Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Tag neigte sich schon; unten im Zimmer des Meisters war ohne Licht nichts mehr vorzunehmen. Er legte das alte Gouachebild von Neapel und dem Vesuv, auf dem er mit weißer Kreide einige Linien im Vordergrunde verändert hatte, aus der Hand und wollte eben den grünen Schlafpelz abwerfen, um sich zu einem kleinen Gang in die Stadt zu rüsten, als die Thür geräuschlos aufging und Helene hereintrat. Ihr Gesicht war völlig still und heiter, ihre Stimme verrieth keine Spur eines aufregenden Erlebnisses.

Guten Abend, sagte sie. Ich komme später, als ich gedacht hatte. Auf dem Rückweg hat mich ein wichtiges Geschäft, das ich schon lange vorhatte, wohl eine Stunde aufgehalten. Christel wird Euch inzwischen versorgt haben, Schwager. Wie ist es gegangen?

Der ungewohnt freundliche Ton ihrer Worte befremdete ihn und schnitt die Vorwürfe ab, die ihm schon auf der Zunge schwebten. Wie steht's draußen im Muschelsaal? fragte er statt aller Antwort. Ihr werdet so viel geschwatzt haben, daß an Arbeiten nicht zu denken war.

Sie errötete flüchtig. Ich bin gleich nach Mittag wieder fort, und ohne mein Irregehen im Wäldchen und meine Stadtwege wär' ich längst wieder zu Hause. Was würd' es aber auch schaden, wenn die Arbeit einen Tag später fertig würde? Im Park ist ohnehin noch Alles in den Anfängen, und der Muschelsaal kann doch, wie ich denke, in acht Tagen fertig sein. Habt Ihr schon Nachricht, ob der neue Geselle Euch sicher ist, um den Ihr geschrieben?

Nein. Warum fragst du?

Sie setzte sich auf einen Stuhl, den Rücken dem Fenster zugekehrt. – Ich will's Euch nur gestehen, sagte sie, ich habe mir Eure Reden von neulich gesagt sein lassen. Es will mir scheinen, als hättet Ihr wohl Recht, daß es Zeit sei, Walter auf Reisen zu schicken. Ich kenne ihn ganz und gar, er verzehrt sich hier in unserm engen Leben, er muß in eine neue Luft, wenn er sich frisch und gesund auswachsen soll. Ich weiß aber auch, daß es Euch schwer werden würde, ihn in der Fremde zu unterhalten, er müßte denn in seinem Handwerk Arbeit suchen, was er nur mit schwerem Herzen thäte, denn er treibt's nicht mit Lust, und in fremden Verhältnissen würde es ihm vollends verleidet.

Sie hielt einen Augenblick inne. Die Stimme drohte ihr zu versagen. Er stand, ohne sie anzusehen, an dem anderen Fenster und zeichnete mit dem Finger auf die überhauchte Scheibe.

Schwager, sagte sie jetzt, ich habe hinter Eurem Rücken etwas gethan, wovon ich hoffe, daß es Euch recht sein wird, da es zu Walters Bestem ist. Als ich aus dem Walde nach der Stadt zurückging, überlegte ich, wie wir die Jahre über mit einander gelebt haben. Es that mir leid, daß ich nicht immer so herzlich zu Euch war, wie es uns Beiden das Leben erleichtert hätte. Ich konnte Euch so Manches niemals vergessen, obwohl es abgetan ist und ein Mensch den andern nicht richten soll. Was Walter betrifft, so hatt' ich mir wohl nicht viel vorzuwerfen; ich glaube, meine Mutterpflichten gegen ihn, so gut ich's verstand, erfüllt zu haben. Aber wenn ich's nun dabei ließe, nur weil es mir schwer wird, ihn herzugeben, so seh' ich wohl ein, daß ich Alles wieder zunichte machte. Und da kam mir der Gedanke, daß für ihn und uns Alle gesorgt wäre, wenn ihn seine »kleine Mama« wie ihren rechten Sohn zum Erben einsetzte; versteht mich wohl: ich denke gar nicht ans Sterben, nur ans Beerbtwerden und zwar bei lebendigem Leibe. Weil aber ein Frauenzimmer von solchen Geschäftssachen nichts versteht, bin ich gleich, sobald ich mir Alles klar gemacht hatte, zu einem Gerichtsmann gegangen, zum Notarius, und habe ihn gefragt, wie man das am besten anstellte, sein bischen Hab' und Gut loszuwerden.

Zu Doktor Hansen? warf der Meister ein.

Ja. Er war gleich bereit, mir Alles zu erleichtern. Eine Schenkungsurkunde hab' ich auszustellen gehabt; diesen Abend noch bringt er Euch die Ausfertigung. Denn ich habe ihn gebeten, mit Euch zusammen in Zukunft das Geld zu verwalten und, bis Walter mündig geworden ist, ihm was er braucht zukommen zu lassen. Ihr werdet hoffentlich nichts dagegen haben.

Mädchen! rief der Alte, und du selbst?

Glaubt nicht, daß ich mich vergessen habe, sagte sie heiter. Ich habe für mich so viel übrig behalten, daß ich nicht leicht verhungern kann, zumal wenn ich, wie es meine Absicht ist, in irgend einem guten Hause mir eine Stelle suche, etwa um wieder ein verwaistes Kind großzuziehen; ich habe ja nun eine Schule durchgemacht.

Und wenn du alt wirst oder die Abhängigkeit von fremden Menschen doch nicht ertragen kannst, wie du jetzt meinst?

Auch dann werde ich nicht verlassen sein, erwiederte sie ernst. Dann hab' ich für meine alten Tage wohl einen Platz offen im Hause meines Walter, und seine junge Frau wird mir nicht den Stuhl vor die Thüre setzen.

Ein langes Schweigen folgte auf diese Worte.

Ihr scheint nicht ganz einverstanden, Schwager, fing sie endlich wieder an. Aber es ist auch für Euch das Beste. Wenn Ihr die Sorge um den Sohn los seid, könnt ihr endlich thun, was Euer Leben lang Euch im Sinn gelegen: Haus und Garten verkaufen, das Geschäft aufgeben und auf ein paar Jahre in den Süden gehen. Meint Ihr nicht auch, daß Ihr in Eurem schönen Italien die häßlichen Plagegeister, die Rheumatismen, bald abschütteln würdet? Und dann käme Walter, wenn er was Ordentliches gelernt hätte, eines schönen Tages zu Euch über die Alpen, und Ihr zeigtet ihm all die Wunderdinge, nach denen Ihr Euch nun schon so lange gesehnt habt, und hättet Freude an einander und –

Die Stimme versagte ihr plötzlich. In demselben Augenblick – sie war zu ahnungslos, um es zu verhindern – stürzte der Meister vom Fenster weg zu ihr hin und wie besinnungslos vor ihr auf die Kniee. Er drückte sein graues Haupt so fest in ihren Schooß, daß die Laute, die von seinen Lippen kamen, Stammeln und Schluchzen durcheinander, erstickt wurden.

Kommt zu Euch, Schwager, flüsterte sie, zu ihm hinabgebeugt, mit zitternder Stimme. Hört mich nur aus; ich verlange noch ein Opfer von Euch, das Euch vielleicht schwer fällt. Aber wenn Ihr es ablehnt, so kann aus dem Allen nichts werden.

Er blickte sprachlos zu ihr auf, ohne sich von den Knieen zu erheben. Die große gewaltige Gestalt lag hilflos, wie niedergeschmettert von stürmischen Gefühlen. Er hatte eine ihrer Hände gefaßt und gegen seine Lippen gedrückt. Sie sprach:

Was ich vorhabe, würde ganz umsonst sein, wenn er wüßte, daß es von mir ausgeht. Er ist kein Kind mehr. Er hat den Stolz und das Zartgefühl eines Mannes. Wenn er je erführe, daß er diese Erbschaft von mir angetreten, so könnt' ich ihm die heiligsten Eide schwören, wie sehr es mich glücklich macht, für sein Leben, seine Studien, sein Glück zu sorgen: ich weiß doch, er würde Alles von sich weisen. Also müssen wir sorgen, daß er getäuscht werde, und ich sehe keinen anderen Weg, als den, daß eine andere Täuschung von ihm genommen werde. Er muß seinen Vater kennen und sein Vater muß ihm sagen, daß er diese Wendung seines Lebens ihm verdanke.

Der Meister sprang auf und ging mit heftigen Geberden durchs Zimmer. – Nimmermehr! brach es von seinen Lippen. Es ist unmöglich, Helene! Ich kann's nicht!

Was könnt Ihr nicht? fragte sie ernst.

Da blieb er wieder vor ihr stehen und sah sie bittend an. – Fordere es nicht von mir, sagte er, das nicht! Wohl kostet es mir nichts, den herrlichen Jungen an mein Herz zu drücken und ihn Sohn zu nennen, wenn du mich des Versprechens entbinden willst, das ich deiner armen Schwester habe geben müssen. Aber daß ich als sein Wohlthäter vor ihn hintreten soll, ich, der ich an ihm und seiner Mutter mich so schwer versündigt habe –

Es ist gesühnt, Schwager, unterbrach sie ihn, und was noch zu sühnen wäre, wird eben durch diese Buße ausgeglichen, die ich von Euch fordere. Auch ich habe wieder gut zu machen, eigene und fremde Schuld. Wenn meine arme Schwester nicht im Irrsinn ihres Hasses den Knaben und Euch enterbt hätte, so wäre Alles wohl anders gekommen. Gebt mir Eure Hand darauf, daß Ihr thun werdet, was ich gebeten habe. Glaubt mir, es ist uns allen damit geholfen.

Sie stand auf. – Ich höre Schritte draußen, sagte sie. Wenn es Walter sein sollte, laßt die Nacht darüber nicht vergehen; verschweigt ihm aber, daß der Entschluß, ihn jetzt fortzuschicken, von mir ausgegangen ist. Er hat nun wieder einen Vater. Ich lege mein Pflegeamt in Eure Hände zurück und weiß, daß er bei dem Tausch nicht verlieren wird.

Ohne seine Erwiederung abzuwarten, ging sie hinaus. Im Flur begegnete ihr nicht Walter, sondern der Notarius, der die Schenkungsurkunde brachte. – Ich habe mit dem Schwager schon Alles besprochen, sagte sie freundlich zu dem stummen Manne, der vor ihr stehen blieb. Er ist mit Allem einverstanden, und so überlasse ich das Weitere Ihnen und ihm mit dem vollsten Vertrauen. Sie mögen ihm nur gleich Ihre Mittheilungen machen.

Damit grüßte sie ihn mit einer leichten Bewegung des Kopfes und ging an ihm vorüber, dem Garten zu. Sie hatte die Fruchtbäume und Gesträuche dort am Morgen noch in Knospen verlassen. Jetzt waren alle Zweige und Ranken hell übergrünt. Das sah sie mit stiller Freude und dachte, während sie die schmalen Kieswege hinunter schritt, wie bald sie es nicht mehr sehen würde. Es mischte sich aber kein Hauch von Kummer in diese Stimmung, und ihr Herz, das an diesem Tage so manchen Sturm bestanden hatte, schlug ruhig.

Nur als eine halbe Stunde darauf der Schritt des Notarius über den kleinen gepflasterten Hof erklang und sie jetzt ihn in den Garten treten sah, mußte sie sich zusammennehmen, eine plötzliche Bewegung nicht zu verraten. Sie stand still und sah dem ernsten Manne forschend ins Gesicht.

Was bringen Sie mir? fragte sie. Ich hoffe doch, es ist nicht irgend ein Umstand, den wir vergessen haben, und der diese so einfache Sache erschwert.

Es ist Alles aufs Beste geordnet, erwiederte er, und was ich als Geschäftsmann in diesem Hause zu verhandeln hatte, kann für erledigt gelten. Verzeihen Sie nur, daß über dem Aktenmann der Mensch in mir nicht ganz verstummt ist und zu Worte kommen will, selbst da, wo er fürchtet, kein geneigtes Gehör zu finden.

Er erwartete, ob sie ihm ein Zeichen gäbe, das er für oder gegen sich deuten möchte. Als sie schwieg, belebte sich sein Muth.

Sie wissen, wie es um mich steht, fuhr er fort. Nach unserm Gespräch am Sonntag hätte ich ein Wort, das noch hoffnungsvoll klänge, nicht mehr an Sie zu richten gewagt. Tags darauf hat mir Ihr Schwager bestätigt, was ich mit tiefem Schmerz schon dunkel geahnt hatte, daß Sie überhaupt jede Annäherung abzuweisen entschlossen seien, weil Sie sich nicht sicher glauben, daß dieselbe nur Ihrer Person gälte. Es konnte mich wenig trösten, zu erkennen, daß nicht zunächst eine Abneigung gegen mich selbst meinem einzigen Lebensglück im Wege stehe. Wie sollte ich es anfangen, Sie von dem völligen Ungrund Ihres Vorurtheils zu überzeugen? Wenn meine jahrelange, freilich nie ausgesprochene Bewerbung Sie nicht über diesen Punkt beruhigen konnte, welcher Versicherung würden Sie mehr Glauben schenken? Nun haben Sie mich heute zum Vertrauten gemacht und dabei tiefer in Ihre Seele blicken lassen, als es für den bloßen geschäftlichen Akt nöthig gewesen wäre. Ich habe Ihnen in meinem Büreau dafür nicht danken können. Hier darf ich es thun; und Sie werden mich nicht für einen Thoren halten, wenn ich, ehe ich für immer entsage, noch einmal die Frage an Sie richte, ob Ihr Entschluß auch jetzt noch fest steht? Mich werden Sie immer unverändert finden.

Sie blickte still zu Boden. Fragen Sie mich heute nichts, sagte sie mit bewegter Stimme. Ich habe noch zu Manchem, was bevorsteht, meine Kraft nöthig, und es ist heute schon genug an ihr gerüttelt worden.

Heute nicht? fragte er leise. Also vertrösten Sie mich nur auf eine andere Zeit?

Mein Freund, sagte sie, ihn fest und innig anblickend, wenn Sie mir wirklich ein Freund sind, so lassen Sie den Mond, der dort eben heraufkommt, seinen Lauf erst vollenden, ehe Sie unser Haus wieder betreten. Es sieht wunderlich in mir aus, Sie würden Manches kaum verstehen, wenn ich Sie jetzt schon in all diese Räthsel einweihte. Ich fühle, es wird sich mit der Zeit schlichten, und dann werde ich auf Ihre Frage eine klare und unumwundene Antwort haben. Das ist Alles, was ich Ihnen heute mit auf den Weg geben kann.

Es ist mehr, als ich hoffte, mehr, als ich werth bin, sagte er bewegt und beugte sich, die Hand zu küssen, die sie ihm Abschied reichte. So gingen sie auseinander.

*


 << zurück weiter >>