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7. Kapitel.
Unter den Elefantenjägern

Die Sonne ging auf. Taufunkelnd und kühldurchhaucht lag die Steppe im Morgenlicht. Blank wie ein Silberschild glänzte ein kleiner See in der Ebene; ein leichter Wind kräuselte seine klare Flut. Im Ufersande watschelten und stelzten Tausende von Wasser- und Sumpfvögeln durcheinander und begrüßten schnatternd und flügelschlagend die Sonne. Flamingos stiegen auf, ihre Gefieder glänzten im Sonnenschein wie Purpurwolken. Auf einem hohen Termitenbau stand, auf seine Keule gestützt, einsam Hatako und schaute ins Land. Seine Füße waren bestaubt, Blätter und Dornen in seinem Wirrhaar verfilzt. Auf dem Rücken trug er, in Laub gewickelt, einen großen toten Vogel; von der gefüllten Kürbisflasche rannen blinkende Tropfen herab. Nach langem, rasenden Laufe war er gestern abend erschöpft in der Steppe zusammengebrochen und eingeschlafen. Raubtiergebrüll, Durst und Kälte hatten ihn bald auf- und weiter durch die Nacht gejagt. Gegen Morgen war er auf den See gestoßen, hatte getrunken und dann ganz mühelos mit seiner Wurfkeule einen Kropfstorch erlegt. – Lange stand er jetzt schon auf dem Hügel und spähte unter der vorgehaltenen Hand unverwandt nach Südosten. Dort, wo der bleichgraue Streifen des Horizontes in tiefes Dunkelblau überging, hing etwas strahlend Helles am Himmel, wie die Spitze einer schneeweißen Vogelfeder. Er hatte es schon gesehen, ehe die Sonne sichtbar geworden war, da hatte es wie eine tiefrote Flamme am Himmel geglüht. Er strengte die Augen an, daß sie schmerzten, schüttelte den Kopf und spähte wieder hinüber. Doch er konnte nicht erkennen, was dieses Seltsame da draußen in der Unendlichkeit war. – Langsam schweifte sein Blick ringsum über die Landschaft. In weiter Ferne wurde ihr eintöniges Graugelb von einem dunkleren Streifen durchschnitten; es mußte ein Flußtal sein. Das nahm er als Ziel. Bevor er herabsprang, warf er noch einen Blick nach jenem Unerklärlichen, das dort in unermeßlicher Höhe über der Erde schwebte. – Es war verschwunden, eine hellgraue Wolke hing jetzt an seiner Stelle.

Die Sonne stand schon hoch, als er in dem Flußtal ankam. In tiefem, kühlen Baumschatten warf er sich hin, legte den Kopf auf seinen Storch und schlief sofort ein. Erst gegen Abend erwachte er wieder, so kräftig und frisch, wie er vor diesen letzten schlimmen Tagen gewesen war. Mit Stahl und Zündschwamm machte er Feuer, briet den Vogel, aß und trank. Dann packte er den Rest der Mahlzeit auf und wanderte das Flußtal entlang. Es verlief südöstlich, nach jener Himmelsgegend, die er als Ziel erwählt hatte – ohne zu wissen, wo und was dieses Ziel war. Still und einsam rauschte der Fluß neben ihm. Durch die Wipfel der Bäume flutete der Glanz der Abendsonne, unter ihren Kronen wurden die Schatten tiefer und tiefer. Eine Bande durstiger Hundsaffen schreckte mit unwilligem Grunzen vom Wasser zurück und verschwand rauschend in den Büschen; stöhnend und schnaufend tauchte der klobige Kopf eines Flußpferdes aus der Flut und versank wieder; um ihre Nester, die sich an schwankenden Halmen über das Wasser neigten, schwirrten leuchtend gelbe Webervögel; ein Zug großer schwarzer Hornraben strich mit kläglichem Schreien dem Schlafbaume zu. In brennender Röte wölbte sich der Himmelsbogen über der Niederung, erstrahlte in immer neuen, bunten Regenbogenfarben und erlosch zuletzt in zartem, bläulich-grünem Schimmer. Dann versank die Landschaft in dunkelblauer Nacht. Der Wanderer verließ jetzt das Flußtal, stieg das Steilufer hinauf und schaute still in die Steppe hinein. Sternenglanz und feierliche Ruhe lag über ihren weiten Flächen. Aus der Ferne glühten Feuer wie ein Kranz von blutroten Perlen durch die Nacht. Sie lagen in Hatakos Richtung, und so wanderte er darauf zu. Bald schlugen Hunde an, durchdringender Viehgeruch wehte über die Steppe. Dumpfdröhnende Trommelschläge und vielstimmiger Chorgesang drang durch die Nacht, taktmäßiges Händeklatschen, helltrillernde Schreie von Frauenstimmen. Rasseln von eisernen Schmuckringen und Ketten begleiteten ihn. Hatako blieb stehen; mit aufleuchtenden Augen sah er tanzenden Gestalten zu, die sich schattenhaft vor flackernden Feuern bewegten. Geschlossene Reihen von singenden Männern wogten in feierlichem Schritt heran, stampften im Takt den Boden, lösten sich in wirbelndem Drehen und hohen wilden Sprüngen. In wirrem, blinkenden Gefunkel zuckten die breiten Stahlblätter von Masaispeeren, hoben sich die gewölbten, buntfarbigen Lederschilde über den tanzenden Kriegern. Ringsum drängten sich die Frauen und alten Männer des Stammes. Etwas abseits stand eine Gruppe anderer Männer als Zuschauer. Sie hatten nicht die ebenmäßigen, schlanken Gestalten, die steifen, fettglänzenden Zöpfe und die eigenartigen Sperre und Schilde der Masai. Die meisten von ihnen waren große, breitschultrige Menschen, mit Leopardenfellen oder Lederschurzen bekleidet, mit klobigen Vorladegewehren und schweren, breiten Schwertern bewaffnet. Ihre sehnenstarrenden, narbenbedeckten Glieder und ihre scharfen Augen, die aufmerksam, aber in unbewegter Ruhe aus verwitterten Gesichtern blickten, erzählten von wildem, gefahrenvollem Leben. Die hohen Gestalten wurden noch überragt von dem riesenhaften Wüchse eines alten Mannes, der, auf eine lange Araberflinte gelehnt, in ihrer Mitte stand. Sein Haar leuchtete wie weiße Schafwolle, ein glänzend schwarzer Hornring preßte es an den schmalen Kopf und die zurückfliehende Stirn. Sein vom Feuerschein rot überglühtes Gesicht, das in einem weißflockigen Kinnbart endigte, war von tausend Runzeln und Falten durchzogen. Er drehte sich um und warf seinen Genossen eine Bemerkung zu, die mit lautem Auflachen beantwortet wurde. Hatako hatte bis jetzt unbemerkt im Dunkel gestanden. Nun bog er sich plötzlich vor und sah einem der Männer gespannt ins Gesicht; seine Augen blitzten auf – er hatte bei jenem Manne die spitzen Zähne der Manjema gesehen. »Ka' amescha (Sei gegrüßt)!« rief er in der Sprache seines Volkes, trat vor und streckte dem Stammesgenossen die Hand entgegen.

Fragen und Antworten flogen zwischen den beiden hin und her; die Männer hatten schweigend einen prüfenden Blick auf den Ankömmling geworfen und die Augen gleichmütig wieder den Tanzenden zugewendet. Hatako berichtete kurz, wer er war und wo er herkam. »Ich heiße Njira. – Wohin gehst du?« – »Ich weiß es nicht. – Das Land ist groß. – Und wer seid ihr?« fragte Hatako zurück. »Diese unsere Männer sind aus vielen Stämmen gekommen. Jener Alte dort ist ein Zulu. Sieh seinen Kopfreif, – sein Vater war ein König der Amazulu! Jetzt ist er unser Häuptling. Wir alle haben Blutsfreundschaft getrunken, sind nun Brüder und eines Stammes. Wir sind Wakua (Elefantenjäger)!« sagte der andere. Er hatte den Kopf erhoben, seine Stimme klirrte wie Eisen. »Bleibe du bei uns, diese Nacht und morgen und solange es dir gefällt, und sei unser Gast!« forderte er Hatako auf. »Die eure ist gute Arbeit,« sagte Hatako nachdenklich. »Ja, ich bleibe heute; ich danke dir. – Auch ich werde Elefanten jagen, oder Löwen, oder Menschen,« setzte er leiser hinzu. Der lange Njira beugte sich zu ihm herab und sah ihm nahe in die Augen. »Wenn die große Kraft der Elefanten nicht groß genug ist, dein Herz zu erschüttern, dann kannst du bei uns bleiben für immer!« sagte er langsam. Er legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn zu dem Alten. »Bugwan, dieser hier ist Hatako, ein Mann aus meiner Heimat. Jetzt hat er keine mehr, ich will sein Freund sein.« Der Alte streckte ihm seine lange, magere Hand entgegen. »So bin auch ich dein Freund. Sei willkommen!« sagte er gelassen.

Zwei Tage später brachen die Elefantenjäger aus dem Masailager auf. Hatako ging mit ihnen. Sie zogen nach Süden, einer Landschaft zu, die sie Longido nannten. Dort sollte es viele Elefanten geben. Die Luft war trübe, der Himmel bedeckt gewesen; aber am Abend ihres zweiten Marschtages erhob sich ein Wind und verjagte die Wolken. Wie ein Vorhang rollten die Nebel über der Landschaft empor und öffneten ihre Tiefen. Aber kein dunstiger Horizont verschwamm draußen mit der Unendlichkeit wie sonst; die Wolken stießen und ballten sich wie an einer Mauer und enthüllten ein gewaltiges Bergland. Felder und hellgrüne Bananenhaine bedeckten die Abhänge, oben schlossen sich Buschflächen an und verliefen in dunklen Urwäldern, die den ungeheuren Leib des Berges wie Gürtel aus struppigem Moos umgaben. Darüber stiegen gelbe, rote und braune Flächen empor, türmten sich zu schwarzen, schroffen Felsenmauern, die kein Ende nehmen, sich in den Himmel bohren wollten, und darüber noch, in unermeßlicher, weltenferner Höhe wölbte sich eine mächtige, weißblinkende Kuppel. In reiner, feierlicher Schönheit strahlte sie aus tiefem Blau herab, unnahbar und entrückt den Dingen und Menschen der Welt. – »Die Feder des weißen Vogels!« rief Hatako; die erhobene Hand und der Blick des Wilden erstarrten in Verwunderung und Ehrfurcht.

»Dieser Berg heißt Kilima Ndscharo. Ganz da oben liegt das Land der Geister. Niemand darf es betreten. Wenn ein Mensch es wagt, da hinauf zu steigen, hauchen sie ihn mit ihrem kalten Atem an, dann erstarren seine Glieder. Selbst das Wasser wird unter dem Hauch der Geister zu hartem, kalten Stein und die Luft zu weißen Blütenblättern, die wie Regen herabfallen und den Menschen begraben. Aber da, – unter dem Walde ist ein Land, wo Menschen wohnen und wo es viel Nahrung gibt. Und noch weiter unten, sieh, da wo die vielen kleinen Berge sich drängen wie eine Herde Vieh, da sind Täler mit viel Wasser und Bäumen und Büschen so dicht wie Gras,– das ist das Land der Elefanten!« erklärte ihm Njira.

Hatako hörte zu, aber immer wieder wurde sein Blick von jener Kuppel angezogen. Von weißem Licht umflossen lag sie da oben wie ein Schild von reinem Silber, der auf seiner Wölbung den Himmel trug. Seine Genossen gingen weiter, nur der Alte stand noch neben ihm; auch er starrte empor. Da sank ein feiner, grauer Nebel über den ungeheuren Glanz, verdichtete sich zu grauer Wolke und verhüllte den beiden den Anblick des Geisterlandes. »Es ist nicht gut, von denen da oben zu sprechen, sie haben es gehört!« sagte der Alte im Weitergehen halblaut. Du siehst es zum erstenmal, und meine alten Augen haben es so oft gesehen. Aber immer wieder singt mein Herz ein Lied dabei.« Am Nachmittage erreichten sie die kleinen Berge. Vorm Eingang eines Tales blieben die Jäger plötzlich stehen; ein schmales, graues Band lief aus der Steppe hinein, überquerte die Niederung und verlor sich in den dunklen Dickichten des Berges – eine Straße der Elefanten. Die Männer zerstreuten sich, einige gingen längs der Fährten zurück, andere folgten ihnen vorsichtig in das Tal hinein. Sie bückten sich, maßen die mächtigen Mulden der Fußabdrücke mit Handspannen aus, befühlten und berochen die Erde der Ränder, die ausgekauten Baumzweige und Agavenstengel und die grauen Massen der Losung, die hier und da auf den Spuren lagen. Mit kurzen Worten tauschten sie ihre Beobachtungen aus, dann entschied Bugwan: »Es sind elf Elefanten. Zwei sind alte Bullen mit großen Zähnen, ein dritter ist jünger. Drei Kühe und fünf junge Tiere gehören zu ihnen. – Sie sind in den Bergen; morgen suchen und bejagen wir sie, Brüder!« – »Ja, Vater, du hast recht gesprochen!« riefen die Männer mit aufleuchtenden Augen. Sie warfen die Köpfe zurück; ihre Stirnen furchten sich, und ihre Nasenflügel bebten und zitterten. Geräuschlos stiegen sie auf einem engen Pfade den Abhang eines Berges hinauf und lagerten sich unter den hohen Waldbäumen seines Gipfels. Ganz klein nur glühte und flackerte ihr Feuer, leise waren ihre Bewegungen und kurzen Worte – die grauen Riesen in ihrer Nähe hatten scharfe Nasen und Ohren! Schweigend saßen die Jäger nach der Mahlzeit im Grase, die tanzenden Flammen beleuchteten ein Knie, einen Arm, ein wildes Gesicht und ließen es wieder ins Dunkel tauchen; dumpf brausten die Wälder in den Stößen des Nachtwindes auf. Bugwan hatte seinen Hornring abgenommen und mit Talg eingerieben. Nun polierte er ihn blank und summte dabei ein Lied vor sich hin. Es war ein Schlachtgesang seines Volkes. Vor einem halben Jahrhundert hatten es die Regimenter der Zulu gesungen, wenn sie an seinem Vater, dem großen König Tschakka, vorbeigezogen, und ganz Afrika hatte vor dem Gesang und dem Marschtritt der Zulu gebebt. Die Augen des alten Kriegers sprühten, immer wilder wurde sein Gesang, getragen von der Glut vergangener Jugendtage und doch innerlich verhalten und halblaut nur, wie es ihn sein langes gefahrenreiches Leben gelehrt hatte. Er hatte den Kopf zurückgebogen, sein weißes Haar leuchtete aus der Nacht, im Takte zuckte die Klinge des Schwertes in der langen, dünnen Hand. Dann sprang er auf, reckte sich, riesengroß ragte seine Gestalt gegen den Sternenhimmel. Mit leis zitternden Händen legte er die Waffen ab, holte einige in weißes Leder gewickelte Knochen und Wurzeln und einen kleinen, eisernen Topf aus der Felltasche, ergriff einen Feuerbrand, und schritt schweigend in die Nacht hinein. »Wohin geht Bugwan?« fragte Hatako. Der Angeredete hielt ihm erschrocken die Hand vor den Mund und winkte mit dem Finger Schweigen. Stumm saßen sie wieder beieinander, der Wind rauschte in den Bäumen, die Sichel des Mondes blickte über den zackigen Wipfeln. Eine Stunde verging und noch eine, endlich kam der Alte zurück. Er hockte wortlos nieder, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, sein Gesicht war müde und uralt. Er stellte den Topf, aus dem Dampf aufstieg, vor sich nieder; sein weißer Kopf sank auf die Knie. Keiner der Männer sagte ein Wort. »Die Daua (Zauber-Medizin) ist fertig, nehmt Brüder!« sagte er plötzlich, ohne sich zu rühren, mit dumpfer Stimme in das Schweigen hinein. »Sie ist stark und gut, stärker noch als die Elefantenbullen, deren Zähne wir morgen abend in unserem Versteck vergraben werden.« – »Inschallah!« brummten Ali und Hamiß, die beiden Mohammedaner. »Nicht Inschallah, ihr werdet sie vergraben, sage ich euch! Und nicht nur diese – ihr werdet morgen viel graben müssen, Brüder! Der längste Mann von Zululand braucht eine große Grube. Ich habe alles gesehen – ich sehe alles, alles –.« In leisem Murmeln verklang seine Stimme. Im Banne abergläubischer Scheu sahen die Männer einander an, schweigend schöpfte sich jeder mit einem Holzspan ein wenig von der braunen Masse, die schon im Erstarren war, heraus und verwahrte sie sorgsam am Körper. Die Hand des Alten berührte leicht Hatakos Knie. »Nimm auch du, Kleiner, du brauchst es am nötigsten! Ich sehe dein Herz, es ist das eines Leoparden, schnell und voll unbesonnenem Mute.« – »Ja, mein Vater,« antwortete Hatako leise. Er nahm etwas von dem Zaubermittel und tat es in seinen Lederbeutel. Dann streckten sie sich zum Schlafen nieder. Nur der Alte blieb noch wach. Er murmelte abgerissene Worte, horchte mit gesenktem Kopfe in die Nacht hinaus und murmelte wieder, wie in Frage und Antwort.

Am Nachmittage des anderen Tages lagen die Jäger auf einem Felsvorsprunge und spähten mit zusammengekniffenen Augen über die Hand ihres Anführers, die in das Dunkel eines waldigen Tales hinabwies. »Gebt acht, dort bei den Mwulebäumen – gleich wird es wiederkommen«, flüsterte er, »– da!« Wie ein Zucken ging es durch die Körper der Männer, atemlos starrten sie hinab. In einem Sonnenstrahl leuchteten da unten schimmerndweiß die Stoßzähne eines Elefanten auf – jetzt verschwand es – undeutlich wurden für einen Augenblick die Umrisse eines gewaltigen Körpers sichtbar – ein Bäumchen bog sich plötzlich zur Erde, schnellte mit geknickter Krone wieder auf – nochmals das helle, flüchtige Blinken eines Zahnes – dann waren die Kolosse über der Lichtung im Hochwalde verschwunden. Die Jäger sprangen auf, mit glänzenden Augen sahen sie einander an, dann drangen sie hastig talabwärts durch den Wald. An einem Tümpel machten sie Halt, legten alle Kleider ab und rieben die nackten Körper mit feuchter Erde ein. »Es ist, daß die Elefanten nicht den Menschengeruch wittern,« erklärte Njira auf eine Frage Hatakos. Sie verbargen ihre Sachen in einem Bambusgestrüpp, nur die Waffen und ihre Amulette behielten sie bei sich. Bugwan warf eine Flaumfeder in die Luft, aufmerksam verfolgten sie die Richtung ihres Falles. »Gut, der Wind kommt von den Elefanten! Auf, Brüder!«

Einer hinter dem anderen gingen sie auf einem Wildpfade in den Wald hinein. Bald verlor sich der Weg, langsam wanden sie sich im Unterholze vorwärts, blieben oft lauschend stehen, schlichen weiter, lautlos wie Schlangen, einem dumpfen Rauschen und Brechen zu, das aus den tiefsten Dickichten des Waldes drang. Kein Wort fiel, nur ab und zu ein Atemzug, keuchend vor Anstrengung und unterdrückter Erregung, wurde hörbar. Der Alte ging voraus, ein kurzer Wink seiner Hand verständigte über Richtung, Halten und Weitergehen. Ganz langsam nur wurde das Krachen und Brechen vor ihnen deutlicher, die Herde schien in gleicher Richtung äsend weiterzuziehen. Wald und Busch lichteten sich jetzt über den Kriechenden. Vorsichtig streckte Bugwan den Kopf vor und sah sich um; er war vor der Bahn angekommen, die von den Tieren durch den Wald gebrochen war. Baumkronen und Büsche lagen geknickt; Stämme, von denen die Rinde abgerissen war, leuchteten hell aus dem Gewirr, massige Kothaufen dampften, die Luft war erfüllt von Elefantengeruch. Die anderen Jäger waren herangekrochen, ihre Augen glänzten unter den Büschen vor. »Sie sind dort auf der Lichtung,« hauchte der Alte. »Der Wind ist noch gut. – Gras und wenige Bäume. – Seid wachsam!« Mit unendlicher Vorsicht schlichen sie weiter, nur schrittweise schoben sie sich vor. Die Tiere verhielten sich ganz still, nur der immer stärker werdende Geruch und das dumpfe Kollern in den Mägen der Riesen sagte den Jägern, daß sie dicht vor ihnen sein mußten. Lautlos glitt der Körper des großen Zulu vorwärts, ein grauer Baumstumpf schimmerte vor ihm aus dem Grase. Noch einen Zoll rutschte er vor – plötzlich hielt er ein, schob sich mit raschem leisen Ruck zurück, hob warnend die Hand nach hinten – der Baumstumpf vor ihm war das Bein eines Elefanten! »Nini?« wisperte einer hinter ihm. »Tembo (Elefant)!« keuchte der Alte, sein ausgestreckter Finger berührte fast den mächtigen Fuß vor ihnen. Mit einem heftigen Ruck zog er sein Bein an, das von einer Ranke umklammert war, – da schmetterte es über ihnen auf wie Trompetenschall, die Kronen zweier Akazien fuhren prasselnd auseinander, hoch droben drängte sich ein ungeheurer Kopf vor, zwei mächtige Ohren breiteten sich aus wie die Flügel eines Riesenvogels, ein tückisch funkelndes Augenpaar schielte auf sie herab. Die Männer sprangen schreiend auf die Füße, rissen die Gewehre hoch – zu spät, ein grauer Arm zuckte herab, umschlang den zurückprallenden Zulu, schwang ihn auf, zwei blinkende Säbelzähne stießen vor, durchdrangen den Körper – dann ruckte der Kopf hoch und warf ihn in die Luft. Hoch über den Kronen der Bäume schwebte der zurückgebogene nackte Leib des alten Zulu, und das letzte Bild, das seine Augen aufnahmen, ehe sie erloschen, war das strahlende Eisgewölbe über dem Geisterlande. Mit weit ausgebreiteten Armen stürzte er herab, und fast von dem fallenden Körper berührt, schnell und panthergeschmeidig sprang Hatako zwischen die grauen Säulen, die den Riesenleib trugen. Schwingend fuhr das schwere Messer fast im Kreise herum, drang tief in das Bein des Elefanten ein. Der Wilde taumelte unter der Wucht des eigenen Schlages, ein heulender Ton voll Schmerz und Wut erscholl über ihm, mit unbegreiflicher; Schnelligkeit fuhr der mächtige Körper herum, mitten in der Bewegung knickte das getroffene Bein zusammen, der Rüssel durchschnitt pfeifend die Luft, haschte nach dem Feind, da zuckte es brennend auch durch die Sehnen des anderen Beins und brach seine Festigkeit. Mit brüllendem Stöhnen stürzte der Koloß auf den Hinterleib nieder, in blitzschnellem Sprunge wich die schlanke Menschengestalt der zermalmenden Last aus. Ein Schrei voll triumphierender Wildheit mischte sich mit dem Geschmetter der anstürmenden Bullen, dem dröhnenden Gepolter von mächtigen Füßen, dem Krachen, Bersten und Splittern von Bäumen, die vor den flüchtenden Kühen niederbrachen. Schüsse, menschliche und tierische Schreie, brechendes Holz, spritzende Erd- und Grasmassen, wuchtig herumfahrende Riesenkörper und springende, vor- und rückwärtsschnellende Menschengestalten tosten, wirbelten durcheinander. In das Wutgebrüll des gelähmten Bullen schlug der dumpfe Fall, das tiefe Stöhnen eines tödlich getroffenen Genossen. Rasend vor Wut, mit klatschend schlagenden Ohren tobte jetzt nur der kleine Bulle noch über die Lichtung, hetzte zwei Menschen, die in verzweifelten Zickzacksprüngen vor ihm herflohen – da schnellte wieder die schlanke, braune Gestalt des Kannibalen vor, noch im Laufe schwang er das Messer, schlug und traf mit raubtierhafter Zielsicherheit die Sehne des stampfenden Hinterbeins. Ein wilder Sprung warf seinen fast wagerecht gestreckten Körper gerade um Fingerbreite noch an dem greifenden Rüssel vorbei, mit dem leichten Aufschlag seines Körpers brach krachend auch der des Elefanten nieder.

Das Rauschen und Poltern der flüchtenden Kühe verlor sich im Walde, auf der Lichtung knallten noch einige Schüsse rasch hintereinander, dann wurde es still auf dem Schauplatz. Langsam, mit stoßweisem röchelnden Schnauben verließ das Leben die gewaltigen Körper der Elefanten. Gehetzt und verstört fanden sich die Wakua zusammen. Schweißströme und Blutgerinsel liefen über ihre keuchenden Brüste und die bebenden Muskeln ihrer Beine. Als erstes befreiten sie den Leichnam des Zulu, der in der Astgabel eines Baumes hing, und betteten ihn auf Moos und Laub. »Seht da,« sagte Kimbele, der Mnyamwezi, und hielt ihnen eine kupferne Kapsel hin, die der Tote auf der Brust getragen hatte. »Sie ist leer! Bugwan hatte keine Daua bei sich, deswegen mußte er sterben!« Schweigend starrten sie einander an. »Haizuru (ohne Belang) – Bugwan starb wie ein Wakua!« brummte Njira und reckte sich gerade auf. »Wahr gesprochen, Njira,« stimmten die anderen zu und gingen ans Werk. Nachdem sie den Toten mit Zweigen bedeckt hatten, nahmen sie die Werkzeuge in die Fäuste. Bis zum Abend schnitten und hackten sie in mühevoller Arbeit mit Messern und Äxten an den Köpfen der gefällten Elefanten herum. Mond und Sterne leuchteten schon, als sie endlich den sechsten und letzten Zahn herausgebrochen hatten. Mit einigen Schnitten trennte einer noch den Rüssel des jungen Bullen für die Abendmahlzeit ab. Müde und schwerbeladen bewegte sich dann der dunkle Zug der Männer durch den Wald dem Lager zu. Vier Mann trugen den Leichnam des großen Zulu, die anderen keuchten unter der Last der mächtigen Zähne.

Um Mitternacht loderten Holzstöße auf dem Gipfel des Berges. Die Flammen beleuchteten die Gestalten der Jäger, die ihren alten Häuptling begruben. Auf einer frei vorspringenden Felsnase setzten sie den Toten so zum letzten Schlafe hin, wie es die Sitte seines Volkes erforderte. Sein weißbärtiges Kinn ruhte auf dem blanken Schwerte, das quer über den Knien lag, die langen Hände umschlangen die Schienbeine. Und seine weit offenen, starren Augen sahen aus den Eisdom des Kilima Ndscharo, der über schweren Wolken im Sternenglanze schimmerte. »Nun kannst du ihn immer sehen, Bugwan, ist es so recht?« fragte Hatako. Er hatte seine Hände dem Toten auf die Schultern gelegt und sah ihm nahe ins Gesicht. »Bugwan sieht alles. Er steht auch seine Heimat, Zululand, das dort, weit hinter dem Berge liegt,« sagte der weitgereiste Hamiß. Mit einem »Kwaheri (Fahr wohl) Bugwan!« schritten die Wakua der Reihe nach an ihrem Anführer vorbei. Dann wälzten sie Blöcke herbei, türmten sie um den Leichnam und machten aus einer Felsplatte ein gutes, festes Dach darüber, das keine Hyäne bewegen konnte.

Aufatmend standen sie eine Weile an dem Grabmal. Da trat Njira vor, seine Rechte faßte die Hatakos, die Linke legte er auf die Grabplatte. Laut und hell klang seine Stimme durch die Nacht: »Brüder, ein Mann ist von uns gegangen heute, aber ein neuer ist gekommen. Und er ist kein schlechter, ihr habt gesehen, was er tat. – Wollt, ihr, daß er unser Bruder wird?« – »Ja, wir wollen,« riefen sie wie aus einem Munde. Njira nahm ein kleines Häutemesser aus dem Gürtel. »Hamiß, du bist nun der Älteste unter uns, hier nimm!« Der Jäger nickte, er sah sich suchend um, ergriff eine Kürbisflasche und hieb sie mit einem Schwertschlag mitten durch. Die Bodenschale stellte er auf eine Ecke des Grabmals, dann traten die Männer im engen Kreis ringsum und faßten einander an den rechten Händen. Mit schnellen Bewegungen machte Hamiß einen Schnitt in eines jeden Unterarm, dunkle Blutstreifen liefen aus den Wunden herab, vereinigten sich an dem verschlungenen Knoten der Hände und fielen als kleines Bächlein plätschernd in die Schale. Regungslos standen die Männer beieinander, sacht verrann der Lauf des Blutes, wurde zu langsamem Tropfen und versiegte dann ganz. Da löste Hamiß die Hände und hob die Schale hoch. »Unter Sonne und Mond, in Schlaf und Wachen, in Leben und Tod, dir Bruder!« rief er Hatako zu, hob die Schale an die Lippen, trank und gab sie weiter. Hatako beschloß als letzter den Rundtrunk. Kraftvoll schüttelten ihm dann alle die Hand, und im Vorbeigehen grüßten sie schweigend zum letztenmal den Toten.

Die Rufe der Orgelwürger verkündeten bereits den nahenden Morgen, als die Jäger, beladen mit den Zähnen, nochmals aus dem Lager aufbrachen. Eine einzelne Fackel tanzte dem Zuge voraus, talauf und talab ging es in langer Wanderung, bis sie in einer wilden Kluft Halt machten. Unter einem überhängenden Felsen räumten sie den Sand weg, die Grube war schon mannstief, als sie auf ein Antilopenfell stießen. Vorsichtig hoben sie es hoch, ein Haufen von gelblich schimmerndem Elfenbein kam zum Vorschein. Sie zählten die Zähne, 13 waren es, die Zahl stimmte. Die neue Beute kam darauf; dann bedeckten sie alles wieder mit Sand, ebneten die Oberfläche und verwischten sorgsam jede Spur. Rückwärts gehend murmelte Hamiß Bannsprüche aus dem Koran über das Versteck, seine heidnischen Genossen spien darauf und verstreuten Amulette und kleine Stücke ihrer, Daua im Umkreis als Schutz gegen Diebe.

Am anderen Nachmittage stiegen die Wakua von den Bergen herab zu langer Wanderung. Bald umtönte wieder das gewaltige Lied der einsamen Steppe ihr Leben. Hart und reich an Mühen und Gefahren war es. Jedes Körnchen Pulver zu einem Schuß auf ein Stück Wild, das nur zur Nahrung nötig war, reute sie; Elefanten und nur Elefanten war der einzige Gedanke ihres Lebens und wurde es auch in Hatako. Tagelang zogen sie manchmal hinter den riesenhaften und doch so beweglichen Tieren her, pürschten sich mit unendlicher Geduld und Vorsicht näher und fanden oft ihre Hoffnung im letzten Augenblick enttäuscht, oder sahen die Rettung des bloßen Lebens vor der jäh aufflammenden Wut, dem unerwarteten Angriff der grauen Riesen in wilder Flucht. Von zehn angepürschten oder angeschossenen Elefanten fiel ihnen höchstens einer zur Beute, und auch der hatte nur selten große und schwere Zähne. Auf Schritt und Tritt folgte der Tod ihren Füßen, aber ein Verlassen des Weges, den sie gewählt hatten, gab es für diese Männer nicht. Und dieser Weg war gezeichnet von den gewaltigen Fährten des größten Tieres der Erde.

Monatelang zogen sie durch das weite Land, jagten heute an den Njiriseen, eine Woche später in den Burabergen und kurze Zeit danach in den Hochländern von Naiwasha. Die Regenzeit kam und ging, der grüne Teppich der Steppe verbleichte und verdorrte, die Elefanten zogen sich in die Berge und Flußtäler zurück, und ein halbes Jahr nach Bugwans Tode tauchten die Wakua, beladen mit einigen Zähnen, wieder in den dunkelgrünen Bergwäldern von Longido auf. Und wie einmal schon, verließ hier das Glück die Wakua, und diesmal für immer. – Auf der Spur einer kleinen Herde waren sie in die Hochtäler des westlichen Kilima Ndscharo eingedrungen. Auf einem grasbewachsenen Hange hatten sie die Tiere umstellt, und gleich die ersten Schüsse, die donnernd von den Bergrücken widerhallten, hatten einen Bullen, der nur einen Zahn trug, zur Strecke gebracht, die anderen Tiere in wilde Flucht gejagt. Da klang in das jauchzende Geschrei der Jäger, die nur Augen für ihre Beute hatten, ein donnerndes »Simameni(Haltet)!« von dem Bergrücken herab. Stutzend sahen sie auf, gelbbraune Gestalten standen da oben, legten ihre Gewehre auf sie an, andere tauchten über dem Grate empor, und auch unter den Bäumen des Tales kamen bewaffnete Menschen hervor und schlossen mit raschen Sprüngen einen Kreis um die Jäger. »Askari! Fort, Brüder!« schrie Hamiß auf. Ein erneutes »Halt! Hebt die Arme hoch!« antwortete von allen Seiten. Da riß Njira das Gewehr an die Backe, ein Schuß krachte, im selben Augenblick knatterte es ringsum auf, Geschosse summten in der Luft und schwirrten surrend durch Gras. Die Wakua flogen auseinander, feuerten blindlings auf die gelbbraunen Gestalten. Njira tat plötzlich einen hohen Luftsprung und brach zusammen. Hatako warf sich neben ihm nieder. »Bist du verwundet? – Sag, was ist dies alles?« Njira antwortete nicht, sein Körper zuckte und streckte sich. Die Hand Kimbeles riß Hatako hoch und vorwärts. »Lauf, Kleiner, es sind deutsche Askari, wir dürfen hier nicht jagen!« – Pfeilschnell flogen sie den Abhang hinunter. Schüsse knallten hinter ihnen. Da schlug auch Kimbele hin, rollte noch ein Stück talab und rührte sich nicht mehr. Mit einem letzten Satz war Hatako unter den Bäumen; da zuckte er zusammen, schleuderte das Bein hoch und preßte einen Augenblick die Hände über zwei kleine blutende Löcher in der Wade. Wild sah er sich um; ein Ansprung, er hing an einem Ast, im nächsten Augenblick war er im dunklen Laub der Baumkrone verschwunden. – Als er endlich im höchsten Wipfel einen Ausblick fand, trugen die Askari die verwundeten Wakua zu einem weißgekleideten Europäer, der sie verband. Vor einem anderen, der blitzendes Gold auf den Schultern trug, standen mit gefesselten Händen Ali und Nguru, der Mgogo; neben den toten Elefanten lagen die leblosen Körper von Njira und Kimbele und noch einem Kameraden. Von den anderen sah Hatako nichts mehr.

Mit regelmäßigem Klingen fielen die Blutstropfen von seinem verwundeten Bein auf ein Blatt unter ihm. Unter finster gerunzelter Stirn hervor sahen seine Augen über den Grat nach einem hohen spitzen Berge. Hoch da oben, dort, wo ein Felsen frei und scharf wie der Bug eines Bootes vordrang, schimmerte ein kleiner grauer Hügel in der Abendsonne – Bugwans Grab. Der Wilde dachte an jene Nacht, an ihre verschlungenen Hände und Hamiß' Wort »– – in Leben und Tod«. Mit einem Ruck warf er den Kopf zurück, ein düsterer Blick flog zu den Askari; dann setzte er sich auf den Ast, schälte Baumbast ab, legte Blätter auf seine Wunde und verband sie. Still sah er jetzt, bewegte nur ab und zu das Bein, um es nicht steif werden zu lassen und wandte kein Auge von der Grasfläche gegenüber. Askari brachen ihrem Elefanten die Zähne aus, andere begruben seine toten Kameraden, einige schlugen ein Zelt auf. Als es Abend geworden war, glitt Hatako vom Baume herunter und schlich auf den Hang heraus. In der Nähe der Lagernden legte er sich nieder, Zoll um Zoll schob er seinen Körper näher, in stundenlangem Kriechen, Lauschen und Weiterkriechen umschlich er das Lager. Als es dunkel und stiller wurde vor ihm, wand er sich an einem unbeweglich stehenden Posten vorbei, zwischen den Schlafenden hindurch auf die dunklen Körper von zwei Reiteseln zu. Hier lagen seine beiden Genossen mit gefesselten Händen am Boden. Er berührte leise die Schulter Ngurus; der Schlafende schreckte auf, schnell legte sich die Hand Hatakos auf seinen Mund, und sein Messer durchschnitt den Strick. Vorsichtig weckten sie Ali und befreiten auch ihn. Sie krochen schon weg. Da erhob sich einer der Esel, reckte sich und schrie hell in die Nacht hinein. Mit zwei Schritten stand die Askariwache, vom Feuer rot beleuchtet, vor ihnen, spähte auf die dunklen Formen im Grase nieder, plötzlich riß er das Gewehr hoch. »Simama we (Halt du)!« schallte seine Stimme. Mit einem Sprunge waren sie auf den Füßen, Ali und Nguru verschwanden in der Nacht, doch Hatakos verwundetes Bein versagte den Dienst, er knickte zusammen. Mit alarmierendem Gebrüll warf sich der Askari auf ihn, und ein wildes Ringen entstand. Das Lager wurde lebendig, von allen Seiten stürzten Leute herbei. Dutzende von Fäusten konnten endlich den geschmeidigen Körper des Wilden zu Boden drücken und mit Stricken umwickeln.

Eine Stimme schrie eine Frage, einige rasche Befehle aus dem Zelt, Feuer und Fackeln flammten auf, nach allen Seiten stürmten verfolgende Askari davon. Dann schleppten sie Hatako vor das Zelt. »Steh auf,« herrschte ihn der Offizier an. Hatako rührte sich nicht, er sah den Offizier flüchtig an und wendete gleichgültig den Kopf ab. Die Askari rissen ihn auf, aber sobald sie ihn losließen, fiel er wieder um. Da drängte sich der andere Weiße vor, er war ein großer bleicher Mann mit einer Brille vor den Augen. »Laßt ihn, seht ihr denn nicht, daß der Mann verwundet ist! – Bringt eine Laterne!« befahl er. Mit einigen Schnitten trennte er den blutgetränkten Verband ab, besah und befühlte die Wunde. Ein Askari brachte einen Kasten herbei, der Arzt wusch und verband das Bein sorgfältig. »Es ist ein Schuß, nicht wahr?« fragte er. Hatako antwortete nicht. Ein Askari stieß ihn mit dem Fuße an, der Arzt schob ihn beiseite und beugte sich zu Hatako hinab: »Warum willst du nicht antworten?« fragte er ruhig und freundlich. Hatako preßte die Lippen zusammen und drehte das Gesicht ab. Plötzlich nahm der Arzt dem Sanitätsaskari die Laterne aus der Hand und betrachtete aufmerksam die Stammesnarben auf Hatakos Stirn. »Am' Mjema – O' ulu jeje?« Beim Klange dieser Worte zuckte der Wilde zusammen, richtete sich halb auf und starrte verwundert den weißen Mann an, der die Sprache seines Volkes sprach. »Ja, Bana, ich bin ein Mjema. Aber bist du nicht ein weißer Mann,« fragte er. Der Arzt lächelte. »Ja, ich bin gewiß ein Weißer. Aber ich kenne dein Volk und deine Heimat und liebe sie. – Nun erzähle mir, wer du bist und glaube mir, daß ich dein Freund bin.« Prüfend sah ihn der Wilde an, die Augen dieses Weißen waren seltsam, gut und warm wie die Sonne am Abend. Stockend erst, dann immer lebhafter, erlebend noch einmal in der Erinnerung, erzählte er von seiner Flucht und Wanderung aus der Heimat, von seinem Bana, der unter den Füßen des Nashorns, und Bugwan, der auf den Zähnen des Elefanten starb, und dem Bluttrunk an Bugwans Grab, dessen Kraft ihn jetzt hierher zu seinen gefangenen Brüdern gezogen hatte.

Lautlos hatte der Arzt zugehört, seine Augen glänzten, als er aufstand und sich tiefatmend über die Stirn fuhr. Er wandte sich zu dem Offizier und gab ihm in kurzen Worten das Gehörte wieder. »– Ein afrikanisches Nibelungenlied,« schloß er. Der Offizier strich sich den Schnurrbart. »Ja, um den Kerl wäre es schade. – Wissen Sie was, Doktor, fragen Sie ihn doch mal, ob er nicht Askari werden will.« Der Arzt wandte sich zu Hatako. »Jener Bana ist ein Häuptling der Askari, er bringt dich nach Moschi, dort würdest du bestraft, denn du hast hier einen Elefanten getötet, und das ist nicht erlaubt im Lande der Deutschen. Aber der Bana sieht, daß du einen kräftigen Körper und ein tapferes Herz hast, und er möchte, daß du ein Askari wirst. Nun wähle: »Sklavenarbeit viele Monate lang – oder Askari!« Hatako saß still, die Falten in seiner Stirn waren scharf und tief wie eingemeißelt. »Askari?« murmelte er, »Löwen und Elefanten habe ich gejagt – – ,« dann warf er den Kopf hoch, und mit tiefer ruhiger Stimme sagte er: »Gut, so will ich von nun an Menschen jagen.«

 

Ende. –

 

*

Ein zweiter Teil von »Hatako« befindet sich in Vorbereitung. Er wird das Leben Hatakos als Askari zum Gegenstand haben.

 

Gedruckt in der Meyerschen Hofbuchdruckerei (Max Staercke) in Detmold.


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