Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Er soll dein Herr sein.

(1873.)

Die Nacht war schon hereingebrochen, und der Erzengel Michael auf dem Thurmknopf der alten Stadtkirche, den ein frommes altes Jüngferchen erst vorm Jahr auf eigene Kosten hatte frisch vergolden lassen, sah so grau und unscheinbar aus, wie ein ganz ordinärer Wetterhahn aus verrostetem Eisen. Um diese Stunde regte sich sonst in der kleinen bayrischen Garnisonsstadt nur noch wenig öffentliches Leben. Die Hausväter saßen beim Bier, die Hausmütter in den Kinder- und Gesindestuben dachten schon halb und halb daran, ob sie nicht, um Licht zu sparen, heute ein Stündchen früher als gewöhnlich zu Bett gehen sollten, und was etwa noch auf den spärlich beleuchteten Gassen hin und her huschte oder in den Hausthüren und dunklen Mauerecken flüsterte, war sich vollkommen des Reizes einer unerlaubten Nachtschwärmerei bewußt.

An dem Abend aber, von dem hier die Rede ist, ging es trotz der nachtschlafenden Zeit in Häusern und Straßen so laut und lustig zu, wie es besagter Erzengel, der Schutzpatron der guten Stadt, auch aus den letzten Jahren vor seiner Vergoldung sich nicht entsinnen konnte. Alles Militär, das hier garnisonirte, zwei Bataillone Infanterie und eine Schwadron Chevauxlegers, schien auf den Beinen zu sein, rasselte mit Säbel und Gewehr über das schlechte Pflaster, saß in den Bräustuben in dichten Haufen, aber bunt mit Bürgern durchspickt, beisammen, und es gab kaum eine Hausthür, wo nicht ganz ungescheut irgend ein zärtliches Paar, in eifrige Zwiesprach vertieft, gelegentlich durch ein hörbares Weinen, Lachen oder Küssen die Tonart seines Duettes angab, ohne sich darum zu kümmern, daß die Glücks- und Leidensgefährten rechts und links sie hätten belauschen können, wenn sie nicht mit sich selbst vollauf zu thun gehabt hätten. In allen Häusern waren die Fenster erleuchtet, kleine Kinder saßen im Nachtröckchen auf den Treppenstufen und schauten verwundert bald zu dem sommerlichen Sternenhimmel hinauf, bald in das hastige Gewimmel, das sich besonders auf dem Marktplatz um die alte Kirche herumtrieb, und horchten dazwischen auf die Trompeten und Clarinetten der Regimentsmusik, die im Saal des Rathhauses allerlei schöne patriotische Weisen zum Besten gab.

Dort fand nämlich ein Abschiedsmahl statt, welches die Väter der Stadt dem Offiziercorps zu Ehren veranstaltet hatten. Der Krieg mit Frankreich war erklärt, die Mobilmachungsordre vor Kurzem eingetroffen, und morgen mit dem Frühesten sollte die Eisenbahn Alles, was in zweierlei Tuch einherging, die gesammte Garnison, sowie die in Eile herangezogenen Landwehrpflichtigen nach der Hauptstadt entführen und von da an den Rhein. Da wahrscheinlich Mancher, der heute in heller Lebensfreude unter guten Kameraden saß, diesen ehrwürdigen Saal nicht wiedersehen und den edlen Trank nicht wieder kosten sollte, so steigerte sich die Stimmung selbst der Trägeren und Gemüthloseren über die gewöhnliche Festlaune hinaus zu jener schönen, übermüthigen Begeisterung, wo das Bild des Todes alle Wonnen des Daseins erst recht lieblich macht, während der Gedanke an Pflicht und Ehre, an Vaterland und Freiheit jedem Einzelnen das Leben als ein geringes Opfer erscheinen läßt.

Das Fest hatte schon seit einer halben Stunde begonnen, und in der nicht sehr großen Zahl der Geladenen fehlten noch Zwei, die sonst eifrig darauf hielten, überall dabei zu sein, wo es die Ehre des Corps zu vertreten galt: ein Hauptmann von der Infanterie und ein Unterlieutenant von den Chevauxlegers. Der Grund, weshalb Beide sich heut verspäteten, war ein und derselbe und zwar folgender.

Das stattlichste Haus nächst dem Rathhause, das am Markte lag und sich vor den übrigen durch einen zierlich geschwungenen Balkon im Zopfstil hervorthat, gehörte der jungen Wittwe eines alten Majors, der schon vor vier Jahren gestorben war und im Commando der Garnison sofort einen Nachfolger gefunden hatte, nicht aber im Regiment seines Hauses und im Herzen seiner jungen Frau. Dies war um so wunderbarer, als Jedermann wußte, wie das schöne junge Wesen, als eine blutarme Waise, ganz ohne Neigung durch ihren weltklugen Vormund zu der Ehe mit dem grilligen, unwirschen Fünfziger überredet worden war, so daß, als der Tod sie endlich von diesen aufgedrungenen Pflichten befreite, Nichts natürlicher und löblicher gewesen wäre, als wenn sie unter ihren vielen Bewerbern bald eine neue Wahl nach ihrem Herzen getroffen hätte. Sämmtliche Offiziere der Garnison, die ihr schon bei Lebzeiten des ersten Gatten gleichsam dienstpflichtschuldigst gehuldigt hatten, befürchteten nur das Eine, daß sie nach dem Trauerjahr ihr Haus verkaufen, den Staub der kleinen Stadt von ihren zierlichen Füßchen schütteln und nach München ziehen möchte, um dort das Licht ihrer blühenden Jugend weiterhin leuchten zu lassen, als es auf den Casinobällen und Dilettanten-Concerten des Provinznestes geschehen konnte. Sie hatten sich aber alle getäuscht. Die junge Wittwe schien wie mancher große Mann und manche schöne Frau den Wahlspruch Cäsar's erwählt zu haben: »Lieber der Erste in einem Dorf, als der Zweite in Rom!« Sie selbst führte zwar als Grund ihres Dableibens an, daß sie für die Residenz nicht wohlhabend genug sei. Was der Major ihr hinterlassen, erlaube ihr in der kleinen Stadt behaglich und sogar mit einigem Ueberfluß zu leben; in München würde es eben nur zu den Carnevals-Toiletten ausreichen. Denn Haus und Garten möchte sie doch nicht zu sehr unter dem Werth verkaufen, und die Zeiten seien nun einmal zur vortheilhaften Veräußerung liegender Gründe nicht die günstigsten.

In Erwartung besserer Gelegenheit also fuhr sie fort, das Haus ganz allein mit ihrer alten Köchin, einem Laufmädchen und dem Gärtner, welcher Bursche bei dem Major gewesen war, zu bewohnen, dann und wann kleine gesellige Unterhaltungen darin zu veranstalten, –: theils ungemischte Kaffees, theils gemischte, aus Männlein und Weiblein vorsichtig zusammengesetzte Theegesellschaften, wobei sie sich, trotz der Argusaugen der weiblichen Eifersucht, so klug und musterhaft betrug, daß man ihrem einsamen Leben nicht das Geringste nachreden konnte. Höchstens zuckten einige alte Jungfern die Achseln und erklärten, sie sei eine kalte, selbstsüchtige, kokette Schlange, eine Art Lorelei, der es ein viel größeres Vergnügen mache, am Felsen ihrer Unnahbarkeit »Schiffer und Kahn« zerschellen zu sehen, als einen hübschen, braven, verliebten Jungen mit ihrer Hand zu beglücken. Wurde sie selbst von wohlwollenden Freundinnen geradezu befragt, ob sie etwa eine geheime unglückliche Liebe hege, oder aus sonst einem Grunde das Gelübde ewiger Wittwenschaft gethan habe, so erklärte sie einfach, die Tyrannei, die sie in ihrer ersten Ehe erlitten, da ihr Mann seine Gewohnheit, zu commandiren, von der Stadtgarnison auf seine junge Frau übertragen, habe ihr ein für alle Mal ein Leben verleidet, in welchem das Gebot der Bibel: »er soll dein Herr sein« auf das Schnödeste mißbraucht und übertrieben werden könne. All die zärtlichen Herren in Uniform und Civil –: denn auch das ganze Landgericht lag ihr zu Füßen –: betheuerten ihre Unterwürfigkeit und ritterliche Selbstverleugnung nur darum so eifrig, um hernach desto übermüthiger den Herrn zu spielen, wenn die Angebetete vom Altar zum häuslichen Herde hinabgestiegen sei. Sie aber wolle ihre eigene Herrin bleiben und zu den seltenen Beispielen gehören, daß auch einmal ein Mensch durch Schaden klug geworden sei.

Diese Grundsätze, so vernünftig sie klangen, nahm natürlich Niemand für Ernst, weder die guten Frauen, die eine solche Charaktergröße als eine krankhafte und unzweifelhaft vorübergehende Laune betrachteten, noch die männliche Bevölkerung des Städtchens, die des Glaubens lebte, wenn der Rechte komme, werde sich das schon geben. Und da Nichts hinderte, daß sich einstweilen Jeder zutraute, dieser Rechte zu sein und nur noch eine kleine Probezeit durchmachen zu müssen, bis seine Verdienste das spröde Herz erweichten, so hatten in diesen letzten vier Jahren Civil und Militär einen eifrigen Wettlauf nach der Gunst der schönen Frau gehalten, ohne daß Einer sich rühmen konnte, dem Ziele näher gerückt zu sein.

Nur die oben erwähnten Zwei waren in jüngster Zeit allen Uebrigen um eine Manneslänge vorausgekommen, wenn sie auch wiederum unter einander eifersüchtig darüber wachten, daß Keiner sich nur um die Breite einer Degenklinge eines Vorsprungs rühmen konnte. Auch hielten ihre sehr verschiedenen Ansprüche einander so ziemlich die Wage. Der Hauptmann, zwar schon ein angehender Vierziger, war doch noch, bis auf einen bedenklichen Ansatz zur Corpulenz, ein stattlicher Mann, mit sanften, veilchenblauen Augen und einem hellblonden Schnurrbart, bei all seinen Kameraden und Untergebenen beliebt, weil er, wie man sagte, die gute Stunde selbst war, auch von angesehener Familie und wohlhabend. Nebenbei spielte er für einen Dilettanten ganz artig Fagott, wobei er nur leider ungewöhnlich stark transpirirte, befliß sich in seinen dienstfreien Stunden der Bildung und besaß in seiner Bibliothek die sämmtlichen Werke Hackländer's. Da sein Vormann nächstens pensionirt werden sollte, war ihm der Major auch ohne den Krieg so gut wie gewiß, so daß eine Majorswittwe, die ihm ihre Hand reichte, einer Degradation sich nicht ausgesetzt hätte. Diese seine Ansprüche erschienen so gegründet, daß sämmtliche ältere und kühlere Bewerber vor ihm zurücktraten. Dagegen fanden die jüngeren, daß gegen seinen Rivalen, den Unterlieutenant von den Chevauxlegers, schwer aufzukommen sei. Dieser war ein junger, etwas leichtfertiger, aber sehr liebenswürdiger Baron, tollkühner Reiter, brillanter Tänzer, passabler Bariton und unwiderstehlicher Eroberer weiblicher Herzen. Daß die schöne junge Selbstherrscherin der kleinen Stadt gegen so viel Verdienste kühl blieb, hatte den sehr selbstbewußten Herrn nach und nach zu solcher Leidenschaft entflammt, daß er noch mehr Schulden und tolle Streiche als sonst machte, um die Aufrichtigkeit seiner Gefühle zu beweisen, und seinem einzigen Nebenbuhler lieber zehn- als einmal den Hals gebrochen hätte, wenn nicht der Respect vor dem Vorgesetzten und die stille Ueberzeugung, ein so dicker Mensch könne ihm nicht im Ernst gefährlich sein, ihn in Schranken gehalten hätte.

Die schöne Kaltsinnige –: es ist wohl endlich Zeit zu sagen, daß sie Rosamaria hieß –: ließ sich als das verwöhnte Kind, das sie war, auch diese Huldigungen wie etwas Selbstverständliches gefallen, ohne sie zu ermuntern, noch auch ganz zu entmuthigen. Es belustigte sie, zu beobachten, wie die beiden sehr verschiedenen Bewerber einander im Schach hielten; wenn der junge heute mit einer Bariton-Arie sich um sie bemühte, gab der ältere morgen unfehlbar ein Fagott-Concert an ihrem Theetisch zum Besten; galoppirte der Baron an ihrem Balcon vorbei und überreichte ihr, ohne anzuhalten, einen zierlichen Blumenstrauß, so schoß der Hauptmann, der ein eifriger Jäger war, ein Paar Rebhühner, die er ihr in die Küche schickte, als eine zarte symbolische Andeutung, daß er, wenn auch sein Frühling abgeblüht, doch wohl die solidere und nahrhaftere Zukunft ihr zu bieten hätte.

Die junge Frau stellte die Blumen in Wasser, ließ sich die Rebhühner braten, gönnte aber außer einem freundlichen Lächeln keinem ihrer beiden Ritter einen Dank, der zu größeren Hoffnungen berechtigt hätte. Auch an jenem Abend vor dem Ausmarsch, wo Beide wie verabredet in der gleichen Minute ihren Abschiedsbesuch machten, Jeder in der Hoffnung, das Fest im Rathhause würde den Andern abhalten, ihm auch diesmal den Rang abzulaufen, vermochte die übliche weiche Stimmung des Scheidens Frau Rosamaria nicht zu einem wärmeren Ton gegen Einen der Beiden hinzureißen. Vielmehr schien sie noch schalkhafter und spottlustiger aufgelegt als sonst. Den Hauptmann bat sie, ihr recht genaue Schlachtberichte zu schicken, und den jungen Baron, sich nach dem Einzug in Paris zu erkundigen, welche Modistin gerade die gesuchteste sei. Uebrigens sei es gar nicht galant, daß die Herren zwei Tage vor ihrem Geburtstage sich verabschiedeten, unter dem nichtigen Vorwande, das Vaterland retten zu müssen, während dem Einen doch nur das Avancement, dem Andern die Mysterien von Paris vorschwebten. Auf diese Scherze antwortete der Hauptmann mit treuherzigen Betheuerungen seiner für das Vaterland und seine Dame gleich unwandelbaren Gefühle und bat sich als Amulet eine Locke von ihrem Haar aus. Sein junger Nebenbuhler versprach, alle Grisetten zur Verzweiflung zu bringen durch die Schilderung deutscher Reize, und bemächtigte sich, ohne weiter zu fragen einer rothen Cravattenschleife, die er auf dem Herzen zu tragen versprach, als unsichtbares Band von Amors Ehrenlegion. Frau Rosamaria drohte ihm lächelnd mit dem Finger und ging dann, ihrem verständigeren Anbeter seinen viel kühneren Wunsch zu erfüllen. Bald darauf kam sie mit einem kleinen Medaillon zurück, das eine Locke enthielt, die der wackere dicke Anbeter, über und über vor Freude erröthend, sofort in seiner Brusttasche verbarg, ohne vorher die Farbe des Haares mit den Locken der schönen Geberin zu vergleichen. Da es die höchste Zeit war, auf das Rathhaus zu gehen, beurlaubten sich Beide zum letzten Mal und stiegen ziemlich wohlgelaunt, da Jeder sich für den heimlich Begünstigten hielt, nebeneinander die Treppe hinunter.

Sie blickten unten auf der Straße gleichzeitig nach dem Balcon hinauf, in der Hoffnung, die Dame ihres Herzens werde ihnen noch so weit als möglich mit den Augen das Geleit geben. Aber die junge Frau, sobald sie sich allein sah, hatte einen tiefen Seufzer gethan, wie Jemand, der eben einen lästigen Zwang abgeschüttelt hat, und war darauf durch eine Hintertreppe in den Garten hinabgegangen, wo nach der Julihitze des Tages die Büsche und Bäume sich eben zu verkühlen begannen.

Wie sie nun ganz allein durch die Schatten hinwandelte und den Rosen- und Nachtviolenduft einathmete, dabei fern über den Markt herüber »Was ist des Deutschen Vaterland?« und »Heil unserm König, Heil!« blasen hörte, beschlich sie eine schwermüthige Stimmung, eine Unlust an ihrem Leben und eine Herzenseinsamkeit, daß ihr die Thränen in die Augen traten. Ihr zweck- und liebloses In-den-Tag-hinein-leben war ihr nie so empfindlich gewesen, als eben jetzt, wo sie an gar Nichts einen rechten Antheil nahm, weder an Denen, die ins Feld zogen, noch an Denen, die zu Hause blieben; sie hatte beinahe Lust, mit Vaterland und König zu schmollen, weil jetzt alle Welt mit großer Erregung von nichts Anderem sprach und selbst einer so reizenden jungen Frau die letzten Verehrer abtrünnig wurden. Und das sollte nun wer weiß wie lange so fortgehen und sie aus ihrem stillen, entlegenen Winkel in den Weltlärm hinüberhorchen, wie ein Kind, das am Feiertag das Zimmer hüten muß und mit Aerger und Neid seine Kameraden draußen lärmen hört, unter denen es sonst die erste Rolle gespielt hat.

Zum ersten Mal seit langer Zeit stellte sich das Gefühl eines Mangels bei ihr ein. Sie hätte jetzt mit der Frau oder Braut eines dieser Offiziere tauschen mögen, denen der Abschied freilich schwerer wurde, die aber doch mit voller Seele mitten in der großen Zeit standen. Es dämmerte die Ahnung in ihr auf, daß, wer Nichts verlieren kann, auch Nichts wahrhaft besitzt, und daß sie andrerseits viel zu jung sei, um sich bloß so im Großen und Ganzen »ans Vaterland, ans theure, anzuschließen«, ohne dabei einem seiner Söhne insbesondere ihre Liebe und Angst, ihre Sorge und Sehnsucht zuzuwenden.

In diesen Gedanken tauchte ihr plötzlich das Bild eines seit Jahr und Tag Verschollenen wieder auf, mit dem sie nicht gerade in der besten Freundschaft auseinandergekommen war. Es war ein junger Bildhauer, der in der Stadt Verwandte hatte und auch sonst, da ihn als Landwehroffiziers-Aspirant seine Dienstpflicht hierher führte, alljährlich Einmal sich sehen zu lassen pflegte, ein sehr talentvoller, wackerer und schmucker Mensch, der durch seine Kunst, zumal in der Holzbildhauerei für Kirchen, hinlänglich Ruhm und Geld zu gewinnen anfing, um nachgerade auch ans Heirathen denken zu dürfen. Da er aber ein paar verwöhnte Augen im Kopfe hatte, war ihm von allen weiblichen Wesen im Städtchen keines gefährlich geworden, als nur die junge Wittwe, diese aber dergestalt, daß seine Leidenschaft aller Klugheit spottete und er es nicht nur dahin brachte, daß sein Geheimniß in aller Leute Mäuler kam, sondern daß auch die schöne Frau, obwohl sie dem hübschen Menschen heimlich sehr geneigt war, ihm ihr Haus verbieten mußte, da er die lächerlichsten Schmoll- und Eifersuchtsscenen ohne eigentlichen Grund oder sicheres Anrecht vom Zaune brach. Mehrmals hatte sie ihm lachend gesagt: er würde der Letzte sein, sie ihrem ledigen Stande abtrünnig zu machen, da seine Eifersucht sie in einen Thurm mit sieben Pforten einsperren würde, um selbst als Drache sie darin zu bewachen.

So war er das letzte Mal nach einer stürmischen Scene auf Nimmerwiedersehen auf und davon gegangen, und sie glaubte ihn wirklich verloren und –: vergessen zu haben. Da stand plötzlich seine schlanke Figur, sein feuriges und doch treuherziges schwarzes Auge, sein Lockenhaar und die hübsche, trotzig reuevolle Miene, mit der er ihr Schelten anzuhören pflegte, leibhaft vor ihr, und eine Stimme sprach zu ihr, daß sie doch wohl Unrecht gethan, diesen prächtigen Menschen so lange zu entmuthigen. Wie es öfter, als man denkt, zu gehen pflegt, war ein Keim von zärtlicher Neigung ihr unbewußt im tiefsten Grunde ihrer Seele zurückgeblieben, der nun auf Einmal, von der einsamen Nachtstille, dem schwülen Blumenduft und ihrer Schwermuth angehaucht, rasch aufzusprießen und in die Höhe zu wachsen begann und, ehe sie sich's versah, ihr ganzes Herz ausfüllte.

Sie erschrak ein wenig, da sie es inne wurde, aber im nächsten Augenblick war ihr dies wundersame Aufblühen ihres Herzens so süß und wonnig, daß sie an dem Gitter, welches die Hinterthür des Gartens bildete, stehen blieb, die Stirn und die heißen Lippen gegen die Eisenstäbe drückte und mit geschlossenen Augen, die Hände über der Brust gekreuzt, sich der ganz neuen und glückseligen Empfindung überließ, einen Menschen zu wissen, den sie entbehrte und mit tausend Sehnsuchtsgedanken in der Ferne suchte.

Sie hätte auch ungestört hier die halbe Nacht so fortträumen können, da der Garten auf eine öde Gasse mündete, wäre nicht Etwas geschehen, das wie ein Wunder aussah und die alte Sage von der Wirkung zärtlicher Gedanken in die Ferne bestätigte. Denn plötzlich hörte sie einen leichten, raschen Männerschritt sich nähern, und als sie in froher Bestürzung die Augen öffnete, sah sie die wohlbekannte Gestalt eben Desjenigen, den ihre Sehnsucht herbeigewünscht, in dem helldunklen Gäßchen herankommen und, gleichfalls freudig erschreckend, an dem Gitter stehen bleiben.

Sie begrüßten sich Beide, wie man denken kann, mit ziemlich ungeschickten Worten; der junge Mann aber, der ein Ränzel und einen breiten Künstlerhut trug, schien, obwohl er hier wie ein Fuchs den Taubenschlag umschleichend ertappt worden war, dennoch unbefangener, als die schöne junge Frau, die ihn früher am kleinen Finger gelenkt hatte. In einer Art stürmisch begeisterter Hast erzählte er, was ihn hieher gebracht. In Böhmen, auf einem altfürstlichen Schlosse, habe er seit vielen Monaten an der Ausschmückung eines Saals und einer Hauskapelle gearbeitet, abgeschieden von aller Welt, da die Zeitungen unregelmäßig, die Post nur dreimal in der Woche durch einen Fußboten zu ihm gelangten. Das Schreiben, das ihn zu seiner Compagnie einberief, habe er durch einen reinen Zufall vor dem Schicksal gerettet, aus der offenen Tasche des Boten, der sich am Schloßwall niedergelegt, um seinen Rausch auszuschlafen, in den Wassergraben hinabzugleiten. So aber sei er Hals über Kopf aufgebrochen, und da er bei der nächsten Kreuzung der Bahnen den Anschluß verfehlt, in einem Einspänner, den er gemiethet, den übrigen mit Dampf beförderten Kameraden nachgefahren. Nun sei er froh, noch gerade zur rechten Zeit angekommen zu sein, um morgen früh beim Ausmarsch nicht zu fehlen. Denn dies sei einmal eine Sache, der jeder gute Deutsche mit Freuden Blut und Leben opfere, und daß es Hand in Hand und Schulter an Schulter mit allen deutschen Brüdern über den Rhein gehe, setze dem festlichen Gefühle die Krone auf.

Er sprach noch eine Weile in diesem Sinne fort und gerieth dabei in solches Feuer, daß er den Hut abnahm, als ob er die lodernde Glut unter der Stirn verdampfen lassen müsse. Sie bemerkte, daß er noch viel hübscher geworden war, als er ihr im Gedächtniß stand, und zugleich schürte seine Beredsamkeit, die einzig dem Vaterlande galt, die verstohlene Neigung in ihrer Brust zu heller Eifersucht. Es freue sie, versetzte sie scheinbar gelassen, daß er so hochherzige Gesinnungen hege, und sie wünsche ihm Sieg und Glück und sage ihm nun gute Nacht, um ihn nicht länger aufzuhalten, da er doch nur aus Versehen ihr hier begegnet sei. –: Darin irre sie, stotterte, nun wieder befangener, der junge Mann. Zwar habe er nicht zu hoffen gewagt, daß er sie sehen werde, am wenigsten, daß ihm, nach der grausamen Art, wie sie ihn verabschiedet, ein so freundliches Gespräch mit ihr vergönnt werden sollte. Aber –: da leider sein Gefühl für sie ganz das alte geblieben und auch schwerlich je sich ändern werde –: sei es ihm Bedürfniß gewesen, nicht ins Feld zu ziehen, ehe er wenigstens das Haus und den Garten wieder gegrüßt, wo er so viel selig unselige Stunden verlebt habe. Darum sei er hinten herumgeschlichen, daß Niemand ihn erkennen möchte, ehe er dies stille Abschiedsfest gefeiert.

Als hierauf keine Antwort kam, das geliebte Wesen aber auch nicht vom Gitter zurücktrat, um Nichts mehr davon zu hören, sondern ihr schönes Haupt, still auf die Brust gesenkt und von dem dunklen Haar umflossen, ihn im Profil sehen ließ, wurde er kühner und trat so dicht an die Eisenstäbe heran, daß sie zusammenfuhr und jetzt freilich einen Schritt zurücktrat. Er flehte aber so herzlich, ihn anzuhören, daß sie nicht weiter fortging, sondern ihn ruhig reden ließ. Wie oft, betheuerte er, habe er seine Hitze und lächerliche Heftigkeit bereut, sich über seine tyrannische Eifersucht geärgert und sich zugeschworen, wenn das Glück ihn je Gnade bei ihr finden lasse, nie wieder in den alten Fehler zu verfallen. Aber jetzt sei es nun freilich zu spät. Eine Stimme rufe ihm zu: er werde aus diesem Kriege nicht zurückkehren. Wenn sie nun –: und hier zog der treuherzige Mensch mit der Schlauheit aller Verliebten recht wohlbedacht das rührendste Register –: wenn sie nun nicht gar von Stein und Erz wäre, müsse sie sich erweichen lassen und ihn wenigstens versöhnt und mit einem Schimmer von Hoffnung, für den Fall seiner siegreichen Wiederkehr, den Feuerschlünden entgegenschicken.

Die junge Frau, von der wir wissen, daß sie durchaus keinen Stein unter der linken Brust trug, besann sich ein Weilchen und sagte dann mit lieblich schüchterner Stimme, wie sie ihr feuriger Freund nie von ihr gehört hatte, daß seine Liebe und Treue sie freilich nicht ungerührt lasse, und daß sie es sich ewig zum Vorwurf machen würde, wenn sie ihn jetzt ohne jeden Trost verabschiedete. Aber in Fällen, wo ein ganzes Leben auf dem Spiel stehe, müsse man sich zusammennehmen und möglichst vernünftig handeln. Sie wolle ihm nur gestehen, daß sie gerade vorhin an ihn gedacht und recht empfunden habe, wie theuer er ihr sei, und wie sie sich ein Leben mit ihm wohl wünschen könne, wenn er seine herrischen Launen zügeln lerne. Denn obwohl sie durchaus nicht eitel und gefallsüchtig sei, könne und wolle sie es doch bei aller ehelichen Treue nicht anders, als daß sie unter Menschen fortleben und Diesem und Jenem noch gefallen dürfe. Ihr erster Gatte habe ihr junges Leben elend gemacht durch seine soldatische Strenge. Wenn sie einem Manne jetzt mit freiem Entschluß die Hand reichen solle, müsse sie erst Proben haben, daß ihre Gewalt über sein Herz hinlänglich groß sei, um sie vor knechtischer Unterwürfigkeit zu schützen. Er solle freilich »ihr Herr« sein, sie aber auch »seine Herrin«.

Als der Ueberglückliche, dem diese Worte mehr als die Erfüllung seiner kühnsten Träume verhießen, jetzt in sie drang, welche Prüfung sie ihm denn auferlege, um seine Sinnesänderung und lammfromme Ergebung in ihre Wünsche zu erproben, sagte sie, indem sie mit schalkhaftem Lächeln die Augen niederschlug: Sie wissen, Eduard, daß ich ein verzogenes Kind bin und seit dem Tode des Majors mir jeden Wunsch erfüllen konnte. Nun ist übermorgen mein Geburtstag, –: mein dreiundzwanzigster –: ja ja, man wird alt! –: und über den Kummer, daß ich so alt werde, hilft mir diesmal Niemand hinweg, da alle Diejenigen, die mir sonst gratulirten und Blumen schenkten, die jungen wenigstens, mit ausmarschiren und mir die neidischen alten Schachteln schadenfroh zurückbleiben. Es wäre nun sehr galant von Ihnen, wenn Sie mich für all das zu Entbehrende entschädigen wollten. Niemand weiß, daß Sie hier sind; wenn Sie sich zwei Tage später melden und die schlechte Postverbindung geltend machen, kann Sie kein Vorwurf treffen, und um den Kaiser Napoleon gefangen zu nehmen oder Paris zu erobern, kommen Sie immer noch früh genug. Ihre alte Kinderfrau, die Christel im Thurmstübchen, empfängt Sie mit offenen Armen und hält Sie die zwei Tage über verborgen. Abends, sobald es ohne Gefahr und Aufsehen geschehen kann, kommen Sie dann zu mir herüber, natürlich mit der alten Frau, und wir trinken zusammen Thee und besprechen die Zukunft, und wenn Sie die Probe wirklich bestehen, so gebe ich Ihnen mein Wort darauf, daß ich mich feierlich vor Ihrem Ausmarsch mit Ihnen verlobe, wobei die alte Christel und meine Dienstleute Zeugen sein sollen. Ich dächte, mein Herr Ritter, ich mache es gnädig mit Ihnen, da der einzige Drache, mit dem Sie zu kämpfen haben werden, die Langeweile oben im Thurmstübchen sein soll. Und auch damit wird es nicht so gefährlich sein, wenn Sie mich wirklich lieben und sich erinnern, daß mein Haus gerade Ihrem Thurmfenster gegenüber liegt.

Sie schien zu erwarten, daß er mit einem überschwänglichen Dank- und Freudenausbruch ihr ins Wort fallen würde; da er aber doch noch überlegte, wurde sie empfindlich betroffen und fuhr geschwinde fort, er möge um Gotteswillen Nichts thun, was ihn nachher gereuen könnte. Sie habe den abenteuerlichen Plan nur so im Scherz hingeworfen, begreife aber sehr wohl, daß für solche Scherze die Zeit zu ernsthaft sei, und wolle ihn also durchaus nicht länger aufhalten.

Jetzt erst fuhr er aus seiner Versonnenheit auf, bat um Verzeihung, daß ihn dies so plötzlich erblühende Glück stumm und schwindlig gemacht und unfähig, für die unerhörte Gunst, die sie ihm beweise, sogleich mit Worten zu danken. Er habe nur im Stillen noch erst erwogen, ob er es auch mit seiner Pflicht und Ehre vereinigen könne, noch zwei Tage zurückzubleiben. Aber sie habe ganz Recht: er versäume ja Nichts, und Niemand werde dadurch verkürzt, daß er so selige Stunden genieße. Ob es denn wirklich ihr Ernst sei? Es sei ihm wie ein Traum, er könne nicht glauben, daß sie mehr als einen Scherz mit ihm vorhabe, um ihn recht ihre Macht fühlen zu lassen und hinterher  –:

Ob er sie denn für ein so herzloses Geschöpf halte? unterbrach sie ihn mit einer Stimme, die von Thränen der Kränkung zitterte. Nein, sie wiederhole jedes Wort, und zum Zeichen, daß sie es ehrlich meine, möge er hier diesen unscheinbaren Ring mit in den Thurm nehmen und ihn betrachten, so oft er an der Wahrheit und Sonnenklarheit ihrer liebevollen Wünsche zweifeln wolle. Wenn er selbst aber andern Sinnes würde, sei natürlich dies Pfand unverbindlich für beide Theile.

Mit diesen Worten reichte sie ihm einen kleinen Goldreif mit blauen Steinchen durch das Gitter hinaus und lachte ihn so zärtlich und dankbar an, daß ihm das Herz schwoll vor Entzücken und er ihre Hand stürmisch an die Lippen drückte. Sie war ihm dabei hinter den Eisenstäben so nahe gekommen, daß er es wagen konnte, auch ihre Wange flüchtig mit seinen Lippen zu berühren. Da entzog sie sich ihm aber rasch mit unwilligem Erröthen, flüsterte ihm nur noch zu: Auf morgen Abend also! und war im nächsten Moment in den dunklen Laubgängen des Gartens verschwunden.

Wie ein Trunkener riß auch er sich endlich von der Pforte hinweg, hinter der er seinen Schatz so sicher verwahrt wußte, und stahl sich durch enge Winkelgäßchen auf den Marktplatz, den Hut tief in die Stirne gezogen, so daß ihn in dem nächtlichen Leben und Lärmen Niemand erkannte. Die Thüre des Kirchthurms lag zum Glück im Schatten. Kein Mensch bemerkte es, daß da ein später Gast an der Klingel zog und nach einigem Warten von einem Weibchen in einer großen Haube mit lautem Freudenruf, der aber gleich wieder verstummte, eingelassen wurde. Diese curiose alte Person lebte hier schon seit einer Reihe von Jahren mutterseelenallein und versah pünktlich, seit dem Tode ihres Mannes, der ein geschickter Mechanicus gewesen und Eduard's Onkel war, die Geschäfte eines Thurmwächters. Sie hatte dem Seligen so viel abgesehen, daß sie die uralte Thurmuhr, die an einem chronischen Rheumatismus und launischen Schlaganfällen litt, allein zu behandeln wußte, und da sie außerdem, wie Thurmbewohner pflegen, mit der Zeit ein Nachtvogel geworden war und pünktlich jeden Brand, der ausbrechen wollte, sogleich an die große Glocke hing, hatte ein wohledler Magistrat kein Bedenken getragen, sie als Nachfolgerin des seligen Thurmwächters mit vollem Gehalt zu bestätigen.

Dieses kleine Käuzchen, das auf der Welt sonst nichts Liebes hatte, als den stattlichen jungen Mann, dessen Kindheit sie behütet, machte nun große Augen, als sie, oben im engen Thurmstübchen sitzend, die wunderbaren Aussichten erfuhr, die dem Zurückgekehrten so plötzlich sich eröffnet hatten. Sie nickte, während er die Schönheit und Holdseligkeit seiner Geliebten pries, still vor sich hin und sagte kein Wort, auch nicht zu allem Uebrigen, wobei sie doch selbst eine Rolle spielen sollte, sondern fragte gleich darauf, ob er schon zu Nacht gegessen, und da er es bejahte, sagte sie, er werde sie für heute Nacht entschuldigen müssen und ein Treppchen höher sich in die Kammer hinauf bemühen, wo er schon vor Zeiten einmal während eines Marktes, der alle Gasthäuser überfüllte, ein paar Nächte geschlafen. Es sei heute Festtag, und an vielen Orten gehe es hoch her mit Schießen, Illuminiren und Freudenfeuern, da müsse sie die Augen überall hinkehren und dürfe nicht schwatzen. Morgen, wenn die Garnison ausgerückt ist, setzte sie, an ihren Haubenbändern knüpfend und von ihm wegsehend, hinzu, morgen und übermorgen an dem »hohen Geburtstage« hätten sie Beide ja Zeit genug, ganz friedlich sich mit einander die Langeweile zu vertreiben. Indessen werde er, wenn er noch nicht zu schlafen Lust habe, droben genug Unterhaltung daran finden, mit dem Fernglas, das sie ihm geben wolle, in die Häuser hinunter zu observiren, und so wünsche sie ihm gute Nacht und viel Vergnügen.

Dem jungen Manne kam ihr Wesen und Gebühren so besonders vor, daß er sich dachte: sie wird alt, und die Einsamkeit versteinert sie mit der Zeit so sehr, daß sie für die Gefühle eines Verliebten und halb Verlobten kein Herz mehr hat, wenn es auch ihr eigener Pflegesohn wäre; –: sagte also ebenfalls ziemlich kühl gute Nacht und kletterte mit einem Lämpchen und dem Fernglas versehen in das Stockwerk über dem Thürmerstübchen hinauf, das von einem einzigen achteckigen Gemach ausgefüllt war, dicht unter dem Raum, in welchem die alte Uhr ihr Wesen trieb.

Hier stand ein hartes, hochbetagtes Ledersopha, auf welchem der verewigte Mechanikus zu schlafen pflegte, da ihm, je näher seiner Patientin, je wohler war. Hier hatte auch unser junger Freund trotz des Rasselns und Schnarrens ihm zu Häupten, das ganz wie das schwere Athmen eines katarrhalischen Goliath klang, damals sanft genug geschlafen. Wenn es ihm heute nicht so gut werden sollte, so war kein zweihundertjähriges Wesen daran Schuld, sondern zunächst eines, das übermorgen dreiundzwanzig Jahre alt werden sollte.

Denn kaum hatte er sein Ränzel auf den alten Schemel gelegt und die Laterne auf die Truhe gestellt, in welcher das Werkzeug zur Reparatur der Thurmuhr aufbewahrt wurde, so öffnete er eines der beiden, mit bleigefaßten Scheiben verwahrten Fenster und ließ die herrliche Nachtkühle in das dumpfe Gemäuer hereinströmen.

Da lag unter ihm das weite, stille Land im sanften Sternenlicht mit den dunklen Waldbergen am Horizont und dem Fluß, der unter Weidengebüsch an Kornfeldern und Wiesen vorbei, in die Ferne wanderte. Das Alles schlief lautlos und friedlich, wie wenn es nicht anders sein könnte; und doch mußte unwillkürlich der Späher oben auf seiner Warte daran denken, daß nun bald Krieg sein werde und vielleicht diese gesegneten Fluren von Blut triefen, von Hufen zerstampft und zuletzt vom Feuer bis auf die Wurzel verheert werden möchten. Nachdenklich wandte er seine Augen auf das, was näher unter seinen Füßen lag, die hohen Dächer des Städtchens, die lustig erhellten und belebten Gassen, den Markt, auf dem es noch immer schwarz war von Menschen, die, vor dem Rathhaus stehend, sich an der kriegerischen Bankettmusik erbauten. Dies konnte er aber zunächst nicht sehen, weil das Rathhaus ihm im Rücken lag. Desto bequemer war ihm das Haus seiner Geliebten gerade vor die Nase gepflanzt, und als er jetzt das Fernglas darauf richtete, trat die schöne Frau wie bestellt, eine Lampe in der einen Hand, eine kleine Gießkanne in der andern, auf den Balcon hinaus, die beiden Oleanderbäume zu begießen, die eben zu blühen anfingen. Sie bewegte sich in dieser zierlichen Beschäftigung so unbefangen, als ob sie nicht entfernt daran dächte, wie gut sie sich, von der Lampe beleuchtet, in dem leichten Sommerkleide zwischen dem blühenden Gesträuch ausnahm, und ob vielleicht gar vom Thurme herab zwei feurige Künstleraugen sich an ihrer Gestalt erfreuten. Auch hielt sie sich nicht ungebührlich lange auf, sondern, nachdem sie die Pflanzen erfrischt, ohne etwa über den Markt hinüber auf »Lützow's wilde verwegene Jagd« zu lauschen, die kräftig von dem Stabstrompeter intonirt wurde, zog sie sich in ihr Häuschen zurück, in welchem auch bald darauf der letzte Lichtschein erlosch.

Der Verliebte droben in seinem Luginsland hatte indessen genug gesehen, um, wenn es überhaupt noch nöthig war, in helle Flammen zu gerathen. Nie war ihm das reizende Gesicht, ihre Art sich zu bewegen, die vornehme Manier, mit der sie die Haare in den Nacken zurückwarf, kurz, die ganze geliebte Person so liebenswerth erschienen, und wenn er sich vorstellte, daß er dies einzige Wesen morgen um diese Zeit in aller Muße sich gegenüber sehen, sie als die Seine betrachten und nach bestandener Probe unverwehrt in seine glückseligen Bräutigamsarme schließen sollte, fing die Stadt und das Land unter ihm an, sacht im Kreise herumzugehen, daß er einen Augenblick vom Fenster wegtreten mußte, um des Schwindels Meister zu werden. Wie er dann wieder hinuntersah, war Alles dunkel. Er warf noch eine Kußhand auf den leeren Balcon hinab und wendete sich dann an das Fensterchen gegenüber, aus welchem man das Rathhaus sehen konnte.

Das Fest unten, in dem mit Trophäen, Inschriften und Kränzen geschmückten Saal ging auf die Neige, die Meisten waren schon aufgestanden und ganz gegen die Regel Keiner darunter, weder im blauen noch im schwarzen Rock, der nur schwankend auf der geraden Linie hätte hinwandeln können. Jedoch ließ sich eine ungewöhnliche Stimmung erkennen, heute durch einen andern Geist entfacht, als den des Gersten- oder Rebensaftes. Man konnte viele Händedrücke, Umarmungen und Verbrüderungen beobachten, und die Worte, die schließlich der Bürgermeister, auf einem Stuhle stehend, an die Gäste richtete, wurden mit so stürmischen Hochrufen erwiedert, daß sie den Trompetentusch übertos'ten, auf den Markt hinaus sich fortpflanzten und von der Menge draußen in vielhundertstimmigem Echo zurückgeworfen wurden. Was man eigentlich hatte hochleben lassen, wußte draußen Niemand. Daß es aber nur dem Vaterlande gelten konnte, stand bei Allen fest. Und so wurden denn auch die Hinaustretenden, die Offiziere zumal, mit großem Jubel begrüßt und feierlich mit schnell herbeigeschafften Fackeln heimbegleitet.

Der Späher im Thurm erkannte Manchen im Zuge, jetzt den dicken Hauptmann, der sich den Schweiß von der Stirn trocknete, wie wenn er eben sein Fagott weggelegt hätte, den jungen Baron, seinen gefährlichsten Rivalen von damals, und Andere, denen er in dem Balkonzimmer hinter den Oleandern oft begegnet war. Er hätte jetzt wohl Ursache gehabt, sich ins Fäustchen zu lachen, da die Andern alle davonziehen mußten und er als ihr lachender Erbe zurückblieb. Aber es war seltsam: gerade, als er das bedachte, stieg ein Mißgefühl in ihm auf, das den Triumph und die Schadenfreude dämpfte. Die braven Leute da unten, seine Vorgesetzten und Kameraden, die so wacker und aufrecht zur letzten heimischen Nachtruhe in ihre Wohnungen gingen, kamen ihm, er wußte nicht, warum, heute so besonders ehrwürdig vor, daß er sich fast schämte, es besser zu haben, als sie alle. Einer aus der Schaar, zufällig sein Nebenmann im Gliede, blickte so verloren nach dem Lichtschein im Thurm hinauf und sprach dann gleich wieder ernsthaft mit einem Bürger neben ihm. Aber der Blick hatte genügt, um den Verborgenen droben wie einen ertappten Sünder mit einer dunklen Röthe zu übergießen, so daß er froh war, als der Zug in den Straßen rechts und links sich zerstreute und der Markt menschenleer wurde.

Nun aber wurde es in den Häusern lebendig, und gerade in den kleinen Zimmern der oberen Stockwerke, in die man vom Thurm aus ziemlich tief hineinsehen konnte, brannten, trotz der späten Nachtzeit und des bevorstehenden Ausmarsches vor Thau und Tage die Lampen und Lichter lange fort. Neben dem Rathhaus lag das spitzgieblige Haus eines wohlhabenden jungen Bürgers und Bäckermeisters, der natürlich mit beim Feste gewesen war. Als er nun zu seiner guten Frau wieder ins Zimmer trat, stand sie von der Wiege des Kindes, die sie sacht geschaukelt hatte, auf und fiel ihrem Mann um den Hals. Der Wächter im Thurm glaubte deutlich zu sehen, daß sie nasse Augen hatte und ihr Mann dieselben mit dem Rücken seiner derben Hand behutsam trocknete. Das Kind wachte auf und verlangte auf den Arm des Vaters, der den kleinen Burschen im Nachtröckchen auf dem Arm herumtrug, indessen die Frau die Montur und Säbel und Gewehr ihres Mannes ordentlich auf den Ehrenplatz im Sopha für morgen zurechtlegte. Nun dauerte es nicht lange, so mußte der junge Vater selbst den Helm aufsetzen und dem Bübchen das Seitengewehr in die Hand geben, und so spielten sie eine Weile Soldat, bis das Kind wieder schläfrig wurde, aber doch nicht anders zu Bette ging, als bis es den Säbel neben sein Kopfkissen gelegt sah. Die Eltern saßen noch eine ganze Weile, die Frau auf dem Schooß ihres Mannes und er streichelte von Zeit zu Zeit ihr schlichtes blondes Haar und sprach ihr zu, und sie nickte manchmal mit dem Kopf und schien sich Alles tief ins Herz zu schreiben, was er sagte, und sah ihn dann wieder an mit einem liebevoll gefaßten Gesicht, daß er sie herzlich an seine Brust drückte. Und dann gingen sie noch eine Weile Arm in Arm durch das Zimmer, bis es so spät wurde, daß sie ans Schlafen denken mußten; da wurde die Wiege in das hintere Zimmer getragen und das Licht ausgelöscht.

Aber nebenan, in einem Dachstübchen, brannte es noch fort und brannte die halbe Nacht. Hinten an der Wand stand ein Bett, darauf lag in voller Uniform, nur ohne Stiefel, ein junger Mensch, der eben aus einem Biergarten mit seinen Kameraden heimgekehrt war und sich lieber gleich, wie er ging und stand schlafen gelegt hatte, um morgen früh ja zur rechten Zeit marschfertig zu sein. Indessen saß eine blasse, ältliche Frau bei einem Talgstümpfchen vor dem geöffneten Tornister, den sie mit allerlei nützlichen und unnützen Sachen vollstopfte, wie eben eine Mutter sie ihrem einzigen Sohn mit auf die Reise giebt. Der Späher im Thurm sah sie an ein Schränkchen in der Ecke gehen und es aufschließen, um ein kleines schwarzes Büchelchen herauszunehmen, wahrscheinlich ein Gebetbuch. Aber nicht bloß an das Seelenheil ihres Kindes dachte die Gute, sondern sie steckte ein schmales Häufchen Guldenscheine, wohl ihren ganzen Nothpfennig, sorgsam in ein Papier, legte das zwischen die geistlichen Blätter und schob das ganze Packetchen zu unterst in den Tornister, darüber eine wohleingewickelte Wurst, ein Röllchen Cichorienkaffee, eine Düte mit Zucker und mehrere andere genießbare Dinge; worauf sie sich dicht neben den Schläfer ans Bett setzte und ihr Strickzeug vornahm, offenbar um noch ein Paar Socken bis morgen fertig zu bringen.

Noch ein anderes Fenster war durch das Fernrohr zu erreichen, und obwohl es lustig genug dahinter zuging, war es gleichwohl für den Zuschauer oben dasjenige, welches ihm am meisten zu denken gab. Es mußten Brautleute sein, die da nach dem Abendessen unter der Obhut einer älteren Person, so etwas wie eine Tante oder Pflegemutter, den Abschied feierten. Das Mädchen betrug sich neckisch und übermüthig, während der junge Mann es nur zu einem nachdenklichen Lächeln brachte. Dann ging die ältere Dame mit den Schüsseln und Tellern hinaus und schien lange des Wiederkommens zu vergessen, für die jungen Leute dennoch nicht lange genug. Aber als es gar zu spät wurde und der Bräutigam nun doch endlich aufbrechen mußte und sein Gesicht von dem seiner Liebsten lös'te, sah man wieder ihre Augen lachen und die weißen Zähne zwischen den rothgeküßten Lippen blitzen, so daß es schien, als wisse und ahne sie nicht, was diese Trennung bedeute. Sie begleitete ihn bis an die Hausthür. Dann dauerte es noch eine Weile, bis sie wieder ins Zimmer trat, nun aber ganz verwandelt. Mit heftiger Geberde fassungslosen Schmerzes warf sie sich auf das Sopha, die Hände vor die Augen gedrückt, und weinte all ihr krampfhaft behauptetes Heldenthum an der Schulter der Alten aus, die neben sie hingeknieet war und sie wie ein krankes Kind zu beschwichtigen suchte.

Endlich erlosch auch hier das Licht, und nun schien bis auf wenige schlaflose alte Leute das ganze Städtchen unten in die tiefste Ruhe versenkt, wie sie, nächst einem guten Getränk, vor Allem ein gutes Gewissen zu verleihen vermag. Nur in dem Hause, wo der Stadtcommandant wohnte, blieben die Fenster noch hell, da es immer noch Mancherlei zu schreiben und zu betreiben gab, und auf dem Bahnhof brannten die Laternen und liefen dunkle Menschengestalten hin und her, die Zurüstungen zu morgen zu vollenden. Warum konnte der Gast oben im Thurm keinen Schlaf finden? Warum mußte er immer von Neuem sein Fernglas nach der Commandantur und dem Bahnhofsgebäude richten? Freilich, ein gutes Getränk, das ihm als Schlaftrunk hätte dienen können, war ihm heute versagt geblieben. Aber ein gutes Gewissen –: hatte er das nicht in den Thurm mit hinaufgenommen, und was war denn geschehen, daß es ihm plötzlich abhanden gekommen und die Unruhe, es wieder zu finden, ihn nicht schlafen ließ?

Die da unten freilich, die in den dunklen Häusern schliefen, um morgen vor Tag wieder aufzustehen, die heute Abend schon ihr Haus bestellt, ihren Tornister gepackt, ihr Herz in die Hände genommen und es von Allem, was sie liebten, losgemacht hatten, –: die hatten gut schlafen. Für sie gab es nur noch Einen Gedanken, und der war hoch über Allem erhaben, was diese niedrigen Mauern, diese traulichen Gassen und Winkel umschlossen. Noch war das Alles, was bisher ihr Leben erfüllt hatte, in ihrer nächsten Nähe; aber schon hatten sie es von Herzen hingegeben, und der Traum, der letzte, den sie in der heimathlichen Enge träumten, trug ihre Seelen voraus über den Rhein in Feindesland und zeigte ihnen die großen Bilder von Kampf und Sieg, von Tod und Befreiung, wo jeder einzelne Lebensfunken in der herrlich lodernden Flamme einer hohen Begeisterung aufging und alle Liebeskraft, die bisher an sichtbare Wesen sich angeklammert hatte, nun den verschleierten und doch allgegenwärtigen Mächten der Ehre und Pflicht sich hingab.

Und Einer allein blieb zurück, Einer dachte an seine zärtlichen Freuden und versteckte sich unter Weibern! Während Alle, die ein Mannesschwert zu regieren vermochten, sich unter die Fahne des Vaterlandes schaarten, blieb er an ein Schürzenband gebunden im Verborgenen daheim, mit dem Vorbehalt freilich, wenn er erst noch ein paar gute Tage genossen, nachzukommen, und mit einer Beschönigung seines Säumens, bei der er den Blick niederschlagen mußte!  –:  –:

In diesem Augenblick setzte oben im Thurm die alte Uhr zum Schlagen ein, und dröhnend fuhren die zwölf harten, ehernen Schläge durch das zitternde Gemäuer und durch die Seele des einsamen Lauschers. Das Fernrohr glitt ihm aus der Hand, die Erde schien unter ihm zu wanken, er hielt sich unwillkürlich an den Fenstersims, und ein tiefer Seufzer rang sich aus seiner Brust los, in der es immer beklommener und wunderlicher gewühlt und gearbeitet hatte. Als die Mitternachtsstunde ausgeschlagen, richtete er sich fest in allen Gliedern auf, griff nach seinem Hut und tappte die Stufen zu dem Stübchen seiner alten Freundin hinab.

Er fand sie an einem der Fenster, ein geistliches Buch auf dem Schooß, von dem sie verwundert aufsah. Sie habe gedacht, er schlafe schon längst, da er sich so still verhalten. Ob er doch noch Hunger bekommen habe? –: Nein, aber er müsse noch einen Gang machen, der sich nicht aufschieben lasse. In einer halben Stunde denke er zurück zu sein, um dann desto besser zu schlafen.

So verließ er die Frau, ohne ihr offen ins Gesicht zu sehen. Sie schüttelte hinter seinem Rücken den Kopf und fuhr dann fort zu lesen.

——————

Am andern Morgen, als die ganze Stadt auf den Beinen war, um den Truppen beim Aufbruch zu dem heiligen Kriege wenigstens bis an den Bahnhof das Geleit zu geben, blieb Frau Rosamaria, obwohl der Lärm des Vorbeimarsches sie weckte, behaglich in ihrem Bette und dachte mit heimlichem Vergnügen daran, daß ihr Herz keinem der Ausrückenden nachschlug, sondern daß Der, dem es zärtlich zugethan war, wohlaufgehoben und ihres Winkes gewärtig zurückbleibe. Sie gestand sich, daß sie wirklich sehr in diesen ihren Getreuesten verliebt sei, und wunderte sich, wie sie selbst es so lange nicht gemerkt habe. Nun nahm sie sich vor, ihn und sich selbst desto reichlicher für alles Versäumte zu entschädigen und, so weit es irgend in Ehren geschehen könne, diese wenigen Tage, die er ihr schenken dürfe, ihn mit den holdseligsten Zeichen ihrer Liebe und Huld zu beglücken.

In diesen erfreulichen Gedanken schlief sie noch einmal ein und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und ihre Zofe mit einem Briefchen ins Zimmer trat. Die alte Christel aus dem Thurm habe es so eben abgegeben und sich dann gleich wieder entfernt.

Die schöne Frau, die nicht anders dachte, als daß ihr Geliebter, sich die Langeweile zu vertreiben, seine Morgenstunden mit Abfassung eines Liebesbriefs oder gar eines Gedichtes zugebracht habe, schickte ihre Dienerin wieder hinaus, um recht ungestört diese frühe Huldigung zu genießen. Als sie aber das Briefchen öffnete, fiel ein Ring heraus, –: derselbe, den sie gestern Abend dem stürmischen Werber als Pfand gelassen, und mit erröthenden Wangen las sie die folgenden Zeilen:

»Theure, ewiggeliebte Frau!

Wenn dies Blatt in Ihre Hände kommt, bin ich schon weit von Ihnen entfernt. Werden Sie es mir je verzeihen, daß ich die Probe, die Ihnen selbst nicht nur leicht, sondern für einen wahrhaft Liebenden so beseligend scheinen mußte, nicht bestanden habe? Wenn ich den Zustand Ihnen schildern könnte, in welchem ich die Stunden bis Mitternacht hingebracht, würden Sie Alles begreifen. Jetzt, in der Eile des Aufbruchs, da ich noch so Vieles vorzubereiten habe, um morgen mit auszurücken, kann ich nur sagen, daß es mir gegen den Mann geht, wenn all meine Kameraden mit klingendem Spiel in den großen Entscheidungskampf ziehen, mich versteckt zu halten, um hinter der Front heimlich ein Glück zu kosten, das ich noch gestern nicht im Traume zu hoffen wagte. Dieses Glück würde mir durch den Gedanken, ihm meine Pflicht geopfert zu haben, so vergällt, daß ich ihm lieber entsage, zumal ich der Meinung bin, auch Ihnen könne ein Bräutigam nicht wahrhaft werth und theuer sein, der sich Ihren Wünschen um den Preis seiner Selbstachtung gefügt hätte. Ich trenne mich daher mit schwerem Herzen von dem inliegenden Zeichen Ihrer Gunst, da ich die Bedingung, unter der Sie es mir geliehen, nicht zu erfüllen vermag. Wenn Sie mir trotzdem hold bleiben können, schreiben Sie mir nur eine Zeile durch die Feldpost, und glauben Sie, Schönste und Geliebteste unter allen Frauen, daß ich, wo ich auch sein werde, keinen seligeren Gedanken haben werde, als die Hoffnung, nach glorreich erkämpftem Frieden auch Ihre verscherzte Gunst wieder zu erobern.

E d u a r d    R.«

——————

Es ist nicht bekannt, obwohl in kleinen Städten sonst Nichts unbekannt bleibt, welchen Eindruck diese Epistel auf die Empfängerin gemacht habe. Aeußerlich war ihr nichts Besonderes anzumerken, da die größere Stille und Eingezogenheit ihres Lebens seit jenem Tage auf das Natürlichste sich durch die veränderte Weltlage erklärte, die alle Gemüther einzig auf die große Entscheidung jenseits des Rheins gerichtet hielt. Man verwunderte sich allerdings über den Eifer, mit welchem die junge Frau, die sonst nur an ihren Putz gedacht und übermäßige Anstrengungen gescheut hatte, jetzt an allen wohlthätigen Werken Theil nahm, Verbandzeug für die Verwundeten, späterhin wollene Decken und Winterhemden für die Orleans-Armee fertigen half, mit vollen Händen zu den häufigen Transporten der Liebesgaben beisteuerte und in dem Frauenverein, dem die Frau Bürgermeisterin vorstand, recht eigentlich die Unermüdlichste und Sinnreichste war, ohne ihre Verdienste jemals vorzudrängen oder sich damit zu schmücken. Man erkannte in der thätigen, hülfreichen, barmherzigen Seele die frühere gefeierte Schönheit nicht wieder, der man allgemein ein kaltes, eigensüchtiges Herz nachgesagt hatte.

Dabei schien sie nur an die große allgemeine Sache zu denken und gar nicht an die Personen, die sich derselben geweiht hatten. Wenigstens hatte die Feldpost weder Liebesgaben von ihrer Hand an diese oder jene bestimmte Adresse zu befördern, noch auch nur einen Brief, ob sie selbst deren viele erhielt. Der fleißigste ihrer Correspondenten war und blieb der dicke Hauptmann, dessen Briefe, ausführliche strategische Ausarbeitungen, an Corpulenz ihrem Schreiber nicht nachgaben. Von Zeit zu Zeit kamen auch halb zärtliche, halb humoristische Feldbriefe des jungen Barons, ganz in seinem übermüthigen Don-Juan-Stil, so daß sie sämmtlich gleich nach dem Empfang verbrannt werden mußten, –: bis auf einen einzigen, mit dem es eine ganz besondere Bewandtniß hatte. Er war nämlich nur aus Versehen in Frau Rosa's Hände gekommen, wie es oft geschieht, wenn Jemand zwei Briefe zu gleicher Zeit abschickt und in der Eile die Adressen vertauscht. Eigentlich sollte er an eine kleine Putzmacherin im Städtchen gelangen, die nun den für die junge Frau Majorin bestimmten Brief erhalten hatte. Frau Rosamaria las diese Zeilen, die ihr ein sorgfältig verhülltes Geheimniß entschleierten, mit einem eigenthümlichen Lächeln, steckte dann den arglosen Verräther ruhig in das falsche Couvert zurück und bewahrte ihn in ihrer Mappe.

Der junge Landwehrmann schrieb nur einmal einen kurzen Brief mit einem summarischen Bericht über seine Abenteuer. Als aber die Frage am Schluß, ob sie ihm noch zürne, unbeantwortet blieb, verstummte er für die ganze Dauer des Feldzuges, und sie hörte nur durch die dritte Hand und gelegentliche Postkarten, die er an die Christel im Thurme schickte, daß er unverwundet viele Gefechte ehrenvoll mitgemacht habe und längst Lieutenant geworden sei.

So verging das große, einzig erhabene Jahr der Wunder und Zeichen. Als man im Herbst allerorten die Heimkehr der Sieger feierte, blieb auch unser Garnisonsstädtchen nicht dahinten, dem zu Muth war, wie einem scheintodten Körper, in welchen plötzlich die entflohene Seele zurückkehrt. Wie es bei diesem Anlaß im Großen und Kleinen zuging, lebt noch so klar in eines Jeden Erinnerung, daß wir die geschmückten Thore und Straßen, die Böllerschüsse und den Jubel der Begrüßung, die Kränze, Inschriften und Transparente an den Häusern nicht weitläufig zu schildern brauchen. Nur so viel sei bemerkt, daß, wie sich die junge Wittwe während der ganzen Kriegszeit an Eifer für die Kämpfer und Verwundeten hervorgethan hatte, auch beim Siegesheimzug ihr Häuschen am Markt unbestritten den Preis davontrug, durch reichen und sinnigen Schmuck, der selbst ein Künstlerauge überraschen mußte. Das Schönste daran war freilich der Balkon, der in einen Rosengarten verwandelt schien, und Frau Rosamaria war klug genug gewesen, als lebende Blumen die hübschesten ihrer Freundinnen zu sich einzuladen, so daß der Flor der weiblichen Bevölkerung hier in einen einzigen Strauß vereinigt die vorbeiziehenden Helden anlachte und mit einem Blüthenregen überschüttete.

Der dicke Major –: denn das war inzwischen unser wackerer Hauptmann geworden –: ritt an der Spitze des Regiments würdevoll vorbei, senkte salutirend den Degen und erhob zugleich einen kühnen Siegerblick zu seiner Angebeteten, die er jetzt unbestritten als seinen rechtmäßigen Heldenpreis zu betrachten schien. Mit seiner Schwadron folgte dann, auf einem erbeuteten französischen Hengst courbettirend, den linken Arm in der Binde, übrigens gesund wie ein Fisch, der junge Baron, jetzt Oberlieutenant, und winkte gleichfalls, aber mit mehr Grazie und Uebermuth, zu den Schönen hinauf, von denen so ziemlich eine Jede Grund hatte, die Huldigung vornehmlich auf sich zu beziehen. Hinter den frischen Truppen kamen auf einigen offenen Wagen Diejenigen, die ihrer Wunden wegen nicht im Zuge mitmarschiren konnten, darunter der junge Landwehroffizier, der die letzten Monate am Typhus daniedergelegen und noch nicht wieder rüstig genug war, um zu Fuß zu gehen. Diese Nachzügler wurden, da der Blumenregen ziemlich erschöpft war, mit desto lauteren Hochrufen begrüßt, und nur von dem bewußten Balkon fiel eine große, dunkle Centifolie gerade unserem Freunde in den Schooß. Als er erröthend hinaufsah, begegnete er einem stillen Blick der geliebten Augen, aus welchen er sein Schicksal nicht zu lesen vermochte.

Das eigentliche Fest, das die Stadt den Tapferen gab, sollte erst am Abend stattfinden. Für den Mittag hatten die Bürger sich die Ehre ausgebeten, in ihren Häusern die Truppen zu bewirthen. Auf der Commandantur fand der Major eine Einladung zu Frau Rosamaria, die ihn bat, auch den Baron und den Landwehrlieutenant mitzubringen, ein Zusatz, der sein Siegerbewußtsein durchaus nicht niederschlug, da es sich doch nicht geschickt hätte, vor der Erklärung ihn allein zu Gast zu bitten. Auch während des Essens selbst, bei dem die schöne Frau auf das Liebenswürdigste die Wirthin machte, schwamm er in einem Meer von Stolz und Wonne und betrachtete die beiden Andern mit gnädiger Freundlichkeit als nothwendige Uebel, indem er sich im Stillen vornahm, sobald er Herr im Hause wäre, die überflüssigen Zeugen seines Glückes sich zu verbitten. Gegen seine ausführlichen und sachkundigen Erörterungen des Feldzugs, wobei er sämmtliche Fehler, die der feindliche Generalstab gemacht, nachzuweisen wußte, konnte der junge Baron freilich nicht aufkommen. Aber die lustigen Anekdoten und kleinen Abenteuer, die dieser zum Besten gab, brachten die schöne Wirthin doch zum Lachen, und die rauhe Luft der Bivouaks schien auch seine Flamme durchaus nicht abgekühlt zu haben. Still und in sich gekehrt saß der Bildhauer am Tische und hatte sich keiner besonderen Großthaten zu rühmen, da er behauptete, nur gerade seine Schuldigkeit gethan zu haben. Aber die Reconvalescenz gab ihm eine interessante Blässe, die das Feuer seiner Augen nur leuchtender machte, und wenn auch Frau Rosamaria ihn mit sichtlicher Förmlichkeit behandelte, war doch für die Zukunft ein solcher Hausfreund nicht gerade wünschenswerth.

Der Major dachte daher, das Eisen zu schmieden, so lang es glühte, führte nach aufgehobener Tafel die junge Hausfrau auf den Balkon und gestand ihr dort, daß er wohl wisse, alles Glück dieses Feldzuges habe er nur dem Medaillon mit ihren Haaren zu verdanken. Es möchte zwar etwas hastig erscheinen, aber an ein rasches Ergreifen des Moments sei der Stratege gewöhnt, und darum bitte er inständigst, sie möge die Entscheidung über sein Lebensglück nicht länger hinausschieben. Ehe sie noch die Lippen öffnen konnte, um zu antworten, trat der Baron zu ihnen, vom Wein noch etwas kecker gemacht, als ihm sonst schon im Blute lag, und sagte, er stehe zwar im Dienst des Vaterlandes hinter der höheren Charge zurück, aber im Frauendienst kenne man keine Anciennetät, im Gegentheil seien da die höheren Dienstjahre oft hinderlich, und so erlaube er sich die bescheidene Anfrage, ob er sich an der sorgfältig behüteten rothen Schleife aufhängen oder sie heut Abend öffentlich als die Farben seiner Herrin an der Brust tragen solle.

Die Schöne, die so plötzlich zwischen zwei Feuer gerathen war, schien zu erwarten, daß ein Dritter kommen und sie aus der mißlichen Lage wenigstens für den Augenblick retten sollte. Dieser Dritte aber war im Zimmer zurückgeblieben, durch das gleichmüthig freundliche Betragen der Geliebten völlig entmuthigt und entschlossen, heute für immer von ihr Abschied zu nehmen, da er in seiner Krankenschwäche jede Zuversicht zu seinem guten Glück verloren hatte.

Er hörte die Reden draußen auf dem Balcon, und seine letzte Hoffnung versank, als Frau Rosamaria nun antwortete, sie wisse die Ehre, daß zwei so tapfere Vaterlandsvertheidiger sich um sie bewürben, vollkommen zu schätzen, aber sie wolle keinen von ihnen in Gegenwart des Andern zurücksetzen und bitte daher, daß sie jetzt ohne Streit nach Hause gingen, wo sie ihre Antwort bereits vorfinden würden. Auf den Abend hoffe sie bei dem Fest zu erscheinen, und zwar nur, wenn Jeder vorher gelobe, ohne Groll und feindselige Verstimmung die Entscheidung hinzunehmen.

Sie mußten ihr das feierlich mit Handschlag versprechen, worauf sie spornstreichs nach ihrer Häusern eilten. –: Wollen Sie mich auch schon verlassen, lieber Eduard? wandte sich dann die junge Frau an den düster blickenden Freund. Nun denn, gehen Sie nur nach Hause und ruhen Sie noch ein paar Stündchen, denn Abends dürfen Sie nicht fehlen, ich rechne darauf.

Sie reichte ihm, wie wenn nie etwas zwischen ihnen vorgefallen wäre, die Hand, die er, sich stumm verneigend, an seine Lippen drückte, innerlich fest entschlossen, vom Feste wegzubleiben und sie nie wiederzusehen. So ging auch er, und die schöne Frau machte eine Bewegung, als ob sie ihn zurückhalten wollte, besann sich aber wieder und blieb einsam in ihrem Wittwensitz zurück.

Als der Major in sein Zimmer trat, sah er etwas Langes sorgfältig eingewickelt auf dem Tische liegen. Der Diener der Frau Majorin habe es vor einer Stunde abgegeben. Mit bebenden Händen riß er die Umhüllung ab, und hervorkam in einem Lederfutteral ein prachtvoller Ehrendegen, der einmal beim fünfundzwanzigjährigen Offiziers-Jubiläum dem seligen Major von seinen Kameraden verehrt worden war. Dabei lag ein Blatt von der Hand der Frau Rosamaria, worin sie ihm schrieb: da die Reliquie, die schon ihr seliger Gatte auf der Brust getragen, die goldene Kapsel mit einer Locke des berühmten Prinzen und Feldherrn Max Emanuel, ein theures Familienvermächtniß im Hause des verstorbenen Majors, ihren tapferen jetzigen Besitzer, besser als es einer Locke vom Haupte einer schwachen Frau möglich gewesen wäre, zu so rühmlichen Thaten begeistert habe, werde diese Waffe vollends ihm den Weg zu den höchsten kriegerischen Ehren bahnen, und sie hoffe, den treuen und bewährten Freund dadurch nicht zu verscherzen, daß sie ihn nur in solcher Weise zum Nachfolger des Verewigten zu machen im Stande sei.  –:  –:

Der junge Baron, als er, eine französische Chanson trällernd, in seine Wohnung zurückkehrte, fand nur einen Brief auf seinem Tisch, und da er vollkommen zu wissen glaubte, was darin stand, zündete er sich erst noch eine Cigarre an, ehe er das Siegel erbrach. Aber die Cigarre ging ihm wieder aus, als er aus dem Couvert seinen eignen Feldbrief mit der vertauschten Adresse hervorzog und von der Hand der schönen Frau nur die Worte hinzugefügt sah: »Irren ist menschlich, und darum keine Feindschaft. Ich bitte, den Brief in die rechten Hände zu befördern, aus denen auch die so treu behütete rothe Schleife hervorgegangen ist.«  –:  –:

Viel langsamer, als seine beiden Vorgänger, erklomm der Dritte die Stufen, die ihn in das Thurmstübchen der alten Christel führten. Er wollte nur Abschied von ihr nehmen, dann auf die Commandantur, um sich Urlaub zu erbitten, und womöglich heute noch der Stadt den Rücken kehren, um irgendwo im Gebirge die völlige Genesung seines Leibes abzuwarten, wenn auch die Wunde seines Herzens noch lange nicht sich schließen würde.

Er fand die treue Alte nicht auf dem gewohnten Platz; sie hatte sich in das obere Stübchen zurückgezogen, um ihn das kleine versiegelte Päckchen, das auf dem Tische lag, ohne Zeugen öffnen zu lassen. Obwohl er sofort die Hand seiner Geliebten erkannte, griff er doch nur mechanisch danach. Was sollte er sich erwarten, als irgend ein Andenken, das ihm nur schmerzlich sein konnte? Aber als er das Papier geöffnet hatte, kam eine kleine Brieftasche zum Vorschein, die innen eine Photographie der schönen Frau enthielt, auf der Rückseite aber mit feinen Buchstaben die Worte geschrieben: »Du sollst mein Herr sein und ich bin nicht deine Herrin, sondern deine treue und gehorsame Frau.« Dazu das Datum des heutigen Tages und ein Lorbeerkranz, der die Schrift zierlich einrahmte. Und wie er jetzt mit freudezitternden Händen das Seitentäschchen öffnete, fiel der kleine Ring mit dem blauen Stein wieder heraus, in einen Zettel gewickelt mit den Worten: »Ich danke Dir, daß Du die Probe nicht bestanden hast. Verzeihe diese letzte Thorheit Deiner glücklichen Braut.«  –:  –:

Es bleibt nichts hinzuzufügen, als daß wenige Augenblicke nach dieser Enthüllung ein blasser junger Mann oben am Thurmfenster erschien und gleichzeitig unten eine über und über erglühende junge Frau auf dem blumengeschmückten Balkon des Hauses gegenüber, und daß die Nachbarn behaupten wollten, zum ersten Mal habe die alte Christel eine Feuersbrunst, die sie aus ihrer hohen Warte beobachtet, nicht an die große Glocke gehängt.

——————


 << zurück weiter >>