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H. Clauren

Das Raubschloß

Aufschluß der, im ersten Bändchen abgebrochenen Geschichte.

Meinen Staubmantel, meinen leichtflatternden Staubmantel hatte ich durch und durch gestochen. Der Zipfel desselben war in der Thüre des Vorgeleges, vor dem einen der großen eisernen Öfen, die im Rittersaale standen, eingeklemmt. Als ich die Vorlegethür öffnete, um meinen Mantel zu erlösen, knarrte sie und fiel dann wieder zurück: dies Knarren war das Röcheln, das Winseln; und als sie zurückfiel, berührte die Klinke den eisernen Aufwurf, in den die Klinke gehörte; das war das Klopfen des Großmeisters gewesen. Der Zugwind hatte die verdammte Thüre abgestoßen und zugezogen; sie war seit Jahren nicht eingeölt, und knarrte daher in einem so eigenen Tone, daß ich selbst, als ich sie zur Probe jetzt mehrere Male öffnete und zurückfallen ließ, die Ähnlichkeit mit jenem jammervollen Gewinsel, bis zur Täuschung wahrnahm. Die Klinke war von Eisen, der Aufwurf von Eisen, daher klang das Zurückfallen der wieder zugehenden Thüre natürlich wie der Schlag eines Hammers von Eisen auf Eisen. Der erste Ruck, wenn die Thüre zurückfiel, war allemal stark, nachher folgten zwei schwächere: daher werden mehrere meiner Leser sich enträthseln, warum ich den fürchterlichen Bruder in der Nähe glaubte.

Bruno und Gotthard waren hinter mir drein gekommen, um zu sehen, wer sie in ihrem Rumpelgemach, bei dem Zweikampfe überrascht hatte. Sie hatten jetzt die Visire aufgezogen: es waren zwei lebendige bausbäckige Menschen. Sie waren so sehr erschrocken, als ich; indessen verständigten wir uns bald.

Es waren die beiden, früher schon erwähnten Gartenknechte, Georg und Heinrich. Die Tante ließ in der Regel immer einen auf der Ruine schlafen, damit die Mobilien, die in den neu eingerichteten Zimmern standen, doch nicht ganz unbewacht wären; indessen war es dem einen zu einsam in dem alten Gemäuer da oben; sie hatten daher ausgemacht, immer zusammen zu schlafen. Von meinem Hierseyn hatten sie nichts gewußt. Diesen Abend kommen die Gartenbengel auf den Einfall, Ritter zu spielen. Panzer, Helm und Schwerter hängen in der Polterkammer. Wenn einer dem andern einen Klapps beigebracht hatte, lachte der andere; sie hatten ihre Visire herunter gezogen: daher dieses hohle Gelächter, das ich in dem Höllenrachen eines Satans gesucht hatte. Als ich, den blanken Degen in der Hand, unvermuthet zwischen die Fechtenden trat, fällt dem einen vor Schreck das Schwert aus der Hand: als aber die Gewappneten sehen, daß ich die Flucht ergreife, ermannen sie sich wieder, und eilen mir nach. Auf dem Rückwege, als ich mich vor der Thür des Vorgeleges wegzog, wird diese vom Zugwind abgestoßen; der Zipfel meines Staubmantels schlüpft dazwischen, die Thür klappt wieder zu; ich glaube, ein Ungeheuer packe mich von hinten, verwende den Degen, und stoße ihn rückwärts durch den dünnen Nanking.

So weit hatte ich Aufschluß. Allein der Nonnengesang in der Gruft, die Beleuchtung, das Krachen, als ich Cäcilien, die an ihrem eigenen Sarge saß, zurief, die weiße Gestalt im Gebüsche – das waren mir noch heimliche Räthsel.

Ich fragte die Gartenknechte, ob sie nichts singen gehört hätten. »Das macht es oft so,« entgegneten die Geharnischten, und Heinrich hob die dort an der eisernen Thüre noch liegende Lea in die Höhe. »So lange die hier hängt, wird es auch nicht anders im alten Schlosse werden. Die seligen Nonnen aus St. Clara singen, seitdem Mamsell Cäcilchen todt ist, fast wöchentlich ein paar Maal da unten bis zur tiefen Mitternacht, ihre frommen Seelenmessen.«

Bei diesen Worten hielt er das Bild mir näher. Ich mußte mich wegwenden; denn es war, als kniee die Kindesmörderin lebendig vor mir. Ich schauderte. Ewig lange hatte sie die heilige Mutter Gottes um Erbarmen angefleht: für sie war keine Gnade mehr, weder in dem unermeßlichen Kreise der Millionen von Welten, noch in den endlosen Räumen der Ewigkeit. Nur die weibliche Brust, in der auch einmal Mutterliebe mit Mutter Verzweiflung gekämpft hat, konnte diesen Jammerblick verstehen; ich ahnete nur halb seine grausenvolle Bedeutung.

Ich bat die beiden Gartenknechte, mit mir noch einmal hinunter zu kommen, um in die Gruft zu sehen, ob man da noch etwas bemerke.

Sie begleiteten mich.

Wir gingen ohne die Laterne, die wir oben in meinem Zimmer brennend zurückließen.

Nein, wir sahen nichts.

Alles war still und dunkel in der Gruft. Die Nonnen, die Musik, das Licht, Alles war verschwunden. Cäcilie schlummerte wieder ruhig in ihrem Sarge.

Wir kehrten in die Ruine zurück. Die Gartenknechte gingen in ihre Polterkammer. Ich war nun wieder allein.

Ich warf mich auf das Sopha, ließ das Licht brennen und horchte zwei lange Stunden. Endlich schlummerte ich ein, und erwachte spät am Morgen. Die Tante kam mit Julien herauf, um mit mir zu frühstücken.

»Ich wäre gestern beinahe noch einmal herauf gekommen,« sagte Julie: »aber ich hatte keinen Athem mehr, um die Treppe zu ersteigen.«

»Wie so?« fragte ich erstaunt.

»Ich habe eine Nacht gehabt! kein Auge habe ich zuthun können.«

»Sie?«

»Stellen Sie sich nur vor! Gestern als wir von Ihnen weggegangen waren, und ich mich eben ausziehen wollte, kommt Jettchen.«

»Wer ist Jettchen?« fiel ich ihr ins Wort.

»Kennen Sie Jettchen nicht mehr? Amtmanns Jettchen von Eichberg? Die kommt also, ein Laternchen in der Hand, mit ihrem Bräutigam, nach dem Gewitter noch herüber; der hat einen Brief aus Prag bekommen, und soll morgen, als heute früh fort; er hat sich hier über acht Wochen aufgehalten, ist fast täglich in unserm Hause gewesen, und will also von Mutterchen und mir noch Abschied nehmen. Mutterchen war schon zu Bette. Ich plaudre mit beiden noch ein Weilchen, und begleite sie dann durch den Garten, um sie hinten hinaus zu lassen, wo sie ein ganzes Stück näher gehen. Als wir hier in die Nähe der Ruine kommen, gerieth Weigl auf den unglücklichen Gedanken, Cäciliens Gruft noch zum letzten Male zu besuchen. Wir waren oft alle drei des Abends in der Gruft gewesen, und hatten ein frommes Lied an Cäciliens Sarge gesungen. Mir gefiel die Abschieds Idee des schwärmerischen Menschen: ich hatte den Schlüssel noch bei mir. Wir traten ohne Furcht und Grauen in die stille Kammer ihrer Ruhe. Wir sprachen von der Seligen, vom Scheiden und Wiedersehen, Weigl schloß die Geliebte in seine Arme, und beide schwuren sich, einander bis zum letzten Hauch des Lebens treu zu seyn, und rein und gut, wie meine Cäcilie gewesen war.«

»Jettchen sank, ergriffen von dem Schauer des heiligen Eides, an Cäciliens Sarge auf ihre Kniee, betete leise um den Seegen des Vaters der Liebe, und um eine sanfte Ruhe für die vertrauteste Freundin ihrer Jugend, für ihre Cäcilie. Weigl aber ging schweigend in die kleine Nebenhalle, die Mutterchen hat auswölben lassen, ergriff dort meine Harfe, und spielte das schöne alte Lied: Wie sie so sanft ruhn. Ich setzte mich still neben ihn, und hob, in tiefer Wehmuth versunken, den frommen Gesang an, den Jettchen vorn in der Gruft, knieend am Sarge, mit ihrer reinen Silberstimme begleitete. Wir hatten den dritten Vers gesungen. Wir konnten nicht weiter. Thränen, heiß geweinte Thränen erstickten unser Lied. Auf einmal rief eine laute, wilde Stimme: Cäcilie!«

»»Herr Jesus, mein Heiland!«« schrie Jettchen, raffte sich auf, eilte zu uns in die Nebenhalle, und warf die Thür hinter sich zu. Wir waren alle drei erschüttert. Jettchen rief: »»fort, fort!«« ergriff die Laterne so hastig, daß sie verlöschte, und zog uns mit sich aus der Halle. Wir flogen mehr, als wir gingen, durch das Gebüsch nach Hause. Hier erholten wir uns ein wenig von unserm Schreck; dann gab ich ihnen einen Begleiter mit, denn sie mußten diesen Abend noch nach Eichberg.«

Jetzt kam die Reihe des Erzählens an mich.

Der Leser weiß nun meine Geschichte jener Nacht. Ihm ist hoffentlich also über den wunderbaren Zusammenhang jener Begebenheit jetzt weiter nichts dunkel.

Das Bild der unglücklichen Lea schenkte mir die Tante zum Andenken, und Julchen heilte mit ihrer Nähnadel die Wunde meines grausam durchstochenen Staubmantels.


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