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Buchschmuck

Die Nixe

(1898)

 

An einem schönen, hellen Flusse mitten im wilden Wald wohnte der junge Fischer Tobias, weitab von allen Menschen. Denn zu der nächsten Stadt hatte er zwei Stunden zu wandern, wenn er seine Fische dorthin zum Verkauf trug.

Er konnte sich aber von der alten Hütte nicht trennen, die sein Vater hier in der Wildniß gebaut hatte, da er in dem tiefen Wasser reichlicheren Fang machte, als weiter unten am Fluß, wo der Wald sich lichtete und die Gegend wohnlicher war. Beide Eltern waren vor mehreren Jahren gestorben, als der Sohn kaum den Knabenschuhen entwachsen war. Da hatten sich gute Leute in der Stadt des Verwaisten annehmen wollen. Er aber hatte sich eigensinnig dagegen gewehrt und, so übel es anfangs gehen wollte, sein einsames Wesen fortgetrieben, die Netze gestellt und den Ueberfluß, den er nicht zu seiner eignen Nahrung brauchte, am Freitag jeder Woche in die Stadt geliefert. Dagegen tauschte er dann etwas Brod und Salz und Butter ein und das Wenige, was er etwa an Kleidern und Schuhen brauchte. Denn er ging am liebsten barfuß, und in seinem Walde begnügte er sich mit einem groben Hemd und einer leinenen Hose, die nur bis zu den Knieen reichte. Zur Winterszeit oder auf seinen Stadtgängen fuhr er in ein altes Wams, das er vom Vater her noch besaß, und breitete auf dem dürftigen Lager, das mit den Jahren immer zerrissener und härter wurde, eine derbe Decke aus Ziegenfellen über seine jungen Glieder.

Von seinen Eltern war er weder zur Schule angehalten noch irgend sonst unterrichtet worden, also daß er mit seinen zwanzig Jahren von Gott und der Welt nicht viel wußte, auch kein Verlangen trug zu irgend einer Wissenschaft über sein Tagewerk hinaus. Auf dieses aber verstand er sich meisterlich und zog seine Netze selten heraus, ohne daß es darin von den schönsten Fischen zappelte.

Dann konnte er auch stundenlang an einer lichten Stelle am Ufer sitzen, wo der Fluß tiefer ins Land hereintrat und eine kleine Bucht gebildet hatte. Hier war die Welle wie in einem Hafen zur Ruhe gekommen und lag ganz still mit einer blanken, spiegelnden Fläche, so daß man bis zum Grunde hinabschauen konnte. Sich dahinein zu versenken, sei es zum Bade mit dem ganzen Leibe, oder mit seinen Gedanken – wenn Träumereien eines ungelehrten Wildlings für solche gelten konnten – war ihm in seinen müßigen Stunden ein Zeitvertreib, der keine Langeweile aufkommen ließ.

Doch fehlte es auch nicht ganz an einem anderen.

Etwa zwei oder drei Bolzenschüsse von seiner Hütte entfernt haus'te ein alter Einsiedler, mit dem unser junger Fischer einen kleinen nachbarlichen Verkehr unterhielt. Schon vor hundert Jahren hatte ein anderer Waldbruder diese Stelle im Föhrendickicht sich zu einer frommen Siedelei erwählt, mit großer Mühe aus weit herbeigeschleppten Steinen ein Kapellchen errichtet, daneben ein Blockhäuschen an einen Felsen gelehnt und rings umher den Wald so weit ausgerodet, daß für einen kleinen Gemüsegarten Luft und Sonne gewonnen wurde. Mit dem Tode dieses Biedermanns war die fromme Gründung in einigen Verfall gerathen. Bis – ungefähr um die Zeit, wo die Eltern des Tobias sich hier ansiedelten – ein neuer Weltflüchtling sich der herrenlosen Besitzung annahm, die Kapelle vorm Zusammensturz rettete, die Hütte ausflickte und das verwahrlos'te Gärtchen neu anpflanzte.

Es war dies ein ehemaliger Kriegsmann, der bei seinen vielen Fahrten und Abenteuern im Sold großer Herren wohl manches Blutige und Gottlose begangen hatte, das auf seine alten Tage ihm das Gewissen ängstigte. Also war er in einen Mönchsorden eingetreten als Pater Peregrinus – die Tonsur hatte ihm schon die Zeit geschoren, da sein mächtiger Schädel blank und glatt war wie die Kugel der Fortuna – hatte es aber unter den beständig in dumpfen Zellen hockenden oder in der Kirche psalmodirenden Klosterbrüdern nicht lange ausgehalten, sondern war der geistlichen Haft entsprungen, um sein gottseliges Büßerleben wenigstens in freier Luft zu führen.

Die Siedelei am Flusse aber hatte ihn schon um deßwillen gelockt, weil in der Stadt jenseits des Waldes das einzige Menschenkind lebte, das ihm von aller Welt noch angehörte, ein ganz junges Mägdlein, die Tochter seines einzigen Kindes, das er damals nach dem Tode der Mutter sträflich verlassen hatte, um sich seinem Hang nach einem wilden Kriegsleben hinzugeben. Diese seine Enkelin hatte er, als er endlich wieder in seiner Heimath sich umsah, im Dienst bei einer Schneiderswittwe gefunden, wo sie alle häusliche Arbeit versah, dazu die Kinder hütete und dann oft bis in die Nacht hinein an der Näharbeit helfen mußte. Das gute, muntere Kind hätte sich nichts Besseres verlangt, als dieser Frohne entledigt zu werden, zum Großvater zu kommen und ihn bis an sein seliges Ende zu versorgen. Der Alte aber war dermaßen in seinen Büßerberuf verbissen, daß er sich von dem artigen Geschöpf kurz abwandte und höchstens ihm gestattete, zwei Mal im Jahr ihn in seiner Siedlerhütte zu besuchen, zu Weihnacht und an seinem Namenstage. Da er sich aller Ueppigkeiten und Wollüste streng enthielt, seine Nahrung nur aus dem Gemüsebau zog und kaum Freitags sich ein paar Fische vergönnte, durfte ihm das Kind, das ihm gern all sein Erspartes hingegeben hätte, bei diesen Besuchen auch keine kostbareren Geschenke machen, als etwa ein neues Hemd, ein Säckchen mit Gemüsesamen oder eine Düte mit Schnupftabak, die einzige sündhafte Leidenschaft, der er nicht ganz zu entsagen vermochte.

Doch freilich – noch eine andere Schwachheit war ihm aus seinem Lagerleben nachgegangen, die Lust am Würfel- und Kartenspiel. Da es ihm aber nicht mehr um schnöden Geldgewinn dabei zu thun war, hielt er es nicht für einen Bruch seines Gelübdes, an den langen dunklen Winterabenden ein Päckchen unsäuberlicher und halbzerfetzter Spielkarten zu seinem jungen Nachbarn hinüberzutragen und beim Schein des Herdfeuers ihn in die Geheimnisse verschiedener Landsknechtsspiele einzuweihen.

Außer dieser bescheidenen Unterhaltung, bei der sich der Alte oft erbärmlich wand und wehrte gegen die Versuchung, in lästerliches Fluchen auszubrechen, fand aber zwischen den beiden Nachbarn kein weiterer Verkehr statt. Denn auch das Fischgericht an den Freitagen lieferte der Jüngling schweigend in der Siedlerhütte ab und nahm dagegen die Handvoll Rüben oder zwei Kohlhäupter in Empfang, die der Alte ihm in das Netz steckte. Denn dieser hütete sich wohl, den Sinn des unverdorbenen Knaben durch die Erzählung seiner bunten Kriegsläufte zu vergiften, oder ihm gar von seinen böslichen Streichen mit allerlei Weibern zu berichten. Im Stillen verwunderte er sich, daß ein so frisch ausgewachsener junger Mensch in seinen Saftjahren nicht das geringste Verlangen zeigte, sich etwas liebliches Langzöpfiges in der einsamen Hütte zuzugesellen. Denn auch bei seinen Marktgängen in die Stadt schien er mit gesenkten Augen an Allem, was Weiberröcke trug, vorbeizugehen, da er nie von einem zärtlichen Abenteuer zu erzählen wußte. Und als der Alte ihn ein einziges Mal gefragt hatte, ob er nicht dem Beispiel seines Vaters folgen und eine gute Frau heimführen wolle, hatte er mit über und über erglühendem Gesicht hastig erwiedert: Diejenige werde er für blöden Geistes halten, die einem unwissenden Tölpel, wie er, zuliebe ihr junges Leben in dieser Wildniß vergraben möchte.

*

So hatten die beiden ungleichen Nachbarn mehrere Jahre nebeneinander hingelebt, als eines Frühlingsabends, da der Alte sich eben nach seinem täglichen Pensum an Vaterunser- und englischen Gruß-Gebeten auf sein Strohlager werfen wollte, der Jüngling noch an seine Thür pochte.

Er sagte mit einigem Stocken und Stammeln, daß er komme, dem heiligen Manne eine Beichte abzulegen und zugleich seinen Rath zu erbitten. Als sie nun miteinander auf dem Bänklein vor der Hütte sich niedergelassen hatten und rings im Walde kein Laut sich rührte, nur unfern von ihrem Sitz der Fluß, der mit leisem Rauschen vorüberzog, hub der Jüngling in großer Beklommenheit an, er glaube, er habe sich verliebt, wenn anders man einen Zustand so nennen müsse, wo man beständig eine einzige weibliche Person vor Augen habe und nichts Anderes wünsche, als selbige in seinen Besitz zu bringen. – Mit diesen Worten habe er das Wesen der Verliebtheit treffend bezeichnet, erwiderte der Alte, indem er sich seine wenigen dünnen Härchen am Hinterkopf kraute und dann tiefsinnig seinen langen, grauen Bart strich. Hiebei aber, fuhr er fort, sei keine Sünde, da der Herrgott selbst zu seinen weisen Zwecken diese Einrichtung getroffen habe. Auch des Tobias Vater habe etwas Aehnliches in sich gespürt, als er seine nachmalige Frau, des Tobias Mutter, kennen gelernt. – Da sei nur leider ein Unterschied! bemerkte der Jüngling mit einem Seufzer. Seine Mutter sei die christlich getaufte Tochter christlicher Eltern gewesen. Die es aber ihm angethan, sei nie getauft worden, ja schlimmer als ein Heidenkind, da sie nicht einmal eine Seele habe. – Was er da für Thorheit rede! Eine Seele hätten ja, wie manche Kirchenväter behaupteten, sogar die unvernünftigen Thiere, wenn auch keine unsterbliche. – Hievon wisse er nichts, aber seine Mutter habe ihm erzählt, die Wasserweibchen und Nixen hätten keine Seele und könnten einer solchen nur theilhaftig werden, wenn sie einen Menschen liebten und der sie wieder liebe und zu seinem ehelichen Weibe mache. Und da er sich nun in ein solches Fabelwesen vernarrt habe und darauf verzichten müsse, sich eine richtige Frau mit rothem Menschenblut in dieser Wildniß beizugesellen, denke er allen Ernstes daran, die Nixe trotz ihres Fischblutes heimzuführen, falls der Pater ihm nicht sage, daß er dadurch sein ewiges Heil verscherzen würde.

Der gute Alte, der zwar die niederen Weihen empfangen, von den höheren kanonischen Gesetzen aber kaum einen dunklen Begriff hatte, gerieth in eine peinliche Verlegenheit. Nachdem er lange gesonnen und durch beharrliches Krauen aus seinem Schädel keine sonderliche Erleuchtung herausgelockt hatte, verfiel er auf eine ausweichende Antwort, indem er sagte: Zum Heirathen, lieber Sohn, gehören allemal Zwei, auch bei so ungleicher Paarung, wie du sie im Sinne hast. Wie kannst du glauben, dem Wasserwesen werdest du eine Seele in die schuppige Brust einpflanzen, da du nicht weißt, ob es die Bedingung deiner guten Mutter erfüllt und dich wiederliebt?

O, versetzte Tobias noch tiefer erröthend, was seinem hübschen, trübsinnigen Gesicht besonders gut stand, hierfür habe ich sichere Zeichen. Ihr müßt nämlich wissen, ehrwürdiger Vater, daß ich schon oft, wenn ich meinen Nachen stromaufwärts lenkte, um oberhalb unter den Stromschnellen die Reusen zu legen, unter mir in der hellen Flut eine schöne, schlanke Nixengestalt habe schwimmen sehen, die zu mir emporschaute und mir zublinzelte. Ich sah auch, daß sie gar keine Schuppenhaut um die Brust hat, sondern bis zum halben Leibe gebildet ist, wie ein menschliches Fräulein, das heißt, wie ich mir's denke; denn ich selbst habe ein solches nur in seinem Gewande gesehen. Sie gefiel mir aber ausnehmend. Auch die untere Hälfte ging nicht in einen Fischschwanz aus, sondern zwei natürliche Beine ruderten flink durch das tiefe Wasser, nur hie und da glänzte es daran wie silbergrüne Schüppchen, und die Füße – ja freilich, die waren wie Entenfüße gestaltet. Sie hatte ein so eigenes Lächeln auf den Lippen, daß mir das Herz vor Sehnsucht entbrannte, sie herauszuholen. Doch immer, wenn ich ihr winkte und mit dem Ruder nach ihr langte oder ein Netz auswarf, zog sie die Brauen feindselig zusammen und schoß in die dunkle Tiefe, daß sie meinem Blick entschwand.

Woraus du sehen kannst, mein Sohn, daß sie dir nicht wahrhaft geneigt ist. Obwohl freilich auch zuweilen Menschinnen, die man heranlockt, sich zuerst spröde stellen. Einem schlichten Wassergeschöpf aber traue ich dergleichen verschmitzte Tücken und Ränke nicht zu. Und darum ist's besser, sagte der Alte, du schlägst dir diese Verirrung aus dem Kopf.

Ich habe es wohl versucht, seufzte der Jüngling, aber es war mir unmöglich. Und denkt, gestern, als ich am Ufer sitze und aus meiner Rohrpfeife ein Stücklein blase, taucht sie kaum zwanzig Schritt von mir aus dem Wasser aufschwingt sich auf einen Weidenstumpf, schlägt die Arme unter der weißen Brust zusammen und blickt beständig horchend zu mir hinüber. Zuletzt fängt sie an aus Schilf und Wiesenblumen sich einen Kranz zu flechten, den setzt sie sich aus den Kopf, von dem die schwarzen Haare ihr weit bis an die Hüften über die Schultern fallen, und dann wiegt sie die Arme gegen mich und lacht über das ganze Gesicht. Als ich aber sacht aufstehe, um zu ihr hinzugehen, runzelt sie wieder finster, fast wie wenn sie mich bedrohte, die Stirn, reißt sich den Kranz von der Stirn und gleitet in den Fluß zurück, wie ein großer Fisch, der sich aus dem Netz gewunden hat. Den Kranz aber hab' ich aufgehoben, und hier ist er.

Er zeigte jetzt das seltsame kunstlose Gewinde dem Alten, der es kopfschüttelnd betrachtete, daran roch und dann wie etwas, das aus der Hölle stamme, auf die Erde warf.

Du siehst, lieber Sohn, sagte er, sie will sich nicht fangen lassen. Mag sein, daß du ihr wohlgefällst, wie du ja auch ein stattlicher Bursch bist und einem solchen Teufelsweibe wohl einleuchten magst. Aber auf eine ehrbare eheliche Verbindung steht ihr der Sinn gewiß nicht, und da ich nur zu oft erlebt habe, daß selbst richtige Evastöchter, die etwas von Schlangen- oder Nixenart an sich haben, einem guten Jungen große Noth bereiten können und ihn doch nur an der Nase herumführen – hiebei entrang sich ein tiefer Seufzer der eingeschrumpften Brust des ehemaligen Landsknechts –, so kann ich dir nur väterlich rathen, dir den ganzen Spuk, hinter dem eine höllische List des Erzversuchers steckt, aus dem Sinn zu schlagen und doch endlich einmal dein Glück bei einem richtigen Menschenkinde zu versuchen.

*

Hiemit stand der Alte auf, zog die Kutte fester um seine Glieder, da ihn in der späten Nachtluft fröstelte, gab dem Jüngling seinen Segen und zog sich in die dunkle Hütte auf sein Lager zurück.

Tobias aber fand so bald keinen Schlaf. Er wälzte sich auf seinem harten Bette hin und her und grübelte darüber nach, wie er der schönen Undine habhaft werden könne. Denn er zweifelte nicht, wenn er sie erst in seiner Macht und sie ihn näher kennen gelernt und gesehen hätte, was für ein harmloser Mensch er sei und wie gut er sie halten würde, könne sie in ihrer Sprödigkeit unmöglich verharren, und dann werde sich auch mit der Zeit die Seele bei ihr einfinden, die einer christlichen Ehefrau unentbehrlich ist.

Zuletzt, da es schon gegen das Frühroth ging, hatte er einen Einfall, der ihm ungemein schlau und hoffnungsvoll schien. Nach dieser glücklichen Eingebung schlief er beruhigt noch eine Stunde und ging dann sofort daran, seinen Anschlag auszuführen.

Er verfertigte nämlich ein großes längliches Netz aus den stärksten Schnüren, die er besaß, weit genug, einen Fisch von fünf Fuß Länge darin zu fangen. Am Ende desselben befestigte er ein Stück Spiegelglas, zwei Handbreit im Geviert, vor welchem seine gute Mutter ihr dünnes Zöpfchen geflochten hatte. Das war so künstlich angebracht, sobald Jemand im Netz daran stieß, fiel eine Klappe zu, die den Eingang fest verschloß. Damit aber die Gefangene sich nicht etwa befreien konnte, indem sie die Maschen des Netzes durchbiß, umgab er die ganze riesige Nixenfalle mit festen Drahtreifen und trug sein Kunstwerkchen, als es zu dämmern anfing, an die kleine Bucht hinab, wo er den langen Stecken, an dem das Netz hing, sorgfältig mit großen Steinen beschwert am Ufer befestigte.

So erwartete er in glühender Ungeduld den anderen Morgen.

Als er dann aber mit klopfendem Herzen beim ersten Tagesschein nach dem Flusse ging, sah er schon von Weitem, wie die Stange sich bog und bebte, ein Zeichen, daß etwas ins Netz gegangen war und zappelte, um sich zu befreien. Und dann erblickte er wirklich in dem langen durchsichtigen Gestrick den weißen Leib des gefangenen Schätzchens, das richtig, wie er gehofft, an den Köder angebissen hatte und in die Falle gegangen war, um seine neugierige Lust zu büßen und in dem Spiegelchen sich besser zu beschauen, als bisher in dem unruhig fließenden Wasser möglich gewesen war.

Sehr erfreut und doch ein wenig beklommen lud er sich das schwere Netz auf die Schulter, ohne der Wuthblicke und des grimmigen Zähnefletschens zu achten, mit denen die Ueberlistete ihn begrüßte. Auch hatte er Mühe, den Fang in Sicherheit zu bringen, da die Wilde in ihrem Maschenkäfich sich wie rasend geberdete und so gefährlich krallte und stieß, immer ganz lautlos, daß er alle Kraft aufbieten mußte, sie von der Stelle zu schaffen.

In seiner Hütte angelangt, schob er aufathmend den Riegel vor, ließ das Netz auf den Boden nieder und öffnete den Verschluß. Sofort schlüpfte die Nixe heraus, richtete sich auf und versuchte, hastig auf ihren Entenfüßen herumwatschelnd, an den vier Wänden entlang einen Ausweg zu finden. Doch auch die hintere Thür, die in einen Schuppen führte, war verschlossen, und mit dem Brauch eines Riegels war sie nicht vertraut. Zwei kleine schmale Fenster, bei Nacht mit Holzläden verschlossen, erleuchteten den weiten Raum, in welchem durch eine Bretterwand ein Verschlag für die Lagerstätte abgezäunt war. Diese Luftöffnungen aber, zu denen sie sich hinaufklammerte, waren zu schmal, um selbst ihren geschmeidigen Leib durchzulassen. Also ward sie nach einiger Zeit des vergeblichen Irrens und Tobens müde und ließ sich mit einem sonderbaren Zischen zwischen den zusammengebissenen Zähnen auf einer alten Truhe nieder, die im dunkelsten Winkel des Gemaches stand, die Arme unter der Brust gekreuzt, aus den Augen argwöhnische Blicke herumschießend, während ihr Athem flog und sie am ganzen Leibe zitterte.

Ihr junger Räuber hatte, mitten im Zimmer stehend, ihrem verzweifelten Rundlauf und dem Rütteln an den festen Thüren zugeschaut und fing jetzt an, ihr freundlich zuzusprechen, daß sie zwar gefangen sei, er aber nichts Böses gegen sie vorhabe, vielmehr einzig von Sehnsucht nach ihr getrieben sie in seine Gewalt gebracht habe. Er hoffe, wenn sie den ersten Schrecken verwunden, werde sie sich darein finden, seine Gefährtin zu bleiben, und mit der Zeit auch eine Seele bekommen, so daß zu ihrem Glück dann nichts mehr fehlen werde.

Während sie ihm, ohne sich zu rühren, zuhörte, scheinbar durch seine sanfte Stimme ein wenig gebändigt, konnte er sie mit aller Muße betrachten und fand sie nun noch reizender und freilich auch seltsamer gebildet, als sie ihm von fern erschienen war. Ihr Gesicht war bis auf die etwas geschlitzten Augen und den breiten Mund, aus dem kleine, spitze Hechtzähne vorschimmerten, ganz anmuthig und wie eines Mädchens von sechzehn Jahren, die Oehrchen aber ausgefranzt und sehr beweglich, wie auch das gerade stumpfe Näschen bei jeder Erregung mit den blassen Flügeln zitterte. Vom Kinn abwärts war's ein tadellos gewachsener, voll ausgereifter Frauenleib, die Arme sehr rund und die Hände schlank und weiß, die Finger aber durch blaßrothe Schwimmhäutchen verbunden. Doch glichen die Hände, wenn sie geschlossen waren, immerhin noch zierlichen Frauenhänden, während die Füße in der That richtige Entenfüße waren, und die schlanken Beine von grünlichen Silberschuppen glänzten.

Ob sie seinen tröstlichen Zuspruch verstand, war aus ihrer Miene nicht zu erkennen, und da ihr Zwingherr einsah, daß er am klügsten thäte, sie eine Weile sich selbst zu überlassen, wandte er sich dem Herde zu, seine Morgensuppe zu kochen, wozu er ein wenig Mehl und Butter in ein Pfännchen that.

Inzwischen hatte sich sein Kätzchen, das beim ersten Anblick des fremden Gastes entsetzt auf einen hohen Schrank geflüchtet war, von der Harmlosigkeit des nackten Fräuleins überzeugt und war sacht wieder herabgekommen, mit erhobenem Schweif und leisem Schnurren die seltsame Erscheinung umschleichend. Zuletzt ermuthigte es sich so weit, daß es auf die schuppigen Kniee hinaussprang. Aber ein Stoß mit beiden Händen belehrte es, daß man von solchen Vertraulichkeiten nichts wissen wolle. So zog es sich prustend und den Bart sträubend in sein Winkelchen zurück.

*

Indessen hatte Tobias ein kleines Feuer angezündet und rührte gedankenvoll in dem brodelnden Süppchen herum, als plötzlich hinter ihm eine weiße Hand über den Herd weg langte und er einen eigenthümlichen Laut wie von behaglichem Staunen vernahm. Sich umwendend sah er, daß die Nixe, von dem ungewohnten Anblick des Feuers gelockt, sich herangeschlichen hatte, das flackernde rothe Wunder in der Nähe zu sehen. Und wie Kinder nach Allem greifen, was ihnen gefällt, wollte sie nun die Flamme packen, zog aber mit einer Schmerzensgeberde und einem Zucken des ganzen Leibes die verbrannten Finger zurück und schnellte, da er sie beruhigend umfangen wollte, von ihm weg wieder auf ihre Truhe, wo sie die schmerzenden Finger in den Mund steckte und blasend und zischend daran sog.

Er hatte nun seine Morgensuppe fertig gekocht und stellte sie auf den Tisch, der mitten in der Hütte stand. Als sie sich hinlänglich verkühlt hatte, schöpfte er einen tiefen Löffel voll und trug ihn der stummen Gesellin hin. Er hatte aber kaum ihre Lippen damit berührt, so schlug sie ihm den Löffel aus der Hand und feixte ihn so feindselig an, daß er sich kopfschüttelnd zurückzog.

Nun überlegte er, während er aß, was er anfangen sollte, um ein freundlicheres Verhältniß zwischen ihnen herzustellen.

Zuletzt fiel ihm ein, daß es gerathen sein würde, seinen geistlichen Nachbar zu Hülfe zu rufen. Von dem wußte er, daß er sich auch auf alles Weiberwesen besser verstand, als er, und wenn in dem seelenlosen Geschöpf etwa gar ein Teufel steckte, selbigen auch auszutreiben wissen werde. Also sagte er kein Wort weiter, sondern verließ die Hütte, die er sorgfältig von außen versperrte, und lief zu dem Alten hinüber, den er in dem Kapellchen bei irgend einer selbstauferlegten gemächlichen Bußübung fand. Er berichtete ihm seine gelungene List, zugleich seine Verlegenheit, die gemachte Beute wirklich in seine Gewalt zu bringen. Es scheine ein böser Geist in ihr zu wohnen, den der ehrwürdige Pater beschwören möge.

Hiezu war der alte Kriegsmann, der am liebsten den Teufel bei den Hörnern faßte, durchaus willig, schon aus Neugier, das Fabelwesen, an das er so recht nicht geglaubt hatte, leibhaftig vor sich zu sehen. Holte also das einzige lateinische Buch, das er aus dem Kloster mitgenommen und von dem er kein Wort verstand, aus seiner Hütte, zugleich einen Weihwedel und ein Kübelchen mit geweihtem Wasser und folgte dem Jüngling nach der Fischerhütte.

Als er den glatten, blanken Leib des Flußweibchens gewahrte, begriff er wohl, wie sein junger Freund sich von diesem Anblick hatte bethören lassen. Sie grins'te ihn aber erst ingrimmig an, und dann, seinen Kahlkopf und die schwere Kutte betrachtend, brach sie in lautloses, doch so unverkennbar höhnisches Gekicher aus, daß der Alte, der sich immer noch für einen ganz ansehnlichen Mann hielt, in seiner gekränkten Eitelkeit heftig ergrimmte und nun anfing, aus dem lateinischen Buche vorzulesen, was er für eine Bannformel hielt, obwohl es nur eine Aufzählung verschiedener Länder- und Meeresnamen war, da das Buch eine Art Orbis pictus enthielt. Zugleich tauchte er den Wedel in das geweihte Wasser und besprengte Gesicht und Brust des Heidenmägdleins, das sich aus seiner Truhe diesen feuchten Gruß wohlgefallen ließ und behaglich mit der Zunge schnalzte. Schon glaubte der fromme Beschwörer, etwas ausgerichtet und den bösen Feind in ihr gezähmt zu haben, als sie plötzlich mit beiden Händen ihm den Kübel entriß, ihn bis auf den letzten Tropfen austrank und das Gesäß dem Alten dann vor die Füße schleuderte.

Hierin erblickte der Mann Gottes eine freche Verhöhnung des Heiligsten, donnerte ihr ein Apage, Satanas! ins Gesicht und verließ eilends die Hütte. Tobias lief ihm nach, zu fragen, was er von dem Erlösungswerk und der ganzen seltsamen Person denke, ob sie ihm nicht auch der Mühe werth scheine, allen Fleiß an ihre Bekehrung zu wenden. Der Alte aber erwiderte: Daß sie den Teufel im Leibe hat, ist gewiß. Selbigem bin ich in jungen Jahren auch mehr als einmal in einer üppigen Weibsgestalt begegnet und weiß, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen ist. Jedennoch sieht sich die Sache glimpflicher an, wenn solch ein vom Bösen besessenes Geschöpf auf natürlichen Menschenfüßen wandelt. Dein Schätzchen aber mit seinen Schwimmhäuten solltest du dir je eher je lieber wieder vom Halse schaffen. Auch wenn mit der Zeit die sogenannte Seele sich einfinden sollte, was Gescheidtes kommt bei eurer Ehe doch nicht heraus; sie hat nichts gelernt von all den häuslichen Künsten, die eine gute Frau verstehen muß, um ihrem Manne das Leben leicht und lieblich zu machen, und wenn sie Kinder zur Welt bringt, so werden sie weder Fisch noch Fleisch sein und sich mühselig durchs Leben helfen.

Damit verließ er seinen jungen Nachbar, der mit gesenktem Kopf in sein Haus zurückging. Er fand drinnen Alles, wie er es verlassen hatte, die hellen, scharfen Augen seines Gastes folgten lauernd all seinen Bewegungen und schossen Blitze des Zorns und Hasses, als er sich auf sein Bette setzte und das große Netz, in das sie richtig vielfache Löcher gebissen hatte, auszubessern begann. Um sie zu beschäftigen, verfiel er auf den Gedanken, ihr den kleinen Spiegel in die Hand zu geben, mit dem er sie gefangen hatte. Damit traf er das Rechte. Denn nun saß sie ganze Stunden lang, lachte sich in ihrem Spiegelbilde an, fletschte die Zähne und schnitt die tollsten Gesichter. Alsdann lehnte sie die blanke, schon vielfach am Rücken beschädigte Scheibe gegen die Wand und beschäftigte sich damit, ihr langes, grünlich schimmerndes Haar zu flechten und in immer neuen Manieren aufzustecken. Das stand ihr nun wieder so seltsam anmuthig, daß er ihr all ihr wildes Wesen verzieh und nichts sehnlicher wünschte, als sie sich ganz zu eigen zu machen.

Sie zu füttern, gelang ihm auch Mittags so wenig wie bei seinem Frühstück. Den Kohl und die Rüben, die er ihr in den Mund steckte, spie sie mit heftigem Widerwillen aus. Nur ein Trunk Wasser aus seinem zinnernen Becher erquickte sie. Dann hob sie sich leise auf und ging nach dem Kätzchen, das auf dem Herde zusammengerollt lag und aus dem Traume spann. Sie wollte es haschen und als Spielzeug gebrauchen, ließ es sich aber entschlüpfen und stellte nun eine athemlose Jagd nach ihm an, rundum in der Hütte, da sie nur unbeholfen sich im Gehen bewegte. Bis das gejagte Thier seinen Vortheil ersah und zu einem der beiden Fensterchen hinaussprang. Da stand die Verfolgerin mit einem heftigen Zischen vor der schmalen Oeffnung still, spie der Entsprungenen wüthend nach und schien sie um ihre Freiheit zu beneiden.

Sie dauerte aber ihren Zwingherrn, wie sie dann wieder so still und geknickt auf ihrer Truhe saß. Da er nun auf keine andere Weise sich mit ihr unterhalten konnte, fiel ihm ein, auf seiner Rohrflöte ein wenig Musik zu machen, wovon sie sich ja als eine Liebhaberin gezeigt hatte. Und wirklich, schon bei den ersten Tönen schien ein anderer Geist über sie zu kommen. Sie begleitete die Weise mit leisem Neigen des Kopfes, indem sie im Takt mit den Füßen gegen die Truhe schlug, und dabei sah sie ihn zum ersten Mal mit einem freundlichen Grinsen an. Das machte ihm Muth, sich ihr zu nähern, und als sie ruhig sitzen blieb, obwohl er sich dicht neben ihr niederließ, hüpfte ihm das Herz vor Freuden, da er glaubte, nun das Spiel gewonnen zu haben. Er blies immer sanfter und schmelzender und ließ endlich das Instrumentlein sinken. Sogleich griff sie danach und setzte es an ihren Mund. Als sie aber mit allem Hineinhauchen keinen Ton hervorlockte, schleuderte sie die Flöte zu Boden, daß die einzelnen Röhren sich lös'ten und das Band zerbrach.

Er zürnte ihr aber nicht. Er hatte den Arm sacht um ihren Nacken gelegt und mit der Hand ihre Schulter berührt. Die fühlte sich kühl und seltsam trocken an, wie ein glattes Leder, und so auch ihre Wange, auf die er einen flüchtigen Kuß zu drücken wagte. Sie sah sich rasch nach ihm um, nicht grollend, nur wie verwundert, was er für thörichte Dinge treibe. Und als ob sie noch unter dem Zauber der Musik stünde, hob sich ihre Brust lebhafter, wie von einer sehnsüchtigen Regung geschwellt. Im nächsten Augenblick hatte sie sich dicht zu ihm hingeneigt und in seine Schulter, an der das Hemd sich verschoben, ihre scharfen Zähne eingegraben.

Das Blut sprang hervor und rieselte über das grobe Linnen. Sie aber bückte sich, mit ihrem rauhen, blaßrothen Züngelchen die dunklen Tropfen auszusaugen, bis er sie heftig zurückstieß und von der Truhe aufspringend sie um den Leib faßte, mit ihr ringend wie mit einem Raubthier, das ihn überfallen hätte. Da er sehr stark war und sie wie in eine eiserne Klammer gespannt aufhob, konnte sie sich nicht wehren, nur mit ohnmächtigen Bissen in sein dichtes Haar und wildem Prusten und Fauchen, so daß er sie ohne Mühe in den finsteren Schuppen trug, zu dem er die Thür mit dem Ellenbogen aufklinkte.

Hier stand außer verschiedenem Geräth in der Mitte ein großer, tiefer Kübel voll frischem Wasser, in welchem er seine Fische lebendig aufbewahrte, bis er sie zum Verkauf in die Stadt trug. Sein Vater hatte klüglich die Einrichtung gemacht, daß von dem hellen Bächlein, das neben der Hütte nach dem Flusse zulief, eine Röhre Tag und Nacht die Welle in diesen Zuber leitete, aus dem sie durch eine zweite Röhre an der anderen Seite wieder abfloß, an beiden Seiten durch ein enges Drahtgitter geschlossen, das selbst das schmächtigste Fischlein nicht entschlüpfen ließ. In diesen hölzernen Behälter warf er die zappelnde und sich ohnmächtig windende Nixe und ließ sie dort in der Dunkelheit allein, in Gesellschaft der Fische, die in dem Zuber wimmelten. Dann verriegelte er hinter sich die Thür zu dem Schuppen. Denn seit sie Geschmack an Menschenblut gefunden, schien es ihm nicht rathsam, die Nacht über das Zimmer mit ihr zu theilen.

*

Lange aber konnte er keinen Schlaf finden. Er empfand ein Grauen vor dem Geschöpf, das er so sehnsüchtig zu besitzen gewünscht hatte, und überlegte, wie er es auf gute Art wieder loswerden könnte.

Doch schien ihm das nicht allzu schwer zu sein; er brauchte ihr, da sie sich ja in seinem Hause nicht wohlfühlte, nur Gelegenheit zu geben, aus ihrer Haft wieder zu entschlüpfen. Also öffnete er früh am anderen Morgen die Thür der Hütte und schob dann den Riegel des Schuppens zurück. Da sah er sie auf dem Rande des großen Fischbottichs sitzen, die Beine in das kühle Wasser hinabhängend, einen dicken Fisch in den Händen, den sie eben mitten durchgebrochen hatte und mit den spitzen Zähnen zu zerbeißen begann. Schon gestern Abend schien sie an den Fischen, die sie umspielten, ihren Hunger gestillt zu haben und eben im Zuge zu sein, nun auch ihr Frühstück einzunehmen. Kopf und Schwanz hatte sie abgebissen und warf sie dem Kätzchen hin, das furchtsam herangeschlichen kam. Da es aber an gesottene und gebratene Kost gewöhnt war, beroch es die rohen Ueberbleibsel mit gerümpftem Näschen und schob sie dann mit der Pfote verächtlich zurück.

Die schmatzende und schluckende Gefräßige aber ließ sich in ihrem Schmausen nicht stören, lachte nur ihren Kerkermeister freundlich an und winkte ihm, während sie schon wieder aus dem Zuber einen Fisch herausgriff, mit der anderen Hand, als ob sie ihn einladen wollte, mitzuhalten und gleich ihr selbst an dem feuchten Tische sich's wohl sein zu lassen. Er sah nun mit Schrecken, daß sie sich aufs Dableiben eingerichtet und zugleich in seinem Fischvorrath eine so große Verheerung angerichtet hatte, daß für den Verkauf nur etliche schlechte Weißfische und Gründlinge übriggeblieben waren.

Da es nun aber ein Freitag war und er durchaus in die Stadt mußte, neue Wocheneinkäufe zu machen, lief er ans Ufer hinunter und fand dort in seinen Netzen genug frischen Fang, mit dem er sich dann belud, die Wanderung durch den Wald anzutreten. Als er zu seiner Hütte zurückkehrte, saß das Flußweibchen auf der Schwelle, den Spiegel vor sich, eifrig beschäftigt, ihr Haar zu strählen und wieder aufzustecken. Sie grins'te ihn auch jetzt zutraulich an und nickte ihm zu, wie eine gute Hausfrau, die ihrem Manne zu verstehen giebt, er möge nur seinen Geschäften nachgehen, indessen werde sie ihm das Haus behüten.

Seufzend wandte er sich hinweg, mit einer schwachen Hoffnung, wenn sie ihn weit entfernt glaube, werde sie dennoch dem Triebe, sich in ihr richtiges Element zu flüchten, nicht widerstehen. Also ging er in unruhigen Gedanken nach der Stadt, handelte dort gegen seine schuppige Waare ein, was er für die Küche brauchte, und trat, ohne sich aufzuhalten, den Heimweg an.

Er hatte mit seinen langen Schritten bereits den halben Wald durchmessen, als er auf der schattigen Straße vor sich eine Mädchengestalt erblickte, die munter singend vor ihm her schritt. Er erkannte nicht sogleich, daß es die Christel war, das Enkelkind des Pater Peregrin. Denn noch bei ihrem letzten Besuch in der Klausnerzelle, wo er sie von fern gesehen, war sie ihm als ein halbwüchsiges, unreifes Ding erschienen, während Die da vor ihm sich als ein voll herangeblühtes Jüngferchen darstellte. Sie trug eine lose Jacke um die schlanken Schultern, darunter ein rothes Röckchen, das nicht bis zu den Knöcheln hinabreichte, also daß der junge Fischer ihre bräunlichen nackten Füße sehen konnte, die ihm weit reizender schienen, als die Entenfüße seiner Nixe. Ein weißes Tuch, das sie über den Kopf gebunden, hinderte sie, sein Heranschreiten hinter ihr zu vernehmen, bis er sie erreicht hatte. Da stand sie still, hörte mit Singen auf, grüßte ihn aber unverlegen mit ihren großen braunen Kinderaugen, während die blonden Härchen um ihre reine Stirn lustig im Winde wehten.

Auch er nickte ihr zu, sagte aber nicht viel, sondern betrachtete sie nur mit einem scheuen Seitenblick und setzte seinen Gang neben ihr schweigsam fort. Sie selbst brach endlich die verlegene Stille, fragte, ob er einen guten Verkauf gehabt habe, welche Fische am häufigsten im Fluß drunten vorkämen, zuletzt, ob es ihm nicht unheimlich sei in seiner einsamen Hütte. – Nein, er sei daran gewöhnt. Nur im Winter freilich, wenn der Fluß mit Eis treibe und oft ganz zufriere, leide er an Langerweile. Doch habe er ja an ihrem Großvater eine Gesellschaft. – Ach Der! lachte sie, der ist alt und grau. Ich selbst hielte es nicht lange bei ihm aus. Ich komme zwar auch nicht viel unter die Leute, meine Frau ist sehr streng, aber wenn ich Sonntags die Kinder zu Bett gebracht habe, geh' ich in den Garten und horche von fern auf die Tanzmusik, wo junge Bursche und Dirnen sich drehen, und es ist doch immer besser als von der lustigen Welt so weit abgeschieden sein, wie du. Die Leut' wundern sich, daß du nicht längst eine Frau genommen hast.

Er runzelte düster die Stirn. Du sagst es ja selbst, versetzte er, man muß wenigstens aus der Ferne das lustige Leben miterleben, eine Frau verginge in meiner Wildniß ohne jede Lustbarkeit. Auch bin ich nicht so beschaffen, daß ich einem jungen Mägdlein gefallen könnte, da ich nie gelernt habe, so glatte Redensarten zu drechseln, wie's Brauch ist unter Liebesleuten. Ich habe mir darum eine andere Gesellin ins Haus zu gewöhnen gedacht, bin aber damit schmählich in die Brüche gerathen.

Da sie nun, um einer anderen Antwort auf seine Klage auszuweichen, nach dieser mißglückten Brautwerbung sich erkundigte, erzählte er ihr treuherzig das Abenteuer des vorigen Tages, und wie seine letzte Hoffnung sei, er werde bei der Heimkunst das blanke Ungethüm nicht mehr im Hause vorfinden. Wenn er sie auf irgend eine Art losgeworden, verschwöre er's für alle Zeiten, je wieder seine Einsamkeit zu verwünschen und mit seinem Leben in der Wildniß unzufrieden zu sein.

Hierauf erwiederte die Christel kein Wort, obwohl sie Vieles zu sagen gehabt hätte. Sie bekam aber eine ordentliche Furcht vor ihrem Begleiter, der verwegen genug gewesen war, eine so unheimliche Liebschaft anzubändeln, und so sehr sie ihm wünschte, daß er von dem Scheuel und Gräuel erlös't sein möchte, so hätte sie doch für ihr Leben gern das Wasserweibchen noch gesehen. Wie es so eigentlich gestaltet sei, wagte sie nicht zu fragen, und er versank, je näher sie dem Ziele kamen, immer tiefer in sein dumpfes Schweigen.

Da endlich traten sie aus dem Föhrendunkel heraus auf die Lichtung, wo die Fischerhütte stand. Aber mit einem Ausruf des Schreckens hemmte der Jüngling den Schritt, nach dem Hause hinstarrend, an welchem die Christel zunächst nichts Besonderes wahrnahm. Als sie aber länger hinsah, erblickte auch sie etwas Verwundersames. Denn aus dem offenen Fensterchen quoll in einem dicken Guß eine helle Wasserflut, die an der Balkenwand herabschoß und in ein Bächlein verwandelt durch das Gras zu Thale lief.

Mit drei mächtigen Sprüngen war Tobias ans Fenster geeilt und sah ins Innere der Hütte. Das glich einer tiefen, hoch mit Wasser gefüllten Badewanne, in der die Nixe fröhlich herumschwamm, über das ganze Gesicht lachend und mit einem vergnügten Schnalzen des rauhen Züngelchens. Um sie her trieb der graue Leib des Kätzchens, das ertrunken war, und als die Unholdin das entgeisterte Gesicht des Hausherrn draußen vor dem Fenster erblickte, haschte sie nach dem kleinen Leichnam und schleuderte ihn durch die Oeffnung dem Späher ins Gesicht, offenbar über diesen nassen Scherz hochauf frohlockend.

Christel war hinter den Jüngling geschlichen und hatte ihm erschrocken über die Achsel ins Haus geblickt. Dann traten sie Beide zurück und sahen einander rathlos an.

Es ist klar, knirschte er, sie hat in der großen Kufe das Gitter verstopft, wodurch sonst das Wasser ablief, und ihre boshafte Lust daran gehabt, wie sich nun erst der Schuppen ganz anfüllte und dann die Hütte selbst, deren Thür sie vorher zugeschlagen hat. Nun hat sie sich das Haus nach ihrem Geschmack und Gefallen zu einem kleinen See zurechtgemacht und beschlossen, darin zu bleiben. An Futter für ihre Gier würde ich's ja nicht fehlen lassen, und vielleicht hat sie sich auch in ihrer Einsamkeit gelangweilt und möchte Jemand um sich haben, dem sie zuweilen das Blut aussaugen kann. Ich bin ein verlorener Mensch und möchte mich am liebsten in ihr Reich zurückziehen, da ich sie aus meinem nicht vertreiben kann!

Er fuhr sich in die Haare und stöhnte. Christel aber war um die Hütte herumgegangen und hatte das große Netz gesehen, die Nixenfalle, die außen neben der Thür zum Trocknen hing. Höre, Tobias, sagte sie mit einem raschen Aufleuchten ihrer munteren Augen, ich meine, du könntest sie dir am besten vom Halse schaffen, wenn du sie in dasselbe Netz locktest, in dem du sie hergebracht hast. Nimm es vom Pflock herab und halte es mit der offenen Seite gegen die Thür; die reiße ich dann rasch auf, und wenn die Wassermenge drinnen plötzlich herausschießt, muß die Nixe mit und fährt, ohne sich's zu versehen, wieder in das tiefe Netz hinein. Dann klappst du es hinter ihr zu und trägst es zum Fluß hinab, und du sollst sehen, du bist sie los für alle Zeiten.

Der Jüngling sah sie mit einem Blicke an, in welchem Bewunderung und Hoffnung aufleuchteten. Du bist ein kluges Kind, sagte er, und wenn der Anschlag gelingt, danke ich dir mein Leben.

Sogleich nahm er das schwere Fangnetz herab, setzte das Spiegelchen wieder hinein, das die Nixe zum Glück draußen zurückgelassen hatte, und stellte sich vor der Thürschwelle auf, während das Mädchen die leichtverwahrte Thür aufriß. In demselben Augenblick wogte die innen angesammelte Flut in mächtigem Schwall ins Freie, mit ihr der ahnungslose große Fisch, der von der Sturzgewalt unaufhaltsam in die Falle hineingerissen wurde.

*

In raschem Lauf hatte der gerettete Jüngling seine unheilvolle Beute dahin zurückgetragen, von wo er sie gestern früh im Triumph in sein Haus geholt hatte. Mit einem Blick des Vorwurfs und fast zärtlicher Wehmuth war das schlanke Halbgeschöpf in die klare Tiefe hinabgefahren, was aber den Jüngling nicht im mindesten rührte. Er trocknete sich, während er langsam das Ufer wieder hinaufstieg, den Schweiß von der Stirn und athmete tief auf. Droben in der Hütte fand er die Christel schon beschäftigt, die Spuren der Ueberschwemmung, so gut es gehen wollte, zu beseitigen. Sie hatte die Kissen und Decken des Lagers an die Sonne getragen, die paar Siebensachen, die in der Truhe verwahrt lagen, zum Trocknen auf die kleine Wiese gebreitet, vor Allem den dicken Pfropfen aus dem Zuber gezogen, der den Abfluß des Wassers verstopft hatte. Mit einem feuchten Lumpen fegte sie den Schmutz und Schlamm vom Herde und Estrich weg, also daß nach einiger Zeit nur noch ein leichter Nixendunst in dem gelüfteten Zimmer schwebte, sonst aber Alles wieder ein menschliches Ansehen gewonnen hatte.

Der junge Hausherr sah ihrem Thun und Treiben gedankenvoll zu, seufzte ein paar Mal und fuhr sich durchs Haar. Als sie ihn fragte, warum er seufze, da ja sein Herzenswunsch erfüllt sei, erwiderte er, es gebe mehr als Einen Herzenswunsch, auch unerfüllbare, und übrigens habe er einen heftigen Schmerz an der Schulter, wo die Bißwunde noch immer nicht sich schließen wolle. Sofort sprang sie zu ihm hin, zog ihm das Hemd vom Halse weg und betrachtete das Mal aufmerksam. Man sieht deutlich sieben spitze Zahnspuren, sagte sie, und ganz schwarzes Blut tropft heraus. Am Ende ist solch ein Nixenbiß giftig. Aber wart, ich weiß schon, was dafür gut ist.

Damit sprang sie in den Wald und kam in Kurzem mit einer Handvoll Kräuter zurück, deren Saft, nachdem sie die Wunde sorgsam ausgewaschen hatte, sie in die dunkelrothen Löcher träufelte. Dabei murmelte sie halblaut einen Wundsegen, daß er in all seinen Schmerzen lächeln mußte und sagte: Du bist am Ende selbst eine Zauberhexe, und ich komme vom Regen in die Traufe! – Das machte sie tief erglühen, aber sie erwiderte nichts, sondern nahm ihn wie ein unbehülfliches Kind beim Arm und führte ihn zu einer Stelle neben der Hütte, wo weiches Gras wuchs. So, sagte sie, nun legst du dich hier hin und schläfst einmal. Ich spring' indeß zum Großvater hinüber und laß' mir Feuerzeug geben, daß ich dir eine Suppe kochen kann, und wenn du aufwachst, mußt du auch von dem Wein trinken, den ich im Körbchen mitgebracht habe. Denn heut ist ja Sanct Peregin, dem Großvater sein Namenstag, den wollen wir dann zusammen feiern und dem Herrgott für deine Befreiung von dem Heidengräuel danken.

*

Von dem Süpplein aber, das Christel aus dem wieder gereinigten Herde kochte, sollte Tobias nichts kosten. Denn als sie es ihm in Gesellschaft des frommen Großvaters zu seiner grünen Lagerstatt hinausbrachte, fanden sie ihn in einem heftigen Wundfieber, so daß er sie nicht erkannte und ihnen Scheltworte zurief, weil sie duldeten, daß das Nixengeschmeiß ihn im Schlafe störe.

Dieser Zustand hielt drei Tage und drei Nächte an, obwohl der Einsiedel aus seinem Vorrath einen Balsam hervorholte, der ihm manche Hieb- und Stichwunde sänftlich geheilt hatte. Auch ließ weder er noch sein Enkelkind es an Gebeten für den armen Verwundeten fehlen, der auch in den Nächten, wo er wieder in seinem Bette hinter dem Verschlage lag, wenn er mit halbem Bewußtsein aus dem Traum hinaushorchte, einen leisen Schritt im dunklen Raum vernahm, da seine junge Pflegerin immer gleich zur Hand war, ihm einen kühlen Trank zu reichen oder das heiße Kissen zu lockern.

Am Morgen nach der dritten Nacht aber, der ersten, in der er wieder fieberlos geschlafen hatte, vermißte er ihre Nähe. Er hatte sich vor die Hütte in die junge Frühlingssonne gesetzt, da kam sie von der Klausnerzelle daher, wieder ganz, wie er sie im Walde getroffen, nur barhaupt, da sie ihr Kopftüchlein zu Verbandzwecken zerschnitten hatte. Er sah sie freundlich an, und sein Herz wallte ihr entgegen, ahnte aber nichts Arges.

Wohin sie so früh mit ihrem Korbe wolle? Am Ende gar in die Stadt, neue Salben und Tränkchen für ihn zu holen, deren er nun nicht mehr bedürfe.

Freilich in die Stadt, sagte sie, aber um mir einen neuen Dienst zu suchen. Denn die Schneidersfrau wird mich nimmer annehmen wollen, weil ich ihr drei Tage weggelaufen bin, und hier bei dir bin ich nimmer nöthig. Was noch zu thun ist, besorgt der Großvater. Also leb wohl! Zu Weihnacht komm' ich wohl wieder.

Sie hatte es aber nicht gar eilig mit dem Fortgehen. Und als er ihre Hand ergriff und sagte, ein wenig stockend und schwer athmend: Ich bin Schuld, daß du den Dienst verloren hast, Christel, und würde dir gern vorschlagen, hier bei mir zu bleiben – versteh, für immer – wenn du mich erstens nicht zu tölpelhaft und unhold fändest, und dann – du hast mir ja selbst gesagt, wenn man auch nicht mittanzt, habe man doch Verlangen danach, wenigstens von fern zu hören, wie lustig die Welt klingt.

O, unterbrach sie ihn erröthend, was das betrifft –! Diese letzte Nacht, als ich hier auf der Schwelle deiner Hütte saß und hörte im Tann das Käuzchen schreien und drunten den Fluß rauschen, und vor Allem – und hier lachte sie ein wenig und wurde noch röther – wie ich dich drinnen auf deinem Lager so herzhaft und gesund schnarchen hörte – keine Tanzmusik, dacht' ich bei mir selbst, kann schöner klingen. Aber nun muß ich wirklich fort.

Nein, nun bleibst du wirklich hier, rief er und stand auf und zog sie in seine Arme. Und jetzt laß uns gleich zum Großvater hinübergehen, daß er uns zusammengiebt.

*

Das geschah denn auch ohne große Umstände noch an dem nämlichen Tage, wobei der fromme Pater einiges aus seinem lateinischen Schmöker vorlas, was weder er noch das Brautpaar verstand, und darauf einen kurzen Spruch in ihrer Sprache über den Text hielt: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, absonderlich in jungen Jahren, doch auch in höherem Alter! worauf er mit einem Seufzer ihre Hände ineinander legte.

Sie saßen dann den Rest des Tages fröhlich beisammen, und die junge Frau richtete ein schlecht und rechtes Hochzeitmahl her, wobei der Namenstagswein das Beste that. Als der letzte Tropfen der Flasche getrunken, der Alte den Segen über das glückliche junge Paar gesprochen und sich dann seufzend entfernt hatte, saßen die Beiden Hand in Hand ganz still und selig noch ein Weilchen am Tische und sahen das Mondlicht zu dem Fensterchen hereinfluten. Auf einmal wurde der Schein verdunkelt, ein Gesicht hatte sich vor die Oeffnung gedrängt, sie erkannten die Nixe, die, ob sie gleich keine Seele hatte, doch etwas von Haß aus verschmähter Liebe und grimmiger Eifersucht empfand und mit einer bösen Neidgeberde, die eine Faust ballend, in das Hochzeitsgemach hereingrins'te. Der junge Ehemann aber stand ruhig auf und schlug ihr den Laden vor der Nase zu.

Seitdem hat der arme Heidengräuel in dieser Gegend sich nicht mehr blicken lassen.

Buchschmuck

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