Paul Heyse
L'Arrabbiata
Paul Heyse

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Sie warf einen flüchtigen scheuen Blick nach dem Burschen hinüber, der emsig rudernd hinten im Kahn saß und die wollne Mütze tief in die Stirn gezogen hatte. Er starrte zur Seite ins Meer und schien in seine eignen Gedanken versunken zu sein. Der Pfarrer sah ihren Blick und neigte sein Ohr näher zu ihr.

Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüsterte sie, und ihre Augen sahen finster.

Deinen Vater? Er starb ja, denke ich, da du kaum zehn Jahr alt warst. Was hat dein Vater, dessen Seele im Paradiese sein möge, mit deinem Eigensinn zu schaffen?

Ihr habt ihn nicht gekannt, Padre. Ihr wißt nicht, daß er allein schuld ist an der Krankheit der Mutter.

Wie das?

Weil er sie mißhandelt hat und geschlagen und mit Füßen getreten. Ich weiß noch die Nächte, wenn er nach Hause kam und war in Wut. Sie sagte ihm nie ein Wort und tat alles, was er wollte. Er aber schlug sie, daß mir das Herz brechen wollte. Ich zog dann die Decke über den Kopf und tat als ob ich schliefe, weinte aber die ganze Nacht. Und wenn er sie dann am Boden liegen sah, verwandelt' er sich plötzlich und hob sie auf und küßte sie, daß sie schrie, er werde sie ersticken. Die Mutter hat mir verboten, daß ich nie ein Wort davon sagen soll; aber es griff sie so an, daß sie nun die langen Jahre, seit er tot ist, noch nicht wieder gesund worden ist. Und wenn sie früh sterben sollte, was der Himmel verhüte, ich weiß wohl, wer sie umgebracht hat.

Der kleine Priester wiegte das Haupt und schien unschlüssig, wie weit er seinem Beichtkind recht geben sollte. Endlich sagte er: Vergib ihm, wie ihm deine Mutter vergeben hat. Hefte nicht deine Gedanken an jene traurigen Bilder, Laurella. Es werden bessere Zeiten für dich kommen, und dich alles vergessen machen.

Nie vergess' ich das, sagte sie und schauerte zusammen. Und wißt, Padre, darum will ich eine Jungfrau bleiben, um keinem untertänig zu sein, der mich mißhandelte und dann liebkoste. Wenn mich jetzt einer schlagen oder küssen will, so weiß ich mich zu wehren. Aber meine Mutter durfte sich schon nicht wehren, nicht der Schläge erwehren und nicht der Küsse, weil sie ihn lieb hatte. Und ich will keinen so lieb haben, daß ich um ihn krank und elend würde.

Bist du nun nicht ein Kind und sprichst wie eine, die nichts weiß von dem, was auf Erden geschieht? Sind denn alle Männer wie dein armer Vater war, daß sie jeder Laune und Leidenschaft nachgeben und ihren Frauen schlecht begegnen? Hast du nicht rechtschaffne Menschen genug gesehen in der ganzen Nachbarschaft, und Frauen, die in Frieden und Einigkeit mit ihren Männern leben?

Von meinem Vater wußt' es auch niemand, wie er zu meiner Mutter war, denn sie wäre eher tausendmal gestorben, als es einem sagen und klagen. Und das alles, weil sie ihn liebte. Wenn es so um die Liebe ist, daß sie einem die Lippen schließt, wo man Hülfe schreien sollte, und einen wehrlos macht gegen Ärgeres, als der ärgste Feind einem antun könnte, so will ich nie mein Herz an einen Mann hängen.

Ich sage dir, daß du ein Kind bist und nicht weißt, was du sprichst. Du wirst auch viel gefragt werden von deinem Herzen, ob du lieben willst oder nicht, wenn seine Zeit gekommen ist; dann hilft alles nicht, was du dir jetzt in den Kopf setzest. – Wieder nach einer Pause: Und jener Maler, hast du ihm auch zugetraut, daß er dir hart begegnen würde?

Er machte so Augen, wie ich sie bei meinem Vater gesehen habe, wenn er der Mutter abbat und sie in die Arme nehmen wollte, um ihr wieder gute Worte zu geben. Die Augen kenn ich. Es kann sie auch einer machen, der's übers Herz bringt, seine Frau zu schlagen, die ihm nie was zuleide getan hat. Mir graute, wie ich die Augen wieder sah.

Darauf schwieg sie beharrlich still. Auch der Pfarrer schwieg. Er besann sich wohl auf viele schöne Sprüche, die er dem Mädchen hätte vorhalten können. Aber die Gegenwart des jungen Schiffers, der gegen das Ende der Beichte unruhiger geworden war, verschloß ihm den Mund.

Als sie nach einer zweistündigen Fahrt in dem kleinen Hafen von Capri anlangten, trug Antonino den geistlichen Herrn aus dem Kahn über die letzten flachen Wellen, und setzte ihn ehrerbietig ab. Doch hatte Laurella nicht warten wollen, bis er wieder zurückwatete und sie nachholte. Sie nahm ihr Röckchen zusammen, die Holzpantöffelchen in die rechte, das Bündel in die linke Hand und plätscherte hurtig ans Land.

Ich bleibe heut wohl lang auf Capri, sagte der Padre, und du brauchst nicht auf mich zu warten. Vielleicht komm ich gar erst morgen nach Haus. Und du, Laurella, wenn du heimkommst, grüße die Mutter. Ich besuche euch in dieser Woche noch. Du fährst doch noch vor der Nacht zurück?

Wenn Gelegenheit ist, sagte das Mädchen, und machte sich an ihrem Rock zu schaffen.

Du weißt, daß ich auch zurück muß, sprach Antonino, wie er meinte in sehr gleichgültigem Ton. Ich wart auf dich bis Ave Maria. Wenn du dann nicht kommst, soll mir's auch gleich sein.

Du mußt kommen, Laurella, fiel der kleine Herr ein. Du darfst deine Mutter keine Nacht allein lassen. Ist's weit, wo du hin mußt?

Auf Anacapri, in eine Vigne.

Und ich muß auf Capri zu. Behüt dich Gott, Kind, und dich, mein Sohn.

Laurella küßte ihm die Hand, und ließ ein Lebewohl fallen, in das sich der Padre und Antonino teilen mochten. Antonino indessen eignete sich's nicht zu. Er zog seine Mütze vor dem Padre und sah Laurella nicht an.

Als sie ihm aber beide den Rücken gekehrt hatten, ließ er seine Augen nur kurze Zeit mit dem geistlichen Herrn wandern, der über das tiefe Kieselgeröll mühsam hinschritt, und schickte sie dann dem Mädchen nach, das sich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte, die Hand über die Augen haltend gegen die scharfe Sonne. Ehe sich der Weg oben zwischen Mauern zurückzieht, stand sie einen Augenblick still, wie um Atem zu schöpfen, und sah um. Die Marine lag zu ihren Füßen, ringsum türmte sich der schroffe Fels, das Meer blaute in seltener Pracht – es war wohl ein Anblick, des Stehenbleibens wert. Der Zufall fügte es, daß ihr Blick, bei Antoninos Barke vorübereilend, sich mit jenem Blick begegnete, den Antonino ihr nachgeschickt hatte. Sie machten beide eine Bewegung, wie Leute, die sich entschuldigen wollen, es sei etwas nur aus Versehen geschehen, worauf das Mädchen mit finsterm Munde ihren Weg fortsetzte.

*

Es war erst eine Stunde nach Mittag, und schon saß Antonino zwei Stunden lang auf einer Bank vor der Fischerschenke. Es mußte ihm was durch den Sinn gehen, denn alle fünf Minuten sprang er auf, trat in die Sonne hinaus, und überblickte sorgfältig die Wege, die links und rechts nach den zwei Inselstädtchen führen. Das Wetter sei ihm bedenklich, sagte er dann zu der Wirtin der Osterie. Es sei wohl klar, aber er kenne diese Farbe des Himmels und Meeres. Gerade so habe es ausgesehen, ehe der letzte große Sturm war, wo er die englische Familie nur mit Not ans Land gebracht habe. Sie werde sich erinnern.

Nein, sagte die Frau.

Nun, sie solle an ihn denken, wenn sich's noch vor Nacht verändere.

Sind viel Herrschaften drüben? fragte die Wirtin nach einer Weile.

Es fängt eben an. Bisher hatten wir schlechte Zeit. Die wegen der Bäder kommen, ließen auf sich warten.

Das Frühjahr kam spät. Habt ihr mehr verdient, als wir hier auf Capri?

Es hätte nicht ausgereicht zweimal die Woche Makkaroni zu essen, wenn ich bloß auf die Barke angewiesen wäre. Dann und wann einen Brief nach Neapel zu bringen, oder einen Signore aufs Meer gerudert, der angeln wollte. Das war alles. Aber Ihr wißt, daß mein Onkel die großen Orangengärten hat, und ein reicher Mann ist. Tonino, sagt er, solang ich lebe, sollst du nicht Not leiden, und nachher wird auch für dich gesorgt werden. So hab ich den Winter mit Gottes Hülfe überstanden.

Hat er Kinder, Euer Onkel?

Nein. Er war nie verheiratet, und lang außer Landes, wo er denn manchen Piaster zusammengebracht hat. Nun hat er vor, eine große Fischerei anzufangen und will mich über das ganze Wesen setzen, daß ich nach dem Rechten sehe.

So seid Ihr ja ein gemachter Mann, Antonino.

Der junge Schiffer zuckte die Achseln. Es hat jeder sein Bündel zu tragen, sagte er. Damit sprang er auf und sah wieder links und rechts nach dem Wetter, obwohl er wissen mußte, daß es nur eine Wetterseite gibt.

Ich bring Euch noch eine Flasche. Euer Onkel kann's bezahlen, sagte die Wirtin.

Nur noch ein Glas, denn Ihr habt hier eine feurige Art Wein. Der Kopf ist mir schon ganz warm.

Er geht nicht ins Blut. Ihr könnt trinken, soviel Ihr wollt. Da kommt eben mein Mann, mit dem müßt Ihr noch eine Weile sitzen und schwatzen.

Wirklich kam, das Netz über die Schulter gehängt, die rote Mütze über den geringelten Haaren, der stattliche Padrone der Schenke von der Höhe herunter. Er hatte Fische in die Stadt gebracht, die jene vornehme Dame bestellt hatte, um sie dem kleinen Pfarrer von Sorrent vorzusetzen. Wie er des jungen Schiffers ansichtig wurde, winkte er ihm herzlich mit der Hand einen Willkommen zu, setzte sich dann neben ihn auf die Bank, und fing an zu fragen und zu erzählen. Eben brachte sein Weib eine zweite Flasche des echten unverfälschten Capri, als der Ufersand zur Linken knisterte und Laurella des Weges von Anacapri daherkam. Sie grüßte flüchtig mit dem Kopf und stand unschlüssig still.


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