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Buchschmuck

Lilith

(1898)

 

Im dunklen Mittelalter lebte einmal eine Frau, die hatte, da der Vater ihres Kindes sie hülflos verlassen, einen so großen Haß auf alle Menschen, insonderheit die Männer, geworfen, daß sie einen Pact mit dem Gottseibeiuns schloß, um sich von ihm in aller schwarzen Magie und Hexenkunst unterrichten zu lassen.

In dem Dorf, wo ihre arme Hütte stand, war dies bald ruchbar geworden, da vielerlei Unheil, Hagelschlag, Viehsterben und Feuersbrünste die Gegend heimsuchte, was Niemand anders als eine gelernte Hexe verursachen konnte. Und da die Marthe, die vor Zeiten eine schmucke Dirne gewesen war, seit ihrem Kindbett erschreckend rasch alterte und Jedermann mit feindseligen Blicken ansah, zweifelte Niemand daran, daß all das Unwesen ihr in die Schuhe zu schieben sei. Gleichwohl hatte man nicht das Herz, die gefährliche Person dem geistlichen Gericht anzuzeigen, da man fürchtete, sie möchte, ehe sie auf den Holzstoß käme, die Angeber ihre Rache noch fühlen lassen. Auch gab es, zumal unter den Weibern, gläubige Seelen genug, die in allerlei schwierigen Fällen, bösen Krankheiten, hoffnungsloser Verliebtheit, Kinderlosigkeit oder verkalbender Kühe sich an das unheimliche Weib wendeten, das denn auch zu helfen bereit war, wenn nicht etwa ein besonderer Grund des Hasses sie antrieb, ein Mittel darzureichen, das das Uebel nur ärger machte.

Ihr Kind, ein Mädchen, das nach Adams erster Frau, einer bösen Teufelin, Lilith genannt war, wuchs ebenso sehr zur Freude aller Menschen heran, wie ihre Mutter den Nachbarn verhaßt und beschwerlich war. Auch sie wurde freilich von ihren Altersgenossen gemieden; der Lehrer wollte sie in der Schule nicht dulden; wenn sie sich den Spielplätzen der Dorfkinder zu nähern wagte, trieben diese das unschuldige Ding mit Schimpfworten und Steinwürfen hinweg als einen Hexenbalg, mit dem sich einzulassen Unglück brächte. Die Erwachsenen aber, obwohl es nur grobe Bauern waren, spürten, daß dies holde Wesen etwas Vornehmeres sei, als sie; die Weiber bemitleideten sie, daß sie eine solche Mutter habe; die Männer, zumal die jungen, gafften ihr nach, wenn sie vorüberging, oder suchten mit ihr ein Gespräch anzuspinnen, wenn sie sie vor ihrer Hütte sitzend antrafen, ein zerrissenes Gewand flickend oder den Rocken schwingend, wobei sie schwermüthige Liedchen sang. Ihre schwarzen Augen und rothen Lippen aber lachten zu den närrischen Reden, mit denen die Bursche ihr schön zu thun sich bemühten. Denn diese Holdseligkeiten gingen ihr ebenso wenig zu Herzen, wie die Unbilden, die sie von der Dorfjugend erfuhr. Sie kümmerte sich um Niemand in der Welt, als um ihre finsterblickende, hartherzige Mutter, die ihr wenig gute Worte und gute Bissen gab und sie mit zum Werkzeug ihrer Menschenfeindschaft erzog. Als es immer häufiger geschah, daß einer der Bauernsöhne in rasender Verzweiflung, da er keine Gegenliebe fand, sich ein Leids anthat oder aus der Gegend verschwand, loderte eine wilde Schadenfreude in dem alten Hexengesicht auf, und sie lobte ihre schöne Tochter um das Unheil, das sie anstiftete.

Die aber hatte die frevelhafte Sinnesart der Mutter nicht geerbt, sondern nahm es sich sehr zu Herzen, daß ihre Schönheit Verderben brachte. Sie bemühte sich auch in ihrer Einfalt, die Gefahr abzuwenden, indem sie sich in ihrem Anzug verwahrlos'te und ihr goldrothes Haar wild ums Haupt fliegen ließ. Durch ihre Lumpen aber schimmerte die schneeweiße Haut ihres jungen Leibes verführerisch durch, und wenn ihr die dicken Strähnen über Stirn und Augen fielen, funkelten die schwarzen Sterne nur um so süßer und feuriger, so daß Niemand sie sehen konnte, ohne im Herzen eine Brandwunde davonzutragen.

Sie aber fragte nach Keinem, wußte auch von Gott und der Welt noch nichts, als sie bereits siebzehn Jahr alt geworden war und längst die Kinderschuhe vertreten hatte. Denn da sie weder in die Schule, noch auch je zur Kirche gegangen war und nie eine Gespielin gehabt hatte, auch die Mutter nicht viele Worte liebte, war sie ganz auf ihre eigenen träumerischen und unbeholfenen Gedanken angewiesen. Sie hatte freilich einen Freund, mit dem sie sich manchmal unterredete, den Hahn auf ihrem Hofe, Alektryo genannt, einen für seinen Stand sehr weltklugen und scharfsinnigen Herrn, dem auch die Gabe der Rede verliehen war. Doch in menschlichen Angelegenheiten war er nur unvollkommen bewandert und hatte auch genug damit zu thun, zwischen seinen Hennen Frieden zu stiften und das Eiergeschäft zu überwachen, so daß zum Plaudern mit der Hexentochter nicht viel Zeit übrig blieb.

*

Nun war es in einer schwülen Neumondnacht im Hochsommer, daß die Mutter zu ihrer Tochter sprach: Du bist jetzt in die Jahre gekommen, wo das Blut in Weiberadern gährt, wie im Frühling der Saft in den Bäumen, und ein armes, dummes Mutterkind wehrlos ist gegen die Tücken und Fallstricke der Mannsbilder. Darum ist es hohe Zeit, daß du fest gemacht werdest gegen Mannesliebe, von der Unsereinem nur Jammer und Elend kommt. Also wirst du mich heute Nacht bei einer Ausfahrt begleiten, daß ich dich zu unserm Herrn und Meister führe, der Macht hat, dein Herz zu feien, daß es gegen die feurigen Blicke der jungen Galgenstricke hart wird wie Stein und Asbest. Dann wirst du sie Alle nach deiner Liebe verschmachten sehen und helfen, deine alte Mutter an dem ruchlosen Männergeschlecht zu rächen, und wirst lachen, wenn die Mücken ins Licht taumeln und verbrannt zu Boden sinken.

Das Kind, das die Mutter sehr liebte und von anderer Liebe noch nichts wußte, hatte hiergegen nichts einzuwenden, ließ es auch willig geschehen, daß die Alte sie entkleidete, sie mit Hexensalbe bestrich, die die Kraft hat, Menschenglieder so leicht zu machen wie Vogelleiber, und den Hexensegen über sie sprach, der dem Mägdlein ein wenig schauerlich klang. Als sie dann aber so splitternackt, wie sie war, sich auf einen Besenstiel setzen sollte, weigerte sie sich heftig unter vielen Bitten und Thränen, so schamlos auf die Reise zu gehen, also daß die Mutter darein willigen mußte, daß sie wieder in ihr Hemdlein schlüpfte, während die Alte selbst, wie Gott sie geschaffen hatte, ihren Besen bestieg und der Tochter voran durch den Schornstein hinausfuhr.

Als Lilith, der das Abenteuer trotz heimlichen Grauens doch auch lustig erschien, ihr eben folgen wollte, hörte sie ihren Freund, den Hahn, der zum offenen Fenster hereingeflogen war, mit heiserer Stimme rufen: Lilith, Lilith! Nimm mich mit, nimm mich mit! – Narr, sagte das Mädchen, was hast du auf dem Hexenbühel zu suchen? Sie werden dich wegjagen, da du nicht mit eingeladen bist. Aber auf deine Gefahr hin magst du mitreisen, wenn du dich artig betragen willst. Setz dich hinter mich auf den Besen und dann – hupla!

So setzte sich der kluge und treue Alektryo hinter das Hexenkind, da ihm schwante, seine Freundin möchte in allerlei Noth gerathen, wo ihr ein verständiger Freund erwünscht wäre. Als sie dann die Alte einholten, die oben in der freien, dunklen Luft auf sie wartete, merkte diese nichts von dem blinden Passagier, den die wehenden Falten von Lilith's Hemd ihrem Blick verbargen. Also saus'ten sie durch die Nacht, und Lilith fürchtete sich gar nicht, obwohl sie zum ersten Mal diesen halsbrechenden Ritt machte, denn sie saß fester auf ihrem hölzernen Rößlein, als manches Edelfräulein auf einem kostbar geschirrten Zelter.

Auch flogen sie so geschwind, wie ein Raubvogel fliegt, und erreichten in kurzer Zeit ihr Ziel, einen kahlen Felshügel mitten im dichten Walde, der mehrere Stunden von ihrem Dorf entfernt lag. Schon von Weitem hörten sie einen wüsten Lärm ihnen entgegenschallen, Singen und Lachen und gellendes Pfeifen, mit dem die Hexenzunft, die dort versammelt war, die Ankunft ihres Meisters begrüßte. Als Mutter und Tochter sich in den schauerlichen Kreis hineinschwangen und von ihren Gäulen abstiegen, fiel dem jungen Neuling freilich das Herz in die Kniee, und sie wünschte, sie hätte ihre Hütte nie verlassen. Denn um das hohe Feuer, das in der Mitte des Hügels brannte, saßen oder kauerten wohl ein halb Hundert junger und alter Weiber, alle ohne einen Fetzen Gewand an ihren Leibern, über die nur die langen, im Winde flatternden Haare herabhingen. Sie winkten der alten Marthe mit Augen und Händen Grüße zu, warfen aber gehässige Blicke auf ihr Kind, das in so unanständiger Tracht in die Gesellschaft eingeführt wurde, ja einige liefen auf die Mutter zu und machten ihr Vorwürfe, in einer seltsamen Sprache, die Lilith nicht verstand. Die Alte zuckte die Achseln und erwiderte etwas, was die Aufgebrachten beschwichtigte. Die Meisten schienen auch nicht mehr bei nüchternen Sinnen zu sein. Denn über dem Feuer hing ein großer Kessel, in dem ein blutrother Wein dampfte. Von dem schöpfte Eine nach der Andern und goß das glühende Getränk begierig hinunter, so daß man es roth durch die weißen Hälse fließen sah.

Auch die alte Marthe trank, Lilith aber stieß den Becher fort, den die Mutter ihr reichte. Ihre weitgeöffneten Augen waren wie gebannt auf den Meister des wilden Schwarms gerichtet, der ruhig mitten im Kreise stand und sich von Einer nach der Andern die Hand küssen ließ, dabei aber über Alle hinweg nur nach der neu eingeführten Novize hinblickte. Es war ein hoher, gebieterisch aussehender Mann, ganz schwarz gekleidet, bis auf die rothe Feder, die auf seinem Barettlein schwankte, das Gesicht leichenfahl, von einem dünnen, röthlichen Bart umrahmt, die Augen glühend und funkelnd, daß, wer hineinsah, die Blicke nicht wieder davon abwenden konnte. Auch er stürzte einen Becher des zischenden und schäumenden Weins hinunter. Dann umfaßte er eine der Hexen, die sich schmeichelnd an ihn drängten, und wirbelte sie in einem rasenden Tanz um den Flammenherd herum, griff dann eine Andere und wieder eine Andere, bis er mit Jeder die Runde gemacht hatte, während zugleich die Uebrigen sich an den Schultern faßten und in einem weiten Ringelreihen, gottlose Tanzliedchen singend, das in der Mitte sich drehende Paar umschlangen.

Nur Lilith hatte man nicht in den Kreis gezogen, da sie ihres unschicklichen Anzuges wegen dieser Gemeinschaft nicht würdig schien. Das Kind hatte sich auf einen Stein niedergekauert, den Hahn in ihrem Schooß an ihren Busen drückend, und sah mit wachsendem Grauen und schwindelnden Sinnen in den rasenden Reigen hinein. Auf einmal stockte der lärmende Wirbel. Der Meister hatte die letzte Tänzerin fahren lassen und drei Mal in die Hände geklatscht. Sofort ward es todtenstill im Kreise, man hörte nur das Sausen des Mitternachtwinds, der durch die Wipfel strich. Dann sah das entsetzte Mägdlein den düsteren Gewaltigen gerade auf sich zukommen, mit einem Grinsen der bleichen Lippen, das ihr das Blut in den Adern erstarren machte. Schon streckte er die haarigen schwarzen Arme nach ihr aus, sie zum Tanz aufzuziehen, die eine Hand näherte sich dem oberen Saum ihres Hemdes, um ihr die Hülle vom Leibe zu reißen, da fuhr sie mit glühenden Wangen in die Höhe und schrie in Todesangst: Gelobt sei Jesus Christus! In demselben Augenblick krähte der Hahn, der aus ihrem Schooße aufgeflattert war, und flog dem Versucher unerschrocken ins Gesicht, als wolle er ihm die Augen auskrallen. Der Gottseibeiuns aber, der sich für einmal besiegt erkennen mußte, stieß eine schauerliche Lache aus, schleuderte das wüthende Thier zurück, daß es gegen den Felsen taumelte, und fuhr, mit dem Huf den Boden stampfend, in die Tiefe hinab, aus der eine hohe gelbe Flamme aufloderte, ringsum einen erstickenden Schwefeldampf verbreitend.

Als Lilith von dem Schrecken dieses jähen Auftritts zur Besinnung kam, war die gesammte Hexengesellschaft verschwunden, das Feuer in der Mitte zusammengesunken, Niemand ringsum zu sehen, als ihre Mutter und der Hahn, der mit zerzaus'ten Federn und einigen Brandwunden kläglich herangehinkt kam. Sie sollte aber nicht lange von der ausgestandenen Angst aufathmen. Denn mit wild verzerrtem Gesicht fuhr die Mutter auf sie los: Du albernes Ding, du tückische Kröte! Deiner Mutter die Schmach anzuthun vor all ihren Freundinnen und dein Glück für ewige Zeiten zu verscherzen! Wie hast du wagen können, unsern Herrn und Meister zurückzustoßen, der es gut mit dir meinte und dich vor allen Andern, die dich beneideten, zu seiner Liebsten erkor? Wer aber einmal diese Gnade erfahren hat, der verlangt nie mehr nach Menschenliebe und hat ein Herz wie Stein und Asbest! Nun magst du's ebenso erfahren, wie deine Mutter, was Weiberschicksal ist, wenn man gegen die Liebe sich nicht hat feien lassen. Ich ziehe meine Hand von dir ab und verwünsche die Stunde, wo ich einer so einfältigen Gans das Leben gegeben habe!

Damit fing sie an, da sie sich immer mehr in die helle Wuth hineingeredet hatte, den zarten, jungen Leib ihres Kindes mit dem Besenstiel zu bearbeiten und hätte sie wohl gar todtgeschlagen, wenn Alektryo ihr nicht auf den Kopf geflogen wäre und sie an ihren grauen Haaren so lange zurückgezerrt hätte, bis sie von ihrer unmenschlichen Züchtigung abließ. Da bestieg sie, schnaubend und keuchend, den Besenstiel und saus'te davon, ohne sich nach dem leise weinenden und wimmernden Kinde umzusehen.

*

Das raffte sich endlich mühsam vom Boden wieder auf, zog das Hemd fester um seine fröstelnden Glieder und trocknete sich mit den langen Haaren die nassen Wangen. Es schauderte ihr zwar jetzt vor dem Teufelsritt durch die Luft. Da aber der weite Weg auf bloßen Füßen durch die finsteren Wälder der armen Verlassenen noch unheimlicher erschien, griff sie doch wieder nach ihrem Besen, der Hahn hockte hinten auf, und so flog das betrübte Paar in hohem Bogen über die Wälder weg, dem heimathlichen Dorfe zu.

Das Mädchen hatte sich eines bösen Empfangs von der Mutter versehen. Die aber lag, da sie dem Teufelswein gierig zugesprochen hatte, in tiefem Schlaf, und ihr Schnarchen klang wie das scharfe Kreischen einer Sägemühle. Auch am anderen Morgen gab sie der Tochter kein böses Wort, sah vielmehr über sie hin, als wäre sie nicht in der Welt für sie, und hielt es auch die nächsten Tage und Wochen nicht anders, so daß das arme Kind aufathmete und ihrem Freunde Alektryo zuraunte, sie hoffe nun für alle Zeit vor dem gräulichen Hexenspuk der Mutter Ruhe zu haben.

Da indessen ihre zerschlagenen Glieder und der blutrünstige Hals wieder geheilt waren und sie, wie früher, im Sonnenschein vor ihrer Hütte saß, den Rocken schwingend und ein Liedchen auf den unschuldigen Lippen, kam eines Tages der Sohn des Königs mit seinem Jagdgefolge vorbeigeritten und hielt, wie vom Blitz getroffen, vor ihrer Schwelle an. Denn er glaubte, vom Glanz ihres goldrothen Haars geblendet, ein Märchenwesen zu erblicken, dergleichen ihm in seinem jungen Leben noch nie begegnet war.

Das Mädchen aber, das die Augen des schönen Prinzen voll Bewunderung auf ihre blanke Schulter und den blühenden Hals gerichtet sah, erschrak, daß sie sich in ihrem armen Hausröckchen hatte überraschen lassen, erglühte bis an die Schläfen und schoß wie ein Pfeil ins Haus, dessen Thür sie mit klopfendem Herzen verriegelte. Zum Glück war der Königssohn selbst zu sehr bestürzt durch die wundersame Erscheinung, um sogleich vom Pferd zu steigen und der Entflohenen nachzuspüren. Als er aber am nächsten Tag wiederkam, diesmal nur von einem Jägerburschen begleitet, fing er es klüger an. Auch saß das schöne Kind in einem reputirlicheren Gewande mit sorgfältig aufgestecktem Haar auf seinem Schemelchen, erröthete freilich wieder, dachte aber nicht daran, vor dem ritterlichen Besucher auch heut die Flucht zu ergreifen. Theils, weil ihr eigenes Herz sie zu ihm hinzog, theils, weil die Mutter ihr zugeredet hatte, sich gegen den hohen jungen Herrn artig zu betragen. Denn eine wilde Freude brannte in ihrem tückischen Herzen auf, wenn sie dachte, ihr Kind könne den Thronerben ins Netz locken, und das Land müsse sich noch darein ergeben, der Tochter der verachteten Hexe als seiner Königin zu huldigen.

Sie war daher auch wieder freundlich zu ihr, gab ihr gute Lehren, wie sie sich höflich ausdrücken müsse und durch kluge Zurückhaltung den feurigen Bewerber nur mehr in Flammen setzen, und half sie aufs Beste herausputzen. Lilith aber hatte in ihrem Herzchen keinen Raum für ehrgeizige Wünsche und Träume, sondern dachte nur immer das Eine, wie schön er sei und wie beseligend sein Gruß, und daß es schon eine hohe Wonne sei, ihn lieben zu dürfen, auch wenn sie niemals hoffen dürfe, daß er sie aus ihrer Niedrigkeit zu sich hinaufhöbe.

Daß dies unmöglich wäre, fiel dem guten Prinzen nicht ein. Er wußte, eines Tages werde er ans Regiment gelangen und dann Niemand zu fragen haben, was er thun und lassen solle. Einstweilen mußte er sich freilich damit begnügen, Tag für Tag von der Stadt herüber ins Dorf zu reiten, um ein Stündlein mit der holden Geliebten zu plaudern. Da es seine erste Liebe war, stellte er sich ziemlich ungeschickt und schüchtern dabei an und wagte nichts Kühneres, als beim Kommen und Gehen ihr Händlein zu küssen, da sie ihm die rothen Lippen nicht versagt haben würde. Auch versuchte er nie, in ihr Haus zu treten, um die zärtliche Zwiesprach drinnen unbelauscht und zwangloser fortzusetzen. Denn er wußte wohl, daß ihre Mutter ein verrufenes Weib war, mit dem er keine Gemeinschaft haben mochte.

Nun aber konnte es nicht fehlen, daß alle Dirnen im Dorf das glückliche Hexenkind um die Ehre beneideten, den Sohn des Königs zu ihrem erklärten Liebhaber gewonnen zu haben. Auch die jungen Bursche geriethen in einen eifersüchtigen Grimm und Groll und machten ihrem Herzen in heftigen Reden Luft, die endlich auch zu den Ohren der königlichen Eltern gelangten. Eines schönen Tages erwartete Lilith ihren hohen Freund vergebens. Statt seiner kam eine junge Nachbarin zu ihr, um ihr mit hämischem Bedauern zu erzählen, der Prinz sei in seinem Zimmer eingeschlossen worden, und der Leibarzt habe ihm ausgiebig zur Ader gelassen, um ihm das Liebesfieber aus dem Blut zu treiben.

Das arme verliebte Kind erschrak heftig, stellte sich aber, als ob sie die zärtliche Huldigung des jungen Herrn nie ernst genommen hätte, und erst als sie wieder allein war, weinte sie ihre bitterlichen Thränen, da sie wohl fühlte, diese Liebe werde erst mit ihrem Leben enden, weil sie selbst der tiefste Quell ihres Lebens war. Ihre Mutter konnte sich's nicht versagen, zu höhnen: da sehe sie nun, wie thöricht es gewesen sei, daß sie ihr Herz von dem Fürsten der Hölle nicht habe wollen verhärten lassen. Nun müsse sie diese Qualen dulden. – Heimlich aber war sie des festen Vertrauens, es werde noch Alles nach den Wünschen des jungen Paares ausgehen, zumal der König schon ein alter Herr war, der bald Krone und Scepter seinem Sohn vererben würde.

*

Hieran aber dachte das Mädchen nicht, dem immer nur das Bild des gefangenen Geliebten vor Augen stand, wie er in seinem goldenen Kerker sein Blut lassen mußte, um das Liebchen, das man ihm nicht gönnen wollte, zu vergessen. Sie brachte ihre Tage in dumpfer Traurigkeit hin und weinte Nachts ihr Kissen naß, so daß selbst die Mutter Mitleid mit ihr fühlte, es sich aber nicht merken ließ, um sie endlich mürbe zu machen, daß sie bei dem nächsten Hexensabbath sich nicht wieder so zimperlich betrüge.

Bei ihrem Freunde, dem Hahn, fand die Tochter auch keinen Trost. Er erklärte ihr, daß er eine so heftige Leidenschaft für ein Geschöpf nicht verstehe. Er selbst liebe zwar alle seine Hennen. Wenn aber eine von ihnen geschlachtet werde, weine er ihr keine Thräne nach, da dies Hennenloos sei. Wenn ihr Prinz ihr versagt würde, so gebe es andere hübsche Freier genug, von denen sie endlich Einen erwählen solle. Um glücklich zu sein, bedürfe es keines Thrones. Er sei mit dem Düngerhaufen hinter ihrer Hütte vollauf zufrieden.

Sie zermarterte sich das einsame Herz mit rathlosen Gedanken, wie dem Liebsten zu helfen wäre, und da sie von ihrer Mutter einige Kenntniß der Kräuter und Wurzeln erhalten hatte, die Fieber zu stillen, und Wunden zu heilen kräftig sind, ging sie eines Abends in den Wald, um die Pflanzen zu pflücken, die ihr zur Wiederherstellung des Prinzen nöthig schienen.

Als sie zurückkehrte, fand sie zu ihrem Schrecken die Hütte leer. Alektryo berichtete ihr, es seien Männer aus der Stadt gekommen, die ihre Mutter fortgeführt hätten, da sie angeklagt worden sei, durch ihre Teufelskunst den Thronerben behext zu haben, aus Rache, weil er ihrer Tochter das Herz berückt und den Kopf verdreht habe. Der Prinz aber befinde sich in einem kläglichen Zustande, und die Aerzte fürchteten, er werde keine drei Tage mehr leben.

Als Lilith dies hörte, warf sie das Körbchen mit den Heilkräutern weg und ging mit einem feierlich ernsten Gesicht nach der Truhe, in der die Mutter das mancherlei Geräth aufbewahrte, dessen sie sich zum Hexen bediente. Sie nahm aber nichts heraus, als das Büchschen, in welchem sich die Hexensalbe befand. Alektryo, sagte sie, und ihr Gesicht war todtenblaß geworden, nun hilft es nichts, nun muß ich doch selbst zu dem gottlosen Mittel greifen, ob auch meine Seele dadurch verloren ginge. Denn hier hilft kein Tränkchen und Wundbalsam, hier muß ich selbst mich als Heilmittel an das kranke Herz legen, da ich weiß, daß es sonst nicht genesen kann. Zudem wird meine Mutter nicht eher wieder freigegeben werden, als bis der Prinz von seinem Siechthum geheilt und vom Tode errettet ist. Gott im Himmel wird mir verzeihen, daß ich Teufelswerk treibe aus brennender Liebe und Barmherzigkeit, denn die Qualen unglücklicher Liebe sind heißer als alle Höllenflammen.

Unter diesen Worten hatte sie schon begonnen, sich auszukleiden, bestrich sich sorgfältig vom Kopf bis zu den Füßen mit der Hexensalbe, schlüpfte dann aber doch wieder in ihr Hemd und sprach den Hexensegen über sich, den sie noch gut im Gedächtniß behalten hatte. Dann griff sie nach dem Besenstiel und schwang sich auf den Herd. Willst du mich nicht wieder mitnehmen? fragte der Hahn. – Nein, sagte sie, du bleibst hier, du verstehst nichts von Liebessachen. Hüte indessen das Haus!

So fuhr sie zum Schornstein hinaus und schlug den luftigen Weg nach der Stadt ein, in der das Königsschloß lag. Der Mond stand im goldensten Glanz am veilchenblauen Himmel, und die Leute drunten auf der Erde, als sie zu ihm aufschauten, wunderten sich, da sie die weiße Gestalt darunter hinschießen sahen wie ein sturmgejagtes Wölkchen, da doch ringsum an den Bäumen kein Laub sich rührte. Sie kam ihnen aber bald aus den Augen, flog über die Wipfel der hundertjährigen Ulmen weg, die das Schloß umstanden, und schwebte zu dem Lichtschein hinauf, der aus einem Fenster des obersten Geschosses drang. Denn sie hatte gehört, man habe den kranken Prinzen dorthin gebettet, damit er nicht auf Flucht denken könnte. Als sie nun das helle Fenster erreicht hatte, klammerte sie sich mit beiden Händen am Gesimse fest und spähte hinein. Da sah sie nur den Schattenriß vom Gesicht ihres Geliebten, den sein Nachtlämpchen an die Wand geworfen hatte, und das Herz wollte ihr brechen, da der Umriß so viel hagerer erschien, als vor seinem Erkranken, und jetzt auch das Antlitz selbst, das er, im Fiebertraum sich herumwerfend, nach ihrer Seite kehrte, so daß der Mondschein es erhellen konnte. Mit zitternden Händen versuchte sie, das geschlossene Fenster zu öffnen. Komme, was kommen wolle, sie mußte hinein, und da der Kranke ihr Pochen nicht hörte, war sie drauf und dran, eines der Gläser einzustoßen, um sich ins Zimmer zu schwingen.

In diesem Augenblick gewahrte sie der Wächter, der hinter den Thurmzinnen auf und ab schritt und bis an den lichten Morgen weit ins Land hineinspähte, ob nichts Feindliches sich heranschleiche. Er erkannte sofort, daß es nur eine Hexe sein konnte, die an dem Fenstersims hing, und da er wußte, daß die Marthe freilich gefangen saß, eine Hexe jedoch sich durch die kleinste Luke ins Freie schwingen kann, glaubte er nicht anders, als es sei die verruchte Alte, die dem Königskind das Leben rauben wolle. In seinem Schrecken griff er nicht nach seinem Horn, Hülfe herbeizurufen, sondern nach der Reliquie, die er an einer ledernen Schnur am Halse trug, einem Fingerknöchlein des heil. Florian, das gegen Feuersgefahr schützen sollte. Hastig riß er sich die kleine silberne Kapsel vom Halse und schleuderte sie gegen das weiße Gespenst, so gut gezielt, daß die Schnur der Schwebenden über den Kopf sank und die Kapsel zwischen ihre jungen Brüste hinabglitt.

Im Augenblick war durch die Berührung des heiligen Kleinods der Hexenzauber gebrochen. Der Besenstiel verlor seine Kraft, die Hände des armen Kindes lös'ten sich von dem Fensterrand, und der junge Leib stürzte haltlos aus der schwindelnden Höhe hinab und zerschmetterte unten auf den glatten Steinen, mit denen der Sockel des Königsschlosses umgeben war.

*

Am andern Morgen wurde die alte Marthe aus ihrem Kerker auf den Platz vor dem Schlosse geführt, wo ein mächtiger Holzstoß aufgeschichtet war. Oben darauf hatte man bereits das arme Häufchen weißer Glieder in dem dürftigen Hemde niedergelegt, das man am Morgen unter dem Fenster des kranken Königssohnes aufgelesen hatte. Als die Mutter, gleichfalls barfuß und nur mit dem Armsünderhemde bekleidet, den Scheiterhaufen erklommen hatte und die armen Reste ihres vordem so holdseligen Kindes gewahrte, lachte sie grimmig auf und stieß gräuliche Verwünschungen ans, während sie an den Pfahl gebunden wurde. Gleich darnach loderten die Flammen ringsumher auf und schlugen über ihrem grauen Haupt zusammen. Dann aber geschah etwas Wundersames. Als der Brand sich ausgetobt hatte und die Lohe einsank, sah man eine schwarze Krähe sich aus der Glut emporschwingen, die mit einem Krächzen, ähnlich einer teuflischen Lache, hoch in die Luft flatterte und dann in der Richtung nach dem Hexenbühel verschwand. Dicht hinter ihr flog eine weiße Taube aus dem Scheiterhaufen hervor, die wandte sich aber nach dem Balkon des Schlosses, auf dem der Prinz zwischen seinen hohen Eltern dem grausigen Schauspiel zuschauen mußte. Sie flog ihm auf die linke Schulter, schlug ein paar Mal mit den Flügeln und erhob sich dann, mit ihrem rosigen Schnabel seinen Mund zu berühren, ehe sie sich von ihm trennte und gleichfalls in weiter Ferne verschwand.

Der Prinz aber, laut den Namen Lilith rufend, fiel jählings um, und alle Bemühungen seiner tieferschrockenen Eltern und der erfahrensten Aerzte waren nicht im Stande, ihn ins Leben zurückzurufen.

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