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Barbarossa.

(1869)

Nur einen Tag hatte ich droben in den Bergen bleiben wollen, und aus dem einen Tag wurden zwei Wochen, die mir in dem hochgelegenen, verfallenen Nest auf der Grenze des Albaner- und Sabinergebirgs – den Namen darf ich nicht nennen – rascher vergingen, als oft im bunten Getümmel großer Städte. Was ich eigentlich den lieben langen Tag anfing, wüßte ich kaum zu sagen. In Rom hatte mich ein Heißhunger nach Einsamkeit überfallen; den konnte ich hier stillen, nach Herzenslust Es war im ersten Frühling, das Laub der Kastanien glänzte in der üppigsten Frische, die Schluchten waren voll Vogelgesang und Quellenrauschen, und da erst kürzlich eine große Räuberbande, die diese Wildniß unsicher gemacht, zum Theil aufgehoben, zum Theil in die Abruzzen gejagt worden war, konnte ein einsamer Wanderer die verlorensten Klippenwege sorgenfrei erklettern und sich ungestört den tiefsinnigsten Betrachtungen hingeben.

Mit den deutschen Malern, die in ansehnlicher Zahl die beiden elenden Herbergen des Städtchens bevölkerten, hatte ich jeden Verkehr von vornherein vermieden, und das Bedürfniß, dann und wann seine eigene Stimme zu hören, das auch den Einsiedler treibt, mit seinen Hausthieren zu plaudern, befriedigte ich zur Genüge im eigenen Hause. Ich wohnte nämlich bei dem Apotheker des Ortes, der mit meinem sehr mangelhaften Italienisch die größte Nachsicht hatte. Er entschädigte sich freilich für seinen Aufwand an Geduld, indem er die meinige häufig mißbrauchtez denn bald nachdem die erste Fremdheit überwunden war, schüttete er ein reiches Füllhorn eigener Verse über mich aus und gestand mir, daß er trotz seiner Fünfundfünfzig noch immer diese Kinderkrankheit nicht ganz loswerden könne. Was wollt Ihr? sagte er. Wenn ich Abends so ans Fenster trete, und der Mond kommt über die Felsen herauf, und die Leuchtkäfer fliegen über mein Gärtchen – eine Bestie müßte ich sein, wenn ich nicht zu dichten anfinge! – Er war auch sonst durchaus keine Bestie, der gute Signor Angelo, den seine Freunde wegen einer natürlichen Tonsur, eines Kranzes schwarzer Härchen, der auf dem spiegelblanken Kahlkopf stehen geblieben war, scherzweise Fra Angelico nannten. Aus seinem Geburtsort war er freilich nur zweimal in seinem Leben hinausgekommen, beide Mal nur bis Rom. Aber Rom ist die Welt, pflegte er zu sagen. Wer Rom gesehen hat, hat Alles gesehen. Und so sprach er denn auch über Alles, theils nach der sehr bunt zusammengewürfelten Kenntniß, die er einigen zufällig erwischten Büchern verdankte, theils mit der Kühnheit einer ungezügelten Dichterphantasie. Von den Honoratioren, die sich nach echt italienischem Brauch gegen Abend in seiner Apotheke zu versammeln pflegten – der Pfarrer, der Schulmeister, der Chirurg, der Steuereinnehmer und einige amtlose Benestanti, denen man die reiche Oliven- und Weinernte des letzten Jahres am Gesicht ansah – von all diesen Biedermännern widersprach Niemand dem Fra Angelico, zumal wenn er, ehe er eine längere Rede hielt, seine große silberne Brille am Rockärmel putzte und dann anfing: Ecco, signori miei, die Sache verhält sich so! – Bei alledem war er die beste, harmloseste Seele von der Welt und der liebenswürdigste Hauswirth, den man nur wünschen konnte, wenn man keine Wünsche hatte, die über ein hartes Bett und zwei wackelbeinige Rohrstühle hinausgingen. Mich liebte er, obwohl – oder vielleicht weil er keine Ahnung hatte, daß er einen Bruder in Apoll beherbergte. Ich war so klug, für ihn nichts weiter als ein dankbares Publikum zu sein und erst beim vierundzwanzigsten Sonett ihm sanft die Hand auf den Arm zu legen und zu sagen: Bravo, Sor Angelo! Aber ich fürchte, es wird des Guten zu viel. Eure Poesie, wißt Ihr, ist stark und steigt zu Kopf. Morgen füllt Ihr mir ein neues Fiasco aus Eurer Hippokrene. – Worauf er jedesmal mit der gutmüthigsten Miene sein Heft zumachte und sagte: Was hülfe es auch, wenn ich Euch ein Jahr lang Nacht für Nacht in Schlaf läse? Ich würde doch nicht fertig. Hier steckt noch ein Perù! – Und dabei schlug er sich gegen die blanke Stirn, seufzte, bot mir eine Prise an und wünschte mir gute Nacht.

Die meisten dieser Gedichte waren natürlich verliebter Art, und wenn der kleine Mann sie mit funkelnden Augen und dem ganzen Pathos seiner Landsleute recitirte, vergaß man leicht seine fünfundfünfzig Jahre. Dennoch lebte er als Junggeselle mit einer alten Magd und einem Burschen, der ihm bei seinen Salben und Tränkchen an die Hand ging, und es mußte auffallen, daß er, bei seiner Neigung zu allem Schönen und seiner Wohlhabenheit, weder, wie ich hörte, jemals verheirathet gewesen war, noch jetzt, in der Nachblüte seiner Herbsttage, geneigt schien, das Versäumte nachzuholen. Als ich ihn eines Abends, da wir bei einem guten Landwein rauchend beisammensaßen, scherzhaft um die Ursache befragte, weßhalb er es mit seinem mönchischen Spitznamen so ernst nehme, und ob keines der schönen Mädchen, die täglich an seinem Laden vorbeigingen, sein Herz zu rühren vermöge, sah er plötzlich mit einem eigenthümlichen Ausdruck vor sich hin und sagte: Schöne Mädchen? Nun ja; sie mögen nicht so übel sein. Und auch der Ehestand mag besser sein, als sein Ruf. Aber ich bin zu alt für eine Junge, und für eine Alte noch zu jung, will sagen, zu sehr Poet. Je älter der Vogel ist, desto ungerner läßt er sich rupfen. Und dann seht, Freundchen, ich hab' einmal Eine mächtig gern gehabt, die mich nicht gemocht hat, Eine, sag' ich Euch, wie keine wieder kommt. Nun bin ich denn auch zu stolz, oder wie soll ich's nennen, so bloß vorlieb zu nehmen, wenn mich eine Geringere möchte, von denen eben zwölf ein Dutzend machen. Lieber träume ich mir so in Versen ein Glück zusammen und phantasire mir eine vollkommene Schönheit vor aus hundert mangelhaften, wie der griechische Maler – Apollines hieß er ja wohl? – der zu seiner Venus von dieser Nachbarin die Augen, von jener die Nase und so fort sich überall das Beste stückweis zusammensuchte. Die aber, die das Alles vereinigte und so schön war, daß Ihr's gar nicht glaubt, wenn ich's Euch sage, die hat ihre Schönheit schwer bezahlen müssen, und Wenige wissen die Geschichte so genau, wie ich, obwohl jeder von den älteren Leuten hier im Ort, den Ihr nach der Erminia fragen mögt, mir bezeugen wird, daß sie ein Wunder der Welt war, und daß in den zwanzig Jahren, die seitdem verflossen sind, nichts vorgefallen ist, was solches Aufsehen gemacht hätte, wie ihr Schicksal und was damit zusammenhängt. Kommt, ich will's Euch erzählen, da Ihr ja ohnehin schon die Sonette an sie kennt; Ihr entsinnt Euch, die fünfundsiebenzig, die ich in dem blauen Umschlag verwahre, von denen Ihr noch sagtet, sie seien wahrhaft petrarchesk, die stammen alle aus der Zeit, wo die Wunde noch frisch war, und wenn ich Euch die Geschichte erzählt habe, könnt Ihr sie noch einmal lesen; Ihr werdet sie dann erst ganz verstehen.

Er schnäuzte mit einem Seufzer, der mir noch mehr drollig als tragisch klang, das Licht und legte sich dann in den Lehnstuhl hinter seinem Ladentisch zurück, wobei er die Augen halb zudrückte und die Hände in den Seitentaschen seines abgetragenen Paletots vergrub. Es mochte etwa neun Uhr Nachts sein. Der Platz vorm Hause war todtenstill; nur den Brunnen hörte man plätschern und in der Kammer nebenan den Lehrbuben schnarchen. Da fing er nach einer langen Pause mit seinem gewöhnlichen Exordium an:

Ecco, amico mio, die Sache verhält sich so. Anfangs der dreißiger Jahre – Ihr seid zu jung, um so weit zurückzudenken – da lebte diese Erminia hier im Ort, mit ihrer Mutter und Schwester, die nun auch lange todt und begraben sind. Wenn Ihr zum Thore hinaus geht und steigt rechts die kleine Gasse hinauf nach den alten Trümmern oben auf dem Gipfel unseres Berges, da kommt Ihr an ein kleines Haus, vielmehr eine Hütte, die jetzt ohne Dach ist, bis auf ein paar vermoderte Sparren, und auch damals nicht viel besser gegen Regen und Sonnenschein verwahrt war, nur daß der große Feigenbaum, der jetzt verdorrt ist, seine breiten Aeste mit dickem Laub darüberdeckte, gerade zu der Zeit, wo man drinnen den Schatten am Besten brauchen konnte. In diesem nackten Steinhaufen, der eher zu einer Höhle für wilde Thiere getaugt hätte, wohnte die Erminia. Der Vater war seit Jahren todt, die Mutter verstand nicht zu hausen, so daß die Familie elend heruntergekommen war und froh sein mußte, daß man ihr erlaubte, sich in dem Getrümmer einzunisten. Manche waren auch wohl da, die Wittwe um ihres Mannes willen zu unterstützen. Aber Ihr wißt, wie es im Sprüchwort heißt:

Sacco rotto non tien miglio,
Pover uomo non va a consiglio;
Zerrissner Sack hält kein Korn;
Am Armen ist guter Rath verlor'n.

es war Alles umsonst. Die Mädchen, die sich so wacker hielten, mochten sich mit Spinnen und Bortenwirken die Finger zerarbeiten und die Nachbarn das Ihre thun, wie sie nur konnten – die Alte vertrank Alles, und wenn sie nicht tobte und die Furie machte, lag sie am Herde und schlief und ließ ihre Töchter zusehen, wie sie zu einem Bissen für den Hunger und einem Fetzen für ihre Blöße kamen. Ich glaube, wenn der nächste Nachbar, der Feigenbaum, nicht so wacker seine Schuldigkeit gethan hätte, die Erminia und ihre Schwester Maddalena wären beide Hungers gestorben, da sie zu stolz waren zu betteln. Kleider konnte der Baum freilich nicht hergeben, da wir nicht mehr im Paradiese leben. Darum wunderte es Jeden, die armen Dinger doch immer anständig zur Kirche gehen zu sehen, um so mehr, da man ihnen nichts nachsagen konnte. Die jüngere freilich, die Maddalena, war gegen die Versuchungen des Bösen ziemlich geschützt, da sie häßlich war, wie der Teufel, ein kleines, wildes, klumpfüßiges Geschöpf mit langen Armen und kurzen Beinen, das im Gehen und Hocken einer Kröte glich und die Kinder auf der Straße fürchten machte, wenn sie unversehens vorbeikroch. Sie wußte es auch, wie wüst sie war, und hielt sich meist zu Hause, that aber Niemand was zu Leide, wie man es nicht oft bei so verwahrlos'ten Kreaturen findet, die gemeiniglich neidisch und boshaft zu sein pflegen, um sich für ihr Mißgeschick zu rächen; vielmehr war es fast, als fände sie es ganz in der Ordnung, daß ihre Mutter, nachdem sie ein so ausbündig schönes Kind, wie die Erminia, in die Welt gesetzt, nun für das zweite nichts mehr als den Abhub der Natur übrig gehabt hatte. Statt die ältere Schwester scheel anzusehen und ihr Gift ins Glas zu brauen, vergötterte sie sie förmlich, daß keiner von den jungen Burschen verliebter in die Erminia sein konnte, als der arme Tropf, die Maddalena. Freilich war sie auch danach, daß sie lieben mußte, wer sie nur sah. Ihr habt in Rom die Bildsäulen gesehen, Musen und Venusse und Minerven, keine kleinen Meisterstücke, und wie die Welt nichts Aehnliches von Kunstwerken hat. Und doch, unter uns gesagt: Pfuschereien gegen das, was hier die Natur geschaffen hatte! Seht, Bester, – und damit sprang der kleine Mann auf, streckte sich und hielt den Arm in die Höhe – so groß war sie, etwa einen Kopf größer als ich, und dabei so schön gebaut, und der kleine Kopf so schlank auf der prachtvollen Büste, daß ihre Größe Niemand auffiel. Und nun das Gesicht, wie mit dem Meißel gemacht, die Augen groß und schön geschweift, mit einem Blick – zugleich trotzig und sanft; ein Mund, roth wie Erdbeeren, oder wie eine eben aufgebrochene weiße Feige, und über der Stirn die dicken, blauschwarzen Ringelhaare, die sie hinten in einem schweren Nest von Zöpfen zusammensteckte, daß ein solcher Nacken dazu gehörte, eine solche Last zu tragen. Und dann, wie sie ging und sich regte und die Arme hob, einen Korb zu stützen, den sie auf dem Kopfe trug, und die langen Finger wie gedrechselt, und die kleinen Füße in ihren groben Schuhen – amico mio, wenn ich noch kein Poet gewesen wäre, das Mädchen hätte mich dazu gemacht. Die Anderen, die kein Dichterblut in den Adern hatten, machte sie wenigstens toll, was schon der halbe Weg zum Tempel des Apollo ist. Da war kein junger Laffe im Ort, der sich nicht die linke Hand hätte abhauen lassen, wenn er ihren Ring an der rechten hätte tragen dürfen. Sie aber erhörte Keinen, und das war um so auffallender, da sie in solcher Armuth lebte und Anträge bekam, von denen der geringste sie sammt Mutter und Schwester hätte aus aller Noth reißen können. Von mir will ich nicht reden. So rasend verliebt ich war, so hatte ich doch noch Verstand genug, einzusehen, daß ich sie nicht werth war; und nachdem ich den Kummer über meinen Korb nothdürftig verwunden hatte, sagt' ich's ihr einmal, daß ich darum doch allezeit ihr Freund bleiben würde, und sie gab mir die Hand und dankte mit einem Lächeln, Herr, daß ich in demselben Augenblick wieder verrückter wurde als je. Aber da war noch ein Anderer, von dem Jeder meinte, der werde uns Alle ausstechen, und wenn wir's ihm auch nicht gönnten, hätten wir's ihr doch nicht verdenken können. Das war der Sohn des Wirths von der Croce d'oro, ein schöner und steinreicher Mensch, erst zweiundzwanzig Jahr alt, ein paar Zoll größer als die Erminia, und man nannte ihn Barbarossa, oder schlechtweg il Rosso, weil er zu seinem krausen blonden Haar einen schönen rothen Bart hatte; eigentlich aber hieß er Domenico Serone. Der machte nun der Erminia den Hof, daß man von nichts Anderem sprach, und geberdete sich wie ein Verzweifelter, wenn sie ihn so ruhig abfertigte, wie uns Andere, ohne ihn doch geflissentlich mit Hochmuth zu kränken. Nur gab sie ihm zu verstehen, daß er sich seine Mühe sparen könne, da sie ihn nicht zum Mann haben wolle; denn ein braves Kind, wie sie war, wollte sie keine falschen Hoffnungen erwecken. Viele glaubten, die Einheimischen seien ihr überhaupt nicht vornehm genug, es müsse ein Fremder sein, ein Milordo oder ein Russe, und der Sinn stehe ihr auf ferne Länder und fabelhafte Abenteuer. Aber nein, Herr! auch das war fehlgeschossen. Ich habe selbst einen reichen englischen Grafen oder Marchese, oder was er war, gekannt, der hat mir erzählt, daß er ihr ein paar Tausend Pfund nur so in die Schürze geworfen und auf seinen Knieen gebeten habe, sie möchte ihn nach England begleiten. Sie aber habe das Gold auf den Boden geschüttelt, wie dürres Laub, und ihm gedroht, wenn er noch einmal ein Wort an sie richte, werde sie ihm gerade ins Gesicht schlagen, und sollte es auf offenem Markte sein. Und so erschöpfte man sich in Vermuthungen, was wohl der Grund sein möchte, und ob sie etwa ein Gelübde gethan, als Jungfrau zu sterben, und ich selbst faßte mir einmal ein Herz, sie – freundschaftlich, wie ich mit ihr stand – zu befragen, ob sie überhaupt die Männer hasse. Nein, sagte sie ruhig, aber ich habe noch Keinen gefunden, den ich hätte lieben können.

So ging das ein paar Jahre, sie immer mit dem gleichen gelassenen Gesicht, der Rothbart mit immer finstrerer Miene, und man sah ordentlich, wie ihn die innere Flamme abzehrte, daß der schöne Junge nur noch wie ein Gespenst herumschlich. Da kam eines Tages ein Fremder hieher, ein schwedischer Kapitän, der seinen Abschied genommen hatte, weil sie ihn beim Avancement unbillig zurückgesetzt hatten, und seitdem, da er Vermögen genug hatte, war er herumgereis't, zu Lande und zur See, hatte ebensowohl Tiger und Elephanten gejagt, wie Krokodile und Seeschlangen, und brachte ein halb Dutzend der schönsten Jagdgewehre mit, und seinen großen Neufundländer, der ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Wenn mir recht ist, hieß er Sture oder so dergleichen; ich selbst nannte ihn Sor Gustavo, und die Leute im Ort schlechtweg den Kapitän. Der quartierte sich, weil ihm mein Gärtchen gefiel, bei mir ein, gerade in dem Zimmer, das Ihr jetzt bewohnt, und wir waren bald so vertraut wie Brod und Käse miteinander. Viele Worte machte er nicht, und auch von meinen Versen wollte er nichts wissen, denn er liebte nur Einen Poeten, den Lord Byron, dessen Abenteuer er sich zum Muster genommen hatte. Nun, er konnte es auch darauf wagen. Courage hatte er, wie der Leibhaftige, Geld mehr als er verbrauchen konnte, und die Weiber liefen ihm überall nach, da er von Figur ausnehmend stattlich war und dabei eine gutmüthige Miene hatte, daß Jede glaubte, an diesem Herkules könne sie unschwer zur Omphale werden. In Rom hatte er allerlei angebändelt, wovon Dieser und Jener wissen wollte, er selbst sprach nie von seinen Liebesaffairen und schien auch hier im Ort gar nicht darauf zu achten, ob noch ein anderes Geschlecht auf der Welt sei, als Mannsbilder. Mit denen ging er fleißig um, saß, wenn er nicht mit der Doppelbüchse durch die Schluchten strich, halbe Tage lang im Café, spielte Billard wie ein Tausendsasa und ließ, wenn er Allen das Geld abgenommen, ein Barile vom besten Wein kommen, wo ein Jeder mittrinken mußte. So sang denn auch Alles wie aus Einem Munde sein Lob, und man freute sich, daß dieser weitgereiste Herr gleichwohl an unserem geringen Ort einen Narren gefressen zu haben schien, da er sogar davon sprach, er wolle sich hier eine Vigne kaufen und jedes Jahr wenigstens ein paar Monate unter uns zubringen.

Nur der Domenico Serone wich unserm Kapitän beharrlich aus, stand auf, sobald er ihn ins Café treten sah, und ging auf der Straße an ihm vorbei, wie der Dieb am Galgen. Niemand wunderte sich darüber; denn daß er von dem Fremden ausgestochen wurde, da er sonst überall der Matador gewesen war, mußte ihn wurmen. Daß es wegen der Erminia sein könnte, fiel mir nicht ein. Ich war dabei gewesen, als der Signor Gustavo das erste Mal dem schönen Geschöpf begegnete. Seht einmal hin, amico mio, hatte ich gesagt. So etwas ist Euch doch in beiden Indien, der Türkei und Golkonda nicht begegnet, wenn Ihr ehrlich sein wollt. – Er aber, nur so mit einer halben Wendung und ohne eine Miene zu verziehen: Hm! sagte er, und biß dabei auf seinen blonden Schnurrbart, daß die Haare zwischen den Zähnen knirschten, – nicht übel, Sor Angelo, nicht übel, in der That! – Poffareddio, sagte ich bei mir selbst, das ist der erste Mensch, der ohne zu blinzeln in die Sonne sehen kann. – Ich dachte, ich wollte die Erminia in ein Gespräch verwickeln, daß er sie mit mehr Muße betrachten und sich zur Strafe für sein fischblütiges »Nicht übel« nicht schlecht verbrennen möchte. Sie aber, so unverlegen sie sonst Jedem begegnete, wurde seltsam roth und verdoppelte ihren Schritt, daß ich gleich dachte: Holla, am Ende hat ihr Stündlein geschlagen! – sagte aber kein Wort und verlor die Begegnung hernach wieder aus den Gedanken.

Aber etwa eine Woche darauf, da stand ich so gegen die Dämmerung in der Thür meines Ladens, einen Brief lesend, den ich eben bekommen hatte, worin mir ein Freund in Rom schrieb, er habe meine Sonette in der Poetengesellschaft, der Arcadia, vorgelesen, und ich sei unter großem Beifall zum Ehrenmitgliede gewählt worden. Davon war ich so überrascht und erfreut, daß ich eine Weile nicht merkte, was um mich her vorging, bis ich auf einmal die Stimme des Rothbarts hörte, so laut und drohend, daß sie mich aus all meinen Gedanken herausriß. Wie ich aufblickte, sah ich ihn drüben, zehn Schritte von meinem Haus, an dem Brunnen stehen, bleich wie ein Todter und gar nicht mehr der schmucke Bursch von früher. Und nicht weit von ihm, den Wasserkrug, den sie hatte füllen wollen, auf den Brunnenrand gestellt und den linken Arm in die Seite gestemmt, stand die Erminia; sonst war zufällig Niemand in der Nähe. Und es wunderte mich, was die Beiden hatten, da sie sich schon seit Monaten ausgewichen waren. Aber der Rothe ließ mich nicht lange im Ungewissen. Höre, Erminia, sagte er mit einer Stimme, als lese er einer Verurtheilten ihr Todesurtheil auf dem Richtplatze vor, daß alles Volk es hören möchte; – es ist gut, daß ich dich treffe. Zwar haben wir nichts mehr mit einander zu schaffen; aber weil ich dich einmal geliebt habe, wenn du mir auch meine Liebe vor die Füße geworfen hast, wollte ich dich doch warnen: nimm dich in Acht, Erminia, und bedenke was du thust. Ich weiß Einen, der hat dir den Tod geschworen, wenn je ein Fremder davonträgt, was du einem Einheimischen nicht hast gönnen wollen; und wenn wir nicht gut genug sind, dich zu einem ehrlichen Weibe zu machen, – einer verlorenen Dirne aus der Welt zu helfen, sind wir Manns genug, und das sage nur auch deinem Signore, daß er sich hüten soll vor Unglück; denn die Kugeln, die man bei uns gießt, treffen so gut, wie die aus schwedischem Blei, und damit Gott befohlen, Erminia! Weiter hätte ich dir nichts zu sagen.

Er drückte den Hut aufs Ohr, warf ihr noch einen Blick zu und ging rasch seiner Wege. Das Mädchen sagte kein Wort, und auch mich hatte die heftige Rede so verdutzt gemacht, daß ich erst zu Worte kam, als sie schon den Krug wieder auf den Kopf gehoben hatte und sich anschickte, ihn fortzutragen. Erminia, sagte ich und trat dicht an sie heran, was hat er gewollt? Was meint er mit dem Fremden? – Er ist ein Narr! sagte sie, ohne mich anzusehen, ward aber blutroth. – Und ich darauf: Ich hoffe, er ist's, sagt' ich; denn wenn Sinn in seinen Reden wäre, solltest du mich dauern, Erminia. – Ich brauche kein Mitleid von keinem Menschen, versetzte sie kurz, und dann ging sie, ohne gute Nacht, und aus ihrer trotzigen Art merkte ich erst, daß sie sich schuldig wußte. Und weil ich es gut mit ihr meinte, eilte ich ihr noch ein paar Schritte nach und sagte, so neben ihr hergehend: Du kennst mich als deinen Freund, sagt' ich. Wenn du dem Domenico nicht glauben willst, glaube mir, Erminia: es wird dein Unglück, falls du dich etwa mit dem Kapitän einlässest. Ein Galantuomo ist er, aber er heirathet dich doch nicht, er kann es nicht, Erminia, weil er ein Lutheraner ist, und er wird es auch nicht wollen. Also, wenn auch der Rothe sein Wort nicht wahr macht, Gutes kann doch aus dem Handel nicht werden, sagt' ich, und so dergleichen mehr, was mir meine Freundschaft für das Mädchen eingab. Sie aber ging strack und still vor sich hin und ließ mich reden, ohne nur einmal die Augen aufzuschlagen. Da verließ ich sie endlich mit geringer Hoffnung, daß ich Eindruck auf ihren Verstand gemacht hätte. Der große Hund kam mir vor meiner Thür entgegen; so war also sein Herr eben von der Jagd nach Hause gekommen. Ich stieg sogleich zu ihm hinauf, fand ihn, seine englische Büchse in der Hand, an der er das Schloß auseinandergenommen hatte, um es zu reinigen, und ein paar geschossene Vögel lagen auf dem Tisch. Ihr habt was versäumt, Sor Gustavo, sagt' ich. Auf dem Markt hier sind Eure Heimlichkeiten verhandelt worden, so laut, daß alle Gevatterinnen im Ort jetzt darum wissen. – Und nun sagt' ich ihm von der Drohung des Rothen und setzte hinzu, daß er die Leute hier nicht kenne, wenn er glaube, es sei gespaßt, und dafern er wirklich mit der Erminia sein Meisterstück gemacht und dieses spröde Herz erobert habe, solle er ihret- und seinetwegen auf der Hut sein, am besten Alles abbrechen und sich so gut es gehen wolle aus dem Handel ziehen. Und weil ich einmal im Zuge war, konnte ich mich nicht enthalten, die Partie des Domenico zu nehmen und ihm zu erklären, daß auch zwischen uns Beiden die Freundschaft aus sei, wenn er das Mädchen unglücklich mache. Es seien genug Andere da, an denen nichts verloren wäre. Aber die Perle der ganzen Sabina in den Schmutz treten zu sehen, das würde ich nicht ertragen, und sagt' es ihm hiermit ins Gesicht: wenn ich merkte, daß er der Erminia nachginge, könnte ich sein Wirth nicht länger sein, und er möge sich nach einer andern Herberge umsehen.

Auf all das erwiederte er nicht mehr, als schon die Erminia mir gesagt hatte: Ihr seid nicht klug, Fra Angelico, – und fuhr dabei fort, die kleinen Schrauben und Stifte an seinem Gewehr zu putzen, und den blauen Rauch seiner Cigarre durch den blonden Schnurrbart qualmen zu lassen. Ich verließ ihn endlich, mehr noch über seine tückische Kaltblütigkeit, als über die Sache selbst erbos't, und sah ihn vor dem andern Mittag nicht wieder. Da kam er in mein Zimmer, einen Brief in der Hand, der, wie er sagte, seine schleunige Abreise nöthig mache; ich möchte ihm, da die Post heute nicht mehr ging, mein Wägelchen leihen. Nichts that ich lieber als das, ließ mir auch nicht merken, daß ich an den Brief nicht sonderlich glaubte, sondern bildete mir vielmehr was darauf ein, daß ich durch meine Beredsamkeit ihn dahin gebracht hätte, uns zu verlassen und die unselige Liebesgeschichte noch bei Zeiten abzuschneiden. Also gab ich ihm meinen Burschen mit, da ich selbst keine Zeit hatte, ihn nach Rom zu kutschiren, und wir schieden als die besten Freunde.

Er wollte nach Griechenland, sagte er, das Grab Lord Byron's zu besuchen, und versprach noch beim Einsteigen, mir einmal zu schreiben. Der Spitzbube! Er dachte so wenig an Griechenland, wie ich an eine Reise nach dem Mond. Aber was wollt Ihr? Der Zauber war mächtig über ihm und hielt ihn wie mit hundert Maschen im Netz des Bösen verstrickt, daß er mir, seinem besten Freund, eine so verdammte Lüge ins Gesicht sagen konnte.

Den Abend ging ich zu Bette mit dem Bewußtsein, meine Pflicht gethan und ein paar Menschenleben gerettet zu haben, und dichtete sogar eine Canzone darauf, die, was das Poetische betrifft, nicht das Schlechteste ist, was ich gemacht habe, sonst aber ein rechter Beweis, daß Poeten keine Propheten sind. Denn denkt Euch, am folgenden Nachmittag kommt mein Bursch mit dem Wagen von Rom zurück, und das Erste, was er mir sagt, als er das Pferd in den Stall gebracht und ihm sein Futter gegeben hatte, war die Frage, ob Signor Gustavo mir davon gesagt habe, daß noch ein Fremder mitfahren werde. Der sei erst zwei Stunden abwärts vom Ort, da wo die Steineichen neben dem alten Grabmal stehen, aus dem Schatten hervorgetreten, habe mit der Hand gewinkt und sei dann, mit abgewandtem Gesicht, so rasch in den Wagen gestiegen, daß er, der Carlino nämlich, die Züge nicht genau habe sehen können. Aber trotz der Eile und den Mannskleidern – die übrigens aus der Garderobe des Signor Gustavo zu stammen schienen – wolle er darauf schwören, der Fremde sei Niemand anders gewesen, als die Erminia.

Ich will Euch nicht damit aufhalten, wie mir bei dieser Entdeckung zu Muthe war. Ich band dem Jungen auf die Seele, reinen Mund zu halten. Aber was konnte das helfen? Schon am andern Tag kam kein altes Weib in meine Apotheke, für einen halben Bajocco was zu kaufen, ohne mir zu erzählen, die Erminia sei mit dem Herrn Capitano davongegangen, nach Rom, und habe ihrer Mutter eine Botschaft geschickt, sie werde nie wiederkommen, aber doch nie vergessen, daß sie ihre Tochter sei. Und der Schwester, der Maddalena, die sie schon vorher ins Vertrauen gezogen, habe sie all ihre Kleider und Sachen hinterlassen und einen Beutel mit Geld, wahrscheinlich vom Capitano, daß sie es der Mutter an nichts sollte fehlen lassen.

Daß diese Nachricht auf die jungen Leute im Städtchen wirkte, wie Baldrianthee auf die Katzen, könnt Ihr Euch vorstellen, Bester. Wären noch die Zeiten der alten Griechen und Trojaner gewesen, der Domenico hätte leicht ein ganzes Heer zusammengebracht, die entflohene Helena wiederzuholen. Aber so viel auch geredet und geschrieen, getobt und geflucht wurde, es geschah Nichts, und bald schien es, als schämten sich die Maulhelden, den Namen des Mädchens überhaupt nur noch auszusprechen, das sie alle abgewiesen hatte, um mit einem Ketzer und Barbaren durchzubrennen. Nur Zweie konnten sie nicht vergessen, die von Anfang an am stillsten gewesen waren; der Eine war ich selbst, der ich vergebens bei der Muse Trost suchte, der Andere war Domenico der Rothe, dem ein Menschenkenner es leicht an den Augen ansah, daß er über desperaten Dingen brütete.

Und richtig, noch keine vier Wochen waren seit der Flucht des Mädchens vergangen, da wurden all meine Befürchtungen wahr. Ich weiß den Tag noch, als wäre es gestern gewesen, ein Donnerstag war's, eine Hitze, daß die Fliegen an der Wand wahnsinnig wurden und über die Mittagsstunden keine Christenseele sich aus dem Hause wagte. Ich hatte die Ladenthür und alle Jalousieen dicht verschlossen und lag hier in diesem Sessel, wo ich jetzt liege, zwischen Schlafen und Wachen. Nichts war zu hören, als draußen auf dem Platz das schläfrige Rieseln des Brunnens und das Rascheln der Kräuter auf dem Tisch, über die mein zahmer Kanarienvogel hin und her hüpfte. Da ist mir's plötzlich, als klopfte Jemand draußen an der Ladenthür, und ich hörte meinen Namen rufen, und ärgerlich über die Störung steh' ich auf, reibe mir den Schlaf aus den Augen und will sehen, was es giebt, ob Einer plötzlich krank geworden sei. Zum zweiten Mal klopft es, jetzt stärker und wie in großer Hast und Angst, und schon habe ich die Hand am Thürgriff, da ertönt ein entsetzlicher Schrei: »Jesusmaria, erbarme dich meiner!« – ich reiße die Thür auf – und vor der, Schwelle seh' ich ein Weib zusammensinken, dem oben aus der Brust ein Blutstrom hervorbricht, daß ich, wie ich mich bücke, die Sinkende zu umfassen, über und über davon roth werde. Drei Schritte davon aber, mit einem Gesicht wie Asche, stand der Domenico, die Augen weit aufgerissen, als hätte ihn die Unthat mit entseelt. Domenico! schrie ich, was hast du gethan! Verflucht sei deine Hand, die diesen Greuel verübt hat! – Amen! sagte er. Es war ihr geschworen. Nun kommt Er daran! Und damit wandte er sich, da eben einige entsetzte Gesichter an den Fenstern erschienen, und ging langsam über den sonnenhellen Platz nach dem Thore, durch das er wie eine Erscheinung verschwand.

Indessen hielt ich die schwer Röchelnde in meinen Armen, im ersten Augenblick selbst fast ohnmächtig vor Jammer und Schrecken. Ich rief nach meiner Magd, die Nachbarn stürzten herbei, wir trugen sie ins Haus und legten sie auf ein Bett. Aber ich sah wohl, daß keine Hülfe mehr war, und schickte den Burschen eilig fort, den Pfarrer zu holen. Kaum hoffte ich, daß sie noch so lange leben würde, und fragte, dicht über sie hingebeugt, ob sie mir noch was aufzutragen hätte. Sie nahm ihren letzten Athem zusammen, mich zu fragen, wie es um ihre Mutter stehe. – Nicht anders, als vor vier Wochen, erwiederte ich. – Da seufzte sie tief aus ihrer sterbenden Brust und hauchte: So hat er mich betrogen! – Wer? sagt' ich. Sie tastete mit der Hand nach ihrem Mieder und holte einen Brief hervor; darin stand, wenn sie ihre Mutter noch am Leben finden wolle, möge sie ohne Aufschub kommen, es gehe mit ihr zu Ende. Unterzeichnet war der Name des Pfarrers, aber nicht seine Handschrift. Den Brief – so entnahm ich aus ihren mühsam geflüsterten Worten – hätte ihr gestern Abend ein Bursch von hier heimlich zugesteckt. Wie er ihre Wohnung in Rom ausgekundschaftet hatte, war ihr selbst ein Räthsel, da sie ganz verborgen gelebt hatte, auch nicht in demselben Hause mit ihrem Geliebten. Der sei am Abend zu ihr gekommen und habe ihr, da sie ihm den Brief gezeigt, verboten, nach Hause zu reisen, es sei am Ende nur eine List, sie ins Verderben zu locken, und sie selbst habe es endlich geglaubt und versprochen, nicht zu gehen. Als sie aber am Morgen wieder allein gewesen, sei die Angst über sie gekommen, es könne doch am Ende wahr sein, und dann sterbe die Mutter und verwünsche ihr eigen Kind auf ihrem Todbette. Also habe sie einen Wagen genommen und das Doppelte geboten, wenn der Mann sie in der Hälfte der Zeit hinbrächte. Am Fuß des Berges aber sei sie ausgestiegen, um allein und hoffentlich unentdeckt ins Haus ihrer Mutter zu kommen.

Und draußen schon, bei den ersten Häusern, sei es ihr gewesen, als folge ihr Jemand, und um Schutz zu suchen, habe sie, mehr laufend, als gehend, mein Haus aufgesucht, als plötzlich der Domenico hinter ihr gestanden und sie angerufen habe. Erminia, habe er gesagt, sieht man dich auch einmal wieder? und dabei habe er nicht den Muth gehabt, sie anzusehen. Nun, das ist gut; es war Zeit, daß du zur Vernunft kamst. – Was geht meine Vernunft dich an? habe sie geantwortet. Du hast kein Recht auf mich, weder im Guten, noch im Bösen. – Hm! habe er gesagt und sei ihr immer dicht zur Seite geblieben, es ist nur, daß die Schande nicht auf unserer Stadt bleibt, als hätte sie keine jungen Männer aufzuweisen, die solch eines Kleinods werth wären. Hoffentlich bist du jetzt klar darüber, daß dein Fremder auch nur so ein Prahlhans ist, wie Alle, und daß du klüger daran thust, im Lande zu bleiben. – Und sie: Was ich von ihm denke, ist meine Sache. Was gehst du mir immer nach? Was ich von dir denke, weißt du längst. – Und dann habe er sie am Arm gefaßt und mit heiserer Stimme gesagt: Ich warne dich zum letzten Mal, Erminia, laß ab von ihm, oder ihr Beide, du und er, werdet es büßen. Daß du ihn liebst, kann ich nicht hindern. Aber daß er dich unglücklich macht und ehrlos, das, so wahr mir Gott helfe, das will ich hindern, und zwar ohne langen Aufschub. Hast du mich verstanden? – Da sei sie stehen geblieben, habe ihn fest angesehen und gesagt: Du hast den Brief geschrieben, kein Anderer. –Und er, ohne darauf zu antworten: Willst du von ihm lassen und hier bleiben? – Und als sie nur stumm und heftig den Kopf geschüttelt, habe er wieder gefragt, noch zwei, drei Mal immer dasselbe: Willst du von ihm lassen, Erminia, und hier bleiben? – Und als sie gethan, als rede gar Niemand mit ihr, und nur ihre Schritte beschleunigt habe, in immer größerer Angst, er möchte auf dem einsamen Platz etwas Furchtbares thun, da habe sie, plötzlich wieder seine Hand wie eine eiserne Zange an ihrem Arm gefühlt und nur noch die Worte gehört: So fahre in die Hölle sammt deinem Lutheraner! – und in demselben Augenblick sei sie zu Tode getroffen in die Kniee gesunken, gerade vor meiner Thür.

Nun habe sie keinen Wunsch mehr, als, ihr Geliebter möge ihr verzeihen, daß sie ihn gegen seinen Willen verlassen; sie büße es schwer genug. Er habe sie zu seinem Weibe machen und mit in seine Heimath nehmen wollen. Statt dessen müsse sie nun ins Grab, und wer wisse, ob die Jungfrau Maria Fürbitte für sie thun, und ob sie aus den Qualen des Fegefeuers in das himmlische Paradies eingehen werde!

Das war das Letzte, was von ihren Lippen kam; dann sank ihr das Haupt zurück und sie war todt. –

Der kleine Mann, als er so weit gekommen war, streckte sich in seinem Lehnstuhl aus und schloß die Augen mit einem tiefen Seufzer. So blieb er eine Weile liegen, dann sprang er auf, ging einige Mal den dunklen Laden auf und ab und schien Mühe zu haben, sich wieder zu fassen. Endlich blieb er neben mir stehen, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: Was ist das Menschenleben, amico mio? Ein elendes Ding, ein Gras, das heute auf dem Felde grünt und morgen ein welkes Heu, das die Bestie, der Tod, in ihren unersättlichen Rachen schiebt. Basta! Man weckt keine Todten wieder auf. Sie war ein Wunder Gottes gewesen, so lange sie lebte; sie that Wunder noch, als ihr schöner, stiller Leib von keinem Blutstropfen mehr erwärmt wurde, und ihre Seele weder Freude noch Schmerz mehr empfand. Da drinnen in der Kammer lag sie, und Tag und Nacht, bis sie begraben war, bin ich ihr nicht von der Seite gegangen. Wenn der Schlaf mich überkam, hielt ich noch einen Zipfel ihres Kleides in der Hand und meinte, ich sei begnadigt, daß ich wenigstens im Tode ihr näher sein durfte, als irgend ein Anderer. Nur in der zweiten Mitternacht kam noch Einer. Die Thür ging auf, und der Capitano trat auf den Zehen herein, als ob er ihren Schlaf noch stören könnte. Wir wechselten kein einziges Wort, nur daß ich anfing wie ein Kind zu weinen, als er so stumm mit einem ganz erloschenen Blick an die Bahre trat. Dann setzte er sich zu ihr und sah ihr unverwandt ins Gesicht. Ich ging hinaus; ich konnte seine Nähe nicht ertragen, als wäre er selbst der Mörder gewesen.

Als wir sie am andern Tage begruben und der ganze Ort auf dem Kirchhof war, entstand plötzlich, da der Pfarrer eben den Sarg eingesegnet hatte, ein Gemurmel und eine Bewegung unter dem dichten Volk. Man sah den Kapitän, den Niemand in der Stadt vermuthete, durch das Volk hinschreiten, mit einem Gesicht, das Alle einschüchterte. Er stellte sich zunächst an die Grube und warf ein paar Hände voll Erde auf den Sarg. Dann knieete er nieder, und Alle waren schon wieder auf dem Heimweg, als er noch immer an dem frischen Hügel lag, als ob er die Erde wieder aufwühlen und sich selbst hineinbetten wollte. Ich mußte ihn fast mit Gewalt wegführen, in mein Haus, wo er einige Tage wie in einem Starrkrampf vor sich hin brütete, daß ich ihm kaum einen Tropfen Wein und einen Löffel Suppe aufnöthigen konnte. Erst am vierten Tage schien er wieder zum Leben aufgewacht zu sein, war aber noch immer stumm und bat mich nur beim Abschied, da er wieder in mein Wägelchen stieg, ich möchte ihm den Gefallen thun, das Haus mit der Vigne für ihn zu kaufen, auf das er schon früher ein Auge gehabt hatte. In acht Tagen wolle er wiederkommen, um dann für immer bei uns zu bleiben.

Ich wagte nicht, ihm Einwendungen zu machen, obgleich mir bei der Sache nicht wohl war, theils wegen des Domenico, von dem man wußte, daß er in die Berge geflohen und mit Räubergesindel in Verkehr getreten war, theils weil ich ihn trotz alledem noch immer lieb hatte und ihm etwas Besseres gönnte, als durch die Nähe dieses Grabes die Wunde immer im Bluten zu erhalten. Ich merkte aber wohl, daß er auf seinem Willen bestehen würde, und wenn sich Himmel und Hölle dagegen anflehnten, und so erbot ich mich zu jedem Dienst, den ich ihm irgend leisten könnte, schon um ihretwillen, die auch mir theuer gewesen war, und der ich noch übers Grab hinaus meinen guten Willen zu beweisen meinte, wenn ich ihrem Geliebten half.

Wirklich kam er nach einer Woche und bezog das Häuschen, das etwa eine Viertelstunde unterhalb der Stadt in einer ziemlich großen Vigne liegt, unweit der Kastanienschlucht, ein schöner, einsamer Winkel, zumal für einen Menschen, der keine Furcht, gute Gewehre im Schrank und einen treuen Hund zu seiner Gesellschaft hatte. Das war aber nicht die einzige lebende Seele, die sich zu ihm gesellte. Die Schwester der Erminia, die Maddalena, bestand darauf, zu ihm zu ziehen, ihm zu kochen und zu waschen und das Haus zu hüten, wenn er auf seine Streifereien gehe. Ihm war nichts lieber, als das, obwohlt sonst Jedermann sie scheute. Er wußte, daß ihre todte Schwester die Lieb' und Treue, die sie selbst zu ihm getragen, auf das arme Ding vererbt hatte. Und so haus'te das seltsame Paar da in der Einsamkeit zusammen und schien sonst der ganzen weiten Welt nichts nachzufragen.

Ich besuchte ihn einige Tage nach seinem Einzug. Das Haus, das vor Zeiten einem römischen Nobile gehört hatte, war noch leidlich im Stande, die alten Möbel nur von Staub und Spinneweben überzogen, an denen auch die Maddalena nicht rührte. Sie war an Schlimmeres gewöhnt in der Trümmerhütte ihrer Mutter unter dem Dach von Feigenlaub. Nur in dem verwilderten Garten hatte sie etwas aufgeräumt und angefangen, ein paar Beete mit Gemüsen zu bepflanzen, und an allen Thüren waren die Schlösser ausgebessert und neue Riegel angebracht. Sie hat's nicht anders gelitten, sagte der Kapitän; sie träumt beständig von einem Ueberfall. – Träume sind nicht immer Schäume, sagt' ich; aber er hörte nicht darauf. Er ging mir voran, die Steintreppe hinauf, und öffnete den mir wohlbekannten Salon, dessen Balkon auf den Garten ging. Dies einzige Gemach bewohnte er, hatte einen alten Divan sich zum Lager zubereitet und eigenhändig den gröbsten Unrath aus den Winkeln gekehrt; nur die zahllosen Löcher in der Mauer konnte er nicht verstopfen, durch welche Feldmäuse und Eidechsen aus- und einliefen. Mein erster Blick fiel auf ein Gestell an der Wand, von dem seine schönen Gewehre mich anglänzten, und da ich ein Liebhaber von Waffen bin, musterte ich diese Meisterstücke nach der Reihe. – Dreht Euch einmal um, Angelo, sagte er. Es ist noch etwas hier im Zimmer, was Euch mehr interessiren wird. – Da war es ein Bild der Erminia, lebensgroß, bis zu den Knieen herab, und so sprechend ähnlich, daß es mir einen Schlag aufs Herz gab. Gleich in den ersten Tagen in Rom hatte ein trefflicher Maler, der sein Freund war, das Wunderwerk angefangen und es auch fertig gebracht bis auf die letzte Hand und Einiges an der Kleidung. Der Kopf aber, der mit einem unbeschreiblichen Blick voll stolzer Wonne über die Schulter sah, ordentlich strahlend vor Schönheit und Liebe, war ganz vollendet, und, wie gesagt, man glaubte das herrliche Geschöpf athmen zu sehen. Ich konnte kein Wort sprechen, aber wohl eine halbe Stunde stand ich unverwandt davor und mußte immer wieder die Thränen abwischen, die mir das Bild verdunkeln wollten. Jetzt erst sagte er mir, daß er genau an dem Tage, wo sie ihn verlassen, einen Brief von seinem alten Onkel erhalten, dem einzigen überlebenden Verwandten, an dessen Zustimmung zu seiner Heirath ihm gelegen gewesen sei. Dann wollte er etwas von den glücklichen Wochen in Rom erzählen, aber plötzlich schien ihm die Stimme zu versagen, er brach ab und ging in ein Nebenzimmer. Ich wagte ihm nicht zu folgen. Als er aber immer nicht wiederkam, merkte ich, daß er mich heut nicht brauchen könne, und schlich sacht die Treppe wieder hinab, nur von dem großen Hunde begleitet, der mich auch so eigen ansah, als wisse er genau Bescheid um den Kummer seines Herrn.

Ich wollte nun abwarten, bis er selbst mich aufsuchen würde, aber ich konnte lange warten. Nur die Maddalena sah ich zuweilen auf den Markt oder in einen Kramladen gehen, und ein paarmal redete ich sie an, fragte nach Signor Gustavo und hörte immer, es gehe ihm gut, und wenn er nicht jage, so lese er in Büchern und lasse Niemand vor, selbst nicht den Herrn Pfarrer, der es für seine Pflicht gehalten hatte, den Trauernden aufzusuchen. In der Stadt, wo man erst sehr aufgebracht gegen ihn gewesen war, sprang mit der Zeit der Wind zu seinen Gunsten um. Man erinnerte sich an die lustigen Trinkabende beim Barile, an seine höfliche und leutselige Art, und zumal die Weiber, die erst am ärgsten über ihn gelästert hatten, wurden ihm ganz zugethan um seine einsame Trauer. Manch Eine, glaub' ich, hätte sich nicht lange bitten lassen, ihm in der öden Villa Gesellschaft zu leisten, wenn er nur einen Finger nach ihr ausgestreckt hätte. Aber mehrere Monate vergingen, und es blieb Alles beim Alten.

Nun war es in einer Nacht gegen Ende August, ich hatte einen heißen Kopf, da ich mehr Wein als gewöhnlich getrunken hatte, und die Zanzaren waren unverschämter, als je, so daß ich mich eben im Bett aufrichtete und mich besann, ob ich nicht Licht machen und einige Verse schreiben sollte. Da höre ich plötzlich durch die Stille der Nacht ein paar Schüsse fallen, und gleich darauf wieder, und nach der Richtung, von der sie kamen, mußte es um die Villa des Kapitäns herum sein. Corpo della Madonna, dacht' ich, was fällt ihm ein? Jagt er auf Schuhus oder Fledermäuse? – und horchte schärfer hin. Das klang aber gar nicht wie die englischen Jagdflinten des Signor Gustavo, auch so rasch und unregelmäßig durcheinander, wie kein einzelner Mann schießt, und auf einmal sprang ich entsetzt aus dem Bette, denn nun zweifelte ich nicht mehr: was ich lange im Stillen gefürchtet, war eingetroffen; sie hatten den einsamen Mann überfallen, der Rothbart und seine Räubergesellen, und jetzt wurde drunten in der Vigne gekämpft auf Leben und Tod! Ich fuhr in die Kleider, riß ein paar alte Pistolen von der Wand, weckte meinen Burschen und hieß ihn durch die Gassen laufen und aus vollem Halse Hülfe! und Mörder! schreien. Ich selbst pochte ein paar Nachbarn heraus, beherzte Leute, die sogleich bereit waren, mir zu folgen. Als wir vor die Stadt hinunterkamen, waren wir ein Häuflein von Zehnen oder Zwölfen, jeder mit Büchse oder Pistolen. Und richtig, die Schüsse kamen von der Vigne her, und wir, da der Mond zum Glück uns die Laterne vortrug, in vollem Trabe über Hecken und Gärten dem Hause zu, aus dessen Fenstern wir die Schüsse blitzen sahen. Das beruhigte mich ein wenig. So hatte er sich in seine Burg zurückgezogen, und das Gesindel mußte sich begnügen, aufs Gerathewohl ihm ins Zimmer zu schießen. Eben wollte ich den Andern meinen Feldzugsplan auseinandersetzen, wie wir uns nämlich in vier kleinen Trupps von verschiedenen Seiten dem Feind in den Rücken schleichen sollten, da mußte ein ausgestellter Posten unser Heranrücken bemerkt haben. Ein heller Pfiff ertönte; im nämlichen Augenblick wurde der Kampf abgebrochen, und wir sahen hie und da über die lichten Stellen zwischen Felsen und Wald die Bande sich zerstreuen, Einige so lahm, daß wir sie wohl eingeholt hätten, wenn es uns, außer der Befreiung des Kapitäns, darum zu thun gewesen wäre, unsern Mitbürger, den Rothen, zu fangen. Wir dachten aber dem Vater das Herzeleid zu sparen und dankten nur Gott, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen waren; denn schon von fern, auf unsere lauten Zurufe, sahen wir Signor Gustavo im hellen Mondlicht auf den Balkon treten und mit einem weißen Tuch uns zuwinken. Als wir das Tuch nachher bei Licht besahen, war es freilich nicht mehr ganz weiß, sondern hatte große Blutflecken von einer Streifwunde an der Schläfe. Es war aber nichts Gefährliches und hinderte den Kapitän nicht, bis an den hellen Morgen mit mir aufzusitzen, als die Anderen schon wieder in ihre Häuser zurückgegangen waren. Nur die Maddalena, leidenschaftlich, wie sie war, und vernarrt in den Mann trotz ihrer Schwester, konnte sich nicht zufrieden geben und schleppte immer neue Wundkräuter herbei, die er auflegen mußte, um sie nicht wild zu machen. Das gute Geschöpf, das einen Schlaf hatte, wie ein Katze, war noch vor dem Hunde auf die schleichenden Fußtritte aufmerksam geworden, die ums Haus tappten, und war aufgefahren, den Herrn zu wecken. Den Ersten, der eine Leiter an den Balkon legte, hatte sie mit einem Büchsenkolben dergestalt auf den Kopf getroffen, daß er rücklings niederstürzte und die Leiter im Fallen nachriß. Dann war sie flink bei der Hand gewesen, eine Büchse nach der andern zu laden, hatte auch wohl zwischendurch selbst einmal aus dem Fenster gefeuert, und verschwor sich heilig, dem Rothen selbst, dem Mordgesellen, eine Kugel durch das Wams geschossen zu haben, daß er heftig aufgezuckt, dann aber doch wieder das Gewehr angelegt habe. Im Zimmer sah es übel aus, keine Scheibe war ganz geblieben, der Kalk in großen Schollen von der Decke gestürzt, auch das Bild der Erminia, zum Glück nur im Kleide und am Rahmen, von zwei Kugeln durchlöchert. Als der Tag graute, schlief der Capitano und auch der Hund einige Stunden; die Maddalena war nicht dazu zu bewegen, obwohl fürs Erste das Mordgesindel eingeschüchtert war. Ich blieb den Tag über in der Villa und lag meinem Freunde beständig an, die Gegend zu verlassen. Alle einsichtigen Leute aus der Stadt, die zahlreich herauskamen, das Schlachtfeld zu besichtigen, waren derselben Ansicht. Er weigerte sich hartnäckig. Erst als am zweiten Tage der Polizeipräfekt aus Rom ankam, um den Schein zu wahren und Anstandshalber ein Protokoll aufzunehmen, ließ er sich von seinem tollkühnen Vorhaben abbringen. Ich rathe Euch aufs Dringendste, sagte der Herr, damals ein Monsignore N., sobald als möglich das Gebirge, am liebsten das ganze Land zu meiden. Ein Bursch, der die Anschläge der Räuber belauscht haben will, wenn er nicht gar selbst unter ihnen war, hat ausgesagt, mehr als eine Kugel wäre für Euch gegossen; il Rosso habe es auf die Hostie geschworen, daß er mit Euch abrechnen wolle. Ich selbst, wenn ich hier bliebe, könnte Euch nur so lange schützen, als Ihr unmittelbar an meiner Seite ginget. Aber wenn Ihr Eure einsamen Streifzüge durch die Schluchten wieder vornehmen wolltet, könntet Ihr aus jedem Busch die Kugel erwarten, die Euch in eine andere Welt spedirt.

Da entschloß er sich endlich, abzureisen, und zwar noch denselben Tag, im Wagen des Herrn Polizeipräfekten. Als ich ihm die Hand zum Abschied drückte: Nun, sagt' ich, Sor Gustavo, es wird wohl das letzte Mal sein, daß wir Zwei uns auf Erden begegnen. – Wer weiß, sagte er. Ich bin doch einmal ein halber Landsmann von Euch geworden und sonst nirgends zu Haus. – Dann gab er mir noch Aufträge, wie es mit der Maddalena werden sollte. Das Mädchen wollte die Villa nicht verlassen, und der Kapitän dachte auch nicht daran, sie zu verkaufen. Wenn er nicht wiederkäme über so und so viele Jahre, sollte sie Haus und Garten als ihr Eigenthum behalten, und bis dahin alle Einkünfte genießen. Dem Pfarrer hatte er, zum Dank für die Hülfe, die man ihm bei dem Ueberfall geleistet, eine ansehnliche Summe für die Armen eingehändigt. Mir gab er zum Andenken ein kleines Bild des Lord Byron, das er bisher immer mit sich geführt hatte. Das Bild der Erminia hatte er aufgerollt und in einen blechernen Cylinder gethan; das und seine Gewehre war Alles, was er mitnahm.

So trennten wir uns, ich glaubte, auf Nimmerwiedersehen; die Maddalena, die durchaus mitwollte und sich wie eine wilde Katze an den Wagenschlag hing, mußten wir mit Gewalt losreißen und im Hause einsperren, bis der Wagen weit genug voraus war.

Gleichwohl verschwand sie dieselbe Nacht, da mau sie nicht mehr bewachte, und soll ein paar Tage wie eine Unsinnige die Straßen Roms auf und abgelaufen sein, ihren Herrn suchend. Endlich kam sie doch wieder zurück und hockte nun ganz allein in der Villa, ließ aber Alles verfallen, die Trauben an den Reben und die Früchte am Baum lieber verfaulen, als daß sie sich die Mühe gegeben hätte, sie abzunehmen und zu Markte zu tragen. Sie war von jeher träge gewesen, wie eine Kröte, der sie ja auch an Gestalt gleichsah, und nur, wenn es den Kapitän galt, konnte sie arbeiten und sich rühren für Drei.

Von Dem aber hörten wir nichts mehr, desto mehr von seinem Todfeinde, dem Barbarossa. Seit jener Nacht war er sammt den Seinigen in der Nachbarschaft geblieben; es schien, er hatte einen Haß geworfen auf seine eigenen Mitbürger, weil sie dem Fremden zu Hülfe gekommen waren. Ohne die Kompagnie päpstlicher Gensdarmen, die uns als eine stehende Besatzung aus Rom geschickt wurden, hätte er, glaub' ich, seine eigene Vaterstadt überfallen und eine blutige Rache genommen. Auch so aber getraute sich Keiner, der damals dabei gewesen war, nur einen Büchsenschuß weit von den letzten Häusern sich zu entfernen, ohne seine Waffen mitzunehmen, und wer durchs Gebirge mußte, bat sich ein paar Gensdarmen zur Bedeckung aus. Das waren schlimme Zeiten, amico mio, und mir selbst verging das Dichten, denn ich wußte, daß es auf mich besonders gemünzt war. Ein paarmal wurden auch Streifjagden im Großen auf die Banditen abgehalten, es kam aber nicht viel dabei heraus. Sie hatten ihre Kundschafter überall, kannten das Gebirg mit allen Klippen und Schluchten so genau, wie der Teufel seine Hölle, und wurden höchstens auf eine Zeitlang tiefer in die Sabina hinein versprengt.

Nur als im Laufe des Winters der alte Serone, der Vater des Domenico, starb, aus Kummer über seinen Sohn, hatten wir eine Weile Ruhe. Dem Rothbart, der es natürlich erfahren hatte, mochte es denn doch zu Herzen gegangen sein, da er, wie gesagt, keinen schlechten Charakter hatte, nur durch die unglückselige Liebe verstockt und verwildert war. Es schien ordentlich, als wolle er sein Trauerjahr in der Stille abhalten, und während der ganzen Zeit bis in den Hochsommer hinein hörte man in unserer Nachbarschaft nichts mehr von der Bande. Ob sie mehr im Süden wirthschaftete, oder womit sie sich sonst während der Ferien ernährte, mag Gott wissen. Wenn wir aber gedacht hatten, wir seien sie überhaupt los, hatten wir die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Plötzlich fing es wieder an in nächster Nähe zu spuken. Meinen Nachbar, den Pizzicarolo, der damals mit zum Entsatz der Villa marschirt war, kriegten die Schurken zu fassen, da er eben auf seinem Esel hinüberritt nach Nervi, schleppten ihn in ihre Löcher und gaben ihn erst gegen ein stattliches Lösegeld wieder frei. Und so noch Andere, die sich schlecht vorsahen. Das konnte denn nicht so fortgehen. Die Gensdarmen bekamen Verstärkung, die Razzia in den Bergen begann von Neuem, aber nicht mit besserem Erfolg. Zumal der Barbarossa selbst schien überall und nirgends zu sein, ein wahrer Dämon von einem Menschen, furchtbar wie ein Basilisk und glatt wie ein Aal, und die Mütter weit und breit stillten ihre schreienden Kinder damit, daß sie sagten: Zitto! der Barbarossa kommt! – Daneben erzählte man wieder Sachen von ihm, die für ihn einnahmen, wie er sich gegen Arme und Wehrlose benommen, recht wie ein fahrender Ritter aus den Legenden, der nur die üble Gerechtigkeit in der Welt zu verbessern trachtete, sonst aber ein recht scharmanter Herr war und auch nur raubte, wenn er nicht anders konnte, um seine Leibesnothdurft zu stillen. Wie gesagt, es war Schade um ihn, und wenn er nicht so viel auf dem Kerbholz gehabt hätte, daß die Justiz unmöglich ein Auge zudrücken konnte, so hätte ihn eine Amnestie vielleicht noch zu einem ganz wackeren und ruhigen Bürger machen können.

Unter solchen Umständen lebten wir recht kümmerlich unsere Tage hin, nicht viel besser daran, als Schiffbrüchige auf einem Wrack, die rings um die Planken die Haifische sich tummeln sehen. Seit der Kapitän uns verlassen, mochten etwa dreizehn Monate vergangen sein, und Niemand sprach mehr von ihm, am wenigsten Gutes, da Jeder fürchtete, es möcht' es Einer hören, der's dem Barbarossa wiedersagte. Nun denkt Euch meinen Schrecken, als eines Nachmittags – ich hatte gerade ein Fäßchen Ricinusöl abgezogen und dachte an nichts Arges – er selbst, der Signor Gustavo, ganz als wenn nichts vorgefallen wäre, in mein Zimmer trat. – Corpo della Madonna! rief ich, welcher Wind hat Euch hergeblasen? Seid Ihr so lebenssatt, daß Ihr durchaus Eure Villa zu Eurem Mausoleum machen wollt? – Da erzählte er mir, daß er es in Ost und Westen nicht habe aushalten können. Der Wein habe ihm nirgends geschmeckt, die Weiber ihn überall gelangweilt, und seit er auf Menschen geschossen, habe ihn auch die Jagd auf gemeines Wild, und wenn es Löwen und Hyänen gewesen wären, angeekelt. Immer sei es ihm nachgegangen, daß er hier doch eigentlich als ein erbärmlicher Feigling das Feld geräumt habe, anstatt abzuwarten, daß sein Gegner sich mit ihm messen würde. Und als er vor Kurzem in einem deutschen Bade eine Zeitung gesehen, drin gestanden, in den Sabinerbergen sei das Räuberunwesen von Neuem entbrannt und päpstliche Carabinieri machten schon monatelang Jagd auf das Gesindel, das aber unausrottbar scheine, wie die Pilze nach dem Regen, da habe es ihn unter der friedlichen, eleganten Welt nicht länger geduldet, er habe Extrapost genommen und sei Tag und Nacht, ohne irgendwo Halt zu machen, über die Alpen gereis't bis hieher. Hier sei er nun und hause wieder unten in der Vigne, und die Maddalena sei schier toll geworden vor Freuden, und ihn bedünke es auch, als ob ihm hier wohler sei, als ihm über Jahr und Tag gewesen. – Was er denn hier beginnen wolle? fragt' ich, starr vor Staunen und Schrecken. – Hm, versetzte er, an Beschäftigung wird mir's nicht fehlen. Ich werde mich den Gensdarmeriepatrouillen anschließen, die Tag und Nacht die Berge begehen, und so als Volontär und Dilettant meinen Mann stehen. Wenn ich's recht bedenke, habe ich euch doch diese Seccatur allein über den Hals gezogen; es ist nicht mehr als billig, daß ich euch auch wieder davon helfe. Guten Tag, Angelo; besucht mich einmal in meinem Mausoleum.

Damit verließ er mich; er war so seltsam unruhig, ganz gegen seine frühere Gewohnheit, daß er an keinem Ort lange verweilen konnte. Wie mir bei dem ganzen Handel zu Muthe war, könnt Ihr Euch vorstellen. Indessen, den Poltron zu machen, war nie meine Sache gewesen, und auf der Liste stand ich ja ohnehin obenan, von wegen meiner alten Kameradschaft mit dem Signor Gustavo. Also besuchte ich ihn kecklich nächster Tage in seiner Villa und fand dort Alles, als wäre er nie weg gewesen, die Maddalena, die wieder herumkroch und mit ihren langen Armen jetzt die Trauben von den Stöcken brach, den Hund, der freilich alt geworden war und blind auf einem Auge, oben im Salone noch immer die Kugelspuren, nur die Löcher in Erminia's Bild waren sorgfältig ausgebessert. Der Kapitän ging rauchend und lesend auf und ab; als ich eintrat, legte er das Buch, richtig wieder Verse von seinem englischen Poeten, beiseite und schüttelte mir herzlich die Hand. Er hatte die ganze Nacht zwischen Gebüsch und Fels gelegen und auf sein Wild gelauert, dann erst am Morgen ein wenig geschlafen. Nun gehe es um Mitternacht wieder hinaus mit drei prächtigen Burschen, die der Uniform Seiner Heiligkeit alle Ehre machten. Wenn ich wolle, könne ich mitkommen.

Ich bedankte mich für diesmal und hielt mich überhaupt nicht lange auf, da mir seine Manier, halb ingrimmig und halb, wie wenn sich's nur um ein Kartenspiel handelte, unheimlich war. Unterwegs machte ich mit mir selbst eine Art Wette: wenn das noch sieben Tage dauerte, ohne daß es ein böses Ende nähme, wollte ich meine Sonette an die Erminia auf meine Kosten drucken lassen; wo nicht, sollten sie ewig Manuskript bleiben. Ein Ende nahm's freilich, aber ob man es ein gutes nennen kann, weiß Gott, und so bin ich bis heutigen Tags im Ungewissen darüber, ob ich die Wette gewonnen oder verloren habe.

Er hat mir hernach Alles selbst erzählt, genau, wie sich's zugetragen, so daß Ihr es von mir so gut hören könnt, wie aus seinem eigenen Munde. Zunächst, sagte er, habe er sich gewundert, daß der Barbarossa sich ihm nicht stellte, da doch seine Rückkehr nichts Anderes war, als eine deutliche und offene Herausforderung. Ein paarmal, auf seinen Streifzügen mit den Gensdarmen, stieß er auf verdächtige Gesichter, die aber nicht Stand hielten, sondern wie Frösche, wenn der Storch sich blicken läßt, gleich wieder untertauchten. Er dachte, es sei darauf abgesehen, ihn tiefer in die Berge zu locken und dann um so sicherer zu überfallen. Daher war er froh, als eine größere Expedition in die Sabina hinüber verabredet wurde, auf die übernächste Nacht; denn sie wollten vorher noch einmal gründlich ausschlafen, um dann desto frischer zu sein. Der Kapitän aber konnte nicht so lange ruhig bleiben, und da er diesmal keine Begleiter bekam – denn auch seine gewöhnliche Eskorte wollte lieber schlafen, als einen unnützen Spaziergang machen, – so lud er seine beste Doppelbüchse, rief seinem Hund, der auch ungern mitzulaufen schien, und verließ so gegen Mondaufgang seine Vigne.

So tollkühn er war, so hütete er sich doch, sich überflüssig bloßzustellen. Er trug ein dunkles Tuchwamms und Hosen von gleicher Farbe, die er in die hohen Stiefel steckte, dazu einen grauen Hut, so einen, wißt Ihr, den man Comecipare nennt. Und in diesem Aufzug war er, so lang er im Schatten der Eichen und Kastanien blieb, auch bei hellem Tage kaum von einem Baumstrunk zu unterscheiden.

Nun war die Nacht still und schön, und er sagte, es sei ihm nie so wohl in der schaurigen Wildniß gewesen, und er habe das Bild der Erminia nie in so deutlichen Zügen, als wenn sie dicht vor ihm stände, zu seiner Gesellschaft gehabt. Der Hund sei, ohne Laut zu geben, müde neben ihm hingeschlichen, und so in seine Träumerei versunken, habe er sich auch gar keine Hoffnung gemacht, hier und heute noch aus einen Feind zu treffen; es sei ihm nur um die Motion zu thun gewesen und die herrliche Kühle der Nacht.

Ueber eine Stunde mochten sie so gegangen, geklettert und geschlichen sein, da blieb der Hund plötzlich stehen und gab einen murrenden Ton von sich. Sofort hatte der Kapitän die Hand am Gewehr; aber ehe er noch begriff, um was sich's handelte, knallten dicht neben ihm ein paar Schüsse, und er fühlte, daß eine Kugel ihm die Wade gestreift hatte. Indem sah er auch einen Burschen hinter einer großen Steineiche hervortreten und eine Pistole abermals auf ihn anlegen. Er aber, nicht faul, kam ihm zuvor und zielte so sicher, daß er dem Schurken die Pistole mitsammt einem paar Finger aus der Hand schoß, worauf der Mordgeselle die Flucht nahm und so behende die steilen Pfade hinanlief, daß weder der Hund, der nicht mehr der flinkste war, noch selbst die zweite Kugel aus dem englischen Rohr ihn erreichte. Dem Kapitän war für dießmal sein Nachtspaziergang verleidet. Die Streifwunde im Bein blutete doch so stark, daß der Nothverband mit Taschentuch und Halsbinde nicht viel fruchtete. Also beschloß er, nachdem er beide Läufe wieder geladen hatte, den Rückweg anzutreten, verirrte sich aber, da der Mondschein ihn neckte, weit ab vom nächsten Wege und war endlich, als er nach mehrstündigem Wandern das Dach seiner Villa fern über die Reben vorglänzen sah, vom Blutverlust und Irregehen so erschöpft, daß er geradezu auf die Steine hinsank und eine Weile ruhen mußte, bis er sich zu den letzten hundert Schritten aufraffen konnte.

Wer aber nicht wieder aufstand, war der Hund. Die zweite Kugel hatte ihn getroffen, aber tödtlicher, als seinen Herrn, und nun hatte er sich neben demselben fortgeschleppt, ohne einen Klagelaut, war aber jetzt mit seinen Kräften zu Ende und stöhnte seine treue Seele aus. Es habe ihn kalt überlaufen, sagte der Kapitän, als er den alten Freund noch einmal matt mit dem Schweife wedeln und dann alle Viere von sich strecken sah. Er selbst konnte sich kaum noch aufrecht halten, gleichwohl brachte er's nicht übers Herz, seinen todten Kameraden da am Wege liegen zu lassen, wo die Geier ihn bis morgen früh ausgewittert hätten. Er wollte ihm sein ehrlich verdientes Grab in der Vigne geben und lud ihn also auf, mit dem Büchsenschaft die Last unterstützend, die ihm sauer genug wurde in seinem halbohnmächtigen Zustand. So kam er mit wankenden Schritten nach der Vigne, fand das eiserne Gitter, wie gewöhnlich, von innen verriegelt und öffnete es mit einem Kunstgriff, der nur ihm und der Maddalena bekannt war. Doch verwunderte er sich, daß das Geräusch seiner Schritte das wachsame Geschöpf nicht ermunterte, dachte, sie habe vielleicht von dem starken Wein getrunken, den er sich kürzlich aus der Stadt hatte kommen lassen, und sah sich unten, als er an ihrer Kammer vorbei mußte, nicht weiter nach ihr um. Den Hund legte er in der Küche nieder und deckte ihn vorläufig mit einer alten Strohmatte zu; dann schwankte er die Stufen hinauf, die ins obere Geschoß führten; er meinte es nicht mehr erleben zu können, bis er sich auf sein Lager strecken und den Verband an der brennenden Wunde erneuern konnte.

Als er aber die Thür zum Salon aufmachte, blieb er regungslos an der Schwelle stehen, so versteinerte ihn, was er sah. Der Mond schien taghell zum Balkon und den beiden Fenstern herein und blitzte auf den Gewehrläufen in der Ecke. Mitten im Zimmer aber, den Rücken gegen den Mond gekehrt und starr wie eine Bildsäule, mit gekreuzten Armen das Bild der Erminia betrachtend, stand Domenico Serone, der Rothe. Er verdiente den Spitznamen freilich nicht mehr. Den Bart hatte er abgeschnitten, das verwilderte Haar schien aschfarben gegen den alten gelben Strohhut, der ihm das Gesicht verschattete, so daß der Andere nur das Weiße im Auge schimmern sah. Aber er hatte ihn auf den ersten Blick erkannt.

Sie maßen sich einen Augenblick, die beiden Todfeinde, der Domenico, ohne seine Stellung zu verändern, der Kapitän, indem er sich auf sein Gewehr stützte und die letzte Kraft aufbot, um trotz seiner Wunde als ein Mann zu erscheinen.

Kommt Ihr endlich? sagte der Rothe, und seine Stimme zitterte. Ich habe Euch hier erwartet, da ich Euch nicht zu Hause traf. Ihr wißt, ich habe geschworen, daß ich mit Euch abrechnen wollte. Nun seht, da war es hohe Zeit. Ihr wollt morgen Nacht ein großes Kesseltreiben auf mich und meine Leute anstellen. Bravi! Nur zu! Aber was wir Zwei miteinander haben, das, dacht' ich, machen wir besser unter vier Augen ab. Laßt Eure Büchse nur in Ruhe, sagt' er, da der Andere eine Bewegung machte, als wolle er sich in Vertheidigungszustand setzen. Wenn es mir darauf ankäme, so hättet Ihr jetzt schon zehnmal Euern letzten Athemzug gethan. Meint Ihr, ich hätte Euch nicht kommen hören, schon draußen, als Ihr das Gitter aufmachtet, und wenn ich nur Euer Blut gewollt hätte, ich hätt' Euch nicht da zum Fenster hinaus das Lebenslicht ausblasen können? Ich gesteh's Euch, ich war auch einen Augenblick drauf und dran. Aber ich konnte dann wieder nicht. Die da litt es nicht – und er deutete mit einer hastigen Geberde auf das Bild. Wenn Ihr noch das Herz habt, das Leben zu lieben, könnt Ihr Euch bei Der da bedanken.

Domenico, sagte der Kapitän, macht ein Ende. Ihr seid hier in meinem Hause, und ich kann nicht dulden, daß Ihr den Herren darin spielt und thut, als ob ich von Euern Gnaden zu leben hätte. Ich will kein Geschenk von Dem, der mir das Theuerste, was ich hatte, tückisch entrissen hat. Ihr hattet kein Recht auf das Mädchen, keins, das hat sie mir selbst betheuert. Wenn Ihr sie dennoch ermordet habt und nun mir nach dem Leben trachtet, so seid Ihr ein rasendes Thier, und wer Euch unschädlich macht, thut ein gutes Werk. Es ist noch Gnade von mir, daß ich nicht meinen Vortheil wahrnehme und Euch gleich jetzt, eh Ihr Eure Büchse vom Boden aufhebt, über den Haufen schieße. Aber ich habe Mitleid mit Euch; ich kann es begreifen, daß man um das Mädchen den Verstand verliert und ihn auch nach ihrem Tode nicht wiederfindet. Darum biete ich Euch einen ehrlichen Kampf an. Nehmt Eure Waffe, sag' ich. Wenn ich drei gezählt habe, ist Einer von uns – oder Beide – nicht mehr am Leben.

Der Rothe veränderte keine Miene. Thut was Ihr wollt, sagte er. Ich schieße nicht auf Euch. Wenn ich Euch tödtete, könnte mir damit geholfen werden? Ich bin ein elender Mensch. Ich habe das schönste Weib der Welt gemordet wie ein rasendes Thier. Ihr habt ganz Recht mich so zu nennen. Ich dachte, mir würde besser werden, wenn ich auch Euch aus der Welt schaffte. Ich war ein Narr. Wenn Ihr sie drüben wiederfändet, würde mir die Wuth und Eifersucht, daß ich euch nun erst recht nicht trennen könnte, das Herz abfressen, daß ich als ein ewig Verlorner in die Verdammniß führe. Nein, macht immerhin ein Ende, wie Ihr sagt. Da, ich stehe ganz still. Das Gewehr – und er stieß es mit dem Fuße von sich – will ich nicht anrühren. Schießt, Kapitän, und ich will Euch mit meinem letzten Hauch verzeihen, was Ihr mir gethan habt, Denn bei Gottes Blut, das Leben, das ich führe, war ein Fegefeuer; eine Hölle wird es sein, seit ich Die da wiedergesehen und Den, den sie geliebt hat!

Indem er das sagte, schien ihn die Kraft zu verlassen, er stürzte in die Kniee vor dem Bilde und drückte das Gesicht in die beiden Hände. Sein ganzer Leib zuckte wie in Krämpfen.

Endlich brach sich der Krampf. Er schluchzte laut auf, und wimmerte und wand sich dazwischen, wie ein todwunder Mensch, und dann versuchte er wieder aufzustehen und stöhnte: Mein Gott, mein Gott! sie ist todt! – Herr, sei ihrem Mörder gnädig! – und dann fiel er wieder wie ohnmächtig hin und drückte seinen seufzenden Mund gegen die kalten Fliesen des Fußbodens und schien ganz vergessen zu haben, daß noch Jemand bei ihm stand und Alles mitansah.

Und das Bild dabei immer an der hellen Wand, das ganz still und majestätisch und so blühend von Glück und Jugend auf den armen Sünder herabsah. – –

Domenico, sagte endlich der Kapitän, der sacht herangetreten war und sich zu ihm niederbückend eine Hand ihm auf die Schulter legte, Domenico, steht auf und faßt Euch. Wir Beide wecken sie nicht wieder auf und müssen sehen, wie wir das bischen Leben zu Ende schleppen. Wenn Ihr Rath von mir annehmen wollt, so verlaßt die Gegend und geht übers Meer. In Afrika ist Krieg, die Franzosen können tapfere Leute brauchen. Eure That – ich vergebe sie Euch, und ein Anderer, der auf einer andern Wage wägt, wird Euer Herz kennen und wissen, wie schwer Ihr büßt. Wenn ich Euch helfen kann mit irgend was, daß Ihr von hier fortkommt und Alles hinter Euch werft, sagt es; Ihr sollt einen Bruder an mir finden.

Der Andere hatte sich aufgerichtet und stand jetzt, ohne das Bild anzublicken, mit einem hoffnungslosen Gesicht in die Nacht starrend. Bei den letzten Worten seines Gegners schüttelte er heftig den Kopf.

Es ist vorbei, sagte er. Mit Euch bin ich quitt. Das Uebrige ist meine Sache. Wir Zwei werden uns nie wieder begegnen, das gelob' ich Euch bei ihrem Schatten. Aber verlaßt dieses Haus, in dem ich Euch nicht mehr schützen kann. Den Andern ist es um Euer Geld zu thun und um Eure Waffen, nach denen sie lüstern sind. Wenn sie erfahren, daß ich Euch in ihre Gewalt hätte liefern können und es nicht gethan habe, werden sie mir's nie verzeihen; und Einige sind darunter, die noch ein Andenken an Euch an ihrem Leibe tragen von dem ersten Scharmützel in jener Nacht. Hütet Euch! Und damit gute Nacht! Ich bin zu Ende.

Er bückte sich, nahm sein Gewehr vom Boden auf, warf noch einen letzten Blick auf das Bild, das im Mondlicht in seiner ruhigen Schönheit strahlte, und glitt aus dem Zimmer.

Der Kapitän hörte ihn die Treppe hinabgehen, langsam, ohne eine Stufe zu überspringen, und dann draußen das eiserne Gitter öffnen und wieder ins Schloß werfen. Dann war die Nacht ringsum todtenstill.

Er brauchte einige Zeit, eh er sich besinnen konnte. Es sei ihm gewesen, sagte er, als sei er von einem Thurm heruntergestürzt und mit heilen Gliedern unten angekommen, aber vom Schwindel wie gelähmt. Endlich, nachdem er eine Weile halb in Ohnmacht auf seinem Lager gesessen, erinnerte ihn die Blutspur auf dem hellen Estrich an seine Wunde. Er raffte sich auf, um die Maddalena zu rufen, daß sie ihm Wasser bringen und bei dem Verbande helfen sollte. Aber Niemand antwortete ihm, so viel er rief. Endlich hinkte er die Stufen hinab und trat in ihre Kammer. Da sah er im Winkel in einen Klumpen geballt das arme Geschöpf liegen, gebunden an Händen und Füßen und einen Knebel im Munde. Als er sie losgebunden hatte, fiel sie ihm wie halb todt zu Füßen, kam erst wieder zu sich, da er sie mit Wasser besprengt und ihr ein wenig Wein eingeflößt hatte, und fing an unter Lachen und Weinen ihm die Hände und den Rock zu küssen. Ein vernünftiges Wort aber war nicht aus ihr herauszubringen; der Schrecken, als der Rothe sie überfiel, und dann die Angst, wie sie ihren Herrn heimkommen und die Treppe hinaufsteigen hörte, wo sein Feind ihn erwartete, hatten ihre armen fünf Sinne zerrüttet, und die Jahre, die sie hernach noch lebte, sind an ihr vorübergegangen, ohne daß sie mehr empfunden hätte, als den Wechsel von Kälte und Wärme, Hunger und Sättigung.

Ich habe dann den Kapitän noch eine Woche bei mir verpflegt, bis die Wunde nothdürftig geheilt war. Die Treibjagd auf die Bande fand natürlich ohne ihn statt, aber es ward nichts Anderes erreicht, als daß wir für ein paar Jahre Ruhe hatten. Gefangen wurde nur ein kleiner Knabe, der seinen Vater unter den Räubern hatte und ein paarmal mitgelaufen war. Es war nichts mit ihm anzufangen, und man ließ ihn wieder gehen. Eins aber hatte er doch zu erzählen gewußt: am Morgen nach jener Nacht, wo der Rothe mit seinem Feinde abgerechnet, war ein Zank entbrannt, und die Andern hatten den Domenico einen Verräther gescholten. Darüber wurden endlich die Messer blank, und ehe die Kaltblütigeren den Handel schlichten konnten, lag der Rothe entseelt auf dem nackten Felsgrund, das Messer in der Brust, fast an der nämlichen Stelle, wo er das Mädchen getroffen hatte.

Signor Gustavo aber ist nach Neapel abgereis't und von da zu Schiff gegangen nach Griechenland. Ich habe späterhin einmal von einem Maler gehört, daß er dort beim Schwimmen im hohen Meer ertrunken sei. Möglich, daß die Wunde am Bein schlecht geheilt und eine Schwäche zurückgeblieben war, da er es doch sonst, wie er mir sagte, im Schwimmen mit dem großen Lord aufgenommen hatte. Wo aber das Bild der Erminia geblieben ist, das jener Maler gesehen zu haben sich wohl erinnerte, wußte er mir nicht zu sagen. Ich gäbe gern mein halbes Vermögen darum, wenn es noch einmal in meine Hände käme.

Seht, mein Freund, das ist die Geschichte vom Barbarossa und der Erminia!

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