ihnen nicht böse sein, es ist nur – siehst du – man findet sich nicht gleich mit den Menschen zurecht. Aber das wird kommen, habe du mich nur lieb – und da du so klug und gut bist – Sie schmiegte sich dichter an ihn und sah unter ihrem Kopftuch mit einem rührenden Ausdruck wie ein bittendes Kind zu ihm hinauf.

Du hast Recht, versetzte er lächelnd und nickte ihr zu. Daß wir uns lieben, das ist die Hauptsache. Auch dein Papa meint es ja so gut mit mir, und – was ich sehr zu schätzen weiß – auch Nero's Freundschaft habe ich schon gewonnen. Sieh nur, wie er seinen Kopf an mein Bein drückt und mir immer zur Seite bleibt. Wem ich hier sonst noch nicht so recht sympathisch bin –

Sie unterbrach ihn rasch. Du mußt es der Mama nicht so schwer anrechnen, daß sie noch etwas zurückhaltend gegen dich ist. Siehst du, sie kann sich noch nicht darein finden, daß sie mich jetzt mit einem anderen Menschen theilen soll, da sie mich bisher allein besessen hat. Aber wenn sie dich erst näher kennen gelernt hat, so wie ich, und weiß, wie lieb und gut und zuverlässig du bist, daß sie dir mein Glück ruhig anvertrauen kann – nicht wahr, Schatz, du wirst nicht ungeduldig werden, wenn das noch eine Weile dauern sollte?

Gewiß, liebes Herz! versetzte er. (Er konnte ihr natürlich nicht sagen, daß nach Tante Leopoldine's Mittheilung der Abneigung gegen ihn etwas zu Grunde lag, was all sein guter Wille nicht so bald bezwingen würde.) Sie ist ja deine Mutter, und ich begreife Alles und vertraue auf die Macht der Zeit. Aber über die andere Antipathie, der ich gestern begegnet bin, wird die Zeit kaum etwas vermögen. Es hat sich da ein Gegensatz der Naturen offenbart, der schwerlich zu überwinden sein wird.

Sie stand plötzlich still, bückte sich, eine verspätete Monatsrose abzupflücken, und sagte, ohne das tief erglühende Gesicht zu ihm zu erheben: Du meinst – Gotthold? O, ich glaube, auch bei dem – ist es so ziemlich derselbe Grund wie bei der Mama.

Was meinst du, Liebling?

Daß er – daß er eifersüchtig auf dich ist – obwohl er, setzte sie hastig hinzu, eigentlich gar keinen Grund dazu hätte. Denn ich – ich habe ihm nie die geringste Hoffnung gegeben – im Gegentheil – und doch –

Wie? Er hätte sich eingebildet –

Sei nur gut, Liebster, höre mich ruhig an. Ich habe dir nichts davon geschrieben, weil es ja eine abgethane Geschichte ist – und ich es auch niemals wichtig genommen habe. Sieh, Schatz, er war von früh an mein Spielkamerad. Seine Mutter war die beste Freundin der meinen und brachte einmal einen ganzen Sommer hier bei ihr zu, als die Großeltern noch lebten. Es war eine Gräfin Bernstorf, aus einer sehr alten, aber heruntergekommenen Familie, dazu ein wenig verwachsen und nichts an ihrem Gesicht hübsch als Stirn und Nase, die ja auch bei Gotthold sehr regelmäßig sind. Da lernte sie unseren lieben Pastor Warncke kennen und verliebte sich in ihn – man sieht ja noch jetzt, wie hübsch und anziehend er als junger Mann gewesen sein muß –, und da die Familie nicht mehr hoffte, sie anderweitig standesgemäß zu versorgen, willigte sie ein, daß sie ihn heirathete. Für meine Mutter war das eine große Freude. Sie hatte nun ihre Freundin immer in der Nähe, und als sie dann selbst den Papa geheirathet hatte, lebten die beiden Ehepaare wie vier Geschwister miteinander. So war's nur natürlich, daß auch die Kinder sich täglich sahen. Mein armer Bruder, der so früh starb, konnte zwar den Pastorssohn nicht recht leiden, und sie schlugen und balgten sich beständig, wie eben Jungen thun, die hernach die besten Freunde werden. Auch mir gefiel der kleine ungezogene Gotthold nicht besonders, aber weil er gegen meinen Bruder der schwächere war, nahm ich oft seine Partei. Das mag ihm wohl die Meinung beigebracht haben, ich sei ihm besonders geneigt, zumal auch später, nach Ulrich's Tode, ich freundlich zu ihm blieb, weil ich an den Todten denken mußte, so oft ich Gotthold sah, was mit den Jahren ja nicht mehr so häufig geschah. Nun aber stell dir vor: in den Weihnachtsferien vorm Jahr kam er aus der Stadt zurück, wo er im Seminar studiert hatte, und er soll ein besonders guter Student gewesen sein, und der alte Vater war stolz auf ihn. Mir hatte er schon bei seinem vorletzten Besuch nicht gefallen – er hatte so etwas Verstecktes, Unfreies im Blick, ich gab mich wenig mit ihm ab und war froh, wenn er nicht da war. Er schien das nicht zu bemerken oder legte es vielleicht erst recht zu seinen Gunsten aus; genug, eines Nachmittags, da ich in der Dämmerung noch einen Gang durch das Wäldchen machen wollte – ich war damals traurig, weil mein kleiner schottischer Spitz von einem Dorfhunde todtgebissen worden war –, da kam er mir plötzlich entgegen, fing ein Gespräch mit mir an, sagte so wunderliche Sachen, daß mir heimlich angst und bange wurde, und als ich mich von ihm abwendete, um in den Garten zurückzugehen, fühlte ich mich plötzlich von ihm umfaßt und seinen heißen Mund hier auf meiner Wange.

Schändlich! Der freche Mensch! Und du – was hast du gethan?

Ich war so furchtbar bestürzt – wie konnte er sich so etwas herausnehmen? Und denk, in meiner Verwirrung, statt ihn einfach zurechtzuweisen – habe ich ihn ins Gesicht geschlagen!

Bravo! Das hatt' er verdient, der Unverschämte!

Nein, Herz, ich bereute es sofort. Am Ende – ein alter Jugendgespiele –, wenn es auch unverantwortlich war, mich so zu überfallen – aber in dem Augenblick hatte ich Furcht vor ihm wie vor einem Feinde, gegen den ich mich handgreiflich zur Wehr setzen müßte. Hätt' ich gedacht, daß die Ohrfeige, die ihm freilich auf der Backe brannte, ihn so furchtbar beleidigen würde – denn er wurde so weiß wie ein Tuch, und als ich ganz bestürzt eine Entschuldigung hervorstotterte, er möchte den Schlag nicht schwerer nehmen, als ich seine Dreistigkeit nehmen wolle, schoß er mir schweigend einen Blick zu wie ein wildes Thier, das von einem Jäger eine tiefe Wunde bekommen hat, verneigte sich mit eisiger Ruhe und ließ mich stehen. Ich wußte aber, daß er es mir nie verzeihen würde. Und nun thu' ich ihm noch das Leid an, mich zu verloben, und der, den ich ihm vorgezogen habe, kommt zu uns ins Haus und ist ein so viel netterer Mensch als er, und du wunderst dich, daß er dir nicht grün ist und Mühe hat, dir nur mit nothdürftiger Höflichkeit zu begegnen?

Achim runzelte die Stirn. Ich hoffe, er wird nicht oft in den Fall kommen, seinen Haß und Grimm gegen mich unter seinem tückischen Grinsen zu verbergen! sagte er. Für mich wird er Luft sein. Und wenn er kein Thor ist, sucht er selbst die Gelegenheit zu vermeiden, sich dir gegenüber Zwang anthun zu müssen. Übrigens – was hat die Mama zu der häßlichen Geschichte gesagt?

Ich habe es ihr verschwiegen, ich schämte mich so – mehr für ihn als für mich. Und es hätte die Mama so heftig aufgeregt. Auch dir hätt' ich es vielleicht nicht sagen sollen, du nimmst es so schwer, obwohl es nun weit hinter mir liegt. Aber ich fühle, ich kann vor dir nichts geheim halten, nicht bloß weil ich es dir schuldig bin als meinem Bräutigam, sondern weil ich zu keinem Menschen ein so festes Vertrauen habe, daß er Alles richtig beurtheilt. Nur denke auch nicht zu hart von ihm, Liebster, bat sie, seinen Arm streichelnd. Gewiß hatte er ehrliche Absichten. Da sein Vater eine Gräfin geheirathet hatte, warum sollte er es für hoffnungslos halten, ein Fräulein von Benkendorf zu seiner Pastorin zu bekommen? Aber sieh, da ist der Papa! Guten Morgen, Papa! Ich habe Achim den Garten gezeigt; er nimmt sich freilich jetzt nicht so aus, daß man Staat damit machen kann. Aber im Sommer, wenn meine Rosen blühen, dann sollst du ihn einmal sehen, Schatz!

*

In der Glasthür, die aus dem Wohnzimmer auf eine kleine Terrasse und von da in den Garten führte, stand der alte Herr in seinem Jagdanzug und winkte den Beiden freundlich zu.

Sie liefen Hand in Hand zu ihm hin, der blonde Riese hob sein Kind zu sich hinauf und küßte es, schüttelte dann Achim herzlich die Hand und sagte: Na, kleiner Gardeleutnant – eine Umbildung des Namens Luitgarde, die er sehr witzig fand und immer selbst belachte –, du hast ja trotz der Morgenfrische ganz heiße Backen. Hast du deinen Rekruten im Feuer exerciren lassen oder den Herrn Assessor scharf examinirt, ob er dir, während ihr getrennt wart, auch treu geblieben ist? Na, er scheint ja mit Nummer eins bestanden zu haben. Jetzt kommt aber hinein, das Frühstück wartet, und hernach wollen wir gleich aufs Feld hinaus fahren. Ich muß dem Herrn Schwiegersohn das Gut zeigen, damit er sieht, daß er kein schlechtes Geschäft macht, wenn er das Fräulein von Benkendorf heirathet. – Wieder lachte er sein dröhnendes Lachen, nahm dann die Arme des jungen Paars unter seine beiden und führte sie ins Haus. Drinnen dämpfte er die Stimme, deutete mit den Augen nach dem Zimmer zur Rechten und sagte: Mama ist noch nicht bei Wege. Sie hat Nachts wieder ihre Migräne gehabt. Es scheint, lieber Sohn, du hast gestern Abend ein bischen hitzig disputirt. Du weißt noch nicht, wie man Alles vermeiden muß, was sie aufregt.

Damit traten sie ins Eßzimmer, wo sie Miß Ruth fanden, die damit beschäftigt war, dem Papa sein Frühstück zu bereiten. Für Achim sorgte Luitgarde. Alle vier waren sehr guter Laune; man sah es ihnen an, daß sie sich wie von einem beklemmenden Druck befreit fühlten, da die Augen der Herrin des Hauses nicht auf ihnen ruhten.

Dann erhob sich der Papa. Mache dich zurecht, lieber Achim, sagte er. Der Wagen ist schon angespannt.

Auf mich sollst du nicht zu warten haben, Papa! rief Luitgarde. Ich setze nur meinen Feldhut auf.

Nichts da, du Irrwisch! sagte der Alte. Du fährst nicht mit. Da hätte ich an dem Herrn Bräutigam einen schlechten Zuhörer, wenn ich ihm die Wirthschaft erkläre. Hernach habt ihr noch Zeit genug, Süßholz zu raspeln.

Du bist grausam, Papa, schmollte das schöne Mädchen, fast so grausam wie –

Sie verschluckte das Wort, das ihr auf der Zunge war. Als aber Achim dann herunterkam, in leichtem Mantel, einen weichen grauen Hut auf dem Kopf, fand er sie draußen auf der Treppe, während der Papa noch von seiner Frau sich verabschiedete.

Komm geschwind! sagte sie. Ich muß dich erst noch der »Mamsell« vorstellen, sie kommt eben aus der Milchkammer.

Sie zog ihn die Stufen hinunter an dem Jagdwagen vorbei, der unten wartete, und eilte über die Brücke in den Hof auf eine große, hagere Person zu, die mit einem blanken Buttergefäß vor einer halb offenen Thür stand.

Hier ist mein Bräutigam, liebe Mamsell Rikchen, rief sie ihr entgegen, und dies ist unsere gute Mamsell Friederike Fiedler, die zweite Seele unserer Wirthschaft, wie Papa sie nennt, der ja die erste ist. Das Bischen, was ich vom Buttern und Käsemachen und sonstigen nützlichen Sachen weiß, verdank' ich ihr. Und überdies ist sie eine perfecte Köchin, obwohl sie nur für das Gesinde kocht, aber ihren Kartoffelpudding macht ihr auch unsere Marie nicht nach. Sie muß ihn noch einmal eigens für uns Beide machen.

Achim gab dem stillen alten Frauenzimmer zutraulich die Hand und sagte, was er freilich eben erfand, auf Plattdeutsch, seine Braut habe schon in ihren Briefen von ihr erzählt. Das gute, blasse Gesicht röthete sich vor Freude, und sie fing eben an, ihre junge Herrin herauszustreichen, als aus der Thür der Milchkammer jenes junge Mädchen trat, das Achim schon im Morgengrauen auf dem Hof erblickt hatte.

Und dies ist Lischka, meine Spielgefährtin! rief Luitgarde. Da ist er jetzt, mein Schatz, von dem ich dir so viel vorgeschwärmt habe. Sage nun selbst, habe ich übertrieben? Nimm dich nur in Acht, dich nicht auch in ihn zu verlieben!

Das Mädchen zuckte ein wenig die Achseln, sah aus ihren feurigen schwarzen Augen dem jungen Mann dreist ins Gesicht und strich sich das dicke dunkle Haar aus der niedrigen Stirn. Unter ihrer grauen Jacke, die sie nachlässig zugeknöpft hatte, hob sich ihre volle Brust, und die Nüstern der etwas breiten Nase zitterten. Sie sagte aber kein Wort, sondern lachte nur plötzlich leise, daß ihre blendend weißen Zähne unter den üppig rothen Lippen zum Vorschein kamen, und ging dann mit langsamen Schritten seitwärts in eins der Wirthschaftsgebäude.

Sie hat wieder ihren Sturmtag, sagte die Mamsell entschuldigend. Auch bei der Arbeit hatte ich meine liebe Noth mit ihr. Es ist eben das wendische Blut, das will sich immer noch nicht bändigen lassen.

Vom Wagen her hörten sie jetzt den Papa, der nach Achim rief. Während sie, der Mamsell zunickend, rasch dem Rufe folgten, sagte Luitgarde zu ihrem Bräutigam: Die Lischka ist nicht immer so ungezogen, sie hat nur ihre Launen. Als vierjähriges Kind kam sie mit ihrer Mutter hier ins Dorf, es war ein wendisches Weib, hatte keine richtige Heimath und bettelte sich so durch von Dorf zu Dorf. Da sah sie der Dorfschmied und verliebte sich in sie und heirathete sie, und sie hielt sich auch ganz ordentlich, so daß der Pastor ihr eine sehr ehrenvolle Grabpredigt hielt, als sie nach sechs, sieben Jahren starb. Damals hab' ich mich mit der verwaisten kleinen Lischka angefreundet und lieber mit ihr gespielt, als mit den anderen Dorfkindern, und jetzt ist sie ganz zu uns gekommen und geht der Mamsell an die Hand und hilft auch im Hause unserm Stubenmädchen, wenn einmal viel Besuch da ist. Auch hat sie die Stunden beim Lehrer mit mir zusammen genommen und einen anschlägigen Kopf, aber sie war faul, darum hat es bald wieder aufgehört. Nicht wahr, es ist schade um sie, sie ist so hübsch, wenn sie ein Bischen bildungsfähiger wäre –

Achim lächelte.

Hübsch bist du, das weißt du
Nur leider zu sehr,

Und wüßtest du's minder,
So wärst du es mehr –

Ich halte sie für eine durchtriebene Kokette, die viel Unheil anstiften würde, wenn die Gelegenheit dazu günstiger wäre.

Du bist ungerecht, Schatz! Was kann sie dafür, daß ihr die Augen so im Kopf herumflunkern? Freilich, mit einem jungen Volontär, der ein halbes Jahr hier in der Lehre war, hat sie's ein bischen arg getrieben. Aber ein armes Ding, das nicht nach Berlin reisen kann, sich einen so netten Bräutigam zu holen –

Das Knallen der Peitsche vom Bock herunter schnitt ein weiteres Gespräch über die wendische Hexe ab.

Achim küßte rasch seine Liebste auf die Stirn, schwang sich mit einer Entschuldigung wegen ihres Zauderns auf den Bock, und der Wagen rollte, von Nero's rauhem Gebell begleitet, über die Brücke durch den Hof und verschwand draußen in der Dorfstraße.

*

Als er nach zwei Stunden zurückkam, stand Luitgarde oben auf der Treppe vor der Hausthür und rief den Männern entgegen: Kommt ihr endlich wieder? Ihr seid ja eine Ewigkeit ausgeblieben, die Mama ist schon ungeduldig geworden.

Es ist ihre Schuld, lachte der alte Herr, daß Klein-Malchow sich nicht rascher inspiciren läßt. Und wir waren noch nicht einmal auf dem Vorwerk. Dein Herr Zukünftiger hat das landwirthschaftliche Examen übrigens so mit Auszeichnung bestanden wie das juristische. Obwohl er als neunjähriger Junge in die Stadt kam, kann er noch Weizenboden von Haferboden unterscheiden.

Sie beeilten sich, ins Haus zu kommen, wo in der Wohnstube die Mama ihrer wartete. Achim, indem, er ihr die Hand küßte, entschuldigte sich, daß er ihr nicht früher guten Morgen habe wünschen können, der Papa habe ihn mit fortgenommen.

Nun, desto früher haben Sie Luitgarde begrüßt, lieber Achim, sagte die kleine Frau, die in einer reizenden Morgentoilette in ihrem Lehnstuhl saß. Eine alte Mama muß sich darein ergeben, daß sie nicht mehr die erste Rolle im Hause spielt. Hoffentlich haben Sie gut geschlafen.

Sie bot ihm einen Stuhl neben sich an, und eine kleine gezwungene Unterhaltung kam in Gang, an der sich auch der Papa bescheiden betheiligte.

Als dann Miß Ruth ins Zimmer trat, sagte die Mutter: Ich entlasse Sie jetzt, lieber Achim. Sie werden allerlei zu schreiben haben, das Nöthige finden Sie in Ihrem Zimmer. Luitgarde muß jetzt ihre Musikstunde nehmen. Da wir Sie recht lange hier zu haben hoffen, wollen wir unsere alte Tagesordnung nicht ändern, wozu auch die paar Lectionen gehören. Und überhaupt muß auf dem Lande bis zur Essensstunde Jeder sein eigener Herr bleiben. Der Nachmittag gehört dann der Geselligkeit.

Sie nickte ihm mit ihrem kühlen, gnädigen Lächeln zu, als er sich, seine Enttäuschung nur schlecht verbergend, erhob und mit einem schmerzlichen Blick auf Luitgarde das Zimmer verließ. Gleich darauf, während er langsam die Treppe hinaufstieg, hörte er die lang aushallenden Töne des Harmoniums erklingen. So sehr sie ihm gestern Abend wohlgethan hatten, als sie den aufgeregten Disput beschwichtigten, so ingrimmig verwünschte er sie heute, wo ihm an keiner anderen Musik lag, als an den leisen Liebesworten seiner Liebsten.

In seinem Zimmer oben warf er sich auf das Sopha und bemühte sich, seines Unmuths Meister zu werden. Er konnte sich nicht verhehlen, es würde einen langen, heftigen Kampf kosten, bis er sich eine Stellung im Hause erobert hätte, die ihn vor täglichen Anfeindungen dieser kleinen rachsüchtigen Seele schützte. Doch wenn auch endlich ein Waffenstillstand erlangt, ein erträgliches Nebeneinanderleben zu Stande gekommen wäre, ein kalter Hauch wehte unter diesem Dache, der selbst dann gespürt werden würde, wenn das junge Paar sich im oberen Stockwerk sein eigenes Reich gegründet hätte, wohin die alte Herrin nie den lahmen Fuß setzte. Daß er so die Wahrheit des alten Spruches von den Sünden der Väter an sich erfahren mußte, war ihm ein bitterer Gedanke. Er nahm aber sein Herz in beide Hände und gelobte sich, um des geliebten Mädchens willen nichts zu unterlassen, was den Rachegeist zu versöhnen geeignet wäre. Auch dem guten Papa sein Joch zu erleichtern, erschien ihm als eine Ehrensache. Und wenn vollends kleine blonde Kinderhäupter wie Friedensengel auf der Treppe zwischen den beiden Stockwerken hinauf und hinab eilen würden –

Nein, er hatte keinen Grund zu verzweifeln, zumal Alles, was er an seiner Liebsten wahrnahm, ihn in der Überzeugung bestärkte, daß dieser Bund der Herzen, wenn je einer, im Himmel geschlossen sei, da er auf einem festen Naturgrunde ruhte.

Nur sein heftiges Gemüth bezähmen, nur die Geduld nicht verlieren – es war ja erst eine Nacht vergangen, seit er in dieses Haus eingetreten war.

Und wie konnte es anders sein, als daß sich im Herzen dieser Frau die alte Wunde nicht schließen wollte, da sie von der Welt abgeschieden lebte und alle wohlthätigen Einflüsse entbehrte, die einen großen Schmerz, eine zerstörte leidenschaftliche Hoffnung unter der so vielfach leidenden und kämpfenden Menschheit endlich zur Ruhe bringen!

Ein warmes Mitleiden stieg in ihm auf, das die Bitterkeit seines Unmuths überwand. Er nahm sich vor, so gut und herzlich, so liebevoll und liebenswürdig der Frau, die ihn haßte, zu begegnen, daß sie auf die Länge ihm nicht widerstehen und sich überwunden fühlen müsse.

Er hatte Tante Leopoldine versprochen, ihr bald zu schreiben, wie er es auf Klein-Malchow gefunden habe. Auch setzte er sich an den Schreibtisch und legte seine Briefmappe vor sich hin. Als er aber die Feder ansetzen wollte, überzeugte er sich, daß er die rechten Worte nicht finden konnte. Bei aller Schonung hätte er doch die Thatsache nicht verleugnen können, daß er hier nicht aufgenommen worden war, wie er gehofft und wie die kluge alte Dame freilich bezweifelt hatte.

So schloß er die Mappe wieder und vertiefte sich, während unten die frommen Klänge eines Chorals durch das Haus zogen, von Neuem in sein unseliges Brüten.

*

Als er, von der alten Dörthe gerufen, zum Mittagsessen hinunterkam und in das Eßzimmer trat, sah er an den gerötheten Augen seiner Liebsten, daß auch sie diese Stunden traurig hingebracht hatte.

Das liebliche Gesicht erhellte sich aber sofort bei seinem Anblick und leuchtete vollends auf, als er ihr das Armband gab, das er für sie mitgebracht, nachdem er dem alten Herrn die schöne Jagdflinte überreicht hatte. Der Papa umarmte ihn, sichtlich hoch erfreut und überrascht, daß auch an ihn gedacht worden war. Luitgarde erröthete vor Vergnügen bis an die Stirn, umarmte dann aber zuerst die Mutter und fragte sie leise, ob sie ein so kostbares Geschenk auch annehmen dürfe. Erst als die Mama mit einer sauersüßen Miene erwiderte: einem Bräutigam müsse man es hingehen lassen, wenn er kostspielige Thorheiten begehe, trat sie zu Achim zurück und bot ihm mit einem reizend kindlichen Aufblick zu ihm ihre frischen Lippen.

Sie, liebe Mama, sagte Achim, als er seinen Platz neben ihr eingenommen hatte, müssen mir erlauben, meinen Mißgriff mit dem Bilde von Berlin aus wieder gut zu machen. Ich habe schon etwas im Sinn, was Sie, wie ich denke, ein wenig erfreuen wird. Und auch Miß Ruths Geschmack hoffe ich in der Zeit, die ich hier zubringen werde, näher kennen zu lernen.

Die beiden Damen nickten ihm freundlich zu, und Luitgarde drückte ihm unter dem Tische dankbar die Hand.

So verging der Mittag in leidlicher Stimmung. Nach dem Essen, dessen Nachtisch schöne Äpfel aus dem Garten gebildet hatten, erklärte Luitgarde, sie wolle jetzt ihren Bräutigam den Dorfleuten vorstellen, die doch auch Anspruch darauf hätten, seine Bekanntschaft zu machen.

Thue das, sagte die Mama. Mißchen kann ja mit euch gehen.

Die Schottin, die einen raschen bittenden Blick Luitgarde's verstand, entschuldigte sich mit Müdigkeit, da sie den halben Vormittag im Garten zu thun gehabt habe.

Ich dächte auch, Mama, Nero könne ganz wohl die Stelle eines Tugendwächters bei dem jungen Paar versehen, wagte der alte Herr zu sagen.

Die Mutter erwiderte nichts, rümpfte nur ein wenig die Lippe und stand auf, gesegnete Mahlzeit wünschend, um in das Wohnzimmer zurückzuhinken.

Nun hing sich Luitgarde an Achim's Arm, und sie wanderten, von Nero in Freudensprüngen begleitet, über den Hof ins Freie. Draußen aber schlug sie nicht sogleich den Weg ins Dorf ein, sondern bog links ab nach einem Sträßchen, das außen hinter den Bauernhöfen hinlief.

Von dieser Rückseite nahm sich das Dorf noch ärmer und verwahrlos'ter aus. Alte Kuhställe, Düngerhaufen und verwilderte Gärtchen, in denen die kahlen Obstbäume ihrer Früchte schon vorzeitig entleert worden waren. Nach der anderen Seite dehnten sich die kahlen Stoppelfelder, dazwischen frisch gepflügte oder mit der Wintersaat bestellte Äcker, hie und da ein Ebereschenbäumchen, eine Windmühle, deren schwarze Flügel unheimlich still gen Himmel starrten, in weiter Ferne der schwarze Strich des Kiefernwaldes. Aus den Ackerfurchen flogen die Krähen auf und kreis'ten mit ihrem harten Geschrei um die Dachfirste der hin und wieder aus der Reihe der Dorfhäuser vorspringenden Scheunen.

Zum Lustwandeln lud der von Wagenspuren tief eingerissene Weg nicht gerade ein. Aber Luitgarde hatte ihn gewählt, um einmal mit ihrem Liebsten eine halbe Stunde unter vier Augen zu sein. Darin wurde sie auch nicht gestört; es begegnete ihnen Niemand.

Sie machen hier früh Feierabend, bemerkte Achim.

Weil Sonnabend ist. Und dann, sie sind überhaupt unlustig zur Arbeit. Nach zwei so schweren Mißjahren – du glaubst nicht, wie das die armen Leute auch moralisch heruntergebracht hat. »Es hilft ja doch alles nichts,« sagte mir erst heute früh eine alte Frau, die einen Sohn bei den Soldaten hat und sich mühsam durchbringt. »Unser Herrgott hört auf alles Bitten und Beten nicht. Ich habe von meinem bischen Feld kaum die Aussaat geerntet.«

Hilft ihnen dein Vater nicht?

Freilich. Aber sie wollen sich nicht immer helfen lassen. Sie setzen ihren Starrkopf auf und nehmen keinen Rath an. Das Geld wohl, aber das ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Papa, es schützt eben nur vorm Verhungern. Ach, Schatz, manchmal denk' ich, der Mann, der das Lied gedichtet hat:

Der Landmann hat viel Freude
Und lebt dabei in Ruh' –

ist nie aus der Stadt herausgekommen!

Du vergissest, daß er selbst eine Bedingung daran geknüpft hat:

Geräth ihm das Getreide,
Sieht er dem Städter zu.

Und doch, auch wenn die Bedingung nicht erfüllt wird, mein Herz zieht mich immer aufs Land hinaus, nicht bloß das Herz, das ich einem gewissen Landfräulein geschenkt habe, sondern mein väterliches Blut, das eintrocknen würde am Bureautisch und sich so lustig rührt, wenn es gilt, mit redlicher Arbeit der launenhaften Erde ihre Frucht abzuringen. Und nun vollends an deiner Seite –

Er stand still, sie zu küssen. Alles, was ihn hier bedrückt und verletzt hatte, fiel von ihm ab, da er das liebe, warme Gesicht so nah an seinem fühlte. Ihm war, als seien sie die ersten und einzigen Menschen unter diesem Himmel, und er hätte diese braunen Erdschollen und dürren Stoppelfelder mit keinem Paradiese vertauscht.

Sie sprachen dann von ihrer Liebe, Alles, was sie sich schon hundertmal gesagt und geschrieben hatten, und standen immer wieder still, sich zu umfassen und Mund auf Mund zu drücken. Es war das erste Mal, daß sie so ausführlich sich liebkosen durften, Luitgarde noch mit einem kleinen spröden Versuch, ihm Einhalt zu thun, wenn er ihren blonden Kopf zwischen die Hände nahm und ihr das Haar gar zu arg zerzauste. Aber gleich darauf drückte sie den seinen leidenschaftlich an sich und küßte ihn auf die Augen, die sie an seinem Gesicht am meisten liebte.

Ein Bauernbursch, der eine mit einem mageren Pferde bespannte Egge ihnen entgegenfuhr, schreckte sie aus dieser seligen Verworrenheit auf. Von jetzt an gingen sie ruhig und ehrbar neben einander her, gelangten an das Ende des Dorfes und bogen nun in die holperig gepflasterte breite Straße ein, die einzige, die von einem Ende bis zum andern die ungleich liegenden Häuser trennte.

Es war noch nicht spät am Tage, die Arbeit aber fast überall eingestellt. Die Frauen saßen müßig oder nur mit Flicken alter Kleidungsstücke beschäftigt vor ihren Häusern, die Kinder spielten an den Gartenzäunen, nur in der Schmiede lohte das Feuer und erklangen Hammerschläge, da ein alter Gaul draußen angebunden stand und frisch beschlagen werden sollte.

Achim kamen heute im Tageslicht diese Häuser und Hütten noch verwahrlos'ter vor, als da er gestern mit dem alten Herrn hindurchfuhr. Aber die freundlichen Mienen, mit denen seine Liebste von Groß und Klein begrüßt wurde, ließen ihm diese Armuth nicht so trübselig erscheinen.

Das Schloßfräulein wurde zwar respectvoll, aber nicht wie eine Prinzessin behandelt, zu der man kaum hinaufzublicken wagt. Die Meisten standen rasch auf, wischten die Hand an der Schürze ab und reichten sie dem schönen Mädchen, das seine weichen, rosigen Finger auch nicht in einen Handschuh versteckt hatte. Hier und da wurden ein paar Worte gewechselt, jede der neugierig herandrängenden Weiber und Dirnen bei Namen genannt und der Bräutigam ihnen vorgestellt, auch hin und wieder eins der flachshaarigen Kinder auf den Arm genommen und, wenn es nicht gar zu ungewaschen war, auf die Stirn geküßt.

Achim sah das Alles glücklich lächelnd mit an, wußte sich als ein Landkind, das er war, mit Fragen und Antworten auf gut Plattdeutsch nach Landesbrauch zu benehmen und merkte aus den Segenswünschen der alten Weiber und dem Kichern und Tuscheln der jungen Mädchen, daß er Gnade vor ihren Augen fand.

So vollendeten sie ihren freundlichen Spießruthenlauf mit großer Befriedigung und gelangten nach dem Krug, der der Kirche gegenüber lag. Hier wurden sie zuerst wieder unfroh, da aus den niederen Fenstern Lärm und Zank trinkender und kartenspielender Bauern herausdrang.

Um vier Uhr Nachmittags! sagte Achim kopfschüttelnd. Ist das immer so bei euch?

Sie haben sich's früher nicht erlaubt, aber jetzt hilft ihnen das Trinken dazu, ihre Noth zu vergessen. Papa hat eigens die Brennerei eingehen lassen und dafür die Bierbrauerei eingerichtet. Aber sie kehren sich nicht daran, sie wollen sich mit Gewalt betäuben. Unser alter Pastor hat all seine guten Worte an sie verschwendet. Es ist ein rechtes Elend, aber die Frauen halten sich noch ordentlich, und auch die Säufer sind noch in der Minderzahl. Nur daß sie das böse Beispiel geben. – Sieh dort drüben, fuhr sie fort, da ist das Pfarrhaus. Liegt es nicht hübsch in dem Gärtchen, das die alte Annemieken so gut in Ordnung hält? Sie hat noch schönere Rosen als ich. Und dann die Bienenstöcke, im Sommer surrt und schwirrt es da um den Zaun, daß es ordentlich wie Musik klingt. Der alte Herr ist ein berühmter Bienenvater, der Honig heut' zum Frühstück war von ihm. Gotthold bekümmert sich um dergleichen nicht. Siehst du, er hat schon Licht, da unten in dem Zimmer rechts neben der Hausthür hat er schon als Knabe gewohnt, und wie oft ist er Nachts aus dem Fenster gestiegen, um irgendwo Äpfel zu stehlen. Na, das läßt er jetzt bleiben. Er studiert wohl eben auf die Predigt morgen. Er soll ein großer Redner sein.

Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor –

citirte Achim.

Wo steht das, Liebster?

In einem gewissen »Faust« von einem gewissen Goethe. Hat mein Schatz den schon einmal kennen gelernt?

Ich habe nur den Titel gehört. Die Mama meint, es sei keine Lectüre für mich, es sei ein unmoralisches Stück.

Ich hoffe, du wirst eine andere Meinung von diesem größten Werk unseres größten Dichters bekommen, wenn die Mama in Bezug auf das, was du lesen willst, einmal nichts mehr zu erlauben und zu verbieten hat.

*

Der Rest des Tages verging, ohne daß sich etwas Liebes oder Leidiges ereignet hätte.

Beim Abendbrod neckte der alte Herr Achim mit seinem Eroberungszug durch das Dorf. Die Mama fragte Luitgarde nach dieser und jener Familie, für die sie aus irgend einem Grunde sich interessirte. Sie blieben allein und spielten nach Tisch eine kindliche Zahlenlotterie mit Glasplättchen auf abgegriffenen Blättern um Rechenpfennige, die hernach gegen Haselnüsse ausgetauscht wurden. Zuletzt setzte sich Miß Ruth wieder ans Harmonium und spielte ein paar feierliche Stücke eines alten Meisters.

Achim schlief diese Nacht sanfter als die vorige. Seine Hoffnung, es mit der Zeit zu einem guten Verhältniß mit der Schwiegermutter zu bringen, hatte sich befestigt. Und dann war geschehen, was er nicht für möglich gehalten hatte: seine Liebe war in den Stunden, in denen er Luitgarde ganz ohne Zwang hatte besitzen dürfen, noch gewachsen. Er rechnete sich all ihre Gaben und Tugenden, Alles, was er erst hier an ihr entdeckt hatte, immer wieder vor, und Alles wurde noch überboten durch die Erinnerung an die zärtlichen Augen und süßen Lippen, die sich ihm hingegeben hatten, so daß er in dem Gefühl, der glücklichste aller Menschen zu sein, bald genug einschlief und mit derselben freudigen Empfindung am Morgen erwachte.

Er hatte nicht anders erwartet, als daß er diese frühe Tagesstunde wieder wie gestern mit seiner Liebsten verbringen würde. Aber rings ums Haus, im Wäldchen wie im Blumengarten suchte er sie vergebens, obwohl es schon näher an die Frühstücksstunde ging als gestern. Zuletzt, da er mißmuthig über den Hof schlenderte, in die Ställe hinein sah, durch die ihn gestern der Papa geführt und ihm seinen ansehnlichen Viehstand und die vierzehn gut gefütterten Ackergäule gezeigt hatte, kam sie ihm von der Straße her entgegen. Sie lächelte ihn zärtlich an, doch mit einer gewissen Befangenheit. Als er sie schalt, daß sie mit ihm Versteckens gespielt hatte, sagte sie erröthend: Ich kann nichts dafür, Schatz. Die Mama hat mir noch vorm Schlafengehen gesagt, es schicke sich nicht, daß ich in aller Herrgottsfrühe mit dir herumstriche. Du weißt, wenn sie etwas sagt, muß man sich hüten, Einwendungen zu machen, so guten Grund man auch dazu hätte. Da habe ich rasch heut' früh von Georginen und Astern den Kranz gewunden, den ich meinem Bruder jeden Sonntagmorgen auf sein Grab lege. Der Kirchhof ist ja gleich drüben über der Straße. Der Mama wegen hat das Grabmal dicht an der Mauer errichtet werden müssen, statt daß der Sarg in unserer Familiengruft in der Kirche beigesetzt worden wäre. Im Sommer schleppt sie sich manchen Abend hinüber und sitzt dort auf dem Bänkchen. Wollen wir jetzt hin?

Er hatte eine bittere Antwort auf der Zunge: daß die Mama vielleicht auch das für seine Braut nicht passend finden würde. Aber er bezwang sich und erinnerte nur daran, daß sie den Papa nicht wieder auf das Frühstück warten lassen dürften. –

Um zehn Uhr fuhr auf der Straße hinten am Hofthor eine schwerfällige alte Kutsche vor, mit dem Schlieben'schen Wappen am Schlage. Der Gutsherr führte seine Frau langsam über den Hof, hinter ihnen folgte das Brautpaar und Miß Ruth, sämmtliche Dienstleute standen zu den Seiten, darunter Lischka mit einer brennend rothen Schleife im Haar, auf die Frau Karoline einen mißbilligenden Blick warf. Das Mädchen fühlte sich aber nicht bewogen, die Augen niederzuschlagen, sondern drehte sich in ihrer neuen bunten Jacke zur Seite um, wo ein junger Knecht stand, dem sie leise etwas sagte. Luitgarde's freundliches Nicken hatte sie unerwidert gelassen.

Die drei Damen stiegen, von den Herren gestützt und gehoben, in die Kutsche; Krischan, in seiner Sonntagslivree, grau mit blauen Aufschlägen und blanken Messingknöpfen, schwang sich auf den Bock, und die Pferde zogen an.

Wir gehen den Richtweg über den Kirchhof, sagte der alte Herr zu Achim. So kommen wir noch vor den Pferden bei der Kirche an.

Durch ein kleines Pförtchen in der alten Mauer betraten sie den ziemlich geräumigen, etwas erhöhten Friedhof, an dessen westlichem Ende die Kirche lag. Die Grabsteine und dürftigen kleinen Kreuze, viele schief gesunken und verwittert, nahmen sich unter den entblätterten Fliederbüschen und verwelkten Farnkräutern armselig aus, und die Nachtigallen, die, wie Luitgarde erzählt hatte, im Sommer hier zu nisten pflegten, waren längst verstummt. Gleich rechts neben der Eingangsthür sah Achim das Grabmal, das seine Liebste heut' früh bekränzt hatte, ein liegender Stein mit dem Namen des todten Jünglings, dahinter ein stattliches Kreuz aus polirtem Granit, in das mit goldenen Buchstaben ein Bibelspruch eingegraben war; das Ganze umgab ein starkes Eisengitter, an dem zu drei Seiten hohe Lebensbäumchen gepflanzt waren.

Achim hatte nur Zeit, einen Blick auf den bunten Kranz zu werfen, der um den einen Kreuzarm gehängt war. Neben dieser liebevoll gepflegten Grabstätte erschienen die Hügel und Kreuze der bäuerlichen Todten nur noch dürftiger. Der alte Herr war schweigend vorbeigegangen, als hätte er nur den einen Gedanken, die Anfahrt seiner gestrengen Herrin nicht zu versäumen.

Sie kamen denn auch glücklich zur rechten Zeit, da die Kutsche eben am Portal der Kirche hielt. Krischan sprang, so rasch es seine unbeholfenen Gliedmaßen erlaubten, vom Bock und öffnete den Wagenschlag. Aber der gnädigen Frau herauszuhelfen, mußte er ihrem Gemahl überlassen, worauf Achim den anderen Damen diesen Dienst that.

Vor der offenen Thür der alten Kirche standen die Bauern, Männer und Weiber gesondert, und ließen den Zug der Herrschaften hindurchpassiren, die Männer die Mützen lüftend, Frauen und Mädchen mit unterwürfigen Knixen. Es nahm sich ganz vornehm aus, wie der Gutsherr in schwarzem Rock, einen etwas unmodernen Cylinder auf dem Kopf, die kleine blonde Dame in ihrem seidenen, pelzbesetzten Mantel und dunklen Hut an seiner Seite führend, über die glatten Steine hinschritt, freundlich nach allen Seiten nickend, während Frau Karoline nur mit einer würdevollen Kopfbewegung den Gruß der Leute erwiderte. Desto herzlicher lächelte Luitgarde dieser und jener alten Frau oder munteren jungen Dirne zu, und auch die Schottin schien überall gute Freunde zu sehen.

So alt und vernachlässigt die Kirche mit ihrem vielfach abgebröckelten Bewurf und dem defecten schwarzen Schindeldach von außen erschien, ein spätgothischer Bau mit plumpem Maaßwerk in den Fenstern, an dem Schwalbennester klebten, so sauber, freilich noch um vieles nüchterner, nahm sie sich im Inneren aus.

Denn die Gutsherrin, da sie allsonntäglich hier ihrer christlichen Andachtspflicht oblag, hatte sich gedrungen gefühlt, den Raum, wo dies geschah, von allem Staub und Moder rein zu halten. Freilich waren die Wände nur weiß getüncht und die alten schnörkelhaften Decorationen zwischen den Zwickeln des Gewölbes übermalt worden. Doch sorgten die zahlreichen Braut- und Todtenkronen mit gestickten Bändern, die verdorrten Myrthen- und Immortellenkränze an den Wänden neben der Kanzel und gegenüber die schwarz und weißen Tafeln, an denen Kriegsdenkmünzen Klein-Malchower Veteranen hingen, für eine sinnvolle Belebung der kahlen Wände. Der Gutsherr hatte überdies nach dem französischen Kriege eine bronzene Tafel anbringen lassen, auf der die Namen derer verzeichnet waren, die Anno 1866 und 1870/71 für das Vaterland gefallen waren.

Das alles war ohne jeden künstlerischen Geschmack nur nach altem Herkommen geordnet worden; auf dem Altar, der vor der Chornische stand und mit einer verschossenen Decke verhüllt war, hob sich ein messingenes Kreuz, woran, statt der plastischen Gestalt des Gekreuzigten, ein blank eingerahmtes Bild in Ölfarbendruck lehnte, den Heiland in halber Figur darstellend, den Kelch vor sich, mit erhobener Hand und weit geöffneten Augen. Zu beiden Seiten stand ein schwerer silberner Leuchter, dessen Wachskerzen natürlich nicht angezündet waren, gleichfalls eine fromme Stiftung der gnädigen Frau.

Sie hatte mit ihrem Gefolge in dem herrschaftlichen Gestühl gegenüber der Kanzel Platz genommen. Unter derselben befand sich der Kirchenstuhl der Pastorenfamilie, wo heute nur der alte Emeritus saß, der beim Eintritt seiner Patrone sitzen blieb, aber grüßend das ehrwürdige Haupt neigte.

Es war eine feuchtkalte Luft in der Kirche. Den zarten Damenfüßen thaten die irdenen Krüge mit heißem Wasser, die sie vor ihren Sitzen fanden, sichtbar wohl.

Achim hätte dessen nicht bedurft. Er war in einer seltsam weichen, traumhaften Stimmung. Wie lange hatte er keine Kirche besucht, wie viel länger noch keine Dorfkirche. Nun überkam ihn die Erinnerung an die Zeit, wo er auf seinem heimathlichen Dorf mit dem ernsten Vater und der schönen Mutter am Sonntag Morgen die Predigt gehört und den Choral mitgesungen hatte. Er schloß die Augen und glaubte die Züge der edlen Frau wiederzusehen, an die er sich geschmiegt und die ihren Mantel um seine Schultern gehüllt hatte, wenn im Winter die Luft in der Kirche sehr moderkühl gewesen war.

Auch jetzt begann um ihn her der rührend unbehülfliche Gesang der Gemeinde, auf dem Orgelchor droben hatte der Lehrer den Choral angestimmt, an seiner Seite hörte er die zarte Stimme seiner Geliebten die wohlbekannte alte Melodie singen, er fühlte ihre warme Nähe und den Hauch des Resedasträußchens, das sie vorn in ihre Jacke gesteckt hatte – ihm wurde so wohl und andächtig zu Sinn, als wäre er der Erde weit entrückt in eine Region, wo Alles nur von Liebe und Güte erfüllt und was die arme gebrechliche Menschheit plagt und verzwistet, völlig unbekannt sei. So hatte er während des Chorals in wonniger Versunkenheit mit eingedrückten Augen da gesessen, als die Orgel verstummte und gleich darauf in der Stille, die sich durch die Kirche verbreitete, eine scharfe, metallene Stimme von oben herab sich vernehmen ließ.

Als er aufblickte, sah er droben auf der Kanzel den Candidaten stehen, der, die Augen starr vor sich hin gerichtet, die gefalteten Hände auf die Bibel gedrückt, in einem kurzen Gebet den Segen des Herrn auf die andächtige Gemeinde herabflehte.

Als er geendet hatte, blieb er noch einige Minuten stumm in derselben Stellung, wie um sich zu sammeln und sich selbst für das, was er seinen Zuhörern zu sagen hatte, der Erleuchtung von oben durch die göttliche Gnade zu empfehlen. Dann richtete er sich hoch auf, nahm das schwarze Buch in beide Hände und las in einer harten, eintönigen Manier zunächst den Evangelienabschnitt des heutigen Sonntags. Hierauf schwieg er wieder eine Weile und fuhr dann mit lebhaftem Tone fort:

Andächtige Gemeinde! Es ist das erste Mal, daß ich der Gnade gewürdigt werde, zu euch zu reden und das Wort des Herrn euch zu verkünden und auszulegen. Ich habe deshalb einen Text gewählt, der euch keinen Zweifel darüber lassen soll, von welcher Gesinnung ich beseelt bin, wenn ich in eurer Mitte mich umblicke und, wie es die Pflicht des geistlichen Amtes ist, eure Herzen und Nieren zu prüfen unternehme. Wenn ich unverhüllt offenbare, was ich wahrgenommen, so glaubt nicht, daß ich selbst mich überhebe, ohne Fehl und Sünde zu sein. Mein Gebet zum Herrn ist, daß er mich wie euch durch das Bad seiner Liebe und Gnade reinige von allem Schlamm dieser Zeitlichkeit und uns würdig mache, im Glanze seiner Herrlichkeit uns zu sonnen, wenn der Tag des Gerichtes anbrechen wird. Dazu helfe uns sein heiliger Wille und das erlösende Blut seines Sohnes, unseres Heilandes! Amen.

Der Text, der unserer heutigen andächtigen Betrachtung zu Grunde liegen soll, findet sich beim Propheten Jesaia, im vierundzwanzigsten Capitel im fünften und sechsten Vers und lautet:

Das Land ist entheiliget von seinen Einwohnern; denn sie übergehen das Gesetz und ändern die Gebote und lassen fahren den ewigen Bund.

Darum frißt der Fluch das Land.

*

Schon diese scharf anklagenden Worte des Propheten hatten die Zuhörer unten wie ein rauher Windstoß eine wehrlos zusammengedrängte Heerde getroffen.

Als der eifernde Mann droben auf der Kanzel nun begann, den knappen Text in immer heftigeren Umschreibungen auszudehnen, die alte Klage und Anklage auf die neuesten Zeiten und insbesondere auf die Sitten und Zustände dieses armen märkischen Dorfes zu deuten, fiel der Druck einer peinlichen Erschütterung immer schwerer auf die Gemüther dieser Männer und Frauen, die gekommen waren, im Gotteshause eine erbauliche Stunde lang Trost für ihre Mühsal und Bedrängniß zu finden, wie ihn ihr alter Pastor in seiner nachsichtigen Milde ihnen gespendet hatte.

Statt dessen stand nun da oben ein unerbittlicher Richter, der ihnen das Gewissen aufrüttelte, indem er ihnen vorhielt, was sie an Unsegen in diesen letzten Jahren erlebt, Überschwemmung und Hagelschlag, Viehsterben und Verheerung der Forsthaiden durch die Kienraupe sei die Strafe für ihre Sündhaftigkeit, ihre Lauheit im Glauben, ihre Trunksucht und Trägheit, der sie sich stumpfsinnig ergeben hätten, als sei das Wort an ihnen verloren: Wer sich selbst hilft, dem wird Gott helfen. »Darum frißt der Fluch das Land« lautete der Kehrreim, der nach jedem Abschnitt dieser Bußpredigt immer wieder den vor Schreck und Scham erstarrten armen Sündern in die Ohren gellte.

Und endlich kam der Redner auf etwas zu sprechen, was diesen bäuerlichen Gehirnen vollends unfaßbar war: auf den unheiligen Geist des Zweifels und der Abkehr von der reinen Lehre, der durch die heutige Welt gehe, auf den Irrwahn Derer, die sich die Gebildeten nennten, weil sie es in ihrem Hochmuth für eine Thorheit erklärten, mit Luther zu sagen: Das Wort sie sollen lassen stahn! Er erging sich, weit abschweifend von seinem Text, in der Verdammung Derer, die sich ihrer Toleranz rühmten gegen irrgläubige Confessionen, als ob die göttliche Wahrheit nicht bloß eine sei, und das Wort »Gift«, das er mehr als einmal brauchte, um das Verderbliche dieser Lauheit zu brandmarken, ließ keinen Zweifel darüber, gegen wen der leidenschaftliche Ausfall gerichtet sei. Auch nicht die feindselige persönliche Gereiztheit, aus der dies Alles entsprang. Und indem er die Worte aus der Epistel an die Galater citirte: »Wer euch aber irre macht, der wird sein Urtheil tragen, er sei wer er wolle« – richtete er zum ersten Mal, da er bisher die Augen über die Menschenköpfe drunten ziellos hatte hinschweifen lassen, den Blick auf den herrschaftlichen Stuhl ihm gegenüber und auf den Fremdling in dieser Gemeinde, der mit ruhiger Festigkeit zu dem herausfordernden Gegner emporsah.

Ein widerwärtiges Gefühl hatte sich freilich während dieses ganzen Ausbruchs einer zügellosen geistlichen Wuth Achims bemächtigt. Er konnte diese wilde Feindschaft wohl verachten und sogar bemitleiden, da er »den sicheren Schatz im Busen trug«. Aber um der Anderen willen, die mit darunter leiden mußten, schien ihm dies Verhältniß unerträglich, und es empörte ihn, hier, wo er zuerst die Bilder seiner Knabenzeit wieder geschaut hatte, so unsanft aus seinem Sonntagstraum aufgeweckt worden zu sein.

Auch die Anderen neben ihm schienen seine Stimmung zu theilen, wenn auch Keines sich's merken ließ, bis auf den Kirchenpatron selbst, der mit einem Seufzer der Erleichterung, sobald der Candidat nach dem letzten Vers des Chorals und seinem Schlußgebet die Kanzel verlassen hatte, geräuschvoll aufstand und aus der Kirche stürmte, angeblich um nach dem Wagen zu sehen.

Auch der alte Pastor hatte sich erhoben und trat jetzt auf die Gutsherrin zu, die auf Luitgarde's Arm gestützt den Kirchenstuhl verließ.

Achim hatte gesehen, wie der ehrwürdige Alte während der Brandrede seines Sohnes mehrfach den Kopf geschüttelt und die Brauen leise zusammengezogen hatte. Nun hörte er ihn zu Frau Karoline Erdmuthe ein Wort des Bedauerns sagen, daß die junge theologische Generation gar zu hitzig sich geberde und gleich den Stab Wehe schwinge, statt das, was sie als Verirrung betrachte, mit geduldiger Liebe in die Richte zu bringen. Er werde seinem jungen Heißsporn noch heute Mittag eine Predigt über das Maßhalten selbst in löblichen Dingen zu hören geben.

Die kleine gnädige Frau ließ das fallen und erwiderte nur, sie habe seine Rednergabe bewundert. Der Ruf, der ihm vorangegangen, habe nicht zu viel gesagt. Dann, während die Dorfleute stehend sie vorbei ließen, schritt sie mühsam dem Ausgang zu und erneuerte ihre Einladung zu Tische, die der Pastor schon durch seine Magd abgelehnt hatte. Gotthold beharre dabei, am Sonntag keine gesellige Zerstreuung sich zu erlauben; Abends aber werde er, der Vater, jedenfalls zu der gewohnten Spielpartie sich einfinden.

Dann traten sie alle hinaus, die Damen stiegen wieder in den Wagen und fuhren nach Hause, Achim ging einsilbig neben dem Papa die Straße entlang. Ihm war nicht darum zu thun, das, was ihm jetzt innerlich zu schaffen machte, auszusprechen, zumal er fühlte, daß auch der alte Herr über den neuen Pastoratsanwärter Einer Meinung mit ihm war.

*

Er blieb bis zu Tische für sich allein. Auch mit Luitgarde zu sprechen, wäre ihm peinlich gewesen. Er traute sich nicht zu, in der frischen Entrüstung über die herausfordernde Predigt seine Worte zu mäßigen.

Als ihn dann der Gong zu Tische rief, war er erstaunt, unten statt seiner Liebsten ein fremdes Gesicht im Wohnzimmer zu finden, einen elegant gekleideten jungen Herrn, der mit der Miene eines guten Bekannten ihm entgegentrat und ihm die Hand bot.

Ich habe die Ehre, mich selbst Ihnen vorzustellen: Bernd von Schlieben, hier im Hause einfach Vetter Bernd, früher Berndchen genannt. Erlauben Sie mir, Ihnen als Luitgarde's Bräutigam in der Eigenschaft eines künftigen Vetters die Hand zu schütteln und zu gratuliren.

Achim erwiderte etwas zurückhaltend seinen Händedruck, während er den neuen Verwandten sich genauer ansah. Er mißfiel ihm nicht, obwohl er ihm mit dem runden, rothbäckigen Gesicht, dem über der Stirn gescheitelten, schon stark gelichteten blonden Haar und dem kühn gedrehten Schnurrbart einen sehr unbedeutenden Eindruck machte, ein märkischer Junker und Reserveleutnant wie tausend andere. Im Sprechen aber gewannen seine flachen Züge einen freundlichen Ausdruck, nur daß er fast immer lächelte, doch mit der Miene eines guten Jungen, der sich etwas verzeihen zu lassen hat.

Meine kleine Cousine, sagte er, während sie zusammen an die Glasthür traten, ist geheimnißvoll beschäftigt. Ich habe sie nur im Fluge begrüßen können, sie flitschte an mir vorbei in die Küche, wo sie irgend ein Meisterstück ihrer Kochkunst zaubert, um sich ihrem Herrn Bräutigam im Glanze ihrer hausfraulichen Talente zu zeigen. Ein Prachtmädel, lieber Vetter, ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, schön und wohlerzogen und kein Gänschen vom Lande, wie so viele andere. Ein Beweis ihres Verstandes ist schon das, daß sie mich hat ablaufen lassen und Sie gewählt hat.

Sie haben Luitgarde auch einmal den Hof gemacht?

Natürlich, und nicht bloß die allgemeine Feld- und Wiesencour, sondern mit Pauken und Trompeten. Ich war schon als Cadett furchtbar in das schöne Cousinchen verschossen. Wie ich das Leutnantspatent in der Tasche hatte, machte ich ihr eine Liebeserklärung nebst Heirathsantrag in aller Form. Sehen Sie, da drüben im Garten war's, wo die Malven stehen. Ich weiß es noch wie heute.

Und sie hat sich für die Ehre nicht empfänglich gezeigt?

Ehre! Als ob es ihr so besonders ehrenvoll erschienen wäre, die Frau eines frisch gebackenen Leutnants zu werden, der bis an den Hals in Schulden steckte. Sie wußte das natürlich, auf dem Lande weiß ja Jeder von Jedem Alles. Na, und wie ich, roth wie ein Krebs, meine Gefühle und ehrbaren Absichten herausstammelte, lacht sie mir geradezu ins Gesicht – mit einer so übermüthigen Spitzbubenmiene und einem so silbernen Lachen, daß ich gar nicht dazu kam, mich beleidigt zu fühlen, sondern nach drei Minuten herzhaft mitlachte. »Du willst mich heirathen!« rief sie noch ganz außer Athem vor Lachen, »du mich? Aber das ist ja das Komischste, was ich je erlebt habe!« Und dann erinnerte sie mich an alle meine Jugendeseleien, die ich in ihrer Gesellschaft begangen hatte, und bat mich um Verzeihung, daß sie mich auch später nie hätte ernst nehmen können, als ich nicht mehr Berndchen hieß, sondern, wie sie im Regiment mich nannten, »der tolle Bernd«, obwohl sie nicht die Hälfte von alle dem wußte, was mir den Spitznamen eingetragen hatte. Ich weiß nicht, lieber Vetter, ob Sie auch davon gehört haben. Na, jedenfalls war's meine einzige Ähnlichkeit mit Bismarck. Der hat dann freilich trotz seiner »Tollheit« eine etwas andere Carrière gemacht als ich. Denn meine bestand nur darin, das Geld meines Alten auf eine imponirendere Weise als die Kameraden durchzubringen, zumal mit dem verfluchten Jeu hab' ich's wie ein Rasender getrieben. Bis dann eines Tages, als ich zum x-ten Male den Alten beschwor, eine ganz unsinnige Spielschuld für mich zu bezahlen, wenn ich mir nicht eine Kugel vor den Kopf schießen sollte, der Ehrenmann mir erklärte, ich sei majorenn und könne über mein Leben verfügen, wie ich wolle, nur stelle er mir unmaßgeblich anheim, ob ich nicht doch lieber statt meinen Abschied vom Leben nur den vom Regiment nehmen und zu ihm aufs Gut kommen wolle. Mit dem Rock Seiner Majestät brauchte ich doch nicht gleich auch diese irdische Hülle abzuwerfen. Der Alte liebt es, in feierlichen Augenblicken sich gewählt auszudrücken. Na, was blieb mir übrig? Die Fünfundzwanzigtausend mußten bezahlt werden. Sie wurden von meinem Erbtheil abgezogen, um meine Schwestern nicht zu verkürzen. Ich aber schickte an meine Berliner Freunde, Freundinnen und Gläubiger Karten p. p. c. und retirirte wie ein waidwundes Stück Wild in das heimathliche Dickicht. Da leb' ich nun schon zweieinhalb Jahre, zur Freude aller Guten als ein gebesserter Sünder, befleißige mich wie ein ordinärer Stoppelhopser der Landwirthschaft mit solchem stiermäßigen Eifer, als gäbe es in der Welt keine Rennplätze, Spielhöllen und Ballette, und mein Alter behauptet, ich hätte jetzt erst meinen wahren Beruf erkannt. Seitdem hat auch Cousine Luitgarde angefangen, mich »ernst zu nehmen«, freilich nur als Mitglied der menschlichen Gesellschaft, nicht als Epouseur. Aber, wie gesagt, ich trage ihr das nicht nach. Ich werde auf ihrer Hochzeit so herzlich und aufrichtig etliche Gläser Sect trinken, als wenn ich nie daran gedacht hätte, an diesem Tage selbst einen Myrthenzweig im Knopfloch zu tragen.

*

Die muntere Resignation, mit der all dies vorgebracht wurde, hellte Achim's verdüstertes Gemüth wohlthätig wieder auf. Auch von den anderen Hausgenossen wich die beklommene Stimmung, in der sie sich noch zu Tische setzten. Der Papa hatte eigenhändig aus dem Keller ein paar Flaschen seines edelsten Rheinweins heraufgeholt, der nun vollends den »verlorenen Sohn«, wie Vetter Bernd sich nannte, in den glänzendsten Humor versetzte, da ihm zu Hause nur ein bescheidener »Rothspohn« zu Gebote stand. Das Meisterstück der bräutlichen Kochkunst, eine süße Speise, die allgemeine Anerkennung fand, regte ihn zu allerlei schönen Zukunftsvisionen an, in denen er selbst als Hausfreund und hagestolzer Onkel an Sonn- und Feiertagen bei dem vetterlichen Ehepaar eine behagliche Rolle spielen würde. Er hoffe auch, es dahin zu bringen, daß der junge Ehemann ein bischen eifersüchtig würde – und was der gutgelaunten Scherze mehr waren.

Auf einmal aber, als auf allen Gesichtern die reinste Heiterkeit glänzte, ließ er sich, arglos, was er damit that, einfallen, das Thema aufs Tapet zu bringen, das Alle wie in stiller Verabredung sorgfältig vermieden hatten.

Ihr habt ja heute schon große Dinge erlebt, sagte er: die Probepredigt dieses Herrn Candidaten Warncke, der auf die Pfarre von Klein-Malchow speculirt. Ich hoffte, rechtzeitig zur Kirche zu kommen, aber ein Pferdehandel – trotz des heiligen Sonntags – hielt mich zu lange auf, was ich sehr bedauerte. Denn du weißt, Cousine, diesen deinen Spielgefährten und Jugendfreund habe ich nie ausstehen können. Da er sich aber, wie man hört, zu einem gewaltigen Kirchenlicht ausgewachsen hat, war ich doch neugierig, wie er sich auf der Kanzel ausnehmen würde. Na, wie hat er dir denn gefallen, kleine Braut?

Mir? O, ganz gut! brachte Luitgarde in höchster Verwirrung hervor.

Na, dann mußt du einen besonderen Geschmack am Gruseligen haben, lachte Bernd. Euer Inspector, dem ich begegnete, als ich im Hof vom Pferde stieg, erzählte mir, der Kopf brumme ihm noch, so habe der geistliche junge Herr ihnen die Hölle heiß gemacht. Die armen Tröpfe, die Bauern, hätten's zu hören gekriegt: nur wegen ihres lästerlichen Lebenswandels habe der liebe Gott die Mißernten geschickt. Ob sie darum heut' Nachmittag ein einziges Glas Schnaps weniger trinken, möchte ich bezweifeln.

Eine kleine Stille folgte auf diese Worte. Keines sah das Andere an, bis endlich Frau Karoline den Mund öffnete und erklärte, die Predigt sei allerdings etwas scharf gewesen, aber Gotthold kenne ja die harten Köpfe und Herzen seiner Landsleute und habe jedenfalls Zeugniß abgelegt von dem Ernst seiner Gesinnung.

Liebe Tante, wagte Bernd zu erwidern, der alte Pastor hat doch auch gewußt, welche Worte auf die Dickköpfe in seiner Gemeinde Einfluß haben würden. Aber nach dem, was mir der Inspector gesagt hat –

Du solltest nicht auf den Bericht eines Anderen hin urtheilen, sagte die kleine Frau in gereiztem Ton. Wenn du selbst in der Kirche gewesen wärst, würdest du wohl einen anderen Eindruck bekommen haben. Und da du ja gestehst, gegen Gotthold von jeher eine Abneigung gefühlt zu haben, ist deine Meinung jetzt auch nicht unbefangen.

Verzeihen Sie, liebe Mama, sagte jetzt Achim, der sich verpflichtet fühlte, dem neuen Vetter zu Hülfe zu kommen, auch auf mich hat die Predigt einen sehr peinlichen Eindruck gemacht. Ich erlaube mir kein Urtheil darüber, ob die Zustände hier im Dorf wirklich so verrottet sind, die Menschen so in Laster und Trägheit versunken, wie dieser Herr Gotthold sie schilderte. Aber ist es christlich gedacht, ihnen immer nur zuzurufen, daß der Fluch das Land fresse um ihrer Sünden willen, ohne auch für das Elend, das über sie gekommen, ein Wort des Mitleids zu haben? Und war nicht auch der alte Pastor der Meinung, sein Sohn sei zu weit gegangen? Man braucht nur in dies ehrwürdige Antlitz zu blicken, um zu wissen, daß er ganz anders gesprochen haben würde, als sein tugendstolzer, hartgesinnter Sohn, der für seine erste Predigt sich den Text aus einem zornigen Prophetenspruch wählt und sich zum Strafrichter über arme schwache Menschen aufwirft, deren Liebe und Vertrauen er vor allen Dingen zu gewinnen suchen sollte.

Die Mama warf ihm einen unfreundlichen Blick zu. Sie beherrschte sich aber noch so weit, daß sie, um das Gespräch abzuschneiden, nur noch erwiderte: Was Sie da sagen, lieber Achim, ist nicht ganz unrichtig. Wenn er freilich es darauf angelegt hätte, sich bei der Gemeinde beliebt zu machen, war diese Predigt nicht das glücklichste Mittel dazu. Aber gerade, daß er ohne Menschenfurcht und Menschengefälligkeit rücksichtslos aussprach, was er für das Rechte hielt, rechne ich ihm hoch an. Eine solche Freudigkeit im Bekenntniß ist heutzutage selten zu finden, da selbst die Diener Gottes zu diplomatisiren suchen. Was er in der Form verfehlt hat, ich meine zu stark aufgetragen, ist Schuld seiner unbedachten und unerfahrenen Jugend, und ich werde ihm selbst unter vier Augen eine kleine Lection deßwegen ertheilen, wie ja auch sein Vater thun wollte. Im Übrigen müssen wir ihm Zeit lassen, reif zu werden, wozu ja hier unter unseren Augen die beste Gelegenheit sein wird.

Ist es wahr, rief Bernd sehr erstaunt, er soll hier die Pfarre bekommen, da der Alte zurücktreten will?

Gewiß. Es ist das Natürlichste, daß der Sohn dem Vater im Amte folgt. Auch haben wir es ihm versprochen.

Doch wohl nur unter der Bedingung, liebe Mama, daß er alle Eigenschaften besitze, die ihn zum Nachfolger eines so trefflichen Vaters befähigen? sagte Achim, dem die letzten Worte der Mama einen Stoß gegen das Herz versetzt hatten. Er vermied es, Luitgarde anzusehen, die ihm bittend mit den Augen winkte, nicht weiter zu gehen. Sein empörtes Gemüth ließ sich aber nicht zurückhalten.

Wir sind älter als Sie, lieber Achim, hörte er jetzt mit schneidender Kälte die Mama sagen. Ein flüchtiges Urtheil, das wohl auch bei Ihnen, wie bei Vetter Bernd, mit aus persönlichen Motiven entspringt, wird uns in einem lange erwogenen Beschluß nicht irre machen. Warten Sie vorläufig nur den nächsten Sonntag ab. Vielleicht überzeugt Sie schon dann die Predigt dieses etwas allzu eifrigen jungen Gottesmannes, daß er zum Hirten der Klein-Malchower Heerde doch wohl die rechten Eigenschaften besitzt.

*

Sie stand auf ihren Stock gestützt auf und nickte im Kreise herum den Tischgenossen zu, ohne, wie sonst, gesegnete Mahlzeit zu wünschen. Dann verschwand sie drüben in ihrem Schlafzimmer.

Die Anderen hatten noch keine Zeit gehabt, das Nachgefühl der eben gehörten Wechselreden in sich zu beschwichtigen, als man einen Wagen in den Hof rollen hörte, dem drei Damen entstiegen, eine dicke alte Mama mit zwei frischen jüngeren Töchtern, etwas übertrieben geputzt, wie sich eine Schneiderin auf dem Lande durch alte Modebilder verführen läßt ihre Kundinnen herauszustaffiren, aber mit roth und weißen Apfelgesichtern, nur für ihre jungen Jahre schon etwas zu stattlichen Figuren. Luitgarde, mit einem bedauernden Blick auf Achim, lief hinaus, sie zu begrüßen, der Vater schloß sich an, Krischan meldete den Besuch der gnädigen Frau, und bald saß die ganze kleine Gesellschaft im Wohnzimmer, die Alten vor dem Kamin, das junge Volk plaudernd und lachend auf dem Sophaplatz unter den Bildern des alten Zieten und feiner ersten Frau, Leopoldine Judith von Jürgaß.

Hier hielten sie's aber nicht lange aus, da die Nähe der alten Herrschaften ihnen doch immer einen gewissen Zwang auferlegte. Besonders die jüngere der beiden Fräulein, die auch schon ein gutes Stück in die Zwanzig hinein gerathen war, sich aber noch immer als »das Kind« geberdete, lachte so laut, daß ihre ältere Schwester ihr mißbilligende Blicke zuwarf und in Luitgarde drang, sie in ihr Zimmer zu führen, um ihnen die Geschenke ihres Bräutigams zu zeigen.

Bernd, der für die derbe Frische der Jüngeren nicht unempfänglich zu sein schien, ergriff den Vorwand, aus dem Bereich der gestrengen Tante zu kommen, mit Lebhaftigkeit, obwohl Luitgarde sich dagegen wehrte. Sie wurde aber überstimmt und mußte den Besuch in ihr Stübchen eindringen lassen, in das man vom Eßzimmer aus gelangte, und von ihm aus in das Zimmer der Miß Ruth.

Achim hätte viel darum gegeben, dies kleine Heiligthum nur am Arm seiner Liebsten zu betreten. Es war ihm ganz feierlich zu Muthe, als er all die Gegenstände betrachtete, die Zeugen dieser im Verborgenen aufgeblühten Mädchenjugend gewesen waren, das kleine, mit hell geblümtem Kattun überzogene Sopha, das winzige Bücherschränkchen, in dem er fast nur Walter Scott außer abgegriffenen Jugendschriften bemerkte, neben dem Fenster, das nach Süden in den Obstgarten sah, den kleinen Schreibtisch, auf dessen Bord sämmtliche Photographien in Reih' und Glied aufgepflanzt waren, die er ihr geschickt, von seinen Schülerjahren, aus der Studentenzeit und die letzte, zu der er eigens für sie gesessen hatte. Die hatte sie vor Augen gehabt, wenn sie ihm ihre langen, zärtlichen Briefe schrieb.

An der Wand hingen nur ein paar alte Lithographien nach Bildern der Düsseldorfer, die in den vierziger Jahren auf Berliner Ausstellungen geglänzt hatten, des Goldschmieds Töchterlein, Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem, dazwischen ein Pastellbild des verstorbenen Bruders und Photographien der Eltern. Das schmale jungfräuliche Bett an der linken Seite war durch einen Wandschirm den Blicken halb entzogen.

Das Alles beschaute Achim mit zärtlicher Rührung, während die Anderen mit lauten Späßen sich in dem zierlichen Gemach herumtrieben, die Photographien betrachteten, das Armband, den Verlobungsring und andere Geschenke Achim's bewunderten. Luitgarde hatte Mühe, ihren Unmuth zu verbergen, und haschte heimlich nach seiner Hand, wie um ihm zu sagen: Du siehst, ich bin nicht schuld, daß es hier so wild und unhold zugeht. Endlich faßte sie sich ein Herz, nahm die beiden albernen Mädchen kräftig bei den Händen und zog sie zur Thür hinaus. Vetter Bernd folgte lachend mit allerhand billigen Witzen, über die die Fräulein sich ausschütten wollten.

Im Eßzimmer war indessen ein reichliches Vespermahl aufgetragen worden. Achim aber entschuldigte sich, daß er nicht daran theilnehmen könne, er habe einen dringenden Brief zu schreiben und werde hernach sich wieder einfinden.

Sobald er den Rücken gewendet hatte, ergossen sich die beiden Freundinnen zu seinem Lobe in eifrigen Glückwünschen gegen Luitgarde. Er ist ein vollkommener Gentleman, sagte die Ältere. Findest du nicht, daß er Lord Byron ähnlich sieht? – Nein, er erinnert mich an Kainz, rief »das Kind«, als Hamlet, weißt du. Ganz die melancholischen Augen! Du mußt mir's nicht übel nehmen, Herz, aber mir wäre er ein bischen zu ernst, ich hätte Furcht vor ihm. – Sagen Sie nur ehrlich, meine Damen, daß Sie mein Cousinchen beneiden. Er mag ähnlich sehen, wem er will, ich versichere Sie auf Ehre, er ist ein ganz famoser Kamerad, und ich bin Luitgarden sehr dankbar, daß sie mir einen solchen Cousin ausgesucht hat. – –

Indessen war Achim ins Freie gegangen, um nach der unerquicklichen letzten Stunde reine Luft zu athmen und sowohl die kalte Stimme der Mama, als die tönenden Schellen der Landfräulein sich aus den Ohren zu bringen.

Draußen auf dem Wirthschaftshof zwischen den Ställen und Scheunen war's völlig leer und todtenstill, nur der fremde Kutscher saß mit dem Benkendorfschen auf ein paar Stühlen vorm Stall, wo seine Pferde zur Fütterung eingestellt waren. Sie rauchten und tranken Bier und waren in ihr Geplauder so vertieft, daß sie den jungen Herrn nicht sahen, der über das Brückchen ging und in den Obstgarten eintrat. Auch hier keine Menschenseele. Der alte Gärtner war in den Krug gegangen, der Gärtnerbursche hatte sich zu der Mamsell geschlichen, deren Sohn zu sein er im Verdacht stand, und die ihn Sonntags mit Kaffee und Kuchen tractirte. Die Luft war von jener sanften Stille und Milde wie oft an klaren Herbstabenden. Schon webte ein zarter grauer Schleier über den Fruchtspalieren, und am Himmel stand schüchtern blinkend der erste Stern. Mit gesenktem Kopf wandelte Achim zwischen den Beeten hin. Er grübelte darüber nach, ob es die Schuld seines schweren Blutes sei, daß diese Dinge alle ihn so tief verstimmt hatten, oder ob, was geschehen, wirklich dazu angethan war, auch den Nachsichtigsten zu empören. Hatte er nicht schon genug zu überwinden in dem Widerstreit der Empfindungen gegenüber der Mama? Mußte ihm auch dieser junge Pfaffe herausfordernd in den Weg treten, und sollte er sich darein ergeben, dies widrige Gesicht beständig in seiner Nähe dulden zu müssen?

Langsam hatte er den Garten durchschritten und sich dem Wäldchen genähert, unter dessen dichtgepflanzten Stämmen es schon tiefer dunkelte als über den offenen Beeten. Es war ihm gerade recht, sich in dieses Zwielicht zu versenken. Hier war er auch noch sicherer, vom Schlößchen aus nicht gesehen zu werden.

So kam er eine Strecke weit in die kleine Wildniß hinein, als er plötzlich Stimmen hörte, welche ihn anhalten und aufblicken machten.

Nicht dreißig Schritte vor ihm, in der gleichen Richtung sich fort bewegend, erblickte er eine männliche Gestalt, in der er sofort den Candidaten erkannte. Neben ihm ging ein junges Frauenzimmer, das sich halb wie tanzend in den Hüften wiegte und dazu ein Liedchen summte. Es klang fremdartig, aber keck und lustig, obwohl die Sängerin die Stimme dämpfte. Jetzt trat sie auf eine kleine Waldblöße hinaus, wo der letzte Schimmer des verblassenden Tages auf ihr schwarzes Haar und ihre bunte Jacke fiel. Achims erster Gedanke bestätigte sich, es war Lischka, die hier mit dem jungen Warncke spazieren ging.

Im ersten Augenblick wollte er umkehren, um nicht den Lauscher zu spielen. Aber was er gleich darauf sah, bannte ihn an die Stelle fest. Das Licht, das plötzlich das Gesicht des Mädchens überzog, schien ihrem Begleiter die Schönheit desselben verlockend nahe gebracht zu haben. Er schlang den Arm um ihre vollen Hüften und bemühte sich, ihren Kopf gegen den seinen herumzuwenden. Mit einem hellen Lachen stieß sie ihn fort, er aber hielt sie fest und rang mit ihr, so daß er ihr die Jacke von der Schulter riß, unter der ihr weißes Hemd zum Vorschein kam. Unter beständigem Kichern, Schelten und Drohen, wobei sie die blanken Zähne gegen ihn fletschte wie eine wilde Katze, suchte sie sich seiner zu erwehren, während er mit leiser, heiserer Stimme in sie hinein sprach, bis es ihr endlich gelang, sich seinen umklammernden Armen zu entwinden, worauf sie mit einem triumphierenden Lachen von ihm wegsprang, auf den Pavillon zu, in dessen Inneres sie sich flüchtete. Da warf sie sich auf eine Bank und schien sich eifrig damit zu beschäftigen, ihren Anzug und ihre zerzausten Haare in Ordnung zu bringen.

Achim sah den besiegten Gegner gelassen auf das Waldhäuschen zuschreiten, als ob er nicht den geringsten Zweifel hätte, daß es doch noch zu einem ihm günstigen Friedensschluß kommen werde. Es widerstrebte ihm aber, das Weitere abzuwarten. Er hatte genug gesehen, um über die schwankenden Erwägungen, was er thun solle, zu einem klaren Entschluß zu kommen.

So wandte er sich und ging langsam, im Inneren erleichtert und mit sich einig geworden, nach dem Schlößchen zurück.

*

Er fand es drinnen sehr still, die fremden Damen waren weggefahren, Vetter Bernd hatte ihnen auf seiner Fuchsstute noch eine Strecke das Geleit gegeben. Luitgarde war in wirthschaftlichen Angelegenheiten bei der Mamsell, Miß Ruth begegnete ihm im Flur und sagte ihm, die Mama habe sich gleich, nachdem die Gäste sich entfernt, in ihr Schlafzimmer zurückgezogen, da sie jedes Mal den Besuch dieser lauten, geschwätzigen Damen mit heftiger Migräne zu bezahlen habe.

Es verdroß Achim höchlich, daß er seinen Vorsatz, offen mit der Mama zu sprechen, auf den nächsten Tag verschieben mußte. Auch als bald darauf seine Liebste erschien und, ohne geradezu von dem zu reden, was sie Beide heute in gleicher Weise schwer empfunden hatten, doch sichtbar sich bemühte, die Wolke auf seiner Stirn zu verscheuchen, konnte er seiner Verstimmung nicht völlig Herr werden.

Zum Abendessen fand sich der alte Pastor wieder ein, dann auch der Lehrer. Der Gutsherr, da das Feuer im Kamin ausgegangen war und das große Zimmer kalt wurde, ließ durch Luitgarde Alles herbeiholen, was zu einer Bowle nöthig war, und auch die jungen Leute und Miß Ruth mußten daran teilnehmen.

Ein allgemeines Gespräch über die politischen Zustände wurde ein wenig mühsam fortgesetzt, da Achim sich hütete, die Ansichten der alten Herren, die seinen liberalen Überzeugungen entgegenstanden, ernstlicher zu bekämpfen. Zuletzt, da es heute nicht zu dem gewohnten Spiel kommen sollte, waren Alle froh, als die Stunde schlug, wo man sich gute Nacht zu sagen pflegte. Von der Predigt des Candidaten war kein Wort gesprochen worden.

Am anderen Morgen konnte Achim kaum die Zeit erwarten, wo die Mama zu sprechen war. Auf seine Anfrage, wann er sie besuchen dürfe, ließ sie ihm sagen, es sei heute der Tag, wo sie dem Inspector ihre Weisungen für die Woche zu geben pflege. Hernach würde er sie im Wohnzimmer finden.

Er konnte auch Luitgard's nur flüchtig habhaft werden. Ohne daß Eins von ihnen sich darüber äußerte, fühlten doch Beide, daß etwas Schweres in der Luft sei, was sie gegen einander befangen mache. Sie fragte nur, ob sie irgend etwas gethan, was ihm mißfallen habe, da er ihr ernster als sonst unter vier Augen erschien. Er küßte sie, mühsam lächelnd, und suchte sie zu beruhigen. Er habe schlecht geschlafen, das starke Getränk habe ihn erhitzt, ein Gang durch den klaren Herbstmorgen werde ihm das Blut beruhigen.

Sie sah ihm seufzend nach, als er ins Freie ging. Zum ersten Mal hatte er nicht in sie gedrungen, ihn zu begleiten.

Erst gegen Mittag konnte er die Mama allein treffen. Er fand sie vor ihrem altmodischen Schreibsecretär, der neben einem der Fenster im Familienzimmer stand. Rechnungsbücher und Papiere waren vor ihr ausgebreitet, über die sie die bauchige Klappe zog, als Achim hereintrat.

Verzeihen Sie, liebe Mama, sagte er, ihr die Hand küssend, daß ich Sie an Ihrem Geschäftstage störe. Ich bitte aber nur um eine kurze Audienz in einer Sache, die mir sehr am Herzen liegt.

Nehmen Sie sich einen Stuhl, lieber Achim, und setzen sich zu mir, erwiderte sie. Sie sehen, ich habe mein heutiges Pensum abgeschlossen. Was bringen Sie mir?

Es wurde ihm schwer, diesen kühlen, forschenden Augen gegenüber sofort sein Herz aufzuschließen.

Meine theure Mama, sagte er endlich, wir sind gestern Mittag, kurz ehe Sie die Tafel aushoben, in ein Gespräch über die Predigt des jungen Warncke gerathen, auf die ich noch einmal zurückkommen möchte. Auch Ihnen hatte der heftige Ton, den der leidenschaftliche Bußprediger anschlug, mißfallen. Sie haben ihn aber mit seiner Jugend entschuldigt und die Hoffnung ausgesprochen, um mit Goethe zu reden, der Most, der sich etwas absurd geberde, werde doch noch einmal einen Wein geben. Nehmen Sie mir's nicht übel, liebe Mama, daß ich diese Hoffnung sehr problematisch finde, es wenigstens als ein Übermaß von Güte und Langmuth betrachten würde, wenn Sie Sonntag für Sonntag darauf warten wollten, ob Ihr guter Glaube sich bewähren würde.

Die kleine Frau saß aufrecht in den Kissen ihres Sessels, mit der rechten Hand hielt sie den goldenen Griff ihres Stocks umklammert, nur ein nervöses Zucken derselben verrieth, daß das Gespräch sie aufregte. Ich kann Ihnen nur wiederholen, lieber Achim, sagte sie, daß auch Sie, da Sie jung sind, in Ihrem Urtheil ebenso zu weit gehen wie Gotthold in seiner Weltanschauung. Das ist ja ein beneidenswerther Fehler, den man bekanntlich mit jedem Tage etwas mehr ablegt. Also kann ich auch heute nur wieder bitten, sich zu gedulden und den Einfluß der Zeit und freundlicher väterlicher Ermahnung abzuwarten.

Wie lange, liebe Mama? Wird Jahr und Tag schon genügen? Oder ist eine Sinnesänderung erst zu hoffen, wenn der neuernannte Pastor sich – verzeihen Sie den Ausdruck – die Hörner abgelaufen hat und graues Haar auf dem Kopfe bekommt? Und in all der Zeit sollen wir ruhig zu Füßen der Kanzel sitzen und mit anhören, daß die Gemeinde von Klein-Malchow aus Schächern und Sündern besteht, auf die der Fluch herabfahren werde? Ich wenigstens hätte nicht die Geduld, diese Kapuzinaden schweigend hinzunehmen.

Verlieren Sie nun nicht selbst das Maß, lieber Achim, indem Sie diese starken Worte brauchen? sagte Frau Karoline Erdmuthe mit scharfer, aber ruhiger Stimme. Sie sollten doch wissen, daß jenes Drohen mit den irdischen und Höllenstrafen zu dem rhetorischen Rüstzeug junger Seminaristen gehört, das sie eifrig gebrauchen auch bei unpassender Gelegenheit. Dieser Eifer wird sich schon darum legen, weil es dem Redner selbst bald genug langweilig werden wird, immer dasselbe zu sagen, zumal wenn er merkt, daß die harten Köpfe seiner Zuhörer sich nur gelassen schütteln, wenn er die Schalen seines Zornes über sie ausgießt.

Achim sah finster vor sich hin. Darin mögen Sie Recht haben, theure Mama, sagte er, wenn es auch eine gute Weile dauern möchte, bis dem jungen theologischen Heißsporn seine eigene Schülerweisheit verleidet wird. Was aber seine feindselige Gesinnung gegen mich betrifft –

Gegen Sie? Welchen Grund dazu könnte er haben? Er hat Sie ja vor drei Tagen zum ersten Mal gesehen.

Als ob man einen Scheffel Salz mit einander gegessen haben müßte, um zu wissen, ob man einander Freund oder Feind sein kann. Nein, theure Mama, beim ersten Blick, den er auf mich warf – freilich nur ein Scheelblick, da er die Augen ja gewöhnlich fromm niederschlägt –, beim ersten Wort zu mir erkannte ich, daß ich in ihm einen unversöhnlichen Gegner haben werde. Und die Gründe dieser Antipathie sind mir inzwischen klar genug geworden.

Gründe, zur Feindschaft gegen einen ihm völlig Fremden? Oder sollten Sie in Berlin sich schon begegnet sein? Hätten Sie ihn dort durch irgend Etwas verletzt, was er Ihnen nachträgt?

Ich habe ihm das Bitterste angethan, was ein Mann dem anderen anthun kann: ich habe mich mit dem Mädchen verlobt, das er seit Jahren leidenschaftlich liebt.

Frau Karoline rückte, wie in höchster Überraschung, ihren Stuhl und schüttelte den grauen Lockenkopf. Sie sehen Gespenster, lieber Achim! Wie wollen Sie einen so unsinnigen Aberglauben motiviren?

Erlauben Sie mir, diese Motivirung für mich zu behalten, theure Mama. Die Beweise für meine Behauptung gehören nicht mir allein an, doch wenn ich sie Ihnen vorlegen dürfte, würden auch Sie sich überzeugen, daß es kein Hirngespinnst ist, wenn ich den Haß dieses jungen geistlichen Herrn aus verschmähter, hoffnungsloser Liebe erkläre. Der Ingrimm darüber, seinen glücklichen Rivalen vor Augen zu haben, hat ihn so weit fortgerissen, daß er bei seiner ersten Predigt von der Kanzel herab gegen mich geeifert, mich als den bezeichnet hat, der mit schuld sei an der Abkehr der Gemeinde vom Gebote Gottes und darum am göttlichen Strafgericht, das die Klein-Malchower mit zwei schlechten Ernten heimgesucht habe. Er, der es sonst vermeidet, mich anzusehen, hat bei dieser Stelle einen Hassesblick auf mich geschleudert, der meine arme Seele tödtlich verwundet haben würde, wäre sie nicht im Panzer eines guten Gewissens gegen giftige Pfeile dieser Art geschützt. Können Sie aber verlangen, daß ich mich einem solchen Angriff öfter aussetze, wenn ich, nachdem ich meine liebe Braut heimgeführt haben werde, jeden Sonntag im Stuhl der Gutsherrschaft sitze und gegen ungerechte Anschuldigungen an heiliger Stätte machtlos bin?

Eine Pause trat ein.

Dann sagte die kleine Frau: In alle dem übertreiben Sie wieder. Ich habe von einer Neigung zu Luitgarde nie etwas bemerkt, wenigstens nicht in dem Grade, wie Sie ihm Schuld geben. Aber auch das, wenn es sich so verhielte, wird unschädlich schon in kurzer Zeit verschwinden. Einer vermählten jungen Frau gegenüber hoffnungslose Wünsche weiter zu hegen – nein, so weit wird Gotthold sich nicht vergessen. Und wenn Sie vornehm genug denken, um ihn eher zu beklagen als anzuklagen, wird sein Groll auch gegen Sie nicht Stand halten und sich zuletzt in Hochachtung verwandeln. Einer leidenschaftlichen Verblendung halte ich Gotthold fähig, einer unedlen Regung nie.

Einen Augenblick zögerte Achim mit der Erwiderung. Es widerstrebte ihm, selbst gegen diesen Feind, den er verachtete, eine Waffe zu brauchen, die ihm nicht ganz cavaliermäßig schien. Aber er überwand sich, da zu viel für ihn auf dem Spiele stand, und sagte: Was nennen Sie unedel, liebe Mama? Würde es Ihnen mit einem adeligen Gemüth vereinbar scheinen, eine Heuchlerrolle zu spielen?

Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Heuchler? Gotthold ein Heuchler?

Oder wie nennen Sie einen jungen Geistlichen, der die Einladung zum Mittagsessen bei seiner künftigen Gutsherrschaft ablehnt, um die sonntägliche Weihestimmung nicht zu verletzen, und an demselben Nachmittag mit einer kecken jungen Dirne sich in einem verliebten Ringkampf betreffen läßt?

Nun berichtete er kurz die Scene im Wäldchen, deren zufälliger Zeuge er gewesen war.

Als er schwieg, sah er, daß auch das Gesicht Frau Karoline's sich verfinstert hatte. Erst nach einem peinlichen Schweigen sagte sie: Auch diesen allerdings unliebsamen Vorfall sehe ich in milderem Lichte als Sie. Sie wissen nicht, daß Gotthold als Knabe der Spielgefährte meiner Tochter gewesen ist, deren Freundschaft mit dem wendischen Waisenkind ich dulden mußte, halb auch in der Hoffnung, auf ihre moralische Erziehung einzuwirken. In dieser Hoffnung täuschte ich mich, wie ich endlich einsah, und erlaubte von da an keinen näheren Umgang zwischen den Mädchen, indem ich Lischka in die Küche und Milchkammer zur Mamsell verwies. Ist es nun ein Verbrechen, daß Gotthold, der vor wenigen Tagen erst zu uns zurückgekehrt ist, die Jugendgespielin nicht stolz zurückwies, als sie sich in dem Wäldchen, wohin er sich, um einsam zu meditiren, zurückgezogen, mit ihren koketten Manövern an ihn drängte? Denn daß sie den ersten Schritt gethan, steht mir fest. Ich kenne sie zur Genüge aus früheren Vorfällen.

Erlauben Sie mir, theure Mama, hierin anderer Ansicht zu sein, versetzte Achim mit Nachdruck. Doch sei dem, wie ihm wolle: ein Mann hat zur Beurtheilung der sittlichen Anlage eines anderen Mannes einen sichreren psychologischen Blick als die feinfühligste Frau, die noch dazu durch eine alte Vorliebe befangen ist. Und so müssen Sie mir schon gestatten zu erklären, daß ich mich nie damit befreunden könnte, diesen Mann, der mich haßt, und den ich für einen Tartüffe halte, als Prediger und Seelsorger in der Kirche zu sehen, die ich jeden Sonntag zu besuchen gedenke, wenn ich das Glück gehabt habe, vor dem Altar dieser Kirche mit dem Weibe meines Herzens die Ringe zu wechseln. Sie haben erklärt, liebe Mama, daß Sie dem jungen Sohn Ihres alten ehrwürdigen Pastors die Pfarre versprochen hätten. Ich will nicht geltend machen, ob den anderen Pfarrkindern mit dieser Wahl ein Gefallen geschehen würde. Jedenfalls wird die Stimme des Kirchenpatrons den Ausschlag geben. Aber bedenken Sie, daß es besser ist, ein übereiltes Versprechen zurückzunehmen, als das Gewissen Vieler, die daran unbetheiligt waren, zu beunruhigen. Auch Ihre Tochter gehört zu diesen, fragen Sie sie selbst. Es kann Ihnen nicht schwer werden, Gotthold in irgend einer Weise für das zu entschädigen, was ihm hier verloren geht, und wenn es ihm um sein wahres Seelenheil zu thun ist, wird er selbst dazu mitwirken, sich den Verführungskünsten einer übermüthigen Jugendgespielin zu entziehen.

Frau Karoline erhob sich, schwerfällig auf ihren Stock gestützt. Ihr Gesicht hatte sich mehr und mehr geröthet, der kleine zierliche Mund einen immer schärferen Zug bekommen.

Auch wenn ich Ihnen in Allem beipflichte, sagte sie, ich wäre nicht im Stande, nach Ihrem Wunsch zu handeln. Ich habe Gotthold's Mutter auf ihrem Sterbebette in die Hand gelobt, ihrem einzigen Sohn die Mutter zu ersetzen, so weit es in meiner Macht stände, und ihm die Pfarre zu geben, sobald sein Vater dienstuntauglich geworden wäre. Ein so feierliches Gelübde zu brechen, werden selbst Sie mir nicht zumuthen. Wenn es gegen Ihr Gefühl geht, einen Geistlichen, der Ihnen unsympathisch ist, auf der Kanzel zu sehen, so müssen Sie sich schon darein finden, dem Gottesdienst fern zu bleiben, was Ihnen ja, wie Sie selbst sich geäußert, in der Stadt nicht gegen das Gewissen gegangen ist.

Sie wollte an ihm vorbei hinken, nach ihrem Schlafzimmer. Er hielt sie ehrerbietig an der freien Hand fest.

Verzeihen Sie, theure Mama, sagte er sehr ernst, Sie fassen die Lage doch nicht richtig auf. Ich habe Ihnen nicht verhehlt, daß ich in Berlin nur sehr selten eine Kirche besucht habe. Meine religiösen Bedürfnisse wurden dort nicht so befriedigt, wie ich wünschen mußte. Auf dem Lande, wo nicht, wie in der Stadt, mein Thun und Lassen unbeobachtet bleibt, würde ich eine Pflicht zu verletzen glauben, wenn ich nicht mit meinen Bauern dem sonntäglichen Gottesdienst beiwohnte, da ich der Meinung bin, die Gutsherrschaft müsse auch darin der Gemeinde mit ihrem Beispiel vorangehen. Andrerseits würde ich Schaden an meiner Seele leiden, wenn ich die Kirche besuchte, um dort mich jedes Mal in innerlichem Widerstreit mit einem Manne abzukämpfen, den ich dieser Stelle unwürdig glaube. Können Sie meine Empfindung in diesem Punkte nicht verstehen? Nun denn, so bleibt nur ein Ausweg: ich muß versuchen, ob ich meinen Widersacher dazu bringen kann, freiwillig das Feld zu räumen. Oder würden Sie es für Ihre Pflicht halten, theure Mama, Ihren Schützling trotz alledem in die Pfarre einzusetzen, auch wenn er selbst darauf verzichtete, daß Sie Ihr Gelübde gegen die todte Mutter erfüllten?

Sie überlegte einen Augenblick. Gern würde ich es auch dann nicht thun, sagte sie. Aber ich müßte mich wohl überwunden erklären und einen lieb gewordenen alten Wunsch aufgeben. Versuchen Sie also, was Sie erreichen können. Wie ich Gotthold kenne, wird keine Rücksicht etwa auf äußeren Vortheil oder Entschädigung ihn dazu bewegen, seiner Heimath den Rücken zu kehren.

*

Der dumpfe, metallene Ton, der zu Tische rief, schnitt Achim eine Erwiderung ab.

Er wäre nach dem peinlichen Gespräch am liebsten allein geblieben. Aber die halbe Stunde des Mittagsessens, die am Werktag auf dem Lande genügt, sich mit diesem Geschäft abzufinden, verlief minder unbehaglich, als er gefürchtet hatte. Der Gutsherr hatte einen Baumeister mitgebracht, den er wegen einer neuen Scheune und des Umbaues der Brauerei zu Rathe ziehen wollte, und da dieser vor Kurzem in Berlin gewesen war und verschiedene neue Bauten dort mit Interesse betrachtet hatte, bewegte sich die Unterhaltung um architektonische Fragen, und Achim konnte zwanglos daran Theil nehmen.

Zuweilen fühlte er den Blick Luitgarde's auf sich gerichtet und wußte, daß sie darauf brannte, über sein langes Gespräch mit der Mama, das sie beunruhigt hatte, irgend Etwas zu erfahren. Er hatte ihr nur zugeflüstert: Nachher, im Garten! Dahin folgte er ihr, sobald die Tafel aufgehoben war.

Er sagte ihr Alles, was verhandelt worden war. Auch die Scene im Wäldchen, die er belauscht hatte, verschwieg er ihr nicht. Sie hörte ihn mit zu Boden gesenkten Augen an. Das leise Zittern ihrer Hand, die er in der seinen hielt, verrieth ihre heftige Bewegung.

Dann, als er geendet hatte, sagte sie leise: Das ist sehr traurig. Und was soll nun werden? Was wirst du nun thun?

Was ich der Mama schon gesagt habe: versuchen, ob ich den Feind nicht im Guten zum Rückzug bewegen kann. Diese hochmüthigen Gesinnungsfanatiker – wenn ihr Vortheil ins Spiel kommt, lassen sie mit sich handeln, natürlich mit heuchlerischen Betheuerungen, auch das ihrem Gewissen schuldig zu sein.

Ich glaube, wandte sie schüchtern ein, du kennst ihn doch noch nicht genug. Was ich ihm angethan habe, wird er nie verwinden und mir nie verzeihen. Um es mich fühlen zu lassen, daß er die Macht hat, sich zu rächen, würde er lieber das Unangenehmste leiden, täglich einem verhaßten Gesicht zu begegnen. Liebster, beschlaf es noch eine Nacht. Du bist jetzt so aufgeregt, du könntest durch ein gereiztes Wort die Sache verschlimmern.

Sei ganz ruhig, liebes Herz, erwiderte er. Ich weiß, was auf dem Spiele steht, ich werde mit der kältesten Besonnenheit mit ihm verhandeln. Aber diese Last länger auf dem Herzen zu behalten, würde mich krank machen.

Sie begleitete ihn über den Hof bis an die Straße. Dort blieb sie im Thor stehen, winkte ihm mit traurigen Augen nach und sah ihn um die Ecke des Weges verschwinden.

Er stand dann einen Augenblick, um seine Gedanken zu sammeln und sich vollends zu beruhigen. Dann schritt er ohne Zögern auf das Haus neben der Kirche zu, wo der Pastor wohnte.

Die Magd, die er vor der Hausthür antraf, wies ihn auf seine Frage nach dem Herrn Candidaten zu einer Thür, die sich unten auf den schmalen Flur öffnete. Auf sein Anklopfen antwortete die bekannte scharfe Stimme: Herein! und Achim trat über die Schwelle.

Es war ein geräumiges, zweifenstriges Zimmer, das nach dem Pfarrgarten lag, einem Bauerngärtchen mit etlichen Obstbäumen, herbstlich verwahrlos'ten Beeten und einem Bienenstande, der jetzt wie ausgestorben erschien. Und doch machte der kleine, ungepflegte Bezirk mit seinen gelben Blättern und dürren Zweigen einen freundlicheren Eindruck als das Zimmer, durch dessen Fenster der falbe Herbsthimmel hereinsah. Neben dem einen stand ein schmales, hohes Pult, davor ein mit altem Leder überzogener Reitbock, an der kahlen, weißgetünchten Wand gegenüber zwischen zwei Büchergestellen ein kleines eingesessenes Sopha, darüber das Bildniß Luther's in einer schlechten Lithographie nach einem der Cranach'schen Portraits, und ein runder Tisch davor, auf dem ein ordinäres Kaffeegeschirr stand. Sonst nur ein paar Stühle, gleich dem Sopha mit schwarzem Haartuch überzogen, und ein Wandschränkchen, dessen offene Thüren einen Haufen Mappen und Manuscripte sehen ließen. Alles machte den Eindruck einer gesuchten Einfachheit, wie die Zelle eines Mönchs in einem Kloster, das einer strengen Regel unterworfen ist.

Bei Achim's Eintritt erhob sich der Candidat von dem Sopha, auf dem er, in eine Zeitschrift vertieft, gesessen hatte. Sein Gesicht wurde von einer flüchtigen Röthe überzogen, die sogleich wieder verschwand, seine Augen suchten nach einem kurzen Aufblick wieder den Boden, und indem er mit einer steifen Verbeugung dem Besucher einen Schritt entgegentrat und einen Stuhl an das Sopha rückte, bot er Achim den Sitz an, den er selbst eben verlassen hatte, und fragte mit einem geschäftsmäßig höflichen Ton, was ihm die Ehre eines Besuchs des Herrn Assessors verschaffe.

Ich möchte Sie nur um eine kurze Unterredung bitten, Herr Candidat, sagte Achim, indem er sich, das Sopha ablehnend, auf dem Stuhl niederließ. Der Andere, der am Tische stehen blieb, beide Hände auf die Platte gestützt, verneigte sich wieder leicht und sagte: Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Herr von Blankenhagen.

Ich bin gekommen, fuhr Achim fort, die Augen ruhig auf den kahlen Apfelbaum draußen geheftet, um mich über das Verhältniß, das zwischen uns Beiden besteht, mit Ihnen auszusprechen. Ich glaube mich nicht darüber zu täuschen, daß dieses Verhältniß – von Ihrer Seite – nicht das freundlichste ist, wenigstens nicht so freundlich, wie es für zwei junge Männer, die nachbarlich miteinander verkehren sollen, wünschenswerth sein muß. Ihre abwehrende Geberde, Herr Candidat, kann mich in dieser Überzeugung nicht irre machen. Die Sache ist ja auch natürlich. Um von anderen Motiven Ihrer Abneigung gegen mich zu schweigen, der Gegensatz unserer Anschauungen und Begriffe von göttlichen und weltlichen Dingen genügt, eine Kluft zwischen uns zu etabliren. Gleich am ersten Abend, wo wir uns kennen lernten, hat sich das gezeigt, und Ihr lebhaftes Temperament hat Sie dazu fortgerissen, mich in so starken Ausdrücken zu bekämpfen, wie man sie in einem intimen gesellschaftlichen Kreise sonst zu vermeiden pflegt. Sie werden das nicht leugnen, Herr Candidat.

Gewiß nicht, versetzte der Andere. Ich bin es nicht gewohnt, bei dem Aussprechen meiner innersten Empfindungen, da, wo sie heilige Dinge betreffen, mir durch irgend welche Salonrücksichten Zwang auferlegen zu lassen.

Auch habe ich nicht das Recht, Ihnen hierin Vorschriften zu machen, versetzte Achim. Anders liegt die Sache, wenn Sie als Priester von der Kanzel herab sprechen. Ich wenigstens kann es mit der Heiligkeit der Stätte nicht vereinbar finden, daß Sie einer persönlichen Gegnerschaft in Ihrer Predigt Ausdruck geben, wie Sie es durch den offenbaren Hinweis auf mich, als den Vertreter von Irrlehren, gethan haben. Ich möchte fragen, ob Sie auch das für Ihre Pflicht halten, in der Sie sich durch keine Rücksicht der Nächstenliebe und des kirchlichen Friedens einschränken lassen wollen.

Der Candidat antwortete nicht sogleich. Er preßte die vollen Lippen zusammen und drückte die Augen ein. Nach einer kurzen Pause sagte er: Über das, was ich in meinem geistlichen Amt zu thun und zu reden für gut und nöthig halte, bin ich eigentlich nur meinen geistlichen Vorgesetzten Rechenschaft schuldig. Da es aber scheint, als liege Ihnen daran, zu erfahren, wie ich mich in diesem Punkte auch fernerhin zu verhalten gedenke, will ich erklären, daß ich auch von der Kanzel herab alles das mit Namen nennen und brandmarken werde, was ich als dem Reiche Gottes und dem Seelenheil meiner Gemeinde schädlich und nachtheilig erkannt habe.

Ich danke Ihnen für diese offene Erklärung, Herr Warncke, versetzte Achim, und kann sie nur mit der ebenso unumwundenen erwidern, daß ich anderer Ansicht bin und eine Kirche nicht besuchen würde, in der mich der Prediger vor der ganzen Gemeinde gewisser Vergehungen und Fehler anklagt, obwohl ich meine Vertheidigung nicht führen kann, da der Kirchenstuhl keine Armsünderbank ist. Sie wissen, daß ich nach meiner Vermählung mit der Tochter des Gutsherrn an den Rechten desselben meinen gebührenden Antheil erhalten und als künftiger Kirchenpatron dem Gottesdienst beiwohnen werde. Als solcher muß es mir daran liegen, mit dem Geistlichen des Dorfes, in dem ich lebe, in Frieden und Freundschaft zu leben, was nicht ausschließt, daß man über manche theologische Streitfragen und Forderungen des religiösen Bewußtseins verschiedener Ansicht ist. Diese Differenzen aber öffentlich zur Sprache zu bringen, wäre entschieden gegen die Würde des Patrons, der sich darum eine Katechisirung von der Kanzel herab ernstlich verbitten müßte.

Gotthold's Gesicht überflog eine dunkle Röthe. Sobald ich keinen Namen nenne, werden Sie mir auch fernerhin gestatten, meinem theologischen Gewissen in der Hoffnung, dadurch eine verirrte Seele zur wahren Erkenntniß zurückzuführen, auch in der sonntäglichen Predigt Luft zu machen. Eine Appellation an das Consistorium würde, wie ich überzeugt bin, mir die Berechtigung dazu nicht streitig machen.

Achim stand auf. Ich sehe mehr und mehr, daß wir uns nicht verständigen werden, sagte er. Sie sind in einer so gereizten Stimmung gegen mich, daß Sie von vornherein jeden Versuch eines Compromisses abschneiden. Ich bedaure das, auch Ihretwegen. Ein Seelsorger würde in feinem eigenen Interesse wohlthun, vor allem in Frieden und Verträglichkeit mit seinen Nächsten zu leben, zumal wenn er in mancher Hinsicht von ihnen abhängig ist.

Sie vergessen sich, unterbrach ihn der Candidat, dessen Augen aufblitzten. Niemand ist unabhängiger als der Diener des Herrn, der nur Gott und sein Gewissen über sich hat.

Mag es so sein! sagte Achim. Ich will auf dem Wort nicht bestehen, obwohl die Ausübung des Patronatsrechts eine gewisse oberherrliche Gewalt zu bedingen scheint. Indessen nehmen wir an, es seien zwei gleichberechtigte Mächte, der Gutsherr und der Pastor, jedenfalls kann der Erstere verlangen, daß ihm die kirchliche Andacht durch Übergriffe des Predigers nicht gestört werde. Und da Sie darauf bestehen, in dieser Hinsicht sich nicht beschränken lassen zu wollen, muß ein Ausweg gesucht werden, um nicht einen unerträglichen Zwist fortwuchern zu lassen, der ebenfalls und in nicht gelinderem Maße, als der Prophet ihn dem sündigen Volk angedroht hatte, zu einem Fluch werden wird.

Der Candidat heftete zum ersten Mal einen langen Blick auf seinen Gegner, wie um dessen Absichten zu erforschen. Ich verstehe Sie nicht. Welchen Ausweg haben Sie im Sinn?

Daß jenes unerträgliche Verhältniß dadurch geändert wird, daß der eine Theil sich zurückzieht. Und da der Gutsherr durch seinen Besitz an die Scholle gefesselt ist, wird der Geistliche weichen müssen.

Ein kurzes höhnisches Auflachen war die Antwort. Sie meinen – ich solle auf die Pfarre verzichten? Das würde allerdings der sicherste und radicalste Ausweg sein. Aber Sie werden mich entschuldigen, wenn ich nicht die geringste Lust habe, dieses Mittels zum Frieden mich zu bedienen, das meine ganze Existenz vernichten, mich von meiner Heimath und meinem alten Vater trennen und ins Ungewisse hinaus schleudern würde. Glücklicher Weise ist dazu keine Gefahr. Ich habe das Versprechen der Gutsherrschaft, daß ich meinem Vater im Pastorat folgen soll. Herr von Benkendorf und seine Gemahlin nehmen es gottlob ernster mit einem gegebenen Wort, als Sie ihnen zuzutrauen scheinen.

Gewiß, Herr Candidat, versetzte Achim, immer sehr gelassen, so sehr es in ihm kochte, meine Schwiegereltern denken nicht daran, ihr Wort zu brechen. Es wird also allein auf Sie ankommen, ob Sie sich nicht doch entschließen wollen, auf jenen Ausweg einzugehen. Bei Ihren Gaben und Kenntnissen und dem glänzenden Zeugniß, das man Ihnen im Seminar ausgestellt hat, wird es Ihnen leicht werden, eine Stelle zu finden, wo das, was Ihnen hier im Wege steht, Ihnen eher zur Empfehlung dient, der rigorose Eifer, mit dem Sie Ihren Beruf als Seelsorger auffassen. Nicht nur bin ich bereit, bis zu Ihrer Anstellung Ihnen das Gleiche zu sichern, was die Pfarre in Klein-Malchow trägt, sondern um diese nämliche Summe auch Ihren späteren Gehalt zu erhöhen und mich notariell zu verpflichten, daß dies bis an Ihr Lebensende fortdauern soll. Vielleicht ist Ihnen selbst dies freundschaftliche Übereinkommen denn doch erfreulicher, als ein fortgesetzter Kriegszustand, und auch Ihr Herr Vater, denk' ich, wird es zufrieden sein und seine letzten Tage auch an anderem Orte gern bei seinem Sohn zubringen.

Nein, fügte er hinzu, als der andere eine hastige Bewegung machte, antworten Sie mir nicht gleich, Überlegen Sie meinen wohlwollenden Vorschlag und sagen mir morgen, wozu Sie sich entschlossen haben. Ich hoffe, über Nacht kommt Ihnen die Erleuchtung, daß es so für alle Theile das Beste sein wird.

Er stand auf, nahm seinen Hut vom Tisch und wollte nach der Thür gehen.

Der Candidat vertrat ihm den Weg. Noch einen Augenblick, Herr Assessor, sagte er mit heiserer Stimme, die von verhaltener Wuth zitterte. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich einer Bedenkzeit bedürfte, um die Schmach, die Sie mir zumuthen, in einem günstigeren Lichte zu sehen. Sie haben mir angesonnen, meine Überzeugung für Geld preiszugeben, und fügen zu der Beleidigung, einen Diener des Herrn bestechen zu wollen, den Hohn hinzu, dies als einen freundschaftlichen Vorschlag zu bezeichnen. Wenn ich vergäße, was einem Christen Spott und Beschimpfung gegenüber geziemt, würde ich Ihnen eine Antwort geben, die Sie wie ein Schlag ins Gesicht treffen würde. Statt dessen wird meine Rache nur sein, daß ich es Ihnen und Ihrer künftigen Frau Gemahlin auch fernerhin nicht erspare, mein Ihnen widerwärtiges Gesicht zu sehen und mit anzuhören, was ich auf der Kanzel zu sagen für meine Pflicht halte. Hiermit wäre unser Gespräch ja wohl zum Ende gelangt.

Er machte mit einem eisigen Lächeln, das verrieth, wie er im Herzen triumphierte, den Feind in seiner Gewalt zu haben, eine Bewegung mit der Hand nach der Thür und verneigte sich tief, während Achim ohne Wort und Gruß das Zimmer verließ.

*

Im Wohnzimmer des Schlößchens fand er Mutter und Tochter am Kamin, die Mama mit ihrer Stickerei, Luitgarde ein Buch in der Hand, aus dem sie vorgelesen zu haben schien. Sie ließ es in den Schooß sinken und hob die Augen, die noch die Spuren vergossener Thränen zeigten, mit gespannter Miene zu dem Eintretenden auf.

Auch die Mutter wandte sich zu ihm, aber mit völlig gelassener Geberde. Was bringen Sie uns, lieber Achim? Sie wollten unseren Gotthold besuchen. Nun, wie haben Sie ihn gefunden?

Ganz, wie Sie es erwartet hatten, liebe Mama. Er beharrt dabei, daß nach Ihrem Versprechen die Pfarre von Klein-Malchow ihm von Rechts wegen zukomme. Die angebotene Vergütung dafür, daß er sich entschlösse, seine theure Heimath aufzugeben, hat er mit Entrüstung zurückgewiesen. Sein Haß gilt ihm mehr als alle Schätze der Welt.

Sie thun ihm wieder Unrecht, lieber Achim. Sie sollten anerkennen, daß sein Benehmen, wenn es Ihnen auch unerwünscht ist, doch für eine charaktervolle Gesinnung zeugt. Mögen Sie ihn unvernünftig finden, da er auf Ihre Gründe nicht eingehen will, jedenfalls seien Sie nun der Vernünftigere, der nachgiebt.

Theure Mama, erwiderte Achim mit einem schmerzlichen Achselzucken, bedenken Sie, daß ich den Vorzug, der Vernünftigere zu sein, mit dem Bewußtsein erkaufen würde, mich als den Charakterloseren zu zeigen. Er und ich – wir können nun einmal nicht dieselbe Luft athmen. Wenn er mir nicht aus dem Wege gehen will, bleibt nichts übrig, als daß ich mich entferne, natürlich nicht im Sinne des Nachgebens, sondern an einen Ort mich zurückziehe, wo ich ruhig fortfahren kann, den neuen Pfarrer von Klein-Malchow für einen bösartigen Heuchler zu halten, ohne Schaden an meiner Seele zu leiden, wenn ich ihn trotzdem allsonntäglich auf der Kanzel sähe. Und dazu müssen Sie mir helfen, theure Mama!

Er hatte sich zu ihr herabgebeugt, ihre Hand ergriffen und mit ungewöhnlicher Wärme seine Lippen darauf gedrückt.

Frau Karoline sah mit fragendem Erstaunen zu ihm auf. Ich, Herr von Blankenhagen? Was kann ich dabei thun?

Meine innige Bitte erfüllen, theure Mama, und mich von dem Gelübde entbinden, meine junge Ehe hier unter Ihrem Dache zu beginnen und fortzuführen.

Mit einer hastigen Bewegung entzog sie ihm die Hand. Zwischen ihren himmelblauen Augen erschien eine tiefe Falte, der kleine Mund preßte sich scharf zusammen. Es kostete sie offenbar eine große Anstrengung, auf Achim's Bitte eine Antwort zu finden, die in den Grenzen eines ruhigen Gespräches blieb.

Ich wundere mich, sagte sie endlich, daß Sie eine solche Bitte an mich stellen können, die mir das schwerste Opfer, das ein Mutterherz bringen kann, wie ganz selbstverständlich zumuthet, nur damit Sie selbst nicht genöthigt sind, ein Opfer zu bringen. Das hätte ich bei Ihrer sonstigen Ritterlichkeit nicht von Ihnen erwartet. Sie wissen, daß ich viel Bitteres im Leben erfahren und keinen wahren Trost und Ersatz dafür empfangen habe, als die Liebe des einzigen Kindes, das der Himmel mir gelassen hat. Sie selbst haben das anerkannt, als Sie auf die Bedingung eingingen, unter der ich das Kind mit Ihnen verlobte. Können Sie selbst es nun über sich gewinnen, mich dieses letzten Glückes zu berauben, meine Tochter und – wenn Ihnen Gott Kinder giebt – auch meine Enkel mir zu entziehen, nur um einer leidenschaftlichen Feindseligkeit gegen einen Menschen auszuweichen, dessen Dasein Sie, wenn Sie ernstlich wollten, zu ignoriren sich gewöhnen könnten?

Es wurde einen Augenblick still in dem weiten Raum. Achim war an den Kamin getreten und stieß mit dem Fuß ein Scheit, das heraus fallen wollte, wieder in die Glut zurück.

Meine theure Mama, sagte er dann, Sie bezeichnen die Sache nicht ganz richtig. Mein Verhältniß zu Ihrem Schützling beruht nicht auf einer theologischen Grille, sondern auf dem tiefsten Grunde meiner Seele und meines Charakters. Nicht um eine Antipathie handelt sich's, die man allenfalls bekämpfen kann, sondern um eine Pflichterfüllung, die ich mir und dem Kreise, in dem ich künftig leben soll, schuldig bin. Es wäre für mich eine moralische Unmöglichkeit, hier nachzugeben und dem hämischen Gegner das Feld zu lassen.

Frau Karoline nickte ein paar Mal mit einem strengen Gesicht vor sich hin. Ja, ja, sagte sie, so sind die Menschen. Etwas zu thun, wozu sie sich selbst bezwingen müßten, erklären sie für eine moralische Unmöglichkeit. Anderen aber muthen sie es zu, dem armen Gotthold, der immerhin ein etwas echauffirter Kopfhänger sein mag, daß er Ordre parire, wenn der junge Gutsherr ihm seine Extravaganzen verweist, und mir, mich ohne mein Kind zu behelfen. Nun, es wird ja nicht lange dauern, so kommt mein Wunsch und Wille, mein Herzensbedürfnis; überhaupt nicht mehr in Betracht, dann kann über meinem Grabe –

Luitgarde zuckte, wie von einem Schlage getroffen, zusammen. Mama! rief sie, o Mama, wie kannst du uns so tief kränken, ein solches Wort – habe ich das um dich verdient? – habe ich jemals vergessen, daß es meine erste und heiligste Pflicht ist, für den unersetzlichen Verlust, den du erlitten hast, wenigstens so viel in meinen Kräften steht – nein, so etwas darfst du nicht sagen, wenn du mir nicht das Herz zerreißen willst!

Sie war vor die Mutter auf den Teppich geglitten und lag, in Thränen ausbrechend, das Gesicht an ihre Kniee gedrückt.

Der bewegliche Anblick, statt Achim zu rühren, ließ aber ein bitteres Gefühl und die schmerzliche Ahnung in ihm aufsteigen, daß diese kaltsinnige kleine Frau die Seele ihres Kindes fester in ihrem Bann hielt, als er wünschen mußte.

Ich wage Sie daran zu erinnern, theure Mama, daß Ihr Fall von dem meinen doch wesentlich verschieden ist, sagte er endlich. Wie könnte ich mich so weit vergessen, Ihnen Luitgarde rauben zu wollen! Aber gehört sie Ihnen weniger an, wenn Sie sie an einem Orte glücklich wissen, von wo aus sie täglich mit der Fahrt einer Stunde Sie erreichen kann? Wo auch Sie, so oft das Herz Sie dazu treibt, sich überzeugen können, daß sie noch für Sie da ist, wenn sie auch als meine Frau einen Theil ihrer Liebe und Pflichten auf mich übertragen hat? Welche moralische Unmöglichkeit läge darin, mir so weit entgegenzukommen? Sie hätten dabei keine sittliche Pflicht zu verleugnen, nur etwas von der Freude des täglichen Beisammenseins aufzugeben. Und das sollte Ihrem Mutterherzen unerschwinglich scheinen? Diese Bitte sollten Sie mir verweigern, wenn Sie damit dem Manne Ihrer geliebten Tochter aus einer sonst unentwirrbaren Collision der Pflichten heraus helfen können?

Luitgarde sah mit einem flehenden Blick zu der schweigenden Mutter empor und drückte ihre nassen Augen gegen die kleine kühle Hand, die sie mit ihren beiden ergriffen hatte.

Auch Achim war dicht an sie herangetreten. Es schien, als wolle er sich neben seiner Liebsten der unerbittlichen Egoistin zu Füßen werfen. Aber der Eintritt des Papa's, der ahnungslos die Thür öffnete, hielt ihn zurück.

*

Der alte Herr hatte den Baumeister, dessen Vorschläge seinen vollen Beifall hatten, eine Strecke weit nach dem Städtchen zu begleitet und war dann in der besten Laune zurückgekehrt.

Da treff' ich ja das ganze theure Kleeblatt in der schönsten Intimität! rief er. Was habt ihr denn der gütigen Mama wieder abgebettelt? Einen noch früheren Termin der Hochzeit? Meinetwegen! Aber das bitt' ich mir aus, mein Schneider muß Zeit behalten, mir einen hochzeitlichen Anzug zu bauen. In meinem antediluvianischen Frack –

Das Lachen erstarb ihm in der Kehle, als er den Blick seiner kleinen Frau mit einem strengen Ausdruck auf sich gerichtet sah.

Luitgarde erhob sich.

Achim trat auf den alten Herrn zu und sagte: Gut, daß du kommst, Papa. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen und dein Fürwort zu erbitten. Verzeih, liebe Mama, ich mag Alles, was ich Ihnen schon gebeichtet habe, nicht noch einmal in Ihrer Gegenwart vortragen. Ich werde es so kurz als möglich machen. Möchtest du einen Augenblick mit mir ins Eßzimmer treten, lieber Papa?

Der Alte, in höchster Betroffenheit, da er von irgend welchen unliebsamen Vorfällen seit diesem Mittag nichts ahnte, folgte ihm in das Nebenzimmer.

Sie blieben dort kaum eine Viertelstunde allein, die Luitgarde eine Ewigkeit dünkte.

Dann erschienen sie wieder, der alte Herr mit einem Gesicht, dessen Ausdruck ängstlich gespannt und tief sorgenvoll war.

Was Achim mir da mitgetheilt hat, liebste Karoline, sagte er, – ich bin wie aus den Wolken gefallen. Ich merkte wohl, es war nicht Alles richtig zwischen den jungen Herren, aber eine solche Erbitterung, eine Feindschaft bis aufs Messer – und da der Eine ein junger Gottesmann ist, kann der Handel auch nicht einmal mit den Waffen in der Hand zum Austrag kommen! Eine ganz verwünschte Geschichte, ein Conflikt zum Haarausreißen! Denn ich muß dir ja Recht geben, Mama, du hast Achim's Wort, und wenn er jetzt dich bittet, ihn dessen zu entbinden – hm! Leicht kann dir's nicht werden. Aber am Ende, Line, wenn doch kein anderes Mittel ist, zu einem Ausgleich zu kommen – darin hat er ja wieder Recht, die Kinder können mit einem Katzensprung bei dir sein, und für dich, da die Chaussee zwischen den beiden Gütern erst vorm Jahr reparirt worden ist –

Er stockte und suchte mit einem Hustenanfall über seine Einschüchterung durch die gebieterische Miene seiner Frau hinwegzukommen.

Ich sehe, sagte sie mit ihrer schneidend kalten Stimme, auch du bist in der Verschwörung gegen mich. Trotzdem werde ich mich keinen Finger breit von dem, was ich für das Rechte und mir Gebührende erkannt habe, abdrängen lassen. Meinen Sohn habe ich hingeben müssen. Das war der Wille des Herrn, dem ich mich in Demuth zu beugen habe. Meine Tochter will ich behalten. Wenn ich in Einem nachgebe, wird mir nach und nach Alles entrissen, und ich sitze in meinem Alter hier völlig verlassen und verwaist, wie es mir als Schreckgespenst vorschwebte, als ich vor Luitgarde's Verlobung die Bedingung machte, die ich nun fallen lassen soll. Sie mögen überlegen, was wichtiger ist, lieber Achim: Ihre moralische Unmöglichkeit oder die meine. Vielleicht sehen Sie die Sache morgen früh anders an. La nuit ports conseil. Jetzt wünsche ich mich zurückzuziehen und für den Rest des Tages mit meinen traurigen Gedanken allein zu bleiben. Gute Nacht, liebes Kind! Gute Gedanken, Herr von Blankenhagen!

Sie küßte Luitgarde auf die Stirn, nickte Achim zu und hinkte, ohne den Arm ihres Gatten anzunehmen, in ihr Schlafzimmer.

*

Die drei Menschen waren in sichtbarer Verstimmung zurück geblieben.

Achim stand am Kamin und sah auf Luitgarde, die in einen Stuhl gesunken war und regungslos dasaß, die Augen zugedrückt, die Hände auf den Knieen gefaltet, wie in einem inbrünstigen Gebet.

Der Papa ging, die Hände in den Taschen seiner Pekesche, finster zu Boden blickend, mit heftigen Schritten im Zimmer auf und ab, von Zeit zu Zeit ein Knurren ausstoßend oder ein paar Sätze eines abgerissenen Selbstgesprächs, von dem man nur immer wieder die Worte verstand: Unsinn! Das ist ja baarer Unsinn! Endlich trat er dicht an Achim heran, schlug ihm mit der breiten Hand auf die Schulter und sagte: Kopp hoch, mein Sohn! Es wird nichts so heiß ausgegessen, wie's gekocht wird. Was? Dieser kleine Bußpfaffe und Bilderstürmer will hier commandiren und uns in die Suppe spucken? Da schlag' doch Gott den Deubel todt! Nee, mein junger Tückebold, wir sind auch noch da, und auf seinem eigenen Grund und Boden läßt der alte Benkendorf sich Niemand über den Kopp wachsen. Freilich, die Mama – aber auch die wird sich geben. Hat doch auch der große Napoleon sein Moskau gefunden, und der kleine wird's billiger geben. Du mußt ihr das nicht so übel nehmen. Frauenzimmer, weiß man ja, was die sich in den Kopp gesetzt haben – und am Ende, seit zehn Jahren hat sie diesen Gedanken cajolirt, den Sohn ihrer Freundin – na und so weiter. Aber wenn ich ihr den Standpunkt klar mache – du verlangst ja, weiß Gott, nichts Unbilliges und Unmenschliches – wartet nur hier, Kinder, ich gehe gleich zu ihr hinein und bringe den verfahrenen Karren wieder ins richtige Geleise.

In der That ging er nach der Thür, klopfte aber höflich an und trat erst, als Herein! gerufen war, in das Zimmer seiner Frau. Man hörte ihn drinnen mit sehr gedämpfter Stimme reden. Die Worte blieben unverständlich.

Sobald sie allein waren, trat Achim auf Luitgarde zu, strich ihr sanft über das Haar und sagte: Sei nicht so verzweifelt, liebstes Herz! Es wird ja noch Alles gut werden. Das Einzige, was untröstlich wäre, daß man unsere Herzen auseinanderrisse, ist ja undenkbar!

Sie öffnete die Augen, doch ohne zu ihm aufzublicken. In die Hand, die er ihr hinhielt, legte sie nur schlaff die ihre und erwiderte den Druck nicht.

Dann sagte sie nach einer Weile, während sie unverwandt in die Glut starrte: Du mußt Geduld mit mir haben, Achim. Ich bin ein ungelehrtes Mädchen und verstehe nichts von eurer spitzfindigen Theologie und Philosophie. Nur eins mußt du mir sagen: Was bedeutet diese »moralische Unmöglichkeit«? Was man sonst moralisch nennt, steht doch nicht im Widerspruch mit Liebe und Nachgiebigkeit. Du aber bestehst hartnäckig auf deinem Willen, obwohl die Mama eine schwache Frau ist und du sonst gegen unser Geschlecht so ritterlich zu sein pflegst. Warum ist es dir nun »moralisch« unmöglich, ihr auch dies Mal nachzugeben, so schwer es dich ankommen mag?

Das Mißverständniß hätte ihm sonst vielleicht ein Lächeln abgelockt. Jetzt sagte er ganz sanft und ernsthaft: Das Wort moralisch, Liebste, bezeichnet in diesem Falle nichts Sittliches, sondern nur den Gegensatz gegen das Physische, des Innerlichen gegen das Äußerliche. Die äußeren Umstände könnten mich ja nicht hindern, trotz meines Widerwillens gegen diesen Tartüffe hier meinen Herd aufzuschlagen. Aber die innere Überzeugung, mich damit feige in etwas zu fügen, was ich für unheilvoll in jeder Hinsicht halte, macht es mir zur moralischen Unmöglichkeit. Verstehst du nun, wie es gemeint ist? Kannst du dich jetzt in meine Seele hineindenken und begreifen, daß ich eine heilige Pflicht verletzen würde, wenn ich nach Allem, was vorgefallen und was ich diesem rachedurstigen Heuchler gesagt habe, jetzt dennoch mich ihm überwunden gäbe?

Sie antwortete nicht sogleich. Dann, mit einem halben Eindrücken der Augen, wie immer, wenn sie scharf nachdachte oder etwas Kluges sagen wollte: Aber die Mama hat doch auch erklärt, daß es für sie eine moralische Unmöglichkeit sei, nachzugeben. Was soll daraus werden? Zwei gleich harte Steine prallen da zusammen, und zwischen ihnen liegt unser Glück, das jammervoll zerquetscht wird.

Liebes Herz, sagte er, es macht mich traurig, daß du den Unterschied nicht einsehen willst. Was ich Mama zu opfern zumuthe, ist nur eine geringe Einbuße an ihrem bisherigen Behagen, ihrem stündlichen Beisammensein mit ihrer Tochter. Mich würde die charakterlose Nachgiebigkeit in meinem innersten Gefühl, meiner Selbstachtung vernichten. Möchtest du einen Mann haben, von dem du wüßtest, daß er ehrlos gehandelt und sich unter sich selbst erniedrigt hätte?

O, Achim, sagte sie nach einer Pause, das ist eben das Schmerzliche für mich. Du hast mir so oft gesagt und geschrieben, du liebtest mich über Alles. Nun mußt du zugeben, daß du etwas noch mehr liebst als deine arme kleine Braut, den Respect vor dir selbst. Auch wird dir die Wahl nicht schwer werden. Hast du nicht hier auf dieser selben Stelle den Satz behauptet, den meine Mutter paradox nannte: Der Mensch thue immer das, was ihm das Liebste sei? Dein Liebstes, so glaubte ich bis heute, sei ich gewesen. Jetzt seh' ich ein, daß du es für das kleinere Übel hältst, mich zu verlieren, wenn du nur gegen die Mama Recht behalten kannst.

Ein schneidendes Weh durchzuckte Achim bei diesen Worten. Es war nicht die logische Confusion in dem reizenden Kopf seiner jungen Braut – die hätte er ihr gern verziehen –, aber daß ihr Herz sich nicht über alles Unverstandene hinweg auf seine Seite stellte, nicht an ihm fest hielt, auch wenn sie ihn im Unrecht geglaubt hätte, daß sie es aussprechen konnte, sie würde hoffnungslos für ihn verloren sein, wenn er auf dem beharrte, was er seiner Ehre schuldig zu sein glaubte, das überschauerte ihn mit einer tödtlichen Bangigkeit. Ja, liebes Herz, sagte er endlich, das eben ist so schmerzlich an solchem Zwiespalt zweier Pflichten, daß, wie man sich auch entscheiden mag, immer eine Wunde im Gewissen zurück bleibt. Wie oft kann selbst der redlichste Wille, die ernsteste Prüfung nicht klar erkennen lassen, welche von den beiden Pflichten die höhere ist. Das Herz neigt sich nur zu gern auf die Seite der leichteren und lieberen. Ob ich selbst standhaft bliebe, wenn mich nicht die Hoffnung aufrecht hielte, die Mama dennoch von meinem besseren Recht zu überzeugen – o, meine einzige Geliebte, ich will mich nicht besser machen als ich bin! Ich vertraue ja auch auf dich – du wirst in diesem traurigen Zwiespalt auf meiner Seite bleiben – wirst du nicht? Ist es zu denken, daß wir dann nicht zuletzt siegen werden?

Sie antwortete nicht. Sie hatte ihm ihre Hand entzogen und sich gegen die Wand gewendet. Ehe er noch weiter sprechen konnte, trat der Papa wieder ein. Der alte Herr ging auf den Zehen, wie wenn er von einer Schwerkranken käme. Sie ist sehr angegriffen, sagte er, hat ihre Tropfen genommen, und die Marie reibt ihr die Stirn mit Eau de Cologne. Ich habe daher nicht von der Sache anfangen können, es ist auch vielleicht besser, es bis morgen zu verschieben, wenn sie erst einmal ruhiger geworden ist. Dafür will ich's gleich an einem anderen Zipfel anfangen und meinem alten Freund Warncke zur Pflicht machen, seinem Herrn Sohn die Leviten zu lesen. Die patria potestas ist ja leider heutzutage nur ein Erbstück aus der guten alten Zeit, das die neue zum alten Eisen geworfen hat. Aber der junge Gottesmann wird sich vielleicht, wenn es ihm sonst genirlich wäre, klein beizugeben, nun doch daran anklammern, daß er nur aus Pietät das Anerbieten annimmt, lebenslänglich eine so ansehnliche Pension zu genießen neben seinen Pfarreinkünften. Ihr sollt sehen, ich bringe das heute noch zu Stande.

*

Er hatte sich doch wohl zu viel zugetraut. Wenigstens berührte er den Besuch bei dem alten Pastor mit keinem Wort, als sie beim Abendessen sich wieder zusammenfanden, außer den Dreien nur noch die gute Miß Ruth. Anfangs bemühte er sich, seine Verlegenheit hinter einer gezwungenen humoristischen Laune zu verbergen. Als aber über die Späße, die er machte, Niemand außer ihm selbst lachen wollte, verstummte er plötzlich ganz. Die Schottin, der die verworrene Lage im Hause kein Geheimniß geblieben war – Luitgarde war mit ihrem Kummer zu der alten Getreuen geflüchtet, nachdem Achim sie verlassen hatte –, suchte die dumpfe Stimmung bei Tisch zu bannen, indem sie Achim in ein eifriges Gespräch über Carlyle und Macaulay verwickelte. Luitgarde, obwohl sie Manches von Beiden gelesen hatte, gab kein Wort dazu. Eine Starrheit war über sie gekommen, die selbst die Züge ihres Gesichts verwandelt erscheinen ließ, um zehn Jahre älter und von so durchsichtiger Blässe wie ein Wesen, das lange ohne Luft und Licht in einem Gefängniß gelebt hat.

Achim bemerkte es wohl. Zu jeder anderen Zeit würde es ihn heftig bekümmert und geängstigt haben. Das bittere Gefühl aber, daß er sich in ihr getäuscht, ließ jetzt noch keine zärtliche Regung des Mitleids in ihm aufkommen.

So trennte man sich gleich nach der Mahlzeit, ohne sich erst noch um den Kamin zu versammeln. Luitgarde begleitete Achim auch nicht in die Halle hinaus, um am Fuß der Treppe ihm ausführlich gute Nacht zu sagen. Sie bot ihm vor dem Papa und Miß Ruth die Stirn, auf die er trotz seines Grolls einen herzlichen Kuß drückte. Dann ging Jeder mit seinen traurigen Gedanken in sein einsames Gemach.

Achim hielten diese Gedanken bis lange nach Mitternacht wach, ohne daß er zu irgend einem Entschluß kommen konnte. Denn Alles, was er für die Zukunft hoffen oder fürchten mußte, hing von dem geliebten Wesen ab, an dessen tapferer, hochherziger Liebe er heute zuerst irre geworden war. So lag er mit offenen Augen und starrte gegen die weiße Wand, wo er in dem bleichen Zwielicht, das der Mond durch die Fenster warf, die eingerahmte Stickerei erkennen konnte. Er nahm sich vor, morgen den Bibelspruch über der Palme nachzuschlagen.

Auch draußen war's heute unruhiger als sonst. Die Unken quakten aus dem nahen Dorfteich herüber, Nero, der Nachts an seine Hütte angekettet wurde, heulte ein paar Stunden lang, und das Gebrüll einer Kuh drang selbst aus dem fernen Stall bis zu ihm herüber.

Als er dann nach einem späten, bleiernen Schlaf erst gegen acht Uhr erwachte und eben darüber nachsann, wie er sich der Mama gegenüber benehmen sollte, klopfte es an seine Thür. Er sprang aus dem Bette, warf sich nothdürftig in die Kleider und öffnete der alten Dörthe, die ihm ein Billet der gnädigen Frau überbrachte.

Während die Alte, auf Antwort wartend, stehen blieb, riß er das Couvert auf und las die folgenden Zeilen:

 

»Nach dem, was gestern zwischen uns besprochen wurde, lieber Achim, scheint es mir für alle Theile das Beste, wenn wir uns eine Weile nicht begegnen und einander Zeit lassen, für unversöhnlich scheinende Gegensätze der Wünsche und Meinungen – hoffentlich! – einen Ausgleich zu finden. Bis dahin würde auch ein schriftlicher Verkehr zwischen Ihnen und Luitgarde nur peinlich und aufregend sein. Daß das alte Verhältniß bald und zu allseitiger Zufriedenheit wieder hergestellt werden möge, wünscht von Herzen in aufrichtiger Gesinnung

Ihre
Karoline Erdmuthe von Benkendorf,
geborene von Schlieben.«

 

Nur einen Augenblick starrte Achim auf das verhängnißvolle kleine Blatt. Dann ergriff er die Feder und warf die Antwort auf eine kleine Karte, die er aus seiner Mappe nahm:

 

»Es bedarf keiner Versicherung, daß ich der erhaltenen Weisung, deren Zweckmäßigkeit ich, so schmerzlich es mir ist, anerkennen muß, ohne Zögern Folge leisten werde. Bis ich zurück gerufen werde, was hoffentlich bald der Fall sein wird, da ich dem Mutterherzen zutraue, dem Glück eines einzigen Kindes selbst ein noch größeres Opfer zu bringen, werde ich gehorsam auch keine briefliche Mittheilung erwarten und von mir geben.

Gott lenke Alles zum Besten!

Achim.«

 

Er stand dann, als die Alte ihn verlassen hatte, unbeweglich eine lange Zeit auf demselben Fleck. Daß er so aus diesem Hause verdrängt wurde, wo er vor wenigen Tagen ein zweites Elternhaus zu finden gedacht hatte, schien ihm eine so unmögliche Sache, daß er immer wieder den ganzen Verlauf der Ereignisse sich zurückrufen mußte, um sich zu überzeugen, es sei kein phantastischer Traum, sondern das Alles mit rechten Dingen zugegangen.

Zuletzt erleichterte er mit einem tiefen Seufzer seine gepreßte Brust und eilte dann, seinen Koffer zu packen. Eine Minute lang war er unschlüssig gewesen, ob er Luitgarde's Bild in der bäuerischen Tracht, das auf dem Nachttischchen stand, mit einpacken sollte. Aber war das noch seine Luitgarde? Mußte es ihm nicht täglich in der Ferne die Wunde neu aufreißen, wenn er diese Züge betrachtete, die ihm auf einmal so fremd geworden waren?

So stellte er das Rähmchen wieder hin, schloß den Koffer und ging langsam hinab.

Er traf nur den Papa am Frühstückstisch, der ihm schweigend, mit sehr trübseligem Gesicht die Hand schüttelte. Er wußte offenbar um den Briefwechsel zwischen der Mama und seinem Eidam und zeigte sich nicht erstaunt, als dieser ihn bat, den Wagen anspannen zu lassen, da er mit dem Frühzug nach der Stadt zurück wolle. Nur einen schwachen, nicht aufrichtig gemeinten Versuch, ihn noch länger zurückzuhalten – wenigstens um auch von der Mama sich mündlich zu verabschieden –, machte der wackere alte Herr. Als Achim auf seinem Entschluß beharrte, ging er hinaus, den nöthigen Befehl zu ertheilen.

Luitgarde kam, während die beiden Herren frühstückten, nicht zum Vorschein. Erst als sie sich erhoben, da Krischan meldete, der Wagen sei vorgefahren, öffnete sich ihre Thür, und sie trat heraus, ein Bild stillen Grams, in einer so nachlässigen Morgentoilette, wie sie früher sich ihm nie gezeigt hatte. Ein Zug tiefster Trostlosigkeit lag auf ihrem ganz blassen Gesicht, die gerötheten Augen irrten wie noch schlaftrunken im Zimmer umher und wagten nicht, dem Blick des jungen Mannes zu begegnen, dem das Herz blutete, als er das leidenschaftlich geliebte Mädchen in dieser Verwandlung sich gegenübertreten sah.

Er schlang beide Arme um sie und zog sie fest an seine Brust, immer von Neuem ihr Haar, ihre Stirn, ihre Augen küssend. Hast du mir gar nichts zu sagen, liebstes Herz? flüsterte er.

Sie erwiderte nichts, obwohl ihre Lippen sich öffneten. Im nächsten Augenblick stürzten ihr die Thränen aus den Augen, sie bewegte die Arme, sich von ihm loszumachen, aber ihre Kraft reichte dazu nicht aus, besinnungslos sank sie ihm ans Herz, und er hatte alle Standhaftigkeit nöthig, der schottischen Freundin, die nun auch zum Abschiednehmen still hereingetreten war, die Ohnmächtige in die Arme zu legen und hinauszustürzen.

Der Papa, seine Thränen mühsam hinunterschluckend, wollte es sich nicht nehmen lassen, den Gast bis nach der Station zu begleiten. Achim aber weigerte sich entschieden und bat nur, da er schon auf dem Kutschersitz stand und die Zügel in die Hand genommen hatte, der Mama seinen Abschiedsgruß zu bestellen. Dann schwang sich Krischan mühsam auf den hinteren Sitz, den er wieder mit dem Koffer und der Bilderkiste zu theilen hatte, und auf einen Zuruf und Antrieb mit der Peitsche zogen die beiden Braunen den Wagen von der Rampe hinweg und über die Brücke zum Hof hinaus.

Die Knechte und Mägde auf dem Hof sahen mit neugierigen oder pfiffigen Gesichtern, je nach den Gedanken, die sie sich über die rasche Abreise des Bräutigams machten, dem vorbeirollenden Wagen nach. Aus der Thür der Milchkammer trat eben Lischka und machte, mit einem spöttischen Lachen über das ganze Gesicht, einen tiefen Knix, Nero sprang wie wüthend, von der Kette gehalten, vor seinem Häuschen hin und her und schickte dem guten Herrn, der so gern seinen dicken Kopf gestreichelt hatte, ein trauriges Geheul nach.

Das Alles ging an dem Scheidenden wie Bilder eines Fiebertraumes vorüber. Auch die Dorfleute, die die Mützen vor ihm zogen, grüßte er nur mechanisch, da seine Seele bei dem ohnmächtigen Mädchen zurückgeblieben war, das ihn nicht halten und nicht lassen konnte. Was der Grund der hastigen Abreise war, hatten auf Anordnung des alten Herrn die Klein-Malchower durch Krischan erfahren. Der Herr Assessor war durch einen Befehl seines Chefs eilig nach Berlin zurück berufen worden. Die Meisten glaubten an diese Fabel. Der Krüger, der mit den Dienstboten im Schlößchen nähere Verbindungen hatte, sagte, nachdem er Achim mit einem tiefen Bückling begrüßt hatte, zu seiner Frau: Et hett wat mit de Ollsche gäwen, kannst du glöwen. Se hett ihm jo nich mal du seggt!

*

Achim's erster Gang nach der Rückkehr in die Stadt war zu Tante Leopoldine.

Die alte Freundin erschrak, als er bei ihr eintrat mit der Miene eines Menschen, der vom Begräbniß eines theuren Angehörigen kommt. Was ist geschehen? rief sie ihm entgegen, indem sie ihn zu seinem gewohnten Platz in dem altmodischen Sopha führte. Vier Wochen hast du bei deinem Schatz bleiben wollen und kommst nach vier Tagen schon zurück? Da muß der Deubel sein Spiel getrieben haben, oder, wie's im Sprüchwort heißt: Wo der Deubel nicht hinkommen kann, da schickt er ein altes –! Gott behüte, daß ich auf Frau Karoline Erdmuthe ein so anzügliches Wort anwende, aber irgendwie hat sie die Karten gemischt, daß du bête geworden bist.

Er nickte trübsinnig lächelnd, warf sich in die Sophaecke und erzählte ihr Alles.

Sie hatte ihn mit vielem Nicken und Schütteln des grauen Kopfes und ingrimmigem Ha! und Hum! angehört. Als er geendet hatte, sagte sie: Mein armer Junge, das ist ja noch weit schlimmer ausgefallen, als ich ahnungsvoller Engel mir gedacht hatte. Daß diese liebe Schwiegermama es dich nach Kräften entgelten lassen würde, daß du ihr Kind glücklicher machen willst, als sie durch die Schuld deines Vaters geworden ist, habe ich voraus gewußt. Ich dachte aber, sie würde es bei täglichen Nadelstichen bewenden lassen. Am Ende – so was wie ein Mutterherz hat doch auch eine Hyäne in der Wüste, die auch immer aufscharrt, was todt und begraben ist. Aber diese liebevolle Mama kostet's gar kein Opfer, das Herz ihrer Tochter zu zerreißen, bloß um sich zu sagen: dem Sohn geschieht's ganz Recht, warum hat sein Vater mich sitzen lassen! Jawohl, wie sagt Schiller? »Da werden Weiber zu Hyänen!« O, wenn ich sie jetzt hier hätte, sie sollt' es zu hören kriegen in ihr Porzellanpuppengesicht hinein, daß sie die Vergißmeinnichtaugen niederschlagen müßte vor dem ungeschmeichelten Spiegelbilde, das ich ihr vorhalten würde!

Liebe Tante, sagte er, gerade weil es so ungeheuerlich ist, kann ich nicht glauben, daß sie selbst es lange aushalten wird, mit diesem steinernen Herzen herumzugehen und sich für das, was ein Todter ihr angethan, an zwei Lebenden zu rächen, von denen die eine ihr eigen Fleisch und Blut ist. Du wirst sehen, das Jahr geht nicht zu Ende, eh' sie sich besinnt auf das, was sie sich und uns schuldig ist, auch wenn ihre Frömmigkeit ihr nicht dabei hilft. Laß nur Luitgarde ein bischen blasser und magerer werden und das Lachen verlernen – aber freilich, darauf kommt Alles an. Wenn sie nicht sieht, daß ihr Kind an ihrer Selbstsucht zu Grunde gehen würde, daß sie auch ihren Liebling opfert dem Götzen ihres Hasses, der übers Grab fortdauert – wenn Luitgarde sich nach kurzer Zeit darein findet, mich aufzugeben, weil es die Pflicht einer gehorsamen Tochter sei, auch den unvernünftigsten elterlichen Willen ohne Murren über sich ergehen zu lassen – aber nein, wie ich Luitgarde kenne –

Die Alte schüttelte langsam den Kopf. Wie gut kennst du sie denn, armer Verliebter? sagte sie. Liebe macht blind. Ich selbst habe auch große Stücke auf das Kind gehalten, aber vernarrt war ich nicht in sie und habe gesehen, daß sie immerhin kein vollkommener Engel ist, wenn auch ein Menschenkind mit seltenem Gemüth und Verstand. Nur, mein armer Neffe, ein Weib ist sie auch und durch dich selbst verwöhnt, und du darfst dich nicht wundern, wenn sie in ihrem verhätschelten kleinen Herzen bitterböse darüber ist, daß es für dich irgend eine »moralische Unmöglichkeit« geben konnte, wo ihr Besitz auf dem Spiele stand. Und das wird sie dir, bei all ihrer Zuneigung, so leicht nicht verzeihen. Denn den harten Kopf hat sie von der Mama, das Einzige, was sie der verdankt. Wollte Gott, sie könnte mit dem Papa tauschen, der nur allzu nachgiebig ist, sonst würde er die beiden verdrehten Frauenzimmer gehörig curanzen und zur Raison bringen und mit dem jungen Pfaffen ein bischen Fractur reden. So aber – ich will gern mit meiner schlimmen Ahnung durch die Ereignisse blamirt werden, aber ich kann mir nicht helfen, ihr dauert mich alle drei, mein armer Bruder nicht zuletzt, von dem ich weiß, daß er dich wie einen leiblichen Sohn ins Herz geschlossen hat.

Achim stand auf und verabschiedete sich von der alten Freundin, deren Unheilsahnungen ihn um so tiefer verdüsterten, da sein eigenes Herz ihm nichts Tröstlicheres weissagte. Er versprach, sich oft bei der Tante sehen zu lassen, und hielt Wort, immer nur, wenn er wußte, daß er sie allein treffen würde. Allen anderen bekannten Gesichtern wich er aus. In den Häusern, wo er bisher verkehrt hatte, ließ er sich nicht blicken und schützte, bei zufälligen Begegnungen auf der Straße, die Nothwendigkeit vor, sich in seine neuen Verhältnisse einzuarbeiten, da er bald nach seinem glänzenden Examen als Hülfsarbeiter im Ministerium des Inneren angestellt worden war.

Man durchschaute natürlich den Vorwand, verschonte ihn aber mit zudringlichen Fragen und Einladungen. Daß seine Verlobung, noch ehe sie veröffentlicht worden, zurückgegangen sei oder jedenfalls einen Aufschub erlitten habe, hatte sich unter der Hand herumgesprochen. Seine ernste Miene und völlige Vereinsamung bestätigten das Gerücht. Aber die Achtung, die er genoß, half ihm dazu, daß kein gemeiner Klatsch sich an seinen Namen heftete.

So fuhr er fort, in dumpfer Lähmung jedes Lebensmuths und Frohgefühls seine tägliche Schuldigkeit zu thun. Es war nicht Hoffnungslosigkeit, was ihn lähmte; bei jeder Klingel des Briefboten fuhr er auf, als ob eine Botschaft auf seiner Schwelle stünde, die ihm die ersehnte Erlösung aus diesem schauerlichen Zustand zwischen Glauben und Verzweifeln bringen würde. Aber die Wochen und Monate vergingen, kein Laut der Liebe und des Glücks drang zu ihm herüber. Die Stille hätte nicht tiefer sein können, wenn die Erde sich aufgethan und das Schlößchen, unter dessen Dach er so viel Wonne und Qual erlebt, in ihre Tiefe hinabgeschlungen hätte.

Gleich am Tage nach seinem ersten Besuch hatte er die große Photographie der Sistina in Tante Leopoldine's Wohnung geschickt, mit einer Zeile dazu, die anfragte, ob die hohe Frau, die von ungastlichen Seelen zurückgewiesen worden, bei ihr Aufnahme finden würde.

Als er einige Tage später sich wieder bei der Alten blicken ließ, umarmte sie ihn und küßte ihn auf den Mund. Liebster Neffe, sagte sie – denn deine Tante bleib' ich, auch wenn mein armer Bruder dich nie zum Sohn bekommen sollte –, du weißt nicht, was du mir mit diesem Geschenk angethan hast. Es ist, als wäre mein ganzes Dasein um zehn Stufen erhöht worden durch die Nähe dieses wunderbaren Bildes. Ich habe es nicht in mein Wohnzimmer gehängt, theils weil das kleine Alltagsgetriebe sich nicht vor diese heiligen Gesichter getrauen darf, theils auch weil ich nicht möchte, daß du jedes Mal, wenn du kommst, an die Stunde erinnert würdest, wo angesichts dieses Bildes zum ersten Mal die Kluft zwischen dir und der kleinen engen Seele sich aufthat, zu der du so gern ein kindliches Herz gefaßt hättest. Es hängt in meinem Schlafzimmer, meinem Bett gegenüber; mein erster Blick wie mein letzter trifft die großen Augen des göttlichen Kindes, und ihm verdank' ich's, wenn ich, nachdem ich ein ziemliches Weltkind gewesen bin, auf meine alten Tage noch so etwas wie einen Morgen- und Abendsegen bete. –

So kam Weihnachten heran.

Es wurde Achim schwer, auch an diesem Feste stumm zu bleiben, wo die Friedensbotschaft ergeht an alle Menschen, die guten Willens sind. Doch glaubte er keinen Bruch seines Wortes zu begehen, wenn er einen großen Korb mit den kostbarsten Rosen an Luitgarde schickte, der genau am Heiligabend bei ihr ankommen sollte.

Tante Leopoldine's Einladung, den Christabend bei ihr zuzubringen, hatte er abgelehnt. Als er am zweiten Feiertag zu der gewohnten Theestunde kam, reichte sie ihm stillschweigend mit trauriger Miene einen offenen Brief, nicht von ihrer Nichte, wie er im ersten Moment geglaubt hatte. Miß Ruth hatte an die Tante geschrieben, mit der Bitte, Achim im Namen seiner Braut für den herrlichen Blumengruß zu danken, da auch sie ihr Versprechen gegen die Mutter halten müsse. Zugleich bat die treue Seele in ihrem eigenen Namen inständig, in Zukunft auch nicht durch eine solche Sendung Alles wieder aufzuregen, was das arme Kind mühsam in seinem Herzen zur Ruhe gebracht. Sie sei beim Anblick der Blumen in ein so jammervolles Weinen verfallen, habe die Nacht kein Auge zugethan und gehe nun umher wie eine Nachtwandlerin, daß es zum Erbarmen für Alle sei, die sie liebten. Achim möge nur fest vertrauen, daß nichts ihn aus dem Herzen seiner Geliebten verdrängen könne. Aber selbst der Anblick dieses trostlosen Grams habe das Herz der Mutter nicht zu rühren vermocht, und so sei nur auf die Hülfe des Herrn zu hoffen, der ja noch größere Wunder gewirkt und auch diesmal denen, die auf ihn bauen, seinen Schutz und Schirm bieten werde, sobald die Zeit erfüllet wäre.

Achim gab den Brief, ohne ein Wort zu sagen, zurück. Sein Herz war bis zum Rande mit Bitterkeit erfüllt, er wußte aber, daß die alte Freundin nur eines Anstoßes bedurfte, um auch das ihre zu entladen in so derben Worten auch über den schwachmüthigen Gehorsam seiner Liebsten, daß ihn dieser Wolkenbruch ehrlicher Entrüstung nur tiefer verstimmt haben würde.

Seit jenem Tage versagte er sich's streng, sich mit trügerischen Hoffnungsbildern zu trösten. Wenn die Augen des geliebten Mädchens vor ihm auftauchten, ihre Stimme in seinem Ohr erwachte, vertiefte er sich mit um so größerer Heftigkeit in irgend eine schwere Arbeit, als ob es gegen eine dämonische Versuchung sich zu wappnen gälte. Über Tag ging er nur aus, wenn er ins Bureau mußte. War es dann draußen dunkel geworden, so streifte er Stunden lang in den Straßen herum, um seinen Körper müde zu machen und schlafen zu können. Oft genug versagte dies Mittel. Er stand dann mitten in der Nacht auf, setzte sich ans Klavier und spielte Bach und Beethoven, bis seine Sinne sich beruhigten. Auch die Musik war ihm kein Genuß mehr, nur ein Betäubungsmittel.

Im folgenden Winter hatte er sich so weit wieder zurechtgefunden, daß er die Gesellschaft der Menschen nicht mehr streng vermied. Doch besuchte er nur wenige Häuser, solche, in denen er eines wirklichen Freundesantheils gewiß war. Zu Tante Leopoldine war er einmal in jeder Woche gekommen. Das hörte dann leider auf.

Denn die treue Alte, die ihn mit Kummer in seine Schwermuth wie in ein festes Gefängniß sich einschließen sah, wollte ihm um jeden Preis wieder ans helle Licht des Tages heraushelfen.

Sie lud eine entfernte junge Verwandte zu sich ein, die auf einem abgelegenen Gut in der Altmark sehr freudlos zwischen ihren alten Eltern hinlebte. Diesen stellte sie vor, daß sie es ihrer Tochter schuldig seien, ihr womöglich zu einem besseren Glück zu verhelfen, als ihr bevorstand, wenn sie als ein altes Landfräulein verkümmerte. Sie kannte das gute Wesen aus einer Photographie, die sie in dem Reiz einer eben aufgeblühten unschuldigen Mädchenblume darstellte. Ihre leibhaftige Erscheinung widersprach dem Bilde nicht.

Sofort spann die Alte einen feinen Plan, den halb und halb entlobten trauernden Neffen durch eine neue Liebe ins Leben zurück zu führen. Sie vertraute dabei auf das musikalische Talent der jungen Vetterntochter, das in der Stadt durch eine gute Lehrerin weiter ausgebildet werden sollte. Auch war Achim arglos und gutmüthig genug, sich für das Klavierspiel der blonden Agnes zu interessiren und, da sie rasche Fortschritte machte, sogar einen Abend vierhändig mit ihr zu spielen. Als aber Tante Leopoldine unvorsichtig genug war, eine anzügliche Bemerkung darüber zu machen, wie harmonisch die vier Hände sich ineinander fügten, erkannte er, in welches Netz er verstrickt werden sollte, und blieb von da an unter allerlei Vorwänden weg.

*

Darüber waren drei Jahre vergangen.

Achim war längst zum Regierungsrath ernannt und, da man seine große Begabung erkannt hatte, mit Arbeiten überhäuft worden. Das war ihm gerade recht gewesen, als Hülfsmittel gegen die Versuchung zu fruchtlosem Brüten. Und so hatte er sich die größten Anstrengungen zugemuthet, Nächte durchgearbeitet, sich durch Reizmittel aufrecht gehalten, bis seine Kraft endlich zusammenbrach.

Als er von einer heftigen Erkrankung genesen war, drang der Arzt darauf, daß er einen ganzen Winter nur seiner Wiederherstellung lebe und auf alle Arbeit verzichte. Der erbetene Urlaub wurde ihm bereitwillig gewährt. Er reis'te in den ersten Oktobertagen nach dem Süden ab, und da er sich noch zu schwach fühlte, Museen und Kirchen zu durchwandern und Kunstschätze zu genießen, machte er erst in Sicilien Halt und miethete in Catania eine kleine Wohnung im Hause guter Leute, die für seine Verpflegung sorgten und ihn nicht störten, wenn er in ihrem Weinberg und Gärtchen Stunden lang, in seine Gedanken vertieft, herumwandelte.

Dabei gedieh er nicht nur an leiblicher Kraft und Frische, sondern auch sein Gemüth stärkte sich wieder so weit, daß er an allem Schönen und Herrlichen der alten Mutter Natur wieder eine unverbitterte Freude empfand und keinen unerreichbaren Wünschen gestattete, ihm seinen Frieden zu zerrütten. Auch lebte er hier wie in einem weltabgeschiedenen Asyl, wo nur die großen Bilder einer vergangenen Zeit, von den Tagen, da griechische Völker dies Trinakria bewohnt hatten, bis zu den an ihre Fabelzeit erinnernden Heldenkämpfen der Tausend von Marsala, seine Phantasie beschäftigten. Er las nur die sicilianischen Geschichtschreiber, keine heutige Zeitung, keinen Brief. Denn er hatte zu Hause die Weisung hinterlassen, daß ihm Nichts nachgeschickt werden sollte, und nur seinem Chef für alle Fälle angegeben, wo ein dringendes Schreiben ihn erreichen würde.

Als das neue Jahr angebrochen war, machte er sich auf, die Insel nach allen Richtungen zu durchstreifen, mit unendlichem Genuß. Von Palermo aus trat er im April die Heimreise an. Er landete in Livorno und hielt sich eine Woche in Florenz auf, da er es nicht übers Herz bringen konnte, an gewissen Lieblingen in den Uffizien und Santa Maria Novella vorbei zu fahren. Rom hatte er nicht berührt. Er fürchtete, sich dort nicht losreißen zu können, und sein Urlaub ging am ersten Mai zu Ende.

So war er gegen Ende des April nach Trient gelangt, seiner letzten Station, eh' er mit dem Blitzzug Rom-Berlin ohne Aufenthalt nach Hause zurückkehren wollte. Noch eine Nacht hatte er in dem behaglichen Hotel nahe dem Bahnhof geschlafen, zum letztenmal seinen Koffer gepackt und ihn am anderen Morgen zur Bahn geschickt, um noch die Stunde bis zum Abgang des Zuges zu einem Gang durch die stillen Straßen der schönen alten Stadt zu benutzen.

Als er die Treppe hinunterstieg, sah er einen Herrn ihm entgegen heraufkommen, an dem er achtlos vorbei wollte. Der Andere aber stutzte bei seinem Anblick, blieb stehen und rief mit dem Ton des höchsten Erstaunens: Ist es möglich? Sie hier? Nein, eine solche Überraschung! Wo kommen Sie denn her, Bester, und wo wollen Sie hin?

Achim hatte ihn sofort erkannt und eingesehen, daß es unmöglich war, sich loszumachen, so peinliche Erinnerungen die Begegnung in ihm weckte.

Es freut mich sehr, Sie begrüßen zu können, Herr von Schlieben, nach so langer Zeit, freilich nur auf einen Augenblick. Ich bin im Begriff, mit dem nächsten Zuge weiter zu reisen, ich werde in Berlin erwartet.

Mit dem nächsten Zuge, dem Luxuszuge? Nun, da haben Sie noch fast eine Stunde Zeit, verehrter Freund. Nun erinnere ich mich, Sie waren ja den Winter in Alexandrien – oder nein, in Kairo – nicht? Nun, gleichviel, Sie haben das bessere Theil erwählt, unser märkischer Winter war greulich. Dafür werde ich jetzt belohnt, indem ich beim schönsten Frühlingswetter in den Süden reise, nur bis Venedig, wissen Sie, alle Welt sagt aber, für Hochzeitsreisende gebe es kein besseres Ziel, als die Stadt der ewigen Trauer – gerade wegen des Gegensatzes, wenn man sein junges Glück in einer schwarzen Gondel – na, ich bin kein Dichter, da aber auch Luitgarde damit einverstanden war –

Achim fühlte einen Stoß gegen das Herz bei diesem Namen. Er mußte sich an das Treppengeländer halten und brachte nur mühsam die Worte hervor: Sie reisen – nach Venedig – mit –

Dem Anderen entging die Wirkung nicht, die seine arglosen Worte hervorgerufen hatten. Mit einem gutmüthigen Nicken sagte er: Es scheint, daß meine Mittheilung Sie unangenehm überrascht hat. Ich dachte aber wahrhaftig, gewisse Dinge lägen längst hinter Ihnen, und daß Sie auf meine Verlobungsanzeige nicht reagirt haben, nicht einmal mit einer Visitenkarte p. f., habe ich mir so ausgelegt, als hätten Sie sich längst darüber getröstet, daß unsere kurze Vetternschaft so bald eingeschlafen sei. Na, ich hatte an so ganz Anderes zu denken, darum keine Feindschaft, lieber Blankenhagen!

Ich wußte in der That nicht, sagte Achim, der sich inzwischen gefaßt hatte – ich habe seit Monaten weder Zeitungen noch Briefe aus Deutschland erhalten – nachträglich meinen besten Glückwunsch!

Ja wahrhaftig, versetzte Bernd, und über sein frisches, breites Kindergesicht flog ein vergnügtes Lächeln, Glück habe ich gehabt, mehr Glück als Verstand. Da Sie von der ganzen modernen Weltgeschichte in Ihrer Einsiedelei nichts erfahren haben, wissen Sie wohl auch nicht, daß unser alter Schwiegerpapa einen kleinen Schlaganfall gehabt hat – nichts Lebensgefährliches – nur Lähmung der rechten Seite, auch die Sprache Anfangs behindert, na, jetzt stammelt er wieder, Gott sei Dank, und der Kopf ist frei geblieben. Bloß das Gedächtniß, damit hapert's zuweilen, und da er nicht mehr seinen Namen schreiben kann und auch sonst großer Schonung bedarf – zur Bewirthschaftung des großen Gutes wird er wohl nie wieder frisch genug werden. Na, da ich nun doch einmal der Nächste dazu war, als Vetter und – ohne mir zu schmeicheln – mit meiner Kenntniß des ganzen landwirthschaftlichen Krempels – kurz und gut, eines schönen Tages ließ mich Mama Karoline Erdmuthe kommen und fragte mich ganz unverblümt, wie es mit meinen Gefühlen für Luitgardchen stehe, ob trotz des Korbes, den sie mir damals applicirt, ich mich noch glücklich fühlen würde, wenn ich sie zur Frau kriegte. Der Papa müsse die Verwaltung des Gutes aus der Hand geben, ein zuverlässiger Verwalter sei schwer zu finden, und der beste nicht halb so gut wie ein zur Familie gehöriger, dessen eigener Vortheil ins Spiel käme, und so, wenn ich ihr Schwiegersohn würde, sei der ganzen schlimmen Geschichte auf einmal abgeholfen.

Sie können denken, wie mir das in die Krone fuhr. Mit tausend Freuden, sagte ich, würde ich meine unliebsam begrabenen Gefühle wieder hervorholen, aber zum Heirathen gehörten bekanntlich Zwei, und ich glaubte, Luitgarde traure noch immer ihrem verflossenen Bräutigam nach, gegen den ich bei diesem unlauteren Wettbewerb jedenfalls den Kürzeren ziehen würde.

Das solle ich nur ihre Sorge sein lassen, sagte die Mama mit der ruhigsten Miene, die mir aber nicht sonderliches Zutrauen einzuflößen vermochte. Indessen – wer das Glück hat, führt die Braut heim. Der »kleine Napoleon« – Sie wissen, so nennt sie der Papa – siegte auf der ganzen Linie: nach wenigen Tagen, als ich mich auf ein Billet der Mama hin wieder einstellte, trat Luitgarde vor mich hin und erklärte mir, sie fühle zwar nur eine vetterliche Zuneigung zu mir, nehme aber meine Werbung an und verspreche, mir eine treue Frau zu sein.

Mancher Andere hätte sich vielleicht durch das todtblasse Gesicht und die Leichenbittermiene, mit der sie das sagte, abschrecken lassen. Glückliche Bräute pflegen anders auszusehen. Aber ich hatte mir nicht einmal auf so viel Rechnung gemacht, ich bin nicht eitel genug, mir einzubilden, ich würde Ihr Andenken aus ihrem Herzen verdrängen können. Nein, ohne Spaß! Doch unter diesen Umständen, da eine Änderung der Lage ja nicht zu erwarten war und sie selbst nächstens zweiundzwanzig wird – und dann weiß man ja, die bloße Verliebtheit macht das eheliche Glück nicht aus, und ich, da ich so weit ein ganz passabler Kerl bin, kein großer Geist, aber noch bildungsfähig, wenn ich die rechte Frau kriege – und fest entschlossen, die meine auf den Händen zu tragen –

Na, bis jetzt ist's ja auch ganz gut gegangen. Wir sind nach der Hochzeit, die nur klein war, des kranken Papa's wegen, gleich abgereis't, haben uns in Nürnberg, Regensburg, München und Bozen aufgehalten und Kirchen und Bilder besehen, was eine Passion von Luitgarden ist, und wofür ich ihretwegen entschiedenes Interesse heuchele, und werden nach acht Tagen in Venedig langsam nach Hause rutschen, um dort in aller Ruhe unseren Kohl zu bauen. Mit der Zeit, wenn sich noch was Junges dazu findet, hoffe ich – aber ich sehe, Sie haben das Eisenbahnfieber, Verehrtester. Ich will Sie nicht länger aufhalten. Vielleicht spendiren Sie doch noch zehn Minuten, um Luitgarden guten Tag zu sagen. Sie frühstückt auf ihrem Zimmer. Ich will ihr sogleich –

Bemühen Sie sich nicht, lieber Schlieben, sagte Achim hastig. Ich zweifle, ob es ihr angenehm sein möchte, alte Erinnerungen wieder aufzufrischen. Empfehlen Sie mich ihr, wenn Sie überhaupt erwähnen wollen, daß wir uns getroffen haben; ich wünsche ihr das beste Glück und nun – leben Sie wohl!

Er schüttelte dem Anderen die Hand und wandte sich wieder der Treppe zu.

Bernd aber, der ebenfalls schon ein paar Stufen hinaufgestiegen war, blieb wieder stehen und rief ihm zu: Das müssen Sie doch noch hören, werther Freund: Ihr intimer Feind, der junge Pastor Warncke – den alten haben wir vor sechs Wochen begraben –, er hält nach wie vor seine Bußpredigten, doch sein Publikum besteht fast nur noch aus alten Weibern. Wenn ich einmal mich in die Kirche verirre, nehme ich einen Roman mit, schwarz wie das Gesangbuch eingebunden, und höre auf sein hitziges Geschwöge mit keinem Ohr hin. Übrigens hat er vor acht Monaten richtig die Lischka geheirathet, den Racker, der's von jeher auf ihn abgesehen hatte. Sie hat ihn auch schon zum glücklichen Vater gemacht, der Junge kam ein paar Monate zu früh zur Welt – haha! – ist aber für ein Siebenmonatskind – haha! – ein draller Bursche, der schon ganz so frech lacht wie seine schöne Mutter. Ja, was man nicht Alles erlebt! Dieser Gotthold! Na, wie man sich bettet, so schläft man. Glückliche Reise, lieber Blankenhagen!

*

Als Achim nach der vierundzwanzigstündigen Fahrt, die er in dumpfer Besinnungslosigkeit überstanden hatte, in sein stilles Quartier am Thiergarten eintrat, fiel sein erster Blick neben dem hoch aufgewachsenen Haufen von Briefen und Druckschriften auf ein kleines Paket, das eigens von seiner Wirthin bei Seite gelegt war, weil es eine Werthangabe auf dem Umschlag trug. Ein kleinerer Brief, von etwas früherem Datum, lag darauf. Er erkannte die Handschrift schon von Weitem. Mit zitternder Hand, noch in Hut und Reisemantel, wie er war, riß er das Couvert ab und las das Folgende:

 

»Ich schreibe Dir diese Zeilen, lieber Achim, die ersten nach den tödtlich langen, stummen Jahren, mit Wissen der Mama. Daß Du ihr auch auf die Nachricht von der plötzlichen Erkrankung meines geliebten Vaters kein theilnehmendes Wort geschrieben hast, obwohl Tante Leopoldine Dich doch davon in Kenntniß setzen mußte, hat mich tiefer geschmerzt als sie. Ich sah daraus, daß Dir mein Schicksal nicht mehr am Herzen liegt, daß ich todt für Dich bin.

Wenn ich einer Regung von Stolz Gehör gäbe, die mich zuweilen beschleicht, würde auch ich versuchen, das Andenken an Dich für immer aus meinem Herzen zu reißen. Aber so viel ich mir Mühe dazu geben möchte, es würde mir nicht gelingen. Dein Bild lebt zu tief und unzerstörbar in mir, und ich werde Dich erst vergessen, wenn mein Herz für immer still steht, nein, auch dann nicht, da uns ja ein ewiges Leben verheißen ist.

Darum schreibe ich Dir heute, obwohl ich nicht hoffen kann, etwas an dem damit zu ändern, was Du über mich und Dich beschlossen hast.

Heute Morgen ist die Mama zu mir gekommen und hat mir gesagt, daß Vetter Bernd um meine Hand angehalten hat.

Sie und der Papa würden es als ein Glück betrachten, wenn ich einwilligte, die Seine zu werden. Er würde dann die schwere Sorge um das Gut dem Papa abnehmen und mich zu ihrem Trost immer im Hause lassen. Da ich auch die Einzige sei, die das stammelnde Sprechen des armen Vaters zu deuten versteht, ihm auch vorlesen und sonst die schwere Langeweile verkürzen helfen kann, wäre Allen damit geholfen.

Ich war so furchtbar erschrocken, daß ich zuerst vor Herzklopfen kein Wort hervorbringen konnte. Ach, mein Geliebter, an eine Änderung meines traurigen Schicksals hätte ich nur gedacht, wenn ich Deine Stimme wieder hören würde.

Ich erwiderte endlich der Mama, ich betrachtete mich trotz allem dem noch immer als Deine Verlobte und könne an keine andere Verbindung denken, bis ich erfahren, ob ich für ewige Zeit auf Dich verzichten müsse.

Da sah sie mich mit den bösen, strengen Augen an, die Du kennst, mit denen sie mich aber in den langen drei Jahren nicht einmal angeblickt hatte, und sagte: Ich sehe, du wartest auf unseren Tod oder auf deine Mündigkeit mit vierundzwanzig Jahren, wo du auch ohne die elterliche Einwilligung heirathen kannst. Wir wollen dich in diesem Entschluß nicht irre machen. Was aus uns dann wird, kann dir ja gleichgültig sein.

Damit wollte sie mich verlassen. Wie mich dies harte Wort traf – ich würde Dir's vergebens zu schildern suchen. Ich brach in Thränen aus, stürzte zu ihr hin und sank vor ihr nieder, indem ich sie beschwor, diese furchtbare Anklage zu widerrufen. Ich sei bereit, Alles zu thun, was die letzten Tage meines Vaters erleichtern und ihr helfen könnte, die schwere Schickung zu tragen. Nur habe mich's eben so sehr überstürzt, sie solle mir Zeit lassen, mich zu besinnen, nach drei Tagen wolle ich ihr Antwort geben.

Lieber Achim, Du bist edel und hochherzig und weißt, daß das eigene Glück nicht entscheiden kann, wo sich's um theure Pflichten handelt. Du wirst mir nachfühlen, daß es auch für mich eine »moralische Unmöglichkeit« ist, meine alten Eltern im Stich zu lassen, um den Traum Deiner Liebe und Treue bis an mein Ende im Herzen zu bewahren.

Noch einmal aber habe ich die Entscheidung in Deine Hand legen wollen. Wenn ich in den nächsten drei Tagen nichts von Dir höre, weiß ich, was Gott über mich verhängt hat, und werde mich mit todter Seele, aber ohne Murren in seinen Willen ergeben.

Deine Luitgarde.«

 

Er starrte lange auf die wohlbekannten, offenbar hastig hingeworfenen Zeilen, deren letzte von Thränenspuren verwischt waren. Dann öffnete er das kleine Päckchen, das den Poststempel des vierten Tages nach dem des Briefes trug. In einer flachen Schachtel lag das Armband, das er seiner Liebsten geschenkt, und der Ring, den er ihr am Tage nach dem Geständniß an den Finger gesteckt hatte. Eine Karte befand sich dabei, auf die nur mit Bleistift das eine Wort »Lebewohl!« geschrieben war.

Wie ein schneidendes Messer durchfuhr ihn der Schmerz, daß dies Wort über sein ganzes künftiges Leben entschied, der vernichtende Gedanke, daß ein tückisches Spiel der Verhältnisse ihn darum gebracht, gegen altes Irrsal wieder anzukämpfen und sich zu fragen, welche Pflichten die höheren seien, ob das, was er sich selber schuldig zu sein geglaubt, jetzt nicht hinfällig geworden sei durch die Macht unerbittlicher neuer Schicksale.

So saß er Stunden lang, das Gesicht in die Hände vergraben. Als er wieder aufsah, war der letzte Rest von Jugend aus seinen Augen geschwunden, und eine Falte hatte sich in seine Stirn gegraben, die keine Lebensfreude je wieder glätten sollte.

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