Paul Heyse
L'Arrabbiata
Paul Heyse

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Antonino sprang auf. Ich muß fort, sagte er. 's ist ein Mädchen aus Sorrent, das heut früh mit dem Signor Curato kam und auf die Nacht wieder zu ihrer kranken Mutter will.

Nun nun, 's ist noch lang bis Nacht, sagte der Fischer. Sie wird doch Zeit haben, ein Glas Wein zu trinken. Holla, Frau, bring noch ein Glas.

Ich danke, ich trinke nicht, sagte Laurella und blieb in einiger Entfernung.

Schenk nur ein, Frau, schenk ein! Sie läßt sich nötigen.

Laßt sie, sagte der Bursch. Sie hat einen harten Kopf; was sie einmal nicht will, das redet ihr kein Heiliger ein. – Und damit nahm er eilfertig Abschied, lief nach der Barke hinunter, löste das Seil, und stand nun in Erwartung des Mädchens. Die grüßte noch einmal nach der Wirtin der Schenke zurück und ging dann mit zaudernden Schritten der Barke zu. Sie sah vorher nach allen Seiten um, als erwarte sie, daß sich noch andere Gesellschaft einfinden würde. Die Marine aber war menschenleer, die Fischer schliefen oder fuhren im Meer mit Angeln und Netzen, wenige Frauen und Kinder saßen unter den Türen, schlafend oder spinnend, und die Fremden, die am Morgen herübergefahren, warteten die kühlere Tageszeit zur Rückfahrt ab. Sie konnte auch nicht zu lange umschauen, denn ehe sie es wehren konnte, hatte Antonino sie in die Arme genommen und trug sie wie ein Kind in den Nachen. Dann sprang er nach und mit wenigen Ruderschlägen waren sie schon im offenen Meer.

Sie hatte sich vorn in den Kahn gesetzt und ihm halb den Rücken zugedreht, daß er sie nur von der Seite sehen konnte. Ihre Züge waren jetzt noch ernsthafter als gewöhnlich. Über die kurze Stirn hing das Haar tief herein, um den feinen Nasenflügel zitterte ein eigensinniger Zug; der volle Mund war fest geschlossen. – Als sie eine Zeitlang so stillschweigend über Meer gefahren waren, empfand sie den Sonnenbrand, nahm das Brot aus dem Tuch und schlang dieses über die Flechte. Dann fing sie an von dem Brote zu essen und ihr Mittagsmahl zu halten, denn sie hatte auf Capri nichts genossen.

Antonino sah das nicht lange mit an. Er holte aus einem der Körbe, die am Morgen mit Orangen gefüllt gewesen, zwei hervor, und sagte: da hast du was zu deinem Brot, Laurella. Glaub nicht, daß ich sie für dich zurückbehalten habe. Sie sind aus dem Korb in den Kahn gerollt und ich fand sie, als ich die leeren Körbe wieder in die Barke setzte.

Iß du sie doch. Ich hab an meinem Brote genug.

Sie sind erfrischend in der Hitze, und du bist weit gelaufen.

Sie gaben mir oben ein Glas Wasser, das hat mich schon erfrischt.

Wie du willst, sagte er, und ließ sie wieder in den Korb fallen.

Neues Stillschweigen. Das Meer war spiegelglatt und rauschte kaum um den Kiel. Auch die weißen Seevögel, die in den Uferhöhlen nisten, zogen lautlos auf ihren Raub.

Du könntest die zwei Orangen deiner Mutter bringen, fing Antonino wieder an.

Wir haben ihrer noch zu Haus, und wenn sie zu Ende sind, geh ich und kaufe neue.

Bringe ihr sie nur, und ein Kompliment von mir.

Sie kennt dich ja nicht.

So könntest du ihr sagen, wer ich bin.

Ich kenne dich auch nicht.

Es war nicht das erste Mal, daß sie ihn so verleugnete. Vor einem Jahre, als der Maler eben nach Sorrent gekommen war, traf sich's an einem Sonntage, daß Antonino mit anderen jungen Burschen aus dem Ort auf einem freieren Platz neben der Hauptstraße Boccia spielte. Dort begegnete der Maler zuerst Laurella, die, einen Wasserkrug auf dem Kopfe tragend, ohne sein zu achten, vorüberschritt. Der Napolitaner, von dem Anblick betroffen, stand still und sah ihr nach, obwohl er sich mitten in der Bahn des Spieles befand und mit zwei Schritten sie hätte räumen können. Eine unsanfte Kugel, die ihm gegen das Fußgelenk fuhr, mußte ihn daran erinnern, daß hier der Ort nicht sei, sich in Gedanken zu verlieren. Er sah um, als erwarte er eine Entschuldigung. Der junge Schiffer, der den Wurf getan hatte, stand schweigend und trotzig inmitten seiner Freunde, daß der Fremde es geraten fand, einen Wortwechsel zu vermeiden und zu gehen. Doch hatte man von dem Handel gesprochen, und sprach von neuem davon, als der Maler sich offen um Laurella bewarb. Ich kenne ihn nicht, sagte diese unwillig, als der Maler sie fragte, ob sie ihn jenes unhöflichen Burschen wegen ausschlüge. Und doch war auch ihr jenes Gerede zu Ohren gekommen. Seitdem, wenn ihr Antonino begegnete, hatte sie ihn wohl wieder erkannt.

Und nun saßen sie im Kahn wie die bittersten Feinde, und beiden klopfte das Herz tödlich. Das sonst gutmütige Gesicht Antoninos war heftig gerötet, er schlug in die Wellen, daß der Schaum ihn überspritzte, und seine Lippen zitterten zuweilen, als spräche er böse Worte. Sie tat, als bemerke sie es nicht, und machte ihr unbefangenstes Gesicht, neigte sich über den Bord des Nachens und ließ die Flut durch ihre Finger gleiten. Dann band sie ihr Tuch wieder ab und ordnete ihr Haar, als sei sie ganz allein im Kahn. Nur die Augenbrauen zuckten noch, und umsonst hielt sie die nassen Hände gegen ihre brennenden Wangen, um sie zu kühlen.

Nun waren sie mitten auf dem Meer, und nah und fern ließ sich kein Segel blicken. Die Insel war zurückgeblieben, die Küste lag im Sonnenduft weitab, nicht einmal eine Möwe durchflog die tiefe Einsamkeit. Antonino sah um sich her. Ein Gedanke schien in ihm aufzusteigen. Die Röte wich plötzlich von seinen Wangen, und er ließ die Ruder sinken. Unwillkürlich sah Laurella nach ihm um, gespannt, aber furchtlos.

Ich muß ein Ende machen, brach der Bursch heraus. Es dauert mir schon zu lange und wundert mich schier, daß ich nicht drüber zugrunde gegangen bin. Du kennst mich nicht, sagst du? Hast du nicht lange genug mit angesehen, wie ich bei dir vorüberging als ein Unsinniger, und hatte das ganze Herz voll, dir zu sagen? Dann machtest du deinen bösen Mund und drehtest mir den Rücken.

Was hatt' ich mit dir zu reden, sagte sie kurz. Ich habe wohl gesehn, daß du mit mir anbinden wolltest. Ich wollt' aber nicht in der Leute Mäuler kommen um nichts und wieder nichts. Denn zum Manne nehmen mag ich dich nicht, dich nicht und keinen.

Und keinen? So wirst du nicht immer sagen. Weil du den Maler weggeschickt hast? Pah! Du warst noch ein Kind damals. Es wird dir schon einmal einsam werden und dann, toll wie du bist, nimmst du den ersten besten.

Es weiß keiner seine Zukunft. Kann sein, daß ich meinen Sinn ändere. Was geht's dich an?

Was es mich angeht? fuhr er auf und sprang von der Ruderbank empor, daß der Kahn schaukelte. Was es mich angeht? Und so kannst du noch fragen, nachdem du weißt, wie es um mich steht? Müsse der elend umkommen, dem je besser von dir begegnet würde, als mir.

Hab ich mich dir je versprochen? Kann ich dafür, wenn dein Kopf unsinnig ist? Was hast du für ein Recht auf mich?

Oh, rief er aus, es steht freilich nicht geschrieben, es hat's kein Advokat in Latein abgefaßt und versiegelt, aber das weiß ich, daß ich so viel Recht auf dich habe, wie in den Himmel zu kommen, wenn ich ein braver Kerl gewesen bin. Meinst du, daß ich mit ansehn will, wenn du mit einem andern in die Kirche gehst und die Mädchen gehn mir vorüber und zucken die Achseln? Soll ich mir den Schimpf antun lassen?

Tu was du willst. Ich laß mir nicht bangen, soviel du auch drohst. Ich will auch tun, was ich will.

Du wirst nicht lange so sprechen, sagte er und bebte über den ganzen Leib. Ich bin Manns genug, daß ich mir das Leben nicht länger von solch einem Trotzkopf verderben lasse. Weißt du, daß du hier in meiner Macht bist und tun mußt, was ich will?

Sie fuhr leicht zusammen und blitzte ihn mit den Augen an.

Bringe mich um, wenn du's wagst, sagte sie langsam.

Man muß nichts halb tun, sagte er, und seine Stimme klang leiser. 's ist Platz für uns beide im Meer. Ich kann dir nicht helfen, Kind, – und er sprach fast mitleidig, wie aus dem Traum – aber wir müssen hinunter, alle beide, und auf einmal, und jetzt! schrie er überlaut, und faßte sie plötzlich mit beiden Armen an. Aber im Augenblick zog er die rechte Hand zurück, das Blut quoll hervor, sie hatte ihn heftig hineingebissen.

Muß ich tun, was du willst? rief sie und stieß ihn mit einer raschen Wendung von sich. Laß sehn, ob ich in deiner Macht bin! – Damit sprang sie über den Bord des Kahns und verschwand einen Augenblick in der Tiefe.

Sie kam gleich wieder herauf, ihr Röckchen umschloß sie fest, ihre Haare waren von den Wellen aufgelöst und hingen schwer über den Hals nieder, mit den Armen ruderte sie emsig und schwamm, ohne einen Laut von sich zu geben, kräftig von der Barke weg nach der Küste zu. Der jähe Schreck schien ihm die Sinne gelähmt zu haben. Er stand im Kahn, vorgebeugt, die Blicke starr nach ihr hingerichtet, als begebe sich ein Wunder vor seinen Augen. Dann schüttelte er sich, stürzte nach den Rudern, und fuhr ihr mit aller Kraft, die er aufzubieten hatte, nach, während der Boden seines Kahns von dem immer zuströmenden Blute rot wurde.

Im Nu war er an ihrer Seite, so hastig sie schwamm. Bei Maria Santissima! rief er, komm in den Kahn. Ich bin ein Toller gewesen; Gott weiß, was mir die Vernunft benebelte. Wie ein Blitz vom Himmel fuhr mir's ins Hirn, daß ich ganz aufbrannte und wußte nicht, was ich tat und redete. Du sollst mir nicht vergeben, Laurella, nur dein Leben retten und wieder einsteigen.

Sie schwamm fort, als habe sie nichts gehört.

Du kannst nicht bis ans Land kommen, es sind noch zwei Miglien. Denk an deine Mutter. Wenn dir ein Unglück begegnete, sie stürbe vor Entsetzen.

Sie maß mit einem Blick die Entfernung von der Küste. Dann, ohne zu antworten, schwamm sie an die Barke heran, und faßte den Bord mit den Händen. Er stand auf, ihr zu helfen; seine Jacke, die auf der Bank gelegen, glitt ins Meer, als der Nachen von der Last des Mädchens nach der einen Seite hinübergezogen wurde. Gewandt schwang sie sich empor und erklomm ihren früheren Sitz. Als er sie geborgen sah, griff er wieder zu den Rudern. Sie aber wand ihr triefendes Röckchen aus, und rang das Wasser aus den Flechten. Dabei sah sie auf den Boden der Barke, und bemerkte jetzt das Blut. Sie warf einen raschen Blick nach der Hand, die, als sei sie unverwundet, das Ruder führte. Da, sagte sie, und reichte ihm ihr Tuch. Er schüttelte den Kopf und ruderte vorwärts. Sie stand endlich auf, trat zu ihm und band ihm das Tuch fest um die tiefe Wunde. Darauf nahm sie ihm, soviel er auch abwehrte, das eine Ruder aus der Hand und setzte sich ihm gegenüber, doch ohne ihn anzusehn, fest auf das Ruder blickend, das vom Blut gerötet war, und mit kräftigen Stößen die Barke forttreibend. Sie waren beide blaß und still. Als sie näher ans Land kamen, begegneten ihnen Fischer, die ihre Netze auf die Nacht auswerfen wollten. Sie riefen Antonino an und neckten Laurella. Keins sah auf oder erwiderte ein Wort.


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